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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1980 erschienen.

Naturwissenschaft
ATOMTECHNOLOGIE UND ATOMPOLITIK

Wenn sich Naturwissenschattler, Ingenieure, Intellektuelle und die ganze teilnehmende Öffentlichkeit angesichts staatlicher Entscheidungen über die nationale Energiewirtschaft in Atomkraftwerksbefürworter und Atomkraftwerksgegner spalten, dann mögen sie sich zwar naturwissenschaftlicher Aussagen über Energie und Energiegewinnung bedienen - der Streit ist einer über Alternativen staatlicher Politik.

Mit Erkenntnissen über den Aufbau der Atome, mit Forschungsergebnissen über Kernspaltung und mit der Entwicklung technischer Verfahren der Kernenergiegewinnung läßt sich der Zweck, gemäß dem mit diesen Gesetzen umgegangen wird, weder begründen noch kritisieren.

Daß die Auseinandersetzung dennoch als Streit über die Qualität der Atomspaltung, die Wirkungen radioaktiver Strahlen, die Funktionsweise der Kernkraftanlagen usw. kurz, als Streit um naturwissenschaftliches Wissen und im Namen einer höheren naturwissenschaftlichen Vernunft geführt wird, wirft ein schlechtes Licht sowohl auf die Naturwissenschaftler, die mit ihrer Kompetenz in Sachen Naturbeherrschung politischen und ökonomischen Entscheidungen den Schein naturgesetzlichen 'Sachzwangs' verleihen, wie auf den technischen Fortschritt und seine Zwecke, die mit und neben solchem Streit ins Werk gesetzt werden.

Freisetzung ideologischer Staatsenergien

Es liegt aber wohl nicht in der Natur der Technik, daß mit ihrer Hilfe Arbeiter im Betrieb zerschlissen werden und die Zerstörung von Gesundheit und natürlichen Lebensvoraussetzungen zur Normalität zählt. Es liegt auch nicht am Atom oder der Endlichkeit aller Dinge - insbesondere justament heutzutage der 'Energievorräte' -, sondern an den gesellschaftlich gültigen Prinzipien der Reichtumsvermehrung, wenn Anlagen gebaut werden, bei denen die technische Unausweichlichkeit schädlicher Wirkungen aus Rentabilitätsgründen in Kauf genommen wird, bei denen andererseits aus denselben Gründen auch technisch machbare Verbesserungen unterlassen werden. Es folgt auch nicht aus einer irgendwie gearteten naturwissenschaftlichen Vernunft, wenn Gegner wie Befürworter staatlicher Energiepolitik gewaltige ideologische Staatsenergien freisetzen. Vielmehr zeugt es von ihrem Willen, den Einsatz ihres Wissens nach Maßgabe politischer und ökonomischer Interessen für einen Segen der Menschheit zu erklären, wenn sie diesen Einsatz in einer Weise diskutieren, als sei es Auftrag und Ziel einer ordentlichen Herrschaft (oder hätte es zumindest zu sein), ewig menschliche Probleme im Umgang mit der Natur zu bewältigen. Und das ausgerechnet in der kapitalistischen Gesellschaft, die die Beherrschung der Natur ganz zum Gegenstand ökonomischer Kalkulationen und zum Mittel der möglichst profitablen Anwendung von Lohnarbeitern im Betrieb gemacht hat.

Das Aufheben, das um die staatliche Energiepolitik in puncto Atomenergie gemacht wurde, gründet daher auch nicht in einer Kritik an den gesellschaftlich anerkannten Prinzipien des 'technischen Fortschritts' im Dienste von Staat und Wirtschaft, sondern in dem einvernehmlichen Streit, ob nicht - im Gegensatz zur 'normalen', oder zu einer vorstellbaren 'menschen- und naturfreundlicheren' Technik - die Atomkraftwerke ein Irrweg des Staates und ein Verrat an seiner Verantwortung gegenüber der Menschheit und der Natur seien. Beide Seiten gehen dabei von der ganz und gar nicht naturwissenschaftlichen Gleichung aus, daß Zweck der gesellschaftlichen Reichtumsvermehrung die Versorgung der Gesellschaftsmitglieder mit ganz viel Gütern sei, daß Knappheit der Naturvoraussetzungen diesem Zweck Grenzen setze. Die Befürworter setzen das mit der Behauptung fort, die zerstörerischen Wirkungen des technischen Fortschritts seien deshalb die naturnotwendige Folge der Sicherung des allgemeinen Wohlstandes bei knapper werdenden Ressourcen. Die Gegner dagegen geißeln dies als staatlich erlaubte und beförderte Verschwendung von Naturbedingungen für einen Konsum, der über das natürlich erlaubte Maß hinausginge. Beide Seiten machen also die Alternative auf, entweder weniger 'Wachstum' (= angeblich Reichtum für alle) oder diese Sorte 'technischer Fortschritt' samt seinen zerstörerischen 'Risiken für Mensch und Natur'. Die apokalyptischen Visionen von der n-vernunft des Staates, seiner Gefährdung des Über-lebens, seinen Vergehen gegen angebliche Gesetze der Natur enden deswegen auch regelmäßig in Vorschlägen an den Staat, wie er ohne Atomkraft mit Energiealternativen, mehr Sparsamkeit bei seinen Bürgern und weniger Technik sich in ein verantwortlicheres Verhältnis zu dem vorgeblichen Zweck setzen könnte, der Energieknappheit im Einvernebmen mit den erfundenen natürlichen Grenzen seiner Gesellschaft Herr zu werden. Behauptungen der Gegenseite, die praktizierte Energiepolitik und die geschäftliche Kalkulation mit der Konkurrenzfäbigkeit 'unserer' Energiewirtschaft sei die vernünftigste Sicherung eines für alle segensreichen gesellschaftlichen Fortschritts, endet umgekehrt ebenfalls bei der Rechtfertigung staatlicher Sparzwänge und Sparargumente gegen Otto Normalverschwender, der die Segnungen der Zivilisation schamlos genießen, ihre negativen Seiten aber nicht ertragen und an sich selber korrigieren will.

Wozu die Verantwortung des Naturwissenschaftlers alles führt

Das Niveau dieses naturwissenschaftlich verbrämten Streits über das uralte staatsbürgerliche Aufsatzthema 'Fluch und Segen der Technik' ist denn auch kaum höher als bei Primanerübungen und gehorcht demselben Prinzip, den Fortschritt in seinen Wirkungen zu debattieren, ohne seine Gründe, seinen Charakter und daher seine wirklichen Wirkungen zur Kenntnis zu nehmen. Philosophische Spekulationen über das Atom, die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis, die Subjektivität der Natur finden sich da einvernehmlich neben Beschimpfungen der Menschennatur, die zur Zerstörung und zu Zügellosigkeit neige. Die Behauptung, wer Energie wolle, müsse auch Strahlen in Kauf nehmen, verbindet sich da schöpferisch mit dem Appell, dem Menschen und vor allem der Natur die Atomkraft durch mehr Zurückhaltung gegenüber der Ausnutzung der Natur zu ersparen. Oder sie paart sich mit der wörtlichen Auskunft von seiten derjenigen, die sonst alles, was sich der Mensch so leistet, für krebsförderlich erklären, die Atomstrahlung sei ein - im übrigen noch gar nicht bewiesenes - Risiko, das man gefälligst zu tragen habe, usw. usw.

Die Besonderheit der Atomkraftwerke liegt also nur darin, daß sie den hierzulande gültigen Prinzipien des technischen Fortschritts und seiner staatlichen Beförderung in einer Größenordnung zur Durchsetzung verhelfen, die die Öffentlichkeit und die Naturwissenschaftler selbst beschäftigt, so daß sämtliche Ideologien über diesen Fortschritt im selben Maße blühen - und zur öffentlichen Beruhigung und Gewöhnung auch an diese Abteilung des Fortschritts führen. Die von keiner Seite unvoreingenommen betrachtete Entwicklung von der Atomspaltung bis zur Kernkraftindustrie unter den Fittichen staatlicher Energiepolitik; die Extra-Veranstaltungen, die dieser Entwicklung gewidmet worden sind; die konsequente Fortentwicklung der Atomkraftwerksgegner zur parlamentarischen Alternative bürgernäherer Herrschaft mit Sparsamkeitsidealen; die staatliche Propaganda und öffentliche Durchsetzung eines allgemeinen 'Energie- und Umweltbewußtseins', das über Rauchverbote und Benzinsparen debattiert und die regelmäßigen Strahlen'unfall'meldungen auf den hinteren Zeitungsseiten 'nach Harrisburg' nur noch gelangweilt zur Kenntnis nimmt - dieser Fortschritt auf allen Seiten taugt deswegen als Paradebeispiel der Anwendung von Naturwissenschaft und Technik im Dienste von Staat und Kapital und ihrer öffentlichen Bewältigung. Hier lassen sich nicht nur die praktischen Leistungen der Naturwissenschaftler und Techniker studieren, sondern auch die Wirkungen, welche die Prinzipien der Geschäftswelt auf ihr Forschen und Konstruieren ausüben. Und nicht zuletzt auch die Übergänge zu pseudowissenschaftlichen Verfahren und Argumenten, welche der Auftrag und die Verantwortung eines ordentlichen Naturwirts im Staats- und Unternehmerinteresse erfordern und die von Alternativlern für ihre Vorstellungen einer besseren Welt bemüht werden. Denn beide Abteilungen wollen sich ja mit ihren schönen naturwissenschaftlichen Ergebnissen nicht nur für diese Gesellschaft nützlich machen, sondern auch diese Nützlickeit in der Gesellschaft propagieren. Daß dabei auch die praktisch erforderte naturwissenschaftliche Redlichkeit einem staatsbürgerlichen Agitationsbedürfnis zum Opfer fällt, die sich mit naturwissenschaftlicher Autorität schmückt, zeigt nur, wozu die Verantwortung des Naturwissenschaftlers alles führt.