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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1983 erschienen.

Ostfront
DIE EUROPÄISCHE SAMMLUNG VON KRIEGSGRÜNDEN

Kaum verlangen die USA die Entscheidung in der "Konkurrenz der Systeme", häufen sich die Anklagen, die die "freien" Nationen gegen die Sowjetunion vorzubringen haben. Die USA erheben ihre Definition von der Sowjetunion als "Zentrum des Bösen" zum alleinigen Inhalt der Weltpolitik, und schon ist es allen europäischen Staatsgewalten ein zwingendes nationales Anliegen, ihre Politik daraufhin zu definieren und sich daran zu beteiligen. Je nach ihrer Stellung im Rahmen dieser Front machen sie ihre ganz nationale 'Betroffenheit' geltend, um die erforderlichen "Gegen"maßnahmen gegen den allgemeinen Feind zu ergreifen, und die Russenhetze hat Hochkonjunktur wie nie seit den Zeiten des Kalten Krieges.

Zwangsarbeiter und Giftgas

Wenn die USA belieben, ihren Feldzug gegen die 2. Weltmacht in Gestalt eines unparteiischen, unabhängigen Gerichts über nicht länger zu duldende Missetaten zu inszenieren, stehen die anderen Nationen nicht an, das Ihre zur Bestätigung der Objektivität der 'Beweiserhebung' beizutragen.

Die amerikanische Administration nimmt Anstoß an möglichen sowjetischen Devisengewinnen, verhängt das Gas-Röhren-Embargo, und Präsident Reagan verbreitet dazu die Nachricht von Zwangsarbeitern an der Erdgasleitung. Die "Internationale Gesellschaft für Menschenrechte", Lebenswerk von Fräulein Cornelia Gerstenmaier jr., schiebt Namen hinterher, damit die Bundesregierung "das Geschäft überdenkt". Während der deutsche und französische Botschafter in Moskau beantragen, die Baustelle nach Zwangsarbeitern zu überprüfen, und die westlichen Zeitungen die sowjetische Auskunft, es gebe dort keine Zwangsarbeiter, damit kommentieren, das Dementi sei der sicherste Beweis, beschweren sich die berufsmäßige Gefangenenbetreuer von amnesty bei der IGFM über den Mißbrauch ihrer Unterlagen, nach denen die Genannten alle woanders sind. Der Protest findet begreiflicherweise wenig Öffentlichkeit, weil man dort gerade damit befaßt ist, die allgemeine Nutzanwendung aus dem Material zu ziehen. Das sowjetische Angebot, einer ILO-Delegation eine Inspektionsreise zu gestatten, sei eine üble Vertuschung -

"denn es stehe im voraus fest, daß die Abgesandten keinen einzigen Zwangsarbeiter zu Gesicht bekommen werden" -,

während doch schon längst wissenschaftlich erhärtet ist, daß die bescheidenen Erfolge der Sowjetökonomie ausschließlich durch Zwangsarbeit zustandegekommen sind. Wenn auch die europäischen Staaten dieses Geschäft noch unbedingt machen wollen - für alle Fälle steht damit das Argument bereit, daß sich der Westen bei seiner Partizipation an den Ergebnissen der östlichen Ausbeutung immer ein ganz besonderes Gewissen gemacht hat und Ostgeschäfte nicht mit Völkerverständigung zu verwechseln sind.

Die USA beschließen im Rahmen ihres umfassenden Aufrüstungsprogramms, daß sie die Giftgasproduktion sträflich vernachlässigt haben, und legen prompt "Beweismaterial über den Einsatz von Giftgas durch die sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan und die vietnamesischen Truppen vor". Über ein Jahr lang wird die Auffassung vom "Gelben Regen" befestigt, so daß sich jetzt auch die Resultate der in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Überprüfung veröffentlichen lassen.

"Die von den Vereinigten Staaten veröffentlichten Unterlagen über die Verwendung von solchen Kampfstoffen waren von Anfang an sehr widersprüchlich. Jetzt haben Wissenschaftler des staatlichen Materialforschungslaboratoriums in Australien festgestellt, daß der von ihnen untersuchte Gelbe Regen aus Pollen besteht. Giftstoffe konnten sie nicht nachweisen. Sie bezeichnen die Probe als Fälschung; der Gelbe Regen sei mit einem Zweig oder als Spray auf die Blätter aufgebracht worden." -

berichtet die "FAZ" am 30.3. auf der Wissenschaftsseite, nachdem die Meldungen über den sowjetischen Giftgaseinsatz über ein Jahr lang auf dem Titelblatt gestanden waren. Ein neues Titelblatt, "USA fälschen Beweismaterial gegen die Sowjetunion" - wozu einen solchen Skandal aufmachen, ist doch die Fälschung für einen guten Zweck geschehen. Und deshalb können die USA, die es sich ja wirklich nicht einfach mit ihrer Verurteilung der Sowjetunion machen, sondern immer noch Beweise liefern und sich dabei auch noch dem Urteil unabhängiger Wissenschaftler unterwerfen, mit gutem Recht auf etwas "Rücksicht" seitens ihrer Verbündeten rechnen:

"Nach Darstellung des Observer wurden die britischen Erkenntnisse nicht veröffentlicht, weil dadurch die Regierung Thatcher in eine peinliche Situation gegenüber den USA hätte geraten können. Die USA sind um den Nachweis bemüht, daß die Sowletunion gegen die internationalen Konventionen verstößt, die den Einsatz chemischer und biologischer Waffen verbieten." (Frankfurter Rundschau, 6.3.)

"Der Untersuchungsbericht der australischen Wissenschaftler lag bereits im Juni '82 vor, ist aber erst jetzt von der neuen Labour-Regierung veröffentlicht worden. Er wurde offenbar von der früheren Regierung Frazer mit Rücksicht auf die US-Verbündeten geheimgehalten." (Süddeutsche Zeitung, 16.3.).

Umgekehrt steht natürlich die Kreatur der Russen, der afghanische Präsident Karmal von vorneherein auf verlorenem Posten, wenn er behauptet: "USA helfen Rebellen mit chemischen Waffen". Wer will ihm denn das glauben?

Unterdessen ist die Giftgasproduktion in den USA wieder auf Touren gebracht, und die Verbündeten unterrichten ihre Bevölkerung darüber, daß man auch Giftgas als legitimes Mittel zur Verteidigung braucht. Wer oder was gegen russisches Giftgas durch den Einsatz von amerikanischem 'verteidigt' wird, fragt eine demokratisch erzogene Bevölkerung nicht.

Papst-Attentat

Schon vor zwei Jahren hatte der italienische Staatspräsident die Anregung von Präsident Reagan dankbar aufgegriffen und den "Terrorismus" als eine sehr unitalienische Erscheinung bezeichnet: "Alle Wege des Terrors führen nach Moskau". Daß italienische Bürger in der italienischen Politik Gründe dafür finden könnten, ihrerseits die Gewaltfrage aufzumachen, und daß diese unter Terrorismus rubrizierten Volksgenossen über ein sympathisierendes Umfeld verfügen konnten wegen der sehr italienisch-staatsbürgerlichen Auffassung, die wahre Gerechtigkeit sei bei den korrupten Politikern in den falschen Händen, hat der italienische Staat praktisch bestritten. Und Pertini hat daraus die moralische Bilanz gezogen, daß etwas, das die Politik als nationale Krankheit definiert und niedergekämpft hat, seinen Grund wirklich nicht in der Nation, sondern nur in ihren äußeren Feinden haben kann. Jetzt freut er sich an dem, was er als seine prophetische Gabe ausgibt:

"Präsident Pertini, der schon vor 2 Jahren unverhohlen seiner Überzeugung von der östlichen Herkunft des Terrorismus in Italien Ausdruck gegeben hatte, meinte gestern, er habe damals eine Intuition gehabt. Er habe nichts Außergewöhnliches entdeckt; alles werde durch Indizien und Beweise bestätigt werden." (Neue Zürcher Zeitung, 18.12.82)

Gott sei Dank besitzt Italien das moralische Oberhaupt des gesamten freien Westens; Gott sei Dank zieht dieses des öfteren Attentäter auf sich; Gott sei Dank hat sich ein Attentäter zur Verfertigung eines 'Hintergrundes' benützen lassen, um dem alten Pertini die Bestätigung seiner "Intuition" zu gönnen.

Nachdem der türkische Attentäter nach einigen Monaten intensivster Vernehmung einen Bulgaren als Komplizen benannte, geben Fachleute der Politik das Beweisziel an; Zbigniew Brzezinski: "Man kann automatisch ableiten, daß die Sowjets da Regie geführt haben"; Henry Kissinger: "Es ist ziemlich schlüssig, daß Andropow in das Papst-Attentat verwickelt ist." Die italienische Justiz muß nurmehr ein paar weitere Beweise verfertigen. Daß ein "unbekannter Brillenträger" auf Fotos vom Papst-Attentat, der als der Bulgare Antonov identifiziert worden war, sich mittlerweile als ein amerikanischer Staatsbürger entpuppt hat; daß Agca seine Aussage mit Feststellungen unterstützt hatte, die entweder nicht zutreffen oder vor seiner Verhaftung nicht gemacht werden konnten, erschüttert die Beweisführung nicht, weil sie andere Beweise hat.

Agca trifft andere Türken, die möglicherweise was mit dem Attentat zu tun haben, in Sofia. Und deshalb soll man sich nicht daran erinnern, daß Bulgarien das Transitland zwischen Europa und dem Orient ist und jedes Jahr ca. 2 Millionen Türken durchreisen, sondern von da aus auf eine Urheberschaft des bulgarischen Staats schließen. Umgekehrt wäre es natürlich absurd, deshalb, weil Agca in München und Zürich türkische Bekannte traf, die dort als Waffenhändler tätig waren, einen Schluß auf Strauß oder Hürlimann als Hintermänner zu ziehen.

Agca verkehrte in Kreisen der türkischen Rechtsextremisten, was den bekannten Schluß zwingend nahelegt: wo Rechtsextremismus, da auch Linksextremismus; und die Zeitungen wissen gleich noch ein bißchen mehr:

"Der bulgarische Geheimdienst KDS bildet seit einigen Jahren 'Frontorganisationen' aus. Für den Einsatz in Westeuropa werden einige Verbände geschaffen, die das Etikett rechtsextremistisch erhalten."

Klassisch vollzieht das liberale Weltblatt aus München die Methode der Beweisführung nach; trotz oder "gerade wegen" der Unwahrscheinlichkeit des Vorwurfs wird er wohl stimmen:

"Obwohl Agcas Version des Mordanschlags zunächst unglaublich klingt, verstärkt sich der Verdacht gegen die bulgarische Botschaft... Nicht, daß man den Russen eine solche Tat etwa nicht zutrauen würde, sondern weil es als ziemlich unwahrscheinlich galt, daß die Sowjets so deutliche Fingerabdrücke hinterlassen könnten. Niemals, so lautete die allgemeine Überlegung, würde der KGB es zulassen, daß ein Verbrechen dieser Größenordnung durch die nachweisbare Beteiligung von Mitgliedern einer Ostblock-Botschaft die Moskauer Führung kompromittieren könnte. Aber wenn die Bulgaren es gewesen sind, dann werden unvermeidbar (?) alle anklagenden Finger auf die Sowjetunion weisen, wo vor kurzem der ehemalige Chef des KGB zum mächtigsten Mann im Kreml avancierte." (Wie George Bush vom CIA zum US-Vize, aber der ist ja so offen und sympathisch.) "Noch immer fällt es schwer, vorbehaltlos an die Aussagen Agcas zu glauben..."

Wenn die Verhaftung eines bulgarischen Staatsbürgers die Zusammengehörigkeit von Papst-Attentat und Kreml verbürgt, gestattet die Gleichung Bulgare = Handlanger des KGB die Urheberschaft des Kreml an so ziemlich allen italienischen Affairen nachzuweisen. Was wiederum die "Süddeutsche Zeitung" als "Puzzle-Spiel" im Zusammenhang mit einem Waffenschmuggel zwischen CSSR und Österreich vorführt -

"Zufälle und die Phantasie anreizende Stichworte, die zu weit ausufernden Spekulationen über denkbare Zusammenhänge anregen... Die Tatsache, daß er eine Bulgarin als Freundin hat, würde auch zu keinerlei Spekulation anregen, wenn da nicht die Verdächtigungen gegen den bulgarischen Geheimdienst wegen des Attentats auf Johannes Paul II. wären." -,

beherrschen die italienischen Ermittlungsbehörden ebensogut. Daß italienische Waffen- und Heroinschmuggler auch die bulgarische Hauptstadt frequentiert haben, daß ein geständnisfreudiger "pentito" Beziehungen zum bulgarischen Geheimdienst anbietet, erlaubt zwingende Rückschlüsse auf 'Gesamtzusammenhänge'. Nachdem die Zentrale eines Waffenhandels in Trient in einem Gebäude der Vatikan-Bank Ambrosiano ausgehoben worden ist, bezeichnet der italienische Justizminister Darida nicht etwa Italien, sondern Bulgarien als "Hauptkontaktstelle für Waffen- und Drogenschmuggler", vollzieht die politische Einordnung des Papst-Attentats als "eine vorsorgliche und alternative Lösung" (wie das?) "zu einer Invasion Polens"; läßt weitere Attentats-Pläne enthüllen, die Ermordung Walesas, dazu auch gleich noch eines italienischen Gewerkschaftsvorsitzenden, weist über seinen "pentito" bulgarische Beziehungen zur Dozier-Entführung nach, die der Verteidigungsminister Lagorio mit der Feststellung der Geheimdienste untermauert, daß

"in den Tagen der Entführung des Generals und des Papst-Attentats die Übermittlungen des bulgarischen Sicherheitsdienstes via Radio spürbar zugenommen hätten."

Als Rückbetrachtung von dieser Gesamtsicht läßt sich dann ohne weiteres die juristische Fragwürdigkeit der Ausgangskonstruktion feststellen, um sie mit den darus gezogenen Folgerungen zu rechtfertigen.

"Ein unumstößlicher Beweis dafür, daß Angehörige des bulgarischen Geheimdienstes den türkischen Attentäter Ali Agca direkt oder indirekt mit der Ermordung des Papstes beauftragt haben, scheint nicht zu existieren." Aber:

"Bulgaren und Türken haben in so eklatanter Weise illegale Handlungen in Italien begangen, daß die italienische Justiz unverantwortlich handelte, wenn sie jene, die sie hat, freiließe." (FAZ)

Das Generalurteil steht fest, daß

"Gruppen aus arabischen Staaten zusammen mit Palästinensern und inspiriert von osteuropäischen Geheimdiensten Italien mit Terrorakten, Heroin und anderen Mitteln ins Chaos zu stürzen versuchten." (Neue Zürcher Zeitung)

"Es ist offensichtlich, daß Italien als der weiche Bauch der Allianz angesehen wird." (Labriola, PSI) "Die Störmanöver der Länder des Ostens im Westen sind nicht nur als Spionagetaten, sondern als Versuche der Destabilisierung einzuordnen." (Lagorio)

Insgesamt also eine sehr zufriedenstellende Auswertung von nur einem türkischen Attentäter: Für alle italienischen "Übel" ist eine ausländische Macht haftbar gemacht worden: Es fehlt nur noch die Beziehung zur Mafia. Und die italienische Methode der politischen Vereinnahmung der Bürger, Anteilnahme und Einsatz für ein von ständigen Krisen geplagtes schwächliches Staatswesen zu fordern, kann einiges umgewichten: Gemessen an den ungeheuerlichen Verschwörungen gegen dieses Staatswesen, hat es sich sehr tapfer behauptet. Nicht gegen italienische 'Krankheiten', gegen die übermächtige Macht des Bösen aus dem Osten, hat die Staatsmacht die ganze Zeit angekämpft, ohne es zu wissen. Gemessen an den Absichten des Gegners, in Italien die NATO zu treffen, ist die Bedeutung Italiens für die NATO nicht zu unterschätzen. Italien hat Großes geleistet.

Die gar nicht zufällige Identität des üblichen journalistischen Verfahrens, sich von irgendwelchen Fakten "Spekulationen" über "Hintergründe aufdrängen" zu lassen, mit dem Vorgehen der italienischen Behörden kennzeichnet eine neue Etappe im Umgang mit dem Osten. Der Presse von der Politik überreichlich gelieferte "Verdachtsmomente" werden von dieser mit journalistischem Spürsinn aufgebaut und dann wiederum von der Politik zu "Sachverhalten" erklärt, um sich dann zu den entsprechenden "Gegen"maßnahmen ermächtigen zu lassen. In Rom wird dem Ostblock der Prozeß gemacht vorerst "nur" stellvertretend an einem bulgarischen Staatsbürger. Daß "eigentlich" mehr fällig wäre, erörtert ein italienischer Sozialdemokrat:

"Es ist richtig, daß der Abbruch der diplomatischen Beziehungen eine verfrühte Wahl wäre, aber warum dann ein Zurückgreifen auf die NATO, Einfrieren der diplomatischen Beziehungen oder der Tätigkeiten auf dem Feld der ökonomischen Beziehungen mit solchen Ländern ausschließen?"

Wenn also eine selbst in die Welt gesetzte Verschwörungstheorie im Grunde zu allem berechtigt, sind die Ausweisungen von sowjetischen Staatsbürgern und die Einschränkung der diplomatischen Beziehungen lauter "maßvolle und besonnene" Reaktionen.

Tote Rentner

Das Verfahren beherrschen andere Nationen ebensogut. Die BRD besitzt eine Presse mit einer wohl herausragenden Tradition in der Konstruktion von Geschichten nach dem Prinzip, alles Üble, was sich in der Welt ereignet, hat seinen Ursprung im Osten. Die BRD besitzt eine Regierung, die sich von der früheren, die angeblich durch Schwäche und Tatenlosigkeit gegenüber dem Ostblock geglänzt haben soll, abgrenzen will. Aus den Schuldzuweisungen, die man allmorgendlich der freiwillig selbstkontrollierten deutschen Presse entnehmen kann - der saure Regen ebenso wie die nächste Schlechtwetterzone kommt aus der CSSR; die für Äthiopien bestimmte Hungerhilfe wird von der Sowjetunion eingestrichen; in Afrika sterben die letzten Exemplare seltener Tierrassen an den Kalaschnikoffs; russische Satellitenabstürze gefährden die ganze Welt; die Hitler-Tagebücher "verunglimpfen" die BRD, wem nützt das? dem Osten, also stammen sie von daher -, aus diesem täglich aufgefrischten Katalog entnehmen die Politiker der Wende je nach Bedarf das Material, um die Schuldzuweisung einen Schritt praktischer werden zu lassen. Innenminister Zimmermann hat erwogen, die Kosten für den Bereitschaftsdienst während der Absturzphase des russischen Satelliten der Sowjetunion in Rechnung zu stellen. Kanzler Kohl beauftragt seine Ministerien, die politischen Hintergründe, was die Beteiligung von Stellen der DDR an den "Hitler-Tagebüchern" betrifft, "aufzuklären". Wobei der Auftrag schon so gut wie die "Aufklärung" ist.

Schließlich besitzt die BRD Rentner, und eine Grenze, gegen die die BRD-Bürger, seit es sie gibt, aufgehetzt worden sind, von wegen Unrechtsgrenze.

"Alarm mit einer Woche Verspätung... Weil Bonn zu langsam reagierte, wird ein tragisches Unglück zu einer schweren Belastung der Beziebungen... Hier liegt ein Versäumnis der zuständiggn Beamten vor, denn die Nachricht über die ungeklärten Umstände des Todes hätte auf die Beamten alarmierend wirken müssen." (Süddeutsche Zeitung) Die öffentliche Kritik daran, daß zwischen der Meldung seitens der DDR und der Behandlung als Politikum eine Woche verstrich, ist eine bereitwillige Verkennung dessen, daß es wirklich in das Belieben der Politik gestellt ist, ob daraus ein Skandal wird. "Ungeklärt" wurden die "Umstände des Todes" nämlich erst gemacht, um dann "die Frage" aufzuwerfen, die "nicht von der Hand zu weisen" ist, "ob womöglich Foltermethoden angewendet worden sind, trotz des bestätigten Herzinfarkts." Auf medizinisch:

"Der Herzinfarkt ist durchaus möglich, allerdings erscheint auch die Entstehung einzelner Verletzungen Burkerts durch andere Gewaltanwendung denkbar."

Zum Fall gemacht, westdeutsche Ermittlungsbehörden eingeschaltet mit F.J. Strauß als Quasi-Augenzeuge, einen zweiten Rentner in Todesangst gestürzt, die DDR zur Abgabe einer Statistik über westdeutsches Rentnersterben in ihrem Amtsbereich genötigt, ab sofort eine feste Rubrik in westdeutschen Zeitungen im Unterschied zu den banalen Todesfällen in westdeutschen Fabriken, wird die Straußsche Mordanklage vom 'Fall Burkert' getrennt. Der Aussage "DDR-Transit - ein tödliches Risiko" widmet die Junge Union/ Berlin einen Protestmarsch nach Drewitz mit Vorstoß auf DDR-Gebiet, und der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion bringt die Mordanklage von der strafrechtlichen auf die völkerrechtliche Bedeutung:

"Der Todesfall von Wartha zeigt, wie menschenverachtend Auftreten und Verhalten der DDR-Grenzer gegenüber Besuchern und Reisenden aus der Bundesrepublik sind. Es kann auch nicht mehr bezweifelt werden, daß dieses Verhalten der DDR-Stellen für den Tod des 68jährigen Mannes die Ursache ist."

Die Aufforderung -

"Die DDR muß dafür sorgen, daß die Verfahrensweise an ihren Grenzen so gestaltet wird, daß Leben und Gesundheit von Deutschen aus der Bundesrepublik nicht gefährdet werden" -

gerät angesichts der gleichzeitigen Verurteilung der DDR wegen "systemimmanenter Unmenschlichkeit" eine Spur zu höflich. Aber klar ist sie ja doch: Die deutsche Grenze ist nicht mehr nur eine Schande, nicht mehr nur das Leid einer geteilten Nation, sie ist ein Mordanschlag auf Leib und Leben westdeutscher Bürger - und damit auf Deutschland: "Sie wollen Deutschland spalten, jeden Tag." (Bild-Zeitung). Im Prinzip ist die westdeutsche Regierung also schon längst dazu aufgerufen, zur Verteidigung ihrer Bürger andere Instanzen als die Staatsanwaltschaft in Bewegung zu setzen.

Spionage

Die französische Regierung hat sich gar nicht darum bemüht, die Massenausweisung sowjetischer Diplomaten hinsichtlich der Anhaltspunkte und der Auswahl besonders zu begründen. Sehr locker gibt das französische Innenministerium an, die 47 hätten sich "Informationen militärischer, industrieller und wissenschaftlicher Art" beschafft. Und ebenso locker ist die Auswahl getroffen worden, von UNESCO-Delegierten über Botschaftsangehörige, die gerade erst in Frankreich eingetroffen waren bis zu solchen, die weder zur sowjetischen Vertretung gehören noch sich in Frankreich aufhalten.

Diese demonstrative Darstellung, daß man nicht mehr gewillt ist, die im Umgang zwischen Staaten übliche Unterscheidung von Diplomatie und Spionage aufrechtzuerhalten, bringt ein neues Kriterium gegenüber sowjetischen Staatsbürgern in Anschlag, weshalb es auch relativ gleichgültig ist, wen es trifft: Als Staatsbürger einer feindlichen Nation sind ihre Aktivitäten per se mit feindlichen Absichten versehen. Und nach dieser unbefangenen Gleichsetzung jeglicher sowjetischen Aktivität mit einer potentiell staatsgefährdenden Aktivität erklärt der französische Regierungssprecher ebenso unbefangen, die Ausweisung dürfe

"nicht überbewertet werden. Sie bedeutet keine Änderung der auf Frieden durch Abrüstung und kollektive Sicherheit gerichteten französischen Außenpolitik. Frankreich hat jedoch unter Beweis gestellt, daß es kein weicher Unterleib ist."

Wenn Frankreich seine Beziehungen zur Sowjetunion unter dem kriegsmäßigen Gesichtspunkt neu sortiert, daß es sich dabei um den designierten Feind handelt, dann ändert nicht Frankreich seine Politik - die zielt unvermindert auf Frieden. Die Sozialisten lassen bei der ganzen Aktion zusätzlich noch für ihre Massen den dezenten Hinweis auf die französische Größe einfließen, "die große Zahl sowjetischer Agenten sei ein Qualitätsbeweis für die französische Verteidigung, ein Kompliment auch für die französische Industrie." Wenn das kein Grund zur Zufriedenheit ist.

Die französische Entscheidung, jeden sowjetischen Vertreter als vermutlichen Agenten zu behandeln, dient postwendend den anderen Nationen als Beweis für die Gefahr, die auch bei ihnen mit jedem Russen einreist.

"Wir sind der französischen Regierung zu Dank verpflichtet, daß sie ein so deutliches Schlaglicht auf das Ausmaß der illegalen Tätigkeit des sowjetischen Geheimdienstes in westlichen Ländern geworfen hat." (CDU/CSU-Fraktion)

"Wir gehen davon aus, daß ein großer Teil der hier in legalen Residenturen der SU Arbeitenden als Spione tätig sind." (Bundesinnenministerium)

Der italienische Verteidigungsminister verweist auf die Leistungen seines Landes, das in den letzten 3 Jahren 33 Geheimdienstler ausgewiesen und mehreren hundert Personen aus Sicherheitsgründen die Einreise verweigert hat. Großbritannien hat eine Woche vorher 2 Diplomaten und einen Journalisten ausgewiesen, Spanien im März einen Botschaftsangehörigen, die Schweiz seit Jahresbeginn 3 - jede Nation, die auf sich hält (wo bleibt Österreich?), verweist auf ihren konsequenten Umgang mit der russischen Gefahr, so daß sich ein erschütterndes Gesamtbild der östlichen Agententätigkeit in Europa zusammenfügt.

Die auf demonstrative Publizität angelegte Inszenierung der Ausweisungen verbreitet die Lüge, die nachrichtendienstliche Tätigkeit sei im Verkehr zwischen Staaten etwas Ungehöriges, obwohl jeder Bürger einer westlichen Nation über die Existenz der entsprechenden Einrichtungen seines Staates bestens Bescheid weiß. Über die Notwendigkeit, sich mit legalen und illegalen Methoden darüber auf dem laufenden zu halten, wie es um die Absichten, Methoden und Mittel beim jeweils anderen Staat bestellt ist, sich in der Konkurrenz durchzusetzen, herrscht bei allen Anstrengungen, sie praktisch zu unterbinden, ja gerade das schönste Einverständnis - zu bemerken an den geschäftsmäßigen Tauschaktionen, bei denen erwischte Spione weder für politische Stimmungsmache eingesetzt, noch wegen ihrer Gesetzesverstöße abgeurteilt, sondern einfach als Tauschobjekt benützt werden, um die eigenen, auf der anderen Seite erwischten, wiederzubekommen. Noch im Fall Guillaume, der spektakulärsten Spionageaffaire der BRD, ist zwischen Politik und Spionage säuberlich unterschieden worden: Politische Konsequenz war der Rücktritt von Willy Brandt und keine Vergeltungsaktion gegen die DDR, deren Interesse an den Interna der BRD damit als Geschäftsbedingung anerkannt wurde.

Jetzt aber legen es die westlichen Politiker ganz umgekehrt darauf an, die Normalität der zwischenstaatlichen Informationsbeschaffung als Skandal darzustellen - als ob nicht zur gleichen Zeit Heerscharen westlicher Agenten im Osten dem gleichen Gewerbe nachgingen -, und kleiden auf diese Weise den Fortschritt ihrer Politik gegen den Osten in die Form einer Reaktion auf zunehmend sich vermehrende östliche Übergriffe. Der Fortschritt der westlichen Kriegspolitik ist es ja gerade, der die Agententätigkeit nicht mehr unter die Normalität des Staatenverkehrs einordnet, d.h. einerseits mit den bekannten Mitteln bekämpft, ohne andererseits einen politischen Vorwurf gegen den staatlichen Auftraggeber zu verfertigen und die "guten Beziehungen" dadurch stören zu lassen. Der Fortschritt der westlichen Kriegspolitik ist der Maffstab, an dem gemessen jetzt auf einmal die Spionage zur äußerst bedenklichen nationalen Gefahr erklärt wird, der den Verdacht unbedenklich auf so gut wie alle amtlichen Vertreter des anderen Staates erweitert. Und die Heuchelei dieser Politik wird perfekt, wenn sie schlicht durch die Veröffentlichung von Zahlen, die 1. der eigenen Festlegung entspringen und 2. früher nicht so veröffentlicht wurden, sich selbst als das Opfer östlicher Machenschaften ausgibt, obwohl jede Nachricht aus dieser Abteilung unmißverständlich mitteilt, daß gerade die eigenen Kriegsvorbereitungen für die Gegenseite die Informationsbeschaffung so notwendig machen wie noch nie: Daß es die Aufgabe der französischen Flotte ist, die Dardanellen zu "kontrollieren", so daß der Hafen von Toulon für Flugzeugträger und Raketen-U-Boote ausgebaut worden ist, erfährt man ganz nebenbei als Begründung dafür, daß die dringliche Bitte sowjetischer Schiffskapitäne, wegen Reparaturnotwendigkeiten den Hafen anlaufen zu dürfen, selbstverständlich abgelehnt werden mußte.

Technologiediebstahl

Dasselbe Verfahren bei der freizügigen Erweiterung der von Spionage bedrohten staatlichen Sicherheitsbereiche um Wirtschaft und Wissenschaft: - Jeder Austauschstudent ein potentieller Landesverräter und die Freiheit der Wissenschaft ein einziges Sicherheitsrisiko. So wird nicht bloß argumentiert, sondern auch gehandelt. "Die Sowjets stehlen Technologie im Westen wie die Raben", sagt der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer empört und appelliert an das normale Gefühl für Sitte und Anstand, während zur gleichen Zeit die Einschränkung des wissenschaftlichen Austausch- und Veröffentlichungswesens, die Erweiterung der Cocom-Listen, das politische Verbot, bestimmte Waren an die Ostblockstaaten zu verkaufen, beschlossen wird.

Der "friedliche Handel zum Nutzen der Völker" hat gegenüber den östlichen noch nie uneingeschränkt gegolten; daß die segensreiche "Wirtschaft" Mittel von Staaten und nicht von Völkern ist, war in diesem Fall immer unbestritten. Daß in diesem Fall der friedliche Handel zur Schädigung gewisser Staaten benutzt werden muß, ist mit dem "Fall" Polen wieder in die Weltpolitik eingeführt worden. Die Handelsrestriktionen haben sich aber mittlerweile von ihrem Einführungsgrund, Polen durch Bestrafung der Sowjetunion zu "helfen", längst emanzipiert und fallen auch nicht mehr unter den zeitweilig verwendeten ideologischen Titel, der systemimmanent bedingte ökonomische Zusammenbruch der Sowjetunion solle dadurch beschleunigt werden. Die USA sind zur schlichten "strategischen" Betrachtungsweise des Kalten Kriegs zurückgekehrt, so daß sich von jetzt an die osthandelnden Nationen mit der Kalamität befassen, daß jede Technik zivil wie militärisch benutzbar ist, daß jedes an die Warschauer-Pakt-Staaten verkaufte Gut als Gebrauchswert der sozialistischen Industrie nützt und damit die Grundlage auch der Militärindustrie stärkt. Weil aber keine Nation auf diese zwischenzeitlich etablierte Geschäftssphäre des Kapitals wegen ihrer kompensatorischen Wirkung im Rahmen der Krisenpolitik verzichten will - nicht wegen eines schwächlichen Egoismus, der dem Feind auch noch den Strick verkauft, an dem usw., sondern weil eine Schwächung der ökonomischen Grundlagen gerade jetzt nicht sein darf -, wird die Unterbindung dieses Handels "bloß" in abgestuften Maßnahmen betrieben. Und in dem Maße, wie diese Einschränkungen auf bestimmte Technologien erweitert werden, in dem Maße wird das Interesse der Sowjetunion, sich diese anderweitig zu beschaffen, als völkerrechtswidriges Vorgehen eingestuft. Und die osthandelnden Nationen ergänzen ihre Konkurrenz darum, wer noch welches Geschäft mit dem Osten macht, um die Demonstration, daß sie die Grenze, wo der Handel mit dem Feind in Sabotage übergeht, genauestens beachten.

Zur gleichen Zeit, wo sich Japan vertraglich dazu verpflichtet hat, den USA sämtliche militärisch möglicherweise bedeutsamen Technologien der japanischen Industrie bedingungslos zur Verfügung zu stellen, veröffentlicht eine japanische Wirtschaftszeitung Informationen aus einem Geheimpapier der Regierung, nach dem allein hundert Russen in Japan mit der Technologiespionage befaßt seien, als Skandal. Und Staaten, die bislang gerade aus ihrer Neutralität ein Extrageschäft mit der Umgehung der Cocom-Vorschriften gemacht hatten, lassen es sich angelegen sein, durch demonstrative Zoll- und ähnliche Maßnahmen, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Die Schweiz meldet als einen besonders gelungenen Coup, daß den Russen das gewünschte Zeug angedreht worden ist nach Entfernung der kostbaren Technologie.

Desinformation, Subversion und Agitation

Während Präsident Reagan seinen Vize in Berlin mit einer als Sensation aufgemachten Neuauflage der Nulloption antreten läßt und gleich am nächsten Tag erzählt, es sei natürlich gar kein neues Angebot gewesen, er hätte nur der sowjetischen Propaganda in der europäischen Öffentlichkeit etwas entgegensetzen wollen; während derselbe in aller Öffentlichkeit einen Propagandafeldzug zur Verbreitung seiner "Ideen" in Europa ankündigt; während diese Unternehmungen zur Vereinnahmung der westlichen Öffentlichkeit schon allein deshalb ziemlich luxuriöse Veranstaltungen sind, weil die europäische Staatspropaganda ohnehin mit nichts anderem befaßt ist, als die Nützlichkeit und Unerläßlichkeit der Freundschaft mit den USA für die jeweiligen nationalen Anliegen zu erläutern; während also nach dieser Seite die Benutzung der freien Meinungsbildung für ausländische Interessen ganz außer Frage steht, hat die Schweizer Regierung jetzt zur anderen Seite hin mit der Schließung des Büros der sowjetischen Presseagentur Nowosti klargestellt, daß deren Benützung der Schweizer Öffentlichkeit ein Mißbrauch ist. Schon lange wird in dieser aufklärerischen Sphäre die gute Sitte geübt, eine mißliebige Meinung durch die behauptete Nützlichkeit für den Ostblock zu denunzieren. Und das hat so blendend funktioniert, daß sich daran immer schon die Heuchelei blamiert hat, der Westen besitze in seiner allerseits frei zugänglichen Öffentlichkeit eine Schwachstelle gegenüber dem informationspolitisch abgedichteten Osten. Die Schweizer Regierung hat diese Denunziationsmethode jetzt zu einem strafrechtlichen Tatbestand ausgebaut.

Während US- und NATO-Interessen an den europäischen Aufrüstungsmaßnahmen sich zwar auch nicht in Gestalt einer bloßen Meinung oder Information geltend machen, aber deshalb keine 'Einmischung' darstellen, weil sie sich im allgemeinen mit dem Standpunkt der Regierung decken, ist das Interesse der Sowjetunion an der Friedensbewegung 1. mehr als "Informationspolitik" und 2. ein völkerrechtlicher Verstoß:

"Der schweizerische Bundesrat wendet sich mit Entschiedenheit gegen ausländische Versuche von welcher Seite auch immer (?) -, den politischen Willensbildungsprozeß in der Schweiz zu beeinflussen. Derartige Aktivitäten stellen eine klare Einmischung in innerschweizerische Angelegenheiten dar, verletzen die schweizerische Souveränität und gefährden so die innere und äußere Sicherheit des Landes."

Diese "Aktivitäten" sehen so aus, daß zwei Schweizer Angestellte von Nowosti Mitglieder der Partei der Arbeit und Mitarbeiter in der Friedensbewegung sind, was folgendermaßen zu einem Delikt gemacht wird:

"Strafrechtlich sehe man noch nicht ganz durch, berichtete Justizminister Rudolf Friedrich, Schwander und Sittmann hätten im wesentlichen als einheimische Helfer nur von ihren Bürgerrechten Gebrauch gemacht."

Ein Delikt ist nämlich die Tatsache, daß die sowjetischen Arbeitgeber mit Sicherheit gegen die Betätigung ihrer Angestellten nichts einzuwenden hatten: durch deren Paß gerät die schweizerische "Wahrnehmung der Bürgerrechte" zur "Verletzung der schweizerischen Souveränität".

"Das Nowosti-Büro hat sich nicht nur mit den ihm zugedachten Informationsaufgaben befaßt, sondern als eigentliche Desinformations-, Subversions- und Agitationszentrale gedient."

Der "Spiegel" hatte es sich noch gestattet, auf die "Enthüllungen" eines KGB-Überläufers über die unglaubliche Subversionstätigkeit des KGB in der Friedensbewegung leicht ironisch zu reagieren, weil die Behauptung, Agenten, die gar nicht wissen, daß sie welche sind, die sogar gegen die Sowjetunion eingestellt sind, seien fast die gefährlichsten, schon eine gewisse Anforderung an den Verstand stellt.

"Lewtschenko : Am einfachsten ist es für die Sowjets, die kommunistischen Parteien und prokommunistischen Organisationen einzuspannen.

Spiegel: Aber in Ländern wie der Bundesrepublik sind diese Parteien und Gruppen doch praktisch nicht existent; in anderen Ländern haben sie ihre tiefen Meinungsverschiedenheiten mit Moskau...

Lewtschenko:... Diese Person würde normalerweise natürlich nichts mit den kommunistischen Ländern oder dem Kommunismus überhaupt zu tun haben. Politisch kann er oder sie alles mögliche vertreten. Aber diese Person kann zum Beispiel eine Demonstration organisieren.

Spiegel: Sie glauben wirklich, diese Hunderttausende von Demonstranten ließen sich von ein paar Agenten an der Nase herumführen?

Lewtschenko: 99,9999 Prozent der Mitglicder dieser Organisationen sind absolut ehrenwerte, unschuldige Leute. Unglücklicherweise erkennen sie nur nicht, wer sie ganz indirekt beeinflußt."

Die Schweizer Behörden haben jetzt den Befund in die Tat umgesetzt, daß jeder Protest, weil er angeblich der Sowjetunion nützt, auch wenn er noch so solide antikommunistisch fundiert ist, von der Sowjetunion ins Leben gerufen worden ist. Wer als Friedensidealist die Rüstungspläne seiner Regierung anzweifelt, ist desinformiert, ist ein Opfer ausländischer Manipulation. Wer gegen seine Regierung protestiert, ist unterwandert, ist ein Opfer subversiver Tätigkeiten ausländischer Infiltratoren. Die Vorwürfe gegen Nowosti legen sehr überzeugend dar, wie sehr demokratische Regierungen den Verstand ihrer Untertanen schätzen, wenn der ihnen nicht umstandslos beipflichtet, denn sie sind, was ihren Inhalt betrifft, so horrend dämlich: Als wüßten Friedensdemonstranten in der Schweiz nicht von alleine, wie man demonstriert, Appelle abfaßt, Flugblätter druckt etc., so daß es die Nowosti zugeschriebenen Vorfälle gar nicht hätte geben können, wenn die Russen nicht brave Schweizer Bürger in den "Techniken" des Protestierens unterrichtet und geschult hätten. Aber alle diese Vorwürfe besitzen ja jetzt Rechtskraft und das beweist für jeden anständigen Bürger ihre Richtigkeit.

U-Boote

Das vorläufige Fazit der schwedischen "U-Boot-Jagden": "Moskau bringt 'Friedenspolitiker' in ein Dilemma." Der "Friedenspolitiker" Palme erklärt,

"das Eindringen sowjetischer Unterseeboote in schwedische Gewässer habe sein Vertrauen in die Außenpolitik Moskaus selbstverständlich erschüttert."

Und ein Sprecher der Opposition assistiert der gespielten Enttäuschung "in kritischer Anspielung auf Palmes Friedenspolitik":

"Der parlamentarische U-Boot-Bericht kann glauben machen, er sei auf einem anderen als auf dem Planeten geschrieben worden, auf dem atomwaffenfreie Zonen gefordert und Hoffnungen in eine vermeintliche Entspannungsbereitschaft der Sowjets gesetzt wurden."

Die schwedischen Politiker nehmen den U-Boot-Bericht also zum Anlaß, um die Interpretation in die Welt zu setzen, die Sowjetunion sei schuld daran, daß

Schweden seine bisherige Politik der Vorschläge für Abrüstung etc. korrigieren muß. Sie sei zu gut für eine Welt, in der Russen leben - und daß

seine Neutralität noch wehrhafter werden muß, als sie ohnehin schon ist, und dies mit eindeutiger Richtung gen Osten.

Daß die schwedische Außenpolitik mit Entspannungsinitiativen wie u.a. dem Vorschlag, die Ostsee zu einer atomwaffenfreien Zone, einem "Meer des Friedens" zu machen, ausgerechnet am bösen Willen der Sowjetunion gescheitert sei, kann kein schwedischer Politiker glauben: Wenn die schwedische Generalität im Verlauf der Debatte selbst darauf hinweist, daß die Ostsee ohnehin die größte west-östliche U-Boot-Dichte aufweist, wenn also allgemein bekannt ist, welche strategischen Folgen die NATO daraus gezogen hat, daß die Ostsee für die Sowjetunion einer der drei Zugänge zum Atlantik und somit ziemlich unverzichtbar ist, dann dürften auch "Friedenspolitiker" wissen, an welchem Frontabschnitt sie wohnen und daß dort eine freiwillige Selbstentwaffnung der Sowjetunion kaum zu erwarten ist.

Der Gestus, die sowjetischen Übergriffe nötigten die Schweden überhaupt erst zu entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen, ist im weiteren schon allein deswegen lachhaft, weil das Interesse der sowjetischen U-Boote eingestandenermaßen nicht den Schönheiten der Schären, sondern den dort bereits installierten militärischen Einrichtungen gilt. Weshalb schließlich auch aus demselben Interesse NATO-U-Boote dort ihre Auskünfte eingeholt haben, die nach tagelanger Besprechung als sowjetische U-Boote dank einer rätselhaften, von oben angeordneten Pause der Bewachungsmannschaften "unerkannt entkommen konnten".

Die jetzt veröffentlichte Bilanz verzeichnet jedoch ausschließlich sowjetische Eindringe, und das zufälligerweise nach einem ziemlich weitgehenden sowjetischen Angebot, auf die schwedischen Abrüstungswünsche, in der Ostsee einzugehen. Das 'muß' man natürlich jetzt ausschlagen, nachdem die russische Provokation in ihrem ganzen Ausmaß enthüllt ist.

Wie die schwedische Neutralität im Kriegsfall beschaffen sein dürfte, ist angesichts der schon etablierten Kooperation mit der NATO, der Einrichtung von Nachschublinien für NATO-Stützpunkte im nördlichen Norwegen, der gemeinsamen Offiziersausbildung und des wechselseitigen Waffenhandels ohnehin kein Rätsel. Weil die schwedische Regierung aber für diesen Fall offensichtlich noch einige zusätzliche Vorkehrungen treffen will, hält sie es wohl für angebracht, die Ideologie ihrer unablässigen Friedensbemühungen nunmehr in die Heuchelei enttäuschter Friedenspolitiker überzuleiten, die wegen der Bedrohung ihrer Neutralität nunmehr strikt auf ihre Verteidigung achten müssen.

Zugleich liefert man den Nachbarstaaten Material für deren Rüstungspolitik. Der dänische Außenminister gibt sich gleichfalls entrüstet.

"In der Vergangenheit hatte sich Dänemark dank seiner flachen Küstengewässer vor fremden V-Booten relativ sicher fühlen dürfen. Nun freilich ist nicht länger auszuschließen (), daß die sowjetischen Kleinstfahrzeuge bis in den Hafen von Kopenhagen außerhalb der Strandpromenade vordringen können."

Das trifft ja bestens mit den ohnehin bestehenden eigenen Aufrüstungsplänen zusammen - denn schon im Herbst letzten Jahres konnte ein westdeutscher Kommentator befriedigt feststellen, daß es

"erste Anzeichen für eine Intensivierung der nordischen Verteidigungsanstrengungen gibt. So kündigt Schweden jetzt für das kommende Frühjahr das bisher größte Nachkriegsmanöver seiner Streitkräfte an, während Norwegen die Luftabwehr und die Sicherung seiner Militärflugplätze durch neue Raketensysteme zu erhöhen gedenkt. In Dänemark will der Verteidigungsausschuß darüber beraten, ob die Neuanschaffung von U-Booten zeitlich nicht zu beschleunigen sei."

Es wird also allgemein eifrig gerüstet, die Beziehungen zur Sowjetunion werden abgekühlt, und die U-Boote werden gejagt, woran man hierzulande vor allem die "Notlage" der schwedischen Regierung bedenken soll, der eigentlich nichts anderes übrig bleibt, als demnächst mal eines abzuschießen.

"Ein U-Boot zum Auftauchen zu zwingen, kann man jedoch nur sehr schwer. Man kann das U-Boot mit 'Knallerbsen' zum Auftauchen auffordern es gibt hier internationale Regeln -, man kann es warnen. Folgt es der Aufforderung aber nicht, dann bleibt nur die Alternative, es zu zerstören oder es entkommen zu lassen. Nun gibt eine Regierung - in Friedenszeiten - aber nicht so leicht den Befehl, ein ausländisches Schiff zu zerstören."

Was ja wohl die Wasserbomben und Anti-U-Boot-Raketen zur Genüge beweisen!

Verwicklungen unvermeidlich!

Von der Zubereitung der Welt zu einer einzigen Front gegen den Osten mag sich also keine Nation ausschließen, und jede entdeckt dafür zwingende Gründe. Die ganze Kunstfertigkeit demokratischer Politik bewährt sich darin, die eigenen Interessen so. wahrzunehmen, daß sie bedroht sind und geschützt werden müssen. Indem bisher etablierte und geduldete Aktivitäten des Ostblocks nunmehr unter dem Gesichtspunkt, daß es der Feind ist, eingeordnet werden, sind Reaktionen unerläßlich: Die Gleichsetzung von Diplomatie mit Spionage, von Journalismus mit Desinformation und Subversion, die Gleichsetzung von Handel mit Sabotage nehmen die westlichen Staaten schrittweise vor, um die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Die Fortschritte sind unverkennbar: So wird die traditionelle Sichtweise von der sowjetischen Aggressivität wahr gemacht.

Ihre zwischenzeitlich im Westen eröffneten und - eingerichteten Aktivitäten in Sachen Diplomatie, Handel, Propaganda, Völkerverständigung und Bespitzelung werden jetzt mit Entschiedenheit als nur noch feindliche indiziert, und dementsprechend stellen sich lauter empörende Fälle sowjetischer Einmischung und Mißachtung der eigenen Souveränität heraus. Schon ist eine öffentliche Hetze in Gang gesetzt, die die alte Propaganda mit Gulag und Menschenrechtsverletzung m Ostblock weit in den Schatten stellt: Jetzt bekommt man die sowjetischen Agenten allenthalben dabei zu fassen, wie sie hier die Freiheit, den Papst und die Schären unterminieren. Daß, versehen mit dieser Propaganda, die politische Einschränkung aller friedensmäßigen zwischenstaatlichen Beziehungen zum Ostblock zügig vonstatten geht, die östliche Diplomatie schrittweise unterbunden, die Verbreitung ihrer Argumente tendenziell verboten, der Handel reduziert wird usw., wird dabei gar nicht besonders zur Kenntnis gegeben - die Redeweise der Regierungen, nach wie vor an guten Beziehungen und ganz ernsthaft an der Sicherung des Friedens interessiert zu sein, bleibt sich ja immer gleich. Und so geht die Zurichtung der Welt in lauter Sicherheits-Zonen voran, so daß demnächst Russen außerhalb ihrer Landesgrenzen überhaupt nur noch in gefährdeten Gebieten, also mit bösartigen Absichten herumlaufen können.

Auf diese Weise werden lauter Kriegsanlässe geschaffen, was offensichtlich auch kein Geheimnis ist. Die Presse besichtigt ganz unbefangen über die schon gegebenen hinaus mögliche "Zwischenfälle" und "Konflikte". Ein bundesdeutsches Gelände, das die DDR für Bauarbeiten benutzt, ist mit einem Zaun versehen, der zugleich Ersatz für die DDR- Grenze sein soll und rechtlich dem Bundesgrenzschutz untersteht. Begutachtung der "Süddeutschen Zeitung":

"Jedenfalls wartet mon mit gemischten Gefühlen auf die Übergabe des Areals an die DDR am 16. Mai. Sollte ein DDR-Arbeiter 'erkennbar' Anstalten machen, den Zaun in Richtung Bundesrepublik zu überklettern und dabei in Schwierigkeiten geraten, 'dann müssen wir ihm helfen', sagt man beim Grenzschutz."

Dasselbe im Nahen Osten:

"Durch die Militärische Präsenz der Sowjets könnte ein Konflikt zwischen Syrien und Israel zu einer Konfrontation der Weltmächte führen. Die Frage allerdings, ob Israel im Konfliktfall bereit wäre, mit einem 'Präventivschlag' die beiden sowjetischen SAM-5-Batterien auf syrischem Gebiet anzugreifen, obwohl diese mit Sowjetsoldaten bemannt sind und sowjetischem Kommando unterstehen, mag niemand beantworten. Ein solcher Überfall könnte nicht nur zu einem massiven militärischen Eingreifen der Sowjetunion führen, sondern auch zu einer sowjetisch-amerikanischen Konfrontation."

Von der Bedenklichkeit wegen möglicher "unvermeidlicher" "Verwicklungen" sollte man sich nicht täuschen lassen. Noch vor jedem Krieg stellt die Öffentlichkeit fest, daß die "Welt" immer "explosiver" wird. Sie rechnet also mit der konsequenten Fortsetzung einer Politik, der sie damit ihre Notwendigkeit und Richtigkeit bescheinigt. Die Politiker nehmen gleichzeitig die Einordnung solcher "Fälle" ohne Bedenklichkeit wahr, nicht mehr als "schwere Belastung der Entspannung", sondern als "wahre Kriegshandlung in Friedenszeiten" (Lagorio zum Papst Attentat).