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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1991 erschienen.

Imperialismus heute (II)
Klarstellungen zum Golfkrieg

(Fortsetzung der 9 Punkte in MSZ 1/1991)

10.

Die USA haben die Kriegsallianz beieinander, die sie gewollt haben: Alte Verbündeten helfen mit gegen Saddam Hussein. Die politische Allianz jedoch, die die USA mit ihrem Bündniskrieg bezwecken, kommt nicht zustande. Dem amerikanischen Anspruch auf bedingungsloses Mitmachen über den Krieg hinaus und auf eine neue Weltordnung fehlt die Überzeugungskraft: der weltpolitische Sachzwang, der keine Alternative offenlässt. So verrät das amerikanische Programm bloß die Unzufriedenheit der USA mit der "Weltlage", d.h. mit der Freiheit und den Erfolgen ihrer Konkurrenten, und ihre Unterstützungsbedürftigkeit bei dem Projekt, Monopolist in Sachen Weltordnung zu sein - also einen Widerspruch, der auch mit einem gewonnenen Golfkrieg nicht in Kraft zu setzen ist.

1. Die USA wollen und brauchen für ihre Weltmacht eine Welt von Staaten, die ihnen aus freier Berechnung zuverlässig Gefolgschaft leisten und sich für die Sache Amerikas - den Reichtum, der im Dollar sein Maß hat, und eine Militärmacht, die keine Alternativen und Gegner hochkommen lässt - nützlich machen.

Das hat 40 Jahre lang einigermaßen geklappt. Zwar hat die Sowjetunion als gegnerische Weltmacht standgehalten; die amerikanische Weltherrschaft war also immer eine unvollkommene Sache. Und was den kapitalistischen Reichtum betrifft, so hat der Dollar Konkurrenz bekommen, die ihn schwächt, Immerhin haben es die USA aber geschafft, ihre wichtigsten Konkurrenten, ambitionierte Weltordnungsmächte wie sie, auf Bündnistreue festzulegen und insoweit innerhalb der sogenannten Freien Welt ihr Ideal von Weltherrschaft wahrzumachen.

Entscheidend dafür war die Herstellung einer "Welt-Lage", die den politischen Berechnungen aller Staaten die entscheidenden Bedingungen gesetzt hat, nämlich einer Weltkriegs-Konfrontation mit der Sowjetunion. Diese Bedrohungslage hat die konkurrierenden kapitalistischen Nationen zur Unterordnung unter das amerikanische Schutz- und Hilfsangebot genötigt. Aus strategischem Eigennutz haben sie die USA als Führungsmacht anerkannt und die Rolle von weltpolitischen Helfern übernommen. Schutz von der einen Seite, Dienst von der anderen, und zwar für einen Weltkrieg, der immer auf dem Programm stand, nie inaktuell, aber auch nie fällig wurde, also auch nie vorbei war: Das war die stabile "Geschäfts"-Grundlage für 40 Jahre NATO.

Nach dem Muster, das sich da bewährt hat, gehen die USA jetzt auch im Fall Irak vor. Sie inszenieren ihn als einen Weltkonflikt, in dem die Staaten, auf deren Mitmachen sie Wert legen -nämlich die Staaten vor Ort sowie vor allem die großen kapitalistischen Mächte, die -gerade in der Entstehungsgeschichte dieses Konflikts ihre abweichenden und konkurrierenden Interessen deutlich genug geltend gemacht haben -, nicht abseits stehen dürfen, sondern, gar nicht anders können sollen als mitmachen. Von diesen Partnern fordert Amerika Dienste - als Gegenleistung für den Dienst", den die US-Streitkräfte der Staatenwelt mit der Vernichtung des irakischen Störenfrieds leisten.

Dieses Verhältnis kommt auch zustande. Den Anrainerstaaten, die ihre Interessen durch Iraks Vorgehen gefährdet sehen, springt die US-Regierung bei, indem sie ihre eigenen unverzichtbaren Weltordnungsinteressen und die internationale Rechtslage überhaupt für verletzt erklärt. Damit legt sie ihre arabischen Verbündeten natürlich auch auf ihre Feindschaft gegen den Irak fest. Und die alten Verbündeten werden auf die Gleichung verpflichtet, sich dort, wo Amerika seine Interessen bestritten sieht, für genauso betroffen zu erklären.

Allerdings ist gar nicht zu übersehen, dass diese Einigkeit nur für den Krieg gilt, den die Alliierten führen, und nicht über ihn hinausreicht. Die USA stiften die Einheit, die sie wollen, durch den Krieg selbst: durch die militärische Inanspruchnahme ihrer Partner und das Oberkommando über deren Truppenkontingente -die ihrerseits als Hilfskräfte der US-Armee zu Erfolgen gelangen, von denen sie sonst nur hätten träumen können. Damit ist aber auch schon das Ende dieser Allianz absehbar, die mit ihrem Sieg lästig wird. Denn mit dem Erfolg verschwindet ihr Grund: der gute Grund für die Partner, sich Amerika unterzuordnen.

Und das ist den Amerikanern nicht egal. Denn sie wollen nicht bloß mit fremder Hilfe einen Drittwelt-Staat in die Ohnmacht zurückbomben, sondern mit dem Erfolg ihrer Kriegsallianz die Grundlage für eine neue Weltordnung schaffen. Sie brauchen die Einigkeit einer Staatenwelt unter ihrer Führung nicht für die Wiederherstellung eines souveränen Scheichtums, sondern umgekehrt: Sie wollen und führen den Krieg zur Befreiung Kuwaits, um eine Staatenallianz, die dauerhaft auf den Schutz und die Führung der USA baut, zu stiften.

2. Diese weitreichende Zielsetzung ist den Hilfsbegehren, die die US-Regierung an ihre Verbündeten richtet, deutlich zu entnehmen. Denn das Entscheidende daran ist nicht ihr materieller Inhalt für sich. Weder hängt der Kriegserfolg von syrischen Hilfstruppen und britischen Tornado - Staffeln ab, noch geriete das Unternehmen aus Geldmangel ins Stocken, wenn Japaner, Deutsche und Saudis nicht mit Spenden und Gratisleistungen einspringen würden. So gesehen könnten die USA ihren

Krieg auch alleine führen; genau das wollen sie aber nicht. Ihre Beschwerden über Verbündete, die sich militärisch nicht - oder nicht direkt genug - engagieren, ihre Kritik an der "Bequemlichkeit" anderer Mächte, für die sie gewissermaßen "die Kastanien aus dem Feuer holen" müssten, drücken das sehr genau aus. Im Detail wenn es um bestimmte Sachleistungen geht, werden alle Vorwürfe zwar regelmäßig relativiert, werden geleistete Beiträge anerkannt und gelobt; aber das nimmt die prinzipielle Unzufriedenheit überhaupt nicht zurück, entkräftet nie den Verdacht, hier wollten die viel zu weit außen stehenden Partner sich bloß "freikaufen".

Was die USA einfordern, was sie an den verlangten Hilfsdiensten immerzu eindeutig bewiesen sehen möchten und immer nicht genügend entdecken können" das ist der Beschluss der Partner,' den amerikanischen Kriegsbeschluss bedingungslos zu ihrer eigenen Sache zu machen. Was sie vermissen, das ist die eindeutige Unterordnung der Verbündeten unter die von ihnen definierte gemeinsame Sache. Sie stören sich an dem Unterschied, den ihre Partner zwischen dem amerikanischen Ordnungsanliegen und ihrer eigenen nationalen Sache machen. Sie fordern daher Waffenbrüderschaft; nicht weil sie am Golf darauf angewiesen wären, sondern weil sie das als generelle politische Haltung ihrer Verbündeten haben wollen; nicht nur für den Krieg, sondern anlässlich des Krieges über ihn hinaus.

Genau das gibt "die Lage am Golf" aber gar nicht her. Die "irakische Gefahr" die da bewältigt werden muß, ist keine überragende, alle kapitalistischen Mächte existentiell beeindruckende Bedrohungslage. Das unterscheidet sie und die amerikanische Anti-Irak-Koalition eben von der "sowjetischen Bedrohung" und dem antisowjetischen Nordatlantik-Pakt, der 40 Jahre lang dafür gut war, eine Einigkeit der kapitalistischen Großmächte unter US-Führung sowie auf dieser Basis eine ziemlich umfassende Staatenordnung und einen Zustand namens Weltfrieden herzustellen - und zugleich ist dieser Unterschied gar kein prinzipieller. Denn das verrät ja gerade der amerikanische Wille zu einer neuen Weltordnung, die in der Weltkoalition gegen Saddam Hussein exemplarisch Gestalt annehmen soll: dass die NATO nicht mehr leistet, was die USA heute von ihren Bündnispartnern verlangen. Sie lässt genau von dem Punkt an zu wünschen übrig, da eine Welt unter dem ungebrochenen Führungsmonopol der USA, ohne die sowjetische Gegenmacht, machbar erscheint - denn das soll ja gerade, das Neue an der neuen Weltordnung sein, dass sie den Ost-West-Gegensatz hinter sich lässt und den amerikanischen Weltfrieden wirklich universal macht. Das antisowjetische Bündnis der kapitalistischen Mächte, die NATO, reicht eben auch über seinen Erfolg, den großangelegten weltpolitischen Rückzug seines Gegners, nicht hinaus. Seine Haltbarkeit lag allem dann begründet, dass der Krieg, für den es da war, weder stattfand noch inaktuell wurde, weder auf die Tagesordnung noch von ihr abgesetzt wurde. Mit dem Schwinden dieser "Lage" kommt unvermeidlich das Verfallsdatum dieses Pakts - und eben damit kommt in Amerika Unzufriedenheit mit den Partnern auf und das Verlangen, etwas genauso Feines, aber noch Verbindlicheres und überhaupt Globales - ein Weltbündnis ohne gleichgewichtigen Feind herzustellen. Dieses Bedürfnis enthält das Eingeständnis, dass die alte Allianz eben doch nie mehr war als ein Weltkriegspakt, dem der nicht auszuhaltende Ernstfall droht: die wirkliche Entspannung der "Lage". Es ist die Reaktion auf diesen Befund.

Die USA verlangen also von ihren Partnern eine Weltpolitik aus dem Geist der Kriegsallianz unter amerikanischer Führung. Den einzig stichhaltigen Grund dafür - eine von allen anerkannten Kriegslage, die ihren Schutz unentbehrlich macht - haben sie aber gar nicht zu bieten. Und damit geraten sie in eine eigentümliche weltpolitische Verlegenheit. Sie brauchen, um Weltmacht zu sein, souveräne Mitmacher, die sich aus Opportunismus unterordnen; ihr Machtmonopol braucht Alliierte, die es anerkennen und damit in Kraft setzen. Dieses Paradox geht aber nur auf, wenn eine unzweifelhafte Zwangslage die Gründe zur Unterordnung liefert. Ohne eine solche Lage bliebe als einziges Mittel zur Unterordnung von Konkurrenten eine Sorte, Zwang, die alles zunichte machen würde, was Amerika sich von seinem weltweiten Machtmonopol überhaupt verspricht: Es will sich ja mit seiner Weltherrschaft die nützlichen Dienste von in ihrem Rahmen erfolgreichen Nationen sichern.

Eine in diesem Sinn ausnutzbare Zwangslage ist am Fall Irak nun aber ein für allemal nicht herzukriegen.

Mit ihrer Aufforderung an die Partner, sich ihren Bemühungen um eine Korrektur dieser Lage und um die Herstellung zufriedenstellender Herrschafts- und Ausnutzungsverhältnisse in der Welt anzuschließen, offenbaren die Amerikaner daher Schwäche: eine Notlage ihrer Weltmacht, für deren Bewältigung sie eine ganz andere Hilfe ihrer Verbündeten bräuchten, als sie von denen je kriegen.

3. Schlagend zeigt sich das in den Geldforderungen der kriegführenden Supermacht an ihre reichen Verbündeten und ihrer bleibenden Unzufriedenheit mit deren Leistungen. Die verlangten und getätigten Milliardenüberweisungen aus Bonn und Tokio sind nämlich nicht einfach Beiträge zur Entlastung der Kriegskasse: Das ist etwas zu hausväterlich, um wahr zu sein.

Ihrem Umfang nach sind sie ein Witz neben den hunderte Milliarden schweren Defiziten im US-Staatshaushalt und in der Zahlungsbilanz der Nation. Eine Geldklemme im banalen Sinn, die dadurch dann auch behoben wäre, verrät die amerikanische Tributforderung also nicht. Um so nachdrücklicher bezeugt sie den Willen, zu einer gewaltsamen Schadensbegrenzung - und damit eine fundamentale Verlegenheit der amerikanischen Finanzmacht.

Ein Haushaltsdefizit für einen Krieg, der sein muß: Das allein wäre kein Aufhebens wert; eine Nation, die sich den nötigen Kredit nicht nehmen könnte, bräuchte zum Krieg gar nicht erst anzutreten. Die USA jedoch leisten sich während ihres Aufmarschs und mitten in ihren Kriegsaktionen eine unaufhörliche Debatte über die Schwierigkeiten der Haushaltsfinanzierung und die Tragbarkeit der Kriegskosten, ohne andererseits irgendeinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass sie diese Kosten natürlich aufbringen. Sie leisten sich den Krieg und fragen sich zugleich, ob sie ihn sich leisten können.

Diese eigentümliche Bedenklichkeit kann ihren Grund unmöglich in den Kriegskosten. als solchen haben. Sie ist grundsätzlicher Natur: An den Kosten des Golfkriegs, fällt den amerikanischen Politikern ein Widerspruch, auf. Und zwar nicht einfach zwischen ihrer Haushaltslage und einem Extraposten im Militärbudget, sondern zwischen dem Aufwand, den sie für ihre Weltherrschaft treiben müssen, und ihrem Stand als Weltfinanzmacht überhaupt. Als Machthaber, die sich die Kontrolle der Staatenwelt nicht nehmen lassen und dafür einiges aufwenden,. sind sie zutiefst unzufrieden mit den Finanzverhältnissen in dieser Staatenwelt, mit der Verteilung von Defiziten und Überschüssen und mit dem nachzählbaren Nutzen der eigenen Nation. Und weil sie ihren Aufwand für eine brauchbare Weltordnung als Dienst an der geordneten Welt begreifen, wird ihre Unzufriedenheit zur Beschwerde: Obwohl alle Welt sich bei ihrer Geschäftemacherei auf den amerikanischen Schutz verlässt, ihn also ausnutzt, gibt das Weltgeschäft gar nicht mehr automatisch einen Geldzufluss nach Amerika her, aus dem größere Militäraktionen problemlos zu finanzieren wären; es ruft im Gegenteil so sehr gegen Amerika, dass ein kleiner Weltkrieg schon zum Schadensfall für den US-Haushalt und den Dollar wird.

Die Lösung liegt für die amerikanischen Haushaltspolitiker auf der Hand: Dann sollen wenigstens die Nutznießer der US-Aufsicht über die Staatenwelt zahlen und den nationalen Schaden begrenzen. Dieser Ausweg hat bloß einen Haken: Er reicht an das Problem, den fehlenden nationalen Ertrag der von den USA gewollten und betreuten Weltwirtschaft, gar nicht heran. Das Kassieren bei den reichen Partnern ändert nichts an den ökonomischen Kräfteverhältnissen, die über die weltweiten Bewegungen des abstrakten Reichtums, über nationale Zu- und Abflüsse von Geldmitteln und die Kosten der staatlichen Defizit-Finanzierung entscheiden. Die autonomen nationalen Vorteilsrechnungen und die Konkurrenzerfolge der Partner spielen nicht mehr quasi automatisch der amerikanischen Weltherrschaft in die Hände, sondern durchkreuzen deren Kalkulationen. Dagegen helfen Überweisungen nichts - im Gegenteil. So eine multinationale Kriegssteuer offenbart nur die eigene Anfälligkeit, also ökonomische Schwäche. Und sie setzt auf der anderen Seite nicht bloß die Finanzstärke der Konkurrenten voraus; sie setzt sogar darauf, dass es bei denen mit dem erfolgreichen Geldverdienen weitergeht. Eine solche gewaltsame Umverteilung von Haushaltsmitteln ist überhaupt kein korrigierender Eingriff in den Gang der Konkurrenz, sondern eine erratische .Ausnahme von dessen Regeln, die an deren Gültigkeit gar nichts ändert - und diese Regeln bestätigen gerade nicht (mehr) die Konkurrenzlosigkeit der Weltmacht, widerlegen vielmehr deren Anspruch, dass Weltmacht sich auszahlen müsse. Genau dieser Weltmarkt, der sich mittlerweile für andere mehr lohnt als für seine amerikanischen Veranstalter - ist aber die Weltordnung, die die USA dem Rest der Welt als verbindliches Grundgesetz vorgeschrieben haben, zu der sie keine Alternative kennen, geschweige denn zulassen wollen, und für deren Erneuerung und Festigung sie gerade eben den Krieg gegen den irakischen Störenfried führen. Es ist ihre eigene Weltordnung, die den USA ökonomisch zu schaffen macht, statt ihnen den Nutzen zu schaffen, der ihnen an Ertrag für ihren Weltordnungsaufwand zustehen soll: Dieses Paradox macht das amerikanische Finanzproblem zu einer prinzipiellen Verlegenheit.

4. Diese Verlegenheit hat mit dem Irak, und dem Krieg gegen Saddam Hussein einerseits überhaupt nichts zu tun. Sie ist das Ergebnis von 40 Jahren freier Konkurrenz unter amerikanischen Bedingungen. In diesen Jahrzehnten hat allerdings immer noch gegolten, dass alle nationalen Konkurrenzerfolge unter dem Vorbehalt ihrer Gefährdung durch die sozialistische Sowjetmacht stehen, also vom amerikanischen Schutz abhängen, mit der Überlegenheit Amerikas stehen und fallen. Dieser polit-ökonomische Zusammenhang machte sich bei jeder Verschärfung der "Lage", erst recht bei

jedem Umschlagen des "Kalten Krieges" in einen ost-westlichen Waffengang in Form "regionaler Konflikte" bemerkbar: Dann stieg der Kredit der atomar gerüsteten Super-Schutzmacht, die Wechselkurse aller anderen kapitalistischen Weltwährungen sanken. Der amerikanische Kredit stieg sogar in ganz großem Stil, als er vom vorigen US-Präsidenten Reagan überaus großzügig strapaziert wurde, um in einer gigantischen Rüstungsoffensive den Sowjets die Aussichtslosigkeit ihres Standhaltens zu beweisen. Der Erfolg schafft- nun das Problem. Seit der sowjetische Gegenspieler wunschgemäß die Gefahr eliminiert, die seine Weltmacht für die Haltbarkeit kapitalistischer Konkurrenzerfolge der Verbündeten Amerikas immer dargestellt hat sinkt der Kurswert des amerikanischen Schutzes ganz buchstäblich.

Repräsentanten des hämischen Konkurrenzgeistes der US-Satelliten rechnen ihrer Führungsmacht seither vor, dass sie sich "übernommen" hätte - und verkennen dafür den wirklichen imperialistischen Zusammenhang. Geschadet haben den USA nämlich nicht ihre Anstrengungen, das "Reich des Bösen totzurüsten"; die wurden vielmehr von den Partnern mitgetragen, mitfinanziert und mit einem hohen Dollarkurs honoriert. Dabei wurden zwar die schönsten Konkurrenzerfolge gegen Amerika errungen und ausgenutzt, aber deren politische Wirkung, insbesondere die Rückwirkungen auf den US-Kredit blieben begrenzt, weil der gemeinsamen Weltkriegssache untergeordnet. Solange es in der Weltpolitik in letzter Instanz um den Atomkrieg geht, bleibt eben auch unzweifelhaft für alle Beteiligten ,daß Atomwaffen sich letztlich auszahlen. Zweifelhaft ist das jetzt, weil die Perspektive des atomaren Weltkriegs schwindet und damit der Vorbehalt, unter dem alle nationalen Konkurrenzerfolge gezählt haben und bewertet wurden.

Der Irak- ist also, wirklich nicht daran schuld, dass der Krieg gegen ihn zum ersten Ernstfall seit dem letzten Weltkrieg wurde, der den Dollar nicht gestärkt, sondern geschwächt hat. Daran ist nur die Verlegenheit bemerklich geworden, in der die USA sich befindet seit die von ihnen gestiftete außergeschäftliche, bündnispolitische Grundlage des Weltgeschäfts nicht mehr so zählt wie bisher: Ohne Weltkriegslage sind die USA noch nicht einmal mehr im Freien, Westen die Macht, die das Kräfteverhältnis zwischen den Nationen bestimmt, deren Konkurrenz kontrolliert, geschweige denn den Nutzen davon hat. Dagegen soll die Herstellung einer neue Weltfriedensallianz helfen. Die Unzufriedenheit der USA mit den Beiträgen der Verbündeten verrät jedoch, dass dieser Versuch nicht gelingt.

Die antiirakische Kriegsallianz kann der friedlichen Konkurrenz, die die USA da korrigieren und nicht beenden wollen, gar keine neuen Bedingungen, Erfolgsmaßstäbe und Vorbehalte aufzwingen. Der Nutzen des Sieges, den die USA wollen, bleibt daher ihr widersprüchliches Ideal.

So gerät den Amerikanern ihre Allianz, deren Kriegserfolg zum Ausgangspunkt einer neuen, besseren Weltordnung werden soll, zur Demonstration ihres imperialistischen Dilemmas. Sie beweisen, dass sie als Militärmacht viel ausrichten können - nur den Frieden, nämlich die zivile Konkurrenz der Nationen, auf deren Erträge sie es abgesehen haben, halten sie schlecht aus. Bloß auf Grundlage eines dauerhaften Weltkriegsszenarios, also quasi unter Kriegsbedingungen kriegen sie ihre Konkurrenten zu dem Opportunismus der Unterordnung, den sie für ihr weltweites Gewaltmonopol brauchen und der ihnen Niederlagen in der Konkurrenz gar nicht erspart, allenfalls - immerhin - den Schaden begrenzen hilft.

11.

Die Verbündeten Amerikas leisten die verlangte Hilfe. Die Franzosen und Briten schießen mit; die Japaner und Deutschen spenden Geld; alle tragen dazu bei, die Staatenwelt - exemplarisch am Golf - wieder in Ordnung zu bringen., Sie tun das mit dem nie offen ausgesprochenen, aber klaren Ziel, die Ordnung der Welt auf gar keinen Fall ihrer alten Führungsmacht zu überlassen. Dass ihre Mittel taugen um auch gegen die USA um Einfluss und Rechte in der Welt zu konkurrieren, entnehmen sie nicht zuletzt dem amerikanischen Verlangen nach ihrer Unterstützung,

1. Der Krieg gegen Saddam Husseins Irak wird allgemein für unausweichlich und zweckmäßig befunden; die demokratische Öffentlichkeit billigt ihn als gerechte und sinnvolle Sache. Dann fallen zwei offenkundig sehr wirksame Raketen auf einen Bunker voller Zivilisten und dieselbe öffentliche Meinung graust sich und wirft allen Ernstes die Frage auf, ob Krieg wirklich so ungemütlich sein muß und ob die allseits begrüßte UNO-Resolution zur Vertreibung der irakischen Armee aus Kuwait denn so gemeint war.

Das passt ja wohl nicht ganz zusammen.

Krieg - auch der, dem die UNO sowie alle mehr theoretischen Anwälte einer ordentlichen Welt ihren Segen erteilt haben, und auch wenn mancher vor lauter sittlicher Empfindung die Sache glatt aus den Augen verloren hat - ist der Einsatz staatlicher Gewaltmittel. zur Schwächung und nötigenfalls Vernichtung einer feindlichen Staatsmacht. Auf beiden Seiten steht eine Vernichtungsmaschinerie, die eigens zu diesem Zweck aufgebaut und auf den denkbar höchsten technologischen Stand gebracht worden ist samt Personal und Hinterland. Auf die Zerstörung der feindlichen Gewaltmittel sowie ihrer Voraussetzungen - Volk, Reichtum, Industrie, also alles, was im was im Kriegsfall "Heimatfront" heißt - legt die Kriegführung es an; dafür nimmt sie die Zerstörung eigener Kräfte einschließlich der menschlichen Manövriermasse, in .-Kauf. Alle Unterscheidungen zwischen "erlaubten" und "unnötig grausamen" Mitteln, zwischen "sauberer" und "schmutziger" Kriegführung, auch Zivilisten, die möglichst zu "schonen" sind und kämpfender Truppe, auf die nach allen Regeln der Kunst draufgehauen werden darf, spiegeln bloß auf der Ebene der sittlichen Bedenklichkeit wieder, was im Krieg üblich ist, weil es da auf den Sieg und sonst nichts ankommt. Krieg ist eben ein Existenzkampf zwischen Staaten und bringt mit letzter Konsequenz zur Anschauung, was es heißt, eine nationale Identität, also seine Identität in der Staatsangehörigkeit zu haben.

Da hilft es auch nichts, wenn sich die demokratische Weltmeinung mit den Veranstaltern der Schlächterei am Golf während der langen und ausgiebigen Vorbereitung der Sache über das Ideal einig geworden ist, die Abschlachtung der irakischen Armee mehr als eine internationale Polizeiaktion anzusehen, die den eigentlichen "Verbrecher" mit seinen auf ihn eingeschworenen Truppen sauber aus dem Staat, und Volk des Irak heraus-operieren sollte. Diese Sichtweise ist angenehm fürs parteiliche Gemüt, aber kein Drehbuch fürs Militär. Das behandelt Land und Leute dort unten nach Strich und Faden als das, was sie im Kriegsfall bloß sind: als feindliche Machtmittel. Die offizielle Beschränkung des Kriegsziels auf die Vertreibung der irakischen Macht aus Kuwait schließt eben auch dann, wenn sie respektiert wird, gar keine Beschränkung der anzuwendenden Kriegsmittel und der zuzufügenden Schäden ein. Die sind militärische Ermessensfragen. Und dieses Ermessen hat die UNO-Resolution unwiderruflich den USA und ihrer Allianz überlassen. Insofern ist jedes moralische Stirnrunzeln über das amerikanische Vorgehen und seine Opfer schlicht sachfremd - es wird ja auch gleich wieder ausgebügelt mit der überlegenen Moral der militärischen Zweckmäßigkeit, die jedes Mittel heiligt, das und solange es sich als effektiv erweist. Und praktisch tauglich ist solches Moralisieren sowieso bloß dazu, der westlichen Kriegsallianz ein moralisch gutes Zeugnis auszustellen, weil sie ja nicht bloß Krieg führt, sondern auch noch selber den Part des grundanständigen Bedenkenträgers miterledigt.

2. Es hat allerdings nicht bloß diesen moralischen Grund, wenn mitten im schönsten Luftkrieg immer wieder öffentlich gezweifelt wird, ob der Krieg denn noch in Übereinstimmung mit der. UNO-Resolution 687 und der guten Meinung demokratischer Kommentatoren von seiner Gerechtigkeit verläuft. Das Ideal der sauberen Weltpolizeiaktion, deren menschen- und völkerrechtliche Qualitäten sich an ihrem Ablauf erkennen lassen sollen, ist als moralische Messlatte so beliebt, weil es in dem Fall nicht bloß für die besonders gute Kriegsmoral steht, sondern zur Bündnispolitik der Amerikaner auf der einen, ihrer Verbündeten auf der anderen Seite dazugehört.

Für die USA ist die UNO-Resolution gleichbedeutend mit ihrer Anerkennung als federführende Weltordnungsmacht; und weil es ihnen darum geht, berufen sie sich dauernd darauf. Auch die Art, in der sie den "Auftrag" der "Weltgemeinschaft" erledigen, soll deutlich machen, dass hier keine Konkurrenz zwischen souveränen Mächten ausgetragen, sondern ein längst feststehendes Unterordnungsverhältnis wiederhergestellt wird. Die dazugehörige Ideologie für den amerikanischen Hausgebrauch heißt schlicht "Kein Vietnam!": Der Krieg soll zur Demonstration, werden, dass kein feindlicher Staat gegen die US-Militärmacht irgendeine Chance hat.

Dieser politische Inhalt der amerikanischen Kriegsmoral bleibt den anderen Mächten nicht verborgen; und er ist ihnen gar nicht recht. Deswegen pflegen sie denselben Idealismus einer auftragsgemäßen, also einzigartig sittlichen Kriegführung ein wenig anders. Sie entnehmen der UNO-Resolution, die sie mitbeschlossen haben, ihr Recht darauf, den Sittenwächter zu spielen, und die amerikanische Berufung auf einen höheren Auftrag nehmen sie als Einladung dazu, kritisch zu begutachten, was die USA mit ihrem UNO-Freibrief anfangen. Nicht als ob sie ein alternatives Vorgehen vorzuschlagen hätten, geschweige denn durchsetzen wollten. Aber indem sie sich auf die gemeinsame Kriegsmoral berufen, um die amerikanische Kriegführung ein - wenig daran zu messen, stellen Mächte, die sich zu eigenem weltordnendem Eingreifen berufen wissen, klar, dass sie in Sachen Golfkrieg durchaus noch andere Gesichtspunkte kennen und Ziele verfolgen, als den totalen Sieg der USA. Um die erfolgreiche Zerschlagung der irakischen Militärmacht dürfen sich die Amerikaner kümmern - was daraus an neuen Frieden folgt, darf keineswegs dem Sieger überlassen bleiben.

3. Diese Art der Zustimmung, die zugleich Distanz ausdrückt, kehrt unübersehbar in den Hilfsdiensten wieder, zu denen die wichtigen Partnerstaaten der Freien Welt sich durch ihre alte Führungsmacht bitten lassen. Insbesondere die Deutschen verstehen sich darauf, Unterstützung zu gewähren und gleichzeitig deutlich, zu machen, dass sie sie gewähren; also ohne den Krieg, den sie unterstützen, in den Rang eines nationalenAnliegens - zu erheben. Während die USA sich auf die Beseitigung der "irakischen Gefahr" konzentrieren, haben die Deutschen mit ihrer Vereinigung und ihrem komplizierten Großunternehmen, den Rückzug und Zerfall der Sowjetmacht optimal für eigenen Machtgewinn auszunutzen, anderes und national gesehen Wichtigeres zu tun. Für die gemeinsame Aktion des Westens am Golf bleibt da nicht mehr und nicht weniger als ein mittelmäßig bedeutsamer Haushaltsposten. Daneben halten sich die Bonner Befehlshaber - auch dies ein deutliches Signal! - ein verstärktes militärisches Engagement bis hin zum Kriegseintritt durchaus offen; aber an Fronten, die sie definieren, und zwar nach anderen Kriterien als denen der unausweichlichen Bestrafung Saddam Husseins, die die USA geltend machen. Deutschland will für sich keinen anderen Kriegsgrund gelten lassen als den NATO-Fall, also eine Ausweitung des Krieges auf die Türkei; allenfalls könnten auch die von den Nazis ermordeten Juden ein Engagement an der Seite Israels gebieten - auch das ein Vorbehalt für den Fall, dass die Angelegenheit sich zu einem größer angelegten Umräumen im Nahen Osten ausweitet, bei dem die deutsche Militärmacht dann nicht fehlen dürfte. Der amerikanische Kriegsgrund jedenfalls ist den deutschen Weltpolitikern nicht die Grundgesetzänderung wert, die längst beschlossene Sache ist.

Umgekehrt besteht die deutsche Regierung darauf, dass die alten Partner und vor allem Amerika ihren Einsatz im Osten, insbesondere ihren Beitrag zu einer zweckmäßigen Lenkung der sowjetischen Staatskrise - die nicht aufhören und gleichzeitig nichts gefährden soll - als Beitrag zu demselben Weltordnungsgeschäft anerkennen, das gerade am Golf durchgekämpft wird. Sie hält den Standpunkt der westlichen Bündnistreue hoch, der sich gerade in der Erfolgsphase des letzten Jahres so vollendet wie noch nie mit dem Weg der deutschen Nation in die höchsten Ränge der imperialistischen Hierarchie gedeckt hat. Sie erinnert an die bislang gültigen Gepflogenheiten der Einigkeit in der Hauptsache, der "Arbeitsteilung" bei ihrer Förderung und des erlaubten nationalen Sonderinteresses und -vorteils in diesem Rahmen, um für ihre Weltpolitik ganz andere Prioritäten zu setzen als die USA, und als die USAvon den Deutschen wünschen.

So entzieht sich die Bonner Regierung, dem amerikanischen. Anspruch, alle alternativen Gesichtspunkte und konkurrierenden Interessen weltpolitischer Art dem Projekt einer neu zu stiftenden amerikanischen Weltführerschaft unterzuordnen - und zwar, indem sie auf ihre bedingungslose Einordnung ins alte westliche Weltordnungssystem verweist; sie lässt sich sogar noch den Gesichtspunkt einfallen, dass ohne ihr erfolgreiches Wirken an der alten Ostfront wohl kaum die wichtigste Voraussetzung des derzeitigen amerikanischen Vorgehens am Golf, nämlich die Einbindung der Sowjetunion zustandegekommen wäre. So machen die Deutschen deutlich, dass von ihnen aus am alten westlichen Weltordnungspakt gar nichts verändert, geschweige- denn verbessert werden soll und kann. Im Namen der alten "Solidarität" nehmen sie sich die Freiheit, den neuen Unterordnungsanspruch der USA abzuweisen.

4. Nicht nur, dass die deutsche Regierung ihre eigenen Prioritäten setzt und ihrer nationalen Aufgabe im Osten, die ja NATO-Programm und auch als solches noch gar nicht fertig abgewickelt ist, Vorrang vor dem gewünschten Golf-Engagement gibt. Unter Berufung auf die bewährte Bündnispartnerschaft und auf ihre immerhin geleisteten Beiträge zum Krieg durchkreuzt sie das Interesse der USA, dass ihre Verbündeten bei der Herstellung und Ausnutzung der internationalen Ordnung das Konkurrieren unterlassen und Amerikas Nutzen mehren sollten.

Deutschland leistet seinen Beitrag zur Kriegskasse der Alliierten. Die Mittel dafür beschafft es sich im Zuge einer Finanzpolitik, die die starke deutsche Stellung am internationalen Finanzmarkt, das weltweite kapitalistische Interesse an Geldanlagen in D-Mark und deutschen Staatsschulden, bedenkenlos zum Nachteil der Partner und speziell der USA mit ihrem Finanzbedarf ausnutzt. Für die kapitalistische Herrichtung ihrer neuen Ostzone, für ihre Politik der "Hilfe", also der Schaffung wirtschaftspolitischer Machtpositionen in Osteuropa, und ganz nebenher auch noch für ihre Milliardenspende an die antiirakische Allianz leistet sich die Nation nicht bloß höhere Steuern, sondern erst einmal höhere Zinsen, mit denen sie den Reichtum der Finanzwelt für sich verfügbar macht und für alle anderen Nationen die Mittelbeschaffung verteuert. Die Partner müssen zusehen, wie sie ihren Kriegsbedarf in Konkurrenz zur soliden deutschen Schuldenmacherei finanzieren; und das in einer Konjunkturphase, in der sie ihrem nationalen Kapital gerade keine höheren Zinsen zumuten wollen. Die Amerikaner problematisieren mitten im schönsten Krieg dessen Kosten, zweifeln an seinem Ertrag, kämpfen mit ihren Finanzdefiziten, beschweren sich über ihre rücksichtslosen Konkurrenten, machen also deutlich, dass sie sich durch die vorherrschenden Strömungsrichtungen des kapitalistischen Reichtums der Welt nicht bloß benachteiligt, sondern geschädigt sehen. Und gerade wo sie auf eine fundamentale Korrektur ihrer weltwirtschaftlichen Konkurrenzlage drängen, verschärft Deutschland genau diese Konkurrenzlage und benutzt den Welterfolg seines Nationalreichtums und nationalen Geschäftsmittels dazu, den Geschäftsgang des Geldkapitals noch stärker auf die Bedienung eigener nationaler Interessen hinzulenken und den Konkurrenten das Leben noch schwerer zu machen.

Die amerikanische Forderung, das Konkurrieren zu lassen oder wenigstens die schädlichen Auswirkungen zu beschränken, beantworten die Wirtschaftspolitiker der deutschen Nation mit verschärfter Konkurrenz: Das und nicht die Milliardenspende für den Sieg der Alliierten ist ihr erster und entscheidender Beitrag zu der neuen Weltordnung, die hinterher erst richtig losgehen soll.

5. Ähnlich sehen die Beiträge, der deutschen und anderer europäischer Regierungen zur westlichen Kriegs- und Nachkriegsdiplomatie im Nahen Osten aus. Zweifel am amerikanischen Kriegsziel finden nicht statt; die gemeinsame Kriegserklärung per UNO-Resolution und die zu. Lasten Saddam Husseins entschiedene Kriegsschuldfrage decken alle Differenzen zu. Und unter Berufung auf diese unzweifelhafte Einigkeit gehen die Außenminister ans Werk: Sie bereisen die Anrainerstaaten um gern einsam mit den dortigen Kollegen schon mal "über das Kriegsende hinaus" zu denken. Sie treffen sich mit den neulich noch so verfemten Führern des Iran, die dadurch regelrecht zu Vermittlern und Friedensmaklern aufgewertet werden, um Chancen für einen Friedensschluss zu erkunden und Verbindungslinien für die demnächst fällige Neuordnung der Region herzustellen. In tiefster Solidarität mit den USA operieren sie weltordnungspolitisch schon mit deren Sieg, noch, bevor er errungen ist.

Und noch ehe klar ist, was sie überhaupt an Nachkriegsordnung anstreben, in Übereinstimmung mit amerikanischen Plänen oder in Gegensatz dazu, wird auf diese Weise jedenfalls das Eine klargestellt: Die Deutschen und ihre Mit-Europäer sind zwar dafür, dass die USA - nachdem sie nun schon damit angefangen haben - den Krieg gewinnen und mit ihrem Sieg die neue Ausgangslage am Golf herstellen. Sie sind aber vor allem fest entschlossen, die Bestimmung und Ausnutzung dieser Lage nicht den USA zu überlassen. Sie rechnen dabei gar nicht erst mit einem bündnispartnerschaftlichen Vorgehen ihrer, Führungsmacht oder auf so etwas wie ein Mitwirkungsrecht an den Verhältnissen, die die amerikanische Allianz herstellt. Sie stellen sich im Gegenteil darauf ein, dass sie es mit einem Monopolanspruch der USA zu tun bekommen. Und sie tun alles, diesen Anspruch von vornherein zu, durchkreuzen; eben indem sie sich vorab in jeden politischen Ordnungs- und Regelungsbedarf einschalten. Den USA soll, wenn es nach ihren europäischen Partnern geht, keinerlei politischer Vorteil daraus erwachsen, dass sie die kriegführende und -entscheidende Partei sind und die Ausgangsbedingungen für die Nachkriegsordnung am Golf herstellen.

So nehmen Amerikas Verbündete schon in den Wochen des Krieges ihren diplomatischen Kampf gegen jeden amerikanischen~Kriegsgewinn und für den eigenen auf. Unter heftiger Berufung auf die Identität der Zielsetzung bestreiten sie ihrer Führungsmacht deren Weltmachtinteressen. Und sie stellen damit klar, dass die Welt sich von der neuen Weltordnung vor allem eines erwarten darf: die rücksichtslose imperialistische Konkurrenz der Haupt- und Führungsmächte des Freien Westens.

12.

Nachdem der totale Bombenkrieg das erwünschte Maß an Wirkung erzielt hat - die irakischen Truppen sind sturmreif -, gerät einen Tag lang noch einmal die internationale Diplomatie in Bewegung. Die Sowjetunion hält den Zeitpunkt für gekommen, ihre Lesart von der Mission der Weltgemeinschaft in einen Vorschlag zur Regelung zu übersetzen. Ihr Plan sieht ein Nachgeben des Irak in Sachen Kuwait vor - und im Gegenzug die Bereitschaft -der Alliierten, ohne die Bedingung eines totalen Sieges in eine "Lösung einzusteigen, Sowohl der Irak als auch die Sowjetunion, ebenso die übrigen an einer neuen Nahost-Ordnung interessierten Mächte, die mit Ausnahme- der USA kurzfristig in Moskau zu Gast sind, sollen wie die USA ihr Recht auf Mitwirkung geltend machen.

Während sich der Irak durch diese Initiative beeinflussen lässt, verläuft der Test auf die Bereitschaft der USA, von ihrem militärischen und politischen Kriegsziel abzurücken, weniger erfolgreich. Für die Amerikaner enthält der Vorschlag schlicht zuviel an Entgegenkommen gegenüber dem Irak, nimmt sich aus wie dessen Rettung widerspricht also ihrem Verständnis von dem Mandat, das sie sich von . der UNO haben erteilen lassen. Dieses Verständnis buchstabieren sie dem Feind als Ultimatum: Kapitulation oder Krieg bis zum bitterem Ende.

1. In einer bestimmten, recht fortgeschrittenen Kriegsphase: vor dem Übergang von der Vernichtung der irakischen Militärmacht aus der Luft zur Rückeroberung Kuwaits und der Verhaftung der Restbestände der feindlichen Armee, hat die sowjetische Regierung eine diplomatische Intervention versucht. Sie schlägt ein Arrangement vor, wonach der Irak sich allen UNO-Forderungen unterwerfen und dafür so etwas wie einen ehrenvollen Abzug bekommen soll.

Mit diesem Vorschlag bringt sich die Sowjetunion als das in Erinnerung, was sie schon immer weltpolitisch hat sein wollen und womit Gorbatschow auf seine Weise radikal ernst macht: als "Weltfriedensmacht". Also zum einen als Weltmacht, die fähig wäre, den Verlauf des Krieges zu, bestimmen, sogar sein Ende herbeizuführen, weil er ohne ihre Zustimmung erst gar nicht in Gang gekommen und schon gar nicht so frei nach amerikanischem Drehbuch durchzuführen wäre. Zum andern als weltpolitische Partei, die allen Grund hätte, den USA die Freiheit zur Kriegführung streitig zu machen, weil sonst nämlich alle internationalen Verhältnisse in letzter Instanz zu einer Gewaltfrage werden, die die USA nach ihrem Ermessen entscheiden. Mit ihrem Aufruf zum Waffenstillstand erinnert die Regierung in Moskau an ihre Fähigkeit und bekundet ihre Bereitschaft, die Herstellung einer neuen Lage am Golf nicht den Amerikanern allein zu überlassen. Sie wird damit für zwei oder drei Tage zur Anlaufstelle und einer Art Hoffnungsträger für interessierte Staaten, die sich durch das amerikanische Vorgehen von jeder Mitentscheidung über die zukünftigen politischen Verhältnisse am Golf ausgeschlossen sehen.

Mehr als eben diese diplomatische Geste steht für die sowjetische Führung allerdings gar nicht .zur Debatte. Sie tut nichts, um den amerikanischen Kriegswillen zu durchkreuzen oder zu bremsen oder auch nur Grenzen seiner Betätigung aufzuweisen. Eine Drohung mit eigenen Fähigkeiten, den Gang der Dinge zu beeinflussen, kommt nicht ins Spiel - also auch überhaupt keine ernstzunehmende Forderung an die amerikanische Kriegspartei, irgend etwas zu tun oder zu lassen. Die ganze sowjetische Initiative richtet sich praktisch nur an die irakische Seite: Der wird ein letztes Angebot unterbreitet, sich ehrenhaft zu unterwerfen. In dem Sinne wird es vom Irak auch akzeptiert - und zugleich durch das amerikanische Ultimatum einer unehrenhaften Unterwerfung überholt. Gegen den Willen der kriegführenden USA wollen die sowjetischen Diplomaten ihrem irakischen Verhandlungspartner nämlich nicht einmal die "Chance" eröffnen, sich lieber ihnen als den amerikanischen Truppen zu ergeben. Sie bestehen gar nicht auf einer eigenen "Lösung", sondern haben im Endeffekt nur auf diplomatischem Wege den Irakern den Kriegserfolg der USA und ihrer Allianz vor Augen geführt und bekräftigt, dass sie dazu keine Alternative zu bieten haben. Dass sie einen Waffenstillstand "anbieten", den sie gar nicht gegen die USA durchzusetzen gedenken, ist schon die ganze diplomatische Alternative der sowjetischen Friedensmacht.

2. Schon dieses "Angebot ist den USA gar nicht recht.

Erstens gibt der Kriegsverlauf für die amerikanischen Befehlshaber überhaupt keinen Grund dafür her, dem Feind so etwas wie einen ehrenvollen Frieden, Waffenstillstand oder auch nur Abzug zu gestatten. Man hat die irakischen Truppen weitgehend genug vernichtet und gut genug im Griff, ist also dem Ziel ihrer bedingungslosen Kapitulation nahe genug, um irgendwelche Abstriche davon überhaupt nicht in Betracht zu ziehen. Gründe für ein vorzeitiges Haltmachen hätten aus der politischen Kalkulation mit dem Kriegsergebnis folgen müssen. Die spricht aber ganz im Gegenteil erst recht gegen jede Kompromissbereitschaft.

Am sowjetischen Versuch, dem Irak den Ausweg einer ehrenhaften Kapitulation ohne Landkrieg zu eröffnen, stört die USA nämlich zweitens eben dies, dass sich damit die sowjetische Seite überhaupt als Macht zurückmeldet, die am Golf irgend etwas mitzubestimmen hätte. Sofort ist in der westlichen Welt von der Gefahr die Rede, die Sowjetunion könnte von ihrer erfreulich "konstruktiven Rolle" als bedingungsloser Ja-Sager im UNO-Sicherheitsrat und ansonsten nicht vorhandene Weltmacht abrücken und versuchen, sich wieder einzumischen. Und sogleich ist die Klarstellung fällig, dass der in diesem Punkt durchaus einige Westen nicht gewillt ist, der Sowjetmacht auch nur den Schatten einer eigenständigen Einmischung in die so erfolgreich verlaufende freiheitliche Weltordnungsaffäre zu gestatten. Gewiss, in einigen europäischen Hauptstädten wird Gorbatschows Initiative "begrüßt", weil man dort die Freiheit zu schätzen und zu gebrauchen wüsste, die ein handfesterer sowjetischer Einspruch gegen die amerikanische Alleinzuständigkeit am Golf den Mitmachern aus dem zweiten Glied eröffnen könnte; schließlich hat man da Erfahrung in dieser Sorte "Friedenspolitik". Für einen sowjetischen Erfolg macht sich aber auch in Bonn niemand stark. Und in Washington jedenfalls hält man schlicht am, Kriegsprogramm einschließlich längst feststehendem Zeitplan fest, sagt das übrigens auch deutlich genug, räumt dem sowjetischen Partner immerhin höflich die Gelegenheit ein, sich innerhalb dieser Planung nach Gutdünken diplomatisch zu betätigen, hebt am vorgelegten Plan die Punkte lobend hervor, in denen Gorbatschows Diplomaten mit dem eigenen Standpunkt übereinstimmen, und erklärt, wiederum sehr höflich, alle abweichenden Vorstellungen, etwa über Waffenstillstandsfristen, für gegenstandslos, - alles in allem ein Hohn auf das diplomatische Theater aus Moskau. Was unter den Bedingungen einer sowjetischen Drohung so etwas geworden wäre - und womöglich auch so gemeint war - wie ein Test des Friedenswillens und der Bereitschaft der USA, sich mit dem Moskauer Partner ins Benehmen zu setzen, wird von der amerikanischen Diplomatie umgedreht in einen Härtetest auf die sowjetische Entschlossenheit, in dieser exemplarischen Weltordnungsaffäre den USA die alleinige Federführung zu überlassen und sich zu deren Linie keinerlei Differenz zu gestatten.

Und amerikanische Linie ist es - dies der dritte und entscheidende Gegensatz zur Tendenz des sowjetischen Waffenstillstandsbemühens - mit dem Krieg mehr zu erreichen als irgendeinen Rückzug der irakischen Armee aus Kuwait, den der Gegner womöglich noch beschönigen kann. Die USA wollen einen zweifelsfreien militärischen Sieg. Dieses eindeutige Kriegsziel ist der Weltöffentlichkeit gerade am Umgang der Bush-Regierung mit Gorbatschows diplomatischem Manöver so richtig aufgefallen; und ihre Meinungsbildner haben sich ihren verständnisvollen Vers darauf gemacht: Bush hätte es auf einen glorreich gewonnenen Krieg angelegt, um das "Vietnam-Trauma" seines Volkes - zum wer-weiß-wie vielten Male! - auszulöschen, oder um die nächsten Wahlen zu gewinnen, oder weil er sich und seine Nation gar so sehr auf das Feindbild von Saddam Hussein als zweitem Hitler und auf den Glauben an Amerikas moralische Mission festgelegt hätte. Solche wohlmeinenden Bemühungen, die amerikanische Kompromissunwilligkeit menschlich verständlich zu machen, liegen zwar daneben, weil sie in der durchaus bemerkten Unversöhnlichkeit und dem Beschluss der US-Regierung, ihren Kriegswillen nicht von einer "verspäteten" Nachgiebigkeit ihres Feindes abhängig zu machen, gar keinen politischen Zweck erkennen wollen. Sie sagen aber immerhin einiges darüber aus, wovon politische Gemüter sich beeindrucken lassen - nämlich schlicht vom Erfolg staatlicher Gewalt, und dass einer Nation nichts so wichtig ist, wie ein gelungener Beweis ihrer Macht. Und diese "Lehre" kommt der politischen "Lektion" denn doch schon sehr nahe, welche die US-Regierung dem Rest der Staatenwelt am Fall Irak erteilen will. Der Erfolg, um den es ihr geht, ist eben der unanfechtbare, durch nichts zu relativierende Beweis ihrer Macht, die Fügsamkeit anderer Souveräne zu erzwingen, sie also widrigenfalls zu vernichten. Die Demonstration der Konkurrenzlosigkeit ihrer weltweit präsenten militärischen Gewalt einschließlich ihrer Fähigkeit, die jeweils zweckmäßigen Bündnisse herzustellen und aus eigener Kraft zum Sieg zu führen, ist kein Nebeneffekt der "Befreiung Kuweits", sondern der übergeordnete und eigentliche imperialistische Sinn des ganzen Unternehmens, auf den es der US-Regierung dementsprechend angekommen ist. Und den sie sich deswegen durch die matte sowjetische Intervention nicht hat kaputtmachen lassen. Sie stellt daran im Gegenteil noch einmal klar, wie kompromisslos und totalitär sie ihre kriegerische Abschreckungsmacht zu handhaben weiß und gedenkt.

3. Die sowjetische Seite hat ihre Abfuhr in demselben konstruktiven Geist bewältigt, in dem sie ihren "Vermittlungsversuch" überhaupt unternommen hat. Sie sieht darin keinen Grund, von der amerikanischen Position abzurücken, sondern ein letztes Argument dafür, sich auf deren Seite zu stellen, weil die USA ja ohnehin mit ihrem Vorgehen in letzter Instanz Recht behalten - eben weil sie es schaffen; aber dies "weil" ignoriert die sowjetische Regierung souverän. Von der Bush-Administration blamiert, beeilt sie sich, durch Zustimmung zur amerikanischen Politik ihre Blamage und Zurückweisung ungeschehen zu machen und darüber das ihr zugestandene formelle Mitwirkungsrecht zu wahren - so dass zunehmend unklar aber auch zunehmend gleichgültig wird, ob sie zu etwas anderem bloß nicht bereit oder schon nicht mehrfähig ist. Der Sowjetpräsident erhält auf diese Weise den Schein, aber auch bloß noch den Schein aufrecht, die westliche Weltmacht wäre für ihr militantes Vorgehen irgendwie noch auf das sowjetische Einverständnis, eine Genehmigung aus Moskau angewiesen - eben in dem er jede Differenz vermeidet, die entweder eine wirkliche Intervention erfordern oder den Schein des notwendig einvernehmlichen Zusammenwirkens in letzten Weltordnungsfragen zerstören würde. So erfüllt sich endlich der Anspruch der Sowjetunion, anerkannte Weltfriedensmacht zu sein - eben darin, dass sie es nur noch genau nach den Vorgaben sein will, die die amerikanische Gewalt für den Weltfrieden setzt.

Dass sie sich mit dieser Politik des totalen Appeasement nur zum Schein eines Mitgestalters der Weltpolitik aufschwingt, in Wirklichkeit vom mitentscheidenden Subjekt zum dicken Problemfall der Weltordnung herabsetzt, wird die Sowjetunion in den nächsten Phasen ihres Zerfalls zu spüren kriegen.