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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1991 erschienen.

Wende in der Wissenschaft der Ex-DDR
WIE EINE "SOZIALISTISCHE WELTANSCHAUUNG" SICH SELBST ABWICKELT

Die Befreiung der Wissenschaft im neuen Deutschland vollzieht sich als "Abwicklung" des alten DDR-Hochschulwesens und soll sich - wie alles, was der Rechtsstaat unternimmt - als Dienst an Werten verstehen, die ihm und seiner Verfassung heilig sind. Die hier einschlägigen hohen Güter, denen er mit dem Einsatz seiner Rechtsmittel Geltung verschaffen will, heißen "Autonomie der Hochschulen" und "Freiheit von Lehre und Forschung", und gemeint mit beidem ist die Einführung eines Lehrangebotes, das nach Auskunft des sächsischen Bildungsministeriums "auf eine freiheitliche Gesellschaft, einen demokratischen Rechtsstaat und eine soziale Marktwirtschaft orientieren" soll.

Dies ist eine Klarstellung über den Zweck, für den die "Autonomie" des demokratischen Bildungswesens gedacht ist: Das Forschen und Lehren wird vom demokratischen Rechtsstaat in die Freiheit entlassen, damit als deren Endresultat - irgendwie - eine "Orientierung" auf ihn und seine Einrichtungen herauskommt.

Weder das, noch der Umstand, daß die Freiheit der Wissenschaft in der staatlichen Rechtsgewalt, die die östlichen Universitäten zerschlägt, ihren Geburtshelfer hat, irritiert Demokraten besonders. Selbst in den - wenigen Fällen, in denen sie eine "Autonomie" befremdlich finden, die sich mit den Paragraphen des westdeutschen Hochschul- und Beamten rechts Eintritt in die Welt des freien Denkens verschafft, verfügen sie über den moralischen Totschläger, der den kleinen Wertkonflikt zwischen Freiheit und Gewalt gründlich zur Entscheidung bringt: Die Zerschlagung der realsozialistischen Bildungseinrichtungen in Berlin, Leipzig, Halle usw. ist danach schon deswegen zwingend geboten, weil es sich bei denen um die "Kaderschmieden des Sozialismus", also um die geistigen Quellen des Bösen gehandelt haben bzw. noch handeln soll. Die endgültig auszutrockenen ist die Notwendigkeit, die ein demokratischer Kopf blind versteht - und beim Dienst an dieser Pflicht darf sein Staat den ihm sonst zugutegehaltenen schönen Schein von der freien Wissenschaft ruhig einmal auffliegen lassen.

Was bei dieser "Abwicklung" da so alles erledigt wird, ist für denselben Kopf deshalb auch weniger wissenswert. In seiner Auffassung von auszumerzenden Restbeständen des feindlichen Systems wird er auch dann nicht irre, wenn dessen ideelle Repräsentanten, die einst die "Kader" "schmiedeten", nunnnehr ganz genau wissen, daß und wie sie mit ihrem "sozialistischen Weltbild" grundverkehrt lagen. Ihm ist sofort klar, daß das Opportunismus ist - worin der besteht, braucht er gar nicht zu wissen. Den sozialistischen Denkern wird diese bequeme Verurteilung allerdings nicht gerecht. Sie lebt ja bloß vom moralischen Generalverdikt gegen den Sozialismus und spinnt an der Wissenschaft die Legende von dessen zu bewältigender Erblast weiter. Was die Denker selbst dazu bewegt, sich vom Sozialismus, für den sie 40 Jahre lang Partei nahmen, mit einer einfachen "Wende" zu verabschieden; weshalb die genauso schnell wie einfach mit Überzeugungen fertig sind, die sie mal ganz ernsthaft vertraten, soll ein Rückblick auf die Wissenschaft im Realen Sozialismus deutlich machen.

Die "Kaderschmieden des Sozialismus": Antikommunistische Bildungsziele für eine fortschrittliche Staatsbürgergesinnung

"Die von Marx und Engels geschaffene Philosophie ist die Weltanschauung der neuen revolutionären Klasse, der Arbeiterklasse; diese ist historisch dazu berufen, die Herrschaft der Bourgeoisie zu beenden, den Kapitalismus zu beseitigen und eine neue, die fortschrittlichste und gerechteste Gesellschaftsordnung - den Kommunismus - aufzubauen. Die marxistisch-leninistische Philosnphie ist deshalb nicht nur verpflichtet, die Welt streng wissenschaftlich zu erklären, sondern dient auch als theoretische Waffe für ihre Veränderung. (...) Eine philosophische Weltanschauung ist ein System verallgemeinerter theoretischer Auffassungen von der Welt: von der Natur, von der Gesellschaft und vom Menschen. Die Philosophie setzt sich zum Ziel, eine bestimmte Orientierungfür den sozialen, politischen, wissenschaftlichen, sittlichen und ästhetischen Lebensbereich der Menschen zu geben und zu begründen."

Vom Gegensatz einer Wissenschaft, der es um die Ermittlung der Notwendigkeiten geht, die es gibt, zum Glauben, der sich solche einbildet, haben also auch die Theoretiker im Realen Sozialismus gewußt. Deswegen haben sie bei allem, was sie weltanschauungsmäßig so geglaubt haben, stets vermerkt, daß sie im Besitz nachprüfbarer Gründe für ihren Glauben wären; es sich bei dem also keineswegs um bloße Metaphysik, sondern um eine durch und durch "wissenschaftliche Weltanschauung" handele. Daß dabei die "Grundorientierung" ihrer Weltanschauung selbst - deren Besitz sie stolz zu Protokoll gaben und damit auch, worin sie sich von ihren bürgerlichen Kollegen unterscheiden wollten - eher nicht dem Wissen über die Welt, sondern ihrem philosophischen Deutungsdrang zu verdanken war, fanden sie gleichwohl in Ordnung. Allerdings weniger aus wissenschaftlichen, als aus moralischen Gründen. Immerhin erklärte sich der "Standpunkt", den sie in ihrem Denken bezogen, für so humanistische Ideale wie "Fortschritt" und "Gerechtigkeit" der praktischen Interessen parteilich, um die es der wirklichen Menschheit ging: Denen zu "nützen" war das wissenschaftliche Ethos - und damit auch dem realsozialistischen Staat, der sich und sein politisches Wirken ja in den Dienst an derselben Vervollkommnung der Humanität gestellt sah. So stand mit der sozialistischen Staatsraison das materielle Substrat der moralischen "Grundanschauung" schon ziemlich fest, auf die die sozialistischen Denker sich verpflichteten und die sie in "bestimmte Orientierungen" zum Nutzen des Volkes übersetzten. Deswegen brauchten diese Denker, um "nützlich" zu sein, bloß noch gute Gründe dafür finden, daß die Mitglieder der Arbeiterklasse auf ihrem Siegeszug zur Gerechtigkeit mit der realsozialistischen Ordnung, in der sie lebten, prinzipiell gut bedient seien. Und genau in der Erfindung dieser guten Gründe lag auch der wirkliche Nutzen dieser Wissenschaft.

Als Hauptingredienz dieses sozialistische n Bildungsauftrags fand eine Lehre namens

"Historischer Materialismus"

Verwendung. In dieser Forschungsrichtung widmete sich das ehrenwerte Bemühen, die "Welt streng wissenschaftlich zu erklären", dem eher weniger wissenschaftlichen Bedürfnis, sich eine historische Notwendigkeit der höheren Art auszudenken. Wie dem eingangs zitierten Lehrbuch zu entnehmen, soll es sich bei einer antikapitalistischen Reuolution darum handeln, daß ein historisch dazu berufenes Subjekt - die Arbeiterklasse - sich anschickt, einen in der Geschichte uorgezeichneten Pfad zur gesellschaftlichen Fort- und Höherentwicklung zu beschreiten. Seinen Grund hat ein kommunistischer Umsturz hiernach nicht in den Notwendigkeiten, die die eingerichtete Welt kapitalistischer Sachzwänge besagter Arbeiterklasse beschert. Auch darin nicht, daß die Erledigung des Kapitalismus zwingende Notwendigkeit für diese Klasse ist, will sie mehr als nur die Ansammlung uon Dienstleistenden dieser Sachzwänge sein. Er hat überhaupt keinen wirklichen, sondern einen über alle Maßen gerechtfertigten Grund, insofern sich Reuolution nämlich von selbst versteht: Sie ist das im Prinzip ohnehin nicht aufhaltbare Ergebnis eines geschichtlichen Gangs, der den Wechselfällen einer "Dialektik uon Produktivkräften und Produktionsuerhältnissen" einbeschrieben sein und sich im steten Sieg von "Produktivkräften", welche "fortschrittlich", über "Produktionsuerhältnisse", welche "überlebt", abzeichnen soll.

Eine Geschichtsteleologie von Sozialismus und Fortschritt; der Glaube an die Mission einer gesellschaftlichen Klasse, einen der Welt als "Haupttendenz" einbeschriebenen Sinn praktisch wahrzumachen: Diese durch und durch antirevolutionäre Ethik der Gesellschaftsänderung war der Beitrag, mit dem die historisch-materialistische Wissenschaft dem Volk im Sozialismus diente. Sie hat unter den Auspizien eines geschichtlich verbrieften Menschheitsfortschritts und "Siegeszugs des Sozialismus", den Staat, den es als realsozialistischen gab, in sein moralisch höheres Recht gegenüber dem Kapitalismus gesetzt. Und bedient hat sie mit den gestanzten Floskeln von der ersten, siegreich bezwungenen Etappe bei der "welthistorischen Mission" den Standpunkt von Leuten, die sich auf ihre Weise in ihrem Staat schon eingerichtet hatten und zu Recht dem wissenschaftlichen Pathos nicht mehr entnahmen als die Bekräftigung, wie goldrichtig sie dabei lagen. So kamen bei dieser wissenschaftlichen Dienstleistung für die werktätigen Massen keine Einsichten zustande, die diesen Namen verdienen, weder deren "Lage" im Kapitalismus, noch die im Sozialismus betreffend. Das Bedürfnis, sie vom Standpunkt ihrer über alle Maßen schätzenswerten Mission aus zu würdigen, hat bezüglich des Kapitalismus dafür gesorgt, sie gründlich von der nötigen Kritik und Aufklärung über den Fehler ihres willigen Mitmachens unter dem Regime des Kapitals zu verschonen. Und bezüglich des Sozialismus für jede Menge Glückwünsche an ihre Adresse, in Gestalt ihres realen sozialistischen Staates so überaus erfolgreich ihrem Interesse und dem Fortschritt der Menschheit insgesamt gedient zu haben...

Der dieses geschichtliche Weltbild tragende sozialistische Fortschrittskämpfer wurde demgemäß wissenschaftlich mit einem Bild bedacht, aus dem sich ergab, daß er haargenau in die Welt hineinpaßte, die er sich mit seinem realen Sozialismus gebaut -hatte. In einer Methodenlehre namens

"Dialektischer Materialismus"

widmete sich die "marxistisch-leninistische Weltanschauung" abstrakt dem Nachweis eines durch seine gesellschaftlichen "Bedingungen" determinierten Bewußtseins. Die Erkenntnis-Methodologie, zu der sie dabei gelangten, sah ihren Materialismus wesentlich dadurch verbrieft, daß sie sich - gegen den "bürgerlichen Idealismus" - zum Primat der Materie über das Bewußtsein bekannte. Dank dieser metaphysischen Grundsatzentscheidung sahen sich die "marxistisch-leninistischen" Theoretiker immerhin zur Wahrnehmung der Möglichkeit einer materialistischen Wissenschaft imstande; und was dann auf Basis dieses Bekenntnisses zum Gewicht der Idee "Materie" quer durch die Fakultäten erforscht und als wissenschaftlich ermittelte Befunde über Errungenschaften des sozialistischen Lebens in den universitären Lehrstoff eingespeist wurde, waren Variationen zu dem Thema, wie gut der Reale Sozialismus zu den Idealen paßt, die die Wissenschaft sich bei seiner Verklärung zum Eldorado des Menschenrechts erdachte. So fand die sozialistische Gesellschaftsordnung durch die

"Marxistische Gesellschaftstheorie"

die folgende interessante Bestimmung einer "Lebensweise" derer, die sich in ihr tummeln:

"Lebensweise ist die sozialhistorisch konkrete Daseinsform der Produktionsweise einer Gesellschaft und ihres Vberbaus. Die Lebensweise folgt der Produktionsweise, ob die Menschen sich dessen bewußt sind oder nicht. Das ist der grundlegendste Gesetzeszusammenhang. Die dialektische Einheit konstituiert Lebensbedingungen, die bestimmte Verhaltensweisen erzwingen, bestimmte Lebensformen und -inhalte vorschreiben. Im Sozialismus ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen als Lebensrealität beseitigt, die Produzenten reproduzieren mit ihrer Arbeitstätigkeit, gleich welche Qualität von Leistungsverhalten diese verkörpert, sozialistische Eigentumsverhältnisse. Sie können sich nicht mehr als ausgebeutete Nichteigentümer bzw. ausbeutende Eigentümer verhalten, auch wenn sie sich unter Umständen wie solche verhalten."

Der Erklärungswert, die "Lebensweise" betreffend ist gleich Null; Erläuterungen darüber, welche Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Einrichtungen und Verkehrsformen denn welche Lebensbedingungen und "Lebensweisen" begründen, sind nicht beabsichtigt. Statt dessen hört man vom Gesellschaftstheoretiker eine erfolgreiche Vollzugsmeldung darüber, daß "die Menschen" sich einem Lebenszusammenhang ein- und unterordnen. Wo der herkommt und worin er besteht, brauchen sie gar nicht zu wissen, weil es sich bei ihrer fügsamen Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse, die es so gibt, halt um einen "grundlegenden Gesetzeszusammenhang" handelt - das ist so im Leben. Um so mehr kommt es dann darauf an, bei der richtigen Sache mitzumachen, wenn man schon bei jeder mitmachen muß. Und dahingehend kann der Theoretiker "den Menschen" im Sozialismus versichern, daß sie jedenfalls bei einer schwer gerechten Inszenierung ihrer Lebensverhältnisse die Anhängsel sind: "Ausbeutung" ist kategorisch und offiziell einfach abgeschafft. Sie findet selbst dort nicht statt, wo dem Theoretiker selbst jeder Unterschied zwischen dem Kommando des Privateigentums und der Macht abhanden kommt, die das "sozialistische Eigentum" auf seine Weise entfaltet. Es kommt nach Maßgabe dieser wissenschaftlichen Rechtfertigungslehre des Sozialismus also bloß darauf an, den Zweck moralisch zu interpretieren, für den man mit eigener Arbeit einen Reichtum mehrt, der einem nicht gehört: Einmal als "Ausbeutung", dann ist er böse und ausschließlich für den Kapitalismus reserviert; das andere Mal als "Volkseigentum" - und dann erübrigen sich Nachfragen.

Die sozialistische Gesellschaftstheorie verschwieg also überhaupt nicht, womit die lieben Menschen auch in einer realsozialistischen Gesellschaftsordnung bedient worden sind: Die trat ihnen schon auch als Zwang gegenüber, dem zu gehorchen war. Doch legte sie auf den Nachweis wert, daß ausgerechnet das auch noch als notwendig eingesehen wird - dafür steht das schlaue "Gesetz", daß eine "Weise" die andere immer "bestimmt". Und dafür steht zweitens die Moral: Nicht "Ausbeutung", deswegen über jeden Zweifel erhaben, das Mitmachen also unbedingt lohnend - das war die ziemlich abstrakte Nutzenlehre der sozialistischen Gesellschaftstheorie. Die

"Politische Ökonomie des Sozialismus"

war eine ähnliche Parodie auf eine"streng wissenschaftliche" Erklärung der Welt und als "theoretische Waffe" ihrer Veränderung derselbe Blindgänger. In ihr galt beispielsweise als oberste Erkenntnis die folgende Ableitung einer prinzipiellen Ohnmacht, die Produktion von Reichtum betreffend:

"Die objektiven Gesetze des Sozialismus sind wie in jeder anderen Gesellschaftsformation objektiver Natur. Sie existieren außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein der Menschen, von ihren Wünschen und Zielen, sind weder willkürlich zu schaffen noch abzuschaffen, noch zu verbessern oder zu verändern."

Die sozialistischen Ökonomen, die ja imnierhin mit ihrer "Wissenschaft der Planung und Lenkung" der Gesellschaft nützen wollten, wollen eine allen ökonomischen Zwecken vorausgesetzte Eigengesetzlichkeit des Ökonomischen kennen - ungefähr so wie ihre bürgerlichen Kollegen, die ja auch mit "dem Wirtschaften" und dessen Zwangsläufigkeiten vertraut sind. Bloß hatten sie im Unterschied zu denen ausgerechnet eine Ökonomie vor sich, in der alles, was es in ihr an Gesetzmäßigkeit gab, untrüglich Zeugnis vom Wirken der politischen Macht und ihrer Planungsbehörden ablegte, die sie einrichtete und in Gang hielt. Und auch wenn dem Selbstverständnis der realsozialistischen Planwirtschaftler nach sich ihr eigenes Werk wesentlich dadurch auszeichnen sollte, daß es einem ziemlich selbsttätig wirkenden Geld-"Mechanismus" optimal den Weg zu ebnen hatte: dessen Anschauung als ökonomisch wirkende Naturgesetzlichkeit ist schon ausschließlich auf dem Mist der falschen Abstraktionen gewachsen, die in dieser ökonomischen Wissenschaft den Grundkonsens abgaben. Die gehorchten dem Bedürfnis, bei allem, was das ökonomische Treiben im Realen Sozialismus so auszeichnete, stur zu versichern, daß es Notwendigkeiten unterliegt; und zwar solchen, die nicht in ihm selbst begründet sein können, sondern jenseits von ihm existieren müssen. Wie jenseits die sind, durften dann 10 Floskeln hintereinander mit "objektiv" bezeugen. Mit dieser fingierten Notwendigkeit stand von der wirklichen realsozialistischen Ökonomie zwar noch überhaupt nichts fest, aber eines jedenfalls außer Frage: Sie war die im Prinzip gelungene, deswegen stets verbesserungswürdige Bemühung, den von ihr unabhängigen Notwendigkeiten zu entsprechen.

Hat die ökonomische Wissenschaft in ihrem ersten Zugriff glaubhaft versichert, daß es sich bei ihrem Gegenstand um ein - sich Willen und Bewußtsein entziehendes - Netz von "Gesetzen" handeln muß, darf die Eule der Minerva endlich starten:

"Eines dieser Grundprinzipien ist die wissenschaftliche Begründung der Pläne. Die wissenschaftliche Planung erfordert vor allem eine umfassende Kenntnis und Ausnutzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Das Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft macht die Planung der Wirtschaft im Rahmen der gesamten Gesellschaft möglich. Diese Möglichkeit darf man aber nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. Sie setzt sich nicht automatisch, nicht im Selbstlauf durch. Um die Möglichkeit zur Wirklichkeit werden zu lassen, muß man das objektive ökonomische Gesetz erkennen, es geschickt ausnutzen und seine Erfordernisse bei der Aufstellung der Wirtschaftspläne berücksichtigen."

Weit kommt sie nicht. Wie es einer zur Naturgesetzlichkeit verwandelten "Ökonomie" zukommt, liefert die wissenschaftliche Einsicht in ihre Gesetzlichkeit maximal Möglichkeiten, sie auszunutzen. Was die List der Vernunft aus diesen dann wirklich machen, also als ihr Vorhaben der Planung fassen kann, ist folglich wesentlich dadurch bedingt, was diese "objektiven Erfordernisse der ökonomischen Gesetze" an Planung mit sich zulassen. Immerhin - das weiß die Wissenschaft - ist Planen möglich; was und wie im einzelnen, das zu ermitteln jedenfalls ist ihre Sache nicht. Dafür ist sie sich sicher, daß jeder Plan Ergebnis einer kunstvollen Bemühung ist, aus einer absoluten Schranke das relativ Beste zu machen. Zwar lag alles, was man sich in Sachen Beschränkung wirtschaftlicher "Wünsche und Ziele" sinnvoll denken mag, praktisch und in Wahrheit in den Zwecken und Sachgesetzlichkeiten begründet, die die realsozialistische Staatsmacht in ihren, zum Kapitalismus alternativen "Mechanismen" einer sozialistischen Geldwirtschaft eingerichtet hatte: Die stellten ja überhaupt erst die Basis her, auf der dann mittels "planmäßiger Verwirklichung des Wertgesetzes", "Austausch der Erzeugnisse nach dem Äquivalenzprinzip" usw. planerisch der "proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft" nachgejagt werden sollte. Aber der politökonomischen Theorie zufolge ist alle Ökonomie Dienst an einer vor- und außergesellschaftlichen Sachzwanghaftigkeit, der der realsozialistische Staat bei allen seinen volksnützlichen Vorhaben immer zu dienen hatte. Deswegen löst sich das wissenschaftliche Ideal der Politischen Ökonomie des Sozialismus - und damit auch der Nutzen, der mit der planmäßigen Anwendung des Wissens über die "Gesetze der Ökonomie" angekündigt war - restlos im Wirken einer Instanz auf, welche Wirtschaftspolitik heißt und sozialistisch ist, weil sie die richtigen Fakten setzt:

"Das schließt ein, daß auch die Wirtschaftspolitik der sozialistischen Staaten diesen Erfordernissen der ökonomischen Gesetze entsprechen muß. Nur dann handelt es sich um eine wissenschaftlich begründete Politik, können die Interessen der werktätigen Menschen... bestmöglich verwirklicht und die Potenzen... für den ökonomischen und sozialen Fortschritt vollständig erschlossen werden."

Das letzte Wort dieser Wissenschaft zu den von ihr beschworenen Gesetzmäßigkeiten war die Grußadresse an die politische Instanz, die zum Wohle des Sozialismus, seiner Werktätigen und des Guten überhaupt "bewußten Umgang" mit ihnen pflegen sollte. Diese Ohnmachts- und Vertrauenserklärung war die Apologie, mit der der Reale Sozialismus von seinen ökonomischen Theoretikern bedacht wurde.

Freilich nur so lange, als es ihn noch gab. Denn so, wie die Wissenschaft des Realen Sozialismus für ihren Staat Partei nahm; die Begründungen, mit denen sie ihn in (s)ein höheres Recht zu setzen und sein Wirken historisch, soziologisch, ökonomisch usw. als Dienst an humanistischen Idealen zu würdigen verstand -: Das war der denkerische, dem Erfolg einer Staatsdoktrin gewidmete Respekt, die sich eben diesen Idealen gewidmet und mit dieser Widmung selbst ihre Scheidung vom "anderen System" begründet hatte. Deshalb werden die Erfolgsideologien der moralischen Grundsatzentscheidung, einen Staat zum Wohle der Massen zu machen, mit dem offiziell kundgegebenen Mißerfolg dieses antikapitalistischen Projekts im wörtlichen Sinn gegenstandslos. Die berufsmäßigen sozialistischen Erfolgstheoretiker, die sie sich ausgedacht hatten, legen sich dies auf ihre Art zurecht. Sie interpretieren es als neue Aufgabe, sich darauf einen Reim zu machen - und "orientieren" sich um: Sie fassen den Mißerfolg ihres Staates als Widerlegung der Theorien auf, in denen sie die guten Gründe seines Wirkens zusammengetragen haben. Und den Erfolg des "anderen Systems" nehmen sie als Auftrag, nach den Gründen und zwar wiederum den guten - zu forschen, die für dieses und damit für seinen Erfolg sprechen: So, wie sie den Sozialismus, als es ihn noch gab, als die erfolgreiche Verwirklichung dei "Haupttendenz" und der "Gesetzmäßigkeiten" begriffen, die sie sich ausdachten, so begreifen sie jetzt seine Niederlage und den Triumph des Kapitalismus als die erfolgreichere Verwirklichung von allem, worvm es ihrer Auffassung nach letztlich immer geht. Von daher heißt

Die Devise realsozialistischer Erfolgsideologen: "Umdenken!"

Damit ist sogleich ausgeschlossen, daß irgendein Theoretiker des Realen Sozialismus jetzt, wo er mangels Auftraggeber Zeit dazu hätte, die Gelegenheit wahrnimmt, bei sich und seinen Kollegen mal kritisch nachzufragen, ob man sich nicht vielleicht doch die ganzen letzten Jahre hindurch wissenschaftlich gesehen einen rechten Mist zusammengedacht hat. Das Bedürfnis, das die "marxistisch-leninistischen" Theoretiker bei ihrer selbst- und wissenschaftskritischen Rückschau treibt; kritisiert nichts von ihren falschen Lehren, sondern holt sich aus dem "Mißerfolg des Sozialismus" gleich die nächste ab und legt sich die Frage vor, wieso sie denn so lange einem Projekt geistig die Treue gehalten haben, das - wie sich ja gezeigt hat offenbar doch zum Scheitern verurteilt war.

Gleichfalls ausgeschlossen ist, daß von irgendwelchen kritischen Vorbehalten, die die realsozialistischen Denker gegenüber den Theoriegebäuden der bürgerlichen Wissenschaft gepflegt haben, etwas bleibt: Genau umgekehrt bekommen mit dem "anderen System" und dessen durchschlagendem Erfolg auch alle Rechtfertigungslehren in Bausch und Bogen recht, die die ganze Tradition der bürgerlichen Apologie des Kapitalismus und der menschheitsbeglückenden Errungenschaften des demokratischen Staates bisher gestiftet hat. Deswegen ist auch die "neue Orientierung", die die alten realsozialistischen Ideologen als die ihre entdecken und mit der sie gleich wieder in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung dem "Neuen" dienen wollen, der Sache nach überhaupt nicht neu. In der Schatzkiste der bürgerlichen Wissenschaften finden sich ja schon ziemlich komplett die guten Gründe versammelt, die dem bürgerlichen Stall seine letztlich unwidersprechliche Notwendigkeit bescheinigen und ihm die Weihen eines Dienstes an stets höheren menschlichen Zwecksetzungen verleihen. Und angesichts dieser Blüten, zu denen der affirmative Geist bürgerlicher Wissenschaft es gebracht hat, muß ein realsozialistischer Denker seinen Kopf überhaupt nicht groß zerbrechen und selber die falschen Gründe nacherfinden, mit denen die Parteilichkeit, zu der er sich erklärt, daherkommt: Er muß sich nur als Denker mit dem theoretischen Sumpf gemein machen, in dem die schon so prächtig gediehen sind.

So verwerfen die Wissenschaftler des Realen Sozialismus - und zwar alle - zuallererst die "weltanschauliche Grundorientierung", von der aus sie die guten Gründe zusammengedacht und gelehrt hatten, die ihren Staat ins schöne Licht eines Dienstes am Fortschritt brachten. Das ihrem Forschen zugrundeliegende "Bekenntnis zum Sozialismus", die Parteilichkeit ihres Denkens für eine gesellschaftliche Praxis im Dienst am menschlichen Fortschritt und ihr Wille, sich für diese nützlich zu machen, erscheint ihnen rückblickend nicht als Bornierung, die sie in ihrem Denken vollzogen, sondern als das, was sie von ihren bürgerlichen Beamtenkollegen immer zu hören bekamen - als gewaltsame, stalinistisch und grausam organisierte Fesselung eines freien Geistes. Warum ein Lehrbetrieb, der es schwer mit "objektiver Erkenntnis" und dem praktischen Nutzen von Wissenschaft hatte, auf einem soliden Fundament von Glaubensartikeln aufbaute und wissenschaftliche Karrieren durchaus von dem Bekenntnis zu ihnen abhängig machte, gibt diesen Denkern kein Rätsel auf. Gerade so, als ob sie nicht von sich und der Wissenschaft redeten, mit der sie diesen Lehrbetrieb in Gang hielten, kommt der ihnen als eine einzige "Bevormundung" vor, die mit einem heimtückischen Arrangement

"von Einmischung, angestrengter Gläubigkeit und vorauseilendem Gehorsam"

ins Werk gesetzt worden sei.

Ideologen, die als Partei-Ideologen gedacht haben, interpretieren jetzt, nachdem ihre Partei weg ist, ihr Denken als Instrumentalismus, zu dem man sie kommandiert hätte. Und in Amt und Würden ergraute Träger der ehemaligen sozialistischen Gelehrtenrepublik reden über sich in der 3. Person und erzählen schlechte Romane von Marionetten, an denen der Ewige Stalin zog:

"Ein immer dichter werdendes Netz von Regelungen und Ordnungen, die bestimmt waren, erwachsene Menschen zu verunsichern und buchstäblich zu entmündigen"

- das wäre ihr Lehrbetrieb gewesen. Was dieser jetzt endlich selbständig denkende Kopf meint, wenn ihm jetzt die Organisation der realsozialistischen Wissenschaft bloß noch als bürokratischer Würgegriff erscheinen will, der seiner werten Person und seinem noch mehr werten wissenschaftlichen Genius gegolten hätte, sagt er freilich auch. Die "Entmündigung", die, wie man ja hört, dem dienstbeflissenen Denken zugrundegelegen haben muß, war Reflex genau der objektiven Unhaltbarkeit eines Staatswesens, die sich jetzt wohl ziemlich deutlich offenbart hat: "Hinter all dieser Gängelei", zu der er seine eigenen Gedankenleistungen genauso wie die seiner ganzen Kollegenschaft dramatisiert, steckte in Wahrheit

"das existentielle Trauma der DDR: der andere deutsche Staat, den alle, auch die Träger der Macht, für den besseren hielten, allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz. Dieser Geburtsfehler hat dazu geführt, daß der Staat seinen Bürgern das andere große Trauma zugefügt hat: die Mauer."

Das "Trauma" auf dem Feld des Denkens bestand dementsprechend darin, daß die Ost-Theoretiker im Jet-Set jener "internationalen, nicht in Staatsgrenzen einzubindenden Kommunikationsgemeinschaft" namens Wissenschaft nicht mitmachen durften: Genau das war das Leiden eines Wissenschaftlers, daß er mit dem bürgerlichen Weltniveau des falschen Denkens, das ja bei der sachkundigen Ermittlung des "besseren" deutschen Staates schon von Anfang an richtig lag, immer nur per Raubkopie bekannt geworden ist. Und die Freiheit, die er nun in vollen Zügen beim Denken genießen möchte, besteht für ihn darin, endlich auch in jenen "kreativen und diskursiven Prozeß" einsteigen zu dürfen, der sich als bürgerliche Wissenschaft austobt: der hat ja vom "Gang der Geschichte" Recht bekommen.

Wenn dieselbe Deutung des Gesamtgebäudes der "ML"-Lehrmeinungen als - historisch ganz und gar zu Unrecht - von einer Partei-Ideologie unterdrückte freie Wissenschaft "sachlich" wird, dann kommen die heißersehnten "internationalen Standards" der bürgerlichen Wissenschaft zum Zuge. Die leiten dann die Interpretationen an, mit denen diese ideellen Opportunisten des Erfolgs sich "das Scheitern des Sozialismus" als die Überlebtheit ihrer alten Parteinahme für sein Gelingen zurechtlegen.

Historische Materialisten

treten "für eine radikale Erneuerung der Geschichtsschreibung" ein, weil sie an der alten zu kritisieren haben, daß sie sich bei ihrem ausgiebigen "Quellen"-Studium viel zu unkritisch auf Parteibeschlüsse der SED und viel zu wenig auf die Errungenschaften der bürgerlichen Historikerzunft eingelassen hätten. Ersteres wäre nämlich dogmatisch gewesen, während der dogmatische Skeptizismus der bürgerlichen Wissenschaft, zu dem man sich jetzt bekennt, erstens Renommee genießt und zweitens natürlich dem Geist die Freiheit stiftet, die "Welt" von einem Standpunkt aus "anzuschauen", den r sich aussucht. Irgendwie kommt aber der, der dann freiheitlich den Zuschlag erhält, einem dann doch wieder recht bekannt vor: "Ist die simple Theorie der Abfolge von Gesellschaftsformationen noch zu halten?", fragt da einer und meint dabei freilich nicht, daß die Theorie Schrott wäre. Er meint, daß diese Sicht von Geschichte "angesichts der unbezweifelbaren Offenheit von Geschichte" nicht mehr zu halten ist - also deswegen "simpel" ist, weil der "Gang der Geschichte" sich nicht an die Etappenfolge hielt, die r für sie vorsah und nach der der Sozialismus als das höhere Stadium der Weltgeschichte den Kapitalismus zwangsläufig ablöst. So sichert sich die alte geschichtsteleologische Betrachtung über den Werdegang des menschlich-sozialen Fortschritts und seiner Haupttendenz zum Besseren ein Fundament, mit dem sie wieder ganz auf der Höhe der Zeitläufte liegt. Und aus der Kaderschmiede Leipzig meldet sich der Vorsteher der Sektion Geschichte mit der folgenden "Neuorientierung" zu Wort, die sein apologetisches Denken für angezeigt hält - wg."Gang der Geschichte":

"Legitimationsfunktion nimmt die Geschichte sowieso zumeist ein. Das ist auch in der bürgerlichen Gesellschaft durchaus üblich: Wenn denn Geschichte einen Sinn haben soll, müssen ihre positiven Wirkungskräfte auch durch die Geschichte selbst legitimiert sein. Wenn aber, wie bei uns im Land geschehen, diese Legitimationsfunktion in platte Apologetik umschlägt, entsteht ein Spannungsverhältnis, das kaum produktive Verhältnisse hervorbringt. ... Der marxistisch gefärbten Geschichtswissenschaft war doch ein starker Fortschrittsglaube immanent. An dieser Stelle muß vieles grundsätzlich neu durchdacht werden. Das Prinzip der ständigen Aufwärtsentwicklung ist so beispielsweise nicht haltbar."

Tja, der Weltgeist würfelt eben doch. Deswegen wollen die berufsmäßigen Deuter des Plans, den der Werkmeister sich für die "Aufwärtsentwicklung" so gedacht hat, nicht mehr davon ausggehen, sie würden von ihm wissen und damit auch, welcher Idee die Praxis gehorcht, letztlich. Vielmehr müssen sie davon ausgehen, daß das, was sich als Ergebnis der "geschichtlichen Entwicklung" jeweils herausstellt, zwar vielleicht nicht das ist, was man sich in Sachen "Entwicklung" als das Beste vorstellen und wünschen mag; wohl aber das relativ Beste, was diesbezüglich historisch möglich war: Das als den höheren geschichtliche Sinn des Gewordenen zu vertreten, sind die "positiven Wirkungskräfte", die die umgepolte Legitimationswissenschaft von sich ausgehen lassen möchte. Das ist keine "platte Apologetik", weil man das, was es gibt, eben nicht mehr vom Standpunkt der Idee aus beglückwünscht, die man in ihm zur Verwirklichung gelangt sehen möchte. Sondern das ist Apologie methodisch und prinzipiell: Seine geschichtlich verbürgte Notwendigkeit und den ganzen Sinn, den es für die schöne Idee der "Entwicklung" nach oben macht, beweist alles, was es gibt, allein schon dadurch, daß es "durch die Geschichte selbst legitimiert" ist - also dadurch, daß es kam, wie es einfach kommen mußte. Und wenn es ein historisches Gebilde dann einmal nicht mehr gibt, dann muß ein historisch denkender Geist erkennen, daß er seine apologetische Kunst ans falsche Objekt verschwendet und sich damit unglaubwürdig gemacht hat.

Politische Ökonomen

lassen sich nach derselben Logik massenweise von dem Besseren belehren, das so unwidersprechlich erfolgreich die realsozialistische Planwirtschaft ersetzt hat. Offenbar hat es ja so die "Lehre", die man zieht - letztere gar nicht vermocht, im Umgang mit den "ökonomischen Sachgesetzen" jene "Effektivität" herzukriegen, die eine "Marktwirtschaft" aufzuweisen hat. Das liegt vermutlich daran, daß in der keine Staatsamateure an der planmäßigen Verwirklichung des Wertgesetzes herumpfuschen, sondern kapitalistische Profis es einfach vollstrecken. Dies mag vielleicht bitter für all die schönen Vorhaben sein, denen man sich planwirtschaftlich gewidmet hatte; macht aber nichts Denn bei der "Marktwirtschaft" sind die schon auch "denkbar". Z.B. mit einer

"Marktwirtschaft, die - auf der Basis evolutionärer Eigendynamik und durch wirksame parlamentarische und basisdemokratische Kontrolle gebändigt - zu Recht sozial genannt werden könnte, weil sie die Ansprüche und Rechte aller Menschen unseres Erdballs berücksichtigt."

Die Ökonomie der "evolutionären Eigendynamik" als gelungene Inszenierung jenes selbstläufigen Wesens, das das "System der Planung und Lenkung" so recht nie zu bemeistern wußte; ein Staat, der den Nutzen des Volkes mehren und den Schaden von ihm wenden möchte, den dieses ökonomische Erfolgswunder offenbar genauso eigendynamisch stets mit sich bringt - und heraus kommt dasselbe feine Ideal, von dem früher die stolzen Inhaber der "Kommandohöhen der Volkswirtschaft" und ihr wissenschaftlicher Anhang beflügelt waren: Äußerst sozial ist sie, die Wirtschaftsweise. Bloß ist das eben jetzt nicht mehr der Ehrentitel einer ökonomischen Praxis, die sich selbst als in dessen Diensten stehend begriff. Sondern getrennt von dieser fingiert es die moralisch hochstehende Absicht, der vorgestelltermaßen eine flotte Akkummulation von Kapital doch irgendwie schon auch gewidmet sein könnte. Am praktischen Ertrag, den die "soziale Marktwirtschaft" für die abwirft, die ihr in der geschätzten Rolle der "werktätigen Massen" dienen, ist ihr Nutzen nämlich nicht zu messen. Sie verdient es nicht, durch einen profanen Vergleich mit den Niederungen des praktischen Wohlergehens erniedrigt zu werden, weil "das Wirtschaften" in ihr offensichtlich wieder einer "Mission" dient: Den Rechten und Ansprüchen der auf dem Erdball versammelten Gesamtmenschheit soll sie diesmal Bahn brechen - also ist schon wieder ein ziemlich unanfechtbar guter Grund die Instanz, die Parteinahme gebietet. Insofern die dem Kapitalismus gilt, sichert sie den Ex-Wissenschaftlern der Planung und Lenkung wenigstens formell die Aufnahme in die Schar bürgerlicher Apologeten, die ihre Wissenschaft ja auch dem Gelingen eines marktwirtschaftlichen Kunstwerks widmen, welches - letztlich - auch im Dienst an unwidersprechlichen Gütevorstellungen steht. Aber das sagen die eben nicht einfach bloß so vor sich hin. Dafür haben die ganze Arsenale von "Modellen" und "Gleichungssystemen" ausgearbeitet - mit denen und manch anderen theoretischen Hilfsbrücken wird dem Ideal vom Gelingen der Marktwirtschaft denkerisch zuleibe gerückt. Da steht dann schon die Gleichung mit vier Unbekannten stellvertretend für ein "Problem", das es auch nicht gibt; und ihre erfolgreiche" Lösung" dann dafür, daß man bei der wissenschaftlichverantwortungsvollen Betreuung der Volkswirschaft glatt eine Gleichung weitergekommen ist. Das will gelernt sein, und bevor die warmen Worte von der "evolutionären Eigendynamik" nicht als 2. Ableitung einer Hyperbel daherkommen, die beim Gleichgewichtspreis die Konsumgerade überholt, kann von den "Standards der Wissenschaft" überhaupt keine Rede sein.

Nachdem diesbezüglich der Lernwille aller "marxistisch-leninistischer" Theoretiker außer Frage steht, scheitert die Bereicherung der bürgerlichen Wissenschaft und ihres Lehrbetriebs durch sie also lediglich daran, daß ihre werten Bemühungen beim "Umdenken" gar nicht gebraucht werden. Ihre neue Parteilichkeit mag man ihnen - vielleicht - zugutehalten. Aber das sichert ihnen keinen der Arbeitsplätze, die für die Konstruktion prokapitalistischer Denkwelten bereitstehen. Und für deren Besetzung die Wissenschaft schon ihre Kriterien hat, mit denen wissenschaftliche Profis, die einen Lehrstuhl verdienen, von Dilettanten geschieden werden, die bis gestern noch nicht - wußten, daß das Volkseinkommen groß Y heißt.

Gesellschaftswissenschaftler

und überhaupt alle anderen Theoretiker, die sich im Realen Sozialismus um das Ideal einer "sozialistischen Persönlichkeit" verdient machten; wollen sich auf das "Scheitern" des sozialistischen "Experiments" natürlich auch ihren Reim machen. Dazu halten sie Rückschau auf ihre Bemühungen, den berechnenden Opportunismus von realsozialistischen Untertanen zur edelmoralischen und freien Verwirklichung sozialistischen Gemeinschaftssinns zu verklären - und werden skeptisch. Ihr Ideal einer sozialistischen "Persönlichkeit", die aus freiem Antrieb die Notwendigkeiten des Kollektivs freudig erfüllt, erscheint ihnen als ein "realitätsfernes Wunschbild". An der Wunschvorstellung einer erfolgreichen Manipulation, die sie gestrickt haben, befinden sie für schlecht, daß sie nicht so erfolgreich wie gedacht aufgegangen ist. Sie halten also nicht ihr Ideal für realitätsfremd, daß politische Herrschaft die Verwirklichung eines allgemein menschlichen Bedürfnisses zu sein hätte. Statt dessen geben sie im Beschwerdeton davon Nachricht, daß aus ihren unbestreitbar guten Absichten, mit dem Sozialismus den wahren Humanismus wirklich werden zu lassen, leider ichts geworden sei, weil nämlich der Mensch nicht zu dem Bild paßt, das sie von ihm fertigen. Den "Realismus", an den sie darüber gemahnt werden, finden sie dann in etwa in den ebensnahen Menschenbildern, die sich in der Schatzkiste der bürgerlichen Wissenschaften türmen. Aus denen ergibt sich ziemlich eindeuig, wer letztlich

"die sozialistische Gesellschaft und mit ihr alle vernünftigen Tendenzen und Mittel der gesellschaftlichen Lebenssicherung"

zu Grabe getragen hat:

"Ein vieL komplizierteres und problematischeres Wesen Mensch"

hat sich erfolgreich allen Künsten seiner Manipulation in eigenem Interesse widersetzt. Mit seiner immer noch mächtigen "Trieb- und Gefühlsstruktur" war r der letzte Grund, weswegen aus allen so wohlgemeinten sozialistischen Anstrengungen bei der Bewältigung der "ökonomisch-technischen Rationalität" nichts werden konnte. So landen enttäuschte Politmoralisten bei der uralten westlichen Hetze, daß, wer die Menschheit mit einem Paradies beglücken will, notwendigerweise bei der Diktatur "des Menschen" über "den Menschen" landet. So ist mit "dem Menschen", dieser tendenziellen "Fehlkonstruktion der biotischen Evolution", erstens die Schuldfrage geklärt - und der bürgerlichen Schlauheit von der prinzipiellen Menschenunwürdigkeit des Sozialismus und der Planwirtschaft abschließend auch das Recht gegeben, das sie sich historisch und ganz realitätsnah verdient hat. Zweitens macht die offenbar gewordene beschränkte Tauglichkeit "des Menschen" fürs Mitmachen bei ambitionierteren gesellschaftlichen Projekten den Weg für Betrachtungen frei, ob er dann nicht und zwar aus demselben Grund - im Prinzip mit dem bürgerlichen Stall haargenau richtig bedient ist. Der verspricht ihm nämlich nur, was zu ihm passen soll: seine unvollkommene Natur muß im Zaum gehalten werden.