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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1991 erschienen.

Systematik

Österreich
DIE NEUTRALITÄT NACH DER AUFLÖSUNG DES OSTBLOCKS

Ein Fauxpas sondergleichen soll er gewesen sein, der Auftritt Jörg Haiders Mitte September 1990. "Mitten im Wahlkampf", "im Ausland", noch dazu und ausgerechnet "in München", kurzum: zur falschen Zeit und am falschen Ort habe er seine Überlegungen darüber angestellt, ob Neutralität und Staatsvertrag noch in die europäische politische Landschaft passen. Der Sache nach freilich goldrichtig. Und deswegen hat die Nation seither eine "Neutralitätsdebatte".

Historisches: Eine schwere Geburt

Österreich hat sich 1955 für "immerwährend" neutral erklärt. Weitsichtig stellten die Väter der Neutralität schon damals ausdrücklich klar, dieselbe sei kein Selbstzweck:

"Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehende Mitteln verteidigen. " (Bundesverfassungsgesetz vom 26.10.1955 über die Neutralität Österreichs)

So weit, so normal: ein Staat gibt bekannt, daß ihm seine Souveränität das Höchste ist und er diese "mit allen Mitteln" zu behaupten gedenkt. Die Unabhängigkeit ist der Zweck, die Neutralität das Mittel.

Dieses Mittel ist allerdings ein sehr widersprüchliches; denn dieser Staat offeriert damit, seine Souveränität beim Einsatz des Militärs, also des letzten Mittels der Nation - auf sehr eigentümliche Art und Weise ausnützen zu wollen. Präventiv und gleich für "immer" erklärt der Staat, an den - damit unterstellten - Kriegen anderer Nationen nicht teilnehmen zu wollen, und verlängert dieses "Angebot" berechnend zum Anspruch, die werten kriegführenden Parteien sollten deswegen die eigene neutrale Souveränität achten. Von deren strategischen Kalkulationen hängt die dann im Ernstfall aber auch ab - weswegen die eigene Unabhängigkeit erst recht "verteidigungs"bedürftig ist. Der Anspruch auf Respektierung der eigenen "Unverletzlichkeit" ist also im Kriegsfall genau so respektabel wie das Militär, über das der Neutrale verfügt. Denn seine Freiheit, sich militärisch anderweitig nützlich zu machen und deswegen bei der eigenen Selbstbehauptung unterstützt zu werden, hat der neutrale Staat ausdrücklich für nichtig erklärt. Neutralität ist eine Absage an die Kriege anderer Parteien insofern, als sich der Neutrale für keine der Parteien zum Mittel machen will und die - Ankündigung, allein die eigene Selbstbehauptung als Kriegsfall gelten lassen zu wollen. Üblich ist diese Stellung zum Krieg nicht.

Wie es dazu kommen konnte, ist allgemein bekannt. Die Sowjetunion hat, mit dem Recht einer Siegermacht, dem von den Alliierten besetzten Österreich - das per Marshall-Plan schon kräftig im freien Westen "integriert" war - verboten, am ihr feindlichen Militärbündnis der NATO teilzunehmen, und dies zur Bedingung der Wiederherstellung der österreichischen Souveränität gemacht. Das ist nach etlichen Querelen sowohl von den Westmächten und dann auch von der heimischen aufstrebenden Politikergarnitur in Kauf genommen worden - immerhin zog die Rote Armee danach aus Ostösterreich ab und "Österreich war frei".

Damit war allerdings für Österreich die Notwendigkeit gegeben, sich auf den damals für wahrscheinlich erachteten Krieg zwischen Ost und West zu beziehen, und zwar ohne sich (wie die BRD) zum Frontstaat der NATO machen zu dürfen und dafür an deren "Schutzschirm" zu partizipieren. Der Staat durfte sich wegen der Sowjetunion nicht zum Aufmarschgebiet machen und durfte damit auch nicht mit einem wohlwollenden Interesse der NATO und einer entsprechenden Aufrüstung rechnen. Angesichts der eindeutigen militärischen Kräfteverhältnisse hat die Nation daraufhin - 35 Jahre lang - im Krieg überhaupt keinen rechten Sinn mehr sehen können. Das Bundesheer wurde deswegen nicht abgeschafft; die Entschlossenheit, auch im Krieg souverän sein zu wollen, also über ein Militär zu verfügen und damit wenigstens ein militärischer Faktor im Kriegsgebiet zu sein, hat bloß wegen der Unkalkulierbarkeit dieses bescheidenen Unterfangens die Legitimationskrise des Heeres zur Dauereinrichtung gemacht.

Die Neutralitätserklärung formuliert einen Idealismus. Aus einem aufgenötigten Verzicht auf eine Betätigung der Souveränität, aus der Beschränkung, die ein Bündnisverbot nun einmal ist, soll ein positives Mittel der Souveränitätsbehauptung werden:

"Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in alter Zukunft keinen mititärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen. " (Neutralitätsgesetz)

Erhalten hat Österreich immerhin eine Existenzgarantie durch die beiden konkurrenzlos überlegenen Militärblöcke - der Haken dabei: diese Blöcke waren kompromißlos verfeindet, und der Neutrale lag - nicht politisch, aber strategisch - genau dazwischen.

Die österreichische Unabhängigkeit, d. h. das Mitmachen Österreichs in der von den USA durchgesetzten Nachkriegsordnung der (fast) weltweiten Freiheit des Kapitals wurde von der militärischen Neutralität im Ost-West-Gegensatz abhängig gemacht, und es spricht wieder für den Weitblick der Väter der Neutralität, daß diese unbedingt eine völkerrechtliche Verpflichtung auf die Neutralität durch einen zwischenstaatlichen Vertrag vermeiden wollten. Die Neutralitätserklärung ist ein österreichisches Gesetz, eine "Selbstbindung", die deswegen auch von Österreich aus eigener Machtvollkommenheit abzuändern oder aufzuheben wäre, ohne verbriefte Mitsprache anderer Souveräne - wenn es denn die Staatsraison erfordert und die Umstände gestatten.

Ein Leben mit der Neutralität

Als dieser neutrale Staat hat Österreich recht einseitig am "Kalten Krieg" teilgenommen. Ökonomisch ohnehin ein Teil der westlichen Weltwirtschaftsordnung, wurden die Verurteilungen des östlichen Systems als menschen- und völkerrechtswidrig vom "Schaufenster der Freiheit am Eisernen Vorhang" (Waldheim am 26.10.1990) ohne jede Distanz übernommen. "Praktisch" wurde diese Abneigung gegen den Realen Sozialismus in erster Linie beim Einsammeln und Weiterverteilen von Flüchtlingen, vor allem 1956 und 1968, solange solche als lebendige "Beweise" gegen das drübere "totalitäre Unrechtsregime" im Westen gefragt und willkommen waren - also noch keine nichtsnutzigen Mißbraucher des Asylrechts wie heute.

Bei Gelegenheit und sehr berechnend wurde die Nichtmitgliedschaft in der NATO ein wenig aufgebauscht, um sich Oststaaten oder anderen vom Westen angefeindeten Nationen als ein "entwickelter Industriestaat", aber von der harmloseren Sorte, anzubieten. So hat auch Österreich seinen Beitrag zur ökonomischen Zersetzung des östlichen Wirtschaftssystems geleistet. Der neutrale Status soll, nach Auskunft kompetenter Leute, dazu beigetragen haben, das eine oder andere Geschäft an Land zu ziehen. Mit dieser speziell österreichischen Tour, vom Ost-West-Gegensatz zu profitieren, ist es nun vorbei.

Daß die Neutralität zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation eine Bedingung dafür war, in Wien etliche "internationale Organisationen" anzusiedeln, wird schon stimmen; daß ausgerechnet diese Hausmeisterfunktion eine Nation voranbringt, war allerdings immer schon eine etwas kühne These.

Die österreichische Neutralität ist bzw. war also der Sache nach nicht auf irgendwelche Kriege oder Konflikte bezogen, sondern auf den Ost-West-Gegensatz. 35 Jahre lang hat dieser Unterschied nicht existiert, weil jeder anständige Krieg ohnehin unter die globale Feindschaft der USA gegen die Sowjetunion "subsumiert", als sogenannter "Stellvertreterkrieg" abgewickelt wurde. Das hat dem Mißverständnis Vorschub geleistet, die österreichische Neutralität sei als Ablehnung jeder eigenen Beteiligung am Krieg insgesamt und überhaupt zu werten, und diese Ideologie fand Eingang in diverse Gesetzesformulierungen. Bei einer respektablen Ausnahme von dieser Regel des Stellvertreterkriegs, der mehrjährigen Schlächterei zwischen dem Iran und dem Irak, sah sich die österreichische Kriegsbeteiligung per Waffenexport - nachdem die USA eindeutig gegen den Iran Partei ergriffen hatten - zwar nicht mit dem Geiste diverser Gesetze, mit deren Buchstaben aber schon konfrontiert, und die Folgen sind bekannt: Honorige Manager und Politiker im Ruhestand stehen wegen "Neutralitätsgefährdung" vor Gericht, auch wenn das nationale Interesse, das sie geschädigt haben sollen, nirgends zu entdecken ist.

Die Maßgeblichen in Öffentlichkeit und Politik haben mit dem Zerfall des östlichen Bündnisses bemerkt, daß sich die Grundlage der Neutralität verändert hat, teilen deswegen laufend mit, daß mit dem Ende des bisherigen Ost-West-Gegensatzes nicht der "ewige Friede" ausgebrochen ist (Irak! Jugoslawien!... ) - und insofern Österreich nicht selbstgenügsam und eigenbrötlerisch keine Interessen am Rest der Welt geltend macht, steht eine offizielle Neubestimmung der österreichischen Stellung zum Krieg einfach auf der Tagesordnung.

Die neue Lage nach der Wende im Osten

Ganz ohne österreichische Beteiligung am Programm des "Totrüstens" und ohne hiesiges Zutun - abgesehen von der moralischen Betreuung einiger Dissidenten - hat der Totengräber des Realen Sozialismus im Kreml alles getan, um den Ost-West-Gegensatz zu liquidieren: durch die Erfüllung der NATO-Kriegsziele in Europa, also den Rückzug der Roten Armee hinter die eigenen Grenzen und die Entlassung bzw. geradezu den Hinauswurf (DDR, Rumänien) der bisherigen Partner aus dem ökonomischen und militärischen Bündnis des Ostens.

Die Sowjetunion hat ihre Rechte als (Mit)siegermacht des zweiten Weltkriegs aufgegeben, dort, wo ihr Militär steht, für Verhältnisse zu sorgen, die ihren Interessen entsprechen; genauer: sie hat ihre Interessen neu definiert. Ihr Rückzug und der Aufbruch der ehemaligen "Satelliten" nach Westen entspricht ihrem aktuellen Interesse, sich die Feindschaft der NATO durch Nachgeben zu ersparen. Die ehemaligen Bündnispartner sollen einem neuen nationalen Interesse folgen, neue Abhängigkeiten (von der EG) eingehen und die Sowjetunion dafür schätzen, daß diese ihnen ihre Neuorientierung erlaubt und nahelegt.

Kurz: der Gegensatz, wegen dem die Neutralität eingerichtet wurde und auf den sie bezogen war, existiert weitgehend nicht mehr, und damit ist die Neutralität hinfällig. Exemplarisch dazu der belgische Außenminister, hierzulande bekannt für seine Ablehnung eines EG-Beitritts durch ein neutrales Österreich:

"Die Neutralität hat im Vergleich zur Situation vor einem oder zwei Jahren einen völlig neuen Inhalt bekommen. Wir sind von der Detente zur Entente zwischen Ost und West übergegangen. Sobald aber kein Konflikt mehr besteht, ist auch kein Platz mehr für Neutralität. Das ist einmal die neue Realität in den internationalen Beziehungen.... Seit der (Ost-West-Antagonismus) überwunden ist, glaube ich, daß Österreich jetzt, da es den Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt hat, sogar an der Außenpolitik der Gemeinschaft teilnehmen könnte. " (Eyskens im "Standard")

Laut "Standard" soll der Mann "seine Meinung geändert" haben, doch davon kann keine Rede sein. Nicht Eyskens, die Lage hat sich geändert, kann der Minister vermelden, und deswegen ist die Neutralität, die er nach wie vor für unvereinbar mit der EG-Mitgliedschaft befindet, obsolet - und zwar, ohne daß dazu ein formeller österreichischer Beschluß, eine Änderung des Neutralitätsgesetzes, erforderlich gewesen wäre!

Diese Gewißheit, daß die frühere Neutralität durch die Änderung der politischen Lage ohnehin erledigt ist, bildet die Grundlage der aktuellen Debatte, und jede Stellungnahme, die sich für die Beibehaltung des neutralen Status ausspricht, drückt damit etwas anderes aus als bisher: Die alte Ideologie im Neutralitätsgesetz, Österreich habe "aus freien Stücken" seine Neutralität beschlossen - die damals wegen der Abhängigkeit von außen zumindest den abstrakten Anspruch formulierte, die Republik habe erst recht in dieser Frage ihr eigener Herr zu sein -, die ist Realität geworden. Eine freiwillig eingegangene Verpflichtung kann auch wieder rückgängig gemacht werden, und die Möglichkeit dazu ist Österreich mit dem "Neuen Denken" der Sowjetunion geschenkt worden. Wer heute für ein neutrales Österreich eintritt, nimmt nicht für eine Beschränkung der Souveränität durch ein von außen auferlegtes Bündnisverbot Partei, sondern der betont die neugewonnene Freiheit der Republik, über ihren internationalen Status selbst zu entscheiden - "wir" sind neutral, weil und solange "wir" das wollen. Ein "Bekenntnis" zur Neutralität heutzutage unterstreicht die Souveränität, akzentuiert die Freiheit von äußeren Verpflichtungen und nicht die Bindung daran. Insofern passen dieses "Festhalten" an der Neutralität und der Beschluß, einige Paragraphen des Staatsvertrags, welche die Souveränität einschränken, für gegenstandslos zu erklären, sehr wohl zusammen.

Einseitig "für obsolet erklärt" und die Streichung von den Signaturmächten, den alliierten Siegern des 2. Weltkriegs, billigen lassen hat Österreich die folgenden Staatsvertrags-Paragraphen:

- Paragraph 12, der das "Verbot der Dienstleistung in den österreichischen Streitkräften für ehemalige Mitglieder nazistischer Organisationen und Angehörige bestimmter anderer Personenkreise", festschreibt. Dieser Passus ist, wg. natürlichem Lebensalter, tatsächlich "obsolet" geworden; daß damit auch Abs. 1 des Paragraphen, das Verbot, "Personen, die nicht die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen" im Bundesheer wirken zu lassen, gestrichen ist, eröffnet zumindest neue Freiheiten betreffend "Beratung" und "Ausbildung".

- Die Paragraphen 13 und 14, die das "Verbot von Spezialwaffen" regeln bzw. den Erwerb von "Kriegsmaterial deutschen Entwurfes oder Ursprungs" untersagen, waren für Österreichs Waffenbeschaffung schon seit längerem kein Hindernis mehr; das wird jetzt offiziell kundgetan. An das damit ebenfalls für null und nichtig erklärte Verbot für ABC-Waffen hingegen will sich Österreich weiterhin feierlich und bescheiden halten - aber eben aus eigenen und damit freien Stücken.

- Paragraph 15 erklärt die "Verhinderung der deutschen Wiederaufrüstung" zur österreichischen Staatspflicht. Ein Witz, der allerdings mit dem Verbot einhergeht, "deutsche" bzw. über-

haupt "nicht österreichische Staatsangehörige" in der Waffenindustrie und "in der militärischen oder zivilen Luftfahrt" zu verwenden.

- Paragraph 16 schreibt vor, "zivile Luftfahrzeuge deutscher oder japanischer Bauart weder (zu) erwerben noch (zu) erzeugen". Eine ärgerliche Beschränkung, seit der deutsche Airbus den Amis erfolgreich Konkurrenz macht.

- Paragraph 22/13 schließlich untersagt Österreich, "ehemalige deutsche Vermögenswerte an Deutsche oder andere Ausländer" zu verkaufen. Ein klarer Fall von Geschäftsstörung, wenn die verstaatlichte Industrie gerade auf "going public" setzt und/oder die Fusion mit potentem ausländischen Kapital die Konkurrenzfähigkeit voranbringen soll.

All diese Souveränitätsbeschränkungen, die bei Bedarf immer umgangen werden mußten, will sich Österreich nach Abschluß des deutschen "2+4"-Vertrags nicht mehr bieten lassen. Wenn es der Hauptverlierer des letzten Kriegs schon zur anerkannten neuen Vormacht Europas gebracht hat, dann nimmt sich der Juniorpartner das Recht, sich an diesen späten Sieg anzuschließen.

Die Perspektive: Krieg - aber nur für "legitime Interessen"!

Österreich hat einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EG gestellt, will neue internationale Rechte und Verpflichtungen wahrnehmen bzw. eingehen. Der künftige Status Österreichs im kommenden Europa muß mit der EG erst noch ausgehandelt werden, und dabei wird sich ohnehin herausstellen, ob und welche neutralitätsrechtlichen und -politischen Konsequenzen zu ziehen sind. Diese Verhandlungen sind jedenfalls der Bezugspunkt jeder Neubestimmung der Neutralität. Ihr Ergebnis hängt ab von den aktuell in Angriff genommenen Fortschritten des EG-Zusammenschlusses, speziell von der Gestalt der "politischen Union" und einer geplanten gemeinsamen "Sicherheits- und Militärpolitik", von der im Moment die EG-Mächte selber noch nicht genau wissen, wie sie beschaffen sein soll.

Die "Presse": "In Hinblick auf die Neutralität scheint der Druck auf Österreich aus dem Westen zu wachsen, diese aufzugeben, weil sie nicht mehr sinnvoll ist. "

Mock: "Phasenweise kumulieren solche Vorstellungen. Wir werden mit der Frage auch spätestens zu Beginn der Verhandlungen mit der EG konfrontiert werden.... verläßlich und berechenbar... aber sich im Lauf der Zeit auf neue Konstellationen einstellen... "

Derzeit sieht der Minister keinen Handlungsbedarf, und insofern unterscheidet sich diese "zurückhaltende" Stellungnahme durch nichts vom "entschiedenen" Auftreten eines Haider, der bekundet, "wenn unter den Auspizien eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa die Neutralität mit der EG-Mitgliedschaft unvereinbar ist, sollte sie aufgegeben werden." (In der TV-Pressestunde). In den Verhandlungen mit der EG steht der Titel "Neutralität" längst nicht mehr für einen bestimmten österreichischen Vorbehalt oder eine conditio sine qua non, sondern für den Anspruch, in die Verhandlungen mit der EG überhaupt eigene Interessen einbringen zu wollen und nicht bloß ein Diktat entgegenzunehmen. Der Souveränitätsverzicht beim EG-Beitritt soll souverän im eigenen Interesse erfolgen.

Außerdem hat die Konkurrenz der führenden EG-Mächte mit dem Anschluß der DDR an die BRD eine entscheidende Modifikation erfahren, die Rolle der BRD als Führungsmacht endgültig gefestigt. Ein Beitritt zur EG ist jedenfalls ein Beitritt zu einem bestimmten Kräfteverhältnis in ihr, und die Befürchtungen mancher Konkurrenten der BRD, ein Beitritt Österreichs würde sehr einseitig das "Gewicht" des neuen Deutschland vergrößern, sind schwer zu überhören. Auch deswegen läßt sich derzeit einfach nicht genau angeben, was die EG schlußendlich vom Beitrittskandidaten Österreich verlangen wird.

Definitiv fest steht hingegen die von diversen EG-Politikern geäußerte Ablehnung eines österreichischen "Vorbehaltes" in Form einer Sonderstellung im Rahmen einer künftigen gemeinsamen Außenpolitik der Gemeinschaft oder im Hinblick auf allfällige künftige Feindschaftserklärungen der EG:

"Seit dem Wegfall des Ost-West-Antagonismus argwöhnen manche in Europa und anderswo, daß Österreich seine Neutralität nur noch als Faulbett und Ausrede benützen könnte, um sich aus der Verantwortung zu stehlen, wenn es brenzlig wird." (Possaner im "Standard")

Unter den Bedingungen der bisherigen Nachkriegsordnung konnte Österreich mit einer gewissen Berechtigung darauf veweisen, daß seine militärpolitische Handlungsfreiheit - wegen der Sowjetunion - eingeschränkt war. Heutzutage "argwöhnen manche in Europa", "Neutralität" sei ein Vowand bzw. ein Titel für nationale Extratouren, die einem Kleinstaat einfach nicht zugestanden werden. Die Teilnahme Österreichs am zivilen Krieg, am Handelsembargo gegen den Irak sowie die dazugehörigen Verlautbarungen dürfen als Anstrengungen gelten, dieses Mißtrauen zu bekämpfen. Österreich demonstriert praktisch, daß es dieselben Feinde hat wie die EG. Der Außenminister benutzt den schönen Sachverhalt, daß viele Staaten gemeinsam gegen den "Außenseiter" Irak Front machen, zur Klarstellung, daß von einer österreichischen Neutralität überhaupt nicht die Rede sein kann; der aktuelle Golfkrieg ist auch "unser" Krieg:

"Die immerwährende Neutralität hindert uns nicht, an Akten der internationalen Solidarität teilzunehmen. " (Mock vor der UNO)

US-Militärflugzeuge dürfen den neutralen Luftraum durchqueren, und über die Entsendung von österreichischen Truppen - "Friedenstruppen", die mit ihrem Handwerkszeug den Frieden herstellen, der "uns" paßt - wird immerhin schon öffentlich nachgedacht. Der eigentliche Scharfmacher in dieser Frage ist übrigens Sozialdemokrat Jankowitsch, der in der "Presse" mit einer neuen Neutralitätsdefinition aufwarten durfte:

"Um die Neutralität in ihrem eigentlichen Sinn ins Spiel zu bringen, würde ein solcher Konflikt auch voraussetzen, daß es zwei mehr oder minder gleich abzuwägende legitime Interessen gibt." Am Golf gebe es aber nicht zwei, sondern nur ein legitimes Interesse, "nämlich das der Staatengemeinschaft..." Der Aggressor, so Jankowitsch zum Hauptpunkt seiner neuen Neutralitätsdefinition, "kann kein legitimes Interesse haben. Denn er hat gegen die internationale Ordnung verstoßen. Daher kann man ihm gegenüber nichz neutral sein."

So "legitim" wie die am Golf aufmarschierte Militärmacht der zivilisierten Welt ist Saddam Hussein zwar noch allemal unterwegs. Genau wie seine Feinde hat er sich selber die Legitimität seines Vorgehens bescheinigt - und anders kommt Legitimität in der internationalen Politik ohnehin nicht zustande. Laut Saddam Hussein hat Kuwait gegen "legitime Interessen" des Irak verstoßen, und wer sollte das besser wissen als der Chef des Irak?

Jankowitsch entnimmt diesen Ereignissen jedenfalls einen eindeutigen Klärungsbedarf: Die Republik Österreich braucht endlich ein normales, ein freies Verhältnis zum Krieg. Wie jeder Staat soll auch Österreich neben der Behauptung seiner Unabhängigkeit "legitime Interessen" kennen bzw. definieren, für die der Krieg - auch im Rahmen eines Bündnisses - dann in Ordnung geht: von der "Neutralität" zur "Solidarität" mit Kriegsparteien. Da trifft es sich gut, daß Staaten ohnehin keine anderen Interessen kennen außer "legitimen" - bei sich selbst. Welche das im Ernstfall konkret sind, das wird den zum Wehrdienst Zwangsverpflichteten schon rechtzeitig mitgeteilt.