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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1991 erschienen.

Systematik

Gorbatschow zieht Scheine aus dem Verkehr
EIN UNVERHOFFTER SIEG DES MONETARISMUS - AUSGERECHNET IM KREML

Der Russe ist so, wenn er etwas glaubt, dann glaubt er mit Haut und Haaren. Zur Zeit stehen in der Sowjetunion Einsichten in den Wert des Geldes hoch im Kurs, die zwar im Freien Westen erfunden worden sind, wo aber alle Wirtschaftsminister und Bundesbanker, allein schon wegen ihrer Achtung des Eigentums davor wären, wenn sie jemand "anwenden" wollte. Die monetaristischen Erfinder der Idee, daß es furchtbar auf die Menge des Geldes ankäme, haben im übrigen immer nur an die staatliche Kreditpolitik und nicht an die Anzahl der Zettel gedacht, auch wenn sie die beiden Sachen nie ganz genau auseinanderhalten konnten.

Der russische Präsident hat jetzt also mit der Idiotie vom 'zu vielen' Geld einmal ernstgemacht, 1. weil er sich energische Maßnahmen gegen die Zerrüttung schuldig ist, 2. weil er "ungerechte Gewinne" für einen Grund der Zerrüttung hält und auch dem Gerechtigkeitsempfinden seines Volkes etwas bieten will und 3. weil er sich zwei in seiner Nation frisch entdeckte Lehrsätze zu eigen gemacht hat: Wenn das Geld richtig funktioniert, gibt es eine flotte Marktwirtschaft. Wenn das Geld nicht so funktioniert, wie man es sich von ihm erwarten darf, liegt das an seiner Menge, weil 'zu viel' davon da ist. Dann geht das Geldverdienen nämlich 'zu leicht' und es wird nicht mit dem gehörigen Eifer produziert. Deshalb will er jetzt alle 50- und 100-Rubelscheine aus dem Verkehr ziehen lassen, damit die Geldmenge reduziert wird und vor allem die unsittlichen Mengen davon, die in Gestalt dieser Scheine bei den "Spekulanten" lagern.

Daß sich der Präsident lieber seine Gedanken über das "Leben" und seine "Forderungen" anstatt über Politische Ökonomie zu machen pflegt, rächt sich in gewisser Weise auch an seiner jetzigen Entscheidungsfreude. Es verträgt sich nicht besonders gut, erst einen "Markt" und Geschäfte zuzulassen und zu ermuntern und dann gegen"ungerechte Gewinne" vorzugehen. Das läßt sich nämlich schlecht auseinandernehmen.

Sein jetziger Schlag mag das Geldvermögen der Spekulanten, soweit sie es in diesen Rubel-Scheinen aufbewahren, treffen, aber eben nicht deren Geschäftsgrundlage. Die Genossen Spekulanten haben prompt mit der Verdopplung der Schwarzmarktpreise reagiert - die längst weit mehr als "Schwarzmarkt"-Preise sind. Es sind Preise, die sich der gelungenen Erpressung mit Waren verdanken, von denen es nicht genug und im Staatshandel fast gar nichts mehr gibt. Die Ersetzung der "Kommandowirtschaft" durch eine nicht-vorhandene Marktwirtschaft hat nicht mehr bewirkt, als daß die bis dahin per Kommando organisierte Produktion und Versorgung zusammengebrochen ist. Wenn es aufs Geldverdienen ankommen soll, dann wird nicht mehr für den vorschriftsmäßigen Bedarf produziert, dann sucht sich jeder, der etwas verkaufen kann, die Wege, auf denen er möglichst viel herausschlagen kann. Und je mehr die Not wächst, umso schönere Preise lassen sich verlangen.

Wie soll das am Geld zu reparieren gehen, wenn das Erpressungsgeschäft unter dem Namen 'Markt' höchstoffiziell eingeführt worden ist? Was soll sich an der Erpressung, die die kaputtgegangene Versorgung mit Wucherpreisen ausnützt, dadurch ändern, daß das Geld weniger wird?

Was von diesem Bombenbeschluß bleibt, ist die Tatsache, daß ein Stück Zahlungsfähigkeit aus dem Verkehr gezogen wird. Und zwar weniger die der Spekulanten, die ja gar nicht am Weiterverdienen gehindert werden, sondern all der Leute die unglückseligerweise ein paar solche Scheine besitzen, die ihr Monatseinkommen übersteigen. Außer, daß die Leute verarmt werden, die gezwungenermaßen von ihrem Lohn und ihrer Rente leben müssen, bleibt also alles beim Alten: Der Staat setzt weiterhin mit seinem Haushaltsdefizit Zettel in Umlauf, die Spekulanten verdienen weiter an der Armut.