I.
Daß die Mathematik die Königin der Wissenschaften sei, gilt auch in unseren demokratischen Zeiten nicht als gänzlich obsoleter Vergleich, wo doch an Beispielen für abstraktes Denken kein Mangel herrscht, nachgerade mehr Theorien als Gegenstände die Welt bevölkern und umgekehrt der Fall nicht mehr eintritt, daß ein Intellektueller ausgerechnet durch das Studium der Elemente des Euklid den eigenen Geist gebildet hätte. Im Selbstbewußtsein der bürgerlichen Wissenschaft figuriert die Mathematik denn auch nicht als ein Vorbild, dem ernsthaft nachzueifern wäre, sondern steht für ein Ideal wissenschaftlicher Solidität, dem leider sonst nicht entsprochen werden könne. Bei ihr nämlich bewege sich der Verstand ausschließlich in den ihm eigenen Sphären und könne eben deshalb auch zu exakten Ergebnissen kommen und ordentliche Beweise führen, während die anderen, empirisch genannten Disziplinen dazu verdammt seien, nichts als "kühne" Vermutungen aufzustellen, und sich dem unendlichen Geschäft der Beseitigung von Irrtümern zu widmen, und zwar aus dem schönen Grund, daß man sich hier auf die ach so wirkliche Wirklichkeit einlassen müsse. Die Pointe dieser falschen Gegenüberstellung ist es aber, zugleich mit der Unsicherheit jedes Urteils über die Welt die Nichtigkeit des mathematischen Denkens zu demonstrieren. Denn dieses glänzt im Vergleich gerade darin, eine bloße Hirnweberei von ins Belieben gestellten Definitionen und todsicheren, weil tautologischen, Schlüssen zu betreiben, so daß der Mathematik an Inhalt abgeht, was den anderen Wissenschaften an Gewissheit fehlt, und somit beide Abteilungen nicht ernsthaft auf Objektivität und Wahrheit Anspruch erheben können.