Daß jedermann durch einige Instanzen der Ausbildung geschleust wird, hat, wie vieles andere Wirken, dem bürgerlichen Sozialstaat seltsame Komplimente eingetragen:
- Das moderne Gemeinwesen soll sich um die Beseitigung der Unwissenheit verdient gemacht haben, an der frühere Generationen laboriert hätten; die breiten Massen soll er aus der unverschuldeten Unmündigkeit befreit haben, zu der sie der automatische Ausschluß vom Alphabet verurteilt hätte.
Nicht die Studenten haben sich geändert, sondern die Zeiten, in denen und für die sie unverdrossen die Jahre zwischen Schule und Job an den Hochschulen runterreissen. Angepaßt, wie ihnen heute schon wieder zum Vorwurf gemacht wird, waren sie immer schon - immerhin ist Anpassungsfähigkeit das halbe Staatsexamen.
Folgt man einer gängigen Selbsteinschätzung des freien Geistes, müßte sich der Export der Wissenschaft ungefähr so abspielen: Im Westen gibt es bekanntlich einen Wettstreit der vielfältigsten Ideen, der sich Pluralismus nennt. Seine Verfechter preisen ihn als eine Art Leipziger Messe im Reich des Geistes und rühmen die freie Konkurrenz der "Erklärungsansätze", die sie ausrichten, um damit all ihre schönen "Modelle" einem angemessenen Leistungstest zu unterziehen.
Der Student ‚89, auch wenn er sich etwas theatralisch und übertrieben äußert - und, heimlich oder unheimlich, mit dem Vergleich zur alten Studentenherrlichkeit operiert -, macht sicherlich so manche schlechte Erfahrung. Wohnungsprobleme, Geldmangel, Gerangel um Plätze - besonders lustig ist das Studikerleben unter den bildungspolitischen Auflagen der Wende-Regierung nicht.
Wenn der Staat sich daran macht, seine Hochschulgesetzgebung zu ändern, so ist das von vornherein eine sehr relative Angelegenheit. Der Standpunkt, der da geltend gemacht wird - die Hochschule soll den Anliegen des Staates genügen -, gilt nämlich für diese Einrichtung des öffentlichen Rechts schon vor solch einem Akt und vor allem viel prinzipieller, als sich den paar neu hinzukommenden kleinlichen Reglementierungen von Studium und Finanzen entnehmen läßt.
Vom Dienst ihres Studiums für die Allgemeinheit sind protestierende Studenten überzeugt. So sehr, daß ihnen die Hochschulgesetznovelle als ein einziger Anschlag auf die "sinnvolle Ausbildung" vorkommt.
"Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann", sagt der Volksmund und bringt damit zum Ausdeuck, daß das Über-die-Stränge-Schlagen über die normalen Formen der Reproduktion als Ausnahme einer Freizeitgestaltung, die funktional gemacht ist für die Pflichten des Alltags, eine durchaus akzeptable Sache ist. Im Gegensatz dazu ist die bürgerliche Journaille in der gerade laufenden, besorgten Debatte um die Qualitäten der künftigen Elite der Nation nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, daß es für den Nachwuchs der Intelligenz geradezu eine regelmäßige Pflichtübung sein sollte, "ein bißchen bürgerliche Unordnung" zu praktizieren und mehr "Abenteuerlust" an den Tag zu legen.