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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1991 erschienen.

Systematik

Abschluß der "SII-Talks" zwischen Japan und der USA
Erste Anwendungen: EINE LEKTION IN SACHEN GERECHTIGKEIT IM WELTHANDEL

Eine Neuerung in der Handelsdiplomatie ist eine langwierige Gesprächsrunde namens "Structural Impediment Initiative (SII)", die von den USA und Japan Mitte vorigen Jahres mit einem "Final Report" abgeschlossen wurde. Der Name deutet an, worum es geht. Eine Initiative gegen "strukturelle Hindernisse" - sie sollen den Wirtschaftsverkehr zwischen den Staaten erheblich behindert haben. Wenngleich der "Report" ganz fair in zwei Abteilungen "Japanese Problems" und "U.S. Problems" aufgeteilt ist, ist doch keine Frage, von wem die "Behinderung" ausgeht: Schon der erheblich größere Umfang der japanischen "Probleme" zeigt an, wo der Schuldige sitzt. Denn mit einer Aufzählung, welche Probleme Japan hat, ist diese lange Liste wahrlich nicht zu verwechseln. Statt dessen handelt es sich um eine etwas merkwürdig verklausulierte Anklageschrift, welche Probleme Japan macht - den USA nämlich.

Die Liste der Probleme: Es ist das wachsende Handelsbilanzdefizit gegenüber Japan; es ist zweitens das wachsende Haushaltsdefizit; es ist drittens der von amerikanischen Nationalökonomen vollzogene Zusammenschluß, daß dieses Haushaltsdefizit zustandekommt durch den japanischen Exporterfolg oder wegen dieses Erfolgs nicht abgebaut werden kann, was im Sinne der Anklage auf dasselbe hinausläuft; und es ist viertens die Tatsache, daß diese Staatsschuld von den prosperierenden japanischen Geschäftsleuten zu einem Gutteil finanziert wird, wofür ihnen natürlich Zinsen zustehen. Dann wird der patriotische Zorn noch damit bebildert, daß die Japaner mit ihrem vielen Geld hergehen und original amerikanische Heiligtümer wie Hollywoods Filmstudios, berühmte Hochhäuser oder zentral gelegene Grundstücke zu Irrsinnspreisen kaufen, die sich kein anständiger (US-)Geschäftsmann leisten kann.

Die Anklageschrift läßt auch keinen Zweifel daran, wie es Japan schafft, den USA Probleme zu bereiten: Japan begeht nicht irgendwelche Fehler, Japan ist der Fehler - seine innere Verfassung ist das "strukturelle Hindernis".

Die Bekämpfung dieses verwerflichen Zustandes dient der Wiederherstellung der Gerechtigkeit in der Weltwirtschaft: Sie räumt die amerikanischen Probleme aus, indem sie den japanischen Machenschaften Einhalt gebietet.

Zugeständnisse waren der japanischen Regierung schon vor SII reichlich abgenötigt worden: Detaillierte Abkommen bei Halbleitern, Telekommunikation, Orangensaft usw. sollten den japanischen Export kontingentieren und/oder amerikanischen Firmen Verkäufe auf dem japanischen Markt garantieren. Eine Aufbesserung der eigenen Bilanz war dabei nicht herausgesprungen, ganz im Gegenteil. Die Frage, ob die Verträge vielleicht deswegen den gewünschten Ertrag nicht einspielten, weil den amerikanischen Firmen alle Sonderkonditionen nichts nützten, nämlich mangels Wettbewerbsfähigkeit, haben die Fachleute des Wirtschaftsministeriums aufgeworfen und mit einem entschiedenen Nein beantwortet. Sie haben dafür eine wasserdichte Argumentation entwickelt nach dem Motto: Was nicht sein

darf, kann nicht wahr sein.

"Verkauf unserer Waren auf dem japanischen Markt oder Investitionen in Japan stehen oft sehr niedrig in der Priorität der Unternehmen. Es gibt nämlich die gerechtfertigte Annahme, daß der Markt feindselig ist, wodurch der Ressourcentransfer extrem riskant wird... Warum sollte ein Unternehmen seine besten Leute aus den USA abziehen, Japan-Spezialisten einstellen, sich die besten Gutachten in Tokio kaufen oder massiv in ein Verkaufs- oder Servicenetz investieren, wenn der zu erwartende Kapitalrückfluß niedrig ist? Viele der Gesellschaften, die jetzt erfolgreich in Japan operieren, sind zu einem Zeitpunkt eingestiegen, als die Japaner mit ihnen nicht konkurrieren konnten - und selbst diese Gesellschaften sehen sich mit einer grundlegend feindseligen Umgebung konfrontiert." (Senats-Hearing)

Man muß sich eben nur auf den Standpunkt des selbstverständlichen Erfolgs stellen, dann sieht die Welt gleich ganz anders aus; dann ist sie nur (vorübergehend) in Unordnung geraten, weil gerechter amerikanischer Profit "feindselig" verhindert wurde. Den Japanem muß also "Entgegenkommen" verordnet werden - so die diplomatische Formulierung für die Radikalisierung der amerikanischen Handelsdiplomatie, die den Konkurrenzerfolg der Gegenseite einfach nicht damit unter einen Hut bringen will, daß es dann wohl auch Verlierer gibt zufälligerweise in ihrem eigenen Laden. Aus dem Scheitern der zuvor abgeschlossenen Handelsverträge ziehen die USA den Schluß, daß der Wirtschaftsverkehr mit Japan prinzipiell reformiert werden muß, wofür sie mit der ebenso prinzipiellen Drohung anrücken, man könne ja mal auch alles unterbinden, was so an Geschäftsbeziehungen läuft. Kann man nicht japanische Kapitalisten gerade aufgrund ihres Erfolgs auf dem amerikanischen Markt auch daran erinnern, daß sie von diesem Markt ein wenig abhängig sind?! Und ein paar Kongreßabgeordnete sind es sich schuldig, den wildentschlossenen Anwalt des Ausgleichs zu symbolisieren, wenn sie mitten in Detroit ein paar japanische Autos mit Vorschlaghämmern demolieren.

Die amerikanische Handelsdiplomatie sieht sich zu besonderer Erbitterung berechtigt, weil sie doch nun schon seit Jahren den Japanem gutwilligst das Konkurrieren ausreden will. Dabei hat sie sich bloß in Verhandlungen und Verträge hineinziehen lassen, die der Gegenseite gestatteten, sich in kleinlichen Konkurrenz(verhinderungs)praktiken festzubeißen und die eigentlich gemeinte Aufforderung zur "Zusammenarbeit" zu unterlaufen. Die eigene Prinzipienfestigkeit ist im Paragraphengestrüpp aufgeweicht worden, zu viele Schlupflöcher mußten zu Enttäuschung und Zank führen. Ein politisches Machtwort muß her, das dem widerspenstigen "Partner" die fällige Korrektur an sich selbst klar macht.

Die japanische Nation soll sich insgesamt einer kritischen Musterung unterwerfen, die gewiß einen immanenten Anti-Amerikanismus aufdecken wird; sie soll sich anschließend einer proamerikanischen Reform unterziehen, die sie selbstverständlich nicht allein bewerkstelligen kann.

Ein (amerikanischer) Bericht zur Lage der (japanischen) Nation

Der OECD-Bericht 89/90 meldet eine "zufriedenstellende Entwicklung" Japans.

- Der Binnenmarkt expandiert seit Jahren enorm.

- Die Konsumnachfrage ebenfalls.

- Der Leistungsbilanzüberschuß wird ständig geringer.

- Die Sparquote sinkt.

- Der private Wohnungsbau steigt ständig.

- Die Wareneinfuhr nimmt kräftig zu.

- Die Finanzmärkte werden internationalisiert.

- Auslandskapital strömt herein.

- usw. usf.

Die übliche makroökonomische Sichtweise sieht sich also zu dem Schluß berechtigt, daß Japan ein "normales Einfuhr- und Ausfuhrverhalten" anstrebt, insbesondere den Import "deutlich verbesserte".

Der "Final Report" sieht das ganz anders. Gerade beim Import hapert es weiterhin entschieden. Die umfängliche Liste "japanischer Probleme" ist nach dem klaren Prinzip angelegt:

"... ein neues Paket in sich zusammenhängender und aufeinander abgestimmter Maßnahmen zur Erweiterung des japanischen Imports, mit dem Ziel, aus Japan eine weltweit führende Importnation zu machen."

Die 6 Kapitel, in die die "japanischen Probleme" eingeordnet sind, verlangen für die Erreichung dieses Ziels:

- Bereitstellung von Geld durch den Staat: "Sparen. Investitionen."

- Beseitigung von Importhemmnissen: "Bodenpolitik". "Ausschließende Geschäftspraktiken". "Keiretsu-Beziehungen". "Preismechanismen".

- Aktive Förderung des Imports: "Verbesserung der auf den Import bezogenen Infrastruktur". Und nochmal "Preismechanismen".

Aus diesem interessierten Blickwinkel erscheint die japanische Ökonomie in einem ganz eigenen Licht.

Staatsnachfrage, innerer Markt weit unter den Anforderungen

Die erste Abteilung beginnt mit einem Paukenschlag: Der japanische Staat hat für die nächsten 10 Jahre 3 Billionen $ aufzubringen, um damit zu kaufen. Jährliche 300 Milliarden $ sollen also im Rahmen des "Grundlagenplans für öffentliche Investitionen" ausgegeben werden. Der Betrag ist außerordentlich hoch, wesentlich ist jedoch die in der Höhe steckende Klarstellung, zugleich die amerikanische Forderung: Der Zustand dieses Landes ist unter aller Kanone; ohne eine beträchtliche staatliche Anstrengung wird sich daran nichts ändern - es muß sich aber ändern. Das "gesellschaftliche Investitionskapital" ("social overhead capital") ist nach dieser Auskunft seit jeher zu niedrig gewesen, der japanische Staat hat sich falscher, übertriebener Sparsamkeit befleißigt; erst jetzt wird eine Basis hergestellt für

"ein anhaltendes, nicht-inflationäres Wachstum, angeführt von einer starken Inlandsnachfrage, und dieses Wachstum sollte ... den weiteren Abbau des Handelsbilanzüberschusses unterstützen".

Diese Inlandsnachfrage stiftet der Staat durch den Bau von Flugzeug- und Schiffshäfen, Autobahnen, durch bessere Zusammenarbeit zwischen den Ministerien, so daß die verfügbaren Mittel schnell und wirksam eingesetzt werden, durch eine "Deregulierung" der privaten Wirtschaft, so daß sie sich dem staatlichen Ausgabenstrom frei anschließen kann - was natürlich eine Kritik am vorhandenen Zustand von Staat und Kapital darstellt -, aber auch durch die Förderüng des privaten Konsums: "Gelegenheit zur Freizeit; Flexibilität in den Finanzen der Konsumenten". Zu diesem Zweck müssen die Arbeitszeit gesenkt werden, wobei der Staat mit seinen Beamten den Anfang macht, Kreditkarten verbreitet werden, der Zugriff auf Geldautomaten mit diesen Kreditkarten erlaubt werden, überhaupt diese Geldautomaten länger am Tag zugänglich sein. Dem Abschied von der staatlichen Sparsamkeit entspricht also ein - staatlich gefördertes - Entsparen samt der Gelegenheit, das abgehobene Geld auch zu verbrauchen. Das faßt sich in der schönen Forderung zusammen:

"Bei der Ausgabe der verschiedenen Arten des gesellschaftlichen Investitionskapitals sollte höchste Aufmerksamkeit, soviel wie nur möglich (wörtlich so im Text, MSZ) den Bereichen gewidmet werden, die eng mit der Verbesserung der Lebensqualität verbunden sind."

Die USA als Anwalt eines guten Lebens der japanischen Massen, und der japanische Staat nickt mit dem Kopf dazu? Die Vorstellung erscheint absurd - und doch drückt sie die amerikanische Kritik und die Richtung, wohin die Verbesserung gehen soll, einigermaßen korrekt aus. Der japanische Konsument steht hier nämlich für den Fehler japanischen Wirtschaftens: - Staat und Kapital - die Einzelheiten des Zusammenwirkens werden in den anderen Kapiteln angeführt bzw. angegriffen - haben den japanischen Konsumenten dadurch in Unfreiheit gehalten, daß sie den inneren Markt unterdrückten. Zumindest haben sie nicht den zugelassen, der sich für ein auf gleicher Stufe konkurrierendes kapitalistisches Land gehört; zwangsläufig fehlt es auch an elementaren Voraussetzungen eines inneren Marktes, wofür das Schlagwort "Infrastruktur" steht.

Wohnen, Konkurrenz, "Transparenz", technischer Fortschritt - mangelhaft

Zur Verhinderüng eines inneren Marktes haben sich Staat und Kapital einiges einfallen lassen. Im Kapitel "Bodenpolitik" wird der völlig unsachgemäße Gebrauch des Bodens gegeißelt. Ein absichtlich undurchschaubares Steuersystem - genaue Vorschriften zur Entflechtung und Vereinfachung bis hin zu der Vorschrift, zukünftig müsse der Staat mehr Gebrauch von seinem Enteignungsrecht machen, finden sich in diesem Kapitel - hat dazu geführt, daß der Boden einerseits irrsinnig teuer ist, andererseits brach herumliegt. Deswegen konnte die Bauwirtschaft nicht florieren. Und wer mußte darunter leiden? - wieder mal der gewöhnliche Japaner, der sein Geld für unerschwingliche, winzig kleine Papierhütten verschwenden muß. Hinzu kommen unhaltbare hygienische Zustände, da weite Teile Japans keine Kanalisation kennen. Vorsorglich erwähnt das Kapitel noch den Meeresboden, der künftig auch einer Benutzung zugeführt werden muß.

Die in den Kapiteln "Ausschließenden Geschäftspraktiken", "Keiretsu-Beziehungen" und "Preismechanismen" gelieferte Zustandsbeschreibung kann man unter die Überschrift stellen: Japan ist keine Marktwirtschaft. Die jetzt einsichtig gewordene Notwendigkeit, ein Anti-Monopol-Gesetz zu erlassen, zeigt nur an, wie sehr der Staat die Unterdrückung der freien Konkurrenz zugelassen, ja, gefördert hat. Der japanische Markt wird im wesentlichen von Kartellen besetzt, die ein feines Gespinst von Preisabsprachen gewoben haben, insbesondere bei den staatlichen Ausschreibungen. Für die Stabilität dieser un-kapitalistischen "Struktur" sorgt ein ausgefeiltes System von Beteiligungen und Übernahmen zwischen den großen Betrieben, wofür es den eigenen Begriff des "Keiretsu" gibt. Von einer Duldung dieser Beziehungen durch den Staat kann gar nicht mehr die Rede sein, vielmehr muß er sich vorhalten lassen, aktiver Befürworter einer außerhalb der kapitalistischen Normen operierenden Geschäftswelt gewesen zu sein somit ist auch die Trennung von Ökonomie und taat noch nicht vollzogen. Die Leidtragenden einer solchen Machenschaft, die jetzt bekämpft wird, sitzen natürlich nicht nur in Japan:

"Das 'Free Trade Comittee (FTC)'wird Richtlinien erstellen und veröffentlichen, die so konkret und klar wie nur irgendmöglich die Kriterien festlegen, mit Hilfe derer das Anti-Monopol-Gesetz durchgesetzt wird. Sie richten sich gegen das Fortdauem und gegen die Exklusivität der Geschäftspraktiken innerhalb einer Keiretsu-Gruppe, so daß dadurch ein freier Wettbewerb nicht länger behindert wird. So tragen sie zu einem faireren und offeneren Umgang zwischen den Betrieben bei, ohne daß es zu einer Diskriminierung ausländischer Firmen kommt."

Das Generalziel heißt "Transparenz"; der unmögliche Zustand soll abgeschafft werden, daß in Japan eigentlich kein Markt, also auch keine freien Preise existieren. Leidtragende dessen sind Ausländer und mal wieder die japanischen Konsumenten. Der Auftrag ergeht:

"Vorantreiben der Maßnahmen, die eine Preisangleichung zwischen den heimischen und den überseeischen Märkten herbeiführen" - und zwar "von einem Standpunkt aus, der sich an den Konsumenten orientiert."

Die erfreuen sich zwar einerseits subventionierter Preise, die aber gar nicht für sie niedriggehalten werden, sondem um ausländische Anbieter fernzuhalten. Den Pferdefuß dieses Vorzugs bekommen sie massiv zu spüren, wenn ihnen dann wieder durch künstlich hochgetriebene Importpreise ausländische Herrlichkeiten vorenthalten werden; aber nicht nur die, denn auch die inländisch produzierten (Industrie-)Güter sind zu teuer, wobei der Vorwurf der Überteuerung eindeutig bewiesen ist durch den niedrigen Preis, den dieselben Güter auf dem Weltmarkt tragen - die "Angleichung" ist also ein sehr umfängliches Werk und richtet sich auf die hinein- und hinausgehenden Waren.

Schließlich wird der "Final Report" noch einen Vorwurf los, den man eigentlich für vollkommen aus der Mode und im Arsenal revisionistischer Kapitalismuskritik angesiedelt gehalten hätte: die Behinderung des technischen Fortschritts. Die gelang dem Staat durch eine absolut unzureichende Besetzung und Ausstattung der Patentämter, weswegen nun ein längerer Paragraph eine Norm festlegt, wieviel Geld der Staat künftig ins Patentwesen zu stecken habe, damit eine genau bestimmte Steigerungsrate von Patenterteilungen zustandekommt. Der Wink mit dem Zaunpfahl: japanische Sparsamkeit, um es höflich auszudrücken, wollte sich den Aufwand für "Forschung und Entwicklung" nicht leisten und hielt statt dessen die Unternehmen an, bei den ausländischen Konkurrenten abzukupfern - auch das ein sehr altrnodischer Vorwurf.

Import, Verkauf - so gut wie nicht vorhanden

Wie um zu unterstreichen, worauf sich ein riesiges Staatsausgabenprogramm und die - Zerschlagung eingefahrener ökonomischer Verkehrsformen positiv festlegen zu lassen haben, wiederholt das Kapitel "Verbesserung der auf den Import bezogenen Infrastruktur" die wesentlichen Vorschläge und Absichtserklärungen nur eben jetzt "importbezogen". Da gibt es Flug- und Schiffshäfen, Straßen und Warenhäuser ganz für den "Import", und die müssen endlich aufgemöbelt werden. Aber damit nicht genug: Der abschließende Höhepunkt einer Charakterisierung Japans als Nicht-Marktwirtschaft ist die Behauptung, daß dort kaum verkauft wurde. Der Report" läßt sich zwar nicht darüber aus, wie die Japaner bisher ihr Geld ausgaben, macht aber einen Zusammenhang ausfindig: Es müssen erst Läden eingerichtet werden, und das ist dasselbe wie Importförderung. Mit einer in diesem Kapitel besonders auffälligen Kleinlichkeit werden Gesetze, Bauverordnungen, Zollbestimmungen etc. aufgelistet, die das Eröffnen von (großen) Geschäften, schnelle Einfuhr, angemessene Verkaufsflächen, ausreichende Öffnungszeiten und der Teufel sonst noch was ankurbeln sollen; selbst eine alkoholische Unterversorgung der Japaner haben die USA entdeckt, weswegen es einen eigenen Paragraphen über die Einrichtung von Schnapsläden gibt.

Ein amerikanisches Fazit: Mit richtigen Kapitalismus dem Scheinkapitalismus zu Leibe rücken

Das Bild, das sich die USA von der Politischen Ökonomie Japans machen, entspringt dem Verdacht, in dieser Ökonomie herrsche ein antiamerikanisches Grundprinzip. Nicht in dem einfachen Sinne, daß man es mit einem erfolgreichen Konkurrenten zu tun hat, sondern in einem übertragenen, sehr moralisierenden Sinne: m den USA, die das Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus gepachtet und in Form des Weltmarkts allen Mittuern zur Nachahmung und eigenen Wohlfahrt zur Verfügung gestellt haben, u schaden, hat sich Japan mit einer Art unsauberem, da staatlich verzerrtem Kapitalismus ausgestattet. Dieser Kapitalismus hält sich nicht an die Spielregeln, wenn er sich auf dem Weltmarkt ausbreitet.

Die übertreibende Manier läßt sich nicht wirklich ein auf das, was Japan für den Aufbau seines Kapitalismus unternommen hat, sondern charakterisiert es als abweichendes Verhalten, abweichend von dem, was die USA als kapitalistisches Musterland auszeichnet.

Dieses Bild übersetzt sich in eine volkswirtschaftliche Theorie. Die Schriften sind Legion, worin versucht wird, dem offensichtlich erfolgreichen Zusammenwirken von Staat und Kapital in Japan auf die Schliche zu kommen. Die Bewunderer vermuten, daß sich den japanischen Wirtschaftslenkern -"fernöstliche Weisheit + höchster Technologiestandard" - so etwas wie der geheimnisvolle Mechanismus des Kapitalismus enthüllt hätte, ein Mechanismus, der nun von den genialen Beamten des MITI (die japanische Sonderform des Wirtschaftsministeriums) durchexerziert wird. Die Kritiker behaupten so ziemlich dasselbe, nur halten sie die Taten des MITI für eine Gemeinheit - wofür der eigene relative Mißerfolg Beweis genug ist. Wenn sich nun die USA den Regelverletzer vorknöpfen, so reicht ihnen als sichere theoretische Grundlage ein dünnes"abstract": Mit einem Ding namens "aktive Industriepolitik" hat der japanische Staat kapitalistisches Treiben geplant, kommandiert, finanziert, angeheizt, wie immer man will, aber nur zu dem einzigen Zweck, die Wucht dieses "künstlichen" Kapitalismus nach außen zu lenken, um auf dem Weltmarkt Überschüsse zu erzielen und zugleich den eigenen "Markt" dem Weltmarkt zu entziehen; der im Inland nicht-entfaltete, ja unterdrückte Kapitalismus muß sich umso wütender über seine Konkurrenten hermachen.

Moralisch und zugleich eine prima volkswirtschaftliche Theorie ist diese Vorstellung, weil sie nichts anderes ist als eine Idee des Gleichgewichts, gleichzusetzen mit: Gerechtigkeit. Gleichgewicht herrscht nach Auffassung der amerikanischen Wirtschaftstheoretiker nur dann, wenn die Garantiemacht des Kapitalismus aus dem weltweiten Wachstum ihren "fair share" bezieht.

Also muß sich Japan dann sagen lassen, daß sein Erfolg kein wirklicher, ein Scheinerfolg ist, der das Beiwort "kapitalistisch" gar nicht recht verdient. Und in epischer Breite legt der "Final Report" dar, was dem japanischen "Kapitalismus" alles fehlt, welch' ungeheuren Nachholbedarf - mindestens 3 Billionen $ - er aufweist. Darüberhinaus kriegt der "Report" mit der Berufung auf den japanischen Konsumenten, dem recht eigentlich die Eigenschaft des freien Bürgers abgeht -

"Warum gibt es keine Konsumentenbewegung in Japan? Welche, die gegen die unmäßig hohen Preise protestieren, die nie aufgrund der protektioniitiichen Politik zu bezahlen haben. Warum versucht nicht eine der politischen Parteien an die Stimmen der Konsumenten heranzukommen mit dem Argument, daß es die Politik der Regierung unmöglich macht, eine Melone zu ergattern, außer an Geburtstagen?" (Senati-Hearing) -

noch die allgemein-menschliche-ideologische Lehre hin, daß "richtiger" Kapitalismus eine einzige Wohltat für "die Menschen" ist. Umgekehrt, umgekehrt.

Die Handlungsanweisungen, die sich aus dieser "Analyse" ergeben, liegen auf der Hand. Zu seinem eigenen Vorteil muß der japanische Staat von seinem Irrweg abgebracht und gezwungen werden, ein "ausgewogenes Wachstum" zu stiften. Ausgewogenheit verlangt in diesem Fall Umlenkung des Export"drucks " in den Import, unter anderem auch Umstellung der Exportkapazitäten auf Inlandsbedarf mit Hilfe staatlicher Nachfrage. Was ein Angriff auf den Erfolgsweg der japanischen Nation ist, soll in Wirklichkeit als väterlicher Rat aufgefaßt werden, es doch mal mit einem richtigen Wachstum zu probieren.

Natürlich verdankt sich die rasante Ableitung, wie nötig Japan den Import habe, dem amerikanischen Wunsch, per Export wieder besser ins Geschäft zu kommen. Aber: So berechnend diese Theorie auf der einen Seite ist, so sehr ist sie doch auch amerikanische Überzeugung. Beispielhaft die jüngste Stellungsnahme des "Council of Economic Advisers", etwa der "Sachverständigenrat" der USA. Erst befaßt er sich mit neu aufgekommenen kritischen Gedanken:

"Die Protagonisten der neuen Lehre behaupten etwa, daß sich die intemationalen Handelsströme auf den unvollkommenen Weltmärkten von heute gar nicht nach den komparativen Kostenvorteilen richten könnten. Sie fordern darum die staatliche Verwaltung des Handels ('managed trade') und sie plädieren für eine Industriepolitik unter dem (vorübergehenden) Schutz protektionistischer Wälle. Protektionistische Retorsionswellen nehmen diese Kritiker mit dem verharmlosenden Hinweis in Kauf, die Kosten eines protektionsistischen Rückschlags seien wohl nicht größer als die einer milden Rezession."

Gegen diese Ideen, die in etwa ein Zurückschlagen der Konkurenz durch Nachahmung fordern, hält der "Council" die reine, amerikanische Erfolgslehre:

"Demgegenüber läßt der Council keine Zweifel, daß nur die vollständige Liberalisierung des Welthandels Wohlstandsgewinne für alle bringen kann. So gestatten oft nur grenzüberschreitende Märkte optimale Betriebsgrößen und damit die Abschöpfung von 'Skalenerträgen'. Umgekehrt bringt vermehrte Importkonkurrenz Kosteneffizienz und höheres Qualitätsbewußtsein auch im Inland. Ebenso wichtig ist die Öffnung des Inlands für ausändische Investoren." (Neue Zürcher Zeitung, 14.2., Hervorhebungen im Original)

Und man kann auch den Beteuerungen des Präsidenten George Bush Glauben schenken, daß er nicht seinen Markt "abschließen", sondern alle anderen Märkte "aufschließen " will. Er ist nämlich noch ganz dem "alten Denken" verpflichtet, gemäß dem die USA mit der Gleichsetzung von Weltmarkt und ihrem nationalen Markt am besten fahren, also für das auch die Befassung der ausländischen Konkurrenz mit dem US-Markt nicht von vornherein von Übel ist. Diese Überzeugung ist insofern kein leerer Glaube, als "offene Märkte" ja die Voraussetzung darstellten für den durchschlagenden Erfolg des US-Kapitals. "Offene Märkte" in dem Sinne, daß jeder Kapitalist, egal wo er herkommt, auf jedem Markt kaufen und verkaufen kann, sein Kapital anlegt und abzieht, wie es ihm paßt, kennt der Kapitalismus nicht. Gegen diese "Freiheit" haben sich die USA selbst genügend "Ausnahmen" in Form von Zöllen, Zinsregulierüngen, Kapitaleinfuhrbeschränkungen usw. genehmigt, und wenn sie jetzt gegen Japan Beschwerde einlegen, beklagen sie sich ja gerade über ein nachhaltiges Wirken "nationaler Beschränkungen". Noch jeder Staat nahm und nimmt sich das Recht heraus, die schönen Freiheiten des Weltmarkts zum Vorankommen seiner nationalen Wirtschaft ins Verhältnis zu setzen und zu relativieren, gegen die Wirkungen des Freihandels Einspruch zu erheben und protektionistisch die Berücksichtigung "wichtiger nationaler Interessen" zu verlangen. Wie weit ihm das gelingt, hängt freilich sehr davon ab, was er für den Weltmarkt geleistet hat, denn nur in dem Maße ist sein Verlangen auch machtvoll.

Aber"offen" standen die Märkte allemal dem Dollar: Er zog sie und die auf ihnen gehandelten Währungen in einen internationalen Vergleich hinein. Dieser Vergleich machte den nationalen Wirtschaften den Zwang auf, einen nach Weltmarktmaßstäben tauglichen Reichtum zu produzieren, ganz simpel: Dollar zu erwirtschaften. Rücksichtsvoll - waren die USA dabei auch: Im wohlverstandenen Eigeninteresse traten sie an als Schiedsrichter über ein erlaubtes Maß an "nationalem Egoismus". Dessen Notwendigkeit und Berechtigung war damit anerkannt, zugleich aber auch immer bezogen auf das Interesse der USA an "prosperierenden Märkten" - von ihnen sollten und würden zuallererst und am meisten die Dollarkapitale profitieren.

"Wohlstandszugewinne für alle" haben sich dabei keineswegs eingestellt, bei ein paar wenigen Konkurrenten aber schon. Und deren "Zugewinne" reichen offensichtlich aus, die USA aus der Rolle des Schiedsrichters hinauszudrücken. Der imperialistische Overlooker ist in ein ordinäres, "gleichberechtigtes" ökonomisches Kräftemessen verwickelt und ist dabei nicht bloß seine Sonderstellung losgeworden. Die zuständigen Regierungsbeamten ergehen sich in Selbstvorwürfen, dem nationalen Treiben der anderen allzu nachlässig gegenübergestanden, sie also erst zu Konkurrenten gemacht zu haben, feindseligen zumal. Dulden wollen sie es deswegen gerade nicht. Sie konstatieren statt dessen: Das erlaubte Maß ist (endgültig) überschritten. Mit einem Zurückstutzen ist es freilich nicht getan - vielmehr geht der neue amerikanische Radikalismus gleich soweit, den Konkurrenten die Kontrolle, Unterstützung und Abschirmung ihrer Wirtschaften zu bestreiten, also eigentlich überhaupt die Zulässigkeit von Wirtschaftspolitik auf die Tagesordnung zu setzen.

Das "Aufschließen" eines Marktes

Die im OECD-Bericht aufgeführten Fakten zu Japan beeindrucken die USA bloß in einer Hinsicht: Sie vertiefen den Ärger. Wenn schon die japanische Wirtschaft floriert, wenn angeblich Import- und Binnenmarktentwicklung so erfreulich verlaufen - ist es dann nicht um so unverständlicher, also skandalöser, daß Amerikas Bilanzen daraus keinen Nutzen ziehen! Die "Besserung" Japans schürt nur den Verdacht auf Anti-Amerikanismus, kann also keine Besserung sein.

Japan wirtschaftet systematisch zum Nachteil Amerikas. SII und "Final Report" sollen nun sicherstellen, daß und wie es zum Vorteil Amerikas wirtschaftet. Dazu haben die USA die Drohung der Beschädigung der japanischen Wirtschaft ausgepackt; für "operativ" halten sie es jedoch - immer mit dieser Drohung im Rücken -, den japanischen Erfolg zu vereinnahmen. Dazu ist ihnen eingefallen: Sie wollen sich den eigenen Export garantieren lassen. Die ganze Wahrheit von "Märkte aufschließen" ist, Wachstum anderswo und einen gesicherten Anteil daran zu verlangen:

"Wir müssen uns auch daran erinnern, daß Japan der zweitgrößte Markt in der Welt für unsere Industrie ist und der größte für unsere Landwirtschaft. Unsere Exporte nach Japan belaufen sich jetzt schon auf 44 Milliarden Dollar - nur Kanada kauft mehr - und sie wachsen schneller als unsere Verkäufe an den Rest der Welt. Der Premierminister Kaifu und seine Regierung sind sich der Stimmung und der Besorgnis in unserem Lande bewußt, was die anhaltenden Hindernisse für das weitere Wachstum unserer Handelsbeziehungen angeht. Wir haben immer noch ein Defizit von 49 Milliarden Dollar. Daß sich keiner täuscht: Ich will, daß dieses Defizit wegkommt, aber nicht durch Beschränkung unserer Märkte, sondern dwch weiteres Anschwellen unserer Exporte." (George Buih nach dem Besuch des Premiers Kaifu, 3.3.90)

Dem Präsidenten hätte anläßlich seiner eigenen Rede ja auch einfallen können, daß US-Waren also gekauft werden in Japan - sofern sie rentabel sind; was die nicht-rentable Abteilung angeht, muß sich die amerikanische Wirtschaft halt noch ein bißchen anstrengen. Er sieht sich jedoch ungebrochen als Kommandeur der/seiner Weltwirtschaft und legt sich den Nicht-Kauf als Behinderung, ja Verweigerung zurecht. Wie die zu brechen sei, führt dieser merkwürdige Vertrag nun vor. Er besteht aus lauter mit den USA abgesprochenen Absichtserklärungen des japanischen Staates, nämlich sich aufzurüsten, damit die USA davon profitieren können. Insofern ist der "Final Report" auch gar kein richtiger Vertrag, sondern die Schriftform eines genuin amerikanischen Idealismus, dessen Einlösung Japan abgenötigt wird: Die Behinderung des Geschäfts anderswo muß weg, damit die USA zu ihrem natürlichen Recht kommen. Allerdings ist dieser Idealismus - nicht zuletzt wegen der Erfahrungen mit dem boomenden japanischen Binnenmarkt - auch sehr bodenständig, wenn er nämlich Sicherheiten verlangt. Die bestehen nicht in Zusagen japanischer Politiker, sondern werden eine Stufe darüber festgeklopft: Die USA hocken sich mitten in die japanische Wirtschaftspolitik hinein. Überwachung muß sein; auf die Zusicherung der Japaner, all die schönen Vorhaben auch einzuhalten, ist man ja bisher blauäugig genug eingegangen. Zwar hat der japanische Staat enen Teil der Abmachung - Wachstum - erfüllt, den aber eigentlich wichtigen Teil - US-Partizipation - irgendwie wieder unter den Tisch fallen lassen. Die Eigentümlichkeit der "SII-Talks" besteht darin, nicht auf einen förmlichen Handelsvertrag zu dringen, sondern lauter halbformelle Gremien einzurichten, die z. B. paritätisch mit "amerikanischen Geschäftsleuten und Wissenschaftlern" besetzt sind. Hieß die Kritik früher, man habe sich zu sehr in einen Paragraphengestrüpp verrannt, so wird nun ein noch viel dickeres Gestrüpp aufgezogen, nun aber mit der Absicht, die Gegenseite festzunageln. Wie es so schön heißt: US-Interessen und japanische Interessen sollen sich - in den Gremien - "wechselseitig durchdringen". Während schon die Vorbereitung der "Talks" uon einem ausufernden Kommissionen-Apparat geleistet wurde, wird nun eine massiue Bürokratie eingesetzt, die sich kleinlichst mit der Umsetzung der handgezählten 270 "suggestions" befaßt. Darin besteht die garantierte Einmischung und Kontrolle der USA.

Zugleich aber auch die ganze Untauglichkeit dieses Radikalismus. Er führt ja zu nichts anderem als zu einem Dauerstreit, den die USA aufgrund ihrer eigenen Vorgaben erst einmal nicht gewinnen. Die eine Sache ist, die Japaner mit unverschämtem Auftreten den eigenen Ärger spüren zu lassen:

"Insgesamt dürfte die Anpassungslast weitgehend bei Japan liegen, das zu einigen Konzessionen durch die versteckte Drohung gezwungen wurde, daß ein Scheitern von SII sehr viel drastischere Aktionen der Vereinigten Staaten hervorrufen könnte. Dies hat zusammen mit detaillierten Forderungen, die jeder souveräne Staat eigentlich als ungebührliche Einmischung in seine inneren Angelegenheiten empfinden müßte, in Japan einmal mehr gemischte Gefühle hinterlassen." (Neue Zürcher Zeitung, 30.6.90, Hervorhebung im Original)

Die andere Sache ist, ob und welche wirtschaftlichen Druckmittel die USA denn nun tatsächlich haben. Immerhin kann noch so forsches Auftreten nicht ausräumen, daß die USA sich von japanischem Wachstum abhängig machen. Um das beliebte Bild von der "Wachstumslokomotive" zu bemühen: Sie soll dampfen, um eine "Last" in Form amerikanischer Importe ins Rollen zu bringen. Wenn die USA nun auf diesem Resultat beharren, ist mehr als zweifelhaft, ob die Importe denn auch dem Wachstum förderlich sind. Der amerikanische Präsident ist es sich schuldig, Zweifel an der Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft für abwegig zu erklären; das praktische Urteil des Kapitals sieht nun mal aber anders aus. Zugleich kommen die USA nicht umhin, sich zu dem Wachstum, an dem sie sich bedienen wollen, auch fürsorglich zu stellen. Was z.B. ist von dem Erfolg des "Chip-Abkommens zu halten, das amerikanischen Halbleiter-Fabrikanten einen Marktanteil von 20% zusichert, "der aber bei weitem nicht erreicht wurde" (HB, 4.3.)? Ist denn jetzt tatsächlich die richtige Abhilfe, einen 30%igen Marktanteil zu fordern - wie es die US-Industrie will -, oder handelt es sich dabei nicht eher um eine recht unökonomische Geschäftssicherung, die der japanischen Industrie zu teure Chips aufs Auge drückt und die amerikanische Industrie sozusagen per zwischenstaatlicher Absprache subventioniert, also Kapital in unrentable Bereiche lenkt? Die

Forderung nach Senkung der Arbeitszeit in Japan - wie soll das eigentlich das Wachstum beflügeln? Kurz: US-(Export-)Interessen und japanisches Wachstum sind nun mal zwei Paar Stiefel, auch wenn amerikanische Theoretiker sich eine wohlfeile Harmonie zurechtdenken wollen.

Die Widersprüchlichkeit der ganzen Konstruktion ist umkehrt der Hebel, mit dem sich Japan in diesem Streit zur Wehr setzt. Seine Unterhändler brauchen sich ja nur ein bißchen diplomatisch-dumm zu stellen und auf die vielen Punkte im "Final Report" verweisen, die schon in Angriff genommen wurden - kann man denn dann Japan ernsthaft dafür verantwortlich machen, wenn amerikanischer Erfolg sich immer noch nicht einstellt? Aber über die Höflichkeiten hinaus: Ihre Abhängigkeit vom japanischen Wachstum fangen sich die USA dann als den Konter ein, daß sie Japan doch wohl kaum zwingen können, sein eigenes Wachstum zu beschädigen. Der Hinweis liegt in der Luft, daß japanisches Entgegenkommen nichts anderes nachgewiesen hat, als daß die Amis sich an die eigene Nase fassen müssen. Über "wirtschaftliche Sachzwänge" verfügt die japanische Regierung, die ihre Bataillone schließlich gezählt hat, reichlich - das hat nicht zuletzt die US-Beschwerde noch einmal klargestellt. Wie sehr der Streit auch vielen Wissenschaftlern glanzvolle Auftritte bescheren und Arbeitsplätze in den Amtsstuben sichem mag - er schrumpft eben doch bloß auf die dumme Frage "Halbvoll oder Halbleer?" zusammen. Hat Japan jetzt schon ziemlich viel oder erst recht wenig gekauft? Diese Frage läßt sich nur mit einem Machtwort "lösen" - zu dem sich die USA aber gerade nicht bequemen wollen. Es hieße: amerikanischer Protektionismus, Verunmöglichung, zumindest partiell, japanischen Geschäfts auf dem immer noch größten Markt der Welt. Ein Schlag wäre das schon - fragt sich bloß, gegen wen. Sehr wohl in Kenntnis dessen, daß nach viel Hader und Zwist sie selbst die besten Chancen haben, im Regen zu stehen - jemand, der soeben erklärt, dringend auf das Außengeschäft angewiesen zu sein, wird durch den Abbruch des Außengeschäfts ja auch nicht gerade bessergestellt -, haben sich die USA zu dem merkwürdigen Verfahren entschlossen, ein Machtwort mit eingebauter Bremse von sich zu geben. Sie sprechen eine Drohung und zugleich den Verzicht auf ihre Verwirklichung aus, zumindest vorläufig. Nichts anderes ist nämlich SII: Die USA machen Druck auf Japan - und bauen zugleich auf dessen Freiwilligkeit; unablässig verweisen sie auf ihre Entschlossenheit und auf ihren Glauben, die gerechte Weltvormacht weiterhin zu sein - das allein soll dann aber auch schön den nötigen Eindruck schinden.

"Leadership" - warum nicht auch "multilateral"?

Ihr methodisches Gequatsche von der "neuen partnerschaftlichen Qualität" meinen die USA darum ganz ernst; als einen neuen Anlauf zur Konsensbildung, selbstverständlich unter ihrer Anleitung. Wie um zu unterstreichen, daß (fast) gleichrangige Mächte in SII auf vernünftige Art und Weise ihre Probleme miteinander abklären, gibt es die zweite Abteilung "U.S. Problems". Generös räumen die USA ein, daß auch sie Fehler gemacht haben, daß auch bei ihnen nicht alles in Ordnung ist, ja, daß Japan Ansprüche anmelden darf. Nähere Betrachtung der "U.S. Problems" deckt jedoch auf, daß diese so gut wie ausschließlich auf eine Ursache zurückzuführen sind: auf den japanischen Exporterfolg. Wenn die USA versprechen, ihr Haushalts- und ihr Handelsbilanzdefizit zu "bekämpfen", dann ist das ja identisch mit dem, was sie von Japan verlangen. Die Bekämpfung amerikanischer "Probleme" ist also die Art und Weise, wie Japan haftbar gemacht wird. Eine gewisse Unehrlichkeit ist nicht zu übersehen, aber die USA meinen es ganz ehrlich, nämlich mit ihrer eingefleischten pädagogischen Tour: Konkurrenz mit den USA bringt euch doch nicht weiter, baut doch besser auf Zusammenarbeit. "Be cooperative! " - das reklamiert die Wiederbelebung der guten alten Zeiten, als man unter der Anleitung der USA und unter ihrem Schutz doch gut gefahren ist und das eigene Aufbauwerk betreiben konnte; in den neuen Zeiten handelt es sich dabei jedoch um die widersprüchliche Aufforderung zur freiwilligen Unterordnung. Die USA basteln ihre neue Welt(wirtschafts)ordnung, und die anderen sollen dabei mitmachen, als sei nichts gewesen. Sie sollen zugunsten der "one world", die sich durch vollständige "Liberalisierung" auszeichnet, auf den Gebrauch ihrer Konkurrenzvorteile verzichten bzw. sie von den USA "einordnen" lassen. Die USA nennen das einen "global approach":

"Frage: Sind Sie auf der Suche nach neuen Strukturen des Dialogs?

Antwort des Präsidenten Bush: Ja schon, aber darüber müssen sich unsere Außenministerien noch unterhalten. Aber so wie sich die Welt in den 90er Jahren entwickelt, ist es ganz wesentlich, daß Japan mit eingeschlossen wird - die USA, Europa und Japan - in eine große Anzahl der Diskussionen über diese ökonomischen Fragen. Darüber reden wir hier schließlich. Es ist ein globales Herangehen an einige dieser Probleme. Aber Japan ist dabei eine sehr wesentlich beteiligte Partei und wir müssen einige damit zusammenhängende Organisationen neu strukturieren." (Pressekonferenz, 3.3.90)

"Partnership" und "Leadership" sehen die USA nicht als Gegensatz - was kann einer Nation besseres widerfahren, als in den Rang eines "Partners der USA" gestellt zu werden: Die Amis wissen sehr wohl, wie sehr ihr "Liberalisierungs"programm ein Machtprogramm ist, aber mit "nationalem Egoismus" hat das für sie trotzdem nichts zu tun: Sie reißen den Welthandel, der prinzipiell festgefahren ist, wieder heraus - und alle anderen gleich mit. Dafür müssen die anderen natürlich auch etwas tun, nämlich die amerikanischen Anweisungen befolgen. Dann sind sie ganz besonders gute "Partner" und werden ins kollektive Führungsgremium aufgenommen, wo sie den USA beim Weltordnungshandwerk behilflich sein können. Die zur Zeit laufende

"Uruguay-Runde" des GATT

ist der dafür vorgesehene "globale Rahmen", den die USA für alle führenden Wirtschaftsmächte abgesteckt haben wollen. Daran muß man mitwirken und die USA nicht länger allein Schmutzarbeit und Prinzipienhochhalten verrichten lassen:

"Trotz ihrer Komplexität handelt es sich bei der Uruguay-Runde im Grunde nur um eine Verhandlung. Und Verhandlungen können immer nur dann erfolgreich enden, wenn die beteiligten Parteien das Gefühl haben, daß sie sich wechselseitig Vorteile verschafft haben.

Japan insbesondere, aber auch die EG, die sich gewohnheitsmäßig auf die amerikanische Führerschaft bei den großen Handelsgesprächen verlassen haben, können von der US-Handelsdiplomatie nicht länger erwarten, daß sie ihren exportorientierten Volkswirtschaften die Märkte sichert. Ein multilateraler Ansatz kann nur mit einer Mehrfach-Führung erfolgreich sein." (The American Enterprise, 8/90)

Der Ärger äußert sich hier recht deutlich: Der gemeinnützige Verein USA hat überall auf der Welt die "Märkte gesichert", dabei auch den eigenen freundlichst zur Verfügung gestellt, und die anderen haben sich daran immer bloß bedient. Dieses Geschäft wollen die USA nun keineswegs abtreten, vielmehr effektivieren dadurch, daß sie die Konkurrenten in eine "Mehrfach-Führung" hineinziehen. "Tragt ihr doch auch mal Verantwortung" ist nichts anderes als die Aufforderung, den USA beim "Märkte sichern" zu helfen, und zwar so, daß der Erfolg der USA dabei herausspringt. Ihren eigenen ökonomischen Idealismus wollen die USA bei ihren "Partnern" so durchsetzen, daß die sich einer idealistischen Sichtweise befleißigen: Unterordnung unter die USA, modern: Einbindung in eine "Mehrfach-Führung" befördert das Wachstum weltweit.

Manchmal wird auch eher unökonomischer Klartext gesprochen:

"Wir müssen das Europa'92 im Auge behalten. Wir sollten nicht überreagieren, aber es besteht das handfeste Risiko, daß sich Europa in eine 'Festung Europa' zurückzieht. Brüssel muß klar und deutlich gesagt werden, daß die USA die Aussicht auf eine selbstbezogene 'Festung Europa' nicht tolerieren werden. Vielleicht läßt sich das am wirkungsvollsten dadurch angehen, daß wir Verhandlungen mit den pazifischen Randstaaten (Pacific Rim) in Gang bringen.

Das Ziel dieser Verhandlungen sollte es nicht sein, einen Block zu schaffen, der Europa ausschließt. Wenn sich jedoch die pazifischen Randstaaten umgekehrt von Europa ausgeschlossen sehen, haben sie dann eine wirksame Gegendrohung zur Hand. Die Drohung einer 'Festung Pazifik' ist die wirksamste Gegendrohung zur 'Festung Europa'." (Se. Baucus, Vorsitzender des Unterausschusses 'Internatioal Trade', 1989)

In Verlängerung des Artikels in der MSZ 1/91 ("Beim Streit im GATT wird man grundsätzlich") sind Fortschritte zu vermelden. Die "Uruquay-Runde" ist"gescheitert", dann wieder aufgenommen worden. Voraussetzung dafür war das Abrücken der USA von einem erpresserischen Zeitplan ("fast track"), der die EG mit dem Hinweis auf wachsende Unwilligkeit des US-Kongresses und wachsende Bereitschaft zur Anwendung handelskriegerischer Maßnahmen unter Druck setzen sollte; die EG hat sich bereiterklärt, ihre Agrar-Subventionen zu verhandeln - damit aber schon mal das Teilziel erreicht, die ursprüngliche US-Forderung nach völliger Abschaffung dieser Subventionen aufzuweichen. Gleichzeitig äußerten sich die USA erzürnt über das Verhalten Japans: Es ließ sich in der Auseinandersetzung mit der EG nicht als Bündnispartner verwenden, wollte sich also mit der EG nicht im amerikanischen Auftrag anlegen; die USA konnten das nur so interpretieren, daß Japan "den Geist von SII nicht verstanden" habe. So klar, wie damit gesagt, welchen tieferen Sinn die USA in dieses Abkommen hineinlegen, so klar ist auch auf dem Tisch, daß Japan den "Geist von SII" sehr wohl verstanden hat - aber eben nicht nach der amerikanischen Lesart. Solange es sich ökonomische Vorteile aus SII insofern ausrechnen kann, als eine Verstetigung der amerikanisch-japanischen Wirtschaftsbeziehungen abzusehen ist, macht Japan schon mit:

"Ich mag das ganze Verfahren nicht, da das amerikanische Engagement sehr nach einer Einmischung in Japans innere Angelegenheiten aussieht. Aber die Staatsausgaben selbst könnten eine gute Sache für die Japaner und die Wirtschaft sein." (Ein Berater des Finanzministeriums. Ein anderer:) "Das uns auferlegte Ausgabenprogramm könnte sich sehr wohl als ein Geschenk der USA herausstellen...

Es wäre nicht das erste Mal, daß die USA einen Vorstoß zugunsten eines ökonomischen Ausgleichs unternehmen - bei dem sich dann herausstellt, daß er Japan bedeutend mehr nützt als den USA. Vor ein paar Jahren, als diejapanische Halbleiterindustrie auf dem amerikanischen Markt die Preise drückte, um ihn zu erobern, erzwangen die USA ein Abkommen, das im Resultat auf eine Preisstützung hinauslief; da aber die amerikanischen ChipshersteUer ihre Märkte schon verloren hatten, kam der Nutzen der gestützten Preise im wesentlichen Japan zugute. Ähnlich verlief es auch, als die USA vor 5 Jahren begannen, ihr Handelsdefizit durch eine Dollarentwertung zu bekämpfen: Der aufgewertete Yen verschaffte den Japanern die Gelegenheit, sich amerikanische Firmen billig einzuverleiben...

Die USA verlangen das 10jährige Ausgabenprogramm, um die riesigen japanischen Sparkonten und den Handelsüberschuß abzubauen. Wenn man aber die japanische Infrastruktw aufinternationales Niveau hochzieht, kann das genausogut die Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel stärken, ganz zu schweigen von den neuen Märkten, die sich im Inland erschließen, wenn Straßen und Freizeiteinrichtungen gebaut werden." (Wall Street Journal, 3.1.)

Die Skepsis der Geschäftswelt richtet sich gegen den amerikanischen Wachstumsidealismus; von dem Automatismus eines Profitierens des US-Kapitals an einer japanischen Expansion sind die Fachleute nicht besonders überzeugt - und da ist auch der japanische Staat zuversichtlich, daß seine Maßnahmen noch allemal seiner Wirtschaft Vorteile bescheren. Wenn aber die USA auf ihrem "gerechten Anteil" bestehen - und mit SII ist eben das auch angekündigt -, dann handelt es sich um einen Einspruch gegen den ökonomischen Lauf der Dinge. Da kann man noch so viel "partnerschaftliches" Getue drumherum machen und den "wechselseitigen Nutzen" beschwören - es handelt sich allemal um ein Entweder/Oder. Entweder die Amis unterwerfen sich den Gesetzen des Weltmarkts, die sie anbeten und benützen wollen, oder sie verletzen sie und schädigen (nicht nur) die Japaner. Wie verklausuliert auch immer: Es sind ebenso elementare wie fundamentale Streitfragen auf dem Tisch.