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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1991 erschienen.
DIE RECHTFERTIGUNG DES KRIEGES AUS DEM GEIST DES HUMANISMUS
Die Intellektuellen haben den Krieg nicht erfunden. Er ist Mittel der Politik. Schon in den gelobten Friedenszeiten wissen die Staatenlenker aller Herren Länder lauter gute Gründe auf ihrer Seite, Kriege zu planen, vorzubereiten, für jeden denkbaren Fall das nötige Gerät ranzuschaffen, Waffenbrüderschaften zu schmieden und mit militärischen Drohungen dem nationalen Interesse, dem sie dienen, zur Durchsetzung zu verhelfen. Das ist offenbar so beschaffen, daß es ohne überlegene Gewaltmittel, mit denen man Feinde abschrecken und gegebenenfalls niederringen kann, nicht zu haben ist.
Auch die Rechtfertigung des Krieges ist keine genuin wissenschaftliche Erfindung. Hussein und Bush, Kohl und Genscher, Mitterrand und Shamir beherrschen auch ohne Studium wissenschaftlicher Bildungsgüter die Übersetzung ihres Staatsinteresses in ein höheres Recht, dem sie als dazu Beauftragte Geltung verschaffen müssen. In dieser Übung steht keiner der Herrschaften dem anderen nach. Dennoch fällt die Glaubwürdigkeit der vorgebrachten Rechtsgründe recht unterschiedlich aus. Sie entscheidet sich nämlich an der Fähigkeit eines Staates, seinem Interesse in der Staatenwelt den gebotenen Respekt zu verschaffen - spätestens also am Ergebnis eines Waffengangs, der fällig wird, wenn dieser Respekt ausbleibt, und der die internationale Rechtslage klarstellt.
Von solchen Rechtsgründen leben auch ganze Abteilungen der Wissenschaft und die geistige Heimat der IntellektueUen ist voll davon. Die Menschenrechte und das Völkerrecht, die Stabilität des internationalen Gleichgewichts und die nationalen Lehren aus der Geschichte, die Verantwortung der Mächtigen und das demokratische Kulturleben, den Frieden und den Schutz der Umwelt - all das zählen die klugen Köpfe der bürgerlichen Gesellschaft zu ihren großartigsten Ideen. Denen wissen sie sich verpflichtet und ihren Auftrag sehen sie darin, diesen Ideenhimmel ausgiebig zu pflegen.
So manches Jahr geht da ins Land, in dem die professionellen Kopfarbeiter überhaupt keinen Fuß mehr auf den Boden der Realität bekommen; in dem sie angestrengt über die Frage nachdenken, wie diese Ideen zu interpretieren seien; in dem sie Modelle dafür entwickeln, wie die Verwirklichung dieser Ideen denkbar wäre; und in dem sie sich anschließend das Scheitern ihrer ehrenwerten Bemühungen eingestehen müssen, weil sich an ihre schönen Einfälle einfach keine Sau halten mag. So kommt der wissenschaftlich gebildete Geist seiner Verantwortung nach, all die edlen Zwecke und übergeordneten Anliegen zu betreuen, mit denen die wirklichen Mächte ihre Zwecke und Anliegen zu heiligen pflegen.
Kriege sind in dieser Geisteswelt idealiter eigentlich nicht vorgesehen. In der nach unten offenen Werteskala der Wissenschaft rangieren sie ungefähr bei minus fünf. Übertroffen nur noch von der Vorstellung noch größerer Übel, zu deren Vermeidung der Krieg dann eventuell letztlich doch wieder in Betracht gezogen werden muß. Realistisch ist der humanistisch denkende Verstand nämlich auch noch, will heißen: Vom Standpunkt all der schönen Ideen aus leuchtet ihm so ziemlich jede nationale Großtat als Beitrag zu deren Verwirklichung ein. Das ist dann aber andrerseits beim Krieg ziemlich problematisch, weil an dem bekanntlich das Humanum leidet, dem sich die Wissenschaft verpflichtet weiß. Ein schier unauflösbares Dilemma für den humanistisch denkenden Verstand - aber auch wieder scheißegal, weil der ja eh nichts zu entscheiden braucht.
In dieser Problemlage schafft eine Nation, die im Namen aller Werte, die dem zivilisierten Abendland heilig sind, einen Krieg führt, endlich letzte Klarheit auch im Reich des Geistes und beseitigt dort sämtliche Zweifel. Wie ihre Ideen zu verstehen sind und was aus ihnen für die Wirklichkeit folgt, wissen nun alle Geistesgrößen eindeutig anzugeben. Die Gelehrten, die es gelernt haben, die Welt zu betrachten, wie sie moralisch auf dem Kopf steht und wie sie im Licht ihrer Rechtfertigungsgründe ausschaut, haben aus dem Golfkrieg ihre Lehre gezogen: Alles, was sie verehren, spricht für diesen Krieg. Gewalt ist der Weisheit letzter Schluß, wo es um die Verwirklichung der hehren Ideale des Humanismus geht, und dieser Krieg ist so gut wie all die humanistischen Ideale zusammengenommen.
Dann muß aber auch das Umgekehrte gelten: Die humanistischen Ideale der freien Wissenschaft können auch keine feinere Ware sein als der Krieg, den sie rechtfertigen; es müssen Totschlägerargumente von der erlesensten Art sein, die diese immer menschlich gesonnenen Denker vertreten. Wer bislang einen sympathischeren Eindruck von ihnen hatte, wird von ihnen eines besseren belehrt. Vielleicht kommt der Eindruck ja auch nur daher, daß die deutsche demokratische Intellektuellenmannschaft bloß noch nicht die Gelegenheit hatte, einen fraglos gerechten Krieg mit deutscher Beteiligung gutzuheißen.
Tugendhat, Apel Enzensberger und Co.
Krieg wg. Menschlichkeit
I.
Abscheu vor "diktatorischer Gewaltherrschaft" und "Tyrannei ", vor "Ökoterror und Massenmord"; tiefes Empfinden von "Betroffenheit", von "Sympathie mit den Opfern" sowie von "Mitgefühl" in allen Fällen von "Schmerzen, Leid, Alter (?) und Tod"; hohe "Ziele wie Gerechtigkeit und Menschlichkeit"; die "Entschlossenheit in der Suche nach lebensrettenden Auswegen", "die menschlichen Tugenden", allen voran die Bereitschaft zur "Hilfe für die Opfer", zur "Solidarität" mit der leidenden Kreatur, mit Frauen und Kindern, zumal mit unschuldigen - all das ist dem humanistischen Geist der Wissenschaft selbstverständlich.
Der hat sich anläßlich des Golfkriegs kräftig zu Wort gemeldet, und wie zu erwarten, ist vor lauter Edelmut kein Auge trocken gehlieben. Mit der tiefen Menschlichkeit der eigenen Empfindungen, die aus allen Zeilen trieft, öffentlich anzugeben, gilt auch in der Wissenschaft weder als lächerlich noch als obszön. Sowas weist vielmehr die philosophische Kompetenz von Denkern aus, die sich mit den Menschen unbesehen ihrer Nationalität, Hautfarbe und Vereinszugehörigkeit verbunden wissen, und sich damit das Recht herausnehmen, stellvertretend für alle Menschen diesen etwas vorzudenken. Bedenken, sich dabei übernehmen zu können, wenn sie die Verantwortung für nichts Geringeres als das Wohl aller Menschen, um welches es in der Welt bekanntlich nicht immer gut bestellt ist, zur Maxime ihres Denkens erheben und für jedermann zur verbindlichen Pflicht erklären, sind solchen Geistern offensichtlich fremd. Kein Zweifel also, die humanistischen Denker haben von sich eine ausnehmend gute Meinung. Ansonsten ist ihre Parteinahme für das Humanum so verlogen ausgefallen, wie sie ausfallen mußte.
Mit der unglaublich tiefsinnigen Einsicht, welche die Anwendung ihres Maßstabs allenfalls zu Tage bringt, daß Kriege kein Beitrag zur Förderung menschlichen Wohlbefindens sind, wollen sich die gelehrten Humanisten nämlich keineswegs begnügen. Ein wenig weitergehend verstehen sie ihren Auftrag schon. Die Menschlichkeit auf ihren Fahnen, steuern sie alle zielsicher auf die Frage zu, wer ihr schönes Gebot verletzt hat. Gut und böse wissenschaftlich kompetent und allgemeinverbindlich an einem unwidersprechlichen Maßstab zu scheiden, macht überhaupt erst den Reiz der Richterrolle aus, die die humanistischen Denker beanspruchen. Von dieser Warte aus pflegen sie ihre allumfassende Menschenliebe, indem sie die Menschheit unter die dem menschelnden Verstand einzig zugänglichen Rubriken "menschlich" und "unmenschlich" sortieren. Ihre ganze Leistung besteht so in der Begründung eines abstrakten Feindbildes. Dabei könnten sie ohne die wirklichen Feindschaften, die in der Welt ausgetragen werden, noch nicht einmal angeben, wofür das gut ist. Solche Feindschaften unterstellt, bewähren sie sich allerdings prächtig als ideologische Eingreiftruppe. Mit ihrem Feindbild ergreifen sie in jedem wirklichen Gegensatz Partei, allerdings nicht im Namen des Interesses, das sich gerade gegen ein anderes schlägt. Daran hindert sie schon ihre Ignoranz. Die Warte des Richters, der im Namen der Menschlichkeit urteilt, gefällt ihnen besser.
Von der aus muß ein Enzensberger beispielsweise schon mal sagen, was Saddam für einer ist. Ohne jede Absicht der Verteufelung, die einem Menschenfreund ja fremd ist, muß er feststellen:
"Die Parallele zu Hitler ist evident... Nennen wir ihn also, ohne dämonisierende Absicht und eher deskriptiv, einen Feind der Menschheit."
Das hat Enzensberger daran gemerkt, daß er, rein "deskriptiv", versteht sich, diesem "Monster" jedes "kalkulierbare Interesse" abspricht und stattdessen die besonders verwerfliche Absicht unterstellt, sich und möglichst viele Mitglieder "des Menschengeschlechts" vom Leben zum Tode zu befördern. Genau so, von einem "Todestrieb" getrieben, muß nämlich einer beieinander sein, den sich die ganze imperialistische Welt zum Feind gemacht hat und dennoch keine Bereitschaft dazu erkennen läßt, sein Interesse zurückzunehmen. So schließt Enzensherger von der Chancenlosigkeit dieses Interesse darauf, daß es dieses dann wohl gar nicht gibt. Er erspart sich jedes Urteil über das irakische Staatsinteresse, und von dem bleibt der rein negative Wille des Dagegenhaltens gegen eine fraglos gute, weil überlegene Sache übrig: Saddams "Feind ist die Welt."
Wer bei der moralischen Sortierung in die Rubrik "menschlich wertvoll" rutscht, und wer mehr in die Abteilung "unmenschlich" gehört, ist also prinzipiell und vor jeder Prüfung beteiligter Interessen entschieden. Und das geht auch gar nicht anders. Wer nur Menschen kennen will und sich selbst als lebende Meßlatte für menschliches Benehmen versteht, dem müßte sonst bei Gelegenheit auch mal auffallen, daß sein Kriterium auf nichts paßt - schon gleich nicht auf eine Gewaltaffäre zwischen Staaten. Die Anwendung dieses Kriteriums würde da ziemlich notwendig zu der erstaunlichen Feststellung führen, daß einerseits alle Beteiligten, hat man von den Interessen, die sie verfolgen, erst einmal gründlich abgesehen, irgendwie Menschen sind; und daß andererseits keiner von ihnen das Wohl aller Menschen befördert.
Wenn beim Scheiden von gut und böse dennoch keine Unsicherheit aufkommt, so liegt das daran, daß die Anwendung des Maßstabs einen Unterschied allemal hergibt: Derjenige, der den edlen Maßstab zur Anwendung bringt, und derjenige, auf den er angewendet wird, sind einfach nicht zu verwechseln. Auch in der Realität nicht. Den Standpunkt des Richters, den die humanistischen Denker ideell einnehmen, kann schließlich glaubwürdig nur der vertreten, der die Zuständigkeit für die Geschicke der Menschheit durch seine überlegene Macht reklamieren kann. Die erhält von allen humanistischen Geistern deswegen das Prädikat menschlich - also noch nicht einmal dafür, daß sie bei der Produktion von Leichen zurückhaltender wäre. Eher schon umgekehrt.
So schafft der Humanismus Klarheit in seinem Feindbild. Der einen Seite werden die guten Absichten zugutegehalten, was manche Schlächterei reehtfertigt, der anderen die bösen Taten angelastet, was den Ausschluß aus dem erlesenen Kreis der Menschheit nach sich zieht.
II.
Eine "Kapitulation des Geistes vor der Gewalt" kommt also für die wahren Humanisten schon aus Gründen der Menschlichkeit nicht in Frage. Gute Absichten sind
"gewiß nicht das Ganze einer vernünftigen Reaktion. Bewahren sie doch niemals vor Kriegen, und darum sind sie nicht schon der verläßliche Kern für eine friedfertige Politik. Zwar muß der Krieg der Vernichtungsapparate (?), und also der Krieg überhaupt, von dem kleinen blauen Planeten der Menschen verschwinden: das setzt aber voraus, daß die Geschäfte von politischen Gewalttätern aussichtslos gemacht werden." (Henrich)
Wer sich denen nicht "unterwerfen" "will", darf "Menschlichkeit" nicht als "Privatsache" mißverstehen, erfährt man. Und insbesondere der "starken Neigung zum Pazifismus" muß in Kriegszeiten von humanistischer Seite immer wieder entschieden entgegengetreten werden.
"Bei dieser Orientierung stellt sich nur die Frage: ob nämlich das, was den Einsatz des Lebens nicht lohnt, dann überhaupt das Leben lohnt." (Zehnpfennig)
Die "Abwehr des Unrechts" verlangt nämlich klar und eindeutig nach "kriegerischen Gegenmaßnahmen", gemäß dem Gebot der Menschlichkeit:
"Ein Land darf nicht ein anderes überfallen. Wenn das geschieht, muß es gezwungen werden, sich wieder zurückzuziehen, notfalls mit Krieg. Das ist ein gutes Prinzip." (Tugendhat)
Immer eingedenk der humanistischen Jahrtausendforderung: "Die Ächtung des Krieges muß weitergehen."
Die humanistischen Geister haben also die Frage "Was tun?" aufgeworfen und unisono mit "Krieg" beantwortet. Wie haben sie die Antwort alle nur so schnell herausgefunden? Immerhin ist ein Krieg als Akt der Menschlichkeit ja irgendwie auch was Neues. Klar, daß der Krieg von politischer Seite schon auf die Tagesordnuny gesetzt war, wird dabei hilfreich gewesen sein. Aber warum der fällig war und die Zustimmung aller Menschenfreunde verdient, haben die sich schon selber erklären müssen. Auch daß sie bei der Beantwortung dieser Frage von der fertigen Definition des Übels und dem darin enthaltenen Auftrag zu seiner Bekämpfung ausgehen konnten, wird die Sache erleichtert haben. Aber wieso durch Krieg? Das erste Argument, mit dem sie sich dieses die Menschlichkeit praktisch befördernden Mittels versichert haben, ist ein Bestehen auf Konsequenz. Sentimentalen Spinnern, die kein Blut sehen können und das mit Humanismus verwechseln, haben die wahren, durch Amt und Würden ausgewiesenen Vertreter dieser Geisteshaltung in Zeitungen und Interviews tausendfach vorgerechnet, daß eine gute Absicht, die nicht zur Tat schreitet, auch nichts ist. Recht haben sie. Soll also in Zukunft niemand mehr behaupten, daß Humanismus nichts mit Krieg zu tun hat. Das zweite Argument, welches in der Frage endgültig Klarheit stiftet, haben alle professionellen Humanisten im Schlaf beherrscht. Ein ums andere Mal wurde einem praktisch gar nicht in Erscheinung tretenden, extra zu diesem Zwecke herbeizitierten und mit enormer Bedeutung aufgeblasenen Ungetüm namens Pazifismus die nötige Einsicht in Form einer kleinen Ableitung dargeboten. Auf der Grundlage der Einigkeit aller Menschenfreunde in der Definition des Verbrechens - Saddam = unmenschlich - wurde jedem, der seine Bedenken gegen den Krieg nicht über Bord werfen wollte, die rhetorische Frage gestellt: Hast Du die Macht, das Übel zu verhindern?
Warum diese Frage jeden Pazifisten wehrlos macht, wurde allerdings nicht dazugesagt. Der Hinweis, daß Menschlichkeit keine "Privatsache" ist, sondern zu ihrer Exekution der Staatsgewalt bedarf, ist nämlich nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besteht darin, daß es der Humanismus ist, der den Gegensatz zwischen Staaten in seiner betont ignoranten Art erst einmal ins menschlich Private übersetzt und seine Entscheidung so jedermann als persönliches Anliegen anempfiehlt. Erst nicht zwischen einer kriegerischen Auseinandersetzung und einem Streit unter Nachbarn unterscheiden wollen, um dann mit der erstaunlichen Entdeckung anzugeben, daß die Zuständigkeit für das Wohl aller Menschen, in deren Namen man die Entscheidung einer Gewaltaffäre zwischen Staaten zur persönlichen Sache erklärt hat, etwas viel für den einzelnen ist, das ist die ideologische Spitzenleistung humanistischen Denkens! In höflicher Form wird so dem Untertan bedeutet, daß er an dem Krieg in seiner "menschlichen Tragik" Anteil zu nehmen hat, daß er sich aber dabei nicht darüber täuschen soll, damit an den Anliegen der kriegführenden Staaten Anteil zu nehmen. Großzügig wird ihm das Angebot an seine Vorstellung offeriert, sich in freier Wahl die Frage zu beantworten. welchem der Kriegsherren er sich lieber unterordnen möchte, um ihm die Antwort auch gleich noch mitzuteilen, daß er es mit seiner Nation, die auf der richtigen, der menschlichen Seite steht, gut getroffen hat.
Daß die dann aber auch das unternimmt und unternehmen muß, was sie für zweckmäßig hält, ist irgendwie logisch und hat auch allen gebildeten Humanisten gleich eingeleuchtet. Der Inhalt von Menschlichkeit schließt dann, wenn Staaten sie exekutieren, naturgemäß eben so Sachen ein wie Völkerrecht, eine Weltfriedensordnung und ein Kriegsbündnis namens UNO, die in der nunmehr wissenschaftlich nachgewiesenen Nachfolge Kants mit ihrer Kapitulationsforderung an den Irak den kategorischen Imperativ neu ausgedeutet hat.
"Die neue weltpolitische Machtkonstellation, die hinter dem UNO-Beschluß in Sachen Kuwait steht, hat jetzt erstmals die Chance eröffnet, daß so etwas wie eine weltbürgerliche Rechts- und Friedensordnung, wie sie schon Kant für erstrebenswert hielt, auch mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt wird. Diese Einschätzung der Aktionen gegen den Irak gilt jedenfalls solange, als die beteiligten Streitkräfte nicht Anlaß dazu geben, ihre Aktionen als ungeeignetes Mittel zur Durchsetzung der UNO-Beschlüsse zu betrachten." (K.O. Apel)
Was nicht zu erwarten ist. Daß die Menschlichkeit nicht in Vergessenheit gerät, wenn die größte Militärmacht aller Zeiten sie auf ihre Weise befördert, darauf haben schließlich alle beteiligten Humanisten schwer acht gegeben. Die Auskunft, wir gehen über Leichen, wurde jedenfalls von keinem von ihnen ohne den Hinweis gegeben, daß sie darin die konsequente Befolgung ihrer Gesinnung sehen.
III.
Den Krieg "siegreich zu beenden" ist daher auch nur der eine Herzenswunsch einer humanistisch gesonnenen Mannschaft. Der andere lautet: "Mit einem Minimum an Opfern". Das "leider" ist nämlich ebenso wichtig wie das "unvermeidlich". Und deswegen wurde auf der feststehenden Grundlage, daß praktizierter Humanismus in diesem Fall Krieg heißt, noch einmal gewissenhaft geprüft, ob den sittlichen Prinzipien der Kriegsführung genüge getan wurde, auf welche die philosophische Betrachtung die größtmöglichen Bedenken gegen den Krieg festlegt:
"1. Auch ein an sich gerechtfertigter Krieg ist nur dann gerechtfertigt, wenn alle nichtkriegerischen Mittel zur Beseitigung des Übels ausgeschöpft worden sind. 2. Die Übel, die der Krieg selbst mit sich bringt, dürfen nicht voraussichtlich außer Proportion stehen zu dem zu beseitigenden Übel." (Tugendhat)
Humanisten sind nämlich auch kritisch. Bedenken gegen den Krieg, die sie in ihrer Verbundenheit mit dem Humanum allemal hegen, wurden von ihnen eifrig diskutiert. Und zwar genau an der Stelle, an der sie ihrer Auffassung nach hingehören. Nachdem das Prinzip von ihnen klargestellt war, daß dieser Krieg erstens notwendig und zweitens menschlich ist, haben sie ihre knallharten Bedingungen gestellt. Geführt werden darf dieser Krieg im Namen des Humanismus nur, wenn er erstens notwendig ist und wenn er zweitens menschlich ist.
Die erste Prüfung ist ein Spaß für sich gewesen. Philosophische Gemüter, überzeugt von der humanistischen Mission der Kriegsallianz unter Führung der USA, beheimatet in der verlogenen Welt rechtfertigender Ideale, sichtlich desinteressiert an den geltendgemachten Kriegszwecken, tun angestrengt so, als würden sie sachkundig die alternativen, in Frage kommenden Mittel gegeneinander abwägen. Und alles nur, um jedermann zu bedeuten, daß sie nur unvermeidbare Kriege unterschreiben. Sie sind zu folgenden kontrovers diskutierten Ergebnissen gelangt: a) Niemand weiß, ob nicht vielleicht auch mit dem Embargo das Kriegsziel erreicht worden wäre; was eindeutig für oder gegen diesen Krieg spricht. b) Jetzt, wo der Krieg schon mal geführt wird, kann man jedenfalls den Sieg nicht Hussein überlassen. c) Das Embargo hätte wahrscheinlich nicht gelangt, so daß der Krieg leider unvermeidlich war.
Die zweite Prüfung ist nicht minder witzig ausgefallen. In einer Güterabwägung wurden Zweck und Mittel unter dem Gesichtspunkt der Menschlichkeit miteinander verglichen, um festzustellen, was mehr auf der Seele eines Humanisten lastet, der Krieg oder den Krieg zu lassen. Die Ergebnisse: a) Die voraussichtlichen Leichen ohne Krieg wären voraussichtlich weniger gewesen als die voraussichtlichen Leichen mit Krieg. b) Möglicherweise aber auch mehr, wenn man die böse Absicht Saddams in Rechnung stellt. c) In welcher Proportion steht überhaupt ein Bruch des Völkerrechts zu den menschlichen Kosten des Krieges? d) Krieg ist nicht das schlimmste Ubel, was dem Menschen zustoßen kann.
Nach solch gewissenhaften Bemühungen mußte es einfach noch dem letzten Idioten einleuchten, daß der humanistische Geist leider unvermeidlich einen leider unvermeidlichen Krieg unterschreiben mußte.
Hondrich
Krieg, wg. Kultur und Zivilisation
Ob er nicht etwas Kleines zum Titel "Krieg und Frieden" verfassen möchte, wurde der Soziologe Hondrich vom "Spiegel" gefragt. Einen Versuch vielleicht, der vom reflektierten Standpunkt der Wissenschaft aus die moralischen Dimensionen des Konfliktfalls ausleuchten und die Frage beantworten könnte, weshalb die westlichen Kulturnationen, die gewöhnlich ihres zivilisierteren Benehmens wegen geschätzt werden, einen Krieg führten. Der Mann der Wissenschaft hat gerne eingewilligt, und herauskam ein "Spiegel-Essay" mit dem Titel
"Lehrmeister Krieg"
in dem soziologisch die Botschaft vom höheren Auftrag erhärtet wird, dem der westliche Krieg verpflichtet sei. Der Beweisführung erster Teil führt in die Gedankenwelt eines Soziologen ein. In der finden Nationen, Staaten also, die Politik nach innen wie nach außen treiben, unter dem leicht verfremdenden Gesichtspunkt der "Modernität" Betrachtung, welche sie in den Leistungen so an den Tag legen, die sie für ein Gut namens Kultur erbringen. Von Staaten und ihrer Politik, ihren Interessen, Machtmitteln und deren Einsatz, der ihren Verkehr untereinander bestimmt, ist mithin nicht die Rede. Dafür davon, was Staaten nach wissenschaftlicher Auffassung zu solchen von "Kultur" macht - im Unterschied zu anderen, denen diese Wertschätzung eher nicht gebührt. Und diesbezüglich ist von Hondrich zunächst einmal zu hören, daß von einer "modernen Kulturnation" der Krieg einfach nicht wegzudenken ist:
"Man braucht nicht den Freudschen Todes- oder Destruktionstrieb zu bemühen, der, als ewiger Kontrapunkt, die historische Kulturentwicklung begleitet und sie zu einem prinzipiell spannungs- und risikoreichen Prozeß macht. Auch aus sich selbst heraus erzeugt der Prozeß seine Kriegsgründe: Die Interessen am Öl und an der Wahrung des westlichen Wohlstands gehören dazu, aber ebenso der Kampf für Menschenrechte und für ein Völkerrecht, das die Schwachen gegen die Starken schützt - mit Hilfe anderer Starker."
Dem Mann ist alles sonnenklar. Er weiß zwar nicht anzugeben, was an einem Interesse "am Öl" und an "Wohlstand" liegen mag, daß es sich so umstandslos in eines an der Zerstörung von Reichtum übersetzt. Ebensowenig ist von ihm etwas üher die - offenbar ziemlich kriegsträchtige - Qualtität jener hohen Werte zu vernehmen, für die seitens ihrer Anwälte ein Waffengang stets geboten scheint. Mit der Erwähnung von Materialismus und Idealismus, die zu Krieg führen, gibt der Theoretiker seinen ungemein abgeklärten Realismus zu Protokoll, daß auch die "Kulturnationen" der"zivilisierten Welt", ob so oder so und warum auch immer genau, jedenfalls laufend "Kriegsgründe" auf ihrer Seite wissen. Aber was macht das schon. Das Totschlägergemüt eines abendländischen Wertefreundes, dem die interessante Perspektive eines Krieges zum Wohle des "Menschen-" bzw. des "Völkerrechts" ein Aber immer! " und sonst nichts entlockt, schafft von da aus nämlich locker den Übergang zu der Behauptung, daß der Krieg einen gewissen "Kontrapunkt" zu Kultur und Zivilisation darstellt und in der zivilisierten Welt irgendwie der Vergangenheit angehört:
"Daß in Europa, und in Deutschland zumal, niemand mehr zustimmend antwortet, wenn ein Kriegsruf ertönt, haben wir niemand mehr zu verdanken als den von uns geführten und vom Zaun gebrochenen Kriegen selbst. Nicht die Tugendhaftigkeit, der Krieg hat uns gelehrt, und nicht der Kriegserfolg, sondern das Scheitern. Alle kollektiven Tugenden, die wir uns heute zugute halten: Friedlichkeit und Freiheit, Rechtsstaat und demokratische Verfahren, nationale Gelassenheit und europäische Gesinnung - wie stünde es darum in Deutschland, hätte es den Krieg gewonnen? Ist der Krieg, nach Heraklit der Vater aller Dinge, so ist die Niederlage ihre Mutter. Das Kriegstabu ist, in Europa, so groß, daß es diese Einsicht nicht mehr erlaubt."
Die "Kulturnationen des Westens" sollen sich also dadurch auszeichnen, daß sie ihren Bedarf an Kriegen im wesentlichen in der Vergangenheit erledigt haben. Es wird ein Bild von Nationen gezeichnet, die in ihrer Geschichte noch ein unbefangeneres Verhältnis dazu hatten, zu ihrer Durchsetzung "Kriege vom Zaun zu brechen"; die auch ewig so weitergemacht hätten, wären sie dabei nicht auf für sie unüberwindliche Schranken gestoßen; und die sich schließlich nur durch Gewalt belehren ließen. Wenn Staaten, die "Europa" oder kurz: "Wir" heißen, einzig die Sprache der Gewalt verstehen, dann soll das zweifelsfrei für sie und ihren nunmehr friedlichen Charakter sprechen. Dae sie nicht anders als durch Krieg zivilisiert werden konnten, das soll dann im Resultat soviel bedeuten wie eine freiwillige Anerkennung eines "Kriegstabus".
Wenn diese Staaten"kriegsfähig, kriegsbereit, ja kriegslüstern" sind, was gar nicht verschwiegen wird, so hat das für den Freund westlicher Zivilisation seinen guten Sinn. Schließlich weiß er auch noch von gewissen unzivilisierten Bestandteilen der Staatenwelt zu berichten, die den sprichwörtlichen "Pazifismus" des Westens auszunutzen suchen und denen das auf keinen Fall gelingen darf. Daß die Scheidelinie zwischen "Zivilisation" und Barbarei, zwischen der "Angst und Aggressionshemmung der Industrieländer" einerseits und jenen Teilen der "Weltgesellschaft" andererseits, die noch ganz unbefangen und ehrlich in der Tradition altgriechischer Dummsprüche zum Krieg stehen, heute ziemlich exakt entlang der Frontlinie des Golfkriegs verläuft, ist wahrscheinlich reiner Zufall:
"Der kulturell konstituierte Pazifismus des Westens - kluge Diktatoren wie Hussein und vor ihm Hitler stellen ihn in Rechnung. Sie nutzen das Problem der modernen Weltgesellschaft, die Ungleichzeitigkeit der Kulturentwicklung und damit der Aggressionshemmung, um eigene politische Ziele mit Gewalt zu veefolgen."
Nicht recht mitgekommen ist Saddam in der welthistorischen Kulturentwicklung, ein Sonderling in der Weltgesellschaft der Zivilisierten, die sich durch ihre verbriefte Aggressionshemmung auszeichnen - hat also er den "Lernerfolg", den die schon vorzuweisen haben, erst noch nachzuholen. Ihm mit einem siegreichen Krieg zu der Niederlage zu verhelfen, aus der ja die Kultur und mit der der Pazifismus kommt - gewissermaßen die Fortsetzung des Goethe-Instituts mit anderen Mitteln -: das ist im Verständnis des Soziologen die Mission des Westens, die die Weltkultur endlich auf den Stand bringt, den der an sich schon fertig repräsentiert.
"Zivilisation" bezeichnet danach etwas ganz. anderes als die Abstinenz in Sachen Krieg. Angesprochen ist vielmehr eine Stellung zum Kriegführen, die jenen erlesenen Staaten vorbehalten ist, welche mit Krieg immer gleich eine ganze Weltordnung verteidigen. Auf der, übrigens immer im letzten Krieg erzwungenen Definition dessen, welches Staatsinteresse wo gegen wen wieviel zählt, bestehen zu können, ist das Privileg dieser Staaten. Ihr ziviler Charakter verdankt sich dem Umstand, daß sie die Anerkennung ihres Interesses durch den Rest der Staatenwelt durchgesetzt haben und deswegen mit Krieg "nur" mehr die Verstöße gegen schon geltende Prinzipien ahnden müssen. Friedlich ist das insofern, als Krieg in diesem Programm wirklich nur als Mittel dafür vorgesehen ist, andere, dazu gar nicht befugte Staaten von dem Versuch abzuhalten, durch den Einsatz ihrer Gewaltmittel Korrekturen an der famosen Weltordnung vorzunehmen. Das setzt den Krieg freilich laufend auf die Tagesordnung. Davon und von sonst nichts redet der Soziologe Hondrich, wenn er im Namen der Zivilisation den Krieg als den moralischen Auftrag deutet, weltweit das Verbot durchzusetzen, "politische Ziele mit Gewalt zu verfolgen".
Dieser erlesenen Stellung zum Krieg verdankt sich die in wissenschaftlichen Kreisen des öfteren vertretene Auffassung, die Kriegsallianz unter Führung der USA führe zwar einen im Namen aller moralischen Rechtstitel "gerechtfertigten", aber keinesfalls einen "gerechten Krieg". Irgendwie scheinen auch diese gewöhnlich nicht so gut unterrichteten Kreise mitbekommen zu haben, daß der Standpunkt eines Missionars, der seine "gerechte" Sache in die Welt trägt, nicht auf Mächte paßt, die wie von selbst davon ausgehen, daß diese Welt schon ihre ist, sie also "nur" das in ihr im Prinzip schon geltende Recht exekutieren.
Aber das so einfach hersagen, daß man einfach für den Krieg ist, weil ihn die imperialistischen Staaten des Westens führen, also auch für die Leichen, die den Erfolgsweg dieser schönen "Zivilisation" pflastern - das traut er sich dann doch wieder nicht.
"Den Krieg wegen möglicher "guter" unbeabsichtigter und unvorhersehbarer Folgen zu wollen, wäre intellektuell absurd und moralisch monströs."
Dasselbe aber als Gesetz ausgedrückt, das hinter dem Rücken der beteiligten Akteure waltet und ihnen ihre Taten diktiert, hält er für intellektuell naheliegend. Und wenn er seine Sinngebung des Krieges nicht als Kriegsaufruf gestaltet, sondern unter Berufung auf dieses Gesetz und seine segensreiehen Wirkungen abwickelt, so ist das für ihn moralisch einwandfrei. Denn dann liegt der Krieg - ob sie's wissen oder nicht - ganz im wohlverstandenen Interesse der Völker; schließlich wollen die auch weiterkommen, mit ihrer "Entwicklung", bei der sie sich verfranst haben, und bereinigen mit Krieg den stockenden Erziehungsprozeß:
"Aber man kann nicht die Augen davor verschließen,... daß die Beteiligten den Krieg wollen, weil sie keinen besseren Ausweg sehen. Sie suchen, für die Gesellschaften, für die sie handeln, die fürchterlichste und riskanteste Belehrung - ohne wissen zu können, was sie lernen werden. Krieg löst die in Diktaturen, aber auch in Beziehungen zwischen Gesellschaften blockierten Lernmechanismen aus... Vielleicht gibt es eine untergründige, von den Handelnden selbst uneingesehene Interessengemeinschaft der gegnerischen Gesellschaften am Krieg; die Lernblockaden zu zerschlagen, in die sie sich mit ihren jeweiligen Problemen verstrickt haben."
Von pädagogischen Effekten eines Bombenteppichs pflegen auch Kriegsstrategen zu träumen; andere setzen auf die Didaktik des Gasangriffs, um die Botschaft dem Feind nahezubringen, daß sich für ihn das weitere Kriegführen nicht auszahlt - ein westlicher Kulturkämpfer setzt auf alles, was gut ist für den Kriegserfolg des Westens, und beruft sich dabei noch auf das Interesse der unterlegenen Partei, endlich ins richtige Lager hineingebombt zu werden. Und das gilt keinesweges bloß im Fall des Diktators am Golf, sondern kündigt auch schon die demnächst wohl fälligen
Schlachten für die Zivilisation
an:
"Der Krieg am Golf macht auch den Europäern eine Zwangslage klar: entweder den nichtindustialisierten souveränen Staaten das Recht einzuräumen, ihre eigenen Vormachtkriege zu führen und Vernichtungswaffen zu produzieren und zu kaufen, die auch auf uns gerichtet werden oder in einer neuen Pax americana et europea die Welt kommerziell und militäisch mitzukontrollieren. Das Entsetzen über den Krieg hilft aus dem Dilemma nicht heraus. Wir sind zur Dominanz verurteilt."
Wenn auf der Welt jemand "Vormachtkriege" führt, dann sind "Wir" das. "Wir" haben nämlich nicht nur "das Recht", sondern auch die überlegenen "Vernichtungswaffen", die es so unanfechtbar machen. Daneben haben "wir", die industrialisierten Staaten, auch kommerziell alles in der Hand, anderen, die 'nichtindustrialisiert' sind, die Grenzen ihrer Souveränität "mitzukontrollieren". Beides, ökonomische Erpressung und überlegener Kriegsterror, ist die schöne "Pax" der entwickelten Kultur, die "wir" den Barbaren schuldig sind. Und dieser Verpflichtung beugen "wir" uns aus Einsicht in eine Notwendigkeit, an der nun einmal nichts zu ändern ist. Zur Weltherrschaft sind "wir" einfach berufen. Da kommt Freude auf, dabeizusein.
(Alle Zitate aus: "Spiegel" Nr. 4/91 )
Friedensforscher, Senghaas und Co.
Krieg wg. Frieden
Was machen die berufsmäßigen deutschen "Friedens- und Konfliktforscher", wenn der Westen am Golf Krieg führt? Sie forschen weiter nach Frieden. Und ganz nebenbei stellen sie klar, aus welchen überhaupt nicht friedlichen Prämissen ihr Forschen das hohe Ethos bezieht, das mit "Frieden" einherzugehen pflegt. Ihre Leistung besteht darin, hartnäckig von einem Gegensatz zwischen friedlicher Politik und Krieg, der dann bei ihnen konsequenterweise "Versagen der Politik" heißt, auszugehen, um aus diesem Gegensatz abzuleiten, daß dieser Krieg in der Verteidigung des Friedens seinen Grund und seine tiefste Rechtfertigung hat.
Dabei ist ihnen überhaupt nicht unbekannt, daß der Einsatz kriegerischer Gewalt in die Zuständigkeit derselben Politiker fällt, denen sie so edle Zwecke wie "Kriegsvermeidung" und "Konfliktlösung" zutrauen. Die faktische Blamage ihrer moralischen Teleologie der Politik fassen sie allerdings recht eigentümlich auf. Sie sehen sich nicht in ihrer Weltfremdheit widerlegt, sondern mitten im laufenden Krieg ihren Auftrag bestätigt, sachkundig nach alternativen, eben friedlichen Methoden der"Konfliktlösung" zu forschen.
Ihr ganzes Forschungsinteresse gilt der Frage, ob sie nicht auch ohne Krieg erreicht werden könnte. Sie, das ist besagte "Konfliktlösung", welche die Friedensforscher in ihrer Suche nach alternativen Methoden erst einmal auch dem Krieg als moralisch betrachtet ziemlich gelungenen Zweck unterstellen müssen. Daß die Zerstörung der Machtbasis eines zum Feind erkorenen Staats, die dazu ins Werk gesetzte Dezimierung von Soldaten wie Bevölkerung, Militärgeräten wie ökonomischem Potential, dem menschlich verständlichen und letzlich irgendwie im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten liegenden Wunsch der Kriegsallianz dient, ihren Gegensatz gegen Saddam beizulegen, übersteigt offenbar nicht die Vorstellungskraft so eines Forscherhirns. Das hat sich nunmal dazu entschieden, den Inhalt des "Konflikts" gar nicht erst zur Kenntnis nehmen zu wollen und stattdessen im Namen seiner "Lösung" nach anderen Wegen zu sinnen, das zu erreichen, was der Krieg seiner Auffassung nach bezweckt. So ist, noch bevor die Forschung so richtig losgeht, schon mal das Kriegsziel unterschrieben und eine bemerkenswerte, völlig korrekte Definition von "friedlich" aufgestellt, in deren Namen sie dann stattfindet: "Friedlich", das ist die Kunst, das Kriegsziel ohne Krieg zu erreichen. Und mit dieser Definition kommen die Friedensforscher der Wahrheit ihres eigenen Friedensideals schon ziemlich nahe. Daß zwischen Krieg und Frieden der größtmögliche Gegensatz bestünde, läßt sich ihr nämlich nicht entnehmen. Vielmehr besagt sie, daß der segensreiche Zustand namens Frieden von derselben politischen Zweckbestimmung lebt, die Staaten immer wieder mal auch einen Waffengang ins Auge fassen läßt. Wo sollen sie auch sonst herkommen, die Kriegsgründe, als aus den Interessen, die Staaten im Frieden gegeneinander geltendmachen.
Daß die eifrigen Forscher andererseits nicht wissen, was sie da unter so Titeln wie "Frieden" oder "Konaiktlösung" unterschrieben haben, stimmt zwar auch. Man hält es ihnen aber besser nicht zugute. Sie werden nämlich nie mehr Realisten gegenüber dem Staat und seinem Kriegszweck, sondern retten die idealisierenden Maßstäbe ihrer moralischen Reflexion, indem sie sich von ihnen aus alle staatlich gesetzten Fakten als Notwendigkeit der Friedensstiftung einleuchten lassen:
"Verurteilt man militärische Gewaltanwendung nicht prinzipiell, müssen Kriterien entwickelt werden, die eine Entscheidung darüber erlauben, in welchen Ausnahmesituationen Konflikte gerade noch zu rechtfertigen sind. Ohne an die Tradition vom gerechten Krieg anknüpfen zu wollen, lassen sich aus diesem Denkgebäude hierfür Kriterien entnehmen. Das wichtigste besagt, daß eine militärische Auseinandersetzung allenfalls dann zu rechtfertigen ist, wenn dadurch größeres Leiden verhindert werden kann. Ein zweites wichtiges Kriterium fordert, daß vor dem Krieg alle politischen Mittel der Konfliktlösung ausgeschöpft sein müssen. Außerdem muß die Verhältnismäßigkeit der Mittel während der militärischen Auseinandersetzung gewährleistet sein." ( Beitrag der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankf. Rundschau, 12.2.91 )
Das zeugt von dem angesprochenen Realismus: Nur keine Verurteilung "militärischer Gewaltanwendung", wo der Staat gerade einen Krieg führt! Damit würde man sich bloß lächerlich machen als Forscher, der keinen innigeren Wunsch kennt, als einmal im Leben einen echten Politiker beim "Konfliktlösen" beraten zu dürfen. Für so einen ist es nur konsequent, seine Suche nach friedlichen Methoden der Weltpolitik im Kriegsfall in eine nach friedlicheren, also wenigstens weniger kriegerischen, weiterzuentwickeln, damit am Krieg nicht die Friedlichkeit scheitert, der die Politik ja verpflichtet sein soll. Die Angabe von "Kriterien" für die Kriegsführung leistet da gute Dienste.
Mit denen machen Friedensforscher ihren politischen Herrschaften die Auflage, Kriege wirklich nur als "ultima ratio" zu beschließen, also erst dann, wenn sie ihn für notwendig erachten. Außerdem müssen sie die Einsätze militärischer Gewalt streng unter die absurde Maxime der Leidensverhinderung stellen, also dafür Sorge tragen, daß auf den Schlachtfeldern keine unnötigen Fouls passieren. Dann ist nämlich für sie auch mitten im Krieg in etwa die Humanität gewahrt; weswegen sie ihren guten Glauben in die Politik auch dann nicht verlieren müssen, wenn die gerade mal wieder "versagt". Und wenn dann auch noch im Krieg das "Kriterium" der "Verhältnismäßigkeit der Mittel", mit denen er geführt wird, zum Zug kommt, sind sie vollends zufrieden. Mit diesem Kriterium üben sie sich in der Kunst, ihre ethische Auffassung vom Kriegszweck in eine Lehre von den ethisch vertretbaren Kriegsmittel zu übersetzen. Die zeichnet sich dann dadurch aus, daß der Krieg als Mittel nicht darin - und nur darin! -"verhältnismäßig" ist, daß er den Kriegszweck, die Erledigung des Feindes, möglichst perfekt ins Werk setzt, sondern dadurch, daß der Kriegszweck nicht durch die unschönen Wirkungen des Mittels diskreditiert wird, die ihn befördern. Dann geht für "Friedensforscher" ein Krieg voll, pardon: "gerade noch" in Ordnung.
Aber nicht jeder, zumindest nicht ganz. Und was den betrifft, den der Westen gegen den Irak gerade führt, müssen sie schon zu bedenken geben, daß der etwas aus dem Rahmen fällt, den sie in Sachen moralischer Unbedenklichkeit aufgestellt haben. Nachdem sie die grundsätzliche Berechtigung des Krieges aus humanitär-völkerrechtlichen und politisch-hygienischen Gründen abgehakt haben - "Die Verletzung der territorialen Souveränität, ganz zu schweigen von der Plünderung und Zerstörung Kuwaits, ist ohne Zweifel ein schwerwiegender Tatbestand"; "Selbst wenn es Parallelen zwischen Hussein und Hitler gibt, folgt daraus nicht automatisch, daß der Krieg die einzige Möglichkeit ist, ihn zu stoppen" -, müssen sie doch darauf hinweisen, daß sie gerade deswegen mit ihrem Plazet zurückhaltend sind:
"Unser Kriterium, daß Kriege größeres Leid vermeiden sollen, ist nicht erfüllt. Gleiches gilt für das zweite Kriterium, daß politische Mittel vor Ausbruch (?) des bewaffneten Konflikts ausgeschöpft sein müssen. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Mittel ist... derzeit keine endgültige Bewertung möglich... Normativ gesehen war der Krieg nicht gerechtfertigt; situationspolitisch war er vermeidbar."
Den Krieg im Prinzip gutzuheißen, seiner Durchführung gegenüber aber, die Wahl der Waffen betreffend, Bedenken vorzubringen: so trägt sich
Der wissenschaftliche Antrag auf "Frieden"
vor. Wohl hätten die unwidersprechlichen guten Gründe, die man selber für Krieg weiß und mit denen man noch jede Schweinerei heiligen könnte, nicht vorgelegen - insofern hätte er nicht unbedingt sein müssen. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß er doch ziemlich erfolgreich das erledigt hat, was man "normativ" verlangt hat und "situationspolitisch" lieber der "Politik des Friedens" in Auftrag gegeben hätte - "Hussein hat erfahren müssen, daß er die Kriegsbereitschaft der Anti-Irak-Koalition möglicherweise falsch eingeschätzt hat." "Für die Allianz gilt, daß sie ein wichtiges Kriegsziel erreicht hat, nämlich die Zerstörung des wohl größten Teils der Massenvernichtungsmittel und der Produktionsanlagen im Irak." Folglich sind zumindest weitere Kriegsanstrengungen total überflüssig und die Zeit ist reif für einen "Waffenstillstand der Kriegsparteien", damit deren Vorsteher sich endlich friedlich "treffen und miteinander sprechen". Dann kommt auch endlich die auf "Frieden" geeichte deutsche Politik zum Zuge und ihrer inneren Berufung nach - "Wir schlagen vor, daß zwei bundesdeutsche Politiker mit Weltgeltung das Treffen Bush-Hussein vermitteln" -, und der Führer der westlichen Allianz kann als Friedenswerk vollenden, was er mit seinem Krieg so erfolgreich auf den Weg gebracht hat:
"Bushs "Waffenstillstandsgepäck" sollte neben den bisherigen Angeboten eine Verpflichtung enthalten, den Nahen und Mittleren Osten zu befrieden."
So landen Friedensforscher mit ihrer moralischen Drangsal, "der militärischen Logik ihre Dynamik zu nehmen", konsequent bei einem "Frieden", den es gibt, weil die Kriegsziele erfüllt sind - eine recht umständliche Art auszudrücken, daß man sich mit dem "Frieden" ohnehin nicht mehr gewünscht haben wollte als das reibungslose Gelingen aller Absichten, zu deren Durchsetzung "die Politik" eben bisweilen auch den Krieg als Mittel vorsieht.
Habermas
Krieg, wg. Pluralismus und Toleranz
Einer Geistesgröße wie Habermas hat der gerechte Krieg, den der Westen am Golf führt, natürlich auch zu denken gegeben. Ob er, mit den bescheidenen Mitteln seiner Vernunft ihn denn auch rechtfertigen könne, hat er sich gefragt und dafür die "Argumente" gesucht. Nach eindringlicher Suche ist er letztlich dann auf all die gestoßen, die es diesbezüglich schon seit längerem gibt, und die fand er dann nach ausgiebiger Prüfung so überzeugend, daß er höchstpersönlich nicht ansteht, die
Wissenschaftliche "Erlaubnis zum Krieg"
zu geben. Streng wissenschaftlich, also "unter den Bedingungen nachmetaphysischen Denkens" betrachtet, fällt die politische Beschlußfassung, nach der ein Krieg erklärt wird, in etwa zusammen mit den "diskursiven Prozessen", die Habermas aus seiner Wissenschaft kennt. Und wie er von der zu berichten weiß, hat da in den letzten Jahrhunderten ein enormer Fortschritt stattgefunden: Nicht mehr Gott oder sonst eine metaphysische Wucht hat in Wahrheitsdingen das letzte Wort, sondern bekanntlich die "normative Kompetenz" derer, die sich in einem "herrschaftsfreien Dialog" auf verbindliche Theorien zu einigen versuchen, welche dann annäherungsweise als verbindlich angesehen werden können. Ohne solches High-tech aus dem Reich des modernen Geistes mag sich Habermas das Zustandekommen eines Kriegsbeschlusses nicht vorstellen. Anders könnte er ihn einfach nicht rechtfertigen; so aber schon:
"Schon vor dem 15. Januar lagen alle normativen Argumente auf dem Tisch. Der Inhalt der UNO-Resolution... ist durch Grundsätze des Völkerrechts gedeckt und... gerechtfertigt. Niemand kann ernsthaft bezweifeln, daß die Annexion Kuwaits und die Ankündigung des Irak, gegen Israel einen Krieg, zumal einen mit ABC-Waffen, zu eröffnen, Verstöße darstellen, die Sanktionen ebenso herausfordern wie verdienen. Die Grundsätze, die in dieser Situation notfalls auch einen Krieg rechtfertigen, sind (wenn ich von der Position eines unbedingten Pazifismus absehe) unbestritten." (Die Zeit, 15.2.91)
Soweit wäre dann ja alles in Ordnung. Die gängigen Rechtfertigungen des Krieges sind "unbestritten", "niemand kann sie bezweifeln", so lauten für Habermas die Gründe, die für diesen Krieg sprechen. Der Mann der Wissenschaft bringt den moralischen Imperativ zur Anwendung, daß, wenn sich alle bzw. die Mehrheit der Maßgeblichen auf was einigen, man dann aber nichts mehr gegen das sagen darf, worauf sie sich geeinigt haben. Vor diesem Maßstab hat der Krieg Bestand. Zur Begründung dieser tröstlichen Einsicht muß der tiefe Denker erstens nur kurz vergessen machen, worauf die Überzeugungskraft jener "normativen Argumente" beruht, die mit erstaunlicher Regelmäßigkeit die "überzeugenden Mehrheiten" finden, die Habermas so imponieren. Anders nämlich als in der pluralistischen Wissenschaft, der Habermas sein Ideal der Einigung entnommen hat, haftet den "Grundsätzen", die aus Rechts-Paragraphen kommen, etwas bezaubernd Unwiderlegliches an. Freilich muß man zweitens dafür von allen "Positionen", die nicht bloß den Geltungsanspruch des Rechts nachdenken, einmal "absehen". Dann erscheint einem das Kriegsbündnis namens UNO wie ein wissenschaftlicher Debattierklub, in dem "Argumente auf den Tisch" kommen und diskutiert werden und in dem sich anschließend streng herrschaftsfrei auf gemeinsame Vorhaben geeinigt wird, unter Berücksichtigung der "demokratischen Verfahren", versteht sich, welche wie im wirklichen Leben sicherstellen, daß sich jeder Einwand gegen die beschlossene Sache verbietet. Staatenlenker, welche den Einsatz ihres Militärs befehligen, tun dann nicht nur eben das, sondern versorgen darin auch noch den Wissenschaftler mit interessanten Forschungshypothesen:
"Das stärkste Argument für die Möglichkeit eines Waffeneinsatzes am Golf besteht darin, daß die USA und deren Verbündete... die Chance haben, stellvertretend und vorübergehend die neutrale Rolle einer heute noch fehlenden Polizeimacht der UNO zu übernehmen. Unter dieser Mitterandschen Prämisse könnte ein Einsatz am Golf den ersten Schritt zu einer effektiven weltbürgerlichen Ordnung markieren."
Und dann wären da noch die "Argumente", mit denen im Pentagon der zwingende Schluß vom Verbrechen des Irakers auf die Güte aller Gewaltmittel gelungen ist, die ihn erledigen sollen. Mit denen beantwortet sich der autonome Geist "die Frage nach den erlaubten Kriegszielen":
"Der unmittelbare Anlaß rechtfertigt die Forderung nach der Räumung Kuwaits. Auch für das Ziel der Zerstörung der gegnerischen ABC-Waffen... gibt es gute Gründe" - und gottlob auch die Waffen auf unserer Seite, die das können. "Das weitergehende Ziel, das politische Regime Saddam Husseins zu beseitigen, liegt zwar politisch nahe, wäre aber als Eingriff in die innere Ordnung des Irak unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten problematisch",
so daß Habermas es bei seiner Erlaubnis der militärischen Zerschlagung dieser Ordnung bewenden lassen muß. Schuldig ist er es sich aber doch noch, den Krieg daraufhin zu überprüfen, ob der den Segen auch verdient, den er ihm gespendet hat:
"Um es vorweg zu sagen: Die Intervention als solche halte ich für gerechtfertigt. Zugleich hege ich starke Zweifel, ob die Aktion so, wie sie nun abläuft, einer skrupulösen Prüfung standhält."
Habermas ist nämlich
Für den Krieg, aber "wider die Logik des Krieges"
welche darin besteht, daß im Krieg so manches von den Regelmäßigkeiten abweicht, an die Habermas sich gewöhnt hat. So muß er schon nachfragen dürfen, ob denn die Kriegsdiplomatie vor dem Krieg nicht doch zu sehr von dem Bild abgewichen ist, das er von diplomatischen Veranstaltungen so hat. Hat sie ihren "Verhandlungsspielraum ausgeschöpft" ? War sie "hinreichend flexibel"? Hat sie den "intellektuellen" Hammer bedacht, den ein Ultimatum in einer Kultur der kommunikativen Kompetenz anrichtet, "die ihre Konflikte eher im Stil eines Palavers beizulegen gewohnt ist"? Aus den Blüten seiner Wissenschaft und den ganzen Phrasen, mit denen in der deutschen Öffentlichkeit die Distanz zu einem Krieg markiert wird, für den man ist, drechselt Habermas Fragen, um dann als deren Ergebnis mitteilen zu können: "Eine schlüssige Antwort darauf weiß ich nicht." Sicher ist er sich nur in einem: "Es kann schlimmere Übel geben als Krieg", Saddam eben; und kein Zweifel besteht für ihn darin, daß "Wehret den Anfängen!" auch noch "ein überzeugendes Argument" für den Krieg ist; das sollte besonders "uns Deutschen" einleuchten und "uns davon abhalten, den Golfkrieg als solchen zu verwerfen". Was den Krieg betrifft, "müssen wir uns" nämlich ganz genau
"an beides gleichzeitig erinnern: an die Schrecken des Krieges, mit denen wir einst Europa überzogen haben, und an den Einsatz der Alliierten, die uns... vom NS-Regime befreit haben. Von dieser doppelten Erinnerung müssen Proteste zehren, die auf das Fragwürdige der Aktion am Golf aufmerksam machen."
Deswegen ächten wir mit Habermas kompromißlos den " Atavismus kriegerischer Mittel" und sind solange für ihren Einsatz, bis für jedermann "die Obsolenz des Krieges als einer Kategorie (?) der Weltgeschichte" feststeht.
Historiker
Krieg, wg. Auschwitz
Die Lehren aus der unseligen deutschen Vergangenheit wollen einfach nicht abreißen. Da haben deutsche Historiker das nationalsozialistische Intermezzo der Republik jahrelang so erfolgreich "bewältigt", daß der Völkermord an den Juden als eine einzige moralische Monstrosität fest im deutschen Nationalbewußtsein verankert war und allein schon die Namensnennung "Auschwitz" die faschistische Variante deutscher Staatspolitik als Sündenfall in deren guter Tradition sinnfällig machte. Sich von dem wohltuend abzugrenzen war dann das exklusive Gütezeichen nachfaschistischer deutscher Politik - "Nie wieder!" hieß die frühe Lehre, die das neue Deutschland aus der Geschichte zog, und die war insofern auch leicht zu beherzigen, als der junge deutsche Staat die Bekämpfung einer "jüdischen Gefahr" wirklich nicht im Programm hatte. Insoweit stand seine humanitäre Klasse schon einmal prinzipiell fest. Und zwar jenseits dessen, was er nun mit seiner Politik auch nicht gerade zimperlich ins Werk setzen wollte und gesetzt hat. Die Erinnerung an die Opfer des alten Regimes war insofern ein gelungenes Ablenkungsmanöver. Das moralische Gemüt wurde angesprochen, und zugleich wurde ihm mit dem Hinweis auf die "Einzigartigkeit des Verbrechens" die Anwendung desselben moralischen Maßstabs auf die neue Republik untersagt. Die bezog daher aus ihrer Vergangenheit ihre über jede moralische Beurteilung erhabene moralische Rechtfertigung, die, wie es sich gehört, arbeitsteilig abgewickelt wurde. Der deutsche Untertan durfte sich auf Abruf von Bundespräsidenten und anderen wesentlichen Herrschaften über die vergangenen Untaten seines Staats schämen und es als Gnade empfinden, einer neuen deutschen Herrschaft unterstellt zu sein, welche daraus ihre Verantwortung und das unbedingte Recht deutscher Politik ableitete.
Auf dieser Grundlage konnten deutsche Historiker dann im Laufe bundesrepublikanischer Geschichte noch ganz andere Lehren aus der Vergangenheit ziehen. So mußten sie z.B. ihrem Staat, der als Frontstaat gegen die Sowjetunion mittlerweile wieder zu Macht und Ehren gekommen war, in einem extra nach ihnen benannten Streit bescheinigen, daß der typisch deutsche Sündenfall "Auschwitz" so deutsch und "singulär" gar nicht war, sondern eigentlich eine "asiatische Tat". Die paßte so recht ins damalige "Reich des Bösen" hinein, weil sie der deutschen Nation ideell genau die Perspektive wies, in der sie wirklich und schon längst als NATO-Macht Europas stand: Weltkrieg im Namen der antifaschistischen deutschen Mission - das war auch so eine Lehre, die aus "Auschwitz!" zu ziehen ging.
Seitdem wurde es ein bißchen still um diesen Ort in Polen, weil in besagtem Streit u.a. auch klargelegt wurde, daß angesichts dessen, wie zweifelsfrei tadellos Deutschland in der Welt dasteht, auch mal wieder Schluß zu sein habe mit dem Gestus der Selbstbezichtung wegen der schlechten Vergangenheit - zumal der Kanzler ja schon vorher offiziell mitgeteilt hatte, daß mit seiner Regentschaft "die Gnade der späten Geburt" ausgebrochen sei.
Und dann passiert es, daß in einem Krieg u.a. auch die Bevölkerung des heutigen Staates der Juden "von irakischen Raketen und Giftangriffen bedroht" ist, was u.a. auch dem Geschäftssinn "deutscher Profiteure" zu verdanken sei - und augenblicklich fällt" 130 deutschen Historikern" ein, was "Auschwitz!" in diesem Fall bedeutet. Diesmal ist ihnen die exklusive Verantwortung "der Deutschen", wenn von selbigen, von Giftgas und von den Juden in einem Satz die Rede ist, genau recht.
Und ganz so, als ob ein faschistischer Holocaust dasselbe wäre wie ein irakischer Kriegsversuch gegen den Staat Israel, sehen sie Saddam auf dem Sprung, "den Mord am jüdischen Volk fortzusetzen" und "die Deutschen" -an die Pflicht gemahnt: "Seit Auschwitz muß jeder wissen, es gibt Schlimmeres als Krieg." Das ist die jüngste Lehre, die es aus der deutschen Vergangenheit für die Zukunft der Nation zu ziehen gilt, und die faßt denn auch alle vorhergehenden zusammen. "Die Deutschen", die sich da wieder einmal ihrer Verantwortung gegenüber "den Juden" stellen, sind eine Mannschaft, die sich ihr Mitgefühl für Opfer einerseits sehr wählerisch einzuteilen weiß und die es andererseits in der Frage, wer da im einzelnen betroffein ist und von wem, nicht so genau nimmt. Es müssen schon Juden sein, die "den Deutschen" in diesem Krieg menschlich leid tun. Denen wissen sich "alle Deutschen" verpflichtet, weil der letzte deutsche Staat sich ihre Ausrottung zum Anliegen gemacht hat. Das sollen sich die deutschen Untertanen, die das faschistische Deutschland in einem Krieg verheizt hat und die - es ist mittlerweile eine andere Mannschaft - das demokratische Deutschland gerade für seine Weltordnungsaufgaben in die Pflicht nimmt, als ihre bleibende Schuld zu Herzen nehmen. Die verpflichtet bekanntlich und zwar den heutigen deutschen Staat und zwar dazu, seine Zuständigkeit in weltpolitischen Gewaltfragen anzumelden. Was es einem jüdischen Opfer des Dritten Reiches nützt, wenn das neue Großdeutschland sich durch die Produktion von Opfern an anderer Front hervortut, weiß der Kuckuck. Die Bundesrepublik nimmt jedenfalls ihre moralische Pflicht jüdischen Opfer gegenüber sehr ernst. So ernst, daß ihr die Gelegenheit, sich auf solche zu berufen, glatt den Nachweis wert ist, daß ein Saddam in der Tradition Hitlers steht, auf welchen Deutschland ein gewisses Exklusivrecht beanspruchen kann. Also kann auch aus den toten Juden, die der Iraker mit seinen Raketenangriffen anfallen ließ, eine speziell deutsche Verantwortung abgeleitet werden. In deren Namen ist deutsche "Hilfsbereitschaft" gefordert und zwar gegenüber dem Staat Israel. Israel ist nämlich der Staat der Juden. Und nicht nur das. Deutsche Waffenlieferungen, der Gipfel deutscher "Hilfsbereitschaft", die auch einmal "Wiedergutmachung" geheißen hat, kann dieser Staat schließlich nur deswegen so gut gebrauchen, weil er selbst seine Existenz auf den Kriegen begründet, die er führt und in denen er seine Bevölkerung, die jüdische, als dienstbares Menschenmaterial einspannt. Das so zu sehen, ist allerdings verboten. Die Logik des Opfers, das verpflichtet, darf keine Anwendung finden auf einen Staat, der in ihr seine absolute Rechtfertigung hat und mit ihr jede Schlächterei legitimiert, die er in die Wege leitet. Da ist nicht nur er selbst, sondern auch der deutsche Staat vor. Der pflegt seine Freundschaft mit Israel schließlich auch nicht ganz uneigennützig. Sie steht vielmehr für das höchste moralische Recht der Bundesrepublik, sich als Weltordnungsmacht ins Gespräch zu bringen. Zumindest an der Front, und das macht die Sache mit der "Hilfsbereitschaft" auch wieder relativ.
"Auschwitz!" -was ein Wort alles sagen kann.
Biermann, Gremliza etc.
Krieg, wg. Glaubwürdigkeit der Linken
Einen Erfolg kann man "der Linken", die sich zum Golfkrieg geäußert hat, nicht absprechen. Sie ist aus ihrer Isolierung herausgetreten und in der Presse, die bei Linken "etabliert" heißt, zu Wort gekommen. Die "Bild-Zeitung" und die "FAZ" haben den linken Standpunkt zum Golfkrieg beifällig zitiert, was wiederum einen Autor der Zeitschrift "Konkret" zu dem Urteil veranlaßt hat, "die politischen Verhältnisse hier (seien) gleichsam umgepolt, die "FAZ" kann man lesen, die besten - und übrigens hervorragend geschriebenen - Kommentare findet man in "Bild"." (Pohrt) "Umgepolt" haben sich allerdings nicht "die Verhältnisse". "Die Linke" hat es vielmehr, unisono wie selten, für angebracht gefunden, ihr Bekenntnis zu diesem Krieg und damit ein zusätzliches Argument für ihn abzuliefern: Der muß schließlich geradezu unwidersprechlich sein, wenn selbst die wegen ihres kritischen Geistes berühmte Linke nichts gegen ihn einwendet.
Hervorgetan haben sich die Linken als die radikalsten Vertreter des Arguments "Israel". Nun ist zwar Israel an und für sich kein Argument, sondern ein Staat. Für Linke aber war mit der Nennung von dessen Namen alles klar: An der Parteinahme für diesen Krieg führt einfach kein Weg vorbei:
"Lieber pazifistisch gesinnter Leser, liebe friedensbewegte Leserin, damit wir einander von Anfang an richtig mißverstehen: Ich bin für diesen Krieg am Golf. Sie müssen ja nicht weiterlesen. Noch schlimmer: Ich hoffe, daß dieser Krieg das westöstlich zusammengekaufte Waffenarsenal zur Vernichtung Israels ganz und gar zerstört."(Biermann)
Wenn man dann dennoch weiterliest, wird man mit der Eigentümlichkeit vertraut gemacht, daß diejenigen, die sich zu solchen Stellungnahmen verstehen, zugleich darauf bestehen, sie wüßten schon Gründe, die gegen diesen Krieg sprächen, wenn sie sie vorbrächten. Es wird daran erinnert, daß Linke schon mal was gegen Imperialismus einzuwenden hatten und den Staat Israel auch nicht immer für den obersten moralischen Wert gehalten haben. Nur dürfen Einwände in diesem Fall offensichtlich nichts zählen. "Über Amerika also kein Wort", heißt dann die kritische Parole zur Kriegsführungsmacht. Einer dieser merkwürdigen Zeitgenossen, der eben noch die ehrenwerten Motive der Kriegsallianz gegen den Irak, insbesondere die der USA, anzweifeln zu müssen meinte, will dies dann konsequenterweise als gelungene Einleitung dazu verstanden wissen, daß Kritik an diesem Krieg von seiner Seite nicht erwartet werden kann:
"Das Richtige aber, das hier hoffentlich getan wird, darf nicht gesagt werden: daß der Irak der Fähigkeit beraubt werden muß, Israel - wie von Saddam angekündigt - anzugreifen und zu liquidieren." (Gremliza)
Leute, die sich als kritische Geister verstehen und präsentieren, üben keine Kritik, sondern verstehen es als ihre Aufgabe, sich höchstpersönlich jede Kritik zu untersagen. Und nicht nur das:
"Saddam kündigt nach dem konventionellen Raketenvorspiel nun den nichtkonventionellen großen Vernichtungsschlag gegen Israel an. Er wird also meinen Freund Walter Grab und seine Frau Ali in Tel Aviv das erste Mal im Leben vergasen und meinen toten Vater zum zweiten Mal. Und ich höre schon den lapidaren Kommentar von einigen besonders fortschrittlichen deutschen Friedensfreunden: selber schuld. Na dann! Bindet euer Palästinensertuch fester, wir sind geschiedene Leute." (Biermann)
Wie praktisch, daß dieser Mann keinen Freund in Basra hat.
Mit dem Kritikverbot an diesem Krieg nehmen es Linke äußerst ernst. So sehr, daß sie jedem der ihren, der das bedingungslose Bekenntnis zu einer Schlächterei im Namen Israels verweigert, den für sie größtmöglichen Vorwurf machen: Verrat an der linken Sache, und der wird mit Ausschluß bestraft. Ströbele war so ein Fall. Es kommt allerdings noch besser. Von ein paar Ausnahmen abgesehen, haben sämtliche Linken anläßlich des Kriegs nicht zum Krieg, sondern zur Position der Linken Stellung genommen. Und zwar in dem Tenor: Die Linke ist das letzte, bekennt sich einfach nicht zu diesem Krieg! So haben die Linken einerseits alle dieses Bekenntnis abgelegt und andererseits sind sie alle mit der Behauptung, die Linke habe es daran fehlen lassen, wieder mal aus ihrem Verein ausgetreten:
"Diesmal steht etwas auf dem Spiel, unter anderem die Existenz des Staates Israel, und eine Neuauflage der Friedensbewegung bedeutet nun, daß die hiesige Linke im weitesten und im engen Sinn wirklich für alle Zeiten moralisch erledigt ist." (Pohrt)
Und damit ist der Grund des linken Ja zu diesem Krieg auf dem Tisch: Die Sorge um die Glaubwürdigkeit der Linken ist auch ein guter Grund, für diesen Krieg zu sein. "Die Linke", und das rechtfertigt diese undifferenzierte Sichtweise, eint ein Problem, und dieses ist der einzige Gegenstand, mit dem sie sich befaßt: Sie definiert sich als die kritische Abweichung vom nationalen Konsens und bedauert es fürchterlich, daß ihr als dieser Abweichung nicht der Zuspruch der Nation zuteil wird, der die moralische Güte eines Standpunkts ausmacht. Kritik an einem Krieg, der anerkanntermaßen im Namen aller verlogenen humanistischen Ideale geführt wird, hält sie daher für ganz und gar verfehlt; sowas würde sie "für alle Zeiten moralisch erledigen". Für sie ist so ein Krieg eine einzige Ansammlung von Gründen, keine Einwände mehr gegen ihn vorbringen zu können. Die Schnauze halten, kommt für sie freilich auch nicht in Frage. Sie hat ja ihr Problem. Also kämpft sie gegen ihren schlechten Ruf, indem sie dessen Quelle, ihre Abweichung vom nationalen Konsens, streicht, sich an vorderster Front hinter all die moralischen Ehrentitel stellt, mit denen dieser Krieg begründet wird, und diesen selbst demonstrativ hemmungslos gutheißt. Daß sie das in anderer Hinsicht "erledigt", kann man ihr getrost als ihr Problem überlassen.
Fazit
Der humanistische Geist hat Stellung genommen zu einem imperialistischen Krieg. Er hat im Namen all seiner Ideale Partei ergriffen für diese Gewaltaktion. Eine Befassung mit deren politischen Gründen, mit den Interessen der Kriegsparteien, die diese als Rechte gegeneinander geltend machen, fand nicht statt. Dieser Humanismus hat demonstriert, daß er gar nicht zu wissen braucht, was er da für so grundsätzlich in Ordnung befindet. Seine Sicherheit, sich für die richtige Sache zu engagieren, gewinnt er nicht aus einer Einsichtnahme in die Sache, sondern durch Beantwortung der parteilichen Frage, wer in dieser Gewaltaffäre im Recht ist An der Kriegsmoral, mit der beide Parteien ihre Interessen heiligen und welche die Wissenschaft konsequent mit der Sache verwechselt um die es geht, läßt sich diese Frage nicht entscheiden. Wohl aber an den Mitteln, die die Kontrahenten aufzubieten imstande sind, um ihrem Interesse jene Anerkennung zu verschaffen, die Recht heißt. - Und da war die Frage schnell entschieden. Der humanistische Geist hat sich auf die Seite der überlegenen Gewalt geschlagen. Daß das sein Kriterium seiner Parteinahme ist - das einfach so hinzusagen, war er sich freilich zu vornehm. Humanistisch wie er ist, hat er auf der gründlichen Vertauschung der Reihenfolge von Gewalt, Recht und Moral bestanden und das Recht der überlegenen Gewalt aus der Überlegenheit ihrer Moral abgeleitet.
Das spricht weder für den Humanismus noch für die Gewalt, die er rechtfertigt. Für den Humanismus nicht, weil er eine ebenso ignorante wie verlogene Veranstaltung ist; und für die Gewalt nicht, weil die offenbar keine besseren als Gründe dieses Kalibers auf ihrer Seite hat. Ganz nebenbei hat dieser humanistische Geist noch eine wahre Auskunft über den "Pazifismus" erteilt, von dem er beseelt ist. Er selbst hat den Nachweis erbracht, daß sich in seinem Namen keine Bedenken gegen den Krieg vorbringen lassen - und sehr absolut darauf beharrt, daß es grundverkehrt ist, dies dennoch zu versuchen. Gegenüber jedem, der "aus menschlichen Gründen" Bedenken gegen diesen Krieg vortragen wollte, wurde auf Konsequenz bestanden: Wenn man schon im Namen aller humanistischen Rechtstitel die Zuständigkeit der Politik unterschreibt, dann soll man nachher auch nicht über deren Taten erschrecken. Wo sie recht haben, haben sie recht.