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III. Neues von den Gefechtsfeldern des Weltfriedens
DER "NORD-SÜD-KONFLIKT" - WARUM DARAUS NICHTS WIRD
Der weltkriegsträchtige Konflikt zwischen den kapitalistischen Weltwirtschafts- und Weltordnungsmächten des Freien Westens und der sowjetischen Weltfriedensmacht mit ihrem Sozialistischen Lager hat noch die Welt beherrscht, da kam bei vielen, die es besser wissen wollten, bereits der Verdacht auf, es gäbe Wichtigeres als die Alternative "Freiheit oder Sozialismus" und vor allem einen viel bedeutenderen globalen Interessengegensatz als den zwischen 'Ost' und 'West', nämlich einen drohenden Überlebenskampf zwischen 'Nord' und 'Süd': zwischen der 3. Welt und den entwickelten 'Industriestaaten' der Nordhalbkugel. Dieser Konflikt hätte jetzt also freie Bahn, seitdem die Sowjetunion dem Westen nicht mehr als Hauptfeind zur Verfügung steht. Nun stünde es an, den Streitfall zwischen den Reichen dieser Erde und ihren Hungerleidern auszutragen so oder so: durch gewaltsame, kriegerische Unterdrückung des 'Südens' oder durch die längst überfällige Herstellung der "einen Welt für alle" - die Vorstellung von einem zunächst blutig abgewehrten Hungermarsch der Afrikaner nach Norden, auf Europa, ist sogar schon zum Kitschfilm gediehen.
Der Wahrheitsgehalt der Sorgen, die sich in dieser Theorie eines - noch latenten - Nord-Süd-Konflikts ausdrücken, liegt erst einmal bloß darin, daß die Massen in der 3. Welt allen Grund hätten, im 'Norden'die Verursacher ihrer elenden Lage zu (be)suchen. Wo sie sich allerdings tatsächlich auf den Weg machen, bleibt weder von ihrer Masse noch von ihrer vorgestellten Bedrohlichkeit etwas übrig: Sie sind als zurückgewiesene oder ausgenutzte "Wirtschaftsflüchtlinge" oder als asylsuchende Opfer unterwegs; nicht um Unruhe zu stiften, sondern um eine Zuflucht zu finden; und bringen es bestenfalls dazu, auf irgendwelchen Nebenschauplätzen der internationalen Politik Spielball fremder Interessen zu werden. Politik wird eben in der 3. Welt, genauso wie sonst überall in der modernen Staatenfamilie, nicht von den Völkern gemacht, sondern von Regierungen, die ihr Staatsvolk ihre Macht spüren lassen.
Für diese, die Machthaber in der 3. Welt, ist an dem voll Sorge beschworenen 'Nord-Süd-Konaikt'soviel dran, daß sie mit ihren politischen und kommerziellen Gläubigern aus dem 'Norden', den Herren über Warenhandel und Finanzmärkte der wirklichen "einen Welt für alle", im Dauerstreit liegen über die bestmögliche Gestaltung ihres Schuldendienstes, über Umschuldungen, über die korrekte Wirtschaftspolitik in ihren Ländern und ähnliches.
Dieser Streit ist allerdings erst recht das Gegenteil von allem, was die Rede über einen 'Nord-Süd-Konflikt' behaupten oder nahelegen will. Zum einen sind es - schon seit längerem und endgültig seit der Erledigung des Ost-West-Gegensatzes - viel eher die Regierungen und Finanzagenturen der 1. Welt, die bei ihren Verhandlungspartnem und Kontrahenten im 'Süden' wirtschaftspolitischen Korrekturbedarf anzumelden haben und auf der Erfüllung von Finanzierungsbedingungen bestehen, und kaum jemals noch die Schuldenverwalter der 3. Welt, die auch nur rhetorisch die Forderung nach einer Radikalreform der Weltwirtschaft und ihrer Kapitalströme zu ihren Gunsten aufstellen würden. Und wo Regierungen von 3. Welt-Staaten sich auf Streit mit ihren Gläubigern, Kapitalgebern und überlegenen Handelspartnern einlassen, da geht es um die Bedingungen ihrer weiteren Teilnahme am Weltgeschäft; irgendeine Absicht, aus dem Schuldendienst, dem Kolonialwarenhandel oder der - immer von neuem verlorenen Konkurrenz um kapitalistische Investitionen auszusteigen, ist nicht zu registrieren, geschweige denn ein Versuch, die Subsumtion des eigenen Landes unter den Weltmarkt und die Interessen seiner politischen Aufseher und Nutznießer zu bekämpfen. Würden sie einen 'Nord-Süd-Konflikt' in diesem Sinn 'suchen und aufnehmen, so würde der alsbaldige Verlust ihrer Herrschaftsmittel sie darüber belehren, welchem Zweck sie mit ihrer Herrschaft dienen, also ihre Existenz als politische Obrigkeit über ein Stück Erdoberfläche verdanken: Sie sind als nationale Souveräne gefragt, damit die Geschäftswelt und die Weltordnungspolitiker aus dem 'Norden' überall verhandlungsfähige Partner antreffen, die für die Verfügbarkeit von Land und Leuten einstehen. Und weil das ihr Daseinszweck und -grund ist, enthält schon das politische Programm solcher Regierungen alles andere als das Projekt eines organisierten Aufstands gegen die 1. Welt; im Gegenteil. Gerade mit dem Dahinschwinden des Ost-West-Gegensatzes legen die Staaten des 'Südens' ihre Herrschaft nach innen - wieder einmal und mit neuer Entschlossenheit - programmatisch auf den guten Willen fest, ihren Vorbildern und Vormündern aus dem 'Norden'zu entsprechen. (Hierzu Punkt A.)
Dabei sind die Machthaber der 3. Welt - lernwillig, wie sie sind - alles andere als konfliktscheu. Am Willen, die Lage ihrer Nation mit allen verfügbaren Mitteln, also mit Gewalt zu verbessern, fehlt es nicht; und um ihre Ausstattung, die ihnen entsprechende Versuche gestattet, steht es nach Jahrzehnten eines aus Ost und West gern und reichlich bedienten internationalen Waffengeschäfts auch nicht schlecht. Die Konflikt- und Kriegsbereitschaft von Souveränen der 3. Welt richtet sich aber weder ihrer Absicht nach gegen den 'Norden', der alles tut, um ihnen ihre untergeordneten weltpolitischen Dienste zu ermöglichen und sie darauf festzulegen; noch haben ihre militärischen Mittel überhaupt die nötige Reichweite, um an die Macht heranzureichen, über die die kapitalistischen Demokratien des Nordens verfügen - die Möglichkeit einer solchen Bedrohung ist als Gefahr in den strategischen Kalkulationen und in der Rüstungsplanung westlicher Militärs vorgesehen und wird bereits vorweggenommen und schlagkräftig beantwortet, noch bevor irgendwelche einschlägigen Mittel in den Händen von 3.Welt-Mächten wirklich existieren. Die entdecken ihre wirklichen Konfliktgründe denn auch nur dort, wo ihre Fähigkeit, eigene Interessen mit eigenen Kräften zu verfolgen, wirklich hinreicht. Und weil ihnen all die weitreichenden zivilen Erpressungsmittel "entwickelter" Staaten fehlen, beschränkt sich ihre Konfliktbereitschaft praktisch auf die Reichweite ihrer Waffen, also mehr oder weniger auf ihre unmittelbare Nachbarschaft. Dort stoßen sie mit ihrer Macht und ihren staatlichen Aufbauvorhaben allerdings häufig genug an Grenzen, um deren Aufhebung zu kämpfen sie für lohnend, also gerecht befinden. Die wirklichen Konflikte des 'Südens' spielen sich daher innerhalb dieser weltpolitischen Himmelsrichtung ab; und es bleibt Ermessenssache der großen kapitalistischen Mächte, die Konsequenzen abzuschätzen, die sich daraus für ihre Weltordnungsinteressen ergeben, und im Fall einer Schadensdiagnose daraus einen Konflikt zu machen, der sie betrifft. Das Beispiel des Golfkriegs lehrt dabei neben vielem anderen auch dies, daß die demokratischen Weltordnungspolitiker gerade in einem solchen Fall keinen 'Nord-Süd-Konflikt' inszenieren, sondern das Interesse und die Mittel haben, mit den betroffenen Nachbarn, also Staaten der 3. Welt eine Allianz gegen den ausgemachten Störenfried zu organisieren und eine Konfrontation herzustellen, in der kein Theoretiker des 'Nord-Süd-Konflikts' die von ihm befürchtete weltpolitische Frontstellung wiederentdecken mag.
Wenn es also an den Konflikten, die von Souveränen der 3. Welt angezettelt werden, ein Moment weltpolitischer Bedeutung gibt, so liegt das allemal in den Kalkulationen, mit denen sich die wirklichen Weltmächte darauf beziehen. Bisherige "regionale Konflikte" waren daher ihrer weltpolitischen Funktion nach Schauplätze im Ringen des Freien Westens mit der Sowjetmacht um strategische Positionen und die Aufteilung der Welt, auch wenn ihre Urheber vor Ort ganz andere Zwecke im Sinn hatten; denn so wurden sie gehandhabt. Den "Fall Irak" haben die USA anders eingeordnet, nämlich als Bedrohung der hergestellten Kräfteverhältnisse in einer "sensiblen" Problemzone der 3. Welt und als einen Verstoß gegen die Staatenordnung überhaupt, der auf gar keinen Fall Schule machen darf; in diesem Sinne haben sie dazu den Standpunkt der vorsorglichen Abschreckung möglicher "Nachahmungstäter" eingenommen. Darin liegt ein Verweis auf ein konfliktträchtiges Verhältnis, das der 'Norden' zum 'Süden' des Globus eingeht, nämlich auf ein Sicherheitsproblem von grundsätzlicher Bedeutung, das die Vereinigten Staaten und ihre wichtigen Partner mit aufstrebenden "Entwicklungsländern" haben: Von ihrem anspruchsvollen Weltordnungsstandpunkt aus halten sie diese Staaten der 3. Garnitur für unberechenbar und letztlich unzuverlässig, soweit sie nicht mit überlegener Gewalt für eine eindeutige Zuordnung sorgen. So tragen sie der Tatsache Rechnung und erkennen gewissermaßen an, daß Staaten der 3. Welt immer wieder Gründe finden, also Grund genug haben, die vom 'Norden' geschaffene und betreute Staatenordnung umzustoßen, wo sie es können. Daß sie zu solchen Unternehmungen durch Waffenlieferungen aus dem Norden überhaupt erst befähigt werden, zeigt auf der anderen Seite, wie wenig der Freie Westen sich hier in einem generellen Konflikt mit dem 'Süden' sieht. Bisher hat er sich auf diese Weise Bündnispartner für seinen 3. Weltkrieg gegen die Sowjetmacht beschafft; jetzt kalkuliert er, und zwar offenbar recht frei, schon wieder mit einer nützlich zu machenden Konfliktbereitschaft uon 3. Welt-Souveränen, also damit, daß deren Rechnungen gegeneinander und Abrechnungen miteinander durchaus im Sinne des Kräfteverhältnisses zu handhaben sind, das in seinem Weltherrschaftsinteresse liegt.
Und damit liegt der gegenwärtige Imperialismus, was die 3. Welt betrifft, nur allzu richtig. Die Kriege, zu denen Staaten der südlicheren Weltregionen bereit sind. und fähig gemacht werden, mögen zwar den erwünschten Weltfrieden stören; für die Weltherrschaft, auf der die Mächte des Freien Westens - noch gemeinsam - bestehen, sind sie am Ende eher funktional als gefährlich. (Hierzu Punkt B.)
A. Politik und Militär in Dritte-Welt-Staaten
Von Demokratiebewegungen und Bürgerkriegen, Generälen und Populisten und von der Unverhälnismäßigkeit ziviler Gewaltmittel
Die Selbstverständlichkeit staatlicher Gewalt und ihre gar nicht selbstverständliche zivil-rechtsstaatliche Einteilung
In der Welt von heute gibt es nirgendwo ein politisches Machtvakuum. Im Prinzip sind Land und Leute weltweit unter der Kontrolle souveräner Regierungen, die ihren Entscheidungen - ganz unabhängig davon, welchen besonderen Zweck sie damit verfolgen - hoheitliche Geltung zu verschaffen wissen; zumindest liegt darin ihr oberster Daseinszweck. Prinzipiell ist die Welt verfügbar gemacht; und das Prinzip ihrer Verfügbarkeit ist der Zugriff einer souveränen Gewalt, die die Landesbewohner der Herrschaft ihres Rechts unterwirft.
Dieses Verhältnis läßt sich auch so ausdrücken, daß überall souveräne Regierungen zugange sind, die in ihrem Zuständigkeitsbereich alle Gewalt monopolisieren; und so klingt die Elementarform politischer Herrschaft schon mehr nach einer zivilisatorischen Errungenschaft, nämlich einer zivilisierenden Leistung, vollbracht an einer gewalttätigen Untertanenmannschaft. Da ist auch was dran - wenn man es als selbstverständlich voraussetzt, daß die gesellschaftlichen Beziehungen im modernen Gemeinwesen grundsätzlich Gewaltverhältnisse sind, also Interessensgegensätze zum Inhalt haben; und wenn man des weiteren ignoriert, daß die entscheidende Leistung einer Zentralgewalt, die alle diese gesellschaftlichen Gegensätze und Gewaltverhältnisse über sich als Gewaltmonopolisten laufen läßt und in ein Hoheits- und Unterwerfungsverhältnis zwischen sich und ihren Bürgern verwandelt, darin besteht, diese gesellschaftliche Idylle überhaupt erst funktionstüchtig und haltbar zu machen, also die gewalttätigen Interessensgegensätze i n Kraft z u setzen, die sie mit ihrem Monopol zivilisiert. Aber genau so wohlwollend will die politische Herrschaft heutzutage tatsächlich betrachtet sein; und ihre modernen Untertanen tun ihr in der Regel auch den Gefallen, fragen sich nicht nach dem schlechten Grund für die unabweisbare Notwendigkeit staatlicher Gewalt, sondern sorgen sich um deren Monopol und begrüßen die beim Souverän konzentrierte Gewalt als Wohltat, so als wäre sie keine. Sie akzeptieren das Paradox, als welches die Staatsmacht sich ihren Bürgern vorstellt: den Widerspruch einer Gewalt, die gerade als solche ihren Untertanen grundsätzlich von Nutzen ist.
Dabei kommt es bei diesem paradoxen Dienst, und zwar unterschiedslos bei allen souveränen Mitgliedem der modernen Staatenwelt, erst einmal bloß darauf an, daß das Gewaltmonopol stimmt; also auf einen wirkungsvollen Gewaltapparat, mit dem die Regierung jeden Gegensatz gegen ihr Volk aufmachen kann, den sie für nötig hält. Dessen Nutzen liegt im Ertrag der Interessensgegensätze, für deren Bestand die Staatsmacht mit ihrem Apparat einsteht; und dieser Ertrag sieht in verschiedenen Staaten unterschiedlich aus und vor allem in der 3. Welt anders als in der 1.; denn er ergibt sich aus den materiellen Interessen, denen die Staatsmacht in ihrer Gesellschaft zu rechtlicher Gültigkeit verhilft. Diese allgemeingültig gemachten Interessen begründen die besonderen politischen Aufgaben, denen eine moderne Regierung sich zu widmen hat, sowie die funktionellen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und die zweckmäßige Organisation eines nationalen Machtapparats. Also fällt auch dessen Verfassung in den Staaten der 3. Welt deutlich anders aus, als es der demokratische Wahl-Untertan einer weltwirtschaftlich führenden Nation 1. Klasse von seinem Gemeinwesen gewohnt ist.
So fällt dem demokratisch geschulten Blick als erstes auf, wie wenig die Staatsgewalt dort sich an die Regeln ihrer Auf- und Einteilung hält, die hierzulande ais unveräußerliches Menschenrecht und Freiheitsgarantie gelten. Höchst selten ist die Rechtsprechung auch nur formell autonom; Parlament und Parteienleben werden in der Regel von der Regierung gelenkt, und oft gibt es nur eine staatliche Einheitspartei, wie der gute Demokrat sie als Verbrechen des feindlichen realsozialistischen Systems kennt. Und die Trennung der zivilen Gewalt insgesamt von der militärischen, die Unterordnung der Armee unter zivile Minister und ihr Verharren im Wartestand bis zum eventuellen. Kriegsfall, all das ist kaum irgendwo formgerecht durchgeführt, existiert meist nur zum Schein und wird häufig genug vom Militär aufgekündigt. Für die Vertreter und das Publikum der "vierten Gewalt", die in 3.Welt-Ländern auch nicht ungestört ihrem verantwortungsvollen "Wächteramt" nachgehen darf, ist das alles ein klarer Fall: politisch schlecht und - je nach Lage der politischen Beziehungen - zur Not verständlich oder böse.
Dabei wäre die Sache gleich viel klarer, wenn im staatsbürgerlichen Bewußtsein reifer Demokraten eine Ahnung Platz hätte, warum es im bürgerlichen Staat die ihm vertraute "Gewaltenteilung" gibt und wozu das gut ist, daß die demokratische Staatsgewalt sich vor ihren Bürgern als rein zivile Ordnungsmacht aufbaut, statt ihnen mit ihren Kriegsmitteln zu drohen - es sei denn, ein innerer Notstand macht eine Kriegführung nach innen erforderlich; dann hat auch im demokratischen Gemeinwesen die Abtrennung der staatlichen Kriegsfähigkeit vom zivilen Leben ihr Ende. In normalen Zeiten bleibt aber die militärische Gewalt für auswärtige Einsätze reserviert; und die zivile gewährt allen, die ihr gehorchen, Meinungsfreiheit und ein Wahlrecht und das einklagbare Recht auf einen strikt gesetzeskonformen Umgang der Staatsmacht mit ihren Bürgem. Mit solchen demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen werden Untertanen beschenkt, denen die Unterwerfung ihrer Interessen unter diejenigen einer viel wichtigeren gesellschaftlichen Klasse, für die der Staat mit seinem Gewaltmonopol einsteht, zur zweiten Natur geworden ist; die daher nicht stets von neuem zur Unterordnung gezwungen werden müssen, weil sie ihre Vorhaben immer schon an dem ausrichten und bemessen, was im Sinne der herrschenden Ordnung geht und was nicht geht; die also sozialfriedlich nach Maßgabe der staatlichen Vorschriften funktionieren, weil sie darin glatt ihre Existenzbedingung sehen und anerkennen. In diesem Sinne bezieht sich jedenfalls die bürgerliche Staatsgewalt auf ihre Leute, wenn sie sich als öffentlicher Dienst präsentiert, sich sogar auf ihre dementsprechende Funktionalität hin selbst kontrolliert und ihren Bürgern die Freiheit gewährt, sich in Gedanken an allen staatlichen Ordnungsproblemen zu beteiligen und nach freiem Ermessen unter den Kandidaten für die Ausübung der Staatsmacht auszuwählen. Eine Staatsgewalt, die so verfährt, nimmt ihre Staatsbürger umstandslos als Charaktermasken der Funktionen, die sie für ihre verschiedenen Volksklassen vorgesehen hat: Sie hilft ihnen, das zu sein, als was sie sie haben will. So ordnet sie ihre Untertanen ein und unter.
Keine Frage, daß diese Art der Subsumtion von Menschen unter die staatliche Gewalt und ihre Gesetze die denkbar effektivste ist, weil sie gleich von der Unvollziehbarkeit grundsätzlicher Alternativen zur durchgesetzten Gesellschaftsordnung ausgeht und gar nicht mehr von einer Notwendigkeit, irgendeines der herrschenden Unterwerfungsverhältnisse erst noch durchsetzen zu müssen. Klar ist allerdings auch, daß die so durchgesetzten gesellschaftlichen Beziehungen klappen, die Betroffenen sich darin eingerichtet haben und ihre Interessenslage systemgerecht definieren müssen, damit sich die staatliche Gewalt so zivil auf sie beziehen kann - die dazugehörigen Notstandsgesetze geben, wie gesagt, die Bedingungen an, unter denen dieselbe Gewalt sich auf die Notwendigkeit und ihre Mittel zurückbesinnt, ihren Bürgem als überlegene Bürgerkriegspartei entgegenzutreten.
So zivil, demokratisch und rechtsstaatlich tritt die Staatsgewalt in 3. Welt-Ländern in aller Regel tatsächlich nicht an - aber nicht, weil dort finstere Kräfte sich immer wieder gegen die allerheiligsten Werte der Freien Welt verschwören würden.
Bürgerkriege und oppositionelle 'Demokratiebewegungen' in Schwarzafrika:
Die Bilanz von 3 Jahrzehnten Gewaltmonopol in imperialistischem Auftrag
Die Staaten, die vor 30 bis 35 Jahren aus den afrikanischen Kolonialreichen der großen bürgerlichen Nationen Europas hervorgegangen sind, haben sich allesamt dem Ziel verschrieben, so zu werden wie die Mächte, aus deren Herrschaft sie entlassen worden waren. Nicht bloß die Ideale ihrer souveränen Eigenstaatlichkeit, das Ethos der Regierung durch und für das Volk, haben die neuen autonomen Regierungsmannschaften aus dem bürgerlichen Wertekanon übernommen; hier und da, in Erinnerung an die erlittene rassische Diskriminierung, mit besonderer Betonung des Gleichheitsideals und der Tugend der nationalen Brüderlichkeit und unter dem dazu passenden Etikett des - "afrikanischen" - Sozialismus. Sie haben auch einiges unternommen, um die in ihren ehemaligen Mutterländern herrschenden politischen Verkehrsformen bei sich einzuführen; insbesondere eben die Errungenschaft einer zivilen Gewalt, die nicht durch bloße Unterdrückung, sondern auf dem Wege des organisierten Mittuns der Bevölkerung, etwa im Rahmen einer einheitlichen politischen Partei, so etwas wie eine nationale Einheit im Volk und zwischen sich und dem Volk herstellen sollte. Die Elite sollte auf absolut demokratische und gerechte Weise, über ein breites nationales Ausbildungswesen, aus dem Volk herauswachsen; demokratische Betreuung durch staatlich eigens inszenierte Gewerkschaften und Parteien sollte die Massen zu modernen Staatsbürgern machen, die die politische Herrschaft als ihre elementare Existenzbedingung begreifen und sich dementsprechend loyal auf ihre Seite stellen. Den nationalen Einheitsparteien war hierbei vor allem die - auch von bürgerlichen Demokraten verständnisvoll gebilligte - Aufgabe zugedacht, die alten, vorpolitischen und für einen nationalen Staat gar nicht funktionalen Herrschafts- und Unterwerfungsverhältnisse des Stammeszusammenhangs zu durchkreuzen und durch funktionelle Abhängigkeiten zu ersetzen.
Die Bilanz dieser Bemühungen wird derzeit, nach einer Generation, vor Ort gezogen. In Form innerer Unruhen nämlich, die teils zu bewaffneten Aufständen und Bürgerkriegen führen, die Stammeskämpfen ähneln; teils münden sie - nämlich dort, wo sie nicht gewaltsam unterdrückt werden - in Oppositions- und Widerstandsbewegungen ein, die die Ablösung der Regierung mit dem Mittel der Wahl betreiben, und zwar, da sie es nun einmal mit Auto kraten und Einheitsparteien zu tun haben, unter den Parolen "Demokratie" und "Parteienpluralismus". Das läßt freiheitliche Journalisten sogleich an die vorbildliche Befreiung des europäischen Ostblocks vom realen Sozialismus denken und über die Unwiderstehlichkeit der demokratischen Menschennatur jubeln. Allerdings hat die Abrechnung mit der alten Herrschaft, die da teils blutig, teils weniger gewaltsam abläuft, objektiv einen etwas anderen Inhalt als die Abdankung alter proletarischer Staatsparteien im Sozialistischen Lager und der Sieg neuer nationalistischer Kräfte, die ihrer durchorganisierten Arbeiterklassengesellschaft das westliche "Rezept" für nationalen Erfolg verordnen. Und um die Einführung längerer Wahlzettel und einer freiheitlichen Parlamentslobby geht es schon gleich nicht - die Oppositionsbewegungen leisten auch etwas ganz anderes.
Ihre stereotype Anklage gegen den alten Machthaber und sein "System" lautet auf Korruption und Vetternwirtschaft; private Bereicherung an den Staatseinnahmen, mit gewaltsamen Mitteln abgesichert, hätte die richtige Anwendung der öffentlichen Mittel im Interesse der Massen und des allgemeinen Besten verhindert; statt dem Volk zu dienen - für dieses alte Ideal steht neuerdings, gemäß der weltpolitischen Konjunktur, die nun wirklich nicht in Afrika gemacht wird, das ideologische Zwillingspaar "Marktwirtschaft und Demokratie", so wie in den Anfangszeiten das Fremdwort "Sozialismus" -, hätte der Staatsapparat nur seinen großen und kleinen Inhabern genützt. In der Sache gehen diese Vorwürfe auf weit mehr als einen Haufen persönlicher Verfehlungen; nämlich auf die Tatsache, daß der Anspruch auf eine funktionelle Entsprechung zwischen Volk und Staatsgewalt und das Versprechen einer Herrschaft, die ihre Gesellschaft zum modernen Gemeinwesen entwickelt und darin ihre Grundlage hat, auch nicht ansatzweise erfüllt worden ist, stattdessen bloß die (Stammes-)Klientel des amtierenden Führers mit Pfründen bedient wurde. Und mit ihren radikalreformerischen Parolen erheben die Oppositionellen auch selbst ihren Vorwurf der Dienstpflichtverletzung in den Rang einer Systemfrage.
Freilich bleibt diese oppositionelle "Systemkritik" formell und hat nichts mit dem System zu tun, welches im Lande herrscht. Tatsächlich wärmen da bloß die von der Regierung verdrängten oder im Abseits gehaltenen Teile der nationalen Elite, zu der es diese Staaten mit ihren Erziehungs-, Bildungs- und Aufbauprogrammen immerhin gebracht haben, wieder einmal und mit neuem Nachdruck das Ideal auf, das all diesen Programmen zugrunde liegt: Die politische Herrschaft hätte doch den Prinzipien eines öffentlichen Dienstes am gesellschaftlichen Wohl zu genügen. Die bei der Besetzung des Staatsapparats Zu-kurz-Gekommenen und vor allem der studierende Nachwuchs für öffentliche Funktionen, der in der gegebenen Lage mit Recht wenig Perspektiven für sich sieht, konfrontieren den amtierenden Klüngel mit dessen eigenem Projekt einer erfolgreichen Nation, für die auch sie sich nützlich machen könnten. In diesem Sinne nehmen sie, wieder einmal, Maß an den alten Vorbildern, den demokratischen Erfolgsnationen und bestehen auf einer zweckdienlichen Politik.
Beziehungsweise auf alle Fälle auf einem gründlichen Personalwechsel. Denn weiter reicht eben auch bei der opponierenden schwarzafrikanischen Elite die Systemkritik nicht als bis zu dem Verlangen, die "uneingelösten Verheißungen" der alten Herren endlich einzulösen und das Projekt eines ordentlich nützlichen Staates nicht wie bisher an der umfassenden Vettern-Betreuung scheitern zu lassen; und ihre Alternative umfaßt im wesentlichen das Versprechen, sie würde es bringen. Dabei kopiert die Opposition sogar noch mit ihrem Vorgehen den Widerspruch der alten Herrschaft; die für die Verwirklichung ihres Staatsprogramms eben auf "Vettern" im weitesten Sinn, nämlich auf ihren Stammeszusammenhang und dessen urtümliche "Solidarität" zurückgegriffen hatte: Auch ihre Führer mobilisieren für ihren Kampf gegen das alte "System" das Volk mit dem Standpunkt des im bisherigen Staat nicht zu seinem Recht - worin auch immer das bestehen soll! - gekommenen Stammes. Und da das Volk allemal allen Grund zur Unzufriedenheit hat, tobt sich dieser Standpunkt dann, wenn und soweit es den oppositionellen Leitfiguren darauf ankommt, und nicht selten darüber hinaus, in Kämpfen aus, die für das engagierte Volk auch dann den Charakter von Stammesfehden behalten, wenn ihre Führer für ihr politisches Konkurrenzanliegen sei es einen modern bewaffneten Bürgerkrieg, sei es einen westlichen Vorbildern nachempfundenen Wahlkampf, sei es schließlich eine den Tschechen und Ostdeutschen abgeschaute "friedliche Revolution" daraus verfertigen. Ein wenig verschämt räumen auch demokratiebegeisterte westliche Reporter gelegentlich ein, daß das neu einzuführende "Mehrparteiensystem", das sie begrüßen, verdächtig nah an Stammesgrenzen entlang verläuft und den allerurtümlichsten Abhängigkeitsverhältnissen zu neuen Ehren verhilft; ebenso wie freie Wahlentscheidungen, in denen beispielsweise ein Repräsentant der zivilen Verwaltungskader einem Vertreter der Militärmacht gegenübersteht oder ein altgedienter "Marxist" von einem alerten IWF-Funktionär abgelöst wird, mehr den Tatbestand einer Volkszählung nach Stammeszugehörigkeit erfüllen.
So decken die Oppositionsbewegungen - in Afrika, die im Zeichen eines fälligen Systemwechsels antreten und damit eine Art Generationswechsel in der politischen Führung ihrer Staaten bewerkstelligen, an der Regierungspolitik, gegen die sie aufbegehren, wie auch mit ihrem Widerstand selbst die Eigentümlichkeit politischer Herrschaft in ihren Heimatländern auf. Sie stellen unter Beweis, daß deren Gemeinnützigkeit und Gesellschaftsdienlichkeit, also die Zweckmäßigkeit hoheitlicher Gewalt für das Funktionieren gesellschaftlicher Klassen, bezogen auf ihre einheimischen Völkerschaften ein Ideal geblieben und bloßer Schein ist. Und dies nicht, weil es an gutem Willen fehlte - der politische Wille ist allemal so gut wie das Programm, dem ein Staat verschrieben ist, und die noch bessere Absicht geht ja gerade wieder einmal ans Werk. Die um Modernisierung bemühten und von der 1. Welt belehrten und zurechtgewiesenen Regierungen unterwerfen mit all ihrer wohlmeinenden Politik ihre Völker ganz anderen Interessen als solchen einheimischen Klasseninteressen, denen sie mit ihrem Gewaltmonopol und einer geschickten Wirtschäftspolitik nützen und von deren Erfolg sie wiederum profitieren könnten. Sie entsprechen stattdessen all den modernen und hochentwickelten materiellen Ansprüchen, die von außen an ihre Herrschaft gestellt werden und deren Bedienung Teilhabe am Reichtum dieser Welt, also eine handfeste Basis für ihre Herrschaftstätigkeit einbringt. Sie wollen mit allen Mitteln der weltweiten Marktwirtschaft dienen und sich ihrer bedienen und tun das auch, indem sie ihre Länder zu verschuldeten Kolonialwarenlieferanten der EG, Japans und Nordamerikas herrichten. Bis in die Feinheiten staatlicher Haushalts-, Verschuldungs- und Geldpolitik hinein widmen sie sich Aufgaben, die ihnen von ihren maßgeblichen Partnern gestellt werden - und deren Erledigung in den Nationen der 1. Welt eine sachgerechte, funktionale bürgerliche Herrschaft ausmacht. Nur ist es eben gar nicht das eigene Volk, sind es gar keine einheimischen Groß- und "mittelständischen" Unternehmer. Geldkapitalisten, Lohnarbeitervertretungen, Steuerzahlervereinigungen usw., die die politischen Bedürfnisse hätten und angemeldet hätten, die die Machthaber bedienen. Die politökonomische Basis ihrer Herrschaft findet anderswo, außerhalb ihrer Zuständigkeit statt. Und indem sie dieser dienen, machen sie die ökonomischen Aktivitäten, von denen ihr eigenes Volk lebt, immer wieder zunichte - und das seit drei Jahrzehnten. Was sie im eigenen Land organisieren, sind Dienste an auswärtigem Eigentum und Geschäftserfolg, welcher ihre hoheitliche Gewalt braucht und von welchem sie wiederum abhängen; insofern bringen sie also schon Reichtum ins Land. Alles freilich, was zu solchen Diensten nicht taugt, und das ist der Überlebenskampf der Bevölkervngsmehrheit, wird eben damit immer wieder noch hinter den Stand der überlieferten urtümlichen Subsistenzwirtschaft zurückgeworfen, auf eine "informelle" Subsistenz aus dem Abfall des Staatsreichtums, der von außen kommt.
Auf dieser politökonomischen Grundlage bleibt das politische Projekt, die eigenen Untertanen zum Staatsvolk nach erstweltlichem Muster zu machen, gleichfalls ein bloßes Entwicklungsideal. Nicht, weil die Regierenden es zu wenig wollten, und nicht, weil das Volk sich nicht "erziehen" ließe; sondern eben weil die politischen Machthaber nur zu gut die Funktionen erfüllen, die ihrer Herrschaft in der modernen marktwirtschaftlichen Weltordnung zukommen - und in der ist die Schaffung kapitalistisch erfolgreicher Nationen aus gutem Willen, Bodenschätzen und Kredit nun einmal nicht vorgesehen - und das Wunschbild einer ordentlichen, demokratisch funktionierenden Klassengesellschaft ist lebendig, weil es nichts als das schönfärberische Ideal einer ganz andersgearteten Verwendungsweise von Land und Leuten ist.
Denn in Wirklichkeit folgt aus dem negativen politökonomischen Verhältnis zwischen Herrschaft und Volk eben das für 3. Welt-Länder so kennzeichnende Bedürfnis nach staatlicher Gewalt sowie deren vom bürgerlichen Normalfall abweichende (Nicht-)Auf- und Einteilung. Zunächst einmal treffen sich einheimische Staatsfunktionäre und ausländische Interessenten, die mit dem abstrakten Reichtum auch die konkrete Ausstattung des drittweltlichen Gewaltapparats liefern sollen, in dem Interesse, überhaupt eine souveräne Hoheit über das Land und sein menschliches Inventar zu etablieren, die jeden beliebigen materiellen Zugriff gewährleisten kann. Ihre Ausgestaltung muß und kann der Tatsache Rechnung tragen, daß dafür in aller Regel keine intensive Benutzung des heimischen Menschenmaterials organisiert, sondern hauptsächlich seine Entsorgung garantiert werden muß. Damit erübrigt sich der Aufwand, den die Staatsgewalt sonst zur zweckmäßigen Herrichtung einer nationalen Arbeitskraft samt Ausbildung, Gesunderhaltung und sonstiger sozialer Betreuung leisten muß; was ein afrikanischer Staat sich in diesen Abteilungen leistet, fällt mehr in die Abteilung des nationalen Luxus, den er sich eigentlich gar nicht und faktisch immer weniger leisten kann. Andererseits muß die Regierung in der Lage sein, auch elementare Überlebensbedürfnisse ihres Volkes zu unterdrücken, und zwar so souverän, daß für ausländische Interessenten Rechtssicherheit entsteht. Nun braucht es in einem 3. Welt-Land vielleicht auch dazu nicht viel, schon gar nicht von der ausgereiften Gewalttechnologie eines entwickelten freiheitlichen Militärs. Allerdings steht eine Regierung doch nie einfach ihrem machtlosen Volk gegenüber, sondern Konkurrenten im eigenen Apparat und Stämmen, die sich für regierungsfeindliche Umtriebe von Oppositionellen und gegebenenfalls auch von staatlichen Nachbarn funktionalisieren lassen. Mit dieser Gefahr einer womöglich von außen unterstützten Gegennnacht im eigenen Land ist der erste Maßstab gesetzt, an dem die Macht einer 3.Welt-Regierung sich bewähren muß, wenn sie in der modernen Staatenwelt als souveräner Teilhaber will antreten können: Sie muß die Mittel haben, um sich als die im Ernstfall überlegene Bürgerkriegspartei vor ihren Untertanen aufzubauen:
Das ist umgekehrt auch schon der ganze entscheidende Inhalt der Souveränität, die sie über ihr Volk geltend machen muß. Und damit erübrigen sich in der Sache alle Abgrenzungen zwischen zivilem, polizeilichem und militärischem Machtbereich. Zwar teilen sich auch 3. Welt-Staaten ihre Gewaltmittel gern so ein; ihren Willen, so zu werden wie ihre erstweltlichen Vorbilder, geben sie nie auf. Was aber für kapitalistische Demokratien mit weitreichenden Interessen, einem sozialen Frieden und weltweiten Sicherheitsproblemen funktional ist, das ist für afrikanische Rohstoffexporteure mehr ein luxuriöser Schein und die sehr wacklige Beschönigung der Tatsache, daß die Staatsgewalt dort mit dem Kommando über bewaffnete Kräfte nicht bloß ein - letztes - Mittel in der Hand hat, sondern zusammenfällt. Alles was sie. auf dieser Grundlage positiv mit ihrem Volk anstellt, hat und behält den Charakter des politischen Projekts.
Nun besteht durchaus auch für diese Politik der Projektemacherei eine gewisse Notwendigkeit; nämlich insoweit, als die zuständige Staatsgewalt ja den Fortbestand ihres Staatswesens hinkriegen muß. Und insoweit gibt es in diesen Ländern durchaus auch einheimische gesellschaftliche Interessenslagen, die von der Obrigkeit Berücksichtigung und Bedienung verlangen und das auch durchsetzen können, weil sie dafür von Bedeutung sind; die Existenz und der Erfolg von Oppositionsbewegungen beweisen das. Sie zeigen allerdings auch, daß es dieses "gesellschaftliche" Interesse am Staat gar nicht getrennt von der Herrschaftsausübung gibt,. sondern als Anspruchsdenken unter den Inhabern der staatlichen Posten selbst sowie bei den zum Ersatz bereitstehenden Konkurrenten. Es gibt anspruchsberechtigte Nutznießer der staatlichen Gewalt auch dort, vor Ort - nämlich diejenigen, die an ihrer Ausübung beteiligt sind bzw. werden wollen. Was es nicht gibt im Lande, das ist ein davon unterschiedenes nationales Gemeinwohl, weil das eben in nichts anderem besteht als in der Abhängigkeit der Nation vom auswärtigen Interesse, die funktionieren muß.
Insofern ist in diesen Ländern alles oder nichts "Korruption" und "Vetternwirtschaft", je nach Standpunkt: Für die Regierenden gibt es außerhalb ihrer souveränen Durchsetzung und der einigermaßen erfolgreichen Bedienung auswärtiger Ansprüche kein wirkliches materielles Kriterium des nationalen Wohls, also keinen Unterschied zwischen ihrem Eigennutz und dem Gemeinnutzen; es sei denn, ein solcher Unterschied wird ihnen von außen, durch Maßregeln der kritischen Gläubigergemeinde, aufgemacht; dann freilich unterliegt jedes Stück Geld, das die Regierung nach unten weiterreicht, dem Verdacht der "Begünstigung im Amt". Etwas anders sieht es für diejenigen aus, die von der staatlichen Pfründe ausgeschlossen. sind, obwohl sie dafür in Frage kämen: Für die ist auch alles "Vetternwirtschaft", was die Regierung mit dem nationalen Reichtum treibt, nämlich insofern, als damit alle Mittel der Nation blockiert sind. Für sie fängt das Gemeinwohl daher mit dem Angriff auf den privaten Nutzen der gerade Regierenden an - und hört damit auch schon auf, ist nämlich fertig, wenn die Personalpolitik umgekrempelt ist, stammesmäßig oder wie auch immer.
Die Eigenart des gegenwärtigen oppositionellen Aufbegehrens in etlichen afrikanischen Ländern liegt darin, daß es mit einer ziemlich weitreichenden Unzufriedenheit der auswärtigen Betreuer und Nutznießer mit ihren 3. Welt-Partnern zusammenfällt. Die haben den Staatsgewalten vor Ort längst die Rechnung eröffnet, daß deren Projektemacherei auf wirtschafts- und "entwicklungs"- wie auf sozialpolitischem Gebiet die reine Geldverschwendung ist und zu ihrem weltwirtschaftlichen Status überhaupt nicht paßt. Sie erinnern ihre souveränen Statthalter gewissermaßen an die Tatsache, daß das wirkliche Gemeinwohl, dem sie zu dienen haben, gar nicht in ihrem Herrschaftsgebiet liegt, sondern im kapitalistischen Wirtschaftswachstum in Europa und anderswo besteht, und kritisieren in diesem Sinne alles als luxuriös, was die Regierungen vor Ort mit ihren Staatseinnahmen anfangen und was sie im Zeichen einer industriellen Aufbaus früher einmal selbst unterstützt haben.
Diese Kritik von außen setzt alle Korruptionsvorwürfe der einheimischen Opposition - die von dieser schon seit jeher erhoben werden, weil das überhaupt der ganze Inhalt von Opposition in solchen Ländern ist - machtvoll ins Recht, obwohl sie mit deren Inhalt gar nicht zusammenfällt. Die Oppositionsbewegungen sehen sich jedenfalls bestätigt, weil sie immerhin soviel mitkriegen, daß ihr Aufbegehren ein weltweites Interesse findet, und tun alles, um diesem Interesse zu entsprechen: Sie erklären sich zu Vorkämpfern der Demokratie gegen den alten einheitsparteilichen Unterdrückungsapparat und der Marktwirtschaft gegen den alten "Staatssozialismus". Und geben sich damit für eine Wende her, die gar nicht bloß die oppositionelle Phrase betrifft und die viel mehr bezweckt und wohl auch bewirkt als den Personalwechsel, den die Oppositionellen selbst im Visier, und etwas ganz anderes als den Fortschrittsidealismus, den sie im Sinn haben. Den freiheitlichen Weltordnungspolitikern, die jetzt überall in Afrika demokratische Verhaltensmaßregeln aufstellen und deren Einhaltung zur Vorbedingung für weitere Betreuung und Erhaltung der ortsansässigen Staatsgewalten erheben, geht es nämlich allen Ernstes darum, ihre Kritik am Luxus der 3. Welt-Politik durchzusetzen und deren idealistisches Projektemachen durch Demokratie z u ersetzen: Freie Wahlen sollen mit allen alten Staatsprogrammen aufräumen, und das Volk soll in Zukunft mit der Freiheit des Meinens und einer Parteienvielfalt bedient werden, also mit einer kostenlosen Kopie politischer Verfahrensweisen - statt mit kostspieligen Versuchen, die materiellen Verhältnisse der 1. Welt nachzuahmen.
Man braucht daher nicht gespannt zu sein, wie das allseits hoffnungsvoll begrüßte "demokratische Experiment", das sich über die Staaten Afrikas ausbreitet, wohl ausgehen mag.
Der neue demokratische Populismus in Lateinamerika: Nach dem politischen Sieg des Militärs nach innen eine zivile Notstandsverwaltung auf Abruf
In den großen lateinamerikanischen Schuldnerländern des Kapitalismus haben in letzter Zeit "populistische" Krisenmanager nach freien Wahlen die politische Macht übernommen, und zwar von Vorgängern, die bereits die zuvor regierenden Militärs "in die Kasernen zurück"geschickt hatten. Unter dem Beifall einiger verelendeter Massen und gegen den Widerstand anderer, die sie damit ins Elend getrieben haben, haben sie - einmal mehr - radikale Sanierungsprogramme aufgelegt, die ihrer Nation endlich, diesmal in akzeptierter Abhängigkeit vom kapitalistischen Weltgeschäft, einen festen politökonomischen Stand verschaffen sollen.
Die politische Geschäftsgrundlage dieser Politik ist in mehrfacher Hinsicht durch die vorangegangene Militärherrschaft geschaffen worden. Vor allem in der einen Hinsicht: Die argentinischen, brasilianischen und chilenischen Generäle haben regelrechte politische Bürgerkriege ausgefochten, linke Systemkritiker besiegt und liquidiert, nationalistische Massenprotestbewegungen gewaltsam unterdrückt und zurechtgerückt.
Diese Notstandsveranstaltungen hatten mit afrikanischen Stammesfehden nichts zu tun. Sie zeigen nach der einen Seite hin, daß sich dort das Volk, teilweise wenigstens, durchaus mit politischen Ansprüchen und Erwartungen auf die Staatsgewalt bezieht und in der Nation und ihrer Führung so etwas wie ein Versprechen auf Existenzsicherung sucht. Umgekehrt haben die nationalen Regierungen auch stets andere politische Programme durchgeführt als bloß die Bedienung eines ausländischen Rohstoffbedarfs: Sie haben den Aufbau eines eigenständigen nationalen Kapitalismus betrieben, haben dafür die einheimischen Geldbesitzer, Industriellen und Grundeigentümer mit Geschäftsbedingungen und -mitteln versorgt und in ihr Aufbauwerk einbezogen, haben andererseits auch die nationale Arbeitskraft nicht vergessen und sich mit einer Sozialgesetzgebung zu dem Staatsziel bekannt, ihr eigentumsloses Volk gleichfalls für den Aufbau der Nation nützlich zu machen und ihm damit ein Auskommen zu sichern.
Die geschlagenen Bürgerkriege zeugen freilich davon, daß dieses am Vorbild der erfolgreichen kapitalistischen Nationen orientierte Aufbauprogramm nicht bloß ökonomisch, sondern zunächst auch nach seiner politischen Seite nicht aufgegangen ist. Der einheitliche Staatswille aller gesellschaftlichen Klassen, der deren Gegensätze umfängt und ihre Interessen auf die Nation als quasi gemeinschaftliches Projekt ausrichtet, ist Ideal geblieben und nicht zur bequemen Grundlage der politischen Herrschaft geworden. Und das nicht zufällig oder gar wegen eines Versagens der regierenden Militärs, wie es freiheitliche Beobachter mit ihrem vernagelten Glauben an demokratische Verfahrensweisen der Herrschaft als Allheilmittel für Not und gegen die Unvereinbarkeit materieller Interessen schon wieder diagnostizieren. Auch die Militärs mit ihrer"Willkürherrschaft" haben sich um nichts als den nationalen Erfolg gekümmert und nichts anderes hingekriegt, als Funktionäre der politischen Ökonomie ihres Landes zu werden.
Angetreten sind sie zum einen, um den Machtkämpfen der verschiedenen Eigentümerklassen ihrer Nation mit ihren widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen ein Ende zu machen und sie alle - auf ein kapitalistisches Aufbauprogramm mit dem Ziel umfassender nationaler Konkurrenzfähigkeit festzulegen. Zum geschäftlichen Eigennutz sowohl der Rohstoffexporteure ihres Landes als auch der aufstrebenden Industriellen haben sie sich damit in einen gewissen Gegensatz gesetzt - allerdings im Rahmen der Selbstverständlichkeit, daß die Staatsgewalt ebensosehr aufs private Eigentum und dessen geschäftliche "Initiative" setzt, wie dieses sich auf die Gewalt und ihre Geschäftsgarantien verläßt. Das nationale Kapital soll schließlich den nationalen Fortschritt machen; also darf er nicht auf dessen Kosten gehen. Damit ist der andere, größere Gegensatz eröffnet, nämlich gegen die abhängige Manövriermasse des nationalen Aufbaus. Ein - kleinerer - Teil des Volkes wird gebraucht, zur Lohnarbeit hergenommen und darf sich in Phasen des Aufschwungs wie die materielle Basis der Nation und als gleichberechtigte gesellschaftliche Klasse vorkommen, der Zugeständnisse gemacht - allerdings auch wieder genommen werden müssen; denn der verlorene Konkurrenzkampf mit den etablierten Weltwirtschaftsmächten hat dem nationalen Aufbauprogramm und "Wirtschaftswunder" sehr rasch den Charakter einer permanenten Krisenbewältigung gegeben, die beim Volk der Lohnempfänger als dauernde Teuerung und Verarmung ankommt. Für den größeren Teil des Volkes haben die Projekte des nationalen Aufbaus von vornherein nichts von einer Chance an sich; sie finden entweder auf dem Land eine Verwendung als Gelegenheitsarbeiter, deren Subsistenz die Forscher vor Rätsel stellt, oder werden überhaupt bloß aus ihrer bislang noch irgendwie aufrechterhaltenen Subsistenz herausgeworfen, weil ihr Stück Boden einem ökonomisch höheren Zweck zugeführt wird. Wie auch immer: Der Widerspruch zwischen dem unermüdlich verfolgten Staatserfolg und den Überlebensnöten der Bevölkrung verläuft in etwas anderen Bahnen als bei jenen vorbildlichen Nationen, wo die Regierungen noch die gröbsten Massenentlassungen als Dienst am höchsten Gut, dem Arbeitsplatz verkaufen und von ihrer Arbeitnehmerschaft die vertrauensvolle Täuschung verlangen, geduldiges Mitmachen wäre allemal noch der beste Weg, um aus der Abhängigkeit ein brauchbares Lebensmittel zu machen. Zumindest die Regierungen jener Länder stellen sich anders zu der Manövriermasse ihres Aufbauwerks: Sie behandeln ihr Volk in dem Bewußtsein, daß ihre Politik brutal auf dessen Kosten geht, mit zweckmäßiger Brutalität. Worüber menschenrechtsbewußte Betrachter sich immer wieder entsetzen können, wenn sie einmal näher hinschauen mögen: Der "staatliche Terrpr gegen die Zivilbevölkerung" in der einen oder anderen Form, ist eine leidige Notwendigkeit dieser Sorte nationaler Entwicklungspolitik.
Dieses feindliche Verhältnis zwischen Staatsgewalt und Volk haben Oppositionelle mit einem sozialen Gewissen und nationalen Rechtsbewußtsein vor zwei Jahrzehnten mit bewaffnetem Widerstand beantwortet; und sie haben zeitweise eine nennenswerte Menge von Mitkämpfern gefunden. Dagegen hat sich die Staatsgewalt als Militärmacht nach innen aufgebaut; die Militärs haben die Sache gleich selbst in die Hand genommen und, parallel zu ihrer energischen Modernisierungs- und Aufbaupolitik, die Guerilla ausgerottet. Das geht nämlich - entgegen der linken Heiligenlegende, wonach ein Märtyrer der gerechten Sache automatisch haufenweise Nachfolger findet. Die Militärs in Südamerika haben jedenfalls den Beweis geführt, daß Kommunismus und links-oppositioneller Nationalismus sich durchaus beseitigen lassen, wenn man nur konsequent genug diejenigen beseitigt, die dafür eintreten.
Der Staatsterror hatte genügend Erfolg, so daß die siegreiche Regierungsmacht wieder ihre zivilen Vorhaben in den Vordergrund rücken, ihre Bürgerkriegsaufgaben als untergeordneten Spezialauftrag davon trennen und sich wieder als Demokratie mit Meinungsfreiheit und Parteienvielfalt organisieren konnte. Auch das haben die südamerikanischen Militärs nämlich in aller Deutlichkeit vorgeführt, worauf demokratische Herrschaftsverfahren mit ihrem schönen Schein der inneren Gewaltlosigkeit beruhen: Sie sind eine Methodik der nationalen Einheit, die eine Staatsgewalt spätestens dann sofort aufgibt, wenn sie sich des Mitmachens ihrer Massen nicht mehr sicher ist, zu der sie sich aber gern entschließt, wenn deren Unterwerfung als akzeptierte Grundlage staatlicher Handlungsfreiheit wieder feststeht - deswegen ist das gewaltsame Zuschlagen nach innen per definitionem eine Karenzzeit der Demokratie, weil die ja immer erst hinterher wieder davon profitiert, und Demokratie das Ablassen der Staatsmacht von Notstandstechniken, die ihr den Weg freigemacht haben. Am Ende, wenn die Militärherrschaft brutal genug war, schlagen sich dann sogar einige Massen, in Argentinien zum Beispiel, für ihre zivile Obrigkeit gegen unzufriedene Mitglieder desjenigen Militärs, das die politische Lage bereinigt und so eben die erste und wichtigste Geschäftsgrvndlage ziviler Herrschaft hergestellt hat.
Zur relativen Stabilität der neuen Demokratie und dem demokratischen Populismus in den großen Ländern Südamerikas hat die abgedankte Militärherrschaft aber noch eine andere günstige Voraussetzung beigetragen. Nämlich ausgerechnet damit, daß ihre groß angelegte nationale Entwicklungspolitik insgesamt, gemessen am Ziel eines Durchbruchs zu kapitalistischer Konkurrenzfähigkeit -im nationalen Maßstab, ein eher unrühmliches Ergebnis erbracht hat. Damit steht der ziemlich überparteiliche nationale Standpunkt fest, daß ein Entwicklungsidealismus, der dem Volk eine Aussicht auf lohnende Dienste als Lebensmittel eröffnen will, gerade den Massen letztlich bloß schadet - die Folgen aller Aufbauprogramme für die Subsistenz der Massen sind der Beweis. So stellt keine sozial und national verantwortliche Kraft die neue Gleichung in Frage, mit der die neuen Präsidenten in Argentinien und Brasilien Politik machen: daß Sanierung durch Unterwerfung der Nation unter alle Forderungen der demokratischen Weltwirtschaftsmächte der einzig stichhaltige patriotische Standpunkt ist. In Chile hat es für die Durchsetzung dieser Linie vor zwei Jahrzehnten noch den Militärputsch gebraucht; jetzt ist sie in den Nachbarländern das Versprechen, mit dem demokratische Wahlkämpfer für sich werben.
Ein Triumph der Demokratie, dessen Entstehungsgeschichte ausnahmsweise die sachlichen Verhältnisse zur Anschauung bringt: Die neue Demokratie in Südamerika ist das Werk der siegreichen Partei in einem inneren Bürgerkrieg und lebt auch dann von der allzeit bereiten Macht ihres bürgerkriegsfähigen Unterdrückungsapparats, wenn der absehbare Einsatzfall im Moment fast so weit weg ist wie der Notstandsfall für die etablierten Demokratien der freien Welt. Das Militär bleibt bis aufweiteres "in den Kasernen"; und schon die Tatsache, daß das als wichtiger Erfolg der zivilen Herrschaft immer wieder Hervorhebung verdient, ist ein unmißverständlicher Beleg dafür, daß es überhaupt nicht zum Notstandsinstrument der Staatsgewalt herabgesetzt ist. Eher scheint umgekehrt die Regierung populärer Zivilisten den Militärs als Instrument zur Bewältigung des politökonomischen Notstands einzuleuchten.
Und das nicht zuletzt deswegen, weil die überlegenen Konkurrenten und Gläubiger der lateinamerikanischen "Schwellenmächte" dahinterstehen. Für die fügen sich da nämlich schon wieder wirtschaftspolitischer Nutzen und der Welterfolg ihres vorbildlichen demokratischen Systems aufs Schönste zusammen.
B. Außenpolitik und Krieg in der Dritten Welt
Der kurze, aber problematische Weg vom Leiden am Weltfrieden zum Kampf gegen die nächste erreichbare Schranke des nationalen Erfolgs
Souveränität und Kriegstüchtigkeit
Die Staaten der 3. Welt erfüllen auf ihre Weise die Mindestvoraussetzung einer anerkennenswerten Souveränität: Ihre Staatsgewalt existiert als bürgerkriegstaugliche Militärmacht. Freilich schaffen viele Staaten noch nicht einmal das aus eigener Kraft und besitzen schon gar nicht von sich aus die Fähigkeit, in ihrer Umgebung irgendetwas mit Gewalt umzustürzen und den herrlichen Zustand namens Weltfrieden zu stören: Sie gelangen überhaupt nur durch auswärtige Lieferanten in den Besitz von halbwegs modernen Waffen und sind auch auf die Ausbilder befreundeter Großmächte angewiesen. Die wenigen 3.Welt-Nationen, die sich mit dem Nötigsten selbst versorgen können, hängen bei der Entwicklung und Herstellung ihres Geräts von Produktionsmitteln, Technikern und Militärexperten aus dem 'Norden' ab, in dem der Fortschritt der Menschheit zu Hause ist. Die eine oder andere große 3.Welt-Macht kann sich mittlerweile auch davon das meiste aus ihrem eigenen Herrschaftsbereich besorgen, gehört damit aber noch lange nicht zum kleinen Kreis der wirklichen militärischen Weltmächte; denn ihre nationale Wirtschaft gibt den technischen Fortschritt nicht her, dessen Spitzenerzeugnisse - wie neulich am Golf demonstriert - eine moderne Armee überlegen machen; um das zu leisten, muß die Industrie einer Nation schon auch sonst Maßstäbe setzen für die internationale Konkurrenz und die technischen Mittel, die dabei als Waffe fungieren. Zu Militärmächten, und erst recht zu solchen, die in ihrer Außenpolitik zu störenden Eigenmächtigkeiten fähig sind, werden die Staaten der 3. Welt also im wesentlichen durch das weltweite Exportgeschäft mit Waffen und Waffenindustrien, das vom Boden der führenden Weltordnungsmächte selber ausgeht.
Im Zusammenhang mit dem Krieg um Kuwait ist dieser Geschäftszweig ein wenig in Verruf geraten, weil ein guter Kunde seine erworbenen Fähigkeiten störend eingesetzt hat. Fest steht allerdings auch, daß der weltweite Handel mit Militärischem darunter todsicher nicht leidet - er steht im Gegenteil vor einem neuen Boom. Das gilt auch dort, wo - aus mancherlei politischer Berechnung heraus - Versäumnisse bei der Exportkontrolle beklagt und angeklagt und "Gesetzeslücken geschlossen" werden: Niemand will im Ernst diese Sparte des Weltmarkts lahmlegen; und wo strikte nationale Abstinenz gefordert wird, da liegt entweder sozialdemokratische Heuchelei vor oder eine moralische Verkennung der Lage. Entgegen allen frommen Gerüchten beruht dieser Geschäftszweig nämlich nicht auf den finsteren Machenschaften, Intrigen, Bestechungen und sonstigen Leistungen "krimineller Energie", die ihn selbstverständlich begleiten, und noch nicht einmal nur auf jenem gewichtigsten, also ehrbarsten ökonomischen Zweck der modernen Welt, den Moralisten dort, wo die Ergebnisse nicht passen, als das niedere persönliche Motiv der "Profitgier" anprangern. Das politische Interesse am Waffenhandel ist in der Welt von heute ganz einfach unabweisbar; für Staaten der 1. wie der 3. Welt. Für die erfolgreichen kapitalistischen Mächte mit ihrem grenzenlosen Interesse an verfügbarer Welt ist erstens die Existenz politischer Souveräne überhaupt von Wichtigkeit, die ihr Land samt lebendem und totem Inventar verfügbar machen und halten; kooperationswilliger Souveräne selbstverständlich, was die prinzipielle Bereitschaft, der 3. Welt zu schlagkräftigen souveränen Aufsichtsorganen zu verhelfen, sogleich um die Pflicht ergänzt, diese ihrerseits unter Kontrolle zu halten. Dieser Oberaufsichtspflicht genügen imperialistische Demokratien, die ja keine Kolonialmächte mehr sein wollen, mit einer kalkulierenden Politik, die nicht bloß die Kräfteverhältnisse im jeweils betreuten Land in Rechnung stellt, d.h. zum eigenen mutmaßlichen Vorteil beeinflußt; von noch größerem Interesse sind freundliche wie feindliche Absichten, die benachbarte 3. Welt-Staaten gegeneinander hegen. Solche Absichten werden berechnend geweckt und gebremst, gefördert und zunichte gemacht und insgesamt auf das Niveau der modernen zivilisatorischen Errungenschaft erhoben, daß, wo Staaten existieren, Militärmächte gegeneinanderstehen.
Auf diese Weise kommen die Staaten der 3. Welt zu ihrem Recht, nämlich zu einer Handlungsfreiheit und Selbstbehauptungsmacht nach außen. Zwar sind sie darin von den Kalkulationen der maßgeblichen Mächte abhängig; mit der Konsequenz, daß sich in ihren Beziehungen und vor allem Konflikten untereinander ganz andere Interessen und Kräfteverhältnisse widerspiegeln als bloß ihre eigenen. Jahrzehntelang waren sie mit ihrer Militärmacht und ihren gut- wie schlechtnachbarschaftlichen Beziehungen dem Kalten Krieg untergeordnet, den sich der Freie Westen und die Sowjetunion geliefert haben und der unter anderem das Ringen um strategische Positionen und Verbündete in aller Welt umfaßt hat. Nach dem sowjetischen Rückzug verschieben sich die maßgeblichen Interessen und Kräfteverhältnisse, ohne daß sie mehr als zuvor von den Staaten der 3. Weltgarnitur bestimmt würden - schließlich gibt es mehrere imperialistische Mächte, die sich je für sich zur besonderen Aufsichtsmacht berufen fühlen und keine Hemmungen haben, die Staaten der 3. Welt, wo und wie immer das geht, zum Mittel ihrer Konkurrenz untereinander zu machen. Gerade als Objekte der imperialistischen Politik anderer kommen die souveränen Staaten der 3. Welt jedoch in die Lage, sich als Subjekte einer eigenen nationalen Außenpolitik aufzuführen. Das Interesse der erfolgreichen Großmächte an ihnen und deren Bemühen, sie in ihre Weltordnung einzubauen, verschafft ihnen die Mittel und damit die Freiheit, in die Politik ihrer Nachbarn zu intervenieren, sich in deren innere Machtverhältnisse einzumischen - umgekehrt sehen sie sich solchen Interventionen ausgesetzt, brauchen Hilfsmittel dagegen, also von sich aus Schutzmächte aus der 'nördlichen' Welt. Bei aller Abhängigkeit: Die Berechnungen, die sie mit ihrer Abhängigkeit anstellen, sind autonom; die nationalen Ziele, für die sie nach Förderern und Schutzmächten suchen, holen sie sich nicht aus den Hauptstädten des Nordens ab.
Etwas eigentümlich sind diese Ziele allerdings schon auch: Selbst ihr außenpolitischer Ehrgeiz ist einer der 3. Art.
Militarismus in der 3. Welt: Kriegsbereitschaft aus Ohnmacht
In der öffentlichen Meinung der 1. Welt wird diese Eigentümlichkeit jedenfalls gesehen, und zwar sehr parteilich: Einen überzeugenden guten Grund will niemand entdecken, wenn 3. Welt-Staaten militärische Drohungen gegeneinander aufbauen oder sogar Kriegshandlungen gegeneinander unternehmen. Darin sind sich ausnahmsweise sogar Friedensidealisten mit den Ideologen jenes weltpolitischen "Realismus" einig, der die eigene totale Kriegsbereitschaft zur - "leider" - unerläßlichen Bedingung jedes haltbaren Weltfriedens erklärt: Gerade die exotischen Schuldnerländer und Kolonialwarenlieferanten der Weltwirtschaft sollten gefälligst andere Sorgen haben als die Kalkulation mit Krieg; und die fortschrittlichen Großmächte des Nordens könnten bei der Aufrüstung der 3. Welt gar nicht vorsichtig genug sein, weil sie am Ende mit ihren eigenen Waffen zu tun bekämen und sich jedenfalls einen Sachzwang für eigenes überlegenes Weiterrüsten an den Hals schafften. Denn das steht allgemein außer Frage, daß es "unsere" Sache ist, allzu eigenmächtige, für ihre Umgebung bedrohliche Staatsgewalten zu bremsen, und zwar nötigenfalls mit Krieg - daß umgekehrt Staaten der 3. Welt das Bedürfnis verspüren könnten, die Nationen der 1. Welt in ihrem grenzenlosen Aufsichtsdrang und bei der eigenmächtigen Wahrnehmung - eines globalen Schiedsrichteramtes zu bremsen, gehört zu den abweichenden Überlegungen, die ein problembewußtes Mitglied einer verantwortungsbeladenen Großmacht lieber erst gar nicht versteht.
Das parteiische Unverständnis für die außenpolitischen Berechnungen drittweltlicher Machthaber, insbesondere wenn sie genauso selbstverständlich wie ehrenwerte NATO-Partner mit Krieg kalkulieren - und noch nicht einmal mit einem nach dem Konzept der NATO-Triade geführten Weltkrieg, bloß mit Kleinkriegen vom Schlage des amerikanischen Befreiungsüberfalls auf Grenada oder Panama -, hat sich in der freiheitlichen Kommentierung des irakischen Überfalls auf Kuwait ausgiebig ausgetobt. Dabei sind gerade da all die guten, nämlich für eine aufstrebende Nation unabweisbaren Kriegsgründe deutlich geworden, über die Machthaber der 3. Welt verfügen
- Gründe von derselben politischen Machart - wie die ehrbaren sicherheitspolitischen Konzepte der großen demokratischen Weltkriegs- und -friedensmächte, andererseits von ganz anderem, nämlich, weltpolitisch gesehen, "oppositionellem" Zuschnitt.
In ihrer Kriegspropaganda hat die irakische Regierung von ihrem Chef das Bild eines Vorkämpfers der Entrechteten Arabiens und einer Hoffnung der Armen dieser Erde entworfen. Das hat in der Freien Welt natürlich niemand auch nur eine Sekunde lang für bare Münze genommen. Allerdings hatte man große Sorgen, weil einige arabische und islamische Massen sich geneigt zeigten, darauf hereinzufallen; die mußten sich denn auch, neben ihrer Unterdrückung durch ihre für Menschenrecht und Demokratie mitkämpfenden Regierungen, einige kritische Zurechtweisungen aus den freiheitlichen Redaktionsstuben Europas und Nordamerikas gefallen lassen. Dabei haben die Entlarver der irakischen Lügenpropaganda einen Irrtum bekämpft, den sie für Staaten, die ihre Sympathie besitzen, und vor allem für den eigenen nicht bloß gelten lassen, sondern für sich selbst gar nicht entbehren können, weil er die Geschäftsgrundlage ihres politischen Bewußtseins überhaupt ausmacht: die Identifizierung von Wohl und Wehe eines Volkes mit dem Erfolg und Mißerfolg der Staatsgewalt, der es gehorcht. Daß es ein Glück ist, einer erfolgreichen Nation anzugehören; daß glanzvolle militärische Siege auch jeden Privatmann zu den schönsten Hoffnungen berechtigen; daß umgekehrt nationale Schwäche für die dazugehörigen Massen ein Pech ist, nämlich persönlichen Mißerfolg programmiert: Diese Gleichungen verstehen sich für Patrioten jeder Nationalität von selbst - und an ihrer negativen Variante ist ja auch was dran: Wenn einer Regierung das nicht recht gelingt, was sie als nationale Sache dekretiert hat, macht sie allemal ihr Volk dafür haftbar und verlangt ihm zusätzliche Opfer ab, um die nationale Not doch noch zu wenden.
Nicht anders hat der irakische Präsident gehandelt. Er hat den Zustand seiner Nation geprüft und für unerträglich armselig befunden - was ihm kein Amerikaner vorhalten sollte, der bis neulich noch sein gesamtes Vaterland unter einem "Vietnam-Trauma" hat leiden und in die Zweitrangigkeit abschiffen sehen, weil japanische Firmen immer mehr Autos verkaufen; und auch kein Deutscher, der die Grenze zwischen der einstigen BRD und der ehemaligen DDR als nationales Unglück kennengelernt hat und nationale Schande empfindet, wenn seine Regierung "bloß" mit Milliardenbeträgen am Golfkrieg mitwirkt. Gründe zur Unzufriedenheit mit dem internationalen Stand und Erfolg seines Staates hat der Chef des Irak jedenfalls mehr als genug gewußt: Materiell von Ölexporten abhängig und ohne Aussicht, so etwas wie einen eigenständig reproduzierten nationalen Reichtum hinzukriegen; von Konkurrenten bedrängt, die die Weltmarktpreise für Öl zusätzlich kaputtmachen; militärisch gegen den islamisch umgestülpten Nachbarn Iran angetreten, um als Schutzmacht aller Araberstaaten von diesen anerkannt und vom Westen geschätzt zu werden, und dann doch kaum größer, kaum bedeutender, kaum einflußeicher, nur ärmer geworden und noch dazu bei einem kleinen Nachbarn tief verschuldet...
Eine ähnlich betrübliche Diagnose könnten fast alle Regierungen in der 3. Welt ihren Nationen stellen; viele tun das auch. Und stehen gleichzeitig ihrer Lage ohnmächtig gegenüber. Denn was ihnen als Machtmittel zu Gebote steht, ist ihr Kommando über Land und Leute. Dieses Kommando ersetzt aber nicht die materiellen Mittel, um Land und Leute zur Grundlage von Reichtum und Macht der Nation zu machen, schon gar nicht in der internationalen Konkurrenzsituation, die von den führenden Weltwirtschafts- und -militärmächten vorgegeben wird; und daß es an diesen Mitteln fehlt, ist die sachliche Quintessenz aller negativen Befunde. Deswegen verzichtet zwar kein Machthaber der 3. Welt, der seinen Staat voranbringen will, auf eine Ideologie der nationalen Mobilisierung, die dem Volk ein unveräußerliches höheres Recht auf eine viel bedeutendere Größe und Macht zuspricht und ihm so seine radikale Indienstnahme verspricht. Wenn daraus aber praktisch etwas werden soll, richtet sich die Politik einer solchen Macht notwendigerweise auf ausländische Quellen der fehlenden nationalen Stärke.
Diese Wendung nach außen ist in jeder Hinsicht das negative Spiegelbild der Ansprüche und der Mittel, mit denen erfolgreiche kapitalistische Nationen sich einander und dem Rest der Welt zuwenden. Für diese Staaten werden ihre Grenzen zur Schranke, weil sie dem auf ihrem Boden akkumulierenden Reichtum sach- und erfolgswidrige Beschränkungen auferlegen; das ist ihr Grund dafür, das Ausland als zusätzliche Reichtumsquelle und Betätigungsfeld des nationalen Untemehmertums verfügbar machen zu wollen. Und dieser gute Grund fällt zusammen mit den Mitteln, andere Staaten und das, was sich unter deren Hoheit so tut, fürs eigene nationale Interesse zu funktionalisieren und ganz zivil "den Grenzen das Trennende zu nehmen". Demgegenüber finden sich 3. Welt-Staaten durch ihre Grenzen in einer Situation des Mangels eingeschlossen; und diese Bedürftigkeit schließt die Ohnmacht ein, andere Staaten in der zweckmäßigen Weise ihren Bedürfnissen dienstbar zu machen, wie das den Machern der internationalen Konkurrenz quasi von selbst gelingt.
Genaugenommen sind es natürlich gar nicht die Staatsgrenzen, die eine nach eigenem Urteil zu kurz gekommene 3. Welt-Macht in ihrer Ohnmacht festhalten, sondern die Erfolgsbedingungen der internationalen Konkurrenz, also vor allem die Sachzwänge des kapitalistischen Reichtums, unter die diese Staaten als Zulieferer und Schuldner fremden Reichtums und permanente Krisenverlierer subsumiert sind. Mit so einer hoffnungslosen Diagnose gibt sich aber keine Regierung der Welt zufrieden. Wo Machthaber den gewünschten Erfolg in der Staatenwelt vermissen, da ziehen sie zuallererst den Schluß, daß ihnen vorenthalten bleibt, worauf sie sich ein Recht zusprechen; daß sie also zu wenig respektiert werden, ihr Recht auf nationalen Erfolg verwirklichen zu können - daß demnach also wohl ihre Macht zu gering ist um der Nation den fälligen Respekt zu erzwingen. Sie verlegen sich also auf - jene patriotischen Gemütern nur allzu vertrauten - Berechnungen der höheren Art, in denen es nicht mehr um politökonomische Erfolgsbedingungen im engeren Sinn geht, sondern um die verletzten Rechte der Nation, deren (Wieder-)Herstellung und die Gewalt, mit der das ertrotzt werden kann. So geraten die Nachbarn und andere Staaten nicht mehr bloß als mögliche Quellen zusätzlicher Macht in den Blick, sondern als Gegner ins Visier, die mit ihrer Gewalt und durch alle Schranken, die sie damit irgendwie dem um Positionsverbesserung bemühten Staat setzen, am ihm Unrecht tun. Der Test auf die eigene Durchsetzungsfähigkeit mit den Mittei des nationalen Rechts, also der praktische Vergleich der staatlichen Gewaltapparate steht an, um diesen Rechtsstreit zu entscheiden. Und von da führt so schnell kein Weg zurück in die Niederungen der politischen Ökonomie.
Diese Gleichsetzung von Erfolg, Recht und Gewalt ist Gemeingut aller Staatsführungen. Danach handeln Amerikaner, wenn sie am Golf Krieg führen, um mit einem Sieg dort den von ihnen gesehenen Niedergang ihrer Nation in allen möglichen Bereichen umzukehren; danach richten sich Deutsche, wenn sie mehr weltweite militärische Präsenz als Recht, als Pflicht und als immer gewichtigere Bedingung ihrer weltwirtschaftlichen Führungsposition notwendig finden. Nach genau dieser Gleichung ist auch der "Irre von Bagdad" zu Werke gegangen und hat von all den ungerechten Behinderungen, unter denen er seine Nation leiden sah, erst einmal die nächstliegende, am leichtesten angreifbare und nicht zuletzt deswegen ärgerlichste weggeräumt. Wieviel Verständnis seine feindlichen Kollegen in den Hauptstädten der Freien Welt für dieses Vorgehen hatten, das haben sie mit ihrer Befürchtung klargestellt, der Eroberung Kuwaits würde logischerweise die Erpessung Saudi_Arabiens, die Herrschaft über die Golf-Region und der Aufstieg Iraks zur dominierenden FührUngsmacht des Mittleren Ostens folgen, ein Umsturz der militärischen Kräfteverhältnisse also sowie in dessen Gefolge eine Revision aller zivilen Benutzungs-, Gewinn- und Verlustverhältnisse in der wichtigsten Ölregion der Welt: So wird Saddam Hussein sich das schon auch gedacht haben, als er gegen Kuwait marschieren ließ; denn so funktioniert die Logik der politischen Macht. Und aus dieser Logik ist er auch nicht ausgebrochen, als er der amerikanischen Übermacht die Rechnung entgegengesetzt hat, ein erfolgloser Irak, der Kuwait kampflos preisgibt, wäre politisch wohl auch nicht mehr, eher weniger wert als ein durch Krieg zerstörter, und sein ansonsten ohnehin nutzloses Volk könnte sich mit einer Schlacht, auch einer verlorenen, noch am meisten für Ehre und Größe der Nation nützlich machen.
Damit beginnt allerdings auch schon der entscheidende sachliche Unterschied zwischen diesem und den zahllosen gleichartigen Versuchen von 3. Welt-Mächten, mit Gewalt aus ihrer hoffnungslosen nationalen Schwäche auszubrechen, auf der einen Seite und der Übereinstimmung von zivilen und militärischen Interessen, die erfolgreiche kapitalistische Nationen hinkriegen, auf der anderen Seite. Die Kriegskalkulationen der berufenen Weltordnungsmächte beruhen darauf, daß sie den materiellen Erfolg der Nation nicht erst schaffen müssen, sondern zu sichern haben - weswegen sie auch "Sicherheitspolitik" heißen -; sie sind der Vorbeugung, im Ernstfall dem Kampf gegen Störungen ihrer zivilen Weltherrschaft gewidmet, die für sie der Normalfall ist. Auch nach außen hin teilen erfolgreiche demokratische Staatsgewalten sich sehr funktionell ein und trennen ihren zivilen Staatsmaterialismus von ihrem Standpunkt der bewaffneten Rechtsaufsicht über dessen Erfolgsbedingungen. In der Kalkulation von 3. Welt-Staaten dagegen soll der militärische Erfolg eine nationale Bedeutung begründen, der nach allen sonstigen Gesichtspunkten der modernen Staatenkonkurrenz die materielle Basis fehlt; er soll der Nation aus ihrer Ohnmacht, Bedürftigkeit und Bedeutungslosigkeit heraushelfen, ohne an deren materiellem Grund irgend etwas zu ändern. Die zuständigen Kriegsherren sind zwar allemal souverän genug, diesen Widerspruch zu ignorieren. Genau das macht aber die politische Schwäche ihres Gewalteinsatzes aus: Auch wenn er siegreich abgeschlossen wird - was in der neueren Kriegsgeschichte auch schon oft genug der Fall war; die führenden Weltmächte haben keineswegs immer so machtvoll, geschweige denn so parteilich gegen einen Aggressor interveniert wie auf den Falkland-Inseln oder jetzt am Golf -, stellt er die Nation überhaupt nicht besser; er kann an der - politökonomisch begründeten - Ohnmacht gar nichts ändern, die sein Ausgangspunkt war.
Das muß keineswegs heißen, daß militärische Durchsetzungserfolge von 3. Welt-Staaten gar nichts ändern und verschieben könnten. Nur: Was aus ihnen folgt, das hängt gar nicht von den Siegern ab, sondern von den Mächten, die im Rahmen ihrer globalen Sicherheitsinteressen, mit- oder gegeneinander, mit derartigen Unternehmungen kalkulieren. Die müssen ja schon zuvor für die Ausrüstung "ihrer" Kriegspartei gesorgt haben, entscheiden mit ihrem Engagement oder Nicht-Engagement ganz wesentlich den Ausgang und setzen mit dem anschließenden Frieden und in ihm schon wieder die Bedingungen, unter denen das Ergebnis des Waffengangs überhaupt etwas oder gar nichts zählt. So fällt das, was 3.Welt-Staaten an äußerer Machtentfaltung versuchen, um sich aus ihrem selbst diagnostizierten Status der Ohnmacht und Entrechtung zu befreien, insgesamt auf den Ausgangspunkt zurück: Weil es ein imperialistisches Interesse an ihren nationalen Anstrengungen gibt, weil sie also Objekt übergeordneter weltpolitischer Strategien sind, bekommen sie die Mittel, die Freiheit und damit den Standpunkt, autonom entscheidungsbefugte Subjekte des Weltgeschehens zu sein - und mit allen Kraftanstrengungen, die sie als gleichberechtigte, kriegstaugliche und von nationalen Rechtsansprüchen beseelte Souveräne unternehmen, machen sie sich wieder zu den abhängigen Objekten der Weltpolitik ihrer"Paten".
Von wegen 'Nord-Süd-Konflikt': Die 3. Welt schlägt sich für den imperialistischen Nutzen der 1. Welt
In diesem Sinne kalkulieren übrigens die aufstrebenden Staatsführüngen der 3. Welt selber, wenn sie gewaltsame Einmischungen über ihre Grenzen hinweg planen und probieren. In ihrer eigenmächtigen Außenpolitik ist stets ein Moment von Anti-Imperialismus enthalten, ein Aufbegehren gegen die Funktionen und Kräfteverhältnisse, unter die sie subsumiert sind, und eine Herausforderung der Kontrollmächte des Weltfriedens. Sofern sich das alles aber immer bloß an einem gleichartigen Nachbarn und gegen dessen Interesse an weltpolitischer Bedeutung betätigt oder an einem Streitfall, der nur soviel Bedeutung hat, wie die Weltordnungsmächte ihm beilegen, entpuppt sich der probierte Aufstand gegen die imperialistische Ordnung regelmäßig als Spekulation auf den Imperialismus und dessen Interesse an zuverlässig betreuten und kontrollierten weltpolitischen Verhältnissen.
Die Existenz einer 2., sozialistischen Welt, die in weltpolitischer Opposition zu und Konkurrenz mit den kapitalistischen Weltmächten stand, hat für diese doppeldeutige Rechenart ihre Bedeutung gehabt, und zwar eine doppelte: als mögliche Schutzmacht für die Verstöße gegen die vom Westen gewollte Weltordnung, die eine mit ihrem Stellenwert unzufriedene 3. Welt-Regierung sich zugetraut hat, und zugleich als die andere Seite in jenem großen Weltkonflikt, in dem es dem Westen auf die Parteilichkeit eines jeden Staates ankam, für den also auch jeder Staat irgendwie sein Angebot zu machen hatte - die Sowjetunion also als Gelegenheit für drittweltlich berechnenden Opportunismus. Ins "sozialistische Lager" übergelaufen sind die wenigsten Mitglieder der 3. Welt; und das halbe Dutzend, das sich zu diesem Weg entschlossen hat, hat schwer dafür gebüßt - mit Kriegen, die teils von den militärischen Führüngsmächten der 1. Welt selbst, teils von Nachbarn inszeniert worden sind, die dem Imperialismus des Westens freiwillig und berechnend dienstbar sein wollten. Häufiger als auf die Sowjetmacht und ihr sozialistisches Vorbild haben Staaten der 3. Welt nämlich darauf gesetzt, als "Bastion" gegen den" Weltkommunismus" Interesse auf sich zu ziehen und Hilfe zu finden; oder sie haben auf ein Interesse des Freien Westens spekuliert, sie mit politischem Wohlwollen von allzu guten Beziehungen zur Sowjetunion abzuhalten. All diese Versuche, die latente Weltkriegslage für die Bewegungsfreiheit der nationalen Macht und ihre materielle Ausstattung auszunutzen, haben sich im Endeffekt als billiges Angebot an die Mächte der 1. Welt erwiesen: Die haben solche Bemühungen honoriert oder ignoriert, bedient oder zurückgewiesen, oft - "arbeitsteilig" - beides nebeneinander, und insgesamt für ihren strategischen und weltdiplomatischen Positionsgewinn funktionalisiert, der am Ende zum Beschluß der sowjetischen Weltmacht, sich aus allen "regionalen Konflikten" zurückzuziehen und ihrem weltpolitischen "Abenteurertum" - so die eigene Selbstkritik - abzuschwören, das Seine beigetragen hat.
Mit dem sowjetischen Rückzugsbeschluß ist vielen weltpolitischen Spekulationen von 3. Welt-Regierungen auf Positionsverbesserung und Hilfe die Grundlage entzogen - ihrem Interesse an nationaler Aufwertung und ihrem Kampf darum aber keineswegs. Der geht also mit Sicherheit weiter; unter neuen Bedingungen. Unter welchen, das hat der amerikanische Golfkrieg erst einmal nur nach einer Seite hin klargestellt, nämlich hinsichtlich der Bedeutung, die dem Rückzug der Sowjetmacht für sich genommen und der einmaligen Einigkeit der "Supermächte" in dieser Angelegenheit zukommt.
Für die paar Klienten Moskaus, die mit ihrem nationalen Ehrgeiz auf die sowjetische Alternative gesetzt haben, bedeutet deren Wegfall: Sie werden einerseits eine Schranke los; denn die Sowjetunion hat, wo sie sich einer aufstrebenden 3. Welt-Macht angenommen hat, diesen Staat der Drohung des Westens ausgesetzt und sich der Drohung gegenübergesehen. es nicht auf eine offene gewaltsame Auseinandersetzung ankommen zu lassen; und sie hat stets, um Weltkriegsgefahren zu vermeiden, ihre Hilfestellung für Versuche einer gewaltsamen nationalen Emanzipation entsprechend dosiert, mit Vorbehalten für den Empfänger versehen und dessen Ehrgeiz gedämpft - Moskaus einstmals wichtigster arabischer Partner Ägypten ist deswegen schon vor Jahren zur westlichen Seite übergelaufen. Der irakische Präsident hat sich von seinem Krieg durch keine sowjetischen Bremsungsversuche abhalten lassen - und gleich ist an ihm das Exempel statuiert worden, was es auf der anderen Seite für so eine Staatsmacht heißt, gegen ihre Lage anzukämpfen und an der Weltordnung und ihrem Frieden herumzuzerren, ohne dafür von der Sowjetunion unter den Schutz ihrer abschrekkenden antiwestlichen Weltkriegsdrohung gestellt zu werden: Mit Rückendeckung durch die gesamte Staatenwelt haben sich die USA als direkter Kriegsgegner aufgebaut; sie haben das weltordnungswidrige Moment in Saddam Husseins Berechnung, ihren störenden Charakter, zum alleinigen Inhalt seines Vorgehens und zum nicht hinnehmbaren Verbrechen erklärt; und sie haben die Nation in einem gnadenlosen Krieg dafür büßen lassen. Gescheitert sind alle Versuche des irakischen Präsidenten, sich den westlichen Weltordnungsmächten oder wenigstens einer von ihnen als ehrbarer Gesprächspartner und interessanter Verbündeter anzubieten, also einen Adressaten für die Spekulation auf ein imperialistisches Interesse an einem stärkeren Irak zu finden, die in Saddam Husseins Kriegspolitik von Anfang an genauso enthalten war wie der Verstoß gegen das vom Westen gewollte Kräfteverhältnis am Golf. Eine Gelegenheit, nach dem Ende des ost-westlichen Weltkonflikts die Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Großmächten für sich auszunutzen, hat sich dem Iraker - noch - nicht geboten.
Um so besser war die Gelegenheit, die die amerikanische Reaktion auf den Vorstoß des Irak dessen Nachbarn geboten hat: Die haben sich der imperialistischen Führüngsmacht als mitkämpfende Verbündete angeboten, also voll auf das maßgebliche auswärtige Interesse an ihrem Mittun gesetzt - noch viel direkter und militanter, freilich auch in viel begrenzterem Rahmen als bisher, wo der entsprechende Opportunismus sich am Ost-West-Konflikt festgemacht hat. Und sie haben diese neue Rolle spielen dürfen. Allerdings haben sie auch schon merken müssen, daß der Rang eines kämpfenden Hilfssheriffs der Nr. 1 weiter gar nichts bedeutet als eben dies. Für den Frieden, der nachher wieder einreißt, bedeuten die geleisteten Dienste nichts weiter; weder gehen alte Ansprüche in Erfüllung, noch werden neue politische Möglichkeiten eröffnet. So kommen sie erst gar nicht in die Verlegenheit, realisieren zu müssen, daß selbst solche ordnungspolitischen Zugeständnisse der westlichen Weltmächte wie die, auf die sie wohl gerechnet hatten, gar nichts taugen zur durchgreifenden Sanierüng ihrer Lage und zur Überwindung ihrer drittweltmäßigen Ohnmacht auch wenn ihm seine Golan-Höhen zurückgegeben würden, stände Syrien nicht wirklich anders da und auch Ägypten nicht mit einem neuen Recht von amerikanischen Gnaden, die Saudi-Herrschaft und ein autonomes Palästinenser-Ghetto beschützen zu dürfen. Mit dem Sieg über Irak, den sie haben miterringen dürfen, ist die gute Gelegenheit, sich für die großen Weltordner wichtig zu machen, auch schon wieder vorbei. Mit dem erkämpften Frieden ist, statt neuer Freiheit, im Gegenteil gleich wieder Vorsicht geboten, nicht als nächster Störenfried in die Schußlinie der Amerikaner zu geraten. Denn nDit irgendeinem außenpolitischen Ehrgeiz ist jeder der US-Verbündeten vor Ort allemal für die Rolle des nächsten Bösewichts in der freiheitlichen Weltordnungsszenerie gut.
Denn die Kriterien dieser Ordnung werden nun einmal nicht durch unzufriedene Machthaber der 3. Welt bestimmt - sonst wären sie das ja nicht. Hier entscheiden die kapitalistischen Großmächte nach ihren Benützungsinteressen und Kontrollbedürfnissen, in Konkurrenz gegeneinander, nach ihren Fähigkeiten und Vorteilsrechnungen, mit Rücksicht übrigens auf die noch immer nicht völlig getilgte "sowjetische Gefahr", die gewisse innerwestliche Abhängigkeitsverhältnisse noch immer stabilisiert, Die Mitglieder der 3. Welt haben zwär die besten politischen Gründe dafür, dagegen aufzubegehren. Wenn sie das aber tun, dann geraten ihnen nie die Gründe ihrer Ohnmacht ins Visier. Sie eröffnen die Streitfälle, zu denen sie in der Lage sind; also solche von denkbar untergeordneter Natur, die aus der vorgegebenen Weltordnung nie hinausführen, weil sie auf Positionsverbesserung darin, auf Zugewinn im intemationalen Kräfteverhältnis berechnet sind. Ein weltpolitisches Gewicht haben solche Konflikte nicht wegen der unmittelbar Beteiligten und schon gar nicht im Sinne ihrer politischen Absichten, sondern insofern, als sie von den Regierungen der maßgeblichen Mächte ernstgenommen - also benutzt werden, quasi als Angebot seitens untergeordneter Machthaber, sich wechselseitig so zu stören, zu behindern und kaputtzumachen, bis daß das herumgezerrte Kräfteverhältnis den aufsichtführenden Nationen in ihre Kalkulationen paßt.
Nichts hat weniger mit einem, womöglich antiimperialistischen, 'Nord-Süd-Konflikt' zu tun. Wo sie zu wirklichen Konflikten antreten, machen die Machthaber der 3. Welt sich wechselseitig fertig - und sich insgesamt mit ihren Kalkulationen und Bemühungen zum Material imperialistischer Weltordnungskünste, die sich nun fast schon nicht mehr an einer abweichenden zweiten Weltmacht realsozialistischen Zuschnitts zu bewähren haben.
Das charakterisiert die trostlose Lage der 3. Welt ohne die 2. - und ist, auch wenn es noch ein wenig andauern sollte, ein bloßer Zwischenzustand. Das eigentliche nächste Kapitel der Weltgeschichte ist damit nämlich bereits angesagt, auch für die 3. Welt, aber noch nicht so richtig losgegangen. Ohne ihren sozialistischen Gegner ist nämlich die Freie Welt keine einheitlich handelnde Macht mehr so wie sie es vier Jahrzehnte lang in weltpolitischen Grundsatzfragen war. Die Überschrift über das neue Kapitel, auf dessen Verlauf und Ausgang man wirklich nicht gespannt zu sein braucht, heißt also:
Die "3." Welt der Schuldner und Möchte-gern-Staaten unter der Konkurrenz der Imperialisten der 1. Welt.
(folgt in den nächsten MSZen, wenn es soweit ist.)