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Korrespondenz
"ALTMODISCHE G'SCHICHTEN WIE RASSISMUS"
Betrifft: MSZ 9/84 "Der real existierende Revanchismus" und MSZ 10/84 "Diese Ausländer".
Ich kapier einfach nicht, wie der Imperialismus, der so sachlich seinen Krieg vorbereitet - mit Eurer Analyse, daß die Waffenstärke die diplomatischen Offensiven ermöglicht, geh ich d'accord - andererseits so altmodische G'schichten, wie es der Rassismus einmal ist, betreibt. Im Ausländerartikel schreibt Ihr, daß die Rückführung der Türkis keine Konjunkturmaßnahme ist, sondern - wenn ich's richtig kapiert habe - wegen der anstehenden "letzten Dienste" für die Nation stattfindet. Bloß: Was soll denn unseren Kohl dazu veranlassen, die Türken für ein schlechteres Kanonenfutter zu halten als die eigenen deutschen Staatsbürger? Das Mißtrauen, von dem Ihr schreibt, weil die Türken aus "Vorteilserwägungen" nach Deutschland gekommen sind, seh ich erst recht nicht ein: Schließlich benehmen sich die damit wie jeder Normalotto - und die sind ja dem Kohl auch als Soldaten gut genug.
Auch das ganze Wiedervereinigungsgequassel kommt mir eher wie ein politisches Angebot an die Ewiggestrigen vor: Von Euch hab ich das Argument, daß wenn's bloß um den Reichtum der DDR ginge, mit dem Osthandel eh ein tolles Mittel zur Hand wäre. Selbst wenn es aber darum ginge, was haben denn die anderen NATO-Staaten davon, daß sie die BRD für diesen Zweck im Bündnis unterstützen? Warum schimpft der Andreotti bloß und tritt dann nicht gleich aus der NATO aus?
C.R., Wien
Kein Imperialismus ohne Rassismus
Dir kann geholfen werden. Aber nur, wenn Du das Resultat rassistischer Befunde nicht für den Rassismus selbst hältst und nicht beim modernen Rassismus einen Gegensatz zu "altmodischen G'schichten" ausmachen willst.
Immer, wenn von Staats wegen eine Überprüfung stattfindet, die der Brauchbarkeit einheimischer oder ausländischer Exemplare der Menschengattung gilt, hat man es mit Rassismus zu tun. Ob die Übersetzung wirklicher oder eingebildeter Schranken der Brauchbarkeit auch noch in Natureigenschaften der Testpersonen stattfindet, ist eine Frage der politischen Konjunktur und des weltbürgerlichen Geschmacks. Daß besagte Überprüfung heute stärker denn je zur Politik, vor allem der guten demokratischen, gehört, ist die schlichte Folge der Internationalisierung des Geschäfts und der aus dessen Schranken erwachsenen Ansprüche. Wie diese Überprüfung einen dauerhaften Bestandteil der bundesrepublikanischen Welt-, Deutschland- und Ausländerpolitik ausmacht, versuchen wir hier noch einmal darzulegen.
Der Rassismus wäre eine altmodische Geschichte?
Dir sind doch sicher die "Spiegel"-Stories über die sowjetische und jede andere "Planwirtschaft" bekannt, die an jedem "Versorgungsengpaß" den "Beweis" führen, daß der ökonomische Einsatz von Menschen notwendigerweise mißlingt ohne die "Anreize" und den Druck "marktwirtschaftlicher" Konkurrenz, und daß geplantes Wirtschaften deswegen natürlicherweise zum Scheitern verurteilt sei. Auch das hast Du sicher schon 1000 mal gelesen, daß Staaten sich solange naturnotwendigerweise in Zwiespalt mit ihren Untertanen befinden, wie sie sich nicht nach demokratischen Verkehrsregeln richten; umgekehrt heißt ein Volk - nicht doof, sondern "reif", wenn es sich nach solchen Regeln problemlos regieren läßt. Unter den Titeln "Freiheit" und "Privatinitiative" gelten demokratische Herrschaft und kapitalistische Konkurrenz in der Freien Welt als menschengemäß: auf sie hätte "der Mensch" ein "natürliches Recht": Ohne diese Ideologie wären Kommentatoren und Leitartikler, Wissenschaftler und Regierungssprecher der Freien Welt aufgeschmissen. Denn das ist der Rassismus der modernen Weltordnung.
Dieser Rassismus hat in den erfolgstrebigen Bürgern der Freien Welt sein Beweismaterial. Denn soweit ihre Macht reicht, läßt die Demokratie ihrem Menschenmaterial tatsächlich keine andere "Chance" als das fortwährende Bemühen, sich als gesetzestreu konkurrierende Privatperson zu bewähren; sie schafft sich also ihre "Charaktermasken". Deren Rassismus ist umgekehrt die demokratische Berufungsinstanz für den imperialistischen Anspruch, die Welt unter demokratisch-kapitalistische Kontrolle zu bringen. Und wo immer unbrauchbare Regierungsweisen und entsprechend unbrauchbare Lebensart entdeckt werden, entsteht jenes bekannte Recht auf Einmischung, durch das man andere lehrt, sich der eigenen Sache dienstbar zu erweisen. Sie müssen sich ändern. Das "natürliche Menschenrecht" ist der rassistische Rechtstitel auf Vieles - bis hin zum demokratischen Weltkrieg.
Dasselbe nochmal an der bundesdeutschen Sondervariante.
Kein Staatsprogramm ohne "geschichtlichen Auftrag" der Nation
Das "Wiedervereinigungsgequassel" wäre nichts als ein Zugeständnis an die "Ewiggestrigen"? Seit ihrer Gründung definiert die bundesdeutsche Staatsgewalt an ihrem "historischen Auftrag" herum. Und von der Präambel des Grundgesetzes angefangen lautet der, selbst in seiner zeitweiligen sozialdemokratischen Minimalausgabe, immer mindestens: Dieser Staat ist noch nicht fertig; die Nachkriegsordnung mit ihren "trennenden Grenzen" stört ihn. Nicht so, als wäre ein größeres Gebiet an sich - "Lebensraum" - der höchste Zweck der BRD. Das wäre ein "ewiggestriges" Mißverständnis, dem bereits Adenauer, und zwar erfolgreich, entgegengetreten ist z.B. gegen den einstigen sozialdemokratischen Traum von einem neutralisierten Großdeutschland. Nicht einfach ein großes, sondern vor allem ein "freies" Deutschland soll es sein. Insoweit fügt der selbsterteilte bundesdeutsche Staatsauftrag sich völlig ein in das imperialistische Programm, die "menschengemäßen" Verhältnisse der freien Konkurrenz weltweit durchzusetzen.
Für diesen Auftrag weiß die BRD für sich aber einen besonderen Adressaten. Sie will ganz besonders zuständig sein für die Freiheit der DDR-Bürger; auch für andere Volksgruppen im Osten, die sie frank und frei als - Rußland-, Rumänien- usw. Deutsche definiert; Grenzen müssen revidiert werden für die Freiheit. Nicht bloß die verkehrten Staatsformen gehören verändert; auch die nationalen Machtbereiche in Europa gehören neu geordnet, und zwar zum deutschen Vorteil. Sicher, auch diese Ansprüche haben mit Natur und Sitte, Sprache und körperlichen Gebrechen wenig zu tun. Das Recht auf die Befreiung ganzer Völkerschaften und die hier dazugehörige Diagnose, denen würde drüben eine Vergewaltigung ihres eigentlichen Daseinszwecks angetan, sind Bestandteile des imperialistischen Gesamtprogramms des Westens. Unser Recht ist der Vollzug ihrer freiheitlichen Menschennatur. Umgedreht heißt das: Sie sind ein wandelnder Auftrag an uns, dem wir nur genügen können, wenn wir die leidigen Teilungen Europas beseitigen und als dessen Führungsmacht alle ins Reich der Menschenrechte hinein-einigen, als Europas Führungsmacht, fähig zur Konkurrenz mit den USA und gegen die Sowjetunion. (Andere NATO-Partner versuchen genauso ihrerseits, in Konkurrenz zur BRD dem "Ost-West-Gegensatz" ihren nationalen Extra-Stempel aufzudrücken - Italien beispielsweise hat sich die demokratische Weltherrschaft in den historischen Auftrag übersetzt, die Mittelmeermacht der NATO zu werden; Großbritannien beharrt auf seinem NATO-Recht nicht nur auf die Falkland-Inseln usw. Auch diese Konkurrenz ist übrigens keine friedlich zu regelnde Sache; sie ist bloß dem gemeinsamen Freiheits-Imperialismus unter Führung der USA untergeordnet.)
Für ihre "nationale Mission" spannt die Bundesregierung ihr Volk nicht bloß ein. Daß die Leute in ihrem alltäglichen Arbeiten und Meinen dem nationalen Ehrgeiz der BRD dienstbar gemacht sind, ist Grundlage genug für die amtliche Lüge, es handelte sich dabei um einen höheren Volksauftrag an die Staatsgewalt: um ein historisches Weiß-warum der deutschen Nation. "Deutsch" ist es, von Berlin bis Europa alles "Getrennte" "(wieder)vereinigen" zu wollen - "Beweis": diesem politischen Willen dienen die Deutschen mit ihrem gesamten staatsbürgerlichen Dasein.
Wenn sie dazu nicht "Ja" und "Hurra" sagen, dann entkräften sie nicht diesen "Beweis", sondern müssen sich sagen lassen, daß sie schließlich "nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten" haben, vorgeschrieben durch "die Geschichte". Das macht den guten Deutschen aus - dies der Rassismus des bundesdeutschen Anteils am Projekt einer neuen demokratischen Nach-Weltkriegs-Staatenordnung.
Keine nationale Kriegsbereitschaft ohne politische Rassereinheit
Als "Kanonenfutter" im hierfür nötigen NATO-Krieg sind dem Kohl die Türken sicher sehr recht. Dafür wird ihr Staat ja mit abgelegten Bundeswehr-Waffen aufgerüstet und als Freiheitspartner mit Milliärdenkrediten unterstützt. Konjunkturprobleme bewältigt die Bundesregierung aber auch nicht, wenn sie eine Anti-Türken-Kampagne mal anheizt - und dann auch wieder sterben läßt, kaum daß ein paar Prozent Türken die Zwangs-Heimreise angetreten haben. Praktisch sind dadurch allenfalls ein paar Firmen die Kündigungsschutz-"Lasten" erleichtert worden.
Die staatlichen Vorbehalte gegen frei herumlaufende Ausländer, die anläßlich massenhafter Arbeitslosigkeit wieder Konjunktur bekommen haben, haben einen prinzipielleren Inhalt. Brave Arbeiter sind der Regierung kein Problem; brave Arbeitslose auch nicht; die nicht-braven hat die Polizei sowieso im Griff. Als Ausländer werden sie aber in dem Moment zu extra kontrollbedürftigen Problemfällen, wo die Regierung ihr Volk im Namen von Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland und dessen weltgeschichtlichen Auftrag antreten läßt. Dann gibt es durchaus einen bemerkenswerten Unterschied zwischen einem "Normalotto", der, übrigens ganz ohne Vorteilsrechnung, beim Länderspiel für die schwarz-rot-goldene Mannschaft tutet, und einem Normal-Ahmed, der selbst in der dritten deutschsprechenden Generation noch zur türkischen Gegenseite hält; und auf diesen jahrelang belanglosen Unterschied kommt es da an. Jeder Otto ist kriegsdienstpflichtig, einfach weil er der deutsche Otto ist; auf diesen Rassismus verläßt sich da das deutsche Vaterland - ohne das Einsperren vaterlandsloser Gesellen zu vergessen. Dasselbe Kriterium auf einen Türken angewandt, bedeutet selbstverständliche Dienstpflicht für einen anderen Souverän; und das macht aus braven "Gastarbeitern" nur allzu schnell einen volksfremden, unzuverlässigen "Fremdkörper".
Auch deswegen müssen noch längst nicht alle Türken wirklich wieder beim Schließlich steht ihr Vaterland weltpolitisch auf der richtigen Seite. Deswegen bleiben ihnen wohl auch im Ernstfall Internierungslager wie die erspart, in denen nach Kriegseintritt der USA die loyalsten japanischen US-Bürger gelandet sind. Mit Fremdarbeitern unter Kriegsrecht hat die "deutsche Geschichte " sowieso schon ihre Erfahrungen. Und gegen einen deutschen Oberbefehl über Türken-Truppen ist schon gar nichts einzuwenden. Ob wirklich eigene Leute, ohne Frage dienstpflichtig bis zum Letzten, oder nicht- eigenes Menschenmaterial, das nur unter einem nationalen Vorbehalt für Lohn der deutschen Wirtschaft dient: Das macht - nur im Hinblick auf den Ernstfall, in dieser Hinsicht aber immer - den tatsächlichen Unterschied, den rassistische Untertanen sich dann als Unterschied zwischen einem moralisch höherwertigen deutschen und einem reichlich minderwertigen exotischen Menschentum zurechtlegen dürfen - solange der gesamtwestliche antikommunistische Rassismus darunter nicht leidet. Denn dieser Vorbehalt, sonst nichts, macht das "Moderne " am bundesdeutschen National-Rassismus aus.
MSZ-Redaktion