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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1991 erschienen.

Systematik

Warum, für wen und wofür die Zone nichts taugt
DIE WAHRHEIT ÜBER DIE KOSTEN DER EINHEIT

"Eine Industrieregion zerbricht" meldet der "Spiegel", der allgemeine Kollaps droht, die Treuhand kommt mit der Privatisierung nicht voran, die Arbeitslosenquote marschiert stramm auf die 50% zu, die Produktion der einst zehntgrößten Industrienation DDR wird 1990 und 1991 zweimal hintereinander halbiert. Die Verantwortlichen sind sich einig, und endlich gibt es auch der Kanzler zu: Das "Anschlußgebiet", mit dem die alte BRD sich stärken wollte, ist eine Katastrophe. Nur warum? Diese Frage interessiert nicht, weil Deutschland schon die Antwort weiß: Die Bonzen von der SED sollen alles falsch gemacht haben. Daß unter ihrem Regime die industrielle Wüste ihr Volk ernährte, daß bis zuletzt die Schlote rauchten, Im- und Export rollten - das alles entlarvt die Marktwirtschaft mit ihren unbestechlichen Gesetzen nun als ein einziges Täuschungsmanöver des Politbüros.

Bonn erklärt den Staatsnotstand: Den neuen Bundesländern muß geholfen werden, das "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" treibt die Staatsverschuldung auf nie gekannte Höhen und die Steuern auch; alles wegen drüben. Nur warum ist der Bonner Staat so scharf darauf, daß aus dem Beitrittsgebiet kein deutscher Mezzogiorno wird - anderswo gibt es so etwas ja auch? Warum geben die "überzeugten Marktwirtschaftler" massig Staatsgelder aus, um die Staatswirtschaft zu beseitigen und private Geschäfte anzuleiern, die Privatleute nie machen würden? Wozu soll den Brüdern und Schwestern mit verstärkten Sanierungs- und Entlassungsbemühungen, mit dem "Erhalt von Industriestrukturen" und Beschäftigungsgesellschaften verholfen werden?

I. Warum die Zone nichts taugt

"unproduktiv, unrentabel, nichts wert"

Die Marktwirtschaft bringt es ans Licht, im rauhen Wind der freien Konkurrenz kracht das ganze Kartenhaus von Honeckers "deutscher Exportnation" in sich zusammen. Daß die Wirtschaft der DDR nur wegen der Konkurrenz des Weltmarkts, nur wegen des Zwangs, den das echte Geld stiftet, und nur wegen der Pflicht zum Profit, für den sie nie eingerichtet war, zusammenbricht, das sagen die westdeutschen Wirtschaftsprüfer nicht. Noch die vorsichtigsten Diagnosen operieren mit der Analogie zu Erfolg und Mißerfolg in der kapitalistischen Konkurrenz, wenn sie deutlich machen wollen, daß bei der "Krise im Osten" ganz etwas anderes als eine Wirtschaftskrise vorliegt:

"Die Strukturkrise in der ehemaligen DDR ist von ganz anderer Qualität (als seinerzeit bei Werften und Steinkohle im Westen).

Die Industrie in Ostdeutschland hatte in Wahrheit nie eine Chance. Über Nacht, vom 30. Juni aufden 1.Juli 1990, sah sie sich einer Aufwertung ausgesetzt, die mindestens 300% ausmacht; über Nacht fiel der lückenlose Schutz gegenüber der weit und uneinholbar enteilten Westkonkurrenz. ... Produkte und Produktion waren mit der Währungsunion nichts mehr wert." (Spiegel 16/91)

Sie waren auch vorher "nichts wert", weil sie einfach nicht Wert waren, und sie wurden nicht Geld und Geldes wert dadurch, daß ihnen dies per Währungsunion auferlegt wurde. Auch die 300% Aufwertung hat nie stattgefunden, weil es sich vorher beim Nationalprodukt in "Mark der DDR" nicht um eine kapitalistisch berechenbare Wertgröße gehandelt hat, nicht einmal um eine bescheidene, die im Verhältnis 6:1 DM repräsentierte, - sondern um gar keine. Die "Westkonkurrenz" ist schließlich auch nicht "uneinholbar enteilt", diese Konkurrenz hat, wie der Autor richtig bemerkt, nämlich überhaupt nicht stattgefunden.

Die Diagnose der Unproduktivität der ostdeutschen Arbeit legt unverdrossen den Maßstab eines kapitalistischen Betriebs an die Arbeitsstätten der Werktätigen an und kommt zu dem Schluß, daß, wenn es dort um Profit gegangen wäre, dann aber verdammt schlecht: doppelt und dreimal soviele Leute erarbeiteten das (in Westgeld geschätzte) Wertprodukt eines westdeutschen Fabikarbeiters. Nur darum ging es nicht. Die Kategorie der Produktivität kann nicht abgetrennt werden von dem Produktionszweck, dessen mehr oder minder zweckdienliche Verfolgung sie ausdrücken soll.

- Es zählte zu den Aufgaben des DDR-Betriebs, die Gesundheitsversorgung seiner Angehörigen mit zu organisieren. Natürlich erhöhte die angeschlossene Poliklinik das Personal und hätte, wenn es um diesen Vergleich gegangen wäre, den Betrieb in Sachen Lohnkosten hoffnungslos unterlegen gemacht gegenüber einem "rational kalkulierten" Geschäft, das nur die Löhne anerkennt und zahlt, die für die Herstellung des gewinnbringenden Produkts unbedingt nötig sind.

- Die soiialistische Wirtschaft hatte nicht nur die Aufgabe, die geplanten Produkte herzustellen, sondern auch die, alle Werktätigen mit einem Lohn auszustatten. Darin war sie sehr "produktiv". Die "rationale" Kalkulation des Westens - die Verbilligung der Produktion durch teuere und bessere Maschinerie einerseits und Entlassung überflüssig gemachter Arbeiter andererseits erschien den sozialistischen Betriebsleitern zur Erledigung ihrer Aufgabe als gar nicht "produktiv".

- Das als ökologisch vorbildlich anerkannte SERO-System der DDR, mit welchem Abfälle gesammelt und der Wiederverwendung als industrielle Rohstoffe zugeführt wurden, war "produktiv" für die rohstoffarme DDR. Sie sparte damit devisenverschlingende Importe von Erdöl und Metall. Das vorbildliche System brach sofort zusammen, sobald die DM Rohstoffe zu Preisen zugänglich machte, zu denen Wiederaufbereitung und Sammlung nicht mehr bezahlt werden konnten.

Das sture Messen der annektierten DDR-Wirtschaft an den Maßstäben der lohnenden Geldvermehrung zeigt nicht nur die Selbstgewißheit der Sieger, die wissen, daß nun nach ihrer Pfeife getanzt wird, und daß es das Problem der Gemessenen ist, zu sehen, daß sie zu den neuen Maßstäben passen. Es verrät zweitens auch noch ihre Dummheit: Da hatten sie bei aller Verurteilung des falschen Systems und seiner unmöglichen Wirtschaft doch nie an die wirkliche Differenz der Systeme geglaubt; da hatten sie gemeint, der zweitgrößten Industrienation der Welt die kleinere, nicht so glanzvolle aber immerhin andere deutsche Industrienation, die zehntgrößte, hinzuaddieren zu können, und nun wird aus dem Anschluß nichts als eine totale und ersatzlose Abwicklung der DDR- Wirtschaft. Das hatte der Kanzler nicht erwartet, daß die DM im Osten außer Zerstörung nichts hervorbringt.

Kein Bedarf nach Ost-Industrie

Mit der Einführvng der DM wurde der sozialistische Versorgungszweck der DDR-Wirtschaft durchgestrichen, die geplanten Lieferbeziehungen und Verteilungskanäle wurden gekappt und den Betrieben statt dessen die Erwirtschaftung von DM-Überschüssen zur Aufgabe und zum Existenzzweck gemacht. Dafür durften und mußten sie sich selbst ganz frei die billigsten Zulieferer und die zahlungsfähigsten Käufer suchen. Schlagartig war damit der Bedarf nach der Produktion einer ganzen Industrienation auf Null gesetzt und die Reproduktionsfähigkeit der Betriebe auch, ihre Reproduktionsweise war zerstört.

- Der Export des DM-Marktes nach Osten war von vornherein nur das Mittel der auf ihrem Markt durchgesetzten Westkapitale, die schon immer für den Markt produzierten und den Erfordernissen seiner Nutzung entsprachen. Die Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie des Ostens, die wegen der geplanten Verteilung keine Bemühung um Marketing, Vertrieb und werbende Aufmachung der Waren kannte, war sofort vom heimischen Markt verdrängt. Die "monopolistischen Strukturen der HO", des DDR-Einzelhandels, monopolisierten Aldi, Spar und ein paar andere Westfilialisten.

- Der bedeutende Export der DDR-Industrie in die Länder des ehemaligen RGW ist durch die Einführung der DM fast vollständig zerstört worden. Nicht weil Russen und Bulgaren keinen Bedarf für DDR-Schiffe, Maschinen, Anlagen und Medikamente mehr hätten, sondern weil sie sie nicht mehr kaufen können. Die DM hat Schluß gemacht mit dem internationalen Tauschhandel zur Deckung des wechselseitigen Bedarfs, den der RGW in Transferrubeln bilanziert hatte. Jetzt müssen Geschäfte in echten DM fakturiert, d.h. DM verdient werden, statt irgendeinen Bedarf zu decken. Auch diese Modernisierung ist kein Wechsel des nationalen Geldnamens, sondern einer des Produktions- und Austauschzwecks. Die ehemaligen Partnerländer kaufen nicht mehr, weil sie entweder keine DM haben oder weil sie nicht mehr auf den Partner Ostdeutschland angewiesen sind, wenn sie doch über ein paar Devisen verfügen. Der Kanzler gab sich verwundert: Ganz unerwartet sei "der Ostmarkt weggebrochen", dabei war es seine Tat, die Einführung der DM in der DDR, die den RGW endgültig zerstörte, alle inneren Beziehungen desselben den Gesetzen des kapitalistischen Weltmarkts aussetzte und dadurch auflöste.

- Selbst der Westexport der DDR-Industrie, von der IKEA Möbel und Quelle die "weiße Ware" bezogen, ist zusammengebrochen, weil ein DDR-Betrieb auch dann, wenn er die Aufgabe hatte, zwecks Devisenerwirtschaftung ins kapitalistische Ausland zu exportieren, kein kapitalistischer Betrieb war. Kaum fällt die Rechnung des Gesamtstaates mit seinem Devisenhunger und seiner Garantie lohnender Exportpreise für den Hersteller weg, kaum müssen die Kosten der Thüringer Möbelfabriken in DM bezahlt werden, erweist sich, daß die Verkaufspreise, auf die sich die sozialistischen Außenhändler herunterhandeln ließen, die Kosten des Herstellers nicht decken.

Die gesamte Leistung von Industrie und Landwirtschaft der DDR hat sich als überflüssig erwiesen, seit das Kriterium von sinnvoller Produktion DM und DM-Gewinn heißt. Die Treuhand besitzt und erhält lauter Betriebe, die eigentlich nichts betreiben: Ihr Produkt findet keinen Abnehmer bzw. keinen, der DM-Preise zahlen kann, der Markt ist schon von - in Sachen Profitmacherei - produktiveren Geschäften besetzt, die Suche und Entwicklung von etwas Verkaufbarem kostet Geld, das sie nicht haben. "Aus eigener Kraft" findet kaum einer der alten VEBs seinen "Weg in die Marktwirtschaft". Nur der Verkauf an potente Kapitalisten aus dem Westen, die Eingliederung in eine fertige konzerninterne Arbeitsteilung und Marktstrategie könnte den DDR-Betrieben Aufträge, Arbeit und Einkünfte verschaffen. Kapital müßten die Betriebe werden, wenn sie "überleben" sollten, und das können sie nur als Mittel von Kapitalisten, die etwas Profitables mit ihnen anzufangen wissen - und die es im Osten nicht gibt. Produktionsmittel, die im neuen System nur als monopolisierte, den Arbeitern als Privateigentum gegenüberstehende funktionieren können, suchen einen Interessenten, damit sie in Funktion bleiben.

Fabriken, Gebäude, Arbeitskräfte - meistbietend

Die Treuhandanstalt erhält den allergrößten Teil der DDR-Betriebe, ohne daß diese Geschäfte machen würden, und ohne daß dies absehbar wäre. Sie kreditiert das, häufig mit Kurzarbeit Null verbundene, Dahinwursteln, damit noch etwas da ist, wofür sich dann eventuell ein Käufer finden könnte. Die DDR-Industrie ist auf die bloße Voraussetzung von Produktion reduziert, auf den bloßen Gebrauchswert - Fabrik, Maschine - ohne selber noch zu ihrem Gebrauch fähig zu sein. Ohne einen Käufer aus dem Westen, ohne den geübten Gewinnemacher, der nicht nur das "richtige" Verhältnis von Maschinenpark und Arbeitskräften einrichtet, der nicht nur selbst die Geschäfts- und Absatzchancen, sondern vor allem Kapital mitbringt, kann aus den Fabriken im Osten Kapital nicht werden. Darauf wartet die DDR-Wirtschaft offiziell - aber die Käufer drängeln sich nicht, obwohl sie riesige Industrien spottbillig erwerben könnten.

Erstens erweisen sich die DDR-Fabriken auch nach Entlassung der halben Belegschaft auf die Verwendungsweisen des anderen Systems ausgerichtet und unzweckmäßig für ein kapitalistisches Geschäft:

- Die Kombinate haben eine zu große "Fertigungstiefe", d.h. machen zu viel selbst, was auf dem kapitalistischen Markt billiger gekauft wird; die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sind zu groß, sie hatten ihre Rationalisierungsmittel selbst hergestellt: "Dieses kleine Land hat alles selbst gemacht", das mag zwar benutzernahe Lösungen bringen, aber marktwirtschaftlich gesehen eine ungünstige Kostenstruktur. Alles das läuft unter dem Argement "veraltete" Produktionsanlagen, obwohl es damit gar nichts zu tun hat.

- Die DDR-Chemie war zur Einsparung von Rohöl auf Karbid-Basis betrieben worden, wofür heimische Braunkohle verwendet werden konnte; ganz eigene Kunststoffe wurden aus diesem Grundstoff entwickelt. Im Westen "macht man das schon lange nicht mehr", seitdem man halt das Öl so billig kriegt. Für Westunternehmer sind die Offerten der Treuhand gar nicht so attraktiv, obwohl sie sich von "veralteten" Anlagen und anderen "Investitionshindernissen" bestimmt nicht abhalten ließen, wenn sie ansonsten Geschäftsgelegenheiten absehen würden, für die die Produktionskapazitäten der DDR-Industrie zu gebrauchen wären.

Zweitens trifft die Heimholung der DDR-Wirtschaft in den deutschen Kapitalismus nämlich auf das Ende eines weltweiten Booms d.h. auf Überakkumulation. Die Geschäftsleute haben in den letzten Jahren enorme Geschäftserweiterungen vorgenommen und ihre Kapazitäten ausgebaut. Mittlerweile klagen sie darüber, daß die Konjunktur überall außerhalb des wiedervereinigten Deutschlands stockt und der Außenhandel zurückgeht. Die vom Weststaat gestiftete - Nachfrage aus der Ex-DDR können sie in den vorhandenen Anlagen mit einigen Überstunden und Sonderschichten locker bedienen. Diese Kapazitätenauslastung schätzen sie. Expansion steht nicht an.

Ob und wieviel in der alten DDR wirtschaftlich noch läuft, hängt ganz und gar daran, was sich westdeutsche Kapitalisten aus einer Verwendung der vorhandenen Menschen und Anlagen versprechen - und das ist gegenwärtig sehr wenig.

II. Für wen die Zone nichts taugt

Für die freien Unternehmer

kann das so nicht behauptet werden. Für sie taugt das Beitritts- und neue Wirtschaftsgebiet, was es taugt. Sie haben den Fall der Mauer als die Vergrößerung ihres Marktes und als wachsende Absatzchancen begrüßt und nutzen ihn heftig. Daß die Kaufkraft, die sie im Osten abräumen, erst vom Bonner Staat per Geldumtausch und dann durch die laufenden Transferzahlungen gestiftet werden muß, stört sie nicht, wenn sie das Geld auf ihre Konten bringen. Ihr Erfolg in diesem Bemühen ist die sogenannte "gespaltene Konjunktur" in Deutschland. Daß die Wirtschaft der DDR ihnen nicht zu mehr taugt, macht- ihnen nichts, schließlich ist diese Untauglichkeit Resultat ihrer Rechnungen und schädigt diese nicht. Ihr eigenes Geschäft ist ihr ganzes Interesse; wieviel Geschäfte sonst gehen, geht private Geschäftsleute nichts an.

Selbstverständlich für ihre Bewohner

- die hatte die "marode" und eigentlich schon immer "lebensunfähige" Staatswirtschaft 40 Jahre lang vielleicht nicht glänzend, aber immerhin zuverlässig ernährt. Wohlstand und Existenzsicherheit der Zonen-Bewohner ist für den gegenwärtigen nationalen Notstand immer wieder beliebter Berufungstitel, aber tatsächlich ganz gewiß das Unwichtigste in der Sache. Die Bundespolitiker und Wirtschaftweisen, die jetzt in Katastrophenstimmung machen, wußten doch schon vor dem Fall der Mauer, daß es der Hauptfehler der DDR-Wirtschaft gewesen war, zuviele Leute von dem - relativ und in DM gemessen - mickrigen Nationalprodukt zu ernähren. Daß vor allem die Arbeitsproduktivität im Osten zu steigen hätte - und zwar durch Entlassung von der Hälfte bis zu zwei Dritteln aller Belegschaften, war denen ganz klar, die jetzt darüber beunruhigt sind, daß auch die radikale Kostenentlastung an der Lohnfront die DM-Rentabilität der DDR-Betriebe nicht herstellt und gar nicht das Sanierungsmittel ist, das sie aus dem Westen kennen und schätzen. Daß das Schrumpfen kein Gesundschrumpfen, daß der Personalabbau keine kapitalistisch lohnenden Entlassungen, sondern den Tod der Betriebe auf Raten anzeigt, das beunruhigt die sozial empfindenden Verantwortungsträger in Bonn.

Wenigstens 3 Millionen Erwerbslose, die auch einen "Aufschwung Ost" das nächste Jahrzehnt begleiten würden, finden sie dagegen überhaupt nicht schlimm. Die 2 Millionen Dauerarbeitslosen im Westen werden ja auch ganz gelassen als eine der Kosten der Einheit verbucht, die nicht sie bezahlen müssen.

Noch nichts für den deutschen Staat

Seine Vertreter zitieren die Not, in die ihre Konterrevolutionierung der sozialistischen Verhältnisse die Bürger im Osten gestürzt hat reden von "Angleichung der Lebensverhältnisse" als erste Gemeinschaftsaufgabe und meinen mit Angleichung etwa folgendes:

"Um Anschluß zu gewinnen muß moderne Technik für Kontore und Fabriken gekauft, müssen viele neue Betriebe aufgebaut werden. Soll ein Ost-Arbeitnehmer in zehn Jahren 80% dessen erarbeiten, was ein vergleichbarer Westkollege packt... " (Spiegel 16/91)

Die Angleichung meint das Nationalprodukt pro Kopf! Die 17 Millionen im Osten sollen anteilig zum Nationalprodukt der 60 Millionen Wessis beitragen. Der Anschluß der DDR sollte die BRD vom reichsten und wichtigsten unter den EG-Staaten zu einer Macht ganz anderer Größenordnung erheben. Er sollte die Addition zweier Industrienationen leisten und beweist vorläufig nur, wie unhaltbar die Abstraktion "Industrienation" ist.

Deshalb ist der Bonner Staat und nur er am Umfang der Geschäfte im Osten brennend interessiert. Seine Oberdemokraten, seine Ritter von Rechtsstaat, Eigentum und Vertragsfreiheit sind überhaupt nicht damit zufrieden, daß sie durch die Zerstörung der Ordnung der SED nun die kapitalistischen Spielregeln im Osten verordnet haben. Das ist ihnen nämlich gelungen!

Sie sind gar keine Idealisten ihrer Ordnung in dem Sinn, daß sie sie für ein Humanum und einen Selbstwert erachteten. Als Staatsmaterialisten zählt für sie einzig, was aus ihrer Ordnung an Potenz für die Nation herausspringt. Bornierte Idealisten ihrer Ordnung sind sie aber in dem Sinn, daß sie diese tatsächlich für eine Produktivkraft hielten, und meinten, man müsse nur die Gesetze der alten BRD nach Osten ausdehnen, die "fesselnden" Liefer- und Beschäftigungsverpflichtungen der Betriebe aufheben, die verordneten Preise gegen freie austauschen, und schon müßten in Ostdeutschland die Gewinne sprudeln wie im Westen.

Sogar diese ignorante Selbstsicherheit ihres "überlegenen Systems" haben sie gesetzgeberisch zu Sachzwängen gemacht, in der Absicht, drüben möglichst alles haarklein so einzurichten, wie es in der vorbildlichen BRD schon ist.

- Man hatte mit der Treuhandanstalt eine Staatsholding in die Welt gesetzt, die privatwirtschaftlich arbeiten sollte, Betriebsvermögen wurde praktisch das gesamte Volkseigentum der DDR: Sie sollte Betriebe an Privatunternehmer verkaufen und aus den Erlösen die vorläufig unverkäuflichen sanieren und weiterbetreiben. Nach immer erfolgreicherer Privatisierung sollte die Treuhand sogar Mittel an den Bundeshaushalt abführen und so die "Anschubfinanzierung" schließlich zu echtem und lohnendem Kredit machen. In den ersten Tagen der Treuhand war davon die Rede, daß die DDR-Bürger, wenn am Schluß noch etwas übrig bleiben sollte, Anteile an ihrem Vermögen ausbezahlt bekommen würden. Jetzt funktioniert die Privatisierung nicht, die Treuhand nimmt nichts ein, akkumuliert Schulden und ist pleite. Sie müßte - privatwirtschaftlich gedacht - flächendeckend stillegen, um nicht noch mehr unbedienbare Schulden zu machen. Aber das soll sie nicht.

- In den neuen Bundesländern sollte, nachdem der Anschluß ein Jahr lang als Projekt Bonner (Außen-)Politik betrieben worden war, auch die Normalität des kapitalistischen Staats einkehren: Der deutsche Föderalismus wurde verordnet, und das hieß, ab 1.1.91, mußten sich die neuen Länder aus den Steuereinkünften finanzieren, die bei ihnen hereinkommen würden. So zwingt der kapitalistische Staat sich und allen seinen Unterabteilungen auf, sich und die Dienste seiner Gewalt als notwendige und lohnende Unkost kapitalistischen Geschäfts zu bewähren: Jedes Dorf, jede Stadt usw. haben ihre materielle Basis, die Herkunft ihrer Finanzmittel aus den Geschäften, die sie in ihren Bereich ziehen können; der Dienst am Kapital und die Konkurrenz um seine Anlage ist damit ganz sinnig zum ersten Gemeinde-, Landkreis- und Länderbedürfnis gemacht.

Nur kam in den neuen Bundesländern kein Geschäft zustande und damit auch keine Steuer in die Staatskassen. Anfang März 91 waren die Treuhand und alle neuen Länder pleite. Der Staatsbankrott der neuen Länder drohte, und der gesamtdeutsche Staatsnotstand war fertig.

Freilich nicht total sachzwangmäßig. Bonn hätte den Regierungen der neuen Länder schon abverlangen können, Einnahmen und Ausgaben ihrer Haushalte zur Deckung zu bringen. Die Prinzipien der föderalen Ordnung und sauberen Haushaltsführung sehen das sogar vor. Aber das wäre der Beschluß zur totalen Brache im Osten gewesen und ein Scheitern all dessen, was die Annexion der DDR hatte bringen sollen. Einen Mezzogiorno will die Bundesregierung noch nicht zulassen: Damit sind nicht arme Leute gemeint - die braucht es jetzt massenhaft dafür, daß aus dem Osten kein Mezzogiorno wird - sondern "arme Regionen", die der Nation nichts bringen, sondern kosten, und die Nation in der Konkurrenz mit ihresgleichen schwächen, weil sie aus ihnen nichts Gewinnbringendes zu machen versteht. Die Marktwirtschaftler in Bonn haben beschlossen, daß das unbestechliche Urteil des Marktes über die Zone nicht akzeptiert wird: Die Kapitalisierung der sozialistischen Wirtschaft wird nicht aufgegeben, nur weil sie fehlschlägt. Wenn die Privaten kein Geld in den Osten schaffen, weil sie keine Profitchancen sehen, dann ersetzt der Staat das Geschäft, das nicht geht, damit es doch geht. Er kauft und zahlt durch rücksichtlose und bisher ungekannte Dimensionen der Staatsverschuldung. Und wird den Widerspruch des Unternehmens doch nicht los.

III. Die "Kosten der Einheit"

sind genaugenommen ein ideologischer Name. Denn einerseits sind die Aufwendungen von, denen da die Rede ist, ja keine Kosten der Einheit: Eroberungen kosten nichts; die staatliche Einheit mußte nicht gekauft werden. Andererseits sind sie aber auch keine Kosten, ein irgendwie feststehender Preis für eine Sache: Der Finanzrahmen dessen, was für den "Wiederaufbau" der DDR nötig ist, ist ebensowenig absehbar wie ein Erfolg dabei. Beschlossen ist lediglich die radikalisierte Fortsetzung des Projekts, das nicht gelingt: Die Re-Kapitalisierung einer post-kapitalistischen Ökonomie.

Es stimmt eben nicht, daß sich die sozialistische Ökonomie übernehmen, mitsamt ihren Potenzen einem anderen Zweck unterwerfen und einer - am Ende noch verbesserten - privaten Nutzung zuführen ließe. Der Systemwechsel zerstört diese Wirtschaft ohne brauchbaren Rest: Anders als beim sozialistischen Umsturz bemächtigen sich nämlich nicht die Revolutionäre der Produktionsmittel, die vordem gegen sie monopolisiert waren, m sie endlich für sich u nutzen. In unserem Fall hat sich der bürgerliche Staat das sozialistische Volkseigentum gegriffen - und sucht nun Privateigentümer die sich für die Beute der Annexion interessieren könnten. Nachdem das Interesse derer, die Lohn, Arbeit und Produktion gebraucht hätten, nichts mehr gilt, kommt es zur Suche nach dem Profit-Interesse, für das nun einzig noch produziert werden darf, und das meldet sich nicht. Der Profit bestätigt sich im Osten als eine schon abgeschaffte Schranke der Produktion, die, wieder eingerichtet, Produktion unterbindet.

Der Widerspruch der beabsichtigten Privatisierung der Staatswirtschaft besteht darin, daß es der bundesdeutsche Staat den Privaten und ihren Profitkalkulationen überlassen will, ob, was und wieviel produziert wird, - aber doch nur, damit die dann fleißig produzieren, akkumulieren, Exportbilanzen, Steuern und die Wucht der DM vergrößern und dem Staat einen wachsenden Reichtum zu seiner Disposition einspielen. Wegen dieses Auftrags will er seine Einkünfte den privaten Profiten unterwerfen, und deswegen eben auch nicht: jetzt greifen die Geldsäcke des Westens nicht begeistert zu, und der Staat resigniert doch nicht: jetzt überläßt er ihrem Urteil die Entscheidung über Produktion oder Brache im Osten nicht, gerade weil er es ihnen nach wie vor überlassen will und nicht aufhört, auf seine Teilhabe am privat zustandegekommenen Mehrwert zu setzen.

Ein bißchen Stamokap für den Osten

Dieses Stichwort stand einmal für eine Theorie der realsozialistischen Geschichtsphilosophen die sich erklären mußten, warum der Kapitalismus immer noch weiterexistieren kann, obwohl er doch schon in Fäulnis übergegangen sei: Nur dadurch, daß der Staat sich direkt in die Ökonomie einmischt, selbst Kapitalist wird und sich mit seinen ganzen Potenzen als (privates) Wirtschaftssubjekt neben und an die Stelle der funktionsunfähigen Kapitalisten setzt, war das den ML-Denkern erklärlich. Für den Westen hatte diese Theorie nie gestimmt, die Trennung von Staat und Kapital ist im eingerichteten Kapitalismus produktiv; aber in der neuen Zone der BRD könnten sie dieses Phänomen studieren, und seinen Widerspruch dazu.

Theoretisch schön tautologisch, praktisch schön stur halten die Macher der Nation an ihrer Diagnose fest, derzufolge die Ex-DDR zum Zugreifen offenbar noch nicht attraktiv genug ist, wenn die Privatkapitale nicht zugreifen mögen. Also sorgt der Staat durch eine Vielfalt von Maßnahmen für die Brauchbarkeit des neuen Wirtschaftsraumes und tut unverdrossen so, als läge es in seiner Macht, den Profit zu stiften und nicht nur, ihn durch Staatsschulden zu ersetzen.

- Der "Ausbau der Infrastruktur" ist ein Riesenprogramm geworden. Mit dem Bau von Autobahnen, Bahnverbindungen, Telefonnetzen, Kläranlagen und Sondermülldeponien stiftet der Staat sogar Geschäft: Die Bauindustrie und ihre Zulieferer werden die Aufträge gerne annehmen und auch Gewinne machen die der Staat bezahlt. Für die Privaten ist so etwas ein reguläres Geschäft - für den Staat nicht: Er finanziert sich aus den Steuern auf private Gewinne und nicht umgekehrt.

- Weil die verbesserte Infrastruktur keineswegs das geforderte Geschäft stiftet, wird mit gigantischen "Investitionsanreizen " der Standortnachteil Ost ausgeglichen. Das Investieren lohnt sich für eine normale Geschäftsrechnung nicht, der Staat legt ungefähr die Hälfte des Kapitals über verschiedene Titel (Sonderabschreibungen, Investitionszulagen, Steuerverzicht) drauf.

"Genug gewiß, um manchen zögerlichen West-Manager zum Start in den Osten anzuregen; genug, um manche neue Fabrik, die für Paderborn oder Pirmasens geplant war, nun in Plauen oder Potsdam hochzuziehen." (Spiegel 16/91)

Ob aber die Umleitung von Investitionen durch Sonderangebote Geschäftstätigkeit und Profit in der Nation überhaupt vergrößern, ist die Frage.

Was erhalten und überführt werden soll, wird immer abstrakter bestimmt. Waren anfangs die DDR-Fabriken gemeint und als brauchbare Produktionsmittel eingeplant, so heißt es jetzt, es gelte die Industrieregion und die Standorte zu erhalten, während das, was auf den Standorten draufsteht, weg kommt: VW "steigt bei IFA in Zwickau ein", indem alles abgerissen wird und VW daneben ein neues kapitalismustaugliches Werk hinstellt; Eisenach bleibt "Autostadt" dadurch, daß vom Wartburg und dem dazugehörigen Werk gar nichts bleibt, sondern Opel ein Werk für den Vectra baut und Bosch ein anderes. Die"Sanierung", die hier durch die staatlichen Sonderangebote gelingt, hat nichts zu tun mit einem Erhalt.

- Nachdem ihr Auftrag der Privatisierung vorerst weitgehend fehlgeschlagen ist, hat die Treuhand nun wegen der obigen Rücksichten die Priorität "Sanieren vor Schließen" verordnet und erweiterte Kreditlinien genehmigt bekommen. Zur Erhaltung von Geschäftstätigkeit als Bedingung von Geschäftstätigkeit soll die Treuhand jetzt doch nicht so ganz übergangsweise, sondern längerfristig den Unternehmer für all ihre Pleiteobjekte machen. Jetzt investiert sie 500 Millionen in die unverkäufliche Chemieindustrie um Halle "ohne Verkaufsperspektive": Leuna und Buna bekommen Mittel zur Umstellung auf Petrochemie. Mit ihren durch Staatsschulden konkurrenzfähig gemachten Produkten werden sie dann Hoechst und BASF Konkurrenz machen und sofern sich der Markt für Chemieprodukte nicht überhaupt ausweitet - die ehrlich verdienten Profite der Nation behindern, um deren Beförderung alles doch bloß unternommen wird.

- Selbst die Arbeiterklasse, für die kein aktueller Bedarf besteht, wird als Bedingung und Element der Industrieregion. erhalten. Damit sie sich nicht an die Rolle des Fürsorgeempfängers gewöhnt, wird manchem die Arbeitslosigkeit zur Arbeit gemacht und sein - aufgebessertes - Arbeitslosengeld von einer Beschäftigungsgesellschaft bezahlt. Die bewegt sich in dem eben behandelten Widerspruch: Die Finanzierung ist das geringere Problem, das Arbeitsamt, d.h. der gesamtdeutsche Lohn bezahlt die Sache - aber was kann man die Leute arbeiten lassen, ohne damit ein ehrliches Geschäft zu unterbinden. Gesucht werden Arbeiten, die kapitalistisch nicht zu erledigen wären, bzw. für die gleich gar keine Aufträge zustande kämen. Solche Arbeiten aber gibt es nicht. Deshalb wird viel wert auf die künstliche Differenz gelegt, daß die Beschäftigungsgesellschaften nur Sanierungs-, Abbruch- und Aufräum-, aber keine Aufbauarbeiten machen dürfen: In Bitterfeld dürfen sie das Gelände für eine Kläranlage frei machen und aufbereiten, die Kläranlage bauen dann wieder richtige Geschäfte, die sauber kalkulieren und nicht nur Steuem kosten, sondern auch abwerfen.

Mit diesen und noch mehr Maßnahmen hält die Bundesregierung an ihrem ursprünglichen Titel "Anschubfinanzierung" fest, obwohl sich da nichts anschiebt. Obwohl jetzt klar ist, daß auf Jahre hinaus Milliarden in den Osten geschoben werden müssen, nur um den Laden wie jetzt zwischen Leben und Sterben zu halten, und überhaupt nicht absehbar ist, wann sich diese staatlichen Kredite einmal in Form wachsenden Nationalprodukts und wachsenden Steueraufkommens auszahlen sollen, wird das alles als Investition in Deutschlands Zukunft und in letzter Instanz doch als Anschub aufgefaßt, der einmal in den "selbsttragenden Aufschwung" münden soll. Im Unterschied zur gewohnten Subventionspolitik der Regierung ist dieser Punkt des Lohnens nicht mehr ein Ziel, das durch die Staatszuschüsse gesichert wird, sondern das Ideal einer Kreditierung, die diesen Punkt gar nicht selbst herbeiführen kann. Immer schon hatte die deutsche Regierung erfolgversprechende Expansionen in Bereiche ausländischer Dominanz (z. B. den Airbus gegen das US-Monopol des Flugzeugbaus) unterstützt, aber nie Geschäfte ersetzt, weil sie nicht lohnend waren. Das war der Unterschied zum italienischen, französischen und britischen Haushaltsgebaren, welches Bonn jahrzehntelang kritisiert hatte. Das ehrgeizige Projekt Großdeutschland verlangt jetzt eine Staatsverschuldung in einem Maßstab, wie sie die DM-Macht bisher nicht kannte. Der Finanzbedarf ist wegen des Widerspruchs des Projekts - jede Menge Geld muß jetzt her, auch wenn nichts daraus wird; abschreiben wäre endgültig - grenzenlos.

Der Staat kassiert ab

erklärtermaßen dafür. Von jedem Normalverdiener etwa 1000 DM im Jahr. Von Solidarität ist die Rede mit den armen Landsleuten drüben - als ob denen davon Autos gekauft und Wohnungen modernisiert würden. Soviel stimmt daran ja, ein kleiner solidarischer Beitrag zu Angleichung der Lebensverhältnisse nach unten ist das aufjeden Fall.

Das heißt freilich nicht, daß die 100 Milliarden, die damit vielleicht hereinkommen, die Bonner Finanzkraft um diese Summe vergrößert hätten: So gigantisch das Projekt, die deutsche Wirtschaftsmacht und das Nationalprodukt um ein Drittel zu vergrößern, ist, so gigantisch ist die Staatsverschuldung dafür. Darunter leidet der Kredit der Nation. Kanzler und Finanzminister haben offenbar befürchtet, daß der Außenwert der DM, und das heißt ihr Versprechen, in ihr angelegtes Geld - relativ zu anderen Währungen - besser zu Kapital zu machen, in Zweifel gezogen werden könnte. Dafür hat es die Steuererhöhung gebraucht; sie ist "der solide Weg", nicht weil dadurch die Kreditaufnahme reduziert wird, sondern weil man sie dank höherer Steuern auch wieder wilder in die Höhe treiben kann. Der Beweis, daß die BRD bei ihrem Volk stets wachsende Summen wirklich verdienten Geldes eintreiben kann, verbürgt die Bonität dieses Schuldners. (Es ist die Ironie der Geldmärkte, daß sie die DM in dem Moment abgewertet haben, als man sich in Bonn entschloß, etwas für die eigene Bonität zu tun. Die Spekulanten merken die Unsolidität der Verschuldung offenbar erst, wenn die jeweiligen Regierungen sie zugeben.)

Nie wurden die Steuern auf einen Schlag stärker erhöht als Mitte März und nie so unkompliziert: Keine jahrelange Steuerdebatte, kein Beweis der förderlichen Wirkung sowohl der Art ihrer Erhebung wie ihrer Verausgabung auf Bürger und Wirtschaft, und keine Tränen für den kleinen Mann, der mal wieder statt der Millionäre zur Kasse gebeten werde. Die Steuererhöhung wurde überhaupt nicht mit einem Dienst begründet, den der Staat den Bürgern mit dem ihnen abgezogenen Geld leisten würde, es ging überhaupt nicht um Dienste des Staats am Volk, sondern eindeutig umgekehrt: Der Staat hatte sich mit der Wiedervereinigung, und was er damit meinte: mit seinem imperialistischen Durchsetzungsprogramm, einen Erfolgszwang auferlegt und war damit in Schwierigkeiten geraten: Jetzt ging es für die deutschen Patrioten ausdrücklich um Opfer, jetzt standen unwidersprochen, ohne Wenn und Aber Dienste der Nation am Staat an. Die Opposition macht Punkte, nicht mit dem Deuten auf die Opfer der Steuererhöhung und dem Schüren ihres Ärgers darüber, sondern mit dem Argument: Wer hat's denn schon immer gesagt - und der Kanzler hat gelogen.

Die Klarheit der Situation beseitigt allen Streit: Der Staat in Nöten - das Volk hat für seine Ambitionen geradezustehen. Fragen, die sonst bei Steuern stets anstehen, finden einfache Antworten: Ob der staatliche Geldabzug die Konjunktur schädigt: Aber klar schädigt er. Aber sie muß es aushalten, es gibt Wichtigeres als die Konjunktur. Ob die Weltgeltung der DM Schaden nimmt: Klar nimmt sie Schaden - und Karl Otto Pöhl, gewissermaßen die personifizierte Staatsräson der alten BRD, muß lernen, daß einmal nicht die ganze Nation der DM dient, sondern umgekehrt: Er hält das nicht zu unrecht für ein Desaster.

Die Entschlossenheit der Regierung, auf diesem Weg über all die Rücksichten und Prioritäten hinwegzugehen, die einmal das Erfolgsrezept des Aufstiegs der BRD gewesen waren, die klare Umkehrung des Dienstverhältnisses von Staat und Ökonomie gegenüber "Friedenszeiten", verrät, wie sehr die Nation auf diesen Weg festgelegt ist und wie bedacht sie - auf dem Feld ihrer Finanzen - alles revidiert was ihr bisher als unantastbar galt. Offen bleibt - weil es eine Frage der imperialistischen Konkurrenz ist -, ob diese Nation, trotz ihrer gewaltigen Mittel, die friedliche Eroberung der DDR in einen ökonomischen Erfolg und damit in einen Zugewinn an Weltmacht ummünzen kann. Aber eine solche Ungewißheit stachelt Staaten nur auf, statt sie von etwas abzuhalten. Die Altemative, die Bewirtschaftung der Ex-DDR bleiben zu lassen, also ausgerechnet jetzt Verzichtspolitik zu üben, steht der BRD ohnehin nicht offen. Deutsche Politiker wissen, daß eine Nation verliert, wenn sie sich beschränkt, statt sich durchzusetzen. "Deutschland ist entweder Weltmacht oder gar nicht!" (Helmut Kohl, oder war's Willy Brandt oder wer?)