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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1990 erschienen.

Systematik

Golfkrise
DER HARTE KERN DER DEBATTE, OB, WIE UND ZU WELCHEM ENDE DIE ZIVILISIERTE STAATENWELT UNTER FÜHRUNG DER USA DEN IRAK FERTIGMACHEN SOLL

George Walker Bush, Präsident und Oberkommandierender der Streitkräfte:

"Ich habe endgültig die Nase voll, wie hier mit Amerikanern umgesprungen wird." (31. 10)

"Ich habe nicht vor, die Kriegstrommel zu rühren." (1.11.)

"Die Sanduhr läuft aus für den Irak. " (1.11.)

"Wir sind bereit, den Sanktionen Zeit zu lassen, bis sie wirken." (1.11.)

"Ich habe heute angeordnet, die US-Streitkräfte am Golf zu verstärken, damit wir dort über eine angemessene offensive Option verfügen." (8.11.)

"Ich hätte sehr gerne eine friedliche Lösung." (8.11.)

"Saddam weiß jetzt, daß er mit Krieg rechnen muß." (30.11.)

"Ich bin bereit, für den Frieden eine Extra-Meile zu laufen." (1.12.)

Niemand auf der Welt bestreitet die Berechtigung der USA, den Irak mit Gewalt aus Kuwait rauszuhauen; dennoch gibt es seit Beginn der militärischen Konfrontation am Golf eine lebhafte Diskussion, ob man dazu wirklich einen Krieg führen sollte. Alle Welt gibt sich einig, daß man Saddam Hussein seine Eroberung Kuwaits nicht durchgehen lassen darf; und Journalisten, Militärs und Politiker - der US-Präsident eingeschlossen - grübeln öffentlich darüber nach, wie die Bestrafung des "Irren von Bagdad" aussehen soll, ob es nicht für das Programm, den Irak militärisch fertigzumachen, eine alternative "friedliche Lösung" gibt. Was ist da los?

Der Krieg muß sein...

Entgegen den gelegentlichen Verlautbarungen des Präsidenten der USA, auch ihm sei nichts lieber als eine "Lösung" der Golfkrise ohne einen einzigen Schuß, zeigen doch alle seine Beiträge zur Bereinigung des Konflikts mit dem Irak, daß hier Gewalt bis zum offenen Krieg das Mittel ist, mit dem die USA Saddam Hussein in seine Schranken weisen wollen. Dafür spricht bereits der Beschluß der Bush-Administration, die Auseinandersetzung zwischen dem Irak und dem Emirat Kuwait als einen Angriff auf die USA zu nehmen und die "Wiederherstellung der nationalen Souveränität" der Sabah-Sippe zum kriegswürdigen nationalen Interesse der USA zu erklären. Folglich wird seitdem in allen Maßnahmen der US-Politik nichts anderes betrieben als Kriegsvorbereitung - und erste Kriegshandlungen:

- Die Entsendung von Truppen, Marineeinheiten und der Luftwaffe ins Grenzgebiet zwischen Irak und Saudi-Arabien fand bereits unmittelbar nach dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait statt. Bis Mitte Januar werden 400.000 Mann disloziert sein. Der Präsident schöpfte seine verfassungsmäßigen Möglichkeiten unterhalb einer formellen Kriegserklärung durch den Kongreß voll aus und mobilisierte Reservisten (bis Ende des Jahres 200.000).

- Die Blockade, durchgesetzt mit Schlachtschiffen und Kampfflugzeugen, ist nach den Regeln des jetzt so gern angeführten Völkerrechts, ein Akt militärischer Gewalt.

- Die USA forderten ihre NATO-Verbündeten und Japan zur Einreihung in die Front gegen den Irak auf. Ganz so, als handle es sich bei Saddam um eine ähnliche Herausforderung des Freien Westens wie die sowjetische, gegen die bislang das Bündnis gerichtet war.

- Auf einem Gipfeltreffen mit Gorbatschow verlangte Bush vom sowjetischen Präsidenten eine Unterstützung der US-Position. Er erhielt die ausdrückliche sowjetische Erlaubnis, auch Gewalt gegen den Irak einzusetzen, also die Möglichkeit ungestörten Kriegführens.

- Über die UNO verpflichtete der Freie Westen, diesmal im Bündnis mit der Sowjetunion, den Rest der Welt zur Parteinahme gegen den Irak.

- Am 30.November ließen sich die USA vom Sicherheitsrat in New York einen Auftrag der Völkerfamilie zum Krieg erteilen. Das Gemetzel könnte also als Menschheitsanliegen moralisch auf höchstem Niveau veranstaltet werden.

- Verhandlungsangebote des Irak über die Kuwaitfrage lehnten die USA strikt ab und verpflichteten die restliche Welt ebenfalls auf die Alternative für Saddam: Krieg oder Aufgabe aller irakischen Forderungen.

- Nach der Sicherheitsratsresolution offerierte Bush selbst dem Gegner ein Gesprächsangebot: Ausdrücklich aber nicht zwecks Verhandlungen, sondern um Saddam aus erster Hand klarzumachen", that the US really mean business".

... aber muß er wirklich sein?

Gleichzeitig mit der gewaltigsten Kriegsanstrengung der USA seit dem Höhepunkt ihres Kampfes gegen Vietnam läuft eine Debatte, die sich vordergründig um das Thema dreht, welche Probleme und Risiken ein Waffengang aufwerfen würde. Ein Beispiel aus den USA selbst, das sehr repräsentativ ist:

"Die Entscheidung, den irakischen Kräften mit Gewalt entgegenzutreten, kann noch nicht gefällt werden. Die Risiken sind immens, was die möglichen Verluste auf dem Schlachtfeld betrifft, die Störungen der Wirtschaft, die Belastung der Anti-Irak- Koalition, die Reaktion des arabischen Nationalismus, Divergenzen daheim. " (International Herald Tribune, 7.11.)

Diese Bedenken stehen in merkwürdigem Widerspruch zu der Entscheidung, dem Irak mit Gewalt zu kommen, die in Wirklichkeit längst gefallen ist, nämlich schon am 2. August, dem Tag der Invasion Kuwaits. Sie passen gar nicht zu dem Standpunkt des "Was sein muß, muß sein!" mit dem die USA kriegsbereit angetreten sind Mitten im Aufmarsch werden glatt Argumente für den Rückzug publiziert. Ein seltsames Sammelsurium von Problemen:

- Sicher die Kalkulation mit anfallenden Verlusten das Interesse an der Minimierung eigener Opfer gehört zum Kriegführen. Aber hier ist es glatt in den Rang eines "Risikos" erhoben das das ganze Unternehmen in Zweifel zieht.

- Daß ein Krieg gegen Saddam eine Belastung ausgerechnet für die Anti-Irak-Koalition werden könnte, ist widersinnig: für ihn ist diese Koalition doch gerade gezimmert worden.

- Auch der vorsichtige Umgang mit dem "arabischen Nationalismus" mutet seltsam an, als Infragestellung des Beschlusses, den arabischen Nationalisten Saddam zu erledigen.

- Die Sache mit der Wirtschaft, die "gestört" werden könnte, erhebt gegen einen Krieg den Anspruch, bei dieser Zerstörung und Verschleuderung von Mensch und Material dürfe aber die Konjunktur nicht schaden nehmen und deshalb solle man ihn lieber nicht machen. Als wäre nicht mit der Entscheidung für den Gewalteinsatz die Sphäre des Zivilen, in der der Nutzen das letzte Wort hat, zu Gunsten der Lösung letzter Rechtsfragen verlassen.

- Ebenso der Hinweis auf "Divergenzen" in den USA selbst. Das wäre ja noch schöner, wenn in einer "offenen Gesellschaft" der Standpunkt der Führung, daß Gewalt sein muß, sich davon abhängig machen würde, daß alle geschlossen "Hurra!" sagen. Dafür gibt's schließlich einen Präsidenten, der commander-in-chief der Streitkräfte ist und der verfassungsgemäß im nationalen Interesse auch allein entscheiden kann, wann das Zuschlagen fällig ist.

Die weltweite Debatte, die inneramerikanische eingeschlossen, hat also das Eigentümliche, da niemand die völkerrechtlich und moralische Berechtigung eines Krieges gegen den Irak in Zweifel zieht, aber dennoch über Voraussetzungen, Bedingungen, Risiken und Resultate räsoniert wird, so als wäre es ganz zweifelhaft, ob der Ernstfall überhaupt wirklich vorliegt.

Die Einwände gegen einen amerikanischen Krieg am Golf tragen sich auch vor als Suche nach den Möglichkeiten einer politischen Lösung. Diese sollte die offiziell angegebenen Kriegsziele ohne Blutvergießen erreichen. Ein Exempel statuieren, ohne es zu tun?!

Wenn sich die Debatte um die amerikanische Kriegsentscheidung nun schon in den fünften Monat hineinzieht, wenn die amerikanische Kriegserklärung unterschrieben und gleichzeitig jede Menge Erklärungsbedarf angemeldet wird, warum denn dafür wirklich Krieg sein muß, dann kommen sich bei dem geplanten Krieg offensichtlich etliche Absichten und Interessen ins Gehege.

Warum der Krieg in Ordnung gehen soll...

George Bush tut das Seine, um die Zweifel seiner Landsleute und Bündnispartner zu entkräften. Im US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" führte er unter dem Titel "Warum sind wir am Golf" drei Gründe an:

"Erstens darf die Welt Aggression nicht belohnen ... Die Geschichte zeigt klar, daß die Belohnung einer Aggression mehr Aggression erzeugt. Wir müssen jetzt zur Antwort bereit sein oder wir müssen mit viel größeren Herausforderungen in Zukunft rechnen."

Das demokratische Leben zeigt immer wieder, daß die Glaubwürdigkeit des Führungspotentials nicht davon abhängt, ob das Fußvolk an den Wahrheitsgehalt der ihm angebotenen Ideologien auch glaubt. Bisweilen sind von jedermann durchschaute Lügen die beste Propaganda für den Führer, der sie am erfolgreichsten in die Welt setzen kann. Sie lassen allerdings einen Schluß auf die Wahrheit zu: Mit ihnen wird etwas ganz anderes beabsichtigt, als durch sie öffentlich vertreten wird. Bei Bushs erstem Giund für US-Militär am Golf findet sich die Widerlegung der Behauptung in der gleichen Gegend: Als der Iran Opfer einer irakischen Aggression wurde, duldeten die USA das mit offener Sympathie, weil damit die "Islamische Revolution" geschädigt wurde, die von Amerika damals noch unter der Rubrik "Internationaler Terrorismus" geführt wurde. Saddam wurde für seine Aggression auch reichlich Belohnung aus wesentlichen Staaten des westlichen Bündnisses zuteil: Frankreich ist ein Hauptausrüster der irakischen Armee und war im Krieg Lieferant von Exocet-Raketen Die BRD hat Waffentechnologie und entgegen der dreisten Behauptung ihres Kanzlers in der Wahlnachteuphorie auch so manches Schießgerät geliefert. Aber auch die USA selbst stellen jetzt selbstkritisch fest, daß ihre Regierungen in den letzten fünf Jahren "High-Tech-Exporte für 1,5 Mrd. Dollar genehmigt haben" (IHT, 2.11.). Den gleichen Zeitungen, die Bushs Übernahme einer Strafrechtsmaxime ("Crime must not pay!") in die internationale Politik zustimmend abdrucken, druckten jede Menge Beispiele ab, denenzufolge die USA sich selbst mit Krieg hätten überziehen müssen, nach den Überfällen auf Grenada und Panama und Nicaragua und so weiter. Ferner kann auch ein US-Präsident niemandem garantieren, daß eine Niederlage Saddams, also ein an ihm statuiertes Exempel irgendeinen anderen potentiellen Störenfried der Weltordnung - von denen offensichtlich zahlreiche in den Startlöchern kauern und abwarten, was dem Kollegen Saddam passiert - wirkungsvoll abschrecken würde. Auch der Irak wird nur dadurch "abgeschreckt", daß man ihn wirklich fertigmacht.

Den Spruch von der Entmutigung des Aggressors nimmt Bush also jeder ab, keiner glaubt aber im Ernst daran, daß die Weltmacht Nr. 1 sich wegen eines Schutzapostolats über wehrlose Kleinstaaten am Golf engagiert. Was fällt Mr. Bush sonst noch ein?

"Zweitens steht unsere nationale Sicherheit auf dem Spiel. Kann die Welt es zulassen, Saddam Hussein zu erlauben, die Lebenslinie der Weltwirtschaft im Würgegriff zu halten? Genau das würde passieren, wenn wir scheitern... Schon jetzt, ohne aktute Ölverknappung, hat Saddams Angriff den Ölpreis fast verdoppelt... Wir können keinem Tyrannen ökonomische Erpressung erlauben."

Der Mann täuscht sich und weiß es wohl auch. Die momentane Steigerung des Barrelpreises ist ein Werk der Spekulation auf die amerikanische Kriegsdrohung. Sie entspricht keiner Verknappung des Ölangebots, sondern ist der marktwirtschaftlichen Chance der Multis geschuldet, die sich an der politischen Krise dumm und dämlich verdienen.

Dasselbe gilt für das angebliche Problem der nationalen Sicherheit. Auch in Amerika ist bekannt, daß die Macht zu ökonomischen Erpressungen bei den imperialistischen Nachfragem liegt: Ohne deren Dollars für Öl, dessen Anwendung als Produktionsmittel sich nur in den kapitalistischen Industriestaaten rentiert, läuft in Staaten wie dem Irak überhaupt nichts. Die Blockade wirkt gerade deshalb. Für jede seiner Machtambitionen braucht Saddam hartes Geld und was man sich dafür auswärts kaufen kann: Von den Waffen bis hin zu chemischen Zusätzen für die Benzinraffiniervng, deren Mangel jetzt im Ölland Irak zu einer Treibstoffrationierung geführt hat.

Mit seiner politökonomischen Verplausibilisierung des Kriegs hat sich der Präsident freilich eine Bewegung im eigenen Land eingehandelt, die "No blood for oil! " vergießen will. Gottseidank ist dem obersten Amerikaner noch ein dritter guter Grund für Gewalt eingefallen:

"Schließlich stehen unschuldige Menschenleben auf dem Spiel... Der zynische Einsatz unschuldiger Zivilisten als Verhandlungsmasse oder als Geiseln, um einen Angriff abzuschrecken, ist ein Affront gegen jedes zivilisierte Benehmen."

Mit den "unschuldigen Menschenleben" meint Bush die vom Irak festgehaltenen Staatsbürger von Nationen, die entweder direkt an Kriegshandlungen gegen den Irak beteiligt sind oder sie billigend unterstützen. Ihre Internierung entspricht übrigens durchaus den Gebräuchen zivilisierter Nationen: Während des II. Weltkriegs sperrten die USA sogar Bürger mit amerikanischer Staatsangehörigkeit in Lager, weil sie japanischer Abstammung waren. Ginge es wirklich auch nur um ein einziges Menschenleben, dann wäre ein Krieg der denkbar ungeeignetste Weg zu seiner Rettung. Die dann noch festgehaltenen "Geiseln" haben da gute Chancen, als erste gefallene Helden der Nation in die Kriegsgeschichte einzugehen. Auch mit dem "unschuldig" ist das so eine Sache: Abgesehen davon, daß das Abknallen von für "schuldig" befundenen Zeitgenossen dann offensichtlich in Ordnung geht, werden selbst in der Öffentlichkeit westlicher Staaten Forderungen laut, die Heimkehrer zu befragen, was sie denn im Irak gemacht hätten. Zumindest in der BRD, weil an "strategisch wichtigen Objekten" untergebrachte Deutsche auf Landsleute trafen, die in eben diesen strategisch wichtigen Objekten beruflich tätig waren. Um alles das, was dem obersten Kriegsherrn der westlichen Welt da einfällt, warum die USA unbedingt am Golf nach dem Rechten sehen müssen, geht es zwar auch - als Legitimation eines Waffenganges - aber der findet dafür nicht statt.

... und worum es wirklich geht: Die US-Doktrin von der begrenzten Souveränität aller Staaten auf der Welt

Die USA betrachten erklärtermaßen die Einverleibung Kuwaits durch die Truppen Saddam Husseins zwar als casus belli. Einen Krieg wollen sie aber nicht "bloß" führen, um eine Verletzung internationalen Rechts wieder rückgängig zu machen, also den Irak in seine Grenzen vom Juli 1990 zurückzudrängen. Sie haben den Irak und seinen Präsidenten zum "Fall" erklärt, an dem mit Gewalt gleich jede künftige Kriegsfähigkeit Saddams unterbunden werden soll - ohne eine Garantie darauf kommt ein militärischer Rückzug der USA aus der Region nicht in Frage -; das ist es aber nicht allein. Die Führung der USA denkt an diesem Fall weiter. Sie mißt ihm eine Bedeutung bei, die die ganze Staatenwelt betrifft. Präsident Bush hierzu in dem zitierten "Newsweek"-Beitrag:

"Wir stehen an einem einzigartigen Moment (der Weltgeschichte). Die zivilisierte Welt ist gerade dabei, die Regeln auszugestalten, die die neue Weltordnung beherrschen werden, die jetzt am Ende des kalten Kriegs entsteht."

Die "civilized world", zu deren Sprachrohr der US-Präsident sich aufschwingt, befaßt sich mit nichts geringerem als einer Weltordnung. Darunter versteht Bush die Regeln, an die sich die Staatenwelt zu halten hat. Die Gültigkeit dieser Regeln sieht er durch den Irak in Frage gestellt; den amerikanischen Sieg versteht er als den Weg, sie zu garantieren.

Neu sind diese Regeln garantiert nicht. Der Präsident wiederholt in Sachen Krieg USA gegen Irak schlicht das amerikanische Recht auf Abschreckung. Er definiert den amerikanischen Auftrag, die Staaten der Welt in allen ihren Bemühungen, ihren Rang, die Reichweite ihrer Macht zu korrigieren, unter Kontrolle zu halten. Und die Fortdauer dieses Kontrollanspruchs über den Zeitpunkt hinaus, zu dem die einzige und erklärte Gegenmacht abgedankt hat, kommt ihm vor wie der großartige Entwurf einer neuen Ordnung.

So viel hat man nämlich im Weißen Haus gemerkt: Die Mitwirkung einer Reihe von Partnern in einem Militärbündnis, die Unterordnung dieser Partner unter das gemeinsame Ziel eines Kampfes gegen das "Reich des Bösen" im Osten, wird zweifelhaft, wenn mit dem Ende der sowjetischen Bedrohung auch die Notwendigkeit entfällt, aus eigenem Interesse an der Pax Americana mitzuwirken. Für die Partner im Freien Westen, die immer auch Konkurrenten der USA waren, ist es keineswegs selbstverständlich, sich bei der Wahrnehmung ihrer weltweiten Interessen den Vorbehalten der USA unterzuordnen, wenn sie auf deren Schutz vor der Supermacht Sowjetunion nicht mehr angewiesen sind. Schließlich haben sie schon zu Zeiten ihrer Einordnung in die westliche Abschreckungsallianz nie auf eine eigenständige Weltpolitik verzichtet, sondern ihre eigenen Interessen weltweit auch auf Kosten Amerikas durchgesetzt. Im Kampf um Exportquoten und Einflußsphären haben die Westmächte nie bloß die sowjetische Macht zurückgedrängt, sondern miteinander konkurriert. Die Wirkungen dieser Konkurrenz stören die USA schon länger an vielen Punkten. Zum Problem, an dem sich die Frage der Weltordnung schlechthin entscheidet, zum Entscheidungsfall dafür, ob und wie es mit der Weltordnung weitergeht, haben die USA den Fall Irak erklärt. Und zwar aus gutem Grund. Auf dem Spiel steht nichts geringeres als die Vorherrschaft in einer ganzen Region, und Wille wie Fähigkeit zum Krieg verdankt Saddam den Konkurrenten der USA.

Insofern trifft die Kampfansage gegen den Irak nicht nur diesen Staat der "Dritten Welt". Sie betrifft erstens alle, die diesen Fall anders sehen; sie betrifft zweitens insbesondere alle Staaten, die den Irak so ausgestattet und zu ihrem Partner gemacht haben; und sie betrifft drittens deren Freiheit zur Weltpolitik nicht bloß in diesem Fall, sondern überhaupt. Die USA muten ihren konkurrierenden Partnern zu, auch ohne den guten Grund einer übermächtigen Bedrohung aus dem Osten prinzipiell parteilich zu sein für die Stärke und Durchsetzungskraft der USA und bei all ihren nationalen Bemühungen um "weltpolitische Verantwortung" die amerikanischen Interessen zu respektieren.

Mit dem Exempel, das die USA am "Fall Irak" statuieren wollen, zerstören sie das Projekt Irak, in das Partner der USA wie Frankreich und die BRD Kapital, Waffen und diplomatische Bemühungen investiert haben, und konfrontieren die Erfolgsmethoden der Konkurrenz mit ihrem Vetorecht. Der mit einem Irak-Krieg aufgemachte Weltkontrollstandpunkt Washingtons geht also weit über die "Breshnew-Doktrin" hinaus, mit der die KPdSU damals die Souveränität ihrer sozialistischen Bündnisstaaten um das Recht beschnitten hat, freiwillig ins imperialistische Lager zu wechseln. Den USA schwebt ganz offensichtlich eine begrenzte Souveränität aller Staaten als Teil der neuen Weltfriedensordnung vor.

Das ist die Bedeutung des US-Aufmarsches am Golf. Das soll ein Waffengang gegen den Irak leisten. Und das ist zugleich die offene Frage: Ob ein Krieg gegen Saddams Armee dieses hochgesteckte Ziel überhaupt erreichen kann, und wie er es verwirklichen soll. Für dieses Problem steht die lange Latte von Aufgaben, die durch diesen Krieg bewältigt werden sollen:

- Saddams Besatzungstruppen aus Kuwait hinauswerfen: Das mag militärisch zu leisten sein.

- Den "Dieb von Bagdad" bestrafen: Das ist eine Gratisgabe des Erfolgs.

- Den Irak dauerhaft entwaffnen: Das läßt sich im Rahmen einer bedingungslosen Kapitulation auch noch regeln.

- Die ganze Region neu ordnen. Alle Staaten dort auf die ägyptische Linie bringen. Jeden Drang nach einer Führüngsrolle bei einer arabischen Sache für immer ausschalten: Das ist schon eine höhere Aufgabe imperialistischer Abschreckungspolitik.

- Die UNO mit Autorität ausstatten, und darüber die ganze Völkerfamilie wirksam auf das Recht der USA einschwören: Das strapaziert die Zuständigkeit von Militärs schon sehr.

- Die europäischen Konkurrenten auf eine dauerhafte Allianz im Sinne der alten Weltkriegskoalition gegen die Sowjetunion festlegen: Das ist am Golf endgültig nicht zu regeln.

- Und den Dollar sanieren: Na ja...

Alle machen mit, aber wie?

Die USA haben es geschafft, mit ihrem Aufmarsch am Golf eine Lage herzustellen. Sie haben ihr Weltordnungsinteresse machtvoll in die Welt gesetzt, und der Rest der Völkerfamilie reagiert. Allerdings genauso verlogen und diplomatisch verzinkt, wie die Amerikaner ihr Anliegen vortragen. Denn das, worum es geht, ist einerseits allen Beteiligten klar, und andererseits, gerade deswegen, tabu.

Die europäischen Verbündeten

können gar nicht übersehen, daß in der durch Krieg anvisierten Pax Americana eine Kritik an den Ergebnissen von 45 Jahren durch den Ost-West-Gegensatz bestimmter Weltordnung steckt. Diese ist mit ihrem freien Weltmarkt und starken Juniorpartnern von Amerika selbst eingerichtet worden und hat sich, wie man an den wirtschaftlichen "Eckdaten" unschwer ablesen kann, inzwischen so zum Vorteil der Konkurrenz entwickelt, daß die USA in ihren "Freunden und Verbündeten" Schädiger an ihrem eigenen ökonomischen Erfolg sehen. An den Wirkungen europäischer und japanischer Geschäftstüchtigkeit und politischer Einflußnahme wollen die USA im Fall Irak einiges zurechtrücken. Das ruft das bewährte diplomatische Geschick der Europäer auf den Plan. Als erstes erkennen sie die Führungsrolle der USA in Sachen "Verantwortung für den Weltfrieden" im Prinzip an. Der amerikanische Aufmarsch am Golf und die Fähigkeit der US-Streitkräfte, die Angelegenheit auch militärisch zu erledigen, zeigt ihnen, daß sie dem auf dieser Ebene nichts Vergleichbares entgegenzusetzen haben. Zweitens lassen sie aber in der penetrant wiederholten "Option" auf eine "friedliche Lösung" deutlich anklingen, daß sie die Notwendigkeit dieses Krieges bezweifeln. Wenn europäische Staaten - und auch Japan immer wieder um "Zeit" für die Sanktionen nachsuchen, damit man ihnen Gelegenheit gibt, "zu wirken", dann erinnern sie daran, daß sie mit dem Irak auch ohne Krieg ganz gut klar kämen - zumal sie, dank gelaufener guter Beziehungen, sehr wirkungsvolle Hebel der friedlichen Erpressung Saddams in der Hand haben, freilich nicht zu dem Wohlverhalten, das sich die USA vorstellen. Drittens lassen sich die Europäer die Entsendung eigener Flugzeugträger - soweit sie welche haben - und Panzerbrigaden als Hilfstruppen an den Golf nicht nehmen. Damit helfen sie, den Eindruck zu vermeiden, daß solche Missionen die alleinige Sache der USA sind und bleiben.

- Großbritannien, zumindest solange Mrs. Thatcher am Ruder war, hat spontan einen möglichen Krieg gegen Saddam zur Sache Ihrer Majestät erklärt, um die anglo-amerikanische Sondersolidarität im westlichen Lager durch die Waffenbrüderschaft am Golf wiederzubeleben. Für die Briten bedeutet ihr militärisches Engagement in Saudi-Arabien eine Rückkehr des Empire ins Gebiet "östlich von Suez", aus dem man nach dem Ende des Kolonialreichs feierlich abgezogen war.

- Frankreich entsendet Truppen und erklärt, daß die im Kriegsfall einen "französischen Krieg" führen werden und nicht "automatisch" unter US-Oberkommando. Immerhin ist der Kriegsgegner Irak auch ein Produkt des französischen Subimperialismus, Adressat von Waffenexporten der Grande Nation und Milliardengläubiger französischen Kapitals. An diesen Interessen will Frankreich festhalten. Mitterrand "warnt" also ständig vor der "Kriegsgefahr" angesichts von Bushs Entschlossenheit zum Krieg, läßt seinen Außenminister heimlich in Bagdad die Freilassung der französischen Staatsbürger aushandeln und profiliert sich als Advokat einer Konfliktlösung ohne Auslöschung Saddams. Paris besteht auf seiner "besonderen Verantwortung" im Nahen Osten, demonstriert Distanz zum Kriegswillen der USA und spekuliert damit, sollte es zum Krieg kommen oder zu einer "politischen Lösung", auf eine Kontinuität seiner Präsenz in der Region.

- Die Bundesrepublik Deutschland setzt voll auf die außenpolitische Linie des Genscherismus, die schon manchem amerikanischen Anschlag standgehalten hat: Zuerst die Beschwörung der Nibelungentreue, wenn "unsere amerikanischen Freunde" die Freie Welt zur Fahne rufen. Dann die erste "kleine" Einschränkung: Deutsche Truppen geht leider nicht. Man bringt den Grundgesetzartikel ins Spiel, der der Bundeswehr den Einsatz außerhalb des NATO-Gebiets untersagt. Diese Selbstbeschränkung, die man einst einging, um die deutsche Wehrmacht als Beitrag zum Bündnis genehmigt zu kriegen, hat nie das NATO-Konzept der "Vorneverteidigung" auf Warschauer-Pakt-Gebiet behindert. Den USA ist er bei ihrem Hilfsersuchen erst recht nicht eingefallen. Und die BRD erklärt jetzt angesichts der Golf-Krise, sie wolle das GG ändern, weil Deutschland ganz einfach "weltpolitische Verantwortung" übernehmen müsse, aber nicht anläßlich der Golf-Krise, sondern erst hinterher. Im Klartext: Wegen diesem amerikanischen Krieg nicht! Hinterher will man per Verfassungsnovelle das imperialistische Mandat der Bundeswehr beschließen, wofür man sich in Regierungskreisen schon seit längerem "positioniert" hat.

Die Amerikaner lassen nicht locker und wollen Geld sehen. Die BRD führt einen EG-Beschluß herbei, demzufolge sie sich am Finanzausgleich für von der Blockade betroffene Staaten beteiligt - also verstärkter deutscher Einfluß in der Türkei, Jordanien, Ägypten. Dann läßt man sich doch herbei, dem großen Verbündeten einen Kriegstribut in cash zu entrichten. Daneben Waffen der Bundeswehr wo kann man schon so realistisch testen, noch dazu, wenn deutsche Waffen auf beiden Seiten der Front zum Einsatz kommen! - und dreht den Amis Restposten der aufgelösten NVA an. Willy Brandt jettet "ohne Auftrag" der Bundesregierung nach Bagdad mit der Versicherung, keinesfalls "nur" deutsche Geiseln rausholen zu wollen und bringt mit Zustimmung von Kohl und Genscher neben deutschen Menschen auch die "Erkenntnis" mit nach Hause, mit Saddam ließe sich "reden".

Im November erklärt Bush dem Kollegen Kohl, daß Krieg wohl nötig werden könnte, und Kohl versichert Mr. Bush seine volle Zustimmung, daß Frieden immer noch möglich sei. Nachdem Bush weg ist, verkündet der Kanzler, daß die deutsche Diplomatie alles tun werde, um Krieg "zu verhindern". Darauf platzt in den Pariser Gipfel die Nachricht von der Freilassung aller deutschen "Geiseln". Kohl versichert dem angesäuerten Bush, daß die BRD bei aller Friedensliebe voll hinter allen "notwendigen Schritten" stehe, die die USA im Einklang mit den UNO-Resolutionen ergreifen würden. Und am 28. November schaltet die CDU für die Endphase des Bundestagswahlkampfs glatt folgende Anzeige:

"Für eine friedliche Lösung im Golfkonflikt. Helmut Kohl tut alles, damit ein Krieg vermieden wird. Ein großer Erfolg der konsequenten Friedenspolitik des Kanzlers: Alle deutschen Geiseln im Irak werden freigelassen."

Das ganze noch unter der Überschrift "Der Kanzler ist erfolgreicher als alle Friedensbewegungen!" Jetzt ist auf einmal die Ausreiseerlaubnis für Deutsche nicht mehr eine "zynische Willkür" des "Irren von Bagdad." Der heißt für Genscher wieder Präsident des Irak, und das Rauslassen der Deutschen ist ein Sieg deutscher Außenpolitik. Nahegelegt wird der Umkehrschluß, daß wegen der amerikanischen Kriegspolitik Deutsche zu Schaden kamen und die US-Bürger immer noch festgehalten werden. Alle zusammen beschwören unterdessen immerzu die Einheit der Kriegsfront gegen den Irak.

Die Sowjetunion

verkündet auch nach der Kriegsresolution des UN-Sicherheitsrats, sie sei unbeirrbar für eine "friedliche Lösung" und die auch noch durch direkte Verhandlungen mit dem Irak.

Die besondere Stellung Moskaus reflektiert den weltpolitischen Frontenwechsel der Sowjetmacht: Vor ein paar Jahren noch wäre durchaus eine Stellungnahme der KPdSU zum Golfkonflikt denkbar gewesen, bei der die Sowjetregierung trotzt einer Verurteilung des "völkerrechtswidrigen Einmarsches in Kuwait" die amerikanische Kriegsdrohung als einen Akt "internationaler, staatsterroristischer Erpressung" zurückgewiesen und die panarabische Sache gegen den US-Imperialismus hochgehalten hätte, bei gleichzeitiger Versicherung sowjetischer Solidarität gegen alle auswärtigen Einmischungsversuche in der Region. Eine Beistandsgarantie im Sinne des sowjetisch-irakischen Freundschaftsvertrages hätte die Frage nach Krieg oder Frieden am Golf unter die Drohung einer Weltkriegsgefahr gestellt und den USA ganz andere Kalkulationen aufgezwungen.

Jetzt zerreißt Moskau de facto die schöne Vertragsgemeinschaft mit Bagdad, betrachtet die sowjetischen Experten im Irak als "festgehaltene Sowjetbürger", die Saddam endlich ausreisen lassen soll, zieht sich damit endgültig und umfassend aus dem Irak zurück und überantwortet dessen weiteres Schicksal seinem Wohlverhalten gegenüber den USA. Die Sowjetunion, die weder über den politischen Willen noch über die Mittel verfügt, selber Druck auf den Irak auszuüben, um den Krieg überflüssig zu machen, tritt als der Hauptadvokat für eine politische "Lösung" auf, weil sie überhaupt nur noch in einer solchen als Weltmacht vorkommt, mit der sich die USA ins Benehmen setzen, während im Kriegsfall die Waffen das Sagen haben und der Sieger die Bedingungen diktiert. Vom alten Anspruch einer "Weltfriedensmacht", die den demokratischen Imperialismus zum Friedenhalten zwang, ist die Entscheidung einer um Wirtschaftshilfe bettelnden Sowjetmacht geblieben, den Amerikanern den Krieg per UNO-Beschluß zu erlauben, ihnen für seine Durchführung eine Blankovollmacht zu erteilen, aber eigene Truppen vorerst nicht zu entsenden, weil die sowjetische Öffentlichkeit noch unter dem "Afghanistan-Trauma" leide.

Die VR China

hat erstens mit der "Gerechtigkeit der arabischen Sache" auch nichts mehr am Hut. Zweitens will sie ihre Position als natürlicher Sprecher und Verfechter aller unabhängigkeits- und freiheitsliebenden Staaten der "Dritten Welt" nicht desavouieren. Drittens mag sie sich der Gerechtigkeit des amerikanischen Anliegens allein deswegen schon nicht verschließen, weil sie selber noch einige Boykottmaßnahmen der Völkerfamilie aus der Welt zu schaffen hat. Deshalb kehrt sie mit einer Stimmenthaltung in den Kreis derselben zurück.

Die Arabischen Staaten

haben erst einmal die Hosen voll. Sie wissen nämlich, daß ein Krieg in der Region von ihren Nationen noch weniger übrigläßt, als sie jetzt schon darstellen. Deshalb übersetzen sie ihre Ohnmacht in den Wunsch noch einer "politischen Lösung", weil diese Formel ohnehin schon im Gespräch ist. Ganz selbstbewußt verkünden sie, daß es sich eigentlich um eine arabische Sache handelt, und weil das nicht stimmt, marschieren sie alle einzeln und unarabisch bei den Amerikanern auf, versichern denen ihre Loyalität, versuchen ihr Kräfteverhältnis untereinander zu verändern. Und weil das keinen zufriedenstellt, protestieren sie gegen den Staat Israel.

Der Feind Saddam Hussein

versteht nicht so recht, warum die Welt seinetwegen und wegen Kuwait soviel Aufhebens macht - zumal ihm Kuwait ja zusteht. Die westlichen Klagen über die Geiseln, die er ungerechtfertigt beherbergt, hat er so ernst genommen wie sonst niemand und sie einfach wieder hergegeben. Die Ehre, die ihm bei den Verhandlungen durch große Lichter der Weltpolitik zuteil wurde, hat er genossen und zugleich als Demonstration von seiner Seite verstanden wissen wollen, daß man mit ihm reden kann und nicht auf ihn zu schießen braucht. Sehr konsequent war auch sein Versuch angesichts der Feindschaft von so vielen Staaten auf einmal, einzelne von ihrem Vorhaben abzubringen. Daß es bei dem Versuch bleibt, ist nicht ihm anzulasten. Die breitgetretene Sorge um die Opfer,die auf der Seite seiner Feinde anfallen, hat es ihm ebenfalls angetan. Deshalb droht er manchmal damit, was er alles anzünden kann. Das ist guter diplomatischer Brauch, nützt ihm aber auch nichts.