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II. Neues vom Schuldenberg
NACH DER "ENTWICKLUNG" DIE "SANIERUNG"
Die Weltbank führt interessante Bilanzen. Sie addiert nicht bloß die Auslandsschulden der Staaten, die sie zur 3., "unterentwickelten" Welt rechnet, jährlich zu einer großen, stets wachsenden Summe. Sie stellt auch die Kreditsumme, die als Zahlung an die 3. Welt deklariert wird, den Zahlungen gegenüber, die von den Staaten dieser Kategorie in Form von Kredittilgungsraten und Zinsen an die Finanzinstitute der 1. Welt geleistet werden, und errechnet einen Saldo beider "Kapitaltransfer-Summen". Dieser Größenvergleich ist zwar überaus begriffslos; denn er sieht großherzig darüber hinweg, daß vergebene Kredite Eigentum der Gläubiger bleiben, während gezahlte Schuldendienste ins Eigentum derselben Gläubiger übergehen; beide Bilanzposten messen also das Wachstum des Reichtums bloß einer Seite. Dennoch ist es bemerkenswert, daß die Summe der Tilgungs- und Zinszahlungen der 3.Welt-Länder die Summe der für sie notierten Kredite seit 1984 übersteigt: zuerst nur um 7,3 Milliarden Dollar im Jahr, 1987 schon um 29 Milliarden, 1989 dann um 52 Milliarden Dollar. Diese Zahlen zeigen nämlich schlicht und abstrakt, daß die 3. Welt - insgesamt genommen -, wenn sie Kredite bekommt, schon längst nicht mehr Reichtümer "zur Verfügung gestellt" kriegt, um damit etwas Nützliches anzufangen, was sie sonst mangels Mitteln nicht könnte. Sogar der Zustand ist seit 6 Jahren vorbei, daß diesen Ländern - wieder insgesamt genommen - ihre aus Schulden erwachsenen Zahlungsverpflichtungen in Form neuer Kredite "angeschrieben" wurden. Per Saldo zahlt die 3. Welt, und zwar gute, echt verdiente Dollar-Milliarden; einfach unter dem Zwang alter und neuer Schuldscheine, die dennoch nie abnehmen, sondern außerdem noch wachsen. Denn doppelt soviel, wie sie zahlt, wird ihr gleichzeitig an neuen Verbindlichkeiten angeschrieben; auch das kraft alter, nicht bedienter Verbindlichkeiten.
Es stimmt also nichts an dem ohnehin bescheuerten, unter bürgerlichen Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten überaus beliebten Gleichnis, die 3. Welt hinge "am Tropf" kapitalistischer Geldgeber und Finaniinstitute. Tatsächlich ist es den "Geldgebern" aus der 1. Welt gelungen, mit ihrer Kreditvergabe nicht bloß Eigentumstitel in den Staaten der 3. Welt und Forderungen an sie zu akkumulieren, sondern außerdem zu Netto-"Geldnehmern" zu werden. Und dieses Ergebnis enthält immerhin zwei Klarstellungen: eine über den Zweck, eine über den Erfolg der Finanzgeschäfte zwischen 1. und 3. Welt.
Was den Erfolg betrifft, so kann es einfach nicht wahr sein - wie immer wieder vermeldet wird -, daß die westlichen Banken mit der 3. Welt eigentlich nur noch "notleidende Kredite" und "Wertberichtigungen" abzuwickeln hätten, also nur noch damit beschäftigt wären, ihr gutes Geld abzuschreiben: Neben dem "Umschulden" werden sie das Kassieren schon auch noch irgendwie erledigen. Und daß es einiges zu kassieren gibt, widerlegt die andere Legende, die an 3.Welt-Staaten vergebenen Kredite wären in lauter verkehrte, ökonomisch sinnlose Unternehmungen geflossen und für "Größenwahn" vergeudet worden: Irgendwie muß die 3. Welt ja ihre Handelsbilanzen hingekriegt haben, die ihr den "Nettokapitaltransfer" nach"Norden" erlauben.
Dieses Ergebnis sagt alles über den Zweck des vorangegangenen "Kapitaltransfers" in den "unterentwickelten Süden" des Globus. Um die "Übertragung" von produktiven Reichtümern ist es jedenfalls nie gegangen, wenn zinstragendes Finanzkapital in die 3. Welt gewandert ist; oder wenn, dann nur in dem einen Sinn: damit das geliehene Geld vermehrt zurück "übertragen" wird. Kredite mögen dem "Empfänger" helfen, Geld zu verdienen; auf alle Fälle aber begründen sie das Recht des Gläubigers, reicher zu werden; und wer sonst sollte das bewerkstelligen als der Schuldner mit dem Geld, das er, wie auch immer, verdient. Ganz verkehrt ist es also, sich über den "Geldabfluß" aus der 3. Welt zu wundern, ihn für paradox und womöglich skandalös zu halten, weil doch "eigentlich" das Umgekehrte, die Investition erstweltlichen Reichtums in die Elendsgebiete der Erde, fällig wäre. Kredite haben von vornherein nichts mit Geschenken zu tun. Ihr Zweck ist es, einen "negativen Kapitalsaldo" zugunsten des Gläubigers hervorzubringen; und es ist lächerlich, wenn durchschlagende Erfolge sich einstellen, im Namen edlerer Absichten darüber zu jammern.
Die Bilanzen der Weltbank zeigen also, daß das Recht des Kapitals auf Vergrößerung universell gilt; und ein wenig geht aus ihnen auch hervor, wie. In den Ländern der 3. Welt ist das Geldverdienen am Weltmarkt zur unbestrittenen Staatsräson geworden; ein Geldverdienen, das vor allem die Zahlungsverpflichtungen gegenüber auswärtigen Gläubigern gleichzeitig bedient und vertieft. So nehmen sie an der Weltwirtschaft teil.
Die Gläubiger und deren gemeinsame Institutionen - wie etwa die Weltbank - begutachten diese Errungenschaft mit dem ihnen eigenen Problembewußtsein: Sie machen sich Sorgen um die Zahlungsfähigkeit ihrer Schuldner. Den Erfolg ihrer Entwicklungspolitik, mit der sie die 3. Welt vom bloßen Handelspartner zum voll zinspflichtigen Geschäftspartner, zum regulären Lieferanten von Geldreichtum herangezogen haben, verbuchen sie dermaßen als Selbstverständlichkeit, daß sie damit gleich ein Problem haben - nämlich logischerweise das der unbegrenzten Fortsetzung dieses Erfolgs. Das erstmalige massive Auftreten dieses Problems wurde von den Gläubigern als "Schuldenkrise" registriert: Kredite gerieten in Gefahr, weil ihre Bedienung nicht mehr den Vorschriften der kapitalistischen Bankenaufsicht entsprach. Die Gefahr ließ sich bewältigen. Verfeinerte Methoden der Umschuldung erhielten die Fiktion eines zahlungsfähigen Schuldners aufrecht; verfeinerte Techniken der Abschreibung und des Handels mit Schuldtiteln bewahrten die Banken vor einer "Krise" ihrer Forderungen. So konnte der Geschäftsverkehr mit der 3. Welt mit "Schuldenkrise" sehr gut weiter gehen. Mit einer nicht ganz unwichtigen Modifikation: Die Schuldendiener aus der 3. Welt sind keine "Entwicklungsländer" mehr, die eine Zukunft als geschäftsfähige Mitglieder der Weltwirtschaft noch vor sich hätten. Sie sind Sanierungsfälle, die ihre beste Zeit bereits hinter sich haben und zusehen müssen, daß sie davon - wie eine vom Konkurs bedrohte Firma - wenigstens das Wichtigste retten, nämlich ihre durch Zinszahlungen beglaubigte Kreditwürdigkeit. In diesem Sinne werden Wirtschaftsreformen angesagt, die das Kunststück vollbringen sollen, die längst laufende Benutzung von Land und Leuten billiger und noch ertragreicher zu gestalten, noch mehr Zahlungsfähigkeit aus den Schuldnern herauszuholen, und zwar ohne neuen kostspieligen "Entwicklungs"aufwand.
Wie auch immer sie funktionieren sollen: Solche "Strukturanpassungen" werden in Angriff genommen; und zwar um so energischer von den Regierungen der Schuldnerländer selbst, je ehrgeiziger diese das Ziel verfolgen, per "Sanierung" endlich das hinzukriegen, was Jahrzehnte der "Entwicklung" nicht geschafft haben, nämlich einen Aufstieg zu mit den kapitalistischen Gläubigerstaaten gleichrangigen Subjekten der Weltwirtschaft. Für die anderen Staaten, denen sogar die Mittel für solchen Ehrgeiz abgehen, stehen auswärtige Institutionen mit genügend Experten und Mitteln bereit, um die politökonomischen Errungenschaften der bisherigen Entwicklung erneut umzuwälzen und aus dem erreichten Ruin zusätzlichen Reichtum herauszuquetschen. Ein erhabenes Beispiel für dieses Vorgehen bietet der neu abgeschlossene vierte Lome-Vertrag zwischen der Europäischen Gemeinschaft und 69 der armseligeren 3.Welt-Länder. Für die ehrgeizigere Variante von Sanierungspolitik haben sich die neuen Präsidenten von Argentinien und Brasilien demokratisch wählen lassen.