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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1990 erschienen.

Systematik

Rechtsstaat und Öffentlichkeit gemeinsam gegen die PDS
JAGDSZENEN AUS DER DEUTSCHEN DEMOKRATIE

Die Zeitungen für die klugen Köpfe begleiten gewöhnlich das politische Geschäft mit Erwägungen zu Stil, Geschicklichkeit und Erfolgsaussichten der Regierenden. Der Rest der Welt wird von "Bild" und Co. in Kurzfassung mit den Resultaten dieser Erwägungen vertraut gemacht und - wenn es gegen einen inneren oder äußeren Feind geht - mit Hetze pur unterhalten.

Da die Macher "seriöser" Blätter dieses Fach auch beherrschen, das sie sonst herablassend die Kollegen von der "Boulevard-Presse" erledigen lassen, beweisen sie, wenn es ganz prinzipiell wird: wenn es, wie derzeit, darum geht, im neuen Deutschland, das auf der weiten Welt keinen Feind mehr haben soll - der Irre von Bagdad natürlich ausgenommen -, die letzten Restbestände des besiegten DDR-Systems wegzusäubern. Da legen die Damen und Herren von "Süddeutscher Zeitung", "Frankfurter Rundschau" oder "Tagesthemen" ohne große Umstände mit Hand an zur Unterstützung derer, die in Politik und Polizei fürs praktische Aufräumen zuständig sind. Sie machen die Gangster von der STASI-SED-PDS vorab agitatorisch dingfest und liefern ein stimmungsmäßiges Umfeld, in dem kurz- bis mittelfristig die

Politische Entsorgung der PDS

stattfinden soll.

Und das geht z. B. so:

Im September machte die "Süddeutsche Zeitung" eine Woche lang mächtig Wirbel mit dem "Verschwinden" von 730 Mio. DM aus der an die alte DDR bezahlten Transitpauschale. Fraglos war klar, daß das nur ein Werk der perfiden Untergrund-Stasi sein konnte. Als die Kohle dann wieder aufgetaucht war, mußte man schon zu den aufmerksameren Zeitungslesern zählen, um die Nachricht in unserer pluralistischen Medienvielfalt zu entdecken: in der "Frankfurter Rundschau" vom 6. 10., 6,5 cm hoch, einspaltig, gleich über dem Wetterbericht, durfte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums murmeln, daß "nichts unterschlagen" wurde.

Am 18.10. setzte die SZ nach: per Aufmacher auf der ersten Seite berichtete sie über einen milliardenschweren Devisenbetrug in der, Ex-DDR und wußte gleich wieder - schon in der fetten Hauptüberschrift - daß die "Haupttäter vermutlich - Stasi-Sonderoffiziere" waren. Das hatte der SZ ein echter Justiz-Staatssekretär gesteckt, mit dem sie dann eben zusammen auf der ersten Seite das Entsprechende "vermutete".

Am Samstag darauf war die Angelegenheit einerseits immer noch ein Fall von Devisenbetrug, aber - obwohl immerhin der erste von Zonis mitveranstaltete deutsche Qualitätsbetrug von Weltniveau - inzwischen war dem Skandal das Skandalöse abhanden gekommen. Die inhaftierten Beschuldigten waren leider keine "Stasi-Sonderoffiziere" mehr, sondern Leute, über die

"der Staatsanwaltschaft Gerüchte bekannt waren, wonach zwei der Beschuldigte Stasi- Kontakt hatten." Deshalb mußte - wen interessiert schon ein gewöhnlicher Milliardenbetrüger - das Dementi des großen Aufreißers vom Donnerstag als kleine innerministerielle Unzuträglichkeit ("Justizsenatorin über Staatssekretär verärgert") auf die zweite Seite rücken. (Außerdem hätte es auch genausogut so sein können, wie man zunächst "vermutet" hatte, man denke nur an die verschwundene Transitpauschale!)

Auf der ersten Seite der SZ vom Samstag hätte aber das Dementi schon aus Platzgründen nicht mehr hingepaßt. Da mußte nämlich schon über eine neue Schweinerei der STASI-PDS berichtet werden: wegen des "Verdachts der Untreue" mußte bekanntlich deren Berliner Zentrale "wegen Gefahr im Verzug" bei Nacht, ohne Durchsuchungsbefehl unter Aufbietung 160 Bewaffneter durchsucht werden.

Die Hauptsache ist ein solider Verdacht

Mit diesem spektakulären Einsatz hatten sich Justiz und Polizei nun endlich aüch aktionsmäßig dahin vorgearbeitet, wo die Medien mit ihrer Dauerhetze über die angeblich fortdauernde Geheimherrschaft der SED theoretisch schon längst waren: zum Zuschlagen gegen die greifbaren Repräsentanten all dieser Untergrundverbrechen, als die die Presse die PDS zurechtpräpariert hat. Dies ist eine Partei, der niemand glauben soll,

"daß sie eine wahrhaftig gewandelte Partei ist" (FR).

Sie bleibt die alte STASI-SED,

"deren Finanz-Transaktionen besonderer Aufmerksamkeit bedürfen" (SZ).

Der Justiz kann es deshalb ziemlich gleichgültig sein, ob ihre Beschuldigung, die PDS habe unter den Augen von Treuhand, Parteien-Aufsichtskommission, Verfassungsschutz und Interpol in offener Kontobewegung Geld "beiseiteschaffen" wollen, zutrifft oder nicht. Sie hat nämlich durch ihre Aktion schon einige "Beweise" für die "Vermutungen" der Presse geliefert:

- das, was man diesem Verein vorwirft, ist ihm auch zuzutrauen, sonst hätte man ja nicht sein Büro durchsuchen müssen,

- daß er gefährlich ist, sieht man daran, daß man soviele bewaffnete Polizisten mit schußsicheren Westen brauchte,

- weil diese Partei normalerweise ganz schnell und konspirativ betrügt, mußte man nachts und ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl eingreifen, es war immerhin "Gefahr im Verzug"!

Auch die Medienmacher zeigten sich beim Hin- und Herwenden des Sachverhalts vor allem daran interessiert, mit allen berufsüblichen Techniken der üblen Nachrede zu Lasten der PDS dafür zu sorgen, daß an ihr möglichst viel "hängenblieb". "Neulich hat die PDS Geld überwiesen. " Das ist für eine Partei zwar nicht besonders extravagant, im Falle der PDS aber allein deswegen ein Verbrechen, weil sowieso jeder davon ausgeht - spätestens angesichts dieser Sensationsmeldung -, daß dieser Partei so etwas schlechterdings nicht zusteht. Am Skandal, daß sie Finanzmittel hat, wird bloß immer wieder das feststehende Urteil bekräftigt, daß sie kein Existenzrecht hat - wo wäre sonst der Skandal?

Das Urteil war jedenfalls schon fertig, bevor die Beweisaufnahme am Ziel und das Geständnis auf dem Tisch war; da haben auch die "seriösen Journalisten" ihre sonst so selbstgefällig gepflegten Vorbehalte gegen "Vorverurteilungen" ganz schnell und in ganz unpluralistischer Einheitlichkeit abgelegt. Um so schöner für sie, daß, wie sich eine Woche später herausgestellt hat, tatsächlich ein paar besorgte Parteigenossen einen Teil des Parteivermögens sicherstellen wollten, das die siegreiche Konkurrenz zweifellos der Partei bald abknöpfen wird, weil es aus demokratischer Sicht sowieso veruntreutes Staatsvermögen ist (während mit der Vereinigung der westlichen Staats- mit den östlichen Blockparteien auch vermögensmäßig in aller Stille zusammenwächst, was zusammengehört). Damit ist auch schon so gut wie bewiesen, daß nicht bloß die Transaktion an der Treuhandaufsicht vorbei ein Vergehen war, sondern der Geldbesitz dieser Partei selbst im Grunde ein Verbrechen. Hat die "Süddeutsche" es nicht schon vorher gesagt?

"Herkunft und Verwendung ihres Vermögens unterliegen dem Verdacht unrechtmäßiger Aneignung." (SZ)

Der Justiz wegen ihres entschlossenen Zugriffs den Vorwurf zu machen, sie habe den

Rechsstaatlichen Benimm vernachlässigt

würde vom Wesentlichen ablenken. Deshalb verbietet das liberale süddeutsche Weltblatt strikt einen Vergleich, der ihr offenbar selbst auch gleich eingefallen ist:

Keinesfalls "darf der Eindruck entstehen, daß unsere Justiz zu ähnlichen Willkürakten fähig ist, wie einst Stasi und Volkspolizei."

Und die noch freiheitlichere FR gibt - gemeinsam mit dem Spendenfahnder Lambsdorff konstruktiv zu bedenken, daß man die PDS jedenfalls in Wahlkampfzeiten -, um ihr kein "zusätzliches Wahlkampfargument" zu geben, lieber unter Beachtung der rechtsstaatlichen Manieren verfolgen sollte:

"... sollte auch niemand die kleine Partei für so wichtig hälten, daß er über ihrer Verfolgung die Prinzipien des Rechtsstaates vergißt (!). Das ist die PDS nicht wert."

Insgesamt aber herrscht Verständnis vor, für die

"hervorragende Kriminalpolizei, die wie immer ohne Ansehen der Person zugegriffen hat." (Innensenator Pätzold, Berlin)

und ihre menschlich naheliegende "Vergeßlichkeit":

"In Berlin sind die Wunden aus der SED-Zeit vielleicht noch zu frisch, als daß dafür immer das nötige Fingerspitzengefühl vorhanden wäre." (SZ)

Die amtliche Bestätigung für all das, was sich die deutschen Journalisten bei der Herstellung einer einheitlichen freien Meinung in diesem all schon die ganze Woche über selbständig gedacht haben, haben sie schließlich am Mittwoch von ziemlich hoher Stelle im Bundestag bekommen.

"Eins ist klar", sagte da CDU-Rühe zur PDS, "sie gehören zur Partei der Täter, als Opfer kommen sie nicht in Frage."

Der gute Zweck heiligt alle Rechtsmittel

Dem gewöhnlichen Menschen kann es natürlich reichlich egal sein, ob nun die PDS beschissen hat oder selbst hereingelegt wurde. Mit der Welt der 100 Millionen, die die Parteien hin- und herschieben, hat er ohnehin nur als trostloser Zahler zu tun.

Über das gute Recht aber, dem bei uns alle Staatsgewalt so sehr verpflichtet ist, daß sie den feinen Titel "Rechtsstaat" umgehängt bekommt und dadurch schon fast keine Gewalt mehr sein soll, und über die freie Presse, die diesen Titel so gern auf Hochglanz poliert, könnte man aus diesem Theater schon eine kleine Lektion mitnehmen: Das Dienstverhältnis zwischen Rechtsstaat und politischer Gewalt funktioniert offenbar genau andersherum, als es Weizsäcker und die Sozialkunde lehren. Das Recht dient der Gewalt zur Regelung aller alltäglichen Machtaffären. Rechtsvorschriften behindern die Gewalt nicht, sondern sind die in Paragraphen gefaßte Niederschrift ihrer Handlungsfreiheit. Zwar will die demokratische Ideologie wissen, daß im Rechtsstaat das saubere Verfahren den Zweck heiligt -, aber eine besonders gute Absicht heiligt schon auch mal die Mittel. Und wenn die demokratischen Chefs bei einer besonderen Lage einmal die von ihnen und für sie erlassenen Vorschriften locker nehmen und die "Unverletzlichkeit der Wohnung", "Immunität von Abgeordneten", "Verhältnismäßigkeit der Mittel" oder andere heilige Güter nachlässig behandeln, dann sorgt die richtige Rechtsauffassung dafür, daß das kein Unglück ist.

So wurde zur gleichen Zeit, zu der sich der Rechtsstaat die PDS vorknöpfte, ziemlich geräuschlos der "größte Waffenskandal der Nachkriegsgeschichte" - (Monitor v. 23.10.), der U-Boot-Deal mit Südafrika, beerdigt. Dem Kanzler war von Gerichts wegen bestätigt worden, daß er vor dem Untersuchungsausschuß lügen durfte, weil er nicht als Zeuge, sondern in "beschuldigtenähnlicher Stellung" ausgesagt hatte. Auch die Parteispenden- und Steueraffären der westdeutschen Parteien wurden nicht wie im Falle PDS durch den nächtlichen Aufmarsch bewaffneter Hundertschaften, sondern mittels sehr ziviler Bußgelder aus Westentaschen und Portokassen geregelt.

Der Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung erfordert eben schon immer auch die Ungleichbehandlung von Ungleichem. Und es ist eben nicht das Gleiche, ob Kohls Teltschik staatstragend Akten beiseite schafft, oder die PDS staatsfeindlich Geld hat.

Die Öffentlichkeit hat in Sachen PDS, im Doppelpaß mit Politik und Justiz, agitatorische Vorlagen gegeben, hat Amtliches verlautbart und war sich auch per Kommentar für die Abteilung Schmutz und Hetze nicht zu schade. In Sachen U-Boot-Affäre hat sie bestimmt ganz ohne Befehl aus dem Kanzleramt so sparsam berichtet. Unsere Presse braucht dazu keine Zensur. Die ist einfach so frei.

PS.

Die demokratische Hetze gegen die PDS und der mit rechtsstaatlichen oder auch schon mal nicht so hundertprozentig rechtsstaatlichen Mitteln durchgeführte Angriff auf ihre Finanzmittel wird jetzt auch noch durch die Partei selbst ins Recht gesetzt. Sie gibt nicht bloß die Tatsachen zu, deren sie angeklagt wird - ohne Genehmigung Geld ins Ausland überwiesen, um es dem so gut wie angekündigten Zugriff der Staatsgewalt zu entziehen und eine Sicherheit für die Parteiarbeit und die in ihrer bürgerlichen Existenz bedrohten Parteimitarbeiter zu schaffen. Sie bekennt sich gleich auch noch schuldig im Sinne der Anklage : gibt also dem Staat recht, der sie enteignen will, so als stände hier gar nicht das politische Interesse ihrer Gegner gegen ihre Überlebensinteressen, sondern der arme Sünder vor dem höchsten Gericht. Sogar gegen ihre eigenen materiellen Existenzbedingungen zieht die PDS damit ihre politische Linie durch, nämlich die sauberste politische Kraft im neuen Deutschland sein zu wollen, geläutert durch den Verzicht auf die Macht und deswegen garantiert unkorrumpierbar - eine Linie der bürgerlichen Moral, so fern wie nur etwas jeder kommunistischen Position; einer Moral, die notwendigerweise ein trost- und hoffnungsloser Oppositionsversuch bleibt, weil keine parlamentarische Partei sich im Ernst an so übertriebenen Maßstäben mißt, geschweige denn messen läßt. Demokratische Parteien leben bestens mit dem Urteil, ihr Metier wäre "ein schmutziges Geschäft", weil das keine ernsthafte Anklage ist, sondern im Gegenteil das Meiste entschuldigt; nicht zufällig machen verurteilte, aber erfolgreiche Steuerhinterzieher weiter Parteikarriere. Daß man der PDS nichts durchgehen läßt, hat - wie übrigens im Grunde jeder weiß - erst recht keine moralische Gründe, sondern kommt ausschließlich aus dem politischen Interesse an der Kriminalisierung dieses Vereins und am liebsten überhaupt jeder Position im Lande, die irgendetwas mit Sozialismus zu tun haben möchte. Nur die PDS selbst sieht das ganz anders: Sie steht und fällt mit ihrem absurden Unterfangen, mit purer Läuterungsmoral Politik machen zu wollen. Deswegen tut sie alles, um sich gewissermaßen an die Spitze der gegen sie entfachten Empörung zu setzen - womit sie bestenfalls sich selber Eindruck macht, aber sonst niemandem; schon gar nicht ihren politischen Gegnern, die ihre eigenen Affären nach dem bewährten Muster abwickeln: Vertuschen, Leugnen, alle Tatbestände Verwirren, Gegner als Verleumder Verleumden usw. Der Hetze gegen sie und dem staatlichen Angriff auf ihre Existenz entzieht die PDS mit ihrer Geständnis-Offensive jedenfalls nicht den Boden. Allenfalls kürzt sie das Verfahren ab, auf dessen Ergebnisse ihre Gegner scharf sind: Enteignung (CSU), Wahlausschluß (SPD) - und vor allem der moralische Zusammenbruch dieser Rest-Heimat für letzte Getreue des ehemals Realen Sozialismus aufdeutschem Boden.