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"Warum greifen Sie die PDS so unbegründet an?"
Ihre anläßlich unserer gestrigen Kundgebung verteilte Ausgabe vom 8.9.90 habe ich mit Interesse gelesen, ohne einen einzigen Beitrag auszulassen. In den Artikeln zur DDR-Wirtschaft und zu den Stasi-Akten kann ich jedes Wort unterschreiben, denn genauso sehe ich das auch.
Mit Ihren falschen und richtigen Einwänden gegen die PDS bin ich jedoch überhaupt nicht einverstanden. Hier habe ich den Eindruck, daß Sie eine Sache beurteilen, die Sie nur durch ein Fernrohr betrachtet haben. Zumindest scheinen Sie
Nie den Dialog mit einem Mitglied der PDS geführt
zu haben! Zu Ihrem Verständnis will ich Ihnen meinen Weg zur Partei schildern und erklären, warum ich sie nicht verlassen habe. Ich bin nur ein Beispiel, doch ich glaube, daß es für viele stehen kann.
Vor dem 2. Weltkrieg geboren, bei einer kommunistischen Familie aufgewachsen, habe ich die Nacht des Hitlerfaschismus erlebt. Während vieler Antifa-Versammlungen im Jahre 1945 nahm ich, passiv und noch nicht sehr bewußt, an der Geburt der SED teil. Von einer Zwangsvereinnahmung der SPD durch die KPD war nichts zu spüren.
Trotzdem ich Pionier und später Mitglied der FDJ war, nahm ich Jahre später als junges Mädchen nichts als gegeben hin, zweifelte alles an und suchte Antworten auf meine Fragen. Nachdem ich einiges von Marx und Lenin gelesen hatte, war ich überzeugt, daß mein Platz in dieser Partei, der SED, war. 23 Jahre alt war ich, als ich um Aufnahme als Kandidatin bat. Ein Jahr lang mußte ich noch warten, um im Frühjahr 1961 Kandidat zu werden.
Die Ereignisse am 13.August 1961 wurden von vielen nicht sofort begriffen, von mir auch nicht. Aber der Schaden in unserem Land, hervorgerufen durch die offene Grenze, war unübersehbar. Danach erlebten wir einen Aufschwung, der die Errichtung der Mauer rechtfertigte. Uns ging es gut, wir hatten weder Sorgen noch Ängste. Aber mehr und mehr gab es
Anlässe zur Kritik
wegen Schlamperei, Vergeudung von durch das Volk geschaffenem Eigentum, Mängel in der Versorgung usw. Zu den bequemen Genossen gehörte ich nicht und ich wandte mich offen gegen die sogenannte Parteidisziplin, die eine schöpferische Atmosphäre unterdrückte. Noch mehr wandte ich mich gegen den "Kandidatengewinnungsplan", der dazu führte, daß der Karrierismus noch stärker wurde. Schließlich kam es dazu, daß Karrieristen das Sagen hatten und aufrichtige Genossen unterdrückt wurden.
Anfang der achtziger Jahre begriff ich, daß der Feind der Partei in deren höchsten Ämtern sitzen mußte und daß eine Deformation des Sozialismus im Gange war. Am liebsten hätte ich die Partei verlassen. Aber dann hätte ich meinen Beruf an den Nagel hängen können. Nur, ich bin Lehrmeisterin und hatte damals Lehrlinge, die keinen ordentlichen Schulabschluß hatten und aus ungünstigen Familienverhältnissen oder aus Heimen kamen. Es gab niemand, der sich nach ihnen gerissen hätte. Also stand für mich die Frage, konsequent zu handeln und die Partei zu verlassen oder diese Jugendlichen nicht im Stich zu lassen. Sie waren mir wichtiger als mein Gewissen. Mit dieser damaligen Handlungsweise bin ich bis heute noch nicht mit mir ins Reine gekommen.
Und dann kam der Herbst 1989 und mit ihm täglich neue
Enthüllungen über einen schmutzigen Machtapparat
der so gut funktionierte, daß nichts darüber bekannt wurde. Sie können sich nicht vorstellen, welchen Schmerz die Erfahrung auslöste, daß die, denen ich vertraute, meine Überzeugung so schmählich verraten konnten. Sie hatten doch selbst unter dem Faschismus gelitten, wie war es da möglich, zu Verrätern ihrer eigenen Sache zu werden? Viele ehrliche Genossen verließen die Partei. Ich bedaure das, kann es aber verstehen. Und es verließen uns, zum Glück, auch die, die "eingetreten wurden" und die Karrieristen, für die es nun nicht mehr opportun war, dieser Partei anzugehören. Viele von ihnen befinden sich jetzt in der CDU und der SPD und in hohen Regierungsämtern wieder.
Warum bin ich nicht aus der Partei ausgetreten? Ich bin Kommunistin und ich kann und will meine Überzeugung nicht verraten. Mag er uns auch noch so freundlich anlächeln, der Kapitalismus ist der natürliche Feind der arbeitenden Menschen. Die PDS ist nicht für den Kapitalismus und weiß, daß Marktwirtschatt niemals sozial sein kann.
Wovon wir Abstand nehmen müssen, das ist der Kampf um politische Macht. Die Vergangenheit hat gezeigt, und die Gegenwart zeigt es wieder, daß die politische Macht einer einzigen Partei schädlich und wider die Demokratie ist. Das, was sich als Demokratie darstellt, ist nur eine Hure, die sich dem hingibt, der Geld hat. Unter wahrer Demokratie stelle ich mir ein
Gemeinsames Ringen aller Parteien im Interesse des Volkes
vor, ohne daß Machtstreben als Triebkraft wirkt. Wofür die PDS kämpfen muß, das ist politischer Einfluß im Sinne der arbeitenden Menschen und für ein menschenwürdiges Leben aller in unserem Land und auf unserem Planeten.
Was mich derzeitig am meisten erschreckt, ist die erneute Spaltung der linken Kräfte. Darin liegt die größte Gefahr, wie die Folgen des Jahres 1933 es beweisen. Sie scheinen auch links zu stehen, wie ich es Ihrer Zeitung entnehmen kann. Warum greifen Sie die PDS so unbegründet an?
Es ist schon wieder fünf Minuten vor zwölf. Jetzt sollten alle Linken Kräfte zusammenstehen, um ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen. Ideologische Differenzen können im offenen Dialog geklärt werden und jeder kann vom anderen lernen, er muß nur zuhören und nachdenken. Wenn wir uns jetzt bekämpfen, liefern wir doch jenen, die uns kleinkriegen wollen, genau das, was sie brauchen können, unsere Zersplitterung. Denen nützt es und dem Volk schadet es.
R. M. Berlin
Antwort der MSZ-Redaktion
Sie schreiben, daß Sie mit unserer Kritik an der PDS überhaupt nicht einverstanden sind. Dabei unterscheiden Sie zwischen "falschen und richtigen Einwänden", die Sie merkwürdigerweise offenbar gleichermaßen falsch finden. Wir hätten eigentlich ganz gerne gewußt, welche Argumente gegen die PDS Ihrer Auffassung nach richtig sind und welche falsch.
Aber offensichtlich ist es gar nicht Ihr Standpunkt, ein politisches Programm daraufhin zu überprüfen, wo es richtig und wo es falsch liegt. Sie ziehen es vor, eine Partei nach den Lebenserfahrungen ihrer Mitglieder zu beurteilen. Von diesem Beurteilungsmaßstab halten wir absolut nichts. Die menschlichen Tugenden des Parteivolks geben nämlich nie und nimmer Auskunft über die politischen Absichten des Parteiprogramms. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, daß der Maßstab, wie ehrlich und redlich setzt sich ein Mensch für eine Sache ein, überhaupt keine Beurteilung der Sache mehr zuläßt, für die er sich engagiert? Diese Meßlatte kann man deshalb an jeden Verein und jede bürgerliche Partei anlegen. Das Ergebnis ist immer dasselbe - die Allerweltsweisheit: Überall gibt es gute und schlechte Menschen.
Daß moralisches Denken und eine politische Beurteilung nichts miteinander zu tun haben, führen Sie selber vor. "Anlässe zur Kritik" sind Ihnen in der alten DDR aufgefallen - und Sie haben das Deuten auf unsympathische Erscheinungen im Parteiapparat für dasselbe gehalten wie die Offenlegung der Gründe für die allgemein bekannten Mißstände. Zu mehr als zu der Unterscheidung zwischen "aufrichtigen Genossen" und "Karrieristen" hat diese Sorte Kritik nie getaugt Die mag es unter der Herrschaft der SED ja durchaus gegeben haben, bloß war das nie und nimmer der Grund für die von Ihnen beklagten Zustände. Auch an einem "Kandidatengewinnungsplan" wäre nichts übermäßig Verwerfliches, wenn die Sache, für die Anhänger gewonnen werden sollen, korrekt ist.
Zur Sortierung der SED in "gute Genossen" und "Schlamper und Vergeuder" berufen Sie sich auf den Gegensatz zwischen Gemein- und Eigennutz. Daß mit dem Programm einer sozialistischen Partei etwas ganz grundsätzlich nicht in Ordnung sein kann, wenn sie diesen Gegensatz in ihrer Gesellschaft dauernd etabliert - dieser Gedanke ist Ihnen nie gekommen. Dabei wissen Sie wahrscheinlich selber, daß es in der alten DDR-Planwirtschaft gar nicht so einfach war zu unterscheiden, ob Betriebskollektive oder Individuen einen "verwerflichen Egoismus" an den Tag gelegt haben - oder ob sie im Rahmen einer"schöpferischen Initiative zum Gelingen des Gesamtplans" die eine oder andere Plankennziffer umgangen haben. Denn "schöpferische Atmosphäre", das war doch das Parteiideal für das Lückenbüßen und Organisieren, das die SED mit ihrer Sorte Planwirtschaft zur allgemeinen gesellschaftlichen Umgangsform gemacht hatte.
Ist Ihnen nie der Verdacht gekommen, daß eine Partei, die sich die Bedürfnisbefriedigung der Leute zum Zweck setzt, keine "schöpferischen Einfälle" braucht, sondern einen vernünftigen Plan? Einen Plan, mit dem eine arbeitsteilige Produktion von Gebrauchswerten organisiert wird.
Im ehemaligen Ostblock ist es darum nie gegangen. Dort haben sich lauter Staatsparteien daran abgearbeitet, "den Gebrauchswert mit dem Tauschwert in Übereinstimmung zu bringen" und mit ihrem real-sozialistischen Geld "den Markt zu planen". Organisiert haben sie damit ein ewiges Jonglieren mit wirtschaftlichen "Hebeln und Anreizen". Bei dem allen "Werktätigen" klar war, daß man schauen mußte, wie man an seine Prämien kommt, und daß das in den seltensten Fällen im Sinne des Gesamtplans wirtschaftlich vernünftig war. Bis am Ende keiner mehr etwas von Plan-, dafür aber um so mehr von kapitalistischer Marktwirtschaft wissen wollte.
"Deformierungen des Sozialismus" sind Thnen in den letzten 10 DDR-Jahren aufgefallen. Wissen Sie wenigstens im nachhinein, worin die bestanden haben? Oder glauben Sie im Ernst, daß das Programm einer Partei an sich völlig in Ordnung gehen kann, wenn deren angeblicher "Feind" sich laufend in den höchsten Parteiämtern einnisten kann?
An einem Punkt ist Ihnen die "Deformation des Sozialismus" offenbar nicht aufgefallen an Ihrem Beruf! Sie halten es sich zugute, daß Sie sich um Lehrlinge aus miserablen sozialen Verhältnissen kümmern mußten. 30 Jahre Sozialismus hatten also nicht aufgeräumt mit solchen Verhältnissen, Sozialarbeit und Elendsbetreuung war an der Tagesordnung - fast so wie im richtigen Kapitalismus.
Eins können wir Ihnen übrigens nicht so ohne weiteres durchgehen lassen: die Behauptung, Sie hätten"diese Jugendlichen nicht im Stich lassen" können. Wir glauben Ihnen gerne, daß der reale Sozialismus in der DDR jede Menge Sozialfälle produziert hat, um die sich keine Personalabteilung in einem Kombinat gerissen hat. Aber so war der DDR-Sozialismus doch allemal organisiert, daß solche Leute ganz unabhängig vom persönlichen Engagement ihrer Lehrkräfte "in die Arbeitswelt integriert" wurden.
Übrig bleibt: Ihre - sicher berechtigte - Sorge, was aus Ihnen und Ihrem Berufsleben geworden wäre, wenn Sie die Parteilinie offen kritisiert hätten. Daß Sie diese Sorge hatten, wollen Sie sich höchstwahrscheinlich bis heute noch nicht eingestehen. Weil Sie dann - gemäß Ihrer eigenen Meßlatte - zu den "Karrieristen" und nicht mehr zu den "aufrechten Genossen" zählen würden. Dabei ist Ihr eigener Fall der Beweis, daß diese Unterscheidung nicht hinhaut.
Es wundert uns deshalb überhaupt nicht, daß Sie "mit sich bis heute noch nicht ins Reine gekommen" sind. Sie haben nie den Versuch unternommen, die Fehler der SED-Politik zu bestimmen. Statt dessen leiden Sie noch heute an einer Partei, die es zwar nicht mehr gibt, von der sie aber - genauso wie in den vergangenen 10 Jahren - felsenfest überzeugt sind, daß sie eigentlich dafür da gewesen wäre, guten Menschen mit sozialem Gewissen die Möglichkeit zu verschaffen, Gutes zu tun. Wenn bloß der "Feind der Partei" nicht in den "höchsten Parteiämtern" gesessen hätte...
Wenn Sie diese Überzeugung schon seit "Anfang der achtziger Jahre" hatten, welche "Enthüllungen über den Machtapparat" konnten Sie dann "im Herbst 89" eigentlich inoch erschüttern? Aber sei's drum: Was folgt denn jetzt aus dieser Erschütterung?
Wenn Sie schon fassungslos fragen, "wie es möglich war", daß Leute, die "unter dem Faschismus gelitten haben", den Sozialismus verraten konnten - wie war es denn möglich? Vielleicht ist ja mal eine Schlußfolgerung fällig über das Verhältnis von Antifaschismus und Sozialismus: Wie verkehrt es nämlich ist, mit dem Leiden am Faschismus ein politisches Programm aufziehen zu wollen. Was folgt aus Ihrem "Schmerz, daß Leute, denen Sie Ihr Vertrauen geschenkt hatten, Sie verraten haben"? Folgt daraus, daß es ein Fehler ist, Politikern sein Vertrauen zu schenken, wenn keine Einigkeit in der Sache besteht? Oder muß der nächste Hoffnungsträger her, dem man sein Vertrauen schenken kann?
Für Sie ist das keine Frage: Sie übertragen Ihren geballten Abscheu gegen den Kapitalismus vertrauensvoll auf die PDS und haben offensichtlich auch bei dieser neuen Partei nicht ins Programm geschaut. Sonst würden Sie nämlich nicht behaupten, die PDS wäre "nicht für den Kapitalismus" und wüßte, daß "Marktwirtschaft nicht sozial sein kann".
Was Sie aus Ihren schlechten Erfahrungen in und mit der SED gelernt haben wollen, ist - gelinde gesagt - eigenartig für jemanden, der sich als "überzeugter Kommunist" bezeichnet.
Die "politische Macht einer einzigen Partei" können Sie nicht leiden? Sind Sie zufrieden, wenn zirka fünf Parteien - jetzt auch in den "fünf neuen Bundesländern" - ein und dieselbe politische Sache vertreten: die Ansprüche der europäischen gesamtdeutschen Führungsmacht? Oder anders ausgedrückt: Wenn das politische Programm einer sozialistischen Partei in Ordnung geht, warum ist dann eine Partei ein Verbrechen?
Woher haben Sie eigentlich Ihre Gutgläubigkeit an die "wahre, gute, schöne Demokratie", wenn die Demokratien, die es gibt, angeblich alle "Huren des großen Geldes" sind? Ist Ihnen noch nie aufgefallen, daß kein Mensch "das große Geld" und "die Profitgier" leiden kann? Alle aber, auch die PDS haben gegen die Macht des Geldes gar nichts mehr, wenn Demokraten ihnen gepflegtere Ausdrücke dafür servieren: "Wirtschaftswachstum, Produktivität, internationale Konkurrenzfähigkeit" - dafür ist heutzutage doch letztlich jeder aufgeklärte Mensch.
Von Ihrem Ideal einer "wahren Demokratie mit gemeinsamem Ringen aller Parteien im Interesse des Volkes" halten wir überhaupt nichts. Besteht das Volk nun aus Klassen oder nicht? Und Klassengegensätze sind nun mal etwas anderes als unterschiedliche Interessen, die der Klassenstaat nur zum wechselseitigen Vorteil ausgleichen muß.
Wir mögen uns auch überhaupt nicht auf "das Volk" und seine Interessen berufen. Menschen werden nämlich einzig und allein dadurch zu "Völkern", daß sie ein und derselben Herrschaft unterstehen. Damit sind dann allerdings auch die Bedingungen klar, unter denen ein Volk seinen Lebensunterhalt bestreiten muß. Im neuen Gesamtdeutschland ist das Volk jetzt dazu gezwungen, alles fürs Geldverdienen zu tun. Das macht das Volk auf unterschiedliche Art und Weise: die einen investieren oder auch nicht, je nach Geschäftskalkulation, der große Rest hofft auf die Investitionen der andern, weil er nur im Dienste an deren Geschäft zu seinem Lohn kommt. Jeder muß nur an sich denken - daran, wie er innerhalb der marktwirtschaftlichen Verhältnisse an sein Geld kommt - und schon funktioniert der freihcitliche Kapitalismus.
Für diese Volks-Interessen macht sich jede bürgerliche demokratische Partei stark - und jetzt eben auch die PDS. Sie müssen auch nicht denken, daß die Sprüche - von wegen "Politik im Sinne der arbeitenden Menschen, für ein menschenwürdiges Leben aller in unserem Land und auf unserem Planeten" (Warum nicht gleich: "in Ewigkeit, Amen"?) - ein Monopol der PDS wären. Die beherrscht noch jeder demokratische Politiker, der sein Volk liebt, - und das tun sie alle! Und zwar aus einem einfachen Grund: Sie sind auf die Stimme der "arbeitenden Menschen" scharf. Von denen lassen sich nämlich die verschiedenen konkurrierenden Parteien dazu ermächtigen, den Kapitalismus - in Ihrer Vorstellung ist das "der natürliche Feind der arbeitenden Menschen" - zu regieren. Als Wähler unterstützen eben diese Menschen haargenau das, wovon Sie ein für allemal Abstand nehmen wollen: den demokratisch organisierten Kampf um die politische Macht.
Was die Parteien mit diesem Kampf anstreben, ist keineswegs das Dasein einer "Hure". Wenn Sie schon Bilder aus dem Reproduktionsbereich zur Verdolmetschung des Verhältnisses von Politik und Geld im Kapitalismus mögen, dann nehmen Sie bitte auch die passenden. Das Verhältnis einer Regierung zu den Geldmenschen gleicht eher dem eines Zuhälters, der freilich keine Freudenmädchen betreut, sondern Klassen. Der Schutz, den demokratische Staatsmänner diesen Klassen zukommen lassen, hat mit Unterwerfung, wie Sie sie mit dem Bild der Hure kennzeichnen möchten, nichts zu tun. In einem anderen Sinne schon. Das ist eben der Unterschied zwischen aktiv und passiv.
Mit Ihrer Bilderwelt zeigen Sie im übrigen nur, wie man als geläuterter SEDler durcheinanderkommen kann. Dem Kampf um die Macht entschieden abschwören und drei Zeilen später den Mächtigen ihre Ohnmacht gegenüber dem Geld zur Last legen! Viele Parteien wollen und dann davon absehen, was sie wollen - und dann alle diese Parteien auf dasselbe verpflichten! Natürlich schon wieder auf "das Interesse des Volkes", das bereits in 161 Staaten der Erde das Regierungsprogramm abgibt und sich so merkwürdig mit dem Interesse der Nation deckt. Was habt Ihr bloß für einen Narren gefressen an der großartigen Statistenrolle, die Volk heißt.
Wir finden es ziemlich merkwürdig, daß Sie - ausgerechnet nachdem Sie Ihre Lebenserfahrungen aus der ehemaligen DDR zu Protokoll gegeben haben - das alte Einheitsgesäusel "aller linken Kräfte" anstimmen. Von dem Spruch - "Aus Erfahrungen lernen"- haben wir zwar noch nie viel gehalten, Sie aber offensichtlich schon. Sie wollen uns ja vor den "Folgen des Jahres 1933" warnen. Aber wie steht es denn dann mit Ihren eigenen Erfahrungen in der DDR? Ihren Beschwerden über den Zustand des alten Parteiapparats entnehmen wir nur eins: Eine Spaltung innerhalb der SED wäre bitter nötig gewesen. Wenn wir Sie recht verstanden haben, werfen Sie es sich doch heute noch vor, daß Sie nicht Front gemacht haben gegen "Deformierungen des Sozialismus".
Ihre Unterscheidung - "gemeinsame Interessen jetzt durchsetzen, ideologische Differenzen später klären" - können wir nicht unterschreiben. Wir kennen keine gemeinsame Sache, an der die Linke interessiert wäre, so lange diese "Linke" aus so unterschiedlichen Fraktionen besteht, von denen die eine Wahlkampf, die andere Klassenkampf will. Was Sie zur bloßen "ideologischen Differenz" herunterspielen, ist doch der Vorwurf, daß wir etwas anderes wollen - als Wahlkampfhilfe für die PDS. Ob man die Demokratie als Herrschaftsform begreift, die von Kommunisten bekämpft werden muß, oder als Völkerbeglückungsprogramm, das naeh Verbesserung ruft - das begründet nun einmal gegensätzliche politische Vorhaben. Im einen Fall muß Gregor Gysi unbedingt in den deutschen Reichstag, im anderen bemüht man sich darum, dem demokratischen Stimmvieh das Wählen madig zu machen.
Ein offener Dialog ist mit uns jederzeit zu haben. Wir bestehen bloß darauf, daß es in ihm um die Klärung der politischen Sache zu gehen hat. Wir legen nämlich ganz dogmatisch sehr viel Wert darauf, daß vor gemeinsamen politischen Aktionen feststeht, wofür oder wogegen man eigentlich kämpft.
Was Sie verlangen - die Einigkeit "aller Linken" jenseits aller Differenzen - taugt bestenfalls für eine angelinkste Kultur- und Debattier-Szene und nicht für einen gemeinsamen Angriff auf die herrschende Demokratie. Also taugt es überhaupt nichts. Der moralische Zeigefinger, mit dem Sie uns am Ende drohen -"Zersplitterung der Linken schadet dem Volk" - beeindruckt uns nicht. Wir halten ihn nämlich für eine typische linke Heuchelei. Immer wenn ein innerlinker Streit ohne jedes weitere Argument unterbunden werden soll, schreit einer: "Vertragt Euch, das Volk leidet!" Dabei sind dem Volk Streitereien im linken Lager scheißegal. Es hat - heute mehr denn je - ganz einfach andere Sorgen: Es ist vollauf damit beschäftigt, sich in die Marktwirtsehaft einzurichten. - Das ist es übrigens, was uns am meisten erschreckt.
"Es fehlt das Aufbauend-Konzeptionelle"
Mit Interesse habe ich zwei Nummern Ihrer Zeitschrift gelesen. Darin sind scharfe Analytiker am Werke, an Marx geschult, in fast schon professionell geschliffener Routine. Mit der konsequent antikapitalistischen Haltung stimme ich überein. Aber es fehlt Synthese, das aufbauend Konzeptionelle. Kritik an allem, und nichts als Kritik, so notwendig diese in solcher Kompromißlosigkeit, ruft das Verlangen hervor, von so scharfsinnigen Zergliederern auch einmal Vorschläge zur Güte, einen eigenständigen oder eigenwilligen Politik-Entwurf zu lesen. Das wird nach all den Demontagen und Selbstdemontagen am bisweiligen Sozialismus spürbar akut. Kommunisten stehen nicht nur aufmerksam dabei und begleiten das Weltgeschehen mit ihrer Kritik, sie gehen auch mit, besser noch voran, machen Fehler, aber machen sie, damit neue Kritik aufbauend möglich wird. - Ich bin 62, 34 Jahre SED, eingetreten in jene Partei, weil diese und keine andere in Deutschland die Bodenreform praktisch verwirklicht, die Großindustriellen enteignet, den Aufbau des Sozialismus unternommen hat. Hier einsetzende Kritik Ihrerseits- es wäre ja dies nicht und das nicht daraus geworden, sehe ich voraus. Ich habe ja alles in dieser Hinsicht gelesen und lange vorbedacht. Immerhin wurde das alles erst einmal getan. Man ist den Kritikern um die Praxis samt Ergebnis und Erlebnis voraus, wie immer diese sich erwiesen haben. Derzeit bin ich PDS, trotz offenkundiger Tautologie der Namensgebung, und in dem Bewußtsein, daß Gysis 'Dritter Weg'derzeit nichts anderes ist als tätiger SPD-Ersatz, und daß es einen dritten Weg nicht gibt, weder in der Natur noch in der Gesellschaft. Aber es muß ja irgendwie weitergehen. An dem Punkt, wo sich der dritte Weg aufhebt, wo gegen eine erstarkende Volksfront (nehmen wir diese einmal an) mit Sicherheit der bürgerliche Terror einsetzen wird, wie gehabt in der Weimarer Republik wie in Spanien, Portugal, Chile - demnächst also wieder in der Bundesrepublik - muß man eben erst einmal wieder anlangen, möglicherweise im EG- oder gar Weltmaßstab. Am Ende steht doch wieder die derzeit geleugnete Frage WER - WEN. Solange es in meiner Partei eine kommunistische Plattform gibt, stehe ich zur PDS.
E.K., Alt Zauche
Antwort der MSZ-Redaktion
Kompromißlose Kritik - finden Sie - sei notwendig. Wofür eigentlich? Sobald wir sie ein bißchen durchführen, ist es Ihnen ja gleich schon wieder zuviel, und Sie verlangen nach Konstruktivem!
Ja freilich: Wenn Sie aus unserer Zeitschritt nicht mehr herausgelesen haben als eine antikapitalistische Haltung, mit der man sympathisieren kann, auch ohne unsere Einwände gegen die kapitalistische Welt zu teilen, dann muß Ihnen das "Zergliedern" reichlich überflüssig vorkommen. Dann teilen Sie eben unser Interesse nicht, mit den Einrichtungen der bürgerlichen Welt, an denen Linke dauernd mit offenem Ende herumproblematisieren - Parlamentarismus und freie Wahlen, Geld und Kredit, Krieg und Frieden, Umweltschäden und Sozialfälle, Armut und Eigentum -, einmal wissenschaftlich fertig zu werden. Deswegen merken Sie auch nicht, daß der Kritik, die diesen Schönheiten auf ihren Grund kommt, eine Fortsetzung ins Synthetisch-Auferbauliche überhaupt nicht fehlt. Ihnen sind damit alle Gründe entgangen, aus denen wir uns dem phantasievollen Entwerfen möglicher besserer Welten nicht anschließen. Dennoch hier ein Vorschlag zur Güte. Kommunisten entdecken am Weltgeschehen nichts, womit sie mitgehen, wofür sie Partei ergreifen möchten. Sie wissen sogar, warum: mit welcher Notwendigkeit "das Weltgeschehen" fortwährend die meisten Leute zur Manövriermasse herrichtet und verschleißt. Deswegen kommen sie nicht umhin, die Partei, die sie ergreifen wollen, selbst zu machen. Zusammen mit allen, die nicht bloß alternative "Politik-Entwürfe" zur Auswahl unterbreitet haben wollen - womöglich mit dem Interesse, ihre "Eigenwilligkeit" zu genießen -; sondern die ihr gesellschaftliches Dasein selbst in die Hand nehmen wollen und deswegen mit einer "bloßen" Kritik - an der Herrschaft des Eigentums, am Gewaltmonopol der Staatsmacht, an der Kultur des Mitmachens - etwas Nützliches anzufangen wissen.
Sie haben uns Kritikern - meinen Sie - das leibhaftige Erlebnis einer Bodenreform, einer Enteignung der Großindustriellen und eines Aufbaus des Sozialismus voraus. Zweifellos faszinierend - freilich nur für jemanden, der immer "aufmerksam dabeisteht" und sich nicht genug darüber wundern kann, daß Leute, sogar Sozialisten, das, was sie für richtig halten, wahrhaftig auch tun, sobald sie können. Von dieser Trivialität müssen Sie schon sehr beeindruckt sein, wenn Sie die Tatsache, daß "das alles erst einmal getan" wurde, für ein Argument halten, vor dem die Kritik zu verstummen hat.
Es mag ja sein, daß Sie mit diesem stolzen "immerhin" die Bedenken beschwichtigen, die Ihnen als die einzig möglichen einfallen: "es wäre ja dies nicht und das nicht daraus geworden". Wenn's bloß das wäre, daß der Sozialismus in der DDR praktisch nicht ganz fertig geworden ist!
Nein, er war auf seine Weise schon sehr fertig, der "Reale Sozialismus". Für die höchst unproduktiven Interessensgegensätze zwischen Branchen und Betrieben einschließlich der Produkte der Bodenreform, der LPGs, hat er schon selbst gesorgt mit seiner Pflicht zur "wirtschaftlichen Rechnungsführung", zur Gewinnerwirtschaftung und -ablieferung. Ebenso für die Unterwerfung der verstaatlichten Groß- und sonstigen Industrie unter Rentabilitätskriterien, die der kapitalistische Weltmarkt gesetzt hat, unter Notwendigkeiten des Exports und der Schuldenbedienung. Und schon gleich wurde machtvoll - immerhin? - ein politisches Leben "aufgebaut", das der fröhlichen Verleugnung statt der Austragung aller selbstgeschaffenen gesellschaftlichen Interessensgegensätze gewidmet war. Auf diese Fehler und ihre konstruktive "Kritik" hat der "reale Sozialismus" immer weiter aufgebaut, bis er am Ende bloß noch das Eine wollte: mithalten mit der Wucht kapitalistischer Profitproduktion, mit der Schlagkraft der D-Mark, mit der Effektivität der bürgerlichen Wahldemokratie usw. Dabei ist er gescheitert; am überlegenen Vorbild. Und dieser Unsinn soll in Ordnung gehen, weil er "immerhin erst einmal getan" wurde?!
Da hat es an "Kritik und nichts als Kritik" gefehlt. Real gemacht haben diese Praktiker des Sozialismus den eigenwillig aufbauenden " Politik-Entwurf", mit strikt antikapitalistischer Haltung den Kapitalisten deren "Errungenschaften" zu entwinden und mit den Mitteln des Klassenstaats die Waren-, Geld- und Kreditwirtschaft zu verbessern - also ein zutiefst antikommunistisches Weltverbesserungsprogramm und keineswegs schon einmal ein gutes Stück Sozialismus.
Sie wissen - behaupten Sie -, daß der von der PDS propagierte "3. Weg" ein Unding ist: "Aber es muß ja irgendwie weitergehen. " Was "muß" denn? Wenn schon nicht die sozialistische Gegnerschaft gegen den Kapitalismus, dann wenigstens etwas Verlogen-Vermittelndes?! Wenn schon nicht die Agitation für kommunistische Kritik, dann wenigstens die Werbung für eine "erstarkende Volksfront"?! Und damit dann hinein in die Konfrontation mit dem "bürgerlichen Terror", damit der dann endlich das tut, was die PDS jedenfalls nicht tut, nämlich Klarheit über das "WER WEN" stiften?!
Von einem solchen Programm zur Volksmanipulation und -betörung halten wir weniger als gar nichts.
Erstens ist es ein Schaden und eine Dummheit und nichts als das - und zwar auch in Zeiten, in denen das geehrte Volk von Kommunisten nicht viel hält -, die kommunistische Kritik am Weltgeschehen 'erst einmal' hinter einschmeichelnde Phrasen von einem "3. Weg" zurückzustellen. Die kommunistischen Argumente sind damit nicht für bessere Zeiten aufbewahrt, sondern weg; Leute, die es - vielleicht noch - besser wissen, bemühen sich um die Herstellung statt die Beseitigung von ideologischem Vertrauen in den demokratischen Kapitalismus, handeln also gegen ihr eigenes Programm.
Zweitens ist die Berechnung, auf diese Weise ließen sich Sozialdemokraten vereinnahmen und nützlich machen, ein Riesenquatsch. In Wirklichkeit erledigen da bloß Kommunisten die Propagandageschäfte der Sozialdemokratie. Und weil sie es - im besten Fall - unehrlich und berechnend tun, ernten sie damit zu Recht keine Anerkennung, sondern nur um so größeres Mißtrauen und Ablehnung; ganz zu schweigen von der derzeitigen Situation in der BRD, wo den Reformsozialisten der PDS aus der SPD nichts anderes als "Stasi, Stasi!" entgegenschallt; und das nur um so lauter, je verbitterter die PDS ihre Unschuld beteuert. In peinlicher Selbstverleugnung um falsche Freunde buhlen und sie nicht einmal kriegen - das soll der Erfolgsweg der antisozialdemokratischen Linken sein?!
Drittens - wenn man denn schon einmal so vorausdenken will - gibt es für Kommunisten nichts Schlimmeres als die Konfrontation mit dem Terror der bürgerlichen Staatsgewalt, ohne daß sie genügend Leute auf ihrer Seite haben - Leute also, die schon wissen, worum es ihnen geht und wer gegen wen steht. Das brauchen sie nämlich, um selbst die Machtfrage stellen zu können. Wenn umgekehrt die von der anderen Seite eröffnete Gewalt-"Frage" erst Klarheit und Einigkeit unter den Linken und in ihrer "Volksfront" stiften soll, haben Kommunisten schon verloren - und das noch nicht einmal im Kampf um die eigene Sache. Oder haben Sie aus der Geschichte von Weimar bis Chile etwas anderes gelernt?!
Viertens hat das alles mit der PDS überhaupt nichts zu tun. Uns fehlen jedenfalls alle Indizien dafür, daß hinter dem sozialdemokratischen Reformgeseiche dieses Vereins irgendwelche anderen Berechnungen stecken als die sich gegen die geschlossene Ablehnungsfront der etablierten Demokraten im neuen Deutschland überhaupt ein parlamentarisches Plätzchen zu ergattern.
Sie sehen den letzten Punkt offenbar anders, wegen der "kommunistischen Plattform". Wirklich ein schöner Standpunkt: Zwar gilt diese Plattform in der Partei nicht, es gibt sie bloß - aber Ihnen genügt das. Und der PDS auch: ein Genosse mehr, der im Namen einer Plattform zu ihr hält, die gar nicht ihre Politik bestimmt. Im Unterschied zu einer kommunistischen Partei fahren demokratische Wahlvereine sehr gut mit den Täuschungen ihrer treuen Seelen.
Viel Spaß miteinander.