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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1983 erschienen.

Westmächte zur "Deutschen Frage"
Die Teilung im Weltmaßstab

Der westdeutsche Nationalfeiertag hat nicht nur einen negativen Adressaten im Osten, sondern auch einen Ansprechpartner im Bündnis. Was dieser ungeteilt mitfeiert, ist der Kriegsgrund mitten in Deutschland" als Ostgrenze der Freiheit. Den damit verbundenen nationalen Anspruch der BRD nimmt der freie Westen allerdings als konkurrieren.den Machtanspruch aus Bonn für die Neuaufteilung der Weit nach der erfolgreich abgeschlossenen Befreiung des Ostens wesentlich differenzierter zur Kenntnis.

Außerhalb der Bundesrepublik wird die Wiedervereinigung "Deutschlands" nur von der Volksrepublik China energisch und vorbehaltlos gefordert: Sie betrachtet die Bundesrepublik als quasi natürlichen Bündnispartner gegen ihren Hauptfeind, die Sowjetunion, mit dem gleichen Ziel, ein auswärtiges Staatsgebiet als eigenes zu beanspruchen und sich einzuverleiben. In sozialliberalen Zeiten des "Wandels durch Annäherung" waren Regierungsvertreter nicht einmal begeistert über die Betonung der Notwendigkeit deutscher Wiedervereinigung seitens chinesischer Kommunisten, die damit jeden deutschen China-Besucher zu erfreuen suchten.

Allerdings finden sich auch kaum Kritiker des westdeutschen Territorialanspruchs - welcher Staat kann es sich schon leisten, durch eine abweichende Stellung es sich mit deutscher Wirtschaftsmacht zu verderben, mit oder ohne Hallstein-Doktrin? Und warum auch sollte ein Staat sich die Territorialansprüche eines anderen zu eigen machen, wenn sie nicht eigene Zuständigkeiten für die betreffende Gegend anmelden oder innehaben. Natürlich muß jeder namhafte Staatsbesuch in Berlin aufs Podest zwecks fotogener Besichtigung der Unfreiheit. Amerikaner sind dann Berliner und fühlen sich, als wären sie zu Hause. Und glasige Augen sind das mindeste, was so ein hetzender Heuchler zustande bringen muß, wenn er ins Grauen nach drüben schaut, oder wie Reagan demonstrativ einen Fuß über die Grenze auf Ostberliner-Gebiet setzt. Ganz eiserne Figuren, die in London, Dublin und Falkland besten Gewissens Blutbäder inszenieren und daraus politisches Kapital schlagen, brechen glatt in Tränen aus:

",Es ist entsetzlich, absolut entsetzlich!' Mit Tränen in den Augen und gebrochener Stimme wandte sie sich ab und sagte: Es war noch schlimmer als ich es mir vorgestellt habe ... man muß es gesehen haben, um das Schreckliche in seiner ganzen Tragweite zu erfassen.'" (Times, 30. 10. 82)

NATO-Gebiet in Feindeshand

Natürlich klagt ein jeder NATO-Häuptling die Mauer samt östlicher Unfreiheit an. Natürlich legt er ein Bekenntnis zur militärischen, Feindschaft gegen die Sowjetunion ab: "Frieden, so heißt es, ist mehr als nur die Abwesenheit eines bewaffneten Konflikts ... Streitkräfte oder militärische Bewegungen allein führten nicht zu jenen Konfrontationen (um Berlin). Sie entstanden, weil sich die Sowjetunion weigerte, den freien Fluß von Menschen und Ideen zwischen Ost und West zuzulassen." (Reagan in Berlin)

"Sie haben ein besonderes Recht zu wissen, daß Großbritannien seine Verpflichtungen respektiert. Und ich komme als Premier eines Landes, das dies erst neulich bewiesen hat." (Die Verteidigerin der Freiheit auf den Malvinas im Angesicht der Mauer von Berlin)

Nur ist die Anklage der deutschen Teilung noch lange nicht identisch mit dem Versprechen deutscher Wiedervereinigung. Für die Siegermächte ergeben sich aus den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs jeweils ganz eigene Rechte und damit Mittel, ihrem nationalen Zweck entsprechend den Hauptfeind unter Druck zu setzen. Als solche Mittel werden sie gehütet, und darum wurde die militärische Präsenz in Berlin nicht immer so eingesetzt, wie das so mancher westdeutsche Politiker z. B. 1961 (Friedenswilly) gewünscht hätte, wie auch die Polizeigewalt über Ostberlin nur symbolisch ausgeübt wird:

"Britische, französische und amerikanische Soldaten patrouillieren regelmäßig in Ostberlin, um die beinahe mythische Vorstellung von der Viermächteverantwortung über ganz Berlin aufrechtzuerhalten. Mit jedem Zwischenfall im östlichen Sektor anerkennen die alliierten Soldaten allein die Autorität der Russen." (Times, 25. 5. 83)

"Silly games" sind das nicht. Schließlich spielt man dieses Spiel, weil die Anerkennung der Zuständigkeit der Russen in ihrem Sektor keine Selbstverständlichkeit ist und weil man sich mit eben diesem blöden Spiel den völkerrechtlichen Anspruch bewahrt, die eigene Zuständigkeit geltend zu machen. Für die Alliierten ist die deutsche Teilung als "ungelöstes Problem" (kein Friedensvertrag!) die Aufrechterhaltung des Kriegszustands mit dem ehemaligen Verbündeten, mit dem sie noch eine Rechnung zu begleichen haben - und nicht die Bestätigung der deutschen "Grenzen von 1937". Grenzen werden erst nach dem Sieg von den Siegern nach Maßgabe ihrer Macht gezogen, und dementsprechend werden irgendwelche Rechtsansprüche für gültig erklärt.

Gefahr des Neutralismus?

Das besondere Interesse der NATO-Partner der BRD wird schon daran deutlich, daß russische Angebote einer Wiedervereinigung in Neutralität stets umgehend zurückgewiesen worden sind. Die Londoner Times etwa veröffentlichte zum Bruch der sozialliberalen Koalition in Bonn einen skeptischen Kommentar über die Ostpolitik der Bundesregierung, deren Zuverlässigkeit in puncto Russenfeindschaft in Zweifel gezogen wird. Überschrift: "End of the line for the appeasers". Demnach soll Kanzler Schmidt mehr und mehr

"an Boden verloren haben gegenüber dem zunehmend mächtigen prosowjetischen Flügel der Sozialdemokratischen Partei" (Times, 21.9. 82).

Zum Beweis der antiwestlichen Machenschaften der SPD hat der Autor Brandt, Bahr und Wehner zu "Hauptexponenten der prosowjetischen Linie" erklärt und dafür Wehners kommunistische Vergangenheit wieder aufleben ("ein enger Mitarbeiter in Lenins Komintern") und Brandt die Sozialistische Internationale in ein Forum "sowjetischer ,Friedenspropaganda" umkrempeln lassen. Und der Leserbrief eines britischen Diplomaten, der sich gegen diesen Kommentar wendet, zeigt Verständnis für die Bedenken gegen eine deutsche Wiedervereinigung, weil er die Funktionalität des deutschen Nationalismus gegen den Hauptfeind auch im Rahmen der Entspannungspolitik hervorgekehrt wissen will:

"Herr Brandt und seine Freunde initiierten die Idee des Wandels durch Annäherung. Sie meinten aber nicht Annäherung an den Kommunismus" (Times, 25. 9. 82).

Wie auch immer - eines ist klar: deutscher Nationalismus wird von den Partnern beansprucht als Unterabteilung des gemeinsamen NATO-Zwecks. Deutsche Wiedervereinigung ist für andere Nationen entweder ein Popanz oder ein Mittel den Russen eins reinzuwürgen.

Besonders reserviert gegenüber dem deutschen Wiedervereinigungsanspruch waren schon immer die Franzosen -schließlich hängt ihre eigene nationale Stellung nicht zuletzt von der Stärke oder Schwäche des Nachbarn. ab.

"Frankreich war immer allergisch gegen die in der deutschen Frage unterstellte Revision der Ergebnisse des 2. Weltkriegs. Alle französischen, von den USA leider nicht beherzigten Vorschläge zur endgültigen Lösung des Deutschlandproblems liefen auf die irreversible Schwächung des - europäischen Hauptkonkurrenten hinaus. Die "Wiedervereinigung" ist in der französischen Ideologie gleichbedeutend mit der Wiederherstellung des 3. Reiches, also der Wiederbelebung des nazistischen Feindes von einst, der in wüsten Filmen über die stiernackigen "boches" nach wie vor präsent ist. Umgekehrt war und ist für die Franzosen die bundesdeutsche Westintegration eine Art Garantie gegen die Wiedervereinigung. Dies das offene Geheimnis der Freundschaft von Adenauer und De Gaulle: Frankreich war am glücklichsten mit einem Deutschland "von der Größenordnung Frankreichs, das mit der Vergangenheit zu kämpfen hatte, zwar seine Gleichberechtigung forderte, sich aber doch in manchen Fällen (Zuständigkeit für Ex-Kolonien, Souveränität in Rüstungsdingen, Ostpolitik/Weltpolitik, a la De Gaulle) mit einem ehrenvollen zweiten Platz - nach Frankreich - zufrieden gab." (Ernst Weisfeld).

Entsprechend kühlte sich das Verhältnis zwischen Pompidou und Brandt merklich ab, denn die deutsche Ostpolitik wurde von französischer Seite als neues "Rapallo" verdächtigt. Seitdem gibt es in Frankreich die Auffassung, daß der deutsche "Rechtsnationalismus von einst heute nach links gewandert ist". Die französischen Angriffe auf den "Neutralismus" der Grünen und der Vogel-SPD zeigen deutlicher denn je, daß Frankreich für seine westliche Sonderrolle auf ein antirussisches Bollwerk und Glacis namens BRD angewiesen ist und an diesem entscheidenden Punkt der entschiedenste Gegner der sonst hochgelobten "Blockfreiheit" ist. "Frankreich muß Deutschland helfen" - schreibt der Direktor des französischen Instituts für internationale Beziehungen -

"dem Versuch zu widerstehen, gegen eine hypothetische Wiedervereinigung, die Moskau nie gewähren wird, seine zunehmende Neutralisierung einzutauschen."

Während die USA mit der einer Führungsmacht eigenen Gleichgültigkeit gegen spezielle Anliegen ihrer Mit-Macher in Berlin die Feindschaft des Westens gegen den Osten demonstrieren, und erklärte "Berliner" wie Kennedy, Carter und Reagan deshalb auch über die besonderen Verhältnisse West- und Ostberlins gar nichts zu wissen brauchen, geschweige denn überzeugte Anwälte bundesrepublikanischer Wiedervereinigungsansprüche sind, wittern die französischen Nachbarn und Partner in diesem Anspruch argwöhnisch und konsequent das bundesrepublikanische Ziel einer künftigen unbestrittenen Führungsrolle in Europa und arbeiten sich diplomatisch an dem Widerspruch ab, daß die Gemeinsamkeit des westlichen Bündnisses nicht dasselbe wie die Kontrolle der BRD ist und im vorweg angemeldeten Streit um eine neue Nachkriegsordnung die amerikanische Führung und die Mitsprache des mächtigen Bündnispartners Bundesrepublik nicht zu umgehen ist. Ein "Wiederaufleben alter Erbfeindschaft" ist das nicht, sondern die Sorge um den gebührenden Platz in einer künftigen imperialistischen Welt. Von einer kriegerischen Beseitigung der SU gehen alle Beteiligten so selbstverständlich aus, daß sie darüber spekulieren, ob das deutsche Ansinnen auch brauchbar ist für diesen Zweck. So und nur so sind nationale Rivalitäten erlaubt als Beweis, daß die Wiedervereinigung mit dem NATO-Programn zusammenfällt, also auch im Rahmen einer "gesamt-europäischen " Nachkriegsordnung geregelt werden soll.


Roll Back '83

"Eine verantwortungsvolle Deutschlandpolitik, wie überhaupt die Ostpolitik des Westens, muß in geistig-politischer Hinsicht viel offensiver geführt werden. Es genügt nicht zu wünschen, daß sich der Kommunismus nicht weiter gewaltsam ausdehnt. Wir müssen deutlich machen, daß der Friede zwischen Ost und West erst in dem Augenblick wirklich gesichert ist, in dem die kommunistischen Regime ihren Völkern freie Selbstbestimmung gewähren, freie Wahlen und alles, was dazugehört. Erst dann bräuchte sich der Westen nicht mehr bedroht zu fühlen."

(Aus: "Wendepunkt", Stadtteilzeitung der CSU in München-Schwabing, Juni 1983, S. 7)