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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1991 erschienen.

Systematik

Die Grünen zwischen den Wahlen
HEMDENZERREISSEN, SÄUBERN, "NORMALISIEREN" - ALLES IM DIENSTE AM WÄHLER

Die Wahlniederlage hat die Grünen ins Mark getroffen. Nicht im ersten gesamtdeutschen Parlament vertreten zu sein, ist strömungs- und flügelübergreifend - so ziemlich das größte Unglück, das sie sich vorstellen können. Und der Einzug der Ost-Grünen mit Hilfe eines Gnadenaktes unterstreicht die Schmach nur noch. Also standen im Hinblick auf den als "Schicksalswahl" beschworenen Urnengang in Hessen an:

Eine "Krise": Der Wähler hat den eingeübten Sprung über die 5-Prozent-Hürde verweigert.

Ein "Kampf ums Überleben": Womöglich gewöhnt sich der Wähler daran, und dann ist mit der grünen Partei Sense, denn ohne diese 5 + x % ist sie nicht überlebensfähig.

Eine "Suche nach neuen Perspektiven": Dem Wähler ist das Schauspiel einer verbissen um "Reform" ringenden Partei zu bieten, damit 1. und 2. außer Kraft gesetzt werden.

Gerechterweise retteten am 20. Januar die grünen Politiker die parlamentarische Erfolgsperspektive der Partei, die "Realos" heißen und immer schon die jedem Grünen geläufige Weisheit als "Flügel" herausposaunt haben, daß ohne Wähler das grüne (Partei-)Leben nichts wert ist. Sie hüten sich, die Partei einfach bloß so zu einer "normalen" Partei machen zu wollen, denn weder wollen sie als Wendehälse erscheinen, noch sind sie blöd: Soviel wissen sie nämlich auch, daß es wohl der Schein der Distanzierung vom "Normalen" war, der den Grünen bislang ihre Erfolge bescherte. Ihr Argument lautet: Dieses Erscheinungsbild ist durch die Wahlniederlage desavouiert, heißt: hat nicht genügend Wähler gekeilt; deswegen wird es aber nicht einfach weggeschmissen, sondern der kunstvollen Methode der Distanzierung von der Distanzierung unterworfen:

Die "Realos" stellen sich dem Wähler als Opfer einer parteiinternen Unvernunft vor; man soll es ihnen hoch anrechnen, daß nur ihr aufopferungsvolles, den Wähler immer wieder versöhnendes Dazuhalten das eigentlich schon längst fällige Desaster hinausgeschoben hat. Jetzt spricht der Wähler im allgemeinen gerecht (bezüglich der Partei), im konkreten aber ungerecht (bezüglich "realistischer" Individuen) die Strafe aus. "Leider" haben die "Realos" jetzt das Oberwasser, auf dem sie schon längst hätten schwimmen müssen, also haben alle anderen gefälligst die Schnauze zu halten. Die haben nämlich die Partei in die Scheiße geritten und den Wähler um die liebenswerte AIternative "Grün" betrogen, weil sie sich für ihn unwählbar gemacht haben. Die neuen Retter der Partei veranstalten eine Säuberung, die aber so sehr gar nicht sie wollen, sondern die der Wähler in Auftrag gegeben hat; wenn die "Realos" sie durchführen, beweisen sie damit wieder die Einzigartigkeit der Partei und bieten dem Wähler den Genuß des Eindrucks, daß trotz "Normalisierung" die Grünen keinesfalls mit den gewöhnlichen Parteien in einen Topf geworfen werden können. Sie erzählen dem Wähler, was ihn an der Partei gestört haben muß, und wollen ihn mit dem Versprechen, alle Anhaltspunkte für diesen erfundenen Unmut auszumerzen, aufs neue betören.

Von der "Basisdemokratie" zur "Basokratie"

Letztere Sprachschöpfung stand urplötzlich im Raum, und jeder wußte sofort, was damit gemeint war: Das elaborierte Getue, als ob die Parteimitglieder den Kurs der Partei festlegen würden, ist von Übel und führt zur "Selbstlähmung" (J. Fischer). Das ist gekonnt. Unterstellen wir einmal, es hätte ein paar naive grüne Parteigründer gegeben, die an die Banalität glaubten, eine Partei würde zunächst einmal aus ihren Mitgliedern bestehen; für ihr gemeinsames Interesse bauen sie die Partei auf und benutzen sie für die Durchsetzung des Interesses. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine völlig undemokratische Vorstellung, die die Grünen spätestens mit dem Beschluß, "parlamentarisch" zu werden, auf den Misthaufen geworfen haben. Erster und einziger Zweck einer Partei ist das Einsammeln von Stimmen wofür sich die Grünen einen eigenen Clou ausgedacht hatten. Sie veranstalteten ein Parteiinnen- als -außenleben, bei dem alle so tun mußten, als ob die "Basis" schwer auf die Repräsentanten aufpassen würde; diese wiederum vorrangig die Bundestagsabgeordneten - boten das Schauspiel mühsam in Ketten sich bewegender Sprachrohre, einerseits "der Basis verpflichtet", andererseits um die "Notwendigkeiten des politischen Alltagsgeschäfts" bemüht. Keineswegs sei es mit der Stimmabgabe getan; die Wähler müßten schwer aktiv werden, damit das Überspringen der Hürde auch immer wieder klappt und sie nicht ihren verschenkten Stimmen nachtrauern müssen; die Bundestagsfraktion sei grad so viel wert, wie "Druck von der Basis" komme; die "außerparlamentarische Bewegung" habe in den grünen Abgeordneten auch nicht mehr als ein paar Repräsentanten, die an höchster Stelle für die "Durchsetzung von Basisanliegen" hilfreich sein können. Andererseits mußte dem (Basis-)Wähler auch klar sein: Ohne seine Repräsen achtet und verdient sich den abschreckenden Beinamen "Druck der Straße"; den Abgeordneten muß also auch möglich sein, von sich aus zu definieren, wo die "Basis" aufhört und die "Straße" anfängt. Wenn grüne Parlamentarier ihrer "Basis" den Gefallen tun, deren Anliegen im Parlament vorzutragen, dann muß sich die "Basis" im Zweifelsfall auch mal sagen lassen, was ihre Anliegen sind.

Dieses wunderschöne Mit- und Gegeneinander von "Basis" und "Führung" reichte den Grünen aber noch nicht. Die "Basis" rannte selber noch mal zweigeteilt herum, nämlich als eigentliche Unterstützermannschaft, die so etwas wie die naive, demokratieabseitige Absicht einer Partei symbolisierte, und als Wähler, auf die es letztlich doch ankommt. Tja, da konnten nun wirklich kunstvolle Bündnisse, Konstellationen und Berufungsinstanzen konstruiert werden, und in jeder Diskussionsrunde wurde das Kunstwerk mit noch mehr künstlichem Leben gefüllt, indem immer neue Gegensätze, Unterschiede, aber- auch Gemeinsamkeiten "auftauchten". (Unvergessen die Fischer'sche Entdeckung des "konsumorientierten Citoyen". Was war er nun? Der Wähler; die "Basis" im Grunde ihre Herzens; ein parteiinternes Ideal; durch die Führung per Ansprache zu schaffende Wählerschicht? Fragen über Fragen.)

So gestalteten die Grünen liebevoll das aus, was sie ihre "Streitkultur" nannten. Es gehörte selbstverständlich dazu, daß sich darüber dauernd beschwert wurde, was Endlosigkeit garantiert, über die dann wieder extra lamentiert werden durfte. Es etablierte sich die Partei mit dem durchaus eigenen Touch der Doppelbehauptung, die Führung (Fraktion) würde die Gefolgschaft entrechten, und eine unverantwortliche Gefolgschaft würde täglich die Führung entmachten und als Hampelmänner/frauen vorführen. Praktischerweise wurde diesem "Dilemma" durch Doppel- und Mehrfachführungen sinnfällig Ausdruck verliehen, die aber immer - wie gesagt: jedermann durchschaute das Spiel im Groben und hielt sich an die Regeln - sorgfältig ausgesucht und zusammengesetzt waren, so daß jede Menge "Streitigkeiten" über die Bühne gehen konnten, die letztendlich doch ein einigermaßen zufriedenstellendes Bild der "Geschlossenheit" der Partei abgaben. Der Revoluzzer im Bürger kam auf seine Kosten, denn immer wurde irgendwo "der Aufstand geprobt"; methodisch besonders geschulte Pfiffikusse der Partei, die es in allen "Strömungen" gab, belebten den "Streit" regelmäßig mit dem Aufschrei, daß ihre "Strömung" mal wieder/jetzt endgültig/wie noch nie zuvor unterrepräsentiert sei; und selbstverständlich schmetterte immer irgendeiner ein "Wo bleiben die Inhalte!" dazwischen, zumeist einer von der Gruppe, die gerade einen Posten zu wenig abgekriegt hatte. Gerade dieser Einwurf wurde allgemein willkommen geheißen, weil damit erstens das gehobene Diskussionsniveau unter Grünen bewiesen war, und zweitens, weil sich das für eine anständige Partei sowieso gehört. Was gibt es an dieser schönen Sache zu meckern? Ja eben bloß das, das aber ganz entschieden: Nur noch 4,9% der Wähler fanden das interessant. Ab sofort heißt das Ding "Basokratie" und zeugt - wer hätte das gedacht - von "mangelnder innerparteilicher Demokratie". Gefragt ist jetzt eine "klare Vorsitzendenstruktur", eine "organisatorische Straffung" selbstverständlich, "ohne dabei die politische Vielfalt zu verlieren". Anständige Parteidemokratie geht nämlich so, daß die Partei den Wähler durch große Einmütigkeit und Geschlossenheit beeindruckt, so daß der um den Eindruck nicht herumkommen kann, daß die da auf jeden Fall recht haben müssen. Egal womit. 10 Jahre lang sind die Grünen mit der Vorspiegelung gut gefahren, ihre Partei wolle die demokratisch erforderliche Trennung von Parteiführung und Parteivolk nicht so umstandslos nachvollziehen; die "Basis" durfte so tun, als sei sie nicht bloß ein Akkumulationshaufen; 10 Jahre wollten die Grünen vorspiegeln, sie seien erst in zweiter Linie eine Wahlkampfmaschine, in erster Linie ginge es um die "Umsetzung von Basisanliegen in die offizielle Politik". Kaum halten das x + 0,1% der früheren Wähler nicht länger für eine Bereicherung der Parteienlandschaft, schon wissen die Reformer, daß man das Parteileben gründlicher nicht "lähmen" kann und daß lauter "unlegitimierte Strömungszirkel" ihr Unwesen treiben - "Legitimation" holt man sich nämlich von oben ab. Die demokratische Antwort geht "dahin, daß die Kreisebene mit der Landesebene zusammenarbeitet, die Landesebene mit der Bundesebene" (Fischer). Als ob das in dieser Allgemeinheit nicht immer schon der Fall gewesen wäre! Was er uns sagen will, ist aber deutlich: Eine klare Befehlsstruktur muß her. Oder anders: Eine "neue Integrationskultur...".

Vom "Promi" zur"Persönlichkeit"

Das ist bekannt, daß den heutigen Großkotzen die "Rotation " immer schon gestunken hat. Aus einem einfachen Grund: Politische Urviecher wie sie, die die Gründung der Partei von Anfang an mit ihrem eigenen Beschluß gleichgesetzt haben, Politiker zu werden - weswegen die Partei sie ja auch gleich in vorderster Linie eingesetzt hat -, mußten doch tatsächlich befürchten, aufgrund eines methodischen Prinzips Karriereknicks erleiden zu müssen. Dieses "Rotationsprinzip" organisierte prächtig das schreckliche "Abgehobensein" der Führung. Jeder Unmut konnte sich dahingehend artikulieren, daß entweder die Repräsentanten den "Kontakt zur Basis" verloren und die Sau in sich hatten laufen lassen oder daß die Repräsentanten - kaum hatten sie sich mal "eingearbeitet" und kaum hatten sie angefangen, "etwas zu bewegen" - von unsachlichen Neidgefühlen blockiert wurden. Einerseits wuchsen die Chancen, mal selber ganz vorne mitmischen zu dürfen, obwohl das Postenausschüttungsreservoir der Grünen naturgemäß kleiner ist als bei anderen Parteien. Andererseits entstand so die Institution des "Promi", der das Rotationswesen einigermaßen unbeschadet überstand, zugleich aber der "Basis" das gute Gefühl gab, sie würde sich ganz instrumentell ein paar Zugpferde halten, die jederzeit wieder ausgeschirrt werden könnten.

Der Hochachtung des Wählers vor Politik(ern) wurde so auf besondere Weise Rechnung getragen: Der ideelle grüne Gesamtpolitiker war eine ganz und gar unanfechtbare Persönlichkeit, weil er durch Austausch vor den Niederungen der individuellen Launen wie Verführbarkeit durch Macht, Gewohnheitsbedürfnis, Kreativitätsverschleiß, Anpassungsverhalten, und was es sonst noch an durchgestylten Triebkräften geben mag, geschützt wurde. Er machte reine, gute Politik, was ihn natürlich sehr adelte. Allerdings war der Widerspruch nicht zu übersehen, daß der Wähler ein Gewohnheitstier ist und die so von höherem Glanz beschienenen Personen behalten möchte. Wenn sie sich mal längere Zeit gehalten und ein "Identifikationspotential" aufgebaut haben, versteht der Wähler nicht mehr, warum ihn die Partei mit dem methodischen "Promi"-Zweifel belegt und ausgewiesene Führer unters Prinzip beugt. "Promis" machen den Wähler sozusagen das Maul wässrig und stiften ihm anschließend nicht die nötige Verhaltenssicherheit. Die "Basis" war denn auch zumeist einsichtig genug, den Verlängerungsanträgen zuzustimmen oder die "Rotation" gleich auszusetzen.

Kein Wunder, daß die "Realos" in der Regel die prominenteren "Promis" waren. Für sie folgt nun aus der jetzigen echten Karrierebedrohung zwingend: Die Konkurrenten aus dem "linken" Lager, die sich - zugunsten der Unterscheidbarkeit der Partei - immer mehr für das methodische Prinzip starkgemacht haben, müssen weg. Die doch zweifellos nachgewiesene Wählbarkeit der Fischers, Vollmers und Co. wurde durch die Prinzipienreiter immer wieder untergraben, was sie viel Schweiß und Einfühlungskraft "an der Basis" gekostet hat, um die Nominierung immer wieder sicherzustellen. Darüber wurde nicht nur so manch' "inhaltliche Arbeit" versäumt, sondern sogar schreckliches Versagen - eine politische Persönlichkeit mit so hohen Prinzipien wie Otto Schily zur SPD getrieben; diese "selbstmörderische Personalpolitik" kann sich die Partei nicht länger erlauben, weil

"wir aufgrund der nicht vorhandenen Persönlichkeiten auf Bundesebene nicht mehr darstellungsfähig waren. Und deshalb konnten wir auch unsere (!) Wählerschaft nicht mehr mobilisieren." (Fischer)

Das ist hübsch gesagt. Man mobilisiert den Wähler nur, wenn das Parteivolk seine Führung demonstrativ liebt und verehrt, am besten ihr die Pfründe gleich lebenslang vermacht. A propos Pfründe: Die wollen die "Realos" endlich für sich behalten können, was ihnen natürlich auch am Wähler klar geworden ist, der nie ganz verstanden habe, warum sich die Abgeordneten ihre Diäten für irgendwelche "unlegitimierten Strömungszirkel", die dann unkontrolliert irgendwelche "Solidaritäts-Fonds" verwalten, kürzen lassen mußten. Ist der Politiker nicht eine Respektsperson, die verdient, mehr zu verdienen? Dem Wähler wird jetzt der besondere Genuß geboten, sozusagen in Reinkultur miterleben zu dürfen, wie die neo-kritischen Reformer "selbstkritisch und reflexiv" das vorexerzieren, was in anderen Parteien als Routine daherkommt: den Aufbau von "Persönlichkeiten"; die Demonstration, daß das bekannte Gewäsch von der "grundsätzlichen Erneuerung von innen heraus" nichts anderes beinhaltet als den demokratischen Führerkult. Selbstverständlich handelt es sich bei den Grünen dabei um einen emanzipatorischen Akt, um die Abschaffung "starrer Strukturen" und um die Überwindung "parteiintemer Grabenkämpfe"; das lange unterdrückte Freiheitsverlangen der grünen Wähler kommt endlich zum Zug.

Von "grünen Inhalten" zu "vermittelbaren Themen"

Die Unvernunft der "Basis" und die Bezweiflung der vorzeigbaren "Persönlichkeiten" waren schon schlimm genug. Als ganz schlimm empfinden die Reformer aber das jahrelange "Denkverbot", das die Partei erlassen hatte. Die sogenannten "Linken" waren in Wirklichkeit "Wertkonservative", die die Partei "ideologisiert" hatten. Sire, geben Sie Gedankenfreiheit! -:

"Also, Christian Ströbele, gib uns Gedankenfreiheit und geh' mit deinen Leuten zur Seite." (Udo Knapp)

Ein wenig lächerlich ist das schon: Als ob einem Knapp, einem Fischer, einer Vollmer jemals das ideologische Geseiche verboten worden wäre - waren es nicht diese Figuren, die sich die größte Freiheit mit angeblich verpflichtenden "grünen Inhalten" erlaubt hatten? Aber genau diese Freiheit soll nun grenzenlos werden: Die Reformer stört eine mögliche Fehlinterpretation, wie die weltanschauliche Komponente der Partei schon immer gemeint war. Das Pathos, mit dem ökologische Katastrophe und Weltuntergang beschworen wurden, wollte sich zwar gegen niemanden wenden - oder umgekehrt: immer nur gegen den Schmutzfink in uns allen - und erklärte keinem gültigen Interesse die Feindschaft, aber um den Schein des Kritischen kam es trotzdem nie ganz herum. Dieser Schein, der sich in unzähligen konstruktiven Anträgen in Parlamenten und Stadtverordnetenversammlungen niederschlug, wurde auch jahrelang eifrig gepflegt, damit der "kritische Wähler" auf seine Kosten kam. Den Reformern ist nun aber endgültig aufgefallen, daß die gar so unverwechselbaren "grünen Inhalte" längst ihren Platz in allen "etablierten Parteien" haben und dort obendrein erfolgreicher zum Einsatz gebracht werden; ein paar Umweltsprüche in den Wahlprogrammen und I Töpfer haben genügt, die Grünen ihrer "Spezifik" zu berauben. Wenn Grüne weiterhin auf ihrem Gründungsthema herumreiten, dann bugsieren sie sich in die Querulantenecke. Der Wähler hat nicht nur gelernt, daß "Umwelt" mordsmäßig wichtig ist, deswegen aber auch besser wirtschaftssachverständigen Führungspersönlichkeiten anvertraut wird, er hat es auch abgehakt und weiß die Prioritätenliste der nationalen Anliegen richtig zu lesen. Und da steht nun mal "Deutsche Einheit" an oberster Stelle - woraufhin sich die "Realos" bitter beklagen, daß sich die Partei dazu tatsächlich auch eine gewisse Distanz zugelegt hatte. Eine "richtige" Partei nimmt die Themen auf, die den Wähler bewegen, und kommt ihm nicht vormundschaftlich. Und woher weiß man, welche Themen den Wähler bewegen? Na eben aus dem, was Bonn täglich verlautbart. Dagegen mit abseitigen "Menschheitsthemen" anstinken zu wollen, ist genau dieser "Wertkonservativismus" bzw. dieses"Denkverbot".

"Das Thema Klimakatastrophe als rein ökologisches Thema im Wahlkampfwar total verfehlt. Das zum Thema zu machen, war genau so, als hätte man die ganzen Ereignisse von 1989 und 1990 gar nicht zur Kenntnis genommen. Es ist vielleicht global gedacht das wichtigste Thema, aber es ist momentan nicht das Thema gewesen, was die Leute im Innersten bewegt. Insofern haben die Grünen jetzt die Chance, auch über ihre eigenen Inhalte zu diskutieren. Hier gilt es... einen neuen Ansatz zu finden. " (Werner Schulz, Ost-Grüner)

Der Inhalt dieser Diskussion über "eigene Inhalte" liegt auf der Hand: Mit den alten grünen Erfolgskalauern muß aufgeräumt werden, weil sie nicht mehr zeitgemäß sind - obwohl "global gedacht vielleicht die wichtigsten". Aber nicht nur das: Grüne wissen inzwischen Bescheid über die höchst bedingte Erfolgsträchtigkeit von "Sachinhalten", die beim Wähler zünden sollen: '

"So wichtig die politischen Inhalte sind: Inhalte können nicht sprechen, gehen nicht von alleine, sondern das machen Menschen." (Fischer)

Grüne Führungspersönlichkeiten müssen sich als ganz normale Oppositionspolitiker den regierungsamtlichen Vorgaben zuwenden dürfen. Wieder mal eine dankenswerte Klarstellung: Opposition kann mit Kritik nicht verwechselt werden; die Herrichtung zur normalen Oppositionspartei verlangt darüber hinaus ein Kritikverbot nach innen - Ströbele, Tuckfeld, Ditfurth usw. haben es zu spüren gekriegt. "Denken" im Unterschied zum "Denkverbot" ist die vorbehaltlose Zuwendung zu allen "Themen", die erfolgreiche Wählereinwicklung verheißen, ist also die dezidierte Prinzipienlosigkeit. Wer dagegen, wie matt auch immer, einwendet, die Grünen wären doch mal mit bestimmten Absichten angetreten, der muß sich sagen lassen, daß er damit nur seine eigentlich rechte = dogmatische Natur zu erkennen gibt. So wohlfeil können sich also die Reformer als die eigentlichen kritischen Geister der Partei, als die Fackelträger ihrer erfrischenden "Zukunftsorientiertheit" profilieren. Das wiederum soll der Wähler als die neue/gerettete Unverwechselbarkeit der Grünen goutieren.

Allerdings: Spätestens an dieser Stelle muß die Reformer ein ungutes Gefühl beschleichen. Was, wenn dem Wähler der Trick, sich vom alten Erscheinungsbild der Partei loszusagen und zugleich darauf zu deuten, daß man von dieser besonderen Partei herstammt, schlichtweg unverständlich ist oder ihm gleich gar nicht auffällt? Was, wenn der Wähler gleich die mehr Erfolg versprechende, weil größere Oppositionspartei bevorzugt: Mit der neuen "inhaltlichen" Bestimmung als "ökologische Reformpartei" hat man aus durchsichtigen Gründen ja gerade mehr auf Identität mit der SPD als auf Abgrenzung gemacht. Da haben sich die Reformer ein Angebot einfallen lassen, das mit der im Notenbüchlein der Demokratie vorgeschriebenen Dialektik daherkommt:

"Wir wollen Rot-Grün oder Rot-grün-gelb schon 1994, so vermessen das klingt. Aber beides gibt es nicht als sozialdemokratisierten Einheitsbrei, sondern nur als scharfgewürztes Menü." (Knapp)

Die Grünen haben also einen besonders zündenden "Inhalt" anzupreisen: Kaum in der (normalen) Opposition, wollen sie auch schon wieder raus - an die Macht! Sie machen SPD und FDP Feuer unterm Arsch, indem sie sich ihnen als Koalitionspartner aufdrängen. Der raffinierte Wähler wählt die Grünen, damit Rot-Gelb dann auch einen Koalitionspartner hat, und er hat den Nervenkitzel, mit dieser "vermessenen" Tat eine unglaublich scharfe Regierung zusammenzustellen. Zugleich geht er keinerlei Risiko ein: Obwohl er sich den Luxus leistet, etwas Besonderes zu sein, muß er nicht befürchten, seine Stimme verschenkt zu haben - sie landet ja allemal bei der Regierung. Davon die Kurzfassung: Man soll die Grünen (weiterhin) wählen, damit sie (mit) regieren können. Das ist ja nun wirklich politischer Inhalt genug.