Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1980 erschienen.

Systematik

Gentechnologie
GENE UNTER BESCHUSS

Wenn ein moderner Naturwissenschaftler etwas herausbekommen hat, dann ist er, ganz im Gegensatz zu landläufigen Urteilen über weltfremdes Spezialistentum, gar nicht damit zufrieden, sein Ergebnis mit allen notwendigen Formeln usw. als das darzustellen, was es ist. Es muß sich z.B. wenigstens um die Lösung eines Rätsels handeln, das älter ist als irgendein Menschenkopf, der sich damit hätte beschäftigen können:

"Die Biologen haben das jahrmillionenalte Geheimnis des Lebens in wenigen Jahrzehnten entschlüsselt, die molekularen Grundmechanismen der Vererbung aufgeklärt und den altehrwürdigen vis-vitalis-Aberglauben durch Wissen von einer Art überschaubaren, ja fast simplen biochemischen Puzzlespiels von Molekülen ersetzt." (Zeit-Magazin)

Auf diese Weise eingeleitete Aufklärungen über moderne Biologie halten stets, was sie versprechen. Für die Ideologien von einst wird tatsächlich ein Ersatz offeriert, der sich im Unterschied zu früher durch die friedliche Koexistenz mit der Naturforschung auszeichnet und nicht mehr nur von Pfaffen und Philosophen, sondern auch von den Wissenschaftlern selbst in die Welt gesetzt wird.

Der Faden des Lebens

Angesichts ihrer erfolgreichen Bemühungen um die biochemische Erklärung von Zusammensetzung und Wirkungsweise des materiellen Trägers der Vererbung fällt den Biologen sogleich ein, daß sie in der DNS "die Grundsubstanz des Lebens" und damit ihre aparte Antwort auf die uralte philosophisch-theologische Spekulation über den Sinn / das Wunder des Lebens gefunden hätten. Statt mit der rationellen Erklärung der Entstehung eines Organismus die dumme Geheimniskrämerei und Schwafelei über Leben, Mensch und Schöpfung als eben dies abzutun, behaupten sie ihr Wissen als konkurrierende Beantwortung dieser Fragen, z.B. der, was 'der Mensch' sei:

"Jetzt können wir den Menschen definieren. Genotypisch wenigstens ist er sechs Fuß einer bestimmten molekularen Reihenfolge von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Sauerstoff-, Stickstoff- und Phosphor-Atomen - die Länge von DNS eng gewickelt in dem Kern eines sich entwickelnden Eis." (Nobelpreisträger Lederberg)

Die pseudoaufklärerische Tour, mit der die naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten der Vererbung und der Vermehrung von Zellen zu einem materialistischen Menschen-bild erhöht und den sonst gängigen Menschenbildern an die Seite bzw. entgegengestellt werden, erinnert nicht zufällig an die philosophischen Glaubenssätze 'dialektischer Materialisten', die gegen den bürgerlichen Idealismus den nicht minder idealistischen Gedanken ins Feld geführt haben, alles sei 'nur Materie' und der Geist die 'höchste Form' davon. Genau wie bei der belächelten Lebenskraft wird mit der Vorstellung eines Grundstoffs des Lebens das falsche Urteil ausgesprochen, daß das Allgemeine dessen, was da kreucht und fleucht, selber als ein besonderer Naturgegenstand existiere und damit ein höheres Lebenspnnzip gefunden sei, das für alle Phänomene des Lebendigen verantwortlich sei:

"Denn anscheinend sind sämtliche Formen von Leben sowie alle in der Genetik und Evolution beobachteten Fakten nichts weiter als Expression der in der DNS festgelegten Information." (Wade, Gefahren der Genmanipulation, S. 17)

Die auffällige Abstraktion "nichts weiter als", mit der Biologen bewußt ihren Beitrag zu der weltbewegenden Grundsatzfrage über 'das Leben' leisten (sie pflegen sich dann auch konsequent weltanschaulich zu entscheiden, ob sie damit die Frage nach Geist und Gott erledigt oder erst recht gestellt hätten), führt folgerichtig zu Auffassungen und Interpretationen ihrer Ergebnisse, die den entdeckten Gesetzmäßigkeiten munter widersprechen. Weil natürlich die Lebewesen keineswegs "nichts weiter" sind als jener Grundstoff DNS, und umgekehrt ein Eimer voll DNS sehr wohl nichts weiter ist als eben ein Eimer voll Chemikalien, gilt die hier in Frage stehende Substanz auch gar nicht als das, was sie ist, nämlich als ein Stoff, der bestimmte chemische Reaktionen eingehen und dadurch bestimmte Wirkungen hervorrufen kann, sondern als Information, die zum Ausdruck gelangt. Sie ist das mit materiellen Mitteln niedergelegte, gleichsam aufgeschriebene Wissen der Natur selbst über alle Eigenschaften und Funktionsweisen des Organischen.

"Wir haben früher die DNS den Faden des Lebens genannt, aber nun wollen wir sie uns als das Buch des Lebens vorstellen." (Nobelpreisträger Kendrew)

Die Frage, deren Beantwortung ein moderner Biologe als Zweck und Resultat seiner Forschung ausgibt, lautet nämlich:

"Woher weiß die Zelle, daß sie...?"

Er stellt sich so die existierenden Lebewesen als bloße Möglichkeiten vor, um dann in der DNS den Trick der Natur zu entdecken, sie doch noch in ihrer wohlbekannten Beschaffenheit in die Welt zu setzen. Da liegt also die Kuh als gestaltlose Masse auf der Wiese herum und fragt sich, wer sie ist und was sie tun soll - ein Blick in ihre DNS-Bibliothek klärt sie auf: dickes Euter und Wiederkäuen sind die Gebote der Gattung. Wahrlich ein blödes Tier: Warum nutzt es nicht einfach die vom Biologen konzedierte Freiheit und verzichtet auf die Auswertung der Erbinformation, die ihr doch nur Gestalt und Beruf eines Rindviehs einträgt?

Dieser an einem ordentlichen Organismus unvorstellbare Vorgang erscheint nun dann als höchst plausibel, wenn man zu den abstrakteren Formen des Lebens übergeht, also zu den kleinen Zellen, zumal den Keimzellen, wo die komplette Kuh oder was auch immer tatsächlich erst im Werden begriffen ist. Der logische Fehler bleibt aber derselbe: Gerade wenn es richtig ist, daß sich ohne die DNS in der Zelle nichts schiebt, kein Stoffwechsel, keine Vermehrung, kein gar nichts, gerade dann ist es ein Blödsinn, sich diese Nicht-Zelle als Subjekt eines Problems zu denken, das sie durch das Lesen, Verstehen und Befolgen der genetischen Botschaften der DNS lösen will oder muß:

Die DNS "trägt alle Erbinformationen und sorgt dafür, daß aus einer befruchteten Eizelle ein Schmetterling wird oder ein Mensch." (Stern)

Die Absurdität, ausgerechnet die befruchtete Eizelle und die Erbinformation gedanklich gegenüberzustellen, so daß erstere als an und für sich völlig unbestimmte organische Existenz übrigbleibt, soll die beliebige Bestimmbarkeit des Lebens sinnfällig machen. Es ist so eine Art universeller Computer, dem durch geeignete software die verschiedensten Resultate abzuverlangen sind:

"Die Reihenfolge dieser DNS-Bausteine beschreibt wie ein Morsealphabet die Baupläne und Funktionsanweisungen für jeden Organismus." (Stern)

Deshalb genügt es, ein paar Wörter wie GATTATA in diesem Code aufs Papier zu werfen, um sich Tier, Pflanze und Mensch nach Gusto zu verschaffen.

Die eierlegende Wollmilchsau

avanciert so von einer Metapher für Absurdität zur allerrealistischsten Zukunftsperspektive, wenn man die Tatsache, daß die biochemische Funktion der DNS auf der Aneinanderreihung von molekularen Einheiten beruht, dahin verkehrt, daß jeder Organismus nun auch ein entsprechender Haufen disparater Eigenschaften sei:

"Obwohl in der Praxis nutzlos, ist es mittlerweile möglich geworden, Gene von Mensch uad Pilz, Ameise und Elephant, Eiche und Kohl miteinander zu vemischen. Somit steht der gesamte Genpool der Erde, das Produkt der Evolution von 3 Milliarden Jahren, zu unserer Verfügung. Jetzt ist der Schlüssel zum Königreich in unserer Hand." (Wade, S. 8)

Dan Zitat ist typisch. Der Verfasser will beileibe nicht das in seinen Augen wohl eher triviale Faktum der biochemischen Rekombination von DNS-Fragmenten unterschiedlicher Herkunft mitteilen und erklären - er möchte mit seinen Beispielen vielmehr vorstellig machen, was für Wunder nunmehr machbar seien: der Bazillus mit aufrechtem Gang genauso wie der Elefantenrumpf auf Ameisenbeinen oder der haushohe Kohlkopf. Der Vorbehalt der Nutzlosigkeit steht für den Realismus der Phantasterei ein. Als ob nicht die elementarste Einsicht in die Natur - ganz abgesehen von 200 Jahren Biologie - lehrte, daß dergleichen Chimären ein Ding der Unmöglichkeit sind. Schon die Variation eines so äußerlichen Merkmals eines Organismus wie seine Größe impliziert eine wesentliche Umgestaltung seines Baus (weshalb auch die beliebten Rieseninsekten der Science-fiction nicht nur fiktiv, sondern überaus schlecht gelogen sind: dieses Viehzeug kriegte kein Bein vors andere).

Solche Bebilderungen des "Traums vom neuprogrammierten Lebens", wo das richtige Zauberwort im genetischen Code genügt, um alle nur denkbaren Reichtümer der lebendigen Natur auf einen Haufen getürmt herbeizurufen, sind für die Männer der Wissenschaft natürlich keine ganz seriöse Auskunft über den Stand ihrer Kunst. Ergänzend fügen sie hinzu, daß alles sehr komplex ist; das heißt, es ist erstens genauso wie in solchen Märchen, zweitens weiß man aber nicht genau, wie es bei der "Expression von Genen" zugeht, denn bei dem entwickelteren Viehzeug gibt es viele Eigenschaften und viele Gene, auch machen dieselben Chromosomen ganz was anderes, ob man sie nun in der Nase, im linken Fuß oder in den Eiern hat. Auf diese Weise gibt die Wissenschaft noch allemal ihren Segen zu den populären Ammenmärchen, die ja auch niemand anders als sie selbst in die Welt setzen konnte. Im Unterschied zur Ideologie von der Lebenskraft, die das Lebendige dem Forschereingriff entzog, ist der Genetikeridealismus einer der Umgestaltung der Welt. Nachdem die anderen Naturwissenschaften schon das Ihre geleistet und einige Reputation erworben haben, teilt hier die moderne Biologie der Menschheit mit, welch unabsehbarer Nutzen gerade von ihrem Fach noch zu erwarten ist: Das "Zeitalter der synthetischen Biologie" ist angebrochen. Das Versprechen ist ernst gemeint, nämlich als Programm, dessen Realisienng die Forschung sich mit Haut und Haaren verschrieben hat. Erklärungen wie die folgende vom Chefbiologen eines Ami-Konzerns:

"Die Anwendungsmöglichkeiten der Gen-Verpflanzung werden nur durch die Phantasie des Forschers begrenzt." (Stern) bedeuten nicht die Abdankung des Biologenverstandes zugunsten von Spinnerei und Scharlatanerie, sondern seinen bedingungslosen Einsatz für verwertbare Ergebnisse in Sachen "genetic engineering".

gun-shots und gene-banks

Die in jüngster Zeit aufgelebte Verhandlung des Themas in der Presse ist von praktischen Erfolgen der Biologen veranlaßt. Ihnen ist es gelungen, Mikroben zur Produktion - von ihnen bislang fremden, für die menschliche Physiologie aber umso wertvolleren Eiweißstoffen wie Insulin und Interferon (1 Gramm derzeit gleich 100 Mio. DM - man begreife die Aufregung!) zu bringen. Diese Leistung unterscheidet sich in zweierlei Weise vom Traum des "am Reißbrett" konstruierten Lebens.

Erstens: Anstatt den Bakterien gänzlich unangemessene Merkmale wie zwei Beine zu verpassen, indem man die entsprechende Information, als ob es die gäbe, hineincodiert, hält man sich an biochemische Reaktionen, wie sie einer Zelle möglich sind. Bestimmte DNS-Moleküle sind ein Gen z.B. für Insulinproduktion, weil sie unter geeigneten Umständen einmal den Stoffwechsel einer Zelle so modizifieren, daß dabei auch das gewünschte Hormon entsteht, und weil sie zum anderen bei Vermehnngsvorgängen mitreproduziert und als Erbgut an die Abkömmlinge weitergegeben werden können.

Zweitens: Die Integration solcher Moleküle in den Lebensprozeß von Mikroorganismen ist eine technische Aufgabe, die nicht abgemacht ist mit der Vorstellung vom "Genchirurgen", der einfach den gewünschten Funktionsträger in die vorhandenen Chromosomen "einklinkt", nachdem er ihn sich vorher im Alphabet des Lebens zusammenbuchstabiert hat. Das heute praktizierte Verfahren steht in direktern Gegensatz dazu.

Der "Gentechniker" arbeitet nämlich mit extrachromosomaler DNS, wie sie in der Natur in Form von Viren und Plasmiden vorkommt. Letztere wurden entdeckt, als man das beunruhigende Faktum analysierte, daß sich die Antibiotika-Resistenz von Krankheitserregern weit schneller ausbreitet, als man es aufgrund des normalen Schemas von Mutation und Vererbung erwartet hatte: Statt ausschließlich durch Vererbung propagiert zu werden, ist diese Resistenz infektiös, d.h. sie wird auf andere Bakterienindividuen derselben Generation und selbst auf artfremde Zellen übertragen. Die Ursache dieses doppelten Phänomens sind kleinere DNS-Partikel, Plasmide genannt, die sich neben dem DNS-Ring in manchen Bakterien finden und, mit Viren vergleichbar, eine gewisse symbiotische Selbständigkeit haben gegen ihren Wirt. In dessen Lebensprozeß werden sie mitreproduziert, wobei die der Plasmid-DNS geschuldeten Merkmale wie eben die Antibiotika-Resistenz zur Ausprägung kommen. Mit diesen Eigenschaften sind die Plasmide das gefundene Fressen für die Gen-Technik geworden: Dieser allereinfachsten "lebensfähigen" DNS-Art lassen sich neue Bestandteile aufpfropfen und auf diesem Vehikel in Bakterienzellen hinein und zum Funktionieren bringen.

Das Verfahren zur Konstruktion neuen Lebens geht dann so vor sich: Die DNS eines sog. Genspender-Organismus, der beispielsweise Insulin synthetisiert, wird isoliert, um sie sodann chemisch-physikalisch zu zerschlagen und die Bruchstücke an Plasmide zu binden. Diese wiederum werden auf Bakterien übertragen, so daß eine plasmidhaltige Mikrobenpopulation, wegen der Anwesenheit von allen möglichen DNS-Fragmenten "gene-bank" genannt, resultiert, aus der abschließend der angepeilte Hybridorganismus, im Beispiel also der, der das Insulin-Gen mitgekriegt hat, 'herausgefischt' werden muß. Die übliche Bezeichnung "gun-shot" oder "Schrotflintenexperiment" charakterisiert das Verfahren insofern, als man es nicht in der Hand hat, wieviel, was und wo getroffen . wird. Der Reichtum der gene-bank besteht aus auf verschiedenste Weise modifizierten Mikroorganismen, bei denen sich von der Anlage des Verfahrens her weder absehen läßt, ob das gewünschte Gen qua substituiertem Plasmid in ein Bakterium integriert und dort wirksam geworden ist, noch was sonst für allerliebste Merkmale entstanden sind.

Unerwünschte Folgen...

Das Verfahren ist deshalb gefährlich. Im Gegensatz zu einschlägigen Verlautbarungen, die umstandslos das Bekenntnis zur Macht des Gentechnikers um das Verständnis für seine Ohnmacht ergänzen -

"Die möglichen Gefahren der gezielten Transplantation von Genen entspringen der Tatsache, daß es bis jetzt noch keine in die Zukunft weisende Evolutionstheorie gibt, also keinerlei Möglichkeit hervorzusagen, welche Effekte durch Genübertragung von einer Spezies auf eine andere verursacht werden." (Wade, S. 56) -,

entspringt die keineswegs nur "mögliche" Gefahr nicht aus einem Mangel an Kenntnissen über die Evolution von sich selbst überlassenen Lebewesen, sondern dem festen Willen, einen Prozeß in die Praxis umzusetzen, der ganz gezielt ein wildes Gemisch unbekannter Mikroben herstellt.

Ohne die "Phantasie der Forscher" über Gebühr zu beanspruchen, war jedem Beteiligten von Anfang an gewiß, daß das gun-shot-Experiment auch zu schädlichen Resultaten führt, also etwa neuen Krankheitserregern, und daß sich dabei wegen der durch die Plasmide verursachten Antibiotikaresistenzen medizinisch kaum zu überwindende Schwierigkeiten ergeben. Schließlich hat man schon einige englische und amerikanische Krankenhäuser niederbrennen müssen, weil sie von Plasmidstämmen verseucht waren, die ihre "gene-bank" auf eigene Faust durch gun-shot-Experimente ständig bereicherten und auf diese Weise aller therapeutischen Kunst davonwucherten. Daß solche plasmidhaltigen Bakterien, die für die Zwecke künstlicher Genübertragung zum bestuntersuchten Objekt der Molekularbiologie avancierten, gleichwohl medizinisch unbeherrscht sind, liegt in der Sache selbst. Es gibt kein Gegenmittel, das gezielt Plasmid-DNS angriffe und die Patienten-DNS schonte.

Angesichts eines solchen selbst geschaffenen "Dilemmas" ist es für einen modernen Naturwissenschaftler keine Frage, was er zu tun hat. Mit dem Traum vom programmierbaren Leben hat sich der Biologe ja schon längst dazu entschieden, aus seinen neueren Entdeckungen etwas zu machen und zugunsten der erreichbaren Ziele von allen störenden Fakten als bloßen Begleiterscheinungen zu abstrahieren.

...und wie man sie aus der Welt schafft

Er ergänzt die Fortsetzung seiner technologischen Experimente also mit einer Sicherheitsphilosophie, deren Praktizierung die in seinem Vorhaben beschlossenen unerwünschten Folgen angeblich auffangen und kompensieren soll.

Die Besorgnis der Wissenschaftler wegen dem, was sie tun und nicht lassen wollten, wurde anfangs recht lautstark in Szene gesetzt, was ja auch irgendwie eine gute Reklame für die Effizienz des noch in den Kinderschuhen steckenden Unternehmens war. Versuchsmaterialien wurden nur an besonders vertrauenswürdige Labors weitergegeben, und man entwickelte Sicherheitsvorschriften, die bis ins kleinste regeln, wie die Vorsicht bei den diversen gun-shots ausschauen muß - also der Experimentator Rückstände verbrennt statt in den Ausguß kippt und sein Wurstbrot nicht zwischendurch im Labor ißt etc. An solchen Vorschriften läßt sich ermessen, daß die ihrem Erfolg nachjagenden Biologen an Schlamperei jedes Urwaldhospital übertreffen. Weil aber Katastrophen bei dieser Forschung sich nicht als Alltäglichkeiten herausgestellt haben, andererseits die industrielle Anwendung jetzt vor der Tür steht, hat man sich inzwischen zu einer weniger hinderlichen Sicherheitsauffassung entschieden.

"Der seit geraumer Zeit herrschenden wissenschaftlichen Meinung folgend, daß Experimente auf diesem Gebiet keine Gefahr für die Menschen darstellten, erließ der Direktor des nationalen amerikanischen Gesundheitsinstituts neue Richttinien, die die geltenden Bestimmungen entweder aufheben oder erleichtern." (WAZ)

Diese herrschende wissenschaftliche Meinung begründet z.B. der Biologe Szybalski mit dem Unfug, daß statistisch gesehen ein ordentlicher neuer Seuchenerreger nur "in Tausenden von Jahren" einmal herauskommen könnte, daher "zunächst nur leicht gefährliche Keime" entstünden, die sich beim Laborpersonal freundlicherweise mit Durchfällen und Hautausschlägen anmeldeten:

"Wenn die ersten Anzeichen sich bemerkbar machen, dann hat man immer noch genügend Zeit, um die unerwünschte Neuzüchtung zu identifizieren und unschädlich zu machen." (SZ)

Die neue liberalere Haltung gegen die Mikroben ist umso wichtiger, als es längst nicht mehr nur um Experimente im Labor, sondern um die Anwendung des Resultats in freier Wildbahn geht. Beispielsweise werden Bakterien hergestellt, die Enzyme zum Abbau von Öl synthetisieren, so daß sich nun Tanker reinigen, aber auch die unvermeidliche Zivilsationskrankheit der Ölpest ohne kostentreibende Auflagen fürs Kapital bekämpfen lassen, indem man einfach eine Suspension von dem Viehzeug darübersprüht. Dabei darf man sich natürlich kein Problem mehr daraus machen, daß Unmengen solcher plasmidhaltiger Bakterien in die Umwelt gelangen und dort ihr erfinderisches Vagabundentum fortsetzen werden.

Bleibt noch zu ergänzen, daß die bekannte, auch hier wieder anzutreffende Dialektik vom Segen der Technik, der leicht in Fluch ausschlägt, die Lesart vom Fluch als Segen ganz selbstverständlich in sich birgt. Gentechnische Prozeduren bieten sich natürlich an, die Wirksamkeit biologischer Waffen noch zu steigern, von denen es schon schöne Beispiele gibt - so sollen in Vietnam eine schwer zu behandelnde Pest sowie eine rätselhafte Legionärskrankheit entstanden sein, und in Sibirien ist neulich unter allgemeinem westlichen Beifall ein Milzbranderreger aus dem Labor in die Freiheit entkommen. Gottseidank haben USA und UdSSR auf den Einsatz solcher Waffen vertraglich verzichtet und sich auf deren bloße Erforschung geeinigt: Das Mittel, sich gegen feindliche Pestbazillen zu schützen, wenn das Abkommen mal nichts mehr wert sein sollte, besteht ja darin, ein paar noch scheußlichere Seuchen parat zu halten.

Der Preis des Fortschritts - Bioethik

Wo mit der Anwendung der Naturwissenschaft Schäden für die Leute einhergehen, gibt es heute eine Risikodebatte. In der Gewißheit, daß es über kurz oder lang durch außer Kontrolle geratene Mikroben zu Unfällen kommen wird, haben Gegner und Befürworter der neuen Technologie schon längst angefangen, um die rechte Einschätzung der Gefahr zu streiten und den Preis des Fortschritts zu berechnen, der hier dem Bürger zugemutet werden kann, darf und muß. Insofern aber die "Atombombe der Biologie" noch keinmal hochging, einschlägige Fabriken nirgends auffällig und qualmend in der Gegend herumstehen und Unmut sowieso nicht an der Tagesordnung ist, bleibt die Agitation für den Schaden vorläufig ziemlich hypothetisch und auf den Personenkreis beschränkt, der sich sowieso und aus freien Stücken ein Problem aus unserer modernen Welt macht. Das Interesse am Thema speist sich einerseits daraus, daß es sich so schön in andere Gefahren-der-Technik-Debatten einbringen und demselben Ergebnis des Mit-dem-Risiko-Lebens zuführen läßt, wofür der vorsorgliche Staat die ihm akzeptablen Daten schon setzen wird:

"Verunsichert durch die Beinahe(?)-Atomkatastrophe von Harrisburg und alarmierende Prognosen über soziale Veränderungen, die durch die Computerrevolution in den 80er Jahren auf uns zukommen werden, wollen die Bonner Forschungspolitiker nicht unvorbereitet in die Bio-Zukunft stolpern." (Stern)

Zum anderen ist die Materie wie keine zweite geeignet, jenseits aller Realität verhandelt zu werden: Man kann die Diskussion gleich mit Gefahren anfangen, die garantiert für niemanden bestehen, und mit reaktionären Science-fiction Versionen vom entmenschten Menschen sein wirkliches Treiben für ein verantwortungs- und sensationsheischendes Publikum interessant machen.

Wo man nur in den Lego-Kasten der Natur greifen muß, um neues Leben beliebig zu konstruieren, drückt den in "Bioethik" machenden Intellektuellen sofort die Sorge, ob wir morgen alle gleich aussehen; die zusammenphantasierte Massenanfertigung genetisch veredelter Individuen ist ihm ein Greuel. Zwar sind die Eigenschaftsbündel, die nach dem Willen der Biologen in Serie gehen sollen, durchweg liebevoll gebastelte Derivate gängiger "Werteskalen", - immer geht es um ganz viel Intelligenz und Sozialtrieb; neben Kopien von Nobelpreisträgern ist vor allem die Reinform des "problemlosen Durchschnittsmenschen" sehr wichtig, vielleicht mit ein paar Zusätzen wie "Resistenz gegen radioaktive Bestrahlung".

Aber zum demokratischen Rassismus der Begutachtung der Leute nach ihren brauchbaren Eigenschaften gehört immer auch das Ideal, daß das Individuum selbst danach strebe, sich nützlich zu machen.

Frankenstein lebt

Der Supermann aus der Retorte ist leider die Entwertung aller Tugenden; keine Moral ohne inneren Schweinehund, an dessen Überwindung der Mensch wachsen kann. Das Ideal des automatischen Staatsbürgers kämpft also beständig mit dem Prinzip der Individualität, der Freiwilligkeit, auf die sich staatsbürgerlicher Gehorsam gerade gründet. So ist klar, daß der Griff in den Gen-Pool eine Versündigung am Geheimnis der Natur ist, daß er Kreaturen zum Vorschein bringen muß, deren künstlicher Wille sich gerade außerhalb jeder Kontrolle gegen die vernünftigen Prinzipien verhält, die der ehrlich gezeugte Mensch als moralisches Gen-Material mit auf den Weg bekommt:

"Es, könnte etwas aus dem Labor kriechen, etwas wie Frankenstein." (Harvard-Hearing)

Heutzutage unterscheiden sich kritische Gedanken in nichts von dem, was es auch im Kino als ein paar frohe Stunden gibt. Was schon vor mehr als 150 Jahren den Einfall für einen nicht wieder totzukriegenden Bestseller bildete, daß nämlich ein Herr Doktor Frankenstein aus Leichenteilen und Gewitter neues Leben zusammenstückelt und zur Strafe für den Frevel ganz schön Ärger mit seinem Unhold kriegt, dieses gelungene Stück gruseliger Unterhaltung nimmt ein moderner Intellektueller ernst, wenn es pseudo-wissenschaftlich als Gefahren und Möglichkeiten fortgeschrittener Naturerkenntnis unterbreitet wird. Und Pfaffen, Forscher und Pressefritzen kommen unisono mal wieder zum Ergebnis, daß der Mensch keinesfalls alles tun darf, was er tun kann.

Das Inventar dieser Moral ist eher noch fiktiver als der olle Frankenstein- und das Monsterproblem. Mit Sprüchen wie "das Leben selbst wird zum Versuchskarnickel" wird prophezeit, daß nunmehr"das letzte Experiment der Menschheit" ins Haus steht. Als ob nicht Naturwissenschaftler ihr Zeugs durch praktische Relevanz fördern, findige Geschäftsleute daraus Gewinn ziehen und Staatsmänner ihre Wirtschaft ankurbeln oder neue Kriegsmittel fabrizieren wollten, appelliert man an die Menschheit schlechthin, und macht vorstellig, daß jedes lumpige Individuum sich in selbstzerstörerischer Weise der Technik bediente oder darüber zu entscheiden hätte. Das Objekt, dessen Schutz "unser aller" Interesse sein soll, ist diesem fingierten großen Experimentator völlig adäquat. Nicht den Leuten gilt die Fürsorge, sondern dem Leben überhaupt, welche Abstraktion dann auch mit einer Kritik an der zerstörerischen Ausnutzung natürlicher Reichtümer nichts gemein hat. Und während einerseits Gen-Bastler die nicht ungelegene, aber zwiespältige Publicity durch den Hinweis zurechtrücken, daß solche Spekulationen unangebracht seien angesichts der Unterentwickeltheit ihres Forschungsstandes, und samt den wirklichen Gefahren einfach damit abtun, das sei ja alles bloßes Laiengeschwätz, propagieren andere im Namen der geknechteten Natur eine höhere Vernunft, die zu allererst bescheidene Ehrfurcht heischen kann - vor dem Prinzip des Lebens und Überlebens:

"Kernspaltung können wir stoppen; Mondlandungen können wir einstellen: auch die Verwendung von Aerosolen, die die Ozonschicht zerstören, ist zu unterbinden; man kann sich sogar dazu entschließen, ganze Völker leben zu lassen, indem man bestimmte Bomben in den Depots läßt. Vollkommen ohnmächtig stehen wir hingegen neuartigen Formen von Lebewesen gegenüber... Meine Generation, oder vielleicht auch die vor mir, ist im Begriff, unter Führung der exakten Wissenschaft einen destruktiven Kolonialkrieg gegen die Natur zu entfachen. Die Zukunft wird uns dafür verfluchen." (E. Chargaff)

Dieser Biochemiker hat wahrlich ein Anrecht darauf erworben, daß ihn Herr oder Frau Zukunft mit Flüchen verschont. Der Leistung des gewöhnlichen Verantwortungsbewußtseins, die täglich vonstatten gehende Zerstörung der Individuen im Kapitalismus in so aparte Probleme wie das des Menschen mit der Technik zu übersetzen, sucht er mit der koketten Ausgestaltung dieser Ideologie den Rang abzulaufen, daß "man" ja selbst den Atomkrieg, falls gewünscht, noch sein lassen könne, während mit der kaputten Biosphäre endgültig alles futsch ist.

Die gottgewollte Unmöglichkeit der Monsterproduktion

Karl Rahner: Zum Problem der genetischen Manipulation.

"Was das biologische Experiment mit menschtichem Keimmaterial angeht, so würde wohl die kathotische Moraltheologie unterscheiden zwischen seiner Gewinnung bzw. deren sittlicher Beurteilung einerseits und dem Experiment mit diesem Material andererseits... Man wird unbedenklich sagen können: eine auf alle künftigen Menschen sich beziehende genetische Manipulation ist technisch undurchführbar, weil ihre Durchführung - bei aller denkbaren Apparatur und Automation -, die sich immer notwendig an den einzelnen Menschen als solchen richtet, eine solche Menge als aktive Manipulation erfordern würde, daß (per absurdum) die ganze Arbeit der Menschheit darin investiert werden müßte."

Rechtshilfe für Minimonster

Georg Strickrodt: Die rechtlichen Probleme öffentlich propagierter und praktisch betätigter genetischer Manipulation.

"Wesenttich ist die Überzeugung, daß solche Lebewesen, in welcher Gestalt sie sich auch darstellen mögen, nicht ohne rechtliche Hllfe gelassen werden."

"Was schtießlich die aus den Eingriffen in die genetische Materialstruktur oder sogar aus der Verwendung von nicht originär genetischem biologischem Material hervorgehenden Lebewesen im vor bzw. nicht-menschlichen Bereich angeht, so ist die Verantwortung für das Produzieren von Monstren als ein eigenes, heute schon akutes Rechtsproblem zu betrachten. Sieht man von kirchenrechtlichen und auch strafrechtlichen Vorstellungen ab, die in früheren Jahrhunderten gegen alchimistische und schwarzmagische Praktiken gerichtet wurden, dann fehlt es in der Rechtswissenschaft an Vorstellungen, die einem solchen Geschehen gegenüber zur Geltung zu bringen sein würden..."