Info
Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1991 erschienen.
THESEN ZUR LANDLÄUFIGEN FRIEDENS- UND KRIEGSMORAL
1.
Am Golf ist Krieg. Dies sorgt in den kriegführenden Ländern des Westens - offenbar in Relation zu dem Engagement bzw. der Distanz der jeweiligen Regierungen - für eine gewisse Sorte von Aufregung, die so vorübergehend ist wie der Krieg eine temporäre Angelegenheit. Die Warnung, Frieden sei besser als Krieg, wird nicht nur in zahllosen Demonstrationen vertreten; auch diejenigen, die den Krieg ermöglicht haben, ihn organisieren und führen, sind um einen Titel nicht verlegen: "Krieg um Frieden". Frieden ohne/statt Krieg lautet das Bekenntnis, das die Demonstranten den Machern und Finanziers des Krieges entgegenhalten. Damit verstellen sie sich den Weg zu der einzig brauchbaren Frage - der nach der Notwendigkeit des Krieges. Warum ist in den USA und ihren kriegführenden Partnern der kleine Feudalstaat Kuwait einen modernen und mit allen militärischen Finessen durchgezogenen Krieg wert? Wer steht sich da gegenüber und was sind die jeweiligen Kriegsziele? Wer davon nichts wissen will, sollt besser erst gar nicht protestieren. Er weiß nämlich nicht, wogegen er anrennt - auch wenn er vor einem US-Konsulat herumsteht -, wer seine Gegner sind, und er will auch nicht wissen, dass die westliche Kriegsallianz mit seinem Bedürfnis nach Frieden nichts gemein hat. Es ist verkehrt, die Entscheidungen der Politiker mit dem Hinweis zu konfrontieren, dass man von ihnen betroffen ist. Diejenigen, die ihr "Ich-habe-Angst" piepsen, sprechen noch im Augenblick ihres Erschreckens ihr Vertrauen in die Politik aus. Ganz als wäre diese eine Veranstaltung, die im Wohlbefinden braver Leute ihren höchsten Sinn findet. Die Friedensdemonstranten stellen ihre geballte Ohnmacht zur Schau und erinnern die Mächtigen daran, wie sehr das Schicksal von "uns allen" in ihren Händen liegt.
2.
Davon gehen die aus und verlangen Zustimmung statt Zweifel an ihren Entscheidungen. Sie "verstehen" den Protest als den Vortrag einer gemeinsamen Sorge - und pochen auf Gemeinsamkeit in der Sache. Mit der verlogenen Frage "Wo wart Ihr am 2. August!" machen sie den Demonstranten klar, welchen Auftrag sie sich von Demonstrationen gerne erteilen lassen. Der Anlass, den souveräne Weltpolitiker mehrerer Nationen in einem halben Jahr zu ihrem Kriegsgrund entwickelt haben, hätte der deutschen Jugend schon am Tag der Währungsunion den energischen Hinweis wert sein sollen: Lasst euch das nicht gefallen, macht den Verbrecher fertig! Regierende Parteigänger des Krieges warten mit Vorschlägen für Demonstrationen auf, die einer deutschen Friedensbewegung gut zu Gesicht stünden. Früher, als Saddam Hussein Kurden vergiftete, heute wo im Krieg Raketen auf Israel fallen. Diejenigen, die seinerzeit Protestaktionen in Sachen deutsches Giftgas auf kurdische Dörfer strafrechtlich verfolgten und heute ganz bestimmt nicht zum Schutz israelischer Bürger den Irak zusammenbomben, verklären ihren Krieg zu einer Fürsorgeaktion für Opfer, die doch auch der Friedensbewegung am Herzen liegen. Die Frage nach den Kriegsgründen ist hier die letzte, die sich stellt. Die Antwort ist schlicht vorausgesetzt: Wie immer in der Geschichte liegen die beim Feind. Man soll gefälligst Partei ergreifen für den gerechten Krieg der USA und ihrer Verbündeten. Nun zeigt sich, dass das ein halbes Jahr gepflegte Feindbild seinen Dienst tut: Der Gegner sitzt in Bagdad und besteht eigentlich nur aus einer Person. Wer das bezweifelt, vergeht sich an einer so heiligen Sache wie der von der "Völkergemeinschaft" sanktionierten Bestrafung des "Aggressors Irak". Dieser Standpunkt ist mit einer fraglos höheren Moral versehen - umso unerbittlicher verfolgt er alle von der offiziellen Linie abweichenden Meinungen. Verlassen kann er sich dabei auf die Öffentlichkeit bzw. die Meinungsmacher in den Redaktionsstuben und Sondersendungen. Hier ist man immer schonungsloser realistisch: Alles Hin- und Herwenden von Pro und Contra, um sich auf mitunter vertrackte Weise zu einem Pro für die staatliche Politik durchzuarbeiten, ist einem Deuten auf die politisch gesetzten Fakten gewichen, die für sich sprechen sollen. Der wahrgemachte Kriegsbeschluss zählt als Argument, so dass die sorgenvolle Kriegsberichterstattung schon die ganze parteiliche Botschaft ist, die die Öffentlichkeit ausbreitet. Da werden Treffer gezählt, Nachschubprobleme erörtert und kriegsübliche Brutalitäten - des Gegners natürlich - berichtet. Jede Kriegshandlung ist im Falle Saddam Husseins nur ein weiterer Beweis seiner Heimtücke. Und wie immer in solchen Zeiten hört man von den Schwierigkeiten des Journalistenstandes, direkt und ungeschminkt von der Front berichten zu können. Als ob mehr echte facts und figures etwas an der Botschaft und Parteinahme ändern würden, die auch ohne sie locker zustande kommt.
3.
Unterstützt wird die offizielle Klärung zwischen Freund und Feind von so manchem prominenten Grünen oder Friedensbewegten selber: Blauäugigkeit angesichts der Realitäten, plumper Anti-Amerikanismus, keine glaubwürdigen Alternativen zum Kriegskurs der USA - so oder ähnlich lauten die Selbstanklagen. Bedauert wird von diesen ideologischen Vorreitern die Differenz zur offiziellen Politik, vor der man sich nicht unglaubwürdig machen will. Die Demonstranten selber beweisen ihre Parteinahme für die 'normale' Politik ihrer gewählten Staatsmänner, wenn sie auf keinen Fall die Verurteilung des Irak vergessen - also mit dem Pentagon in der Schuldfrage übereinstimmen - oder sich immer genau an die Instanzen wenden, die gerade den Krieg besorgen. Diese lägen eigentlich mit ihrer militärisch untermauerten Zuständigkeit ganz richtig, wenn sie sich nicht, so wie im Augenblick, für Krieg entschieden hätten. Darin sind die Friedensfreunde unerschütterlich. Jeden Kriegsfortschritt, der die Entschlossenheit der kriegführenden Politiker dokumentiert, begleiten sie mit Appellen, sich die Sache mit dem Krieg noch einmal zu überlegen und doch lieber zur Diplomatie zurückzukehren.
Für Frieden sein und gegen Krieg ist also eine eigenartige Sache: Sie bestätigt die Moral, mit welcher die "Weltengemeinschaft" ihren gerechten Krieg gegen Saddam Hussein führt. Wer vor dem letzten Mittel der Politik zurückschreckt, hat gegen ihren gewöhnlichen Gang nicht viel einzuwenden. Wer sich erst im Kriegsfall und nur an den Mitteln der herrschenden Politik stört, wendet sich von dieser Politik nicht ab und will nicht ihr Gegner sein.
4.
Der Kriegsmoralismus hat es angesichts des zum Protest angetretenen Glaubens an das Recht, dem die Weltpolitik dienen müsse, nicht schwer. Wenn durch kriegerische Gewalt das Recht in der Staatenwelt neu festgelegt wird, dann ist es für die Befürworter des Krieges eine ausgemachte Sache, dass sie sich beim Bomben und Schießen auf das Recht verpflichtet. Insofern zeugt die Phrase "Leider geht es nicht anders!" auch nicht von einem schlechten Gewissen, sondern von einem guten. Sie bedeutet, an die Adresse der Friedensfreunde gerichtet, dass sie von den angerufenen Verfechtern des Friedens und des Völkerrechts doch nicht im Ernst verlangen können, untätig und ohnmächtig zu sein, wo die alle Gewaltmittel in der Hand haben, Recht zu setzen. Der Krieg ist notwendig und vernünftig dazu.
Den Friedensfreunden wird triumphierend die (In-)Konsequenz ihrer Denk- und Verhaltensweise vorgeworfen: 'Was wollt Ihr denn tun, wenn die Sanktionen nicht greifen?' Wer gegen den Rechtsbrecher ist, der muss eben auch zu allem bereit sein! Und den Einsatz der Waffen von denen vollziehen zu lassen, die sie - zufällig - haben. Weil sie nämlich für die Sicherung ihres Rechts und ihres Friedens in jeder Weltgegend gerüstet sind. Man kann also ganz leicht für Gewaltanwendung in jeder Größenordnung sein, wenn man ihr Verhältnis zum Recht auf den Kopf stellt.
Und wenn die mit solcher Mission betrauten heiligen Krieger des Völkerrechts zu der Mannschaft gehören, mit der man ohnehin schon in allen Dingen des täglichen Lebens zu einem nationalen "Wir" zusammengeschlossen ist, dann geht der Krieg gleich doppelt in Ordnung. Er dient unserer Sache. Die forschesten Nationalisten sind die größten internationalen Gerechtigkeitsfanatiker. Sie erinnern auch prompt jeden Demonstranten an den Vorteil, den die Schutzmacht USA uns Deutschen gebracht hat: Bis zur deutschen Einheit hin verdanken wir ihr praktisch alles. Und was Israel angeht, geht es darum, die Rolle dieses Staates als allzeit kriegsbereiter Vorposten des Westens so zu würdigen, dass sie uns Deutschen als gerechte Sühne für die Opfer von Auschwitz einleuchtet.
5.
Wer politische Führer - der USA, der deutschen Nation, der UNO-Weltgemeinschaft - zur Bewahrung des Friedens und zu Verhandlungspausen auffordert, ja verpflichten will, bezeugt ein sehr weitgehendes Einverständnis mit ihren Leistungen. Seine Opposition betrifft eben nur die gerade vollstreckte Ausnahme. Es ist, als wollten die für eine Politik der Friedenserhaltung eingetretenen Bürger - obwohl gar keine Wahlen stattfinden bzw. gerade erst stattgefunden haben - ihre Staatsmänner noch einmal ausdrücklich zu allen Handlungen ermächtigen, zu denen diese eh schon befugt sind, außer eben zum Krieg. Mit dem Idealismus "Gewalt darf kein Mittel der Politik sein!" setzen sie sich für das Gelingen dieser Politik ein. Wer erst Sanktionen wirken lassen will, setzt auf den ach so friedlichen Charakter von Aufmarschieren, Erpressen, Aushungern, Sich-gefügig-machen - weiß also, mit welchen Mitteln so ein Friede durchgesetzt gehört. Friedensbewegte Bürger werden auf diese Weise kritisch gegen ihre Kriegsherren: Ganz im Sinne von deren Vorhaben erinnern sie daran, wie ein Sieg zu erringen wäre - nur mit anderen Mitteln halt. Es ist, als ob dieser Bürger sich noch einmal extra mit ihren Regierenden, diesen verhinderten Kriegsverhinderern, einverstanden erklären wollten, wenn sie ihnen alternative Wege für das gemeinsame Ziel vorschlagen. Diese Haltung macht ernst mit der freien Unterwerfung unter die vom Staat gesetzten Zwecke im Umgang mit widerspenstigen ausländischen Potentaten. Ein schöner Protest!
6.
Dieser Protest schätzt zwar den Krieg nicht, gesteht aber den Regierungen, die ihn gerade führen, noch bei der Organisation ihres mörderischen Treibens die besten Absichten zu. So kommen Parolen zustande wie die: "Krieg löst keine Konflikte!" Dass die eigene Nation mit der überparteilichen Aufgabe betraut sei, schlichtend, ausgleichend und versöhnend zu wirken, wird geglaubt. Auch und erst recht dann noch, wenn sich diese Staaten unmissverständlich als "Konfliktpartei" definieren und zuschlagen. Wenn sie die Interessen von Nationen, die ihnen in die Quere kommen, mit Gewalt niedermachen, also Krieg für die einzige Lösung halten.
Freilich ist den Kriegsherren besagter Glaube ganz recht. Sie sehen sich zum Krieg ja auch nur deswegen genötigt, weil sich der Feind den in der Völkergemeinschaft üblichen Wegen der "Konfliktlösung" widersetzt. Das ist die Tatsache, auf die wir reagieren: Tatsachen, die mit unserem Interesse und unserem weltpolitischen Vorgehen nichts zu tun haben, - Tatsachen, die wir allerdings aufgrund unserer Verantwortung für den Gang der Politik zwischen Staaten zu korrigieren haben. Das muss so gut wie möglich erledigt werden. Der Zwang zu einem schnellen Sieg und zum Zusammenhalten der Kriegsallianz gebiete selbst ein "brutales Vorgehen". Anders lässt sich der "Teufel von Bagdad" eben nicht niedermachen. Und ein Meuchelmord kann dieser guten Sache auch nur nützen.
7.
Wer als gebildeter und wohlmeinender Mensch um die Notwendigkeiten einer "Weltordnung" weiß, diese Vorstellung noch gar nicht "Weltfriedensordnung" nennt, leidet an polit-moralischer Geschmacksverirrung. Er malt sich eine Staatenwelt aus, in der die einzelnen Nationen ihre Interessen miteinander abstecken, in der jedes nationale Interesse seinen Platz hat und seine Schranken dazu. Er wünscht sich, dass dieses System wechselseitiger Abhängigkeit funktioniert und gegen alle Gefahren seiner Zerstörung garantiert wird. Und dabei kennt ein Friedensfreund auch den kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen den Nationen. Für die einen - wie z.B. den Irak - sieht er den Auftrag vor, sich einzuordnen in die Weltgemeinschaft. Andere Nationen dagegen - z.B. unsere - sind beauftragt, darüber zu wachen, dass Verstöße gegen diese Gemeinschaft unterbleiben und alle sich ihr unterordnen. Die Politiker der Nation weiß er nicht nur als Beauftragte ihrer anerkannten besonderen Interessen, er verpflichtet sie auch noch auf eine Ausübung ihrer Macht, die sich dem Erhalt der gesamten "Weltfriedensordnung" verschreibt. Es ist ihm geläufig, dass eine politische Führung dieser Verantwortung nur entsprechen kann, wenn sie über die Machtmittel, und zwar über überlegene, verfügt. Die Befähigung, in jeden Erdenwinkel nach dem Rechten zu sehen, jeden Verstoß gegen das zum Frieden ernannte Kräfteverhältnis zu ahnden, halten Freunde des ewigen Weltfriedens allemal für erforderlich. Insofern sind sie schon ziemlich realistisch mit ihrem Ideal, an das sich alle Nationen in guten wie in schlechten Tagen halten sollen. Bloß nicht ganz.
Sie ersparen sich nämlich die Einsicht, dass sie mit ihrer Vorstellung eines verlässlichen und verträglichen Umgangs der Nationen untereinander nichts geringeres in die Welt gesetzt haben als einen Aufruf zur Konkurrenz um die Ordnung der Welt. So richtig die Welt ordnen und alle bei der Stange halten kann eben doch nur der, der den ganzen Staatenhaufen zur Ordnung zwingt. Der sie von abweichenden Vorstellungen über ihre Rechte und die anderer verlässlich abschreckt und ihnen im Ernstfall ihre Pflichten klarmacht.
Diese Wahrheit des Ideals einer "Weltfriedensordnung" vertreten diejenigen, die dieser Tage in seinem Namen Krieg führen. Sie buchstabieren es allen Friedensfreunden vor, dass das Völkerrecht zwar als Leitfaden der Weltpolitik gute Dienste tut, aber viel besser bedient ist, wenn man es - als Kriegsergebnis - herstellt.
Eine nützliche Nebenwirkung geht von seinen hehren Prinzipien aber auch noch aus. Mit ihrer Hilfe kann sich die ach so betroffene Manövriermasse der Weltpolitik moralisierend an ihr beteiligen, als wäre sie ihre Sache.
8.
Darin üben sich dieser Tage auch ein paar weltpolitische Amateure deutscher Nation. Und was müssen sie feststellen? Dass diejenigen, die kraft ihrer Ausstattung das Recht zur Beaufsichtigung und die Pflicht zum Ordnen wahrnehmen, sehr unverantwortlich sind. Die eigenen Leute konnten sich nicht durchsetzen, haben sich zu wenig eingesetzt und ein bisschen gebricht es ihnen auch an Schlagkraft. Das ist sie, die Nostalgie einer Friedenspolitik, die den wachsenden Einfluss deutscher Gelder und Genscher in den letzten Jahrzehnten bestaunt und verehrt. Und darüber vergisst, wieviel (Bündnis-)Gewalt dieser Politik den Weg geebnet hat. Und glaubt, dass "wir" in diesen Krieg "hineingezogen" werden. Dabei besteht die einzige Distanzierung der Bundesrepublik in dem Bedauern, dass sie den laufenden Fall von Weltordnung nicht in eigener Regie erledigen kann. Ansonsten besteht sie Tag für Tag mehr auf ihrer Mittäterschaft. Schon in ihrem Interesse an einer künftigen Beteiligung am Weltfrieden.