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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1990 erschienen.

Systematik

Klarstellungen zum Aufmarsch am Golf
ES GEHT UM VIEL MEHR ALS UM "UNSER ÖL"

0.

"Unsere Ölstaaten" am Golf heißen zutreffend so, weil die Souveränitäten dort dazu ausersehen sind, die kapitalistischen Industrienationen mit dem wichtigen Rohstoff zu beliefern, der unter den arabischen Gegenden reichlich lagert. Diese Staaten beruhen tatsächlich auf Öl, das sie an Nationen verkaufen, die aus dem Rohstoff kapitalistischen Reichtum machen und machen können. Insofern ist es auch nicht unpassend, vor die Länder am Golf das besitzanzeigende Fürwort zu setzen . Der Reichtum dieser Länder hängt ausschließlich davon ab, daß und für wieviel Geld ihnen ihr Öl vom kapitalistischen Westen abgenommen wird. Und an Machtmitteln ihrer Souveränität bekommen sie von eben dem Freien Westen so viel, wie der ihnen für die Oberhoheit über und staatliche Verwaltung der Ablieferung des flüssigen Guts zugesteht. Diese Staaten sind Kreaturen der kapitalistischen Mächte des Westens, sie gehen ganz in der Funktion auf, die sie für die kapitalistischen Nationen haben. Diese recht einfachen und durchsichtigen Ordnungsverhältnisse, die der Imperialismus sich eingerichtet hat, haben jahrzehntelang ganz gut geklappt.

1.

Der Irak ist auch so ein Ölstaat . Im Unterschied zu den meisten arabischen Ö1staaten verfügt er aber über eine ganze Menge Volk, das zur Mehrung des nationalen Wohls einsetzbar ist, und über eine ansehnliche Streitmacht, die er nicht zuletzt vom freien Westen bekommen hat, als der Krieg Saddam Husseins gegen den Iran ins westliche Konzept paßte. Vor allem, aber möchte der Irak keine Souveränität von imperialistischen Gnaden bleiben. Mit den Einnahmen aus seiner nationalen Ölquelle und mit seinem Volk will Saddam Hussein eine großarabische Macht am Golf erichten, die sich von keinem mehr etwas sagen zu lassen braucht. Für dieses Ziel hat er den Nachbarstaat Kuwait erobert. Mit dem Programm, aus dem eigenen Staat per Eroberung eine respektable Großmacht zu machen , liegt der Chef des Irak zwar ziemlich neben den ökonomischen Grundlagen seines Ölstaates, aber nach allen Regeln der internationalen Staatenwelt im Prinzip goldrichtig. Mehr Geldquellen, mehr Leute, mehr Land - die erfahrenen bundesdeutschen Politiker machen es gerade vor, daß das die Mittel der Wahl für einen nationalen Fortschritt sind. Das Pech des Saddam Hussein, der sich von den Weltwirtschaftsmächten unabhängiger machen will, ist nur, daß dem Westen der unfreundliche Akt des Iraks gegen Kuwait überhaupt nicht ins Konzept paßt : Ein aufstrebender Machthaber, der meint, er könne auf eigene Faust und im eigenen Interesse handeln , ist ein prinzipeller Anschlag auf das westliche Interesse und stört grundsätzlich und eminent die Ordnung am Golf, wie sie der Westen in seinem Sinne eingerichtet hat. Deshalb fällt das Urteil über die Machtpolitik des irakischen Präsidenten so vernichtend aus: Seine Verletzung des Völkerrechts stellt ein Kapitalverbrechen dar, der Präsident selbst ist ein "Verbrecher" , ein "Tyrann" , ein "Wahnsinniger" dazu.

2.

Die Strafe für einen politischen Akt, der einem Staat wie dem Irak nicht erlaubt ist, hat gewaltige Dimensionen. Eine Wirtschaftsblockade ohne Lücken findet schon statt. Eine riesige Streitmacht der USA wird Tag für Tag kompletter und steht bereit, der irakischen Militärmacht und ihrem Führer eine vernichtende Niederlage beizubringen . Eine diplomatische Lösung wird für diesen Feind in Bagdad ausgeschlossen . Der Irak muß, so steht es im Westen fest, militärisch entmachtet werden. Die Machtgelüste dieses frechen Aufsteigers an der Spitze des Irak sind buchstäblich zu zerschlagen. Auch ein Rückzug aus Kuwait rettet ihn davor längst nicht mehr.

Denn Saddam Hussein hat auch noch das Pech, daß an seinem Fall den arabischen Staaten überhaupt eine Lektion erteilt werden soll und die deshalb so gnadenlos ausfällt. Die USA und ihre Verbündeten stellen machtvoll klar, daß die Golfregion der Hinterhof der Freien Welt ist und bleibt und daß keine arabische Macht jemals mehr kann und darf, als was der Westen nützlich findet. Das angemessene Mittel für diese Klarstellung ist Gewalt gegen den Irak. Sie reicht von der totalen Blockade bis zur Option auf totalen Krieg. Und ernsthafte Einwände gegen dieses Vorgehen sind bisher nirgendwo auf der Welt bekannt geworden.

3.

Damit ist aber das historische Kapitel "Der Tyrann von Bagdad und seine Erledigung für Frieden und Freiheit" noch gar nicht zu Ende. Am Golf findet gegenwärtig ein Stück Weltpolitik statt, das Saddam Hussein mit seiner Eroberung des Scheichtums Kuwait wirklich nicht zu verantworten hat. Er hätte sich das vielleicht früher überlegen sollen. Aber so ist es schon wieder sein Pech, daß es um mehr geht, als darum, einen aufmüpfigen Gernegroß kleinzumachen; auch um mehr, als nur die arabische Ölregion unter der Kontrolle des Freien Westens zu halten und den arabischen Staaten zu zeigen, wo ihre Grenzen und wofür sie gut sind.

Immerhin ist nämlich erst jüngst eine weltpolitische Epoche zuende gegangen , die die Außenpolitik fast aller Staaten auf dem Globus seit dem 2. Weltkrieg ziemlich grundsätzlich bestimmt hat, der Ost-West-Gegensatz, die Feindschaft zwischen dem Freien Westen unter Führung der Weltmacht Nr. 1 und dem Lager des Sozialismus unter Führung der Sowjetunion. Diese neue weltpolitische Lage hat den Vereinigten Staaten von Amerika zu denken gegeben. Sie haben tatsächlich Zweifel bekommen, ob nach dem erfolgreichen Ende des Kampfs "Freiheit gegen Sozialismus", in dem sie unangefochten die Vormacht im Westen und die Macht gegen die Sowjetunion waren, ihre hervorragende Rolle als Weltmacht noch allerseits und allumfassend gilt. Und sie sind zu dem naheliegenden Schluß gekommen, daß sie, wie bisher, die Weltmacht sein wollen und für die Erhaltung dieser Position Anstrengungen notwendig sind. Das ist ein guter Grund - und nicht der letzte -, weswegen das Engagement und der Aufmarsch der USA am Golf so überaus vordringlich und machtvoll ausgefallen ist. Die USA demonstrieren an der Affaire "Der Irre von Bagdad", daß sie die Nr. 1 auf dem Globus sind.

4.

Die Sache hat für die USA freilich auch Testcharakter. Der selbstherrliche und demonstrative Einsatz von Gewalt bei der Bereinigung einer Einflußsphäre des Freien Westens ist ja für sich noch keine Garantie dafür, daß die Konkurrenten der USA, die es in West und Ost weiter gibt, wie selbstverständlich die unangefochtene Vormachtrolle der Weltmacht anerkennen und deren Vorgehen unterwürfig zur Kenntnis nehmen.

Was die Sowjetunion anbetrifft, so ist der Test auf die zukünftige Weltmachtrolle der USA nach der Beendigung des West-Ost-Gegensatzes zur vollen Zufriedenheit der Vereinigten Staaten von Amerika ausgegangen. Die USA haben - sogar auf einem Gipfeltreffen - das russische Placet zum eigenmächtigen Regeln der Angelegenheit am Golf bekommen. Einwände gegen die Kriegstreiberei der USA am Golf hat die Sowjetunion im Grunde nicht vorgebracht.

Damit hat die alte östliche Supermacht anerkannt, worauf Präsident Bush aus war: Die Pax americana gilt - ab sofort mit sowjetischer Billigung. "Bezahlt" haben die Amerikaner dafür mit dem großzügigen Zugeständnis, ihren alten Kontrahenten als quasi gleichrangige Supermacht zu Rate zu ziehen. Ein schönes Geschäft, genau von der Art, wie man sich in Washington die neue harmonische Ära der Weltpolitik vorstellt: Die USA würdigen die Sowjetunion als ehrbares zweites Subjekt der Weltpolitik, sofern diese nichts anderes will, als was die Amerikaner machen.

5.

So leicht ist das Ansinnen der USA, auch nach dem Wegfall des Hauptfeindes konkurrenzlose und bedingungslos anerkannte Weltmacht zu bleiben, gegenüber den in der NATO mit ihr verbündeten westlichen Staaten nicht durchzusetzen.

Immerhin hat es die Bundesrepublik Deutschland geschafft, ihr europäisches Einigungswerk so auszubauen , das von einer ökonomischen Dominanz der USA auf dem Weltmarkt längst nicht mehr die Rede sein kann.

Immerhin fällt die Geltung des Dollars schon längst nicht mehr mit seiner Rolle als der Weltgeldwährung zusammen.

Immerhin können die USA den mächtigen ökonomischen Konkurrenten Japan längst nicht mehr einfach als ihren pazifischen Außenposten verbuchen. Und diese Konkurrenzverhältnisse werden nun nicht mehr durch einen Weltgegensatz zwischen Imperialismus und sozialistischem Lager mit Atomkriegsperspektive, den keiner der konkurierenden Verbündeten der USA auf sich gestellt aushalten könnte, relativiert und im amerikanischen Sinn zurechtgerückt.

In dieser heiklen Situation ist den politischen Börsenmaklern der nordamerikanischcn Nation ein für Politiker unbedingt naheliegender Gedanke gekommen: nämlich den Niederlagen und verschobenen Kräfteverhältnissen in der ökonomischen Konkurrenz mit politischen Mitteln zu begegnen: mit der gewaltsamen Klarstellung der Konkurrenzlosigkeit der USA in Fragen der politischen Weltordnung. Damit sind die Kalkulationen der politökonomischen Strategen der USA gar nicht so weit entfernt von den "teuflischen" Berechnungen des Saddam Hussein , dessen Armee prinzipiell auch mehr für die Macht des Irak leisten soll, als was die politische Ökonomie des Rohstoffexports in der Machtfrage hergibt. Nur ist bei den USA der Ausgangspunkt ein ganz anderer. Die USA sind die Weltmacht; ihre Diplomatie verfügt über die Mittel, der restlichen Staatenwelt eine politische Linie im Streit mit dem Irak vorzugeben; und zwar deswegen, weil das amerikanische Militär über die nötigen Mittel verfügt, fremde Mächte in aller Welt mit überlegener Gewalt zu konfrontieren. Mit ihrer Großaktion am Golf bekunden die USA ihren unbedingten Willen, die militärisch konkurrenzlose Weltordnungsmacht zu bleiben. Wie, ja b diese Aktion das gewollte Ergebnis hergibt, ist eine andere Frage.

6.

Die Verbündeten und Freunde der USA bekommen zu spüren, wie die NATO-Führungsmacht den "neuen Weltfrieden" definiert und durchsetzt. Sie sollen wissen, daß sich nach dem Wegfall des Hauptfeindes im Osten keineswegs die Kräfteverhältnisse im Bündnis ändern, daß die USA weiterhin die politische Führerschaft im Kreis der großen Nationen beanspruchen. Es war nicht zuletzt eine Botschaft dieses Inhalts an die Verbündeten, die vom Gipfeltreffen Bush/Gorbatschow in Helsinki ausgegangen ist. Die demonstrative Kumpanei mit der anderen Supermacht in der Kriegsfrage hat, ohne den sowjetischen Partner wirklich ins erste Glied zu rücken, den - anschließend unterichteten NATO-Partnern deutlich gemacht, daß sie ins zweite Glied gehören. Mögen die Europäische Gemeinschaft und Japan auf dem Felde der ökonomischen Konkurrenz gleichwertige Partner der USA geworden sein, die mit ihrem ökonomischen Erfolg die Vereinigten Staaten von Amerika sogar schon überholt haben, die bisher gültige politisch-militärische Rangfolge soll weiterhin eindeutig zugunsten der amerikanischen Supermacht entschieden sein. Am Golf wollen die USA Europa und Japan beibringen, welche weltpolitische Rolle sie für sich beanspruchen und welche die anderen starken Nationen dabei zu spielen haben.

Die USA stellen mit ihrem militärischen Aufmarsch am Golf unzweifelhaft klar, daß sie es sind, die die durch den Irak gestörte Ordnung in der Ölregion kontrollieren und wiederherstellen. Diese Vorgabe der USA haben die NATO-Verbündeten und Japan erst einmal ohne Wenn und Aber zu akzeptieren. Eigenständige nationale Erwägungen der Verbündeten oder andere Wege zur Lösung der Golfkrise, als sie die USA praktisch gehen, sind im Plan der Weltmacht nicht vorgesehen. Diese verpflichtet vielmehr die Verbündeten auf einen einheitlichen Standpunkt gegen den Irak. Dann werden Japan und Europa zu Hilfsdiensten aufgefordert bei der Lösung einer weltpolitischen Affaire, für die die USA ganz allein die Verantwortung übernehmen und das Drehbuch verfassen. Mitmachen sollen sie schon, die Freunde in Europa und Japan, aber eben nur mitmachen. Ein paar Streitkräfte sind erwünscht, sogar die "symbolische" Präsenz von Truppen der Verbündeten soll für den guten Zweck, den die Amerikaner verfolgen, schon hilfreich sein. Und verlangt wird finanzielle Hilfe für die Militäraktion der USA. Der Weltpolizist waltet seines Amts, die "Hilfssheriffs" werden aus Europa und Japan hinzugezogen. So denken sich das die USA jedenfalls. Jetzt kommt es freilich sehr darauf an, wie überzeugend der Oberaufseher aus Amerika seinen Job erledigt.

7.

Die amerikanische Herausforderung ist eine harte Nuß für die Konkurrenten der USA. Ihre Verbündeten können es nämlich immer weniger leiden, doch nur "ökonomische Riesen" zu sein, deren weltpolitische Ambitionen sich immer nur im Schlepptau der westlichen Führungsmacht bewegen. Die großen Industrienationen kriegen mit, wie ihnen gerade machtvoll klargemacht wird, daß sich an der Rangfolge der Nationen nichts ändern soll, sie sich weiterhin der Führerschaft des Weltpolizisten USA unterzuordnen haben. Das schmerzt die kleineren Großmächte sehr: Sie wissen nämlich eine Alternative . Sie haben sie aber (noch) nicht. Erstens könnten sie dem demonstrativen Einsatz militärischer Macht am Golf, wie ihn die USA veranstalten , gar nicht selbst vollziehen. Dazu fehlen ihnen die Mittel. Zweitens würde das Beharren auf einer eigenen, anderen Lösung der Golfkrise ihnen die Feindschaft der USA einbringen. Dafür fehlen ihnen schon wieder und erst recht die Mittel. So finden sie sich auf eine recht unbefriedigende Rolle festgelegt. Darauf, daß sie auch Truppen an den Golf schicken, die aber gar nichts entscheiden; daß man Geld zahlen soll für eine Angelegenheit, bei der man nichts zu sagen hat; nur als "Hilfssheriff", nur als Geldsack wird man gebraucht. Und die Bundesrepublik pocht ein wenig auf ihre politische Souveränität, indem sie Wert darauf legt, daß ihre finanzielle Unterstützung nicht für das amerikanische Militär, sondern an die vom Embargo über den Irak betroffenen Staaten gezahlt wird...

Alles Zeugnisse dafür, daß die Partner und Konkurrenten der USA verstanden haben, was der amerikanische Aufmarsch am Golf ihnen sagen will. Und zugleich dafür, daß sie ihrerseits entschlossen sind, es dabei nicht zu belassen. Sie betonen ihre neue weltpolitische Verantwortung - die Deutschen allen voran - und meinen damit ihren Anspruch, in Zukunft nicht mehr die bloßen Nutznießer der Weltordnung im Kielwasser der amerikanischen Weltordnungsmacht zu sein. Die USA stellen mit ihrem demonstrativen kriegerischen Aufmarsch ihre Konkurrenzlosigkeit als militärische Weltmacht klar - für die ökonomischen Konkurrenten Amerikas ist damit die Konkurrenz um die militärische Kompetenz in den letzten Weltordnungsfragen eröffnet.