Wir erinnern uns: Zuletzt mußte die Bundesregierung dem italienischen Ministerpräsidenten ihre Deutschlandpolitik "erläutern", weil sein Außenminister wohl etwas "falsch verstanden" hatte.
Vom Osten sind wir es ja gewohnt, daß "wir" ungerechterweise angegriffen werden; aber daß wir jetzt auch unsere Verbündeten darauf hinweisen müssen, was sie unterschrieben haben...
Ein deutscher Staatsmann hat das Recht, - in Polen das Grab eines Staatsfeinds aufzusuchen, also höchst offiziell die Feinde der Regierung, die ihn eingeladen hat, zu ermutigen.
Das ist ungefähr so, als machte es ein ausländischer Politiker zur Bedingung seines BRD-Besuchs, das Grab von Ulrike Meinhof oder Benno Ohnesorg zu besuchen.
Immer wenn deutschen Untertanen besondere Gefühle für ihre Herrschaft abverlangt werden, weil besondere Opfer anstehen, fühlen sich die Tag- und Nachtwächter der Nation, die Schriftsteller, aufgerufen, ihre Zuständigkeit für solche Gefühle besonders herauszustreichen und so zu tun, als hätten sie, seit Heinrich Heine aus Besorgnis um deutsche Zustände "um den Schlaf gebracht" wurde, kein Auge mehr zugetan.
Der Umstand, daß kein Mensch auf der Welt vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug von Herrschaft ungeschoren bleibt, sowie der Zufall, bei der Geburt ausgerechnet das Licht Deutschlands erblickt zu haben, nötigt in Zeiten nationaler Mobilmachung gegen den Osten 47 Schriftstellern aus der BRD und der DDR lustige Treuebekenntnisse zur Gesamtnation ab.
Die Christlichen machen aus ihrer Freude am Regieren keinen Hehl. Mit Elan hat der Minister, der eigentlich für das Innere der BRD die Verantwortung trägt, nebenbei einmal grundsätzlich die deutsche Frage aufgegriffen.
Kaum verlangen die USA die Entscheidung in der "Konkurrenz der Systeme", häufen sich die Anklagen, die die "freien" Nationen gegen die Sowjetunion vorzubringen haben. Die USA erheben ihre Definition von der Sowjetunion als "Zentrum des Bösen" zum alleinigen Inhalt der Weltpolitik, und schon ist es allen europäischen Staatsgewalten ein zwingendes nationales Anliegen, ihre Politik daraufhin zu definieren und sich daran zu beteiligen.
Der westdeutsche Nationalfeiertag hat nicht nur einen negativen Adressaten im Osten, sondern auch einen Ansprechpartner im Bündnis. Was dieser ungeteilt mitfeiert, ist der Kriegsgrund mitten in Deutschland" als Ostgrenze der Freiheit. Den damit verbundenen nationalen Anspruch der BRD nimmt der freie Westen allerdings als konkurrieren.den Machtanspruch aus Bonn für die Neuaufteilung der Weit nach der erfolgreich abgeschlossenen Befreiung des Ostens wesentlich differenzierter zur Kenntnis.
Das von Stalin dem Historischen Materialismus zugeschriebene Gesetz von der relativen Trägheit des Überbaus gegenüber seiner Basis haben Westdeutschlands Schriftsteller relativiert, indem sie schon Stunden nach der Stunde Null von 1945 anfingen, exklusiv für die erst vier Jahre später aus der Taufe gehobene Bundesrepublik Deutschland zu schreiben. In ihren Werken spiegelten sich auch später getreulich alle politischen Konjunkturen westdeutscher Demokratie ebenso wie die Phasen der Gegnerschaft zum "unfreien Teil" der "geteilten" Nation.
Daß dieses Thema wieder ansteht, dazu haben nicht zuletzt die beiden deutschen Staaten ihren Beitrag geleistet, indem sie ihre jeweilige nationale Hälfte zu den im west-östlichen Bündnis erwünschten Leistungen angehalten haben.
Modell Deutschland Ost/West