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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1987 erschienen.


DIE RAKETENLOGIK DER EUROPÄER: DOPPELZÜNGIGE KRIEGSTREIBEREI

1. Die nationale Sicherheitsproblematik der Europäer: Ein ideologisches Konstrukt auf Basis ihres Willens zur NATO

Die westeuropäischen Staaten haben - so versichern sie laufend - größte Sicherheitsprobleme mit der Sowjetmacht. Von den SS 20 bis herunter zu den gepanzerten Mannschaften und wieder hinauf zu den Raketen jeglicher Reichweite: Nichts als sowjetische Überlegen-

heit.

Nun ist der Vorschlag aus Moskau da: Über alle "Ungleichgewichte", von denen die Europäer sich bedroht fühlen, sei zu reden. Die SS 20? Können weg, gegen Abzug der amerikanischen Pershing II und Cruise Missiles. Die Atomraketen geringerer Reichweite, die auf Westeuropa zielen? Können gleichfalls weg, auch ohne entsprechende westliche Gegenleistungen. Die verbleibenden Atomwaffen? Stehen von sowjetischer Seite aus zur Disposition, wenn auch der Westen sie abbaut. Die konventionell bewaffneten Truppen? Demobilisierungsvorschläge, die als westliche Gegenleistung einen Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Europa fordern, liegen auf dem Tisch und lassen sich jederzeit ausdiskutieren. Sonst noch Sicherheitsbedürfnisse?

In etwa gleichlautende Antworten haben M. Thatcher und J. Chirac persönlich im Kreml abgeliefert: Die sowjetischen Vorschläge ändern für sie im Grunde gar nichts an ihren Sicherheitsproblemen und Rüstungsanstrengungen. Die Einbeziehung ihrer Atomraketen in ein west-östliches Abrüstungsgeschäft kommt nicht in Frage; daß sie davon auch ausgehen, ist noch das Beste an den sowjetischen Vorschlägen. Im übrigen mag die einfache wie die doppelte Null-Lösung in Ordnung gehen; weitergehende Abrüstung wäre auf alle Fälle bedenklich; auch dann, wenn es die eigenen Streitkräfte weiterhin erst einmal gar nicht betrifft. - Welche Logik steckt in diesem englisch-französischen "Nein danke"?

Helmut Kohls "Nein danke" dauert nicht nur länger; es ist auch komplexer. Zwar ist in den sowjetischen Vorschlägen alles enthalten, was den Katalog deutscher Sicherheitssorgen ausmacht. Die Kohl-Mannschaft kalkuliert aber gar nicht erst mit der Möglichkeit einer Verringerung der nationalen Sicherheitsprobleme, sondern ausschließlich mit deren Verschiebung, falls Abrüstungsschritte zustandekämen. Und sie kann nicht verhehlen, daß alles, was da auf die Republik zukommen könnte, eine Änderung zum Schlechteren wäre. - Von welchem Standpunkt aus ist das so?

Wenn es wirklich so wäre - wie die hausgemachte Darstellung der westeuropäischen Sicherheitsproblematik es verstanden haben will -, daß die Nationen zwischen "Eisernem Vorhang" und Atlantik sich unter dem Druck überlegener sowjetischer Waffen sehen; daß sie nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß gekommen sind, als Gegengewicht müßten sie aufrüsten wie die Teufel und außerdem jede Menge amerikanische Hilfe her; daß sie also um ihrer puren Selbsterhaltung willen, um sich vor sowjetischer Überwältigung zu sichern und ein innereuropäisches Kräftegleichgewicht hinzukriegen, in der NATO sind: Wenn es wirklich so wäre, dann wären und dann hätten die sowjetischen Vorschläge tatsächlich eine Riesenchance. Sie sind ja das Angebot an die Westeuropäer, sich aus dem Gegensatz der atomaren Supermächte herauszubegeben, die entsprechende atomare Drohung der Sowjetunion von sich abzuwenden und ihre nationale Autonomie mit entsprechend bescheideneren militärischen Mitteln innereuropäisch zu sichern. Freundschaft zu den Russen wäre gar nicht einmal unbedingt verlangt - von wegen "gewachsene Bindungen zu Amerika", wie Gorbatschow sich per "Unita" vernehmen ließ -, sondern nur, daß die Westeuropäer ihr Sicherheitsbedürfnis nach den Maßstäben eines wirklichen "Drittstaates" definieren, der sich in den globalen Gegensatz der Supermächte und in deren atomkriegsstrategisches Kräfteverhältnis gar nicht einmischt.

Ein reizvolles Angebot wäre das insbesondere für die Bundesrepublik - wenn deren sicherheitspolitische Kalkulationen tatsächlich von der doppelten Sorge bestimmt wären, einerseits einen militärischen Überfall der Sowjetunion, andererseits aber ebenso die Rolle eines Schauplatzes der NATO-Verteidigung fürchten zu müssen. Eine Rüstungspolitik, die den vom CDU/CSU-Fraktionschef Dregger in Umlauf gebrachten Sinnspruch: "Je kürzer die Reichweite, um so deutscher die Zerstörung" zu ihrer ichtschnur achen würde, müßte dankbar das Angebot aufgreifen, die deutschen Grenzen von der strategischen Wucht der atomaren Konkurrenz der Weltmächte zu entlasten. Und darauf laufen die Vorschläge Gorbatschows für Europa hinaus - sind darin übrigens nicht einmal- ganz neuartig; der alte sowjetische Einfall einer KSZE, mit Betonung auf "E", enthielt schon das gleiche Ansinnen, die Westeuropäer sollten sich auf ein innereuropäisches Gleichgewicht und Sicherheitssystem mit der Sowjetunion einlassen, außerhalb des von atomarer Totalbedrohung und Abschreckung gekennzeichneten Verhältnisses der Supermächte.

Die Wirklichkeit sieht auch hier wieder einmal anders aus: Wo die Sowjetregierung die von den Westeuropäern geäußerten und bedingungslos hochgehaltenen Sicherheitssorgen beim Wort nimmt und vorschlägt, sie auszuräumen, überführt sie ihre Ansprechpartner bloß einmal mehr der Lüge. Den Standpunkt eines rein defensiven, national kalkulierten Sicherheitsinteresses wirklich einzunehmen, gilt nämlich unter allen maßgeblichen Westeuropäern als schlimmer Verstoß gegen die wahre nationale Sicherheits- und Staatsräson. Es ist "Neutralismus", das unfreundliche Verhältnis zur Sowjetunion zu einer bilateralen Affäre herunterzudefinieren, die man mit den eigenen Druckmitteln löst oder gar nicht; und "Neutralismus" bezeichnet keine zulässige nationale Option, sondern ist per se ein Vorwurf. Kein NATO-Partner, der nicht die gesamte strategische Macht der Sowjetunion ganz selbstverständlich auf sich beziehen und im Hinblick darauf seine Sicherheitsinteressen definieren würde. An dieser Selbstverständlichkeit ist jedes sowjetische Angebot einer europa-internen Verständigung immer schon gescheitert, noch ehe es gemacht ist - und von den NATO-Staaten in Europa als übler Spaltungsversuch verworfen worden ist.

2. Der Wille zur Teilhabe an einer NATO-Weltherrschaft und seine nationale Darstellung als Arroganz der Ohnmacht

Die Westeuropäer verweigern der Sowjetunion ein "normales" nationalstaatliches Nebeneinander in Europa",und das nicht erst in Beantwortung Moskauer Abrüstungsvorschläge; sie haben es hingekriegt, daß so etwas als undenkbarer Fall völliger weltpolitischer Anormalität gilt. Aus der Position, die sie auf dem alten Kontinent und zum Rest der Welt einnehmen, und aus den nationalen Interessen, die sie verfolgen, haben sie schon immer durch ihre NATO-Mitgliedschaft einen Unterfall des weltbeherrschenden - nicht zuletzt d eswegen weltbeherrschenden! - Systemgegensatzes der atomar hochgerüsteten Supermächte gemacht, soweit sie jeweils an der Bündnispolitik mitdefinieren konnten und durften. Die NATO ist nie bloßes Mittel einer nationalen "Sicherheitspolitik" gewesen, die sich dem Schutz verschrieben hätte, sondern allemal der Hebel, um gegen die Sowjetunion weit gröbere nationale Vorhaben verfolgen zu können als solche, für die ihre jeweilige Nation für sich genommen einstehen könnte.

Und damit ist wahrhaftig weder bezweckt noch ist es das Ergebnis, daß dank allerhöchster strategischer Garantie einfach alles so bleibt, wie es ist. Die Subsumtion aller westeuropäischen Nationalinteressen unter den strategischen Weltgegensatz gegen die Sowjetunion, die Aufwertung dieser Interessen zu einem Fall des globalen, von den USA atomkriegsmäßig vertretenen Antikommunismus: Das ist nur unter einem Gesichtspunkt sinnvolle nationale Sicherheitspolitik. Unter der Prämisse nämlich, daß die beteiligten Nationen die Position der Sowjetunion im Nachkriegseuropa als unerträgliche Beschränkung für sich und ihre Ambitionen definieren, zur Beseitigung dieser Schranke entschlossen sind und dies zur nationaleuropäischen Hauptfrage erklärt haben. Wen die Westeuropäer lieber als Teil des Ost-West-Konflikts und potentieller Atomkriegsteilnehmer in Europa auftreten wollen, als mit ihren antisowjetischen Ansprüchen zu einem Ausgleich auf Basis der gegebenen Lage zu gelangen, dann haben sie eben eine unversöhnliche Unzufriedenheit mit dem sowjetischen Nachbarn zu ihrer Staatsräson erhoben. Als NATO-Partner definieren sie sich dadurch, daß sie auf ein Fertigmachen der Sowjetmacht unter amerikanischer Führung mit europäischem Ertrag setzen.

Folgerichtig tritt kein NATO-Staat weltpolitisch und militärisch als bloßer NATO-Vasall auf: Zwar erlaubt ihnen allen nur ihr Vasallentum, ihre Einordnung ins Bündnis, den Standpunkt eines unbefriedigten, nicht kompromißbereiten antisowjetischen Nationalismus - aber den erlaubt ihnen die NATO. Dabei gehen nicht einmal die gewachsenen nationalen Unterschiede verloren.

- Wenn der französische Ministerpräsident nach Moskau fährt, um der sowjetischen Führung die Unannehmbarkeit ihrer Politik im allgemeinen - das kostet die Staatskasse ein Dissidenten-Frühstück - und ihrer Abrüstungsideen im besonderen aus Pariser Sicht zu erläutern, dann argumentiert er mit der strategischen Ohnmacht seiner Nation. Nämlich so, als müßte der sowjetische Gesprächspartner diese als guten Grund für französische Kompromißlosigkeit einsehen. Ganz furchtlos verweist er darauf, daß die geradezu lächerlich geringe Zahl französischer Atomsprengköpfe - derzeit 177, ab Anfang der '90er Jahre um die 500, gegenüber gut 12.000 sowjetischen und fast 12.000 amerikanischen - jede Beteiligung an einer denkbaren Abrüstung völlig unmöglich mache; so etwas käme erst in Frage, wenn die Supermächte auf das französische Niveau heruntergekommen wären. So stellt die französische Regierung sich, was ihr Recht und ihren Anspruch auf atomare Weltmacht betrifft, auf gleichen Fuß mit dem uneinholbar überlegenen Gegner. Dieses Paradox kann sie sich wahrhaftig nicht wegen ihren 12 Dutzend Raketensprengköpfen leisten, sondern weil sie die sowjetische Übermacht bei den Amerikanern gut aufgehoben weiß und ihr Potential als Zusatz zur Raketenmacht der NATO und der USA kalkuliert. Dank solcher Sicherheit nimmt sie sich aber die Freiheit heraus, ihre Unterlegenheit als das noch unausgeräumte existenzielle Problem in den zweiseitigen Beziehungen von europäischer Nation zu europäischer Nation und als zu beseitigendes Hindernis für ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu definieren und dem besuchten Sowjetmenschen zu verklickern.

- Noch viel unterlegener kommt - in der Tradition der von W. Brandt erfundenen sozialliberalen Ostpolitik - die BRD ihrem sowjetischen Kontrahenten. Sie besitzt überhaupt keine eigenen Atomwaffen; ihre Streitmacht ist ins Bündnis integriert: als "Drittstaat" genommen eine Null. Als NATO-Staat beinahe noch weniger als das: ein Schlachtfeld der ersten Stunde, dessen Führung schon allein deswegen die Wahrung des Friedens über alles stellen muß - erzählt diese bei jeder Gelegenheit Gott und der Welt und vor allem den Russen. Seltsamerweise macht genau das diesen Staat alles andere als bescheiden und vorsichtig im Umgang mit der x-fach überlegenen Supermacht im Osten. Im Gegenteil: Hier ist jedes "leider" als Anspruch gemeint. Gerade als Staatswesen, das - verglichen mit den zwei Staaten, mit denen es sich überhaupt bloß vergleichen will! - militärisch so unterentwickelt und harmlos ist, weiß sich die BRD berechtigt, mit ihren nationalen Ansprüchen ein dauernder Test auf die Echtheit und Glaubwürdigkeit des sowjetischen Friedenswillens zu sein. Vor allem mit ihrem Rechtsanspruch auf "Wiedervereinigung" und auf die "einem Friedensvertrag vorbehaltene" endgültige Regelung der polnischen und eines Stückchens der sowjetischen Westgrenze, was immerhin auf eine Revision des Weltkriegsergebnisses hinausläuft. Für diesen Willen, die Karten in Europa neu zu mischen, auf Kosten des östlichen Bündnisses und zugunsten Deutschlands, bietet die Bundeswehr wirklich keine ausreichende militärische Grundlage. Mit den Diensten, die die Bundeswehr - und überhaupt die Republik als Aufmarschgelände - dem Bündnis leistet, hat die Nation es aber geschafft, das höchste strategische Interesse der Führungsmacht auf die Belange ihres unbefriedigten Nationalismus zu ziehen, sich zur härtesten strategischen Bedrohung der Sowjetmacht in Europa aufzubauen und ihre Intaktheit in dieser sympathischen Rolle zum absoluten Weltkriegsfall zu machen - soweit das überhaupt vorab bündnispartnerschaftlich zu regeln ist. Sogar der erzwungene Verzicht auf eine eigene bundesdeutsche Atomrüstung hat in dem Zusammenhang dann doch seinen guten scharfmacherischen Sinn: Um so enger wird die strategische Atommacht der USA selbst an das von der BRD vertretene Stück NATO-Sicherheitspolitik angebunden. Die Sorgen um die Glaubwürdigkeit des amerikanischen Atomkriegsversprechens, die die bundesdeutsche NATO-Integration seit jeher begleiten, zeugen von dem Bewußtsein, wie sehr die BRD mit allen ihren heiligen Gütern und Rechten ein Geschöpf der NATO ist und daß sie nur deswegen als nicht-saturiertes Nachkriegs-"Provisorium" auftreten kann, weil die USA - und solange die USA - dieses - Gebilde als antisowjetische Speerspitze schätzen. Dank solchem strategischen Gewicht kann die BRD ein bilaterales Verhältnis zur Sowjetunion eröffnen, das von der bekannten Doppelzüngigkeit geprägt ist: Mit Verweis auf ihre Schwäche - rein national betrachtet - bietet sie sich als berufener Ansprechpartner aller sowjetischen Friedenswünsche an, darf dabei aber in aller Bescheidenheit auf der offenen nationalen Frage bestehen und den Friedenswillen der jeweiligen Sowjetregierung an deren Bereitschaft messen, sich von ihren Nachkriegspositionen zu verabschieden und aus "Europa" zurückzuziehen, das dann endlich "wieder" ungeteilt dem Westen gehören würde.

3. Die BRD und ihr Bündnis: Der Scharfmacher als "Opfer" - das "Opfer" als Scharfmacher der Bündnisdisziplin

Die bundesdeutsche Rüstungspolitik ist logischerweise vollständig durch die Stellung der BRD in der NATO bestimmt. Ihr Problem wird durch den nationalen Willen geschaffen, sich zum Werkzeug der atomaren strategischen Bedrohung der Sowjetunion durch die USA und die anderen Verbündeten zu machen: Nichts Geringeres als die militärische Erpreßbarkeit der sowjetischen Supermacht will die BRD als Sicherheitsgarantie für sich ausreichend finden, also herstellen. Die Ideologie dieses Sicherheitsproblems wird zur Zeit in Form der frechen Anklage vorgetragen, die Sowjetunion besäße weit mehr Waffen als zu ihrer Verteidigung nötig - was ja durchaus stimmt, wenn man nur, nationalbewußt, die eigene Bundeswehr dagegen aufrechnet. Die Lösung dieses anspruchsvollen Verteidigungsproblems geschieht durch eine Rüstung mit dem Ziel, sich durch militärisch wertvollste Dienste fürs Bündnis der Bündnismacht bis hinauf zu den strategischen Atomwaffen der USA zu versichern - dies die einzig realistische Chance, also die Grundlage für die nationale Unzufriedenheit der gedemütigten Nation. Dabei hat die bundesdeutsche Sicherheitspolitik immerhin zwei gewichtige Erfolge zu verzeichnen. Man hat ein Mitspracherecht bei der Einsatzplanung der NATO-Atomstreitkräfte - über dessen Wert die amtierenden Nationalisten sich bis zum Einsatz streiten werden. Und sie hat es zu einer Rüstung gebracht, die die Erkenntnis des CDU/CSU-Fraktionschefs über Reichweite und Zerstörung vom patriotisch-sentimentalen Kopf auf die militärpolitischen Füße stellt: Je weiter "vorne" die Verteidigung, um so undeutscher die fälligen Verwüstungen.

Das bundesdeutsche NATO-Ideal, im Ernstfall die strategischen Waffen der USA zu eigenen Gunsten mobilisieren zu können, hat unter dem sowjetischen Erfolg, die USA selbst unter die Drohung atomarer Totalzerstörung zu setzen, natürlich auch gelitten. Sehr folgerichtig ist daraus das speziell bundesdeutsche Interesse erwachsen - das mit den SS 20 nie ursächlich zu tun hatte -, die strategische Position Westeuropas durch die Aufstellung einer sachgerecht verkleinerten Zweitausgabe des strategischen Atomkriegspotentials der USA zu sichern. Für die Bundesregierungen, die das als "Nachrüstung" verkauft haben, ist auch hierbei wichtig geblieben, daß es US-Raketen sind, die auf ihrem Hoheitsgebiet die letzte und totale Kriegsdrohung glaubwürdig machen; nur das sichert ihr nämlich, im Unterschied zu einer rein nationalen Atomwaffe, die strategische Gleichrangigkeit ihres Stücks vom Bündnisgebiet mit dem heiligen Grund und Boden der Führungsmacht.

Nur folgerichtig, daß gerade die Treuesten unter den NATO-Treuen in den bundesdeutschen Regierungsparteien einen Dissens zu ihren Freunden in den USA beklagen, wenn ausgerechnet diese Waffe von Reagan auf die Liste der Verhandlungsthemen für den amerikanisch-sowjetischen Abrüstungsdialog gesetzt wird. Aber so ist es eben: Das schöne bundesdeutsche Vorrecht, sich als Schmarotzer der Atomkriegsmacht der USA aufführen zu können, bleibt allemal von amerikanischen Kalkulationen abhängig und ihnen nachgeordnet; und die haben sich auch schon bei der Aufstellung der Pershing II nicht nach dem strategischen Ehrgeiz der Bundesdeutschen gerichtet, mit dem sie da zusammenfielen. Mißtrauen ist die Regel unter diesen guten Freunden, Streitigkeiten sind immer drin, und auch nationale Rückschläge können nicht ausbleiben, von denen sich das Bündnis immer erst wieder "erholen" muß - was es auch schafft.

Es wird ganz sicher keine NATO-Kündigung von rechts in der BRD geben. Statt dessen läuft schon wieder das altbekannte "Nachrüstungs" Schema an: Noch ist die ominöse Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen gar nicht wirklich spruchreif, da bringt die Bundesregierung schon wiedei ihre nationale Ohnmacht gegenüber der Sowjetunion ins Spiel und meldet abwechselnd den Anspruch auf Waffengleichheit in sämtlichen anderen Rüstungskategorien an. Die Frechheit der französischen Freunde, die auf das Ideal der Gleichrangigkeit als "Drittstaat" pochen, findet zunehmend Befürworter die so etwas gleich als europäische Lösung wünschen. Jede Rüstung, zu der die NATO den sowjetischen Gegner veranlaßt, taugt so als unbedingt lösungsbedürftiges Sicherheitsproblem der noch immer viel zu klein zugeschnittenen westeuropäischen Mächte.

Daß diese Nationen die Opfer einer Sicherheitsproblematik wären, auf die sie zu reagieren hätten, ist eine verlogene Verdrehung.

Das, wozu sie sich gedrängt fühlen, resultiert allein aus ihrem Willen zur NATO und dem Setzen auf ihre Siegeschance. Insofern ist ihr nationalistischer Einwand gegen eine rüstungspolitische Möglichkeit, die die Führungsmacht erwägt, wieder einmal ein Beitrag zu wirklicher Stärkung des Bündnisses. Fortschritt buchstabiert sich als Aufrüstung.