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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1988 erschienen.

Systematik

Bericht aus Nicaragua
EINE REVOLUTION WIRD RUINIERT

Nicaragua, trotz idealem Klima, hübschen Stränden und beschaulichen Wanderwegen, befindet sich nicht im Urlaubsprogramm der Reiseveranstalter. Derzeit betätigt sich dort nämlich der Imperialismus als touristisches Hindernis. Dafür zieht es aber jede Menge alternativ denkende Zeitgenossen in den mittelamerikanischen Staat: In Nicaragua hat nämlich vor mittlerweile 9 Jahren eine Revolution stattgefunden, und das dortige Volk steht seitdem in dem Ruf, allen Widrigkeiten zum Trotz in aufopferungsvollem Einsatz dem Imperialismus standzuhalten. Die so solidarisch respektierte spartanische Lebensweise verdankt sich in Nicaragua allerdings weniger der revolutionären Volksseele und war auch von den Sandinisten als nationale Tugend keineswegs vorgesehen, sondern gehört vielmehr zu den unbestreitbaren Erfolgen nordamerikanischer Außenpolitik.

"Mischökonomie" mit Staat als "Achse der Akkumulation"

Als die Sandinisten 1979 die Macht übernahmen, hatten sie schon einen denkbar schlechten Ausgangspunkt: Den 1,4 Milliarden Dollar von Somoza übernommenen Altschulden standen 3 Mio. Dollar in der Staatskasse gegenüber; das meiste an privatem Kapital war rechtzeitg ins Ausland geschafft worden. Für den Wiederaufbau des vom Krieg gegen Somozas Nationalgarde schwer mitgenommenen Landes war man auf fremde Hilfe angewiesen. Der Westen, einschließlich der USA, waren auch nicht abgeneigt, schließlich hatte man ja den Sieg der Revolution zugelassen, weil man sich selbst in der damaligen US-Regierung unter Carter versprach, mit der neuen Volks-Regierung womöglich besser zu fahren als mit der Somoza-Diktatur. So wie ihre Kreditgeber hatten sich das die Sandinisten allerdings nicht vorgestellt: Ihr Vorhaben war, den Staat zur "Achse der Akkumulation" zu machen, das Privateigentum an Produktionsmitteln zwar nominell beizubehalten, in der erfolgreichen Anwendung desselben aber durch staatlichen Eingriff

"den Überschuß abzuschöpfen, um ihn staatlichen Investitionen und der Erweiterung des Konsums im Volk zuzuführen" (CRIES-Coordinacion Regional de Investigaciones Economicas y Sociales, "Deuda, estabilizacion y ajuste", Nov. 87, S. 15).

Mit dieser "Mischökonomie" hat man sich einen am bloßen "Konsum" des Volkes herzlich uninteressierten Privatsektor erhalten, der die Planungs- und Verteilungsmechanismen, die der Staat austüftelt, recht lässig zu durchkreuzen weiß, besonders in Kriegszeiten, wo die allgemeine Knappheit aus dem Zugang zu Nahrungsmitteln ein einträgliches Geschäft machen kann:

"Unser Land ist mit einer Realität konfrontiert, und der Staat, so gut er auch durch Erlassen von Gesetzen und Dekreten strukturiert sein mag, gibt vor, durch strikte Regelung, über die Kontrolle des Angebots an Massenprodukten und 'sensiblen' Importgütern, eine Kontrolle über den Konsum auszuüben. In der Praxis gibt es diese gerechte Verteilung aber nicht, und die Produkte kommen nicht zu dem bedürftigen Sektor, weil es der private Produzent übernimmt, sie in andere Kanäle zu leiten." (G. D'Ciofalo, Crisis economica y sector informal, Boletin Socio-Economico, 7. Mai 88, S. 13)

Aus der angestrebten "Akkumulation" ist seit 1981 der konstante Versuch geworden, irgendwie die für den Erhalt des Staates notwendige Devisenmenge zusammenzukratzen. Und das nicht etwa wegen solcher o.ä. Widersprüche und Fehler beim Aufbau einer Wirtschaft unter revolutionären Zielsetzungen, sondern vor allem, weil man sieh schon sehr bald die Feindschaft der Weltmacht Nr. 1 zuzog, mit der man seitdem (über-)leben muß, ohne sie sich leisten zu können. Keine Rede also davon, daß sich in Nicaragua eine einigermaßen stabile staatlich geplante Wirtschaft, gar nach realsozialistischem Vorbild mit privateigentümlichem Wurmfortsatz überhaupt erst entwickeln hätte können. Solchen Experimenten wußten die entsprechenden Institutionen einen Riegel vorzuschieben: Bis '82/'83 stellten Weltbank und die Interamerikanische Bank für Entwicklung (BDI) sowie sonstige Fonds auf Betreiben der USA sämtliche Zahlungen ein. Die Sandinisten hatten ihrerseits seit 1979 vom Sonderziehungsrecht des IWF keinen Gebrauch mehr gemacht, um sich nicht den Bedingungen des Fonds zu unterwerfen. Damit waren 78% der bisherigen Kreditquellen perdu. Man ist auf die recht spärlich fließenden "bilateralen" Kredite aus den Contadora-Staaten, der EG und dem Ostblock angewiesen. Der Fall der Exportrate wegen mangelnder Finanzmittel zur Aufrechterhaltung der Produktion reduziert seitdem immer drastischer die verfügbare Devisenmenge.

Das heißt durchaus nicht, daß Nicaragua von dem üblichen Schuldendienst ausgenommen wäre:

"Allein der Schuldendienst für kurzfristige Kredite, der bezahlt werden muß, um das tägliche Funktionieren der Ökonomie zu garantieren, belief sich 1986 auf 83 Mio. Dollar, mehr als ein Viertel der Exporteinkünfte." (CRIES, Deuda..., S. 35)

Seit 1981 haben die Sandinisten bei den kommerziellen Banken keinen Kredit mehr. Dabei sollte man sich nicht dem Vorurteil anschließen, bei der Behandlung Nicaraguas durch die internationalen Kreditinstitute wäre ganz besondere Unmenschlichkeit am Werke. Schließlich handelt es sich bei der Kreditvergabe durch die Fonds nicht um caritatives Wirken, sondern um die Verpflichtung, sich für den Weltmarkt benutzbar zu machen und zu erhalten, was bei den entsprechenden Ländern nur mit einer gehörigen Verarmung der Volksmassen geht. Kreditstopp und Wirtschaftsembargo (seit Mai '85) sind vielmehr die Strafe dafür, daß die nicaraguanische Regierung ihre Souveränität nach dem Geschmack der Freien Welt mißversteht, indem sie glaubt, Bedingungen an den Gang der nationalen und internationalen Geschäfte stellen zu können, anstatt für diese die Bedingungen herzustellen. Diese Maßnahmen haben keinen anderen Zweck als der mittlerweile 7 Jahre zählende Krieg der Contras: eine massive Erpressung, um Nicaragua bald wieder in die Riege der westlichen Völkergemeinschaft einreihen zu können. Auch die verbleibenden Finanzspritzen sind wenig tauglich, in Nicaragua eine soziale Revolution zu befördern:

"Die spärlichen Kredite kommen im allgemeinen unter Bedingungen, die den Import von Kapitalgütern begünstigen" - es handelt sich meist um kreditierte Importe - "Der Bestandteil der disponiblen flüssigen Devisen ging zurück von 90% der Importe des Landes 1980 auf nur mehr 18% 1985, somit verringerte sich die Möglichkeit der Anschaffung von Ersatzteilen und Rohstoffen. Dies hat auch die Überbewertung des Cordobas bewirkt, was es billiger erscheinen läßt, neue Maschinen zu importieren, als die existierende Ausrüstung zu reparieren und instandzuhalten." (ebenda, S. 39)

Die Jagd nach dem letzten Fetzen Weltgeld

So versuchen die Sandinisten in alljährlichen "Angleichungsmaßnahmen" ihren Außenhandelsbilanzen ein Schnippchen zu schlagen und müssen dabei ein ums andere Mal feststellen, daß nicht sie es sind, die über die Erfolge des staatlichen Wirtschaftens entscheiden: Die Dollareinkünfte aus Kaffee-, Baumwoll- und Bananenexport bringen lange nicht genug ein, um die notwendigen Importe für die Aufrechterhaltung der Produktion, geschweige denn des Lebensstandards der Produzenten zu garantieren.

"Dieser Wert (der Exporterlös) repräsentierte nicht die Anstrengungen, die die Gesellschaft für diesen Dollar aufbringen mußte." Also, so interpretiert das der nicaraguanische Finanzminister William Hüpper.

Von dem Euphemismus, so ein Dollar hätte eigentlich seinen ganz naturwüchsigen, "repräsentativen" Gegenwert in einer bestimmten Menge von "Anstrengung", und dieses Verhältnis wäre aus dem Lot geraten, bleibt als traurige Wahrheit übrig, daß die nicaraguanische Ökonomie einfach nicht genügend Mittel hat, seien es Devisen, seien es Produktionsmittel, um aus dem Exportgeschäft mehr werden zu lassen als eine Verlangsamung des Produktionsabbaus. Von wegen also "zu anstrengend". Ganz abgesehen davon, daß die Kreditzettel der imperialistischen Führungsmacht zu irgendwelchen "Anstrengungen" oder erbrachten Arbeitsleistungen in keinerlei Verhältnis stehen, sondern durch die Gewalt der USA "gedeckt" sind, müßte dem sandinistischen Minister doch inzwischen aufgegangen sein, daß seiner Gesellschaft alle Voraussetzungen für einen ökonomischen Erfolg auf dem Weltmarkt fehlen. Exporte aus Nicaragua sind nie ein Geschäft für den Exporteur, und schon gar keins gemäß den Vorstellungen eines nicaraguanischen Nationalökonomen von gerechtem und die Entwicklungsbedürfnisse des Landes bedienenden Tauschrelationen zwischen Weltgeld und nationalem Arbeitseinsatz in einem 'Drittwelt'-Land; Ergebnisse der verzweifelten Notwendigkeit, um jeden Preis an Dollars ranzukommen, weil sonst die Ersatzteile fehlen, um überhaupt eine industrielle Produktion im Lande aufrechterhalten zu können.

Das einzige "Mittel", das der Staat zur Verfügung hat, ist seine Währung, von der er auch reichlich zirkulieren läßt, um Kooperativen und Produzenten mit "Liquidität" auszustatten. Für die Anschaffung von dienlichem Zeug taugt die freilich wenig. Da braucht es Devisen, die die Nationalbank zuteilt - und zwar sparsam. Ihre Dollarnot kleiden die staatlichen Ökonomen in komplizierte Bewilligungsvorgänge mittels "Zertifikaten über Devisendisponibilität" und verschiedener Wechselkurse für verschiedene Importgüter, was nebenbei noch ein gehöriges Preischaos hinterläßt. Zudem lebt das Land mit einer ansehnlichen Inflation, und der mit Cordobas ausgestattete Normalbürger muß ständig feststellen, daß seine Lappen nur insoweit ihre Funktion als Kaufmittel erfüllen, wie es dafür überhaupt etwas zu kaufen gibt.

Wo der Staat den Mangel nur durch die vermehrte Ausgabe immer wertloserer Nationalwährungszettel beantworten kann und gleichzeitig ständig den Devisenbedarf der Leute zügeln muß, da bleibt die anderweitige Versorgung der Bedürftigen nicht aus: Zum einen unterläuft eine stattliche Anzahl von Wucherern erfolgreich die staatlichen Preiskontrollen. Sie fallen dabei wegen der nicaraguanischen Mischökonomie in ihrer Eigenschaft als freie Unternehmer noch nicht einmal per se der Illegalität anheim. Zum anderen sorgen Privatunternehmer, Emigranten in spe, Leute, die ihre Ersparnisse lieber in echtem Geld aufbewahren wollen, sowie die Tatsache, daß

"in unserer Gesellschaft eine immer größer werdende Zone existiert, in der die Transaktionen ausschließlich in Dollar oder ihrem Äquivalent in Cordobas nach der Schwarzmarktrate gemacht werden (Kauf und Miete von Immobilien, Kauf von Fahrzeugen und Elektrogeräten etc.)" (INIES - casa de cambio e inflacion, S. 5)

dafür, daß dem Devisenschwarzmarkt die Kundschaft nicht ausgeht. Die mit Spenden an oppositionelle Organisationen und "Care Paketen" emigrierter Nicas (allein eine halbe Million in den USA) ins Land geschleusten Dollars mausern sich für deren Besitzer zu einem flotten Geschäft, und die Contra kriegt auch ihren Teil ab. Die Sandinisten wollten auch an dieser Devisenquelle nichts unversucht lassen und eröffneten offizielle Wechselstuben mit einem Kurs geringfügig unterhalb des Schwarzmarkts, "als einzige Attraktivität die Legalität der Transaktion anbietend" (ebenda, S. 7). Davon mag sich tatsächlich so manche ehrliche Brigadistenhaut beeindrucken haben lassen bei der Frage, wohin er denn seine grünen Lappen tragen soll. Gleichzeitig versuchte man, die Dollargelüste der Leute vom Schwarzmarkt wegzulocken und bot legale Dollars zu höherem Kurs an. Für das Volk öffneten sich die staatlichen Intershops (diplotiendas), wo für Dollarträger alles zu haben ist, was Panamas Freihandelszone an Konsumgütern feilbietet.

Diese aufgeregte Devisenjagd ist aber leider ganz und gar kein "automatischer Ausgleich" für die verbuchten "Wechselverluste" in der Außenhandelsbilanz, sondern eine sehr mühevolle Angelegenheit. Sie zeigt bloß die pure Bedrängnis, auch den letzten Fetzen vom Weltgeld nicht verschmähen zu können.

Revolutionäre Rechenkunststücke

Kaum verwunderlich, daß die Sandinisten schließlich, um nicht Mittel für den Krieg streichen zu müssen, durch Preiserhöhungen bzw. "Liberalisierung" der Preise, teilweisen Abbau der Subvention für Konsumgüter, also Reallohnsenkungen und eine "Straffung" der Verwaltung sämtliche sonst anfallenden Kosten zu senken versuchten. Weil in den Jahren des Aufbaus beim bestem Willen nicht jedem Nica ein Arbeitsplatz in Landwirtschaft und Industrie beschert werden konnte, hatte man die Leute nämlich im Rahmen eines sozialen Beschäftigungsprogramms in den Staatsdienst gestopft, was dem Volk 40 Ministerien bescherte. (Nebenbei: In den Nachbarstaaten dürfen unbrauchbare Eingeborene in den Slums krepieren.) Das wird jetzt rückgängig gemacht. 10% der Verwaltungskosten sollen gespart werden (auch hier nicht, ohne den Eingesparten eine Kaffeepickerstelle als Ersatz anzubieten).

Gleichzeitig wollte man das durch die verschiedenen Wechselkurse verursachte Preischaos in Ordnung bringen, und alles wieder in die gewünschten Relationen setzen. Man überraschte das staunende Publikum mit einer Währungsreform, kreditiert durch 300 Mio. Dollar von EG und Contadora (- schon mal vor Kriegsende einen Fuß in die Tür gesetzt...) Im neuen Verhältnis zum Dollar wurden drei Nullen weggekürzt -

"damit die importierten Waren den Wert bekommen, den sie wirklich haben... und um die Exportproduktion zu stimulieren, damit sie... mehr Rentabilität erzeugt, um so mehr Dollars einzunehmen." (Finanzminister William Hüpper)

Der Mann weiß natürlich ganz genau, woher diese "Unrentabilität" kommt: (a) Die Betriebe können aus Mangel an Hilfsmitteln (eben die "Importe", die, weil sie so rar sind, den Betrieben immer noch ein bißchen mehr wert sein sollen) nur ziemlich schlappe Resultate erbringen. (b) Der Krieg legt so manchen Kaffeeanbau überhaupt lahm. (c) Wo dann mal produziert werden kann, fehlen auch noch die Leute wegen des Kriegs. Und der Mann müßte auch wissen, daß diese Unrentabilität nicht darin ihren Grund hat, daß die Betriebe den alten Cordobas nicht eifrig genug nachgejagt sind. Er interpretiert einfach die Not, die in der Entscheidung liegt, mit der Versorgung durch nutzlose "alte" Kredite nicht fortfahren zu wollen, in die Tugend um, durch die neuen "straffen" Geldgrößen sei der Verschwendung vorgebeugt, und das wäre so was wie Stimulierung.

Darüber hinaus behielt die Nationalbank alle Beträge über 10000 neue Cordobas (1.000 Dollar) ein, um so die zirkulierende Geldmenge zu verringern, weil nach Auffassung der nicaraguanischen Wirtschaftspolitiker

"die Inflation das Resultat der Existenz einer enormen Geldmasse ist, einer großen Anzahl von Scheinen, die auf der Straße ohne materielle Deckung zirkulieren... Es ist ein Problem der Proportion. Die Preise der angebotenen Güter sollten in Proportion zu der Menge des zirkulierenden Geldes stehen, wenn man die zirkulierende Geldmenge erhöht, provoziert man einen fürchterlichen Wettbewerb um die Artikel, so erzeugt man Inflation und auch Spekulation und schädigt so die Leute, die ein Einkommen erhalten, also die Lohnempfänger." (derselbe)

Leider liegt auch hier der Witz bei der Geschichte mal wieder auf der Seite der "materiellen Deckung". Es gibt nämlich ganz unabhängig von viel oder wenig Scheinen an nützlichem Gut kaum was zu kaufen. Und die enorme Geldmasse verdankt sich ja gerade den bisherigen Versuchen, die Güterproduktion mit einheimischem Kreditgeld "anzukurbeln". Das suchte sich dann auf dem Devisenschwarzmarkt seinen "wirklichen" Wert in Dollars. Auf dem Schwarzmarkt für Konsumgüter ist sowieso freies Schachern angesagt.

Sowenig die Misere in "falschen Proportionen" ihren Grund hat, sowenig bringt auch das Zurechtrücken dieser Proportionen durch Zahlenspielerei die erhoffte Linderung. (Immerhin hatten die Sandinisten ein wenig kriminalistischen Spaß bei der Verringerung der Geldmenge: Die US-Botschaft Managua mußte nämlich das für die Contra gehortete Altgeld auf genügend Freunde und Förderer verteilen, und das in 3 Tagen, was nicht ohne Hektik abging.)

Im Zuge der Reform wurden die Löhne angehoben und eine Liste von 46 Basisgütern und 4 öffentlichen Dienstleistungen aufgestellt, die man sich damit monatlich leisten können sollte. Nach wie vor kann man aber die besagten Waren zu Garantiepreisen in ausreichender Menge nicht bereitstellen, also müssen die Leute wieder auf den privaten Sektor abwandern, auf dem die Händler die Preise ganz einfach durch 1000 teilen und mal 5 nehmen. Die Sandinisten versuchten ein paar Tage lang, die illegalen Preistreiber in großangelegten Aktionen von den Märkten zu vertreiben, um die geplanten Preise durchzusetzen, worauf die Händler und Produzenten das Zeug ganz einfach in den Kisten vergammeln ließen. Zwischenzeitlich waren in Managua Reis und Seife überhaupt nicht zu haben. Also schloß man sich den Preiserhöhungen an und bewirkte damit eine saubere Reallohnsenkung. Seitdem steigen die Preise fast wöchentlich. Auf den Märkten gibt es so gut wie alles zu kaufen, aber zu Preisen, die den nicaraguanischen "Lohnempfänger" von immer mehr Gütern des täglichen Bedarfs ausschließen.

Solche Formen der Verelendung stehen freilich nicht im sozialstaatlichen Programm der Sandinisten. An gutem Willen mangelt es der FSLN (Frente Sandinista de Liberacion Nacional) wahrlich nicht. Der hat ihnen z.B. eingegeben, daß man durch Aufteilen der weltlichen Genußmittel in nicht so notwendige wie Bier, Zigaretten, Cola und alles, was Spaß macht (da kann man die Preise ruhig stärker steigen lassen) und unumgänglich notwendige (die sollte man der Menschlichkeit halber bezahlbar halten), eine sozialstaatliche Unter-dem-Strich-Rechnung machen kann, ohne die Einnahmen zu schmälern. Und wenn's ganz schlimm kommen sollte:

"Bevor die Unternehmen für die Produktion geschlossen werden, schließen wir die Schulen, die machen immerhin 12% des Haushalts aus." (Präsident Daniel Ortega, 10.6.88)

- Bis zum bitteren Ende.

"Innere Opposition" von außen

Die Armut, die recht drastisch das erfolgrerche Fortkommen imperialistischer Zersetzungsarbeit dokumentiert, wird in der westlichen Welt üblicherweise ganz locker unter die guten Gründe eingereiht, warum die USA ganz zurecht einem so "unmenschlichen System" die Feindschaft angesagt haben. Auch der dem "Yankee-Imperialismus" abholde, kritische Bürger weiß immer noch sehr objektiv nachzuhaken, ob nicht die Sandinisten auch was falschgemacht hätten. Damit steht die weltpolizeiliche Zuständigkeit des Westens auch für kritische demokratische Weltbürger in Europa außer Frage. Den meisten leuchtet ohne weiteres ein, daß in Nicaragua "Versorgungsengpässe" oder auch einmal mangelndes Feingefühl im Umgang mit der indianischen Bevölkerung allemal ein Grund sind für die USA, das ganze Land und seine Bevölkerung mit Krieg zu überziehen. Aus echten und angeblichen Fehlern der Sandinisten werden so lauter Rechtfertigungen für imperialistischen Terror.

Die "innere" Opposition in Managua macht sich ebenfalls über die"sandinistische Mißwirtschaft" her. Sie muß dabei nicht offen als Parteigänger der USA und ihres Contra-Krieges auftreten, wenngleich ihre Alimentierung aus den Fonds des CIA ein offenes Geheimnis ist. Aus schierem Patriotismus wartet sie mit den ehernen Idealen von Freiheit und Demokratie auf, weshalb niemand mißverstehen kann, worauf diese "Opposition" hinauswill: Sturz der Regierung und Rückgängigmachung der Revolution, die unter "Freiheit" nicht die Freiheit des Kapitals versteht, und deren "Demokratie" ausgerechnet die Kräfte an der Macht bestätigt hat, denen die real existierenden Demokratien der Freien Welt den Krieg erklärt haben.

In dem Oppositionsbündnis Coordinadora Democratica ist verdientermaßen die Unternehmerorganisation COSEP die dominierende Kraft, der sich 5 politische Parteien und 3 Gewerkschaften angeschlossen haben.

"Während der Diktatur Somozas repräsentierte COSEP so gut wie alle großen Unternehmer und Großgrundbesitzer, die nicht zur Fraktion Somozas gehörten, einschließlich der Bankiers und Finanzgrößen. COSEP verurteilte nicht die Ungleichheit in Nicaragua, sondern konzentrierte sich auf die 'Ungerechtigkeit' der somozistischen Ökonomie, die die Geschäfte und Gewinne im Lande monopolisierte." (C. D. Molina, Participacion popular en Nicaragua)

Kein Wunder, daß Nicaraguas Kapitalisten und Großgrundbesitzer, die mit Somoza teilen wollten, jetzt Zeter und Mordio schreien, wenn die Regierung ihnen zumuten will, "Geschäfte und Gewinne" mit der Revolution fürs Volk zu teilen. Auf Demokratie kam es ihnen damals erst dann schwer an, als sich der Somoza-Clan unnachgiebig zeigte. Und unterm Sandinismus bewiesen sie ebenfalls ein sehr pragmatisches Verhältnis zur Volksherrschaft: An den Wahlen von 1984 nahmen sie auf Geheiß ihrer Paten in Washington vorsichtshalber nicht teil, weil sie tatsächlich so frei abgehalten wurden, daß man sich für die Coordinadora keine Chancen ausrechnete. Inzwischen nehmen sie am "Nationalen Dialog" teil und verhandeln mit der Regierung über eine "Demokratisierung" Nicaraguas, worunter sie einen freiwilligen Machtverzicht der FSNL verstehen.

Da kann man zum Thema Freiheit zunächst mal mit ein paar gängigen Hetzereien aufräumen, die in den freien Weltgegenden so über den "Totalitarismus" der Sandinisten kursieren. Ganz im Gegensatz zu so manch demokratischem Land Mittel- und Südamerikas, wo Kandidatur und öffentiiche Agitation für oppositionelle Parteien (von links) üblicherweise mit Einsargen quittiert wird, muß die Rechte Nicaraguas keineswegs in dunklen Hinterzimmern konspirieren. An jeder zweiten Ecke Managuas steht ein Parteibüro irgendeiner der "Geknechteten". COSEP hat allein zwei Dutzend aufs Land verteilt, und an öffentlichen Plakatwänden mangelt es ihnen wahrlich auch nicht.

Deshalb sieht aber in den rechten Kreisen keiner seine Vorwürfe blamiert. Das Problem beim freien Meinen hier ist nämlich nicht, daß man es nicht darf, sondern daß es die falsche Regierung gewährt, die es sich auch noch leisten kann.

Dummerweise lassen sich die Sandinisten auf diesen blöden Demokratiestreit ein, indem sie frech behaupten, sie hätten die "wahre" Demokratie eingerichtet, weil sie durch zahllose Komitees, Volksorganisationen und in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen die demokratische Mitbestimmung der Volksmassen institutionalisiert haben. Diese Institution "realsozialistischer Selbstkritik" macht hier allemal den Großteil des öffentlichen politischen Lebens aus. Nach bester Glasnost-Manier wurde lange vor Gorbatschow z.B. die spannende Frage diskutiert, ob der staatliche Milchhof, wenn er die Abfüllung einstellen muß, weil in der Lieferfirma für Plastiktütchen Rohstoffmangel herrscht, dies nicht eher hätte mitteilen oder ob die Lieferfirma den Milchtüten-Engpaß nicht schon eine Woche früher hätte vorhersehen können.

Da weiß dann ein staatstheoretisch gebildeter Frager während des von der Konrad-Adenauer-Stiftung in eine Luxushotel Managuas veranstalteten Seminars "Demokratie und Wahlen" den anwesenden Regierungsvertreter in echte Nöte zu bringen:

"In welchem demokratischen Land der Welt stattet die Regierungspartei die Streitkräfte mit ihren Insignien aus?"

Korrekte Antwort: in keinem. Das hält aber auch keine Demokratie der Welt davon ab, im Bedarfsfall ihre neutral insignierten Soldaten auf andere neutral insignierten Soldaten zu hetzen, oder gar, ganz neutral-unsigniert, einen fremdländischen Söldnerhaufen den Job machen zu lassen.

Natürlich hängen diese Kritiker des Gewaltmonopols der sandinistischen Regierung keineswegs ganz zweckfrei den Idealen von Pluralität und Gewaltenteilung nach:

"Nun, man hat einen Fehler begangen und begeht ihn weiterhin.,Nur die Arbeiter und Bauern werden zum Ziel kommen, steht unter einer Statue, die sich gegenüber dem Theater Gonzales befindet. Sagen Sie mir, meine Herren, welcher Unternehmer, so sehr er auch belohnt sein mag und so angespornt er sich fühlen mag, wird glauben, er sei Teil dieses Projekts? Das ist er nicht. Und sie sagen uns das auch täglich, doch wir sind so ungläubig, daß wir es nicht für bare Münze nehmen. Uns erscheint das als eine Lüge, daß es nicht stimmt, sich die Denkweisen ändern werden und dies eines Tages verschwinden wird. Aber es verschwindet nicht, die Statue ist wunderschön groß und aussagekräftig, und sie haben sie nicht dort aufgestellt, um sie morgen wegzuwerfen: 'Nur die Arbeiter und Bauern werden zum Ziel kommen'... Aber ich habe noch nie gesehen. daß man irgendeinem Unternehmer eine Nettigkeit gesagt oder ihn beglückwünscht hätte... Wir sollten nicht miteinander umgehen, als ob wir uns nicht kennen würden, als ob wir absonderlich wären, so wie ich mich im Moment fühle. Ich fühle mich fast absonderlich." (Mario Hannon, Unternehmer, No hay garantia para la propiedad, in: foro - debate I, Okt. 87, S. 35)

So macht man aus dem Gram über einen Mangel an Freiheit fürs Privateigentum auch noch einen Fall für Menschenrechtskommissionen. Diese gequälte Unternehmerseele, trotz Gutwilligkeit ihrer Initiative beraubt und durch üble Regierungshetze in ein schäbiges Randgruppendasein gedrängt, verdient wirklich eine Unterschriftenaktion. Es ist schon ein Kreuz: Da haben die Sandinisten nach der Revolution nicht etwa die Kapitalistenklasse einer Existenz als Schuhputzer und Straßenreiniger anheimfallen lassen - schlecht gelebt wird in Geschäftskreisen wahrlich nicht -, aber trotzdem läßt sich mit dem ganzen Privatwirtschafteln so was Rechtes nicht anfangen, weil einem der Staat ständig auf die Finger schaut. Und zum Beweis, daß die so in die Enge Getriebenen als gute Patrioten ("Nicaragua liegt uns am Herzen") doch ganz gewiß fürs Vaterland noch einiges aus dem Hut zaubern würden, wenn man ihnen doch nur endlich anständige Bedingungen dafür schaffen würde, wird so getan, als ob Krieg und Wirtschaftsembargo irgendwie aus "Fehlern" der Sandinisten beim Umgang mit der Unternehmerschaft entsprungen wären und als ob auf Verstöße gegen das Geschäftsinteresse des Privateigentums eben zwangsläufig Terror folgen müßte.

Daß solche recht handfesten Interessen ständig mit dem Ruf nach FDGO verfochten werden, ist gar nicht geheuchelt. Sie sind ganz und gar aufrechte Anhänger einer Staatsordnung, die der Geschäftsfreiheit dient, und wissen deshalb ganz genau, daß die existierenden parlamentarischen Einrichtungen wie Nationalversammlung und Nationaler Dialog für sich gar nichts bringen, weil die Sandinisten unter "Volksherrschaft" doch immer noch eine Parteilichkeit gegen die kapitalistische Benutzung des Volkes im Dienste einer die Nation stärkenden Akkumulation verstehen.

Der laufende Krieg ist da der "inneren Opposition" nicht nur nicht unwillkommen, sondern sogar ganz unverzichtbarer Beistand. Mit dessen tatkräftiger Unterstützung taugt der "Drei-Parteien-Dialog patriotischen Charakters, in welchem die Frente Sandinista mit den ihr verbündeten Parteien, die zivile Opposition, repräsentiert durch die Coordinadora Democratica... und die bewaffnete Opposition - die Resistencia Nicaragüense (RN) - mit ihrem politischen als auch militärischen Arm teilnehmen", wirklich dafür, "die Stabilisierung des Demokratisierungsprozesses voranzutreiben" (COSEP-Vorschlag zu Verhandlungen, Mai 88). Denn, wie sagte CDU-Nicaragua-Experte Scharrenbroich so treffend:

"Bisher hat noch kein kommunistisches Regime der Welt die Macht freiwillig abgetreten." (Spiegel, 9.5.88)

Verhandlungen mit der Contra

Der ganze Contra-Krieg war von Anfang an nicht auf einen militärischen Sieg gegen die sandinistische Volksarmee angelegt, so daß er jetzt auch nicht durch einen Waffenstillstand und einen Friedensvertrag einfach beendet werden könnte. Die Terroristengruppen aus ehemaligen Angehörigen der somozistischen Nationalgarde, Söldnern und von der Revolution abgestoßenen Indianern und Lumpenproletariern hatten nie den Auftrag, Managua zu erobern. Ihre Funktion bestand erklärtermaßen darin, möglichst viele Leute umzubringen, Dörfer zu verwüsten, Produktionsanlagen, Schulen und Krankenhäuser unbrauchbar zu machen, Felder abzubrennen und Striaßen zu verminen - d.h. die Revolution zu sabotieren, so daß für die Massen der Nicas keine einzige Errungenschaft übrigbleibt und Sandinismus gleichbedeutend ist mit Krieg. Dem Volk sollte mit Gewalt beigebriacht werden, daß es sich nicht lohnt, gar lebensgefährlich ist, Führern zu folgen die nicht von den USA autorisiert sind. Obwohl es die Contra nicht geschafft hat, die Massen gegen die Comandantes aufzubringen und die Revolution zur Aufgabe zu zwingen, kann sich ihr Erfolg durchaus sehen lassen: Die Regierung Nicaraguas ist inzwischen so dringend auf Frieden angewiesen, daß sie die Schergen einer feindlichen Macht als Verhandlungspartner anerkennt, mit denen man sich über die zukünftigen Verhältnisse in Nicaragua einigen muß.

Die Verhandlungen in ihrem bisherigen Verlauf haben deutlich gemacht, daß für die Contra-Gruppierungen "Frieden" überhaupt kein Verhandlungszweck ist, sondern die Verhandlungen lediglich als Mittel betrachtet werden, den Sturz der Sandinisten ohne Krieg voranzutreiben. Ihre Schwäche liegt darin, daß sie ohne massive US-Hilfe, die zur Zeit nicht in Aussicht steht, keine ernsthafte Bedrohung für Nicaragua sind. Andererseits müssen die Sandinisten ihnen fortlaufend Angebote und Zugeständnisse machen, weil sich Nicaragua keinerlei Krieg und Terrorismus mehr leisten kann, ohne auf alle Ziele der Revolution zu verzichten. Darin liegt eine Schwäche dieser Volksregierung, daß sie nicht wie eine normale Regierung in Lateinamerika Leichen, Not und Elend als Spesen politischen Erfolgs lässig einkalkuliert, sondern politisch damit erfolgreich sein will, was für ihr Volk zu tun.

Die Sandinisten bieten also allen Ernstes eine "Reintegration" der Contras ins politische Leben Nicaraguas an; wohlwissend, daß sie damit den erklärten Feinden der Revolution eine legale Stellung für ihre Position einräumen. Die Contra akzeptiert dieses Angebot nicht und möchte als bewaffnete Macht anerkannt werden, die unter Waffen im Lande einer "politischen Umgestaltung" assistiert, an deren Ende die Ersetzung der FSNL-Regierung durch eine "demokratische Koalition" stehen soll.

Die Regierung versuchte ihrerseits an die Machtbeteiligung der RN einen Waffenstillstand zu knüpfen, in dessen Verlauf beide Seiten eine Entwaffnung in Gang setzen sollten. Die dabei herausgekommene Waffenruhe von 60 Tagen (Sapoa-Vertrag), so ganz zufälligerweise ausgerechnet kurz nachdem die USA durch Entsendung von 3200 Marines nach Honduras noch mal ein wenig Loyalität bekundet hatten, war seitens der Contra von vornherein als gemütliches Sammeln und Ordnen geplant, um angeschlagenes Kriegsgerät wieder instandzusetzen. (Im Vertragsvorschlag extra auserbeten.) Ganz nebenbei entließen die Sandinisten noch 100 politische Gefangene, allesamt Contras und Ex-Nationalgardisten Somozas.

Im Freien Westen wird diese gelungene Freipressung inhaftierter Terroristen durch ihre bewaffneten Gesinnungsgenossen als bei weitem noch nicht ausreichende "Geste" der Sandinisten zur "Demokratisierung" gewertet. Dabei dürfte den Comandantes dieser Entschluß nicht leicht gefallen sein: Immerhin verdankt die Contra-Armee die Mehrzahl ihrer kampftüchtigen Rekruten jenen 2000 Mitgliedern von Somozas Nationalgarde, die von der siegreichen FSNL damals einfach laufengelassen worden sind, wofür sich die Revolution ein paar Tage lang einer guten Presse über ihren "humanen Charakter" erfreuen durfte.

Die an baldigem Friedensschluß so ganz uninteressierte "unkonstruktive" Haltung der Contras bietet den Sandinisten wenigstens reichlich Gelegenheit, ihre einwandfreie moralische Überlegenheit in punkto Verhandlungsbereitschaft zu bekunden. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich derzeit im Lande Mutmaßungen über die innere Zerrissenheit der Contra-Crew, die wohl ausgelöst wurde, nachdem der US-Kongreß so beherzt durch Bewilligung von nur 19,9 Mio. Dollar garantiert humanitärer Hilfe die Nicaragua-Politik der Reagan-Administration im Wahljahr '88 als "ineffektiv" kritisierte. Nun mag es ja sein, daß sich die RN in eine 'zivile' Fraktion der ehemaligen Bourgeoisie und eine 'militärische' der ehemaligen Nationalgardisten aufteilt - (Die Contra war nie eine "homogene" Partei, sondern ein von den USA eingerichtetes und zusammengehaltenes militärisches Zweckbündnis.) - und daß diese mehr denn je zerstritten sind. Es mag auch sein, daß sich da eine gewisse Unsicherheit ausbreitet, ob die USA bereit sein werden, den Krieg wie bisher weiterzufinanzieren. Aber das verdankt sich keineswegs der reumütigen Einsicht, man habe in Sachen Mittelamerika doch ein wenig überhart zugeschlagen, sondern der Unzufriedenheit darüber, daß der ganze siebenjährige Buschkrieg den rechten Erfolg bis jetzt noch nicht gezeitig hat. Der anstehende Personalwechsel in den USA mag da möglicherweise Kurskorrekturen bringen. Nicaragua wird deshalb sicher nichts von der imperialistischen Aufmerksamkeit einbüßen, die ihm die Weltmacht Nr. 1 bisher hat zukommen lassen.

"Was Reagan in 7 Jahren nicht geschafft hat, das wird ihm in den 7 Monaten, die ihm bleiben, auch nicht gelingen." (D. Ortega, 5.6.88)

- Dann muß eben der nächste ran.

Und des Volkes Stimme?

Angesichts des Krieges heizen die Sandinisten ganz gehörig nicaraguanischen Nationalstolz an. Der dabei herausgekommene Hurra-Patriotismus ist aber keineswegs bloß Masche von Parteibonzen und Spruchbändern: Es kann einem passieren, daß selbst der abgerissenste Eisverkäufer bei der Waffelübergabe gleich noch eine vaterländische Kampfestirade vom Stapel läßt: "Patria libre o morir" etc. (Freies Vaterland oder Sterben).

Auch bei der Bewertung und Bewältigung des alltäglichen Elends stellen die Leute hier immer die USA in Rechnung und schreiben das ihrer Regierungsmannschaft gut, wenn auch in reichlich begriffsloser Form. Was aber irgendwie auch nicht verwundern mag bei der mythischen "Aufklärung", die hier in Sachen Anti-Imperialismus geleistet wird:

"Die 'Frente' ist Gesang, Feuer, Wasser, Luft, Donner, und die Feinde des Volkes werden nicht durchkommen." - Ursprünglich war dai doch mal eine politische Organisation, die einen Zweck verfolgte, mag sich da so mancher Nica wundern - "Präsident Reagan mag sich überzeugen, daß der Haß und die Ungerechtigkeit die Liebe und Gerechtigkeit nicht zerbrechen können. Daß er, obwohl er eine militärisch und ökonomisch machtvolle Nation repräsentiert, niemals das Volk Nicaraguas schlagen wird. Das Schlechte kann nicht über das Gute siegen. Ihre Söldner, Präsident Reagan, sind nicht durchgekommen und werden auch nicht durchkommen" (Proclamacion de la Direccion Nacional del FSLN 1986)

Kaum verwunderlich, daß sich der eine oder andere bei so einem Gesülze und angesichts neun Jahren dreimal täglich Reis und Bohnen überlegt, ob nicht doch das Gute vom Schlechten ganz schön was am Zeug geflickt bekommen hat, und was am Guten eigentlich noch gut ist, besonders, wenn Nachbars zweimal im Monat von der ins Schlechte ausgewanderten Verwandtschaft Futter und Dollars geschickt kriegen. Mit der sinnigen Entdeckung, die Sandinisten hätten ihre Versprechungen nicht gehalten, kommt da meist die blöde Haltung des Enttäuschtseins raus. Dabei will jeder weiland '79 Sandinist an vorderster Front und von der Revolution hellauf begeistert gewesen sein, aber die Sandinisten hätten den ganzen schönen Enthusiasmus versiebt.

Für die tägliche Seelenmassage dieser Enttäuschten sorgt da das Lieblings-Sorgenkind westlicher Experten in Sachen Freies Meinen, die oppositionelle Tageszeitung "La Prensa", nach längerer zwangsweiser Abwesenheit seit Sept. 87 endlich wieder im Handel. Die bietet allabendlich druckfrisch christliches Aufbauprogramm, hat immer ein paar sandinistische Menschenrechtsverletzungen auf der bunten Seite und weiß für jedes Übel im Lande die rechte Erklärung: Es sind halt die Kommunisten am Werke. So bietet das Blatt in seiner Ausgabe vom 4.6.88 in Form einer Besprechung des sandinistischen Lesebuchs für die 1. Schulklasse erlesenste Systemkritik:

"Der Prozeß des Lesenlernens ist zu einer schmerzhaften, frustrierenden, unbegreiflichen und schädlichen Angelegenheit für das nicaraguanische Kind geworden... Die Silben 'ma, me, mo' sind die einzigen, die in der Lektion 'm' vorgestellt werden. Was ist mit 'mi' und 'mu'? 'Mi' kommt zusammen mit 'pi, vi, bi' und 'mu' zusammen mit 'bu, vu' und 'pu'. Dem logischen Zusammenhang gemäß müßte man 'ma, me, mi, mo, mu' zusammen vorstellen... Hier steht das Kind als Individuum gegen das System, statt dem System für es... und das ist die Zukunft Nicaraguas."

Gott sei Dank finden sich noch in den finstersten Weltgegenden allemal ein paar beherzte Seelen, die auch vor der übelsten Repression den Griffel nicht sinken lassen und im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit schonungslose Aufklärung über das sozialistische Übel betreiben!

Dann gibt's da noch die Bewegung

Haufenweise lassen sich gutgewillte junge Europäer und Amis finden, die, in der Heimat meist eine normal-bürgerliche Existenz fristend, in der Fremde plötzlich zu "Internationalisten" aufsteigen und nur darauf brennen, daß man sie in Brigaden auf die lokalen Kaffeefelder und Baumwollplantagen o.ä. losläßt. Ob die so Berufenen nun in die Berge ziehen und in ehemaligen Kampfgebieten den Leuten beibringen, über "ihre Kriegserfahrungen zu sprechen", eine großangelegte Muttermilch-Kampagne aufziehen, an der Atlantikküste den englischsprechenden Negern helfen, ihre kulturelle Identität orginal zu bewahren, oder einfach, ganz praktisch, eine Schule bauen - meist weicht die gute Hoffnung recht bald einer gehörigen Ernüchterung über Sinn und Wert solchen Treibens. Bei den abseitigeren Vorhaben merken sie nämlich schnell, daß die Leute wahrlich andere Probleme haben. Und wenn sie sich auf letztere stürzen, geht's auch nicht viel besser, wenn die Vorhaben überhaupt durchgeführt werden können - denn oft geht z.B. einfach unverzichtbares Material aus und ist im ganzen Land nicht mehr zu haben, oder vielleicht rafft auch bloß eine Diarrhöe die Hälfte der Brigade für drei Wochen hin. An dem Effekt solcher gutgemeinter Aktionen stellen sie ja selbst fest, daß in Nicaragua, so wie die Dinge stehen, nun mal nichts Anständiges erfolgreich auf die Beine gebracht werden kann, und daß an den Gründen dafür auch heftiges Versuchen nix ändert.

Heraus kommt dabei der "Solidarist" als Realist, der zwar vom symbolischen Wert seiner Ferientätigkeit doch nicht so ganz lassen will, die Revolutionsromantik aber ansonsten steckt und sich mehr der Aufklärung gruppendynamischer Brigadenprobleme widmet, als mit den Genossen ständig die miesen Verhältnisse zu diskutieren. Was aus denen folgt, da ist man sich ja eh einig: Irgendwas muß man doch tun...