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Das Führungspersonal der PDS
NOCH 2 SO DEUTSCHE POLITIKER
Es gehört zu den Gesetzen der demokratischen Herrschaftsform, daß eine parlamentarische Wahlpartei ohne einen gediegenen Personenkult nicht auskommt. Die neue linke Wahlpartei PDS hat für diese Sparte des politischen Handwerks hauptsächlich zwei Charaktere anzubieten: Gysi und Modrow. Was zeichnet sie aus?
Gregor Gysi
Gysi gilt der PDS als Retter der Partei, weil er ihren Vorsitz übernahm, als kein anderer ihn wollte und die Partei überhaupt kurz vor der Auflösung stand. Für den Job verfügt der Mann über ein paar Qualifikationen, die dazu geführt haben, daß seine Anhänger ihm nicht nur folgen, sondern von ihrem Vorsitzenden restlos begeistert sind:
Gysi, der Saubere
ist im alten SED-Staat keiner gewesen, der über irgendein Amt oder eine besondere Funktion in der Partei verfügt hat. Sich also nicht schmutzig gemacht haben konnte. Vom Rechtsanwalt, der im alten System Oppositionelle verteidigt hat, mauserte er sich quasi über Nacht zum moralischen Staatsanwalt der gewendeten PDS: Er repräsentierte glaubwürdig eine Abrechnung mit der Vergangenheit, die der Partei mit der Kriminalisierung der alten Macher ("sofern nachweisbare Schuld vorliegt") jede Kritik an ihrem alten Machwerk ersparte. Außer eben der, die alte Parteibürokratie hätte, weil Bürokratie und von schlechtem Charakter, die Rechtslage der Partei (einschließlich der Pflicht zur Selbstkritik) durch Unrecht ersetzt. Mit dieser ungemein gehaltvollen Selbstkritik (die so radikal zuvor nur in Bonn und Salzgitter vertreten wurde!) stellte der Anwalt die Fähigkeit der alten Staatspartei zu gründlicher Selbsterneuerung unter Beweis: Seine PDS ist zu allem fähig, auch zum Mitschwimmen in rechtsstaatlich-demokratischen Verhältnissen, die in der DDR jedermann mit Selbstverständlichkeit als einzige Alternative zum "Unrechtsstaat" und zum Realen Sozialismus ansieht. Die Läuterung der PDS von der "Klassenpartei" zum Wahlverein ließ sich also durch diesen Mann perfekt personifizieren, der schon von Berufs wegen gewohnt war, die soziale Frage mit der Frage nach der Rechtslage zu beantworten. Jetzt vertritt er seinen schwersten Fall: Den Nachweis der Existenzberechtigung einer "sozialistischen Alternative" in der Parteienlandschaft des neuen Deutschland. Dabei brilliert er als
Gysi, der Geistreiche
Selbst im Westen kommt Gysi an, gilt als glänzender Redner, der keinem die Antwort schuldig bleibt und als Anwalt der angefeindeten PDS sogar in die Offensive geht. Wie er das macht? Beispielsweise so: Er versteht die SPD einfach nicht. Früher haben sich führende SPDler darum gerissen, einen Termin mit Honecker zu kriegen. Über die demokratisch gewordene PDS verhängt die SPD aber eine Kontaktsperre und will sie sogar enteignen. Will die SPD etwa die undemokratischen Machenschaften des alten DDR-Regimes hochhalten?
Selbstverständlich will sie das nicht. Im Unterschied zur PDS, die sich ständig von ihrer Vergangenheit distanzieren muß, um nicht zuletzt darin ihre politische Identität zu finden, ist diejenige der SPD völlig bruchlos: Was den Umgang mit Honecker betrifft und in ihrer Absage an Gysi. Damals hat sie mit den DDR-Größen verkehrt, weil sie Vertreter einer real existierenden Macht gewesen sind, von der man was wollte. Heute, wo man die DDR kassiert und die SED erledigt hat, will man weder mit den alten Gesprächspartnern noch mit ihren geläuterten Nachfolgern was zu tun haben: Jene sind endgültig entmachtet und diese will man unter allen Umständen von der Macht fernhalten. Auf die Ex-Einwohner von Wandlitz wartet der Staatsanwalt auch ohne Durchsuchungsbefehl, wenn "Gefahr in Verzug". Das ist sie, die sozialdemokratische "Streitkultur" - nachdem deren Geschäftsgrundlage, die praktisch unangefochtende Macht der gegnerischen Seite, entfallen ist. Genau das mag Gysi seinen sozialdemokratischen Gesinnungsgenossen vom westdeutschen Ufer nicht vorwerfen. Es würde nicht zu dem Parteitagsbeschluß passen, die SPD als führende Kraft im Fortschrittslager zu loben, von der man "viel lernen kann". Egal, ob er das selber glaubt oder ob er aus schierer Borniertheit den alten revisionistischen Weg in den Arsch der Sozialdemokratie bevorzugt: diesem Mann von Geist ist bislang gegen die SPD nichts anderes eingefallen als eine Umarmungsstrategie plus Beleidigt-Sein darüber, daß Lafontaines Mannschaft sich dagegen verwahrt. Wenn ihm im diesen Sinne einmal ein Schlag gegen das heuchlerische Saubermannsgetue der SPD gelingt, dann hat der Advokat sogar Erfolg - einen Lacherfolg im Parlament bei den Koalitionsfraktionen.
Gysis Enthüllungen über angeblich inkonsequentes Verhalten der führenden Demokraten, Widersprüche, in die sie sich verwickeln täten, wenn sie der PDS ans Leder gehen, mögen seine Fans ja erfreuen und für "frischen Wind" im Bundestag sorgen. Politisch ganz schädlich ist aber die Absicht, die er dabei verfolgt. Er will die machthabenden Demokraten vor den Idealen blamieren, die diese gerade als Instrument gegen seine Partei auffahren, um den Einsatz ihrer Machtmittel auch noch mit Recht und Freiheit zu verzieren. Gysi hält an Lafontaine und Schäuble deren angeblich bessere demokratische Einsicht hoch - Gott, wie "geistreich"!
Gysi, der Visionär
Als PDS-Vorsitzender repräsentiert Gysi die Ziele, für die diese "moderne Partei des demokratischen Sozialismus" heute einsteht. Die PDS-Sozialphilosophen, die für deren Nachholbedarf in Sachen moderner westlicher Sinnprinzipien zuständig sind, schreiben ihm einen Ideal-Katalog auf, der sich sehen lassen kann: Die PDS will alle sonstigen Ideal-Verwalter von der Kirche über die Feministinnen und Ökologen bis zu den Fürsprechern der "sozial Schwachen" überrunden. Und Gysi trägt den Katalog dann so pfäffisch-besinnlich vor, wie er gemeint ist: Der Sozialismus ist eine "unsterbliche Idee", die den "Stalinismus" genau so überleben wird wie die Kirche ihre Sündenfälle im Mittelalter. Dem Kapitalismus traut Gysi viel Gutes zu, bloß nicht, daß er "die globalen Menschheitsprobleme lösen kann". Die Idee, daß der das gar nicht will, weil es ihm um weniger menschenfreundliche Dinge zu tun ist, ist ausgestorben in einer Partei, die Sozialismus endgültig zum Ideal, also zum Angebot für zeitgenössische Sinnsucher und Wähler heruntergebracht hat.
Gysi, der Parteimanager
Gysi ist vielseitig genug, um auch die nicht ganz so idealen Seiten des politischen Geschäfts zu meistern. Im Parlament sind nicht bloß die großen Oppositionsreden zu halten ("Herr Ministerpräsident de Maiziere, Sie haben in dieser geschichtlichen Situation versagt!"), sondern auch die Geschäftsordnungskniffe zu beherrschen und massig alternative, dabei aber konstruktive Gesetzentwürfe auszuarbeiten. Der Umgang mit dem Parteivermögen ist eine heikle Materie, wenn dauernd die Enteignung droht, und geht dann auch mal zugunsten einer Springer-Kapitalbeteiligung an einem PDS-Druck- und Verlagsbetrieb aus. Um den passenden Politiker-Nachwuchs der PDS muß man sich kümmern, so daß Vorsitzender Gysi schon mit dem Gedanken spielt, Psychologen mit der Schulung von Parlamentskandidaten in Sachen "Politik verkaufen" zu betrauen; schließlich kann der demokratische Personenkult in der PDS nicht immer auf so schmaler Basis betrieben werden. Und die Sorge um die "Politikfähigkeit" = Wählbarkeit der Partei gebietet bei aller "Toleranz" auch einen wachen Blick erstens auf die demokratische Reputation der (Wahl-) Bündnispartner ( da ist Gysi ein "Linke-Liste" - "Personenbündnis" mit Dorothee Sölle viel lieber als ein "Organisationsbündnis" mit DKP und MLPD ). Und zweitens auf die vielfältigen parteiinternen "Strömungen", die zwar einerseits Markenzeichen der PDS sein sollen, andererseits: Wer weiß, ob sich unter diesem Dach nicht Leute mit ganz unzeitgemäßer politischer Radikalität einnisten und sich parteischädigend aufführen? Einer "Arbeitsgruppe Radikale Linke in der PDS" gegenüber muß Gysi sich dann schon mal für eine Unvereinbarkeitserklärung aussprechen. Auch wenn die jetzt vielleicht noch nicht durchgeführt wird - ein Zeichen gehört sich da schon gesetzt, wo der gute Ruf der PDS als konstruktiv gesonnene Oppositionspartei zu leiden droht.
Hans Modrow
ist von etwas anderer Statur. Kein großer Rhetoriker, bisweilen sogar etwas diffus in der Gedankenführung, versteht dennoch jeder, wofür Modrow steht: Er verkörpert die staatsmännische Verantwortung, die in der PDS vorhanden ist. Sie hat ihn zum Ehrenvorsitzenden ernannt, nachdem er als Übergangschef der DDR ausgedient hatte. Seine historische Leistung in diesem Amt hat dazu geführt, daß Hans Modrow - zumindest in den Wochen bevor er Ministerpräsident wurde und in den Monaten als er es war - der einzige Staatsmann aus den Reihen der SED gewesen ist, der im eigenen Staatsvolk als "beliebt" galt und auch im Westen bis hin zur "Bild"-Zeitung als richtiger Mann zur rechten Zeit gefordert bzw. gelobt worden ist. Kein Wunder, angesichts dessen, was von ihm erwartet wurde: Die sturmreif gemachte DDR ordentlich ins kapitalistische Deutschland zu überführen. Diese Erwartungen hat der Mann voll erfüllt und die PDS ehrt in ihm den Ausweis ihres untrüglichen Sinns für die Forderungen des"Lebens" und für ihre Fähigkeit, der Hauptendenz der Geschichte gerecht zu werden: Mit ihm hat sie den Übergang vom (Realen) Sozialismus zum gesamtdeutschen Patriotismus geschafft.
Modrow hält sich zugute, mit den von ihm verantworteten Etappen der Übergabe (Dezember 89: für eine "sozialistische Marktwirtschaft", Januar 90: für eine "soziale Marktwirtschaft auf dem Boden der DDR", Februar 90: für "Deutschland, einig Vaterland" als Konföderation von Senior- und Juniorpartner deutscher Nation) nicht etwa die Kapitulation des Sozialismus vollzogen, sondern die "Bedingungen für den aufrechten Gang der DDR in ein größeres und besseres Deutschland" gelegt zu haben. Und sein "unfähiger" Nachfolger hat alles vergeigt, so daß es nichts ist mit einem "würdevollen" Abgang der DDR.
Bei jeder Gelegenheit bringt Modrow, der "elder statesman" der PDS, diesen Gestus des verantwortungsbewußten Regierungschefs zur Anschauung, der mit Anstand vollzieht, was sowieso nicht anders geht. Das soll für die politische Reife der PDS sprechen. Insofern die PDS diesen ihren Ex-Staatsmann von geradezu bismarckschem nationalem Pflichtgefühl gewissermaßen als Zitat vergangener Verantwortlichkeit heraustreicht, gibt die Partei zu Protokoll, daß sie Opposition nur im Geiste nationaler Verantwortung für ein noch besseres Deutschland treiben will, also aus nationaler Verantwortung heraus, und daß sie damit im Grunde nur ihren eigenen besseren Absichten und Traditionen aus vergangenen DDR-Tagen treu bleibt: Der Mann steht für Kontinuität beim Wegwerfen der alten DDR. An Hans Modrow, dem Steuermann in schwerer Zeit, demonstriert die PDS außerdem perspektivisch, daß sie sich, wenn sie doch irgendwann einmal wieder zur politischen Verantwortung zugelassen wäre, den politischen "Realitäten", den Notwendigkeiten der nationalen Staatsraison, nicht verschließen würde; schließlich ist die kurze Regierungszeit des Genossen Modrow ein eindrucksvolles Beispiel des sozialistischen Sinns für "Realpolitik": Wenn im Interesse der Nation Kapital gebraucht wird, dann muß man dem Kapital eben seine Bedingungen schaffen. Das natürlich nur im Namen der Arbeiter, die darauf angewiesen sind, und mit ein bißchen DDR-Nestwärme.
Weder Modrow noch Gysi
werden es allerdings schaffen, ihre Partei bei den Deutschland-Wahlen vom 3. Dezember nationwide über 5% in der Wählergunst des Volkes zu hieven. Dafür sorgt die Konkurrenz der Altparteien in der deutschen Demokratie, die auch an den Protagonisten der Wende zielsicher das Feindbild festmachen und für dessen Realismus den Staatsanwalt und den Stasi-Untersuchungsausschuß mitmalen lassen. Modrow war schließlich der letzte Kanzler eines "Unrechtsregimes", seine einzige historische Rechtfertigung die Liquidierung der DDR; und seine Person, wenn sie Reklame machen soll für die Fortsetzung der alten DDR-Staatspartei mit anderem Programm, wird mit dem wirkungsvollsten Mittel demokratischen Kampfes in der Ex-DDR fertiggemacht, der Stasi-Denunziation. Der "Beweis" im Falle Modrow geht ebenso leicht wie unwiderlegbar. Im Stasi-Staat kann man nicht Chef gewesen sein, ohne selbst... Was da so -grundehrlich aussieht an diesem Mann, kann also nur die Maske des Biedermanns sein.
Bei Gysi sind die Stasi-Fahnder nicht fündig geworden. Bei ihm reicht aber, daß er Vorsitzender einer Partei ist, deren frühere Gestalt nach offizieller gesamtdeutscher Staatsraison in toto eine "kriminelle Vereinigung" gewesen sein soll. Unter diesem Vorzeichen verkehren sich alle seine Qualitäten in ihr Gegenteil: Was sonst Politikern als Kompliment nachgesagt wird, dient bei Gysi seiner Entlarvung: Aus sauber wird "berechnend", aus geistreich "gerissen", der Visionär ist ein "Einseifer" und "Rattenfänger" und der Parteimanager ist der "Drahtzieher".
Die PDS hätte nach Auffassung der politischen Konkurrenz nur einen echt glaubwürdigen Beitrag zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zwischen Rhein und Oder-Neisse erbringen können: ihre Selbstauflösung mit Schimpf und Schande. Das Weitermachen, für das Gysi und Modrow Verantwortung tragen, erhält eine Reliquie des besiegten "Deutschlandverräters" SED am politischen Leben in der Nation. Die Herren sind also noch vor jedem Argument gegen sie verdächtig.