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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1990 erschienen.

Systematik

A. Zum Beispiel Lome IV:
DIE EG BETREUT, REFORMIERT UND SANIERT SICH IHRE KOLONIALWARENLIEFERANTEN ZURECHT

Seit 1975 nimmt sich die Europäische Gemeinschaft einer Anzahl ehemaliger Kolonien der europäischen Großmächte besonders an. Zunächst 66, jetzt 69 überwiegend kleine Länder in Afrika, in der Karibik und im Pazifik (AKP-Staaten) werden im Rahmen eines Abkommens betreut, das nach dem Verhandlungsort in Togo Lome-Abkommen heißt und Ende 1989 für die Zeit bis zum Jahr 2000 fortgeschrieben worden ist. Ein "Europäischer Entwicklungsfonds" und eine "Europäische Investitionsbank" kümmem sich um Entwicklungsprojekte, verbilligte Kredite, "Risikokapital" und nicht rückzahlbare Hilfszahlungen. Mit den Mitteln eines eigenen Fonds - "Stabex" wird das Ziel verfolgt, die "schwankenden" - im Klartext: sinkenden - Erlöse aus Agrarexporten für Länder, die damit einen Großteil ihres Außenhandels bestreiten, zu "stabilisieren"; ein anderer Fonds - "Sysmin" - soll dem Bergbau in Ländern, die auf den Export mineralischer Rohstoffe angewiesen sind, über Finanzschwierigkeiten hinweghelfen.

Das Schuldeaproblem: Nicht Fehlschlag, sondern ein Erfolg der Politik der "Exporterlösstabilisierung"

Zum Erfolg der EG-Hilfe läßt ein Informationspapier der Europäischen Kommission über den 4. Lome-Vertrag folgende Andeutungen fallen:

"Als 1983-1984 das dritte Lome-Abkommen ausgehandelt wurde, war Nahrungsmittelknappheit für viele AKP-Länder das Hauptproblem.

Als deren Ursache galten Dürre, zunehmende Abholzung, Vernachlässigung der Anliegen der Kleinbauern. Daher wurde im Abkommen von Lome III der Nachdruck auf die Ernährungssicherung, die ländliche Entwicklung und Maßnahmen gegen die Bodenerosion und das Vordringen der Wüste gelegt.

Fünf Jahre später war die größte Sorge vieler AKP-Staaten die Geldknappheit. Angesichts dieses "Kapitalhungers", der durch ständig sinkende Agrarpreise noch verschärft wurde (1988 betrug der durchschnittliche Wert der Agrarerzeugnisse nach UNCTAD-Angaben 54% ihres Wertes von 1980), und einer Schuldenlast, die sich nach Weltbankberechnungen zwischen 1980 und 1987 verdoppelt hatte, hielten die AKP-Unterhändler Ausschau nach Hilfe bei ihren unmittelbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten wie auch bei der längerfristigen Entwicklung. Sie umrissen ihre Lage wie folgt: 'In den letzten zehn Jahren hat sich der Lebensstandard in zahlreichen AKP-Staaten verschlechtert. Diese Verschlechterung des Lebensstandards fiel großenteils in die Laufzeit des dritten Lome Abkommens. Daher sollte Lome IV als eines der Hauptinstrumente gesehen werden, durch die sich die Wirtschaftskrise in den AKP-Staaten aufhalten und umkehren läßt.'"

Es wird ehrlicherweise gar nicht behauptet, das alte "Hauptproblem" wäre irgendwie gelöst worden. Im Gegenteil: unter dem Stichwort "Kontinuität" wird die tiefe Einsicht des Lome III-Vertrages bestätigt,

"daß viele Probleme der AKP-Staaten - Ernährungssicherung, ländliche Entwicklung, Dürre und Desertifikation - sich nur langfristig lösen lassen",

vorläufig also nicht. Zu dem alten "Hauptproblem" ist vielmehr ein neues, noch dringlicheres hinzugetreten. Dessen Kennzeichnung mit dem Stichwort "Geldknappheit" erscheint allerdings seltsam: Wird es mit der Lebensmittelknappheit 1983 nicht auch schon so gewesen sein, daß das Geld gefehlt hat, welche zu beschaffen? Offenbar wird die Sache so zumindest nicht gesehen; und der Grund dafür ist deutlich genug. Geldknappheit ermitteln die Experten der Entwicklungshilfe nicht im Verhältnis der verfügbaren Geldsummen zu den Notwendigkeiten der Volksernährung, sondern im Verhältnis der Staatsfinanzen zur Schuldenlast und den damit verbundenen Zahlungsverpflichtungen eines Landes. Dieses Verhältnis hat sich grandios verschlechtert. Und es ist bekannt, warum: Die Preise der für die betreuten Länder wichtigsten Exportgüter haben sich halbiert - der Devisenbedarf ihrer Regierungen damit natürlich nicht; das Defizit wurde mit Krediten finanziert und ist dadurch erst recht angewachsen.

Dieser Zusammenhang könnte den Lome-Experten zu denken geben: Sollte denn nicht der Stabex-Fonds dem Sinken der Einnahmen aus dem Export landwirtschaftlicher Güter entgegenwirken? War dieser Fonds nicht so gedacht, daß die europäischen Importnationen ihren AKP-Partnern das Geld wieder zukommen lassen, das ihre Importeure im Falle sinkender Preise sparen? So war es ganz offensichtlich nicht gemeint. Jedenfalls sehen die EG-Experten überhaupt keinen Grund, angesichts der eingetretenen Verschuldung ihrer Partner an ihrer Stabex-Politik zu zweifeln und womöglich bessere Methoden der Erlösstabilisierung zu fordern, geschweige denn zu suchen. Ihre "Lösung" sind genau 1.500 Millionen ECU für Stabex und 480 Millionen ECU für Sysmin, verteilt auf fünf Jahre ab 1990. Spaßeshalber hier mal zum Vergleich die Rechnung eines Fachmanns aus dem Statistischen Bundesamt: Die Importe der BRD aus der Gruppe der "Entwicklungsländer (ohne OPEC)", für die 1985 noch 44,7 Milliarden DM bezahlt werden mußten, hätten 1989 - gleiche Mengen und gleiches Sortiment unterstellt - 32,9 Milliarden DM gekostet; ein rechnerischer Verlust, zwar für alle Handelspartner und Exportgüter aus der 3. Welt, immerhin bloß im Geschäft mit bundesdeutschen Importeuren, in der zehnfachen Höhe dessen, was die gesamte EG pro Jahr zur Stabilisierung der Exporterlöse ihrer AKP-Partner ausgeben will (FR, 28.2.1990, S. 13); die BRD trägt davon übrigens 28%, spendiert also für Stabex und Sysmin zusammen bis 1995 ein jährliches Trinkgeld in Höhe von durchschnittlich 200 Millionen DM.

Aus diesem Zahlenspiel geht zumindest hervor, wie wenig der Standpunkt der europäischen Lome-Vertragspartner von dem Idealismus getrübt ist, eine Verschlechterung der Finanzlage der AKP-Staaten verhindern zu wollen; wenn sie ein Programm zur Exporterlösstabilisierung auflegen, gehen sie vielmehr knochentrocken von einem Preisverfall aus, den sie mit ihren Geldern bestenfalls begleiten. Die wirkliche Leistung dieses Stücks Entwicklungshilfe ist allerdings gar nicht erfaßt, wenn man sie für lächerlich geringfügig befindet; denn dann ginge es ja immerhin - wenn auch nicht genug - um eine Kompensation für absehbarerweise sinkende Exporterlöse. Genau das ist aber zumindest nicht die ganze Wahrheit.

Zwei Bedingungen sind da sehr aufschlußreich, die das Lome-Abkommen für den Empfang von Stabex-Mitteln stellt: Erstens wird ein Exportgut nur berücksichtigt, wenn sein Verkauf mindestens 5% - nach den ersten drei Verträgen: 6% - zum Exporterlös eines Landes beiträgt; zweitens sind die gezahlten Gelder grundsätzlich in dem Bereich, in dem die Erlösverluste auftraten, oder ausnahmsweise in anderen landwirtschaftlichen Exportbranchen anzulegen. Mit diesen beiden Maßgaben werden die AKP-Staaten regelrecht dazu angehalten, auf den Anbau und Export genau der agrarischen Güter zu setzen, mit denen sie und ihresgleichen den Weltmarkt ohnehin schon so reichlich beliefern, daß der Preisverfall eintritt, auf den die Stabex-Regelung sich bezieht. So fördert Stabex die ökonomische Klemme, in der die exotischen Rohstoffexportländer sich befinden, und "stabilisiert" nur eins, nämlich eine Tendenz zu ihrem Nachteil.

Der tendenzielle Fall der Rohstoff- und Agrarexportpreise

Der Grund dafür liegt in der politökonomischen Natur der Ausfuhrgüter, die den Kakao- Kaffee- und Kupferstaaten der 3. Welt ihre Einnahmen verschaffen. Diese "Naturschätze" unterscheiden sich nämlich gründlich von dem kapitalistisch produzierten Reichtum, der ansonsten auf dem Weltmarkt umgeschlagen wird.

Kapitalisten verlangen für ihre Waren Preise, die die durchkalkulierten Produktionskosten decken und einen Gewinn einschließen. Diesen Erfolg ihres Geschäfts machen sie zur Bedingung, damit auch zur Schranke der Bedürfnisse, die sie bedienen. Sie benutzen die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft als Mittel, um ihre Ware lohnend zu versilbern und so ans Ziel ihrer unternehmerischen Tätigkeit zu gelangen. Die Gewißheit, daß das kauflustige Publikum ihnen das geforderte Geld abliefert, mag zwar im Einzelfall trügerisch sein; und wenn viele Konkurrenten über das zahlungsfähige Bedürfnis hinaus produzieren, bleibt mit Sicherheit mancher mit seinem Geschäft auf der Strecke. Ein solcher Mißerfolg zeigt aber nur noch einmal, und zwar unwidersprechlich, worum es geht, nämlich um ein Geld, das die Geschäftsbedürfnisse des Kapitals erfüllt; andernfalls findet eine kapitalistische Produktion eben gar nicht mehr oder erst gar nicht statt. Erst im Gelderlös, der Profit einschließt, hat der Reichtum, den Kapitalisten produzieren, seine fertige Gestalt; sie produzieren genaugenommen Tauschwert, abstrakten Reichtum, und nützliche Gebrauchswerte bloß als Mittel dafür. Deswegen machen ja auch weder Konkurrenz noch Pleiten die Waren wirklich billiger - Verbilligung findet nur statt, wenn einem Konkurrenten eine Senkung seiner Produktionskosten gelingt, so daß er durch die Unterbietung anderer die Masse seines Profits steigern kann. Diese real existierende, von der kapitalistischen Geschäftswelt täglich praktizierte, den Weltmarkt begründende "Wertlehre" geht bei den Gütern, die ein 3.Welt-Land exportiert, ganz anders auf. Diese Güter sind innerhalb der nationalen Wirtschaft, in der sie produziert werden, gar keine nützlichen Dinge, die zahlungsfähige Interessenten finden; also auch kein Mittel, um sich in Geld zu verwandeln und ihren Produzenten und Eigentümer zu bereichern: kein Tauschwert. Zur Ware in diesem Sinn werden sie erst durch den Export, im Hinblick auf die wirkliche Zahlungsfähigkeit von Interessenten, die aus der angebotenen Natur ein Mittel für wirklichen kapitalistischen Reichtum machen können. Die Produktion dieser Exportgüter und ihre Versilberung, ihre Verwandlung in Gelderlös, fallen politökonomisch in zwei verschiedene Sphären. Und das bedeutet: Die Unkosten, die bei der Produktion anfallen - für die Produktionsmittel, die es auch dafür braucht; außerdem für die Beseitigung störenden Volkes, für die Verköstigung der nötigen Arbeitskräfte, für ihre Beaufsichtigung und anderes mehr -, haben mit dem am Ende erzielten Preis nichts zu tun. Die Staatsgewalt selbst steht dafür ein, daß keine interne Kalkulation dem Bedürfnis in die Quere kommt, das der Rohstoff- und Agrargüterexport befriedigen soll, nämlich dem Bedürfnis nach Zahlung: nach dem Geld auswärtiger Interessenten. Auch wenn die Produktion intern in nationalern Geld verrechnet und vergütet wird: Ein Produktionspreis in Devisen, der die auswärtige Nachfrage beschränken würde, indem er das gelungene Geschäft zur Bedingung ihrer Befriedigung macht, wird nicht kalkuliert und soll auch gar nicht kalkuliert werden. Das Rohstofflieferland setzt vielmehr auf Preise, deren Bildung ihren ganz eigenen Gang geht. Sie findet an den Rohstoffbörsen der 1. Welt statt, wo die Exportware der 3. versteigert wird. Ihre Grundlage ist nichts als die Zahlungswilligkeit auswärtiger Unternehmer: deren Interesse, die angebotenen Stoffe produktiv zu verwenden und sich den Ertrag, der damit zu machen ist, auch etwas kosten zu lassen. Die Konkurrenz der Interessenten, die Nachfrage, die so zustandekommt, und deren Verhältnis zum Angebot macht überhaupt erst einen Preis.

Dieser Preis hat seine Grenze nach oben in den Kalkulationen der Abnehmer. Eine Grenze nach unten hat er nicht. Weil es den exportierenden Ländern um Devisenerlös überhaupt geht, bringt kein Preisverfall ihre Exportbemühungen zum Erliegen, im Gegenteil. Sinkende Preise werden nach Möglichkeit mit der Vermehrung des Angebots beantwortet; denn das ist das einzige Mittel eines solchen Landes, um seine Geldeinnahmen zu erhöhen, zu stabilisieren oder zu retten. Und weil das für alle gilt, sind alle Lieferanten von exotischen Agrargütern mit der Überfüllung der "Märkte" beschäftigt, von denen ihre Einnahmen abhängen. Daß eine Verknappung des Angebots eine Preiserhöhung bewirkt, mag als Folge von Mißernten und ähnlicher "höherer Gewalt" passieren, aber nicht als Effekt einer gemeinsamen ökonomischen Strategie der Lieferländer, weil diese nicht mit der Freiheit der Kalkulation, sondern mit der Not ihres Geldbedarfs gegeneinander konkurrieren. Und sogar auf hilfreiche Launen der Natur ist immer weniger zu hoffen, geschweige denn zu setzen, weil alle Lieferländer schon bald auf den "Ausweg" verfallen sind, der Abhängigkeit von bloß einem oder einigen wenigen Exportgütern durch Vervielfältigung ihres Angebots zu entkommen: Nun konkurrieren stets viele Anbieter aus den verschiedensten Weltgegenden mit derselben Ware. Aus demselben Grund erfreut sich schon längst kein einziges Land mehr irgendwo eines Monopols, das es ihm erlauben würde, die Zahlungsbereitschaft seiner Abnehmer einmal wirklich auszutesten. Zu diesem Ergebnis haben übrigens die ersten Lome-Abkommen das Ihre beigetragen, indem sie die Lieferländer gleichzeitig mit ihrer 6%-Klausel für Stabex-Leistungen zum Ausbau ihrer Monokulturen und daneben mit gezielten Hilfen zur "Diversifizierung", nämlich zur Eröffnung neuer, weiterer "Monokulturen", also Cash-Crop-Plantagen in Konkurrenz zu etablierten Lieferanten angehalten haben. Der Effekt ist am dauerhaften Preisverfall für die entsprechenden Rohstoffe abzulesen. Daß er unbeabsichtigt und quasi aus Versehen eingetreten wäre, braucht man den Experten des Entwicklungsgeschäfts nicht zu unterstellen.

Die einseitige Abhängigkeit von der Preisbildung an den kapitalistischen Rohstoffbörsen und der tendenzielle Verfall der Preise für ihre Exportgüter: Das ist die Art und Weise, wie die Rohstofflieferanten der 3. Welt gleichberechtigt am Weltmarkt teilnehmen, auf dem es eben um Tauschwert und dessen Vermehrung und sonst gar nichts geht. Zwar bringt ihre "nationale Ökonomie" gar keine Zahlungsfähigkeit für ihre eigenen Naturprodukte zustande, weil keine konkurrenzfähige kapitalistische Warenproduktion im Lande existiert, die daraus Geld machen könnte. Über den Weltmarkt findet dieses Verhältnis aber statt: Zur lohnenden kapitalistischen Tauschwertproduktion anderswo können sie beitragen, und darüber bekommen sie Anteil an dem dort produzierten wahren kapitalistischen Reichtum, nämlich dem abstrakten, um den sich alles dreht, dem Geld. Dieser Anteil macht ihren nationalen Reichtum aus - denn eine andere Sorte Reichtum als das auserlesene kapitalistische Produkt echter Zahlungsfähigkeit gibt es in der modernen Staatenwelt nicht, auch für sie nicht.

Und davon haben sie nun also zu wenig, wie die Experten des Lome-Abkommens vermerken; zu wenig nicht einfach im Verhältnis zu den Einkaufswünschen der zuständigen Regierungen, sondern im Verhältnis zu den Rechtsansprüchen der Gläubiger. Die haben nämlich zunächst die Importe der 3.Welt-Staaten vorfinanziert, dann für die Finanzierung des zu ihren Gunsten fälligen Schuldendienstes gesorgt - und auf diesem Wege ihre Forderungen allein an die afrikanischen Partner des Lome-Vertrags von 56 Milliarden Dollar im Jahr 1980 auf 128 Millarden Dollar im Jahr 1987 gesteigert.

Das Recht der Gläubiger auf wirtschaftlichen Erfolg ihrer Schuldnerstaaten und das Programm der "Strukturanpassung"

Wie diese und viele entsprechende Zahlen zeigen, fehlt es bei der Finanzierung des wachsenden Devisenbedarfs von Agrar- und Rohstoffexportländern der 3. Welt keineswegs an Kredit. Weder die Fähigkeit noch die Bereitschaft von Regierungen und Geschäftsbanken der 1. Welt, sich Jahr für Jahr zunehmende Rechtsansprüche auf Zahlungen ihrer Schuldner gutzuschreiben, stößt an Schranken - auch wenn sie noch besser wissen als ihre Schuldner, daß es den Reichtum, auf den ihre Forderungen lauten, dort in der Höhe gar nicht gibt und auch niemals als ablieferbaren Geldwert geben wird. Die Gläubiger rechnen nicht mit Rückzahlung, sondern mit folgendem klaren Verhältnis: Alles, was ihre Klienten jemals an wirklichem Reichtum, an Geld, aus ihren Exporten erlösen, steht von vornherein ihnen zu, läuft durch ihre Bücher, macht alle Kredite bezahlt und begründet dadurch um so größere neue, bereichert also die Kreditgeber. Dies zwar nicht in dem eigentlich fälligen Ausmaß; und das stört die kreditgebenden Banken insofern enorm, als eine mangelhafte Schuldenbedienung die Freiheit ihrer Geschäftspolitik beeinträchtigt: Wenn sie ihre Forderungen an "überschuldete" 3. Welt-Länder als zirkulationsfähiges Vermögen verwenden wollen, so wie sie das mit Zahlungsversprechen guter Schuldner zu tun pflegen, so müssen sie dafür rechnerische Verluste in Kauf nehmen. Daraus folgt praktisch aber nur eins: Eine Beendigung dieses Geschäfts kommt um so weniger in Frage; denn eine Geldquelle ist es ja nach wie vor, und insoweit sind die anstehenden Forderungen auch ein sich verwertendes Geldkapital. Entscheidend ist nur, daß diesem Geschäft weder durch Staatsbankrotte, mit denen die Schuldner sich aus ihren Zahlungsverpaichlungen herausschleichen würden, noch durch Streichung der schlecht bedienten Schulden die Grundlage entzogen wird. Bankiers denken hier so dogmatisch an die Prinzipien ihres Geschäfts, daß ihnen gleich die Nachteile einfallen, die bei einer Gefährdung ihrer Geschäftsbedingungen ihren Schuldnern erwachsen würden: Einem durch Bankrott oder Schuldenerlaß "gewaltsam" entschuldeten Staat würden sie nie wieder einen Kredit einräumen; das betreffende Land wäre also aus dem erlesenen Kreis der weltwirtschaftlichen Subjekte verstoßen. Und den anderen ehrlichen Schuldnern, die zäh um die geforderte Schuldenbedienung kämpfen, mögen die Gläubiger schon allein aus Gerechtigkeitsgründen nicht den demoralisierenden Präzedenzfall zumuten, daß sich für ein überschuldetes Land Säumigkeit beim Schuldendienst lohnen könnte. Schon um der Kreditwürdigkeit der 3. Welt willen muß also ausnahmslos gelten, daß Kreditforderungen uneingeschränkt in Kraft bleiben und die Schuldner alles tun, um durch pünktliche Verzinsung ihren Wert zu erhalten.

Damit verwandeln sich die blanken Geldforderungen der Gläubiger folgerichtig in umfassende wirtschaftspolitische Ansprüche und Anrechte. Die Gläubigergemeinschaft aus Regierungen und Geschäftsbanken der 1. Welt hat ein untilgbares Eigentumsrecht nicht bloß auf die Exporterlöse ihrer Schuldner, auch nicht nur auf den zielstrebigen Einsatz der Staatsgewalt für die Mehrung ihrer Einnahmen, sondern auf erkennbaren Erfolg solcher Bemühungen. Und damit ist auf alle Fälle eines klar, auch wenn sonst gar nichts klar und ein Erfolgsrezept schon gleich nicht abzusehen ist: Die Erhöhung der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerstaaten kann nicht diesen selbst überlassen bleiben, weil sie aus eigener Kraft in der Sicht der Gläubiger - ja nichts als Schulden akkumuliert haben. Die wirtschaftspolitische Zuständigkeit gehört in berufenere Hände; und es steht längst fest, in welche. Für die "Sanierung" "überschuldeter" Staaten hat sich der Internationale Währungsfonds mit seinen Experten und Rezepten bewährt.

Diese Aufgabe paßt zwar genaugenommen nicht so recht zu dem Gründungsauftrag dieser Institution, den Welthandel durch das Management nationaler Zahlungsbilanzprobleme zu fördern. Im Sinne dieses Auftrags kennt der IWF nämlich nur eine Sorte von internationalen Zahlungsschwierigkeiten: Liquiditätsprobleme, die dadurch zu "lösen" sind, daß der Fonds sie durch kurzfristige Kredite überbrückt, bis der zuständige Staat seine Bilanzen wieder in Ordnung gebracht hat.

Dieser Standpunkt der bloßen Liquiditätshilfe für eigentlich gesunde und muntere Weltgeschäfte ist, sachlich gesehen, ein Hohn auf die "Geldknappheit", die der Lome-Vertrag als das Hauptproblem der AKP-Staaten anerkennt. Anscheinend ist das aber gerade der Witz: die professionelle Sturheit, mit der diese Finanzagentur des Welthandels die Finanzsituation tief verschuldeter Rohstofflieferanten als "Liquiditätsengpaß" behandelt, der durch ein paar Manipulationen an den Währungsrelationen, Exportanstrengungen und Importeinschränkungen kurz- bis mittelfristig zu beheben wäre. Dieser Idealismus, es ginge bloß um die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit eines normal geschäftstüchtigen Mitglieds des internationalen Handels, gibt nämlich in all seiner Unsachlichkeit den Leitfaden ab für ein höchst zielstrebiges wirtschaftspolitisches Regime über die betroffenen Länder. Der IWF steht schlicht auf dem Standpunkt, auch die verschuldeten Rohstoftieferanten könnten ohne weiteres liquide sein, wenn sie nur das Geld, über das sie gebieten - ihre Devisen, die ihnen schon nicht mehr gehören, wenn sie sie einnehmen, wie auch die Währung, über die sie intern eine gewisse Warenzirkulation, aber keine konkurrenzfähige Kapitalakkumulation abwickeln -, produktiver einsetzen würden. Mit dieser politischen Ökonomie ausgestattet, begeben sich die Sanierer des IWF auf die Suche nach eindeutig unproduktiven Staatsausgaben. Und sie entdecken - ohne sich groß darüber zu wundern - immer dasselbe: zuviele Staatsbedienstete, unvertretbare Subventionen für den Lebensunterhalt der Massen, eine "künstlich hochgehaltene" Kaufkraft in den Händen der einheimischen Gesellschaft. Streichungen werden verlangt; außerdem eine Politik der Förderung privaten Kapitals - auch wenn weit und breit kein anlagefähiges und -williges Kapital zu entdecken ist - durch die Abschaffung staatlicher Preisvorschriften sowie durch die Privatisierung staatlicher Unternehmen; zudem muß mit einer Abwertung der nationalen Währung der Dogmatik des IWF entsprochen werden, wonach dadurch automatisch die Importe reduziert und die Exporte gefördert werden. Das Ganze nennt sich "Strukturanpassung" und wird von den Experten der Europäischen Gemeinschaft folgendermaßen gewürdigt:

"Als Lome III 1983-1984 ausgehandelt wurde, war die Strukturanpassung noch kein so dominierendes Thema wie jetzt, obgleich schon damals vielen AKP-Staaten die nötigen Devisen zur Finanzierung der Einfuhren fehlten und sie Schwierigkeiten hatten, die vorhandenen Betriebe und Infrastrukturen zu er- bzw. unterhalten. Das Problem wurde im dritten Abkommen insoweit schon gesehen, als systematische Instandhaltungs- und Einfuhrhilfen beantragt werden konnten, sonst konzentrierte sich Lome III jedoch aufdie längerfristige Entwicklung.

Gegen Ende 1987 war die Strukturanpassung zum Entwicklungsthema Nr. 1 geworden. IWF und Weltbank hatten inzwischen insgesamt 15 Mrd. Dollar an 50 Entwicklungsländer - darunter nicht weniger als 29 AKP-Staaten in Afrika und in der Karibik - zur Finanzierung von Stabilisierungs- oder Strukturanpassungsprogrammen ausgeliehen.

Die Wirtschaftsreformen erforderten drastische Maßnahmen: einschneidende Kürzungen der öffentlichen Auigaben, Abschaffung von Preiskontrollen, Abwertungen, Privatisierung... Die Reformen mußten äußerst rasch durchgeführt werden - in der Regel binnen drei bis fünf Jahren. Die AKP-Länder sahen zwar ein, daß die Reformen nötig waren, drohten jedoch bald unter den Belastungen zusammenzubrechen: vielerorts kam es wegen Nahrungsmittelknappheit zu Tumulten oder gewaltsamen Demonstrationen.

Als Reaktion auf diese Lage genehmigte die Gemeinschaft, die sich bis dahin nicht direkt angesprochen sah, immer häufiger Hilfen mit kurzen Auszahlungsfristen, beschloß ein besonderes, mit 60 Mio. ECU ausgestattetes Einfuhrprogramm für stark verschuldete afrikanische Länder mit niedrigen Einkommen und nahm 1988 eine Entschließung an, in der sie feststellte, daß:

- sie das Ziel der Strukturanpassung billigt - Inhalt und Tempo der Reformen den Gegebenheiten der einzelnen Länder angepaßt werden sollten

- der sozialen Dimension stärker Rechnung getragen werden müßte

- die AKP-Regierungen größeren Einfluß auf die Planung der Reformen haben sollten."

Zusätzlich stiftet die EG einen Fonds für "Länder, die vereinbarte Strukturreformen durchführen", ausgestattet mit 1.150 Millionen ECU für die nächsten fünf Jahre, zur Abmilderung der absehbaren "sozialen Folgen" der gebilligten "Sanierungs"-Strategie des IWF. Den Fachleuten der kapitalistischen "Strukturanpassung" fällt eben auch an ihrem eigenen Zynismus nicht auf, wie sehr, geschweige denn inwiefern das "unproduktive" Finanzgebaren, von dem sie ihren Betreuungsfällen herunterhelfen wollen, zur politökonomischen "Struktur" dieser Länder gehört. Sie bekämpfen, nicht ohne Erfolg, Arten der Geldverwendung, die zur notwendigen Inneneinrichtung von Agrar- und Rohstoffexportländern gehören, welche bereits ihr Bestes tun, um den Maßstäben der alleinseligmachenden kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung zu genügen.

Die"Anpassung" des nationalen Zirkulationsmittels an den "strukturellen" Fall der Exporterlöse

Wenn der IWF den"künstlich hohen Außenwert" einer 3.Welt-Währung moniert, die an den Geldbörsen der 1. Welt gar nicht gehandelt wird, dann kritisiert er eine Wirkung des staatlichen Bemühens um so etwas wie eine nationale Marktwirtschaft. Mit seinem eigenen Geld kauft ein solcher Staat nämlich - oder eine von ihm lizenzierte Exportagentur - die exportfähigen Landesprodukte auf; zu Preisen, die er für kostendeckend, für einen "marktwirtschaftlichen Anreiz" oder sonstwie für gerecht befindet. Die Geldsummen, die da gezahlt werden, haben mit dem wirklichen, in Dollar gemessenen und gezahlten Preis, den die exportierten Güter im Ausland erzielen, geschweige denn mit der Bildung dieses Preises, nichts zu tun. Umgekehrt gibt dieser Preis mit seinem Auf und - vor allem - Ab auch nicht automatisch die Höhe der internen Aufkaufspreise vor; es werden ja nicht die verdienten Devisen an die Produzenten weitergezahlt. Und von seinem eigenen, selbstgedruckten Geld kann der Staat seinen Händlern und Bauern soviel zukommen lassen, wie er für die Fortführung oder sogar Ausweitung des entsprechenden Produktionszweiges, für den Zugriff auf Arbeitskräfte und die paar im Lande selbst erzeugten Lebens- und Produktionsmittel für nötig hält.

Allerdings: marktwirtschaftlicher Reichtum, Zugriffsmittel auf die Angebote des Weltmarkts, ist dieses Geld nicht; und wenn es vom Staat selbst und von denen, denen er es überhaupt in nennenswertem Umfang zu verdienen gibt, dennoch als Kaufmittel für Importgüter verwendet und in ein Tauschverhältnis zum Weltgeld gesetzt wird, dann schlägt das Wertgesetz zu. Dann muß nämlich doch der Staat mit seinem im Export eingenommenen wirklichen abstrakten Reichtum, seinen Devisenerlösen, für die Zahlung einstehen, die sein selbstgedrucktes Geld gar nicht leistet.

Der Staat registriert das als Belastung seiner Außenhandelsbilanzen: als Defizit, das ihn zwingt, sich selbst und - falls es die gibt - seinen Geldbesitzern den freien Umtausch des nationalen Geldes in irgendein Weltgeld zu verbieten bzw. zu beschränken. o geben die Einnahmen, die auf Basis des im Export zustandegekommenen Rohstoffpreises einlaufen, eben doch unerbittlich das Maß des wirklichen Nationalreichtums vor, mit dem ein solcher 3.Welt-Staat wirtschaften kann. Die Kaufkraft des einheimischen Geldes ist eine ganz und gar davon abhängige Variable. Und deswegen führt marktwirtschaftlich kein Weg daran vorbei, daß diese Währung, sobald sie sich irgendwie am Dollar mißt, die Bewegung - also: den Verfall der nationalen Exporterlöse nachvollzieht. Es nützt gar nichts, wenn ein Staat sich dagegen mit internen Kostenrechnungen sträubt: In seinem Fall funktioniert das Wertgesetz eben so, daß nicht der Produktionspreis den Marktpreis diktiert, sondern daß die Produktion nur soviel kosten darf und kann, wie vom Exporterlös - nach Abzug aller unabdingbaren Kosten für die staatliche Aufsicht - allenfalls übrig bleibt.

Nach dieser Logik geht der IWF vor, wenn er die Wertberichtigung der nationalen Währung fordert. Der Idealismus dieser Forderung - das Illusionäre an der Vorstellung, so wäre die Nationalökonomie eines 3.Welt-Staates zu "sanieren" - zeigt sich darin, daß keine Abwertung je reicht. Denn es ist ja gar nicht so, daß da eine Staatsgewalt zeitweilig mit dem Außenwert ihrer Währung mehr internationale Kaufkraft fingiert, als sie es sich angesichts einer negativen Handelsbilanz eigentlich leisten kann, und auch nicht so, daß der freie Geldhandel den staatlich behaupteten Wechselkurs auf den nach Angebot und Nachfrage hergestellten reduziert. Wenn ein 3. Welt-Staat einmal unter die Schuldnerländer eingereiht ist, dann steht ihm und erst recht den paar Bürgern, die unter seiner Hoheit Geld verdienen, im Grunde überhaupt keine eigene Zahlungsfähigkeit zu. Im Vergleich zu dem Reichtum, den dieser Staat braucht und nicht hat, ist jede Kaufkraft, die er sich und seinen Geldbesitzern zuspricht, ein zumindest höchst problematischer Kostenfaktor; und es gibt überhaupt keinen Wechselkurs, den sein selbstgedrucktes Geld gegen ein wirkliches Weltgeld aus eigener Kraft behaupten könnte. Es ist allein die zugestandene Kreditlinie, die einen solchen Schuldnerstaat zahlungsfähig macht und ihm so etwas wie ein Austauschverhältnis zwischen seiner Währung und einem richtigen Geld gestattet. Sobald er diese Bewertung seiner Währung irgendwie mit der Freiheit verwechselt, sich Zugriff auf die Reichtümer des Weltmarkts zu verschaffen, müssen allemal schon wieder die Gläubiger gegen "unvertretbare Zahlungsbilanzdefizite" einschreiten, und der IWF entdeckt an der Währungsparität, daß da ein Staat sich reich rechnen will.

"Demokratie statt Bürokratie": Der Kampf gegen den "Mißbrauch" der Staatsgewalt als Einkommensquelle

Wenn die IWF-Experten bei der Suche nach vermeidbaren Unkosten eines 3.Welt-Staates zielsicher auf dessen Apparat stoßen und die Einsparung von Bürokraten fordern, so können sie sich unbesehen auf eine politökonomische Wahrheit berufen, die ganz generell für jegliches Regierungspersonal gilt: Seine Besoldung ist, streng marktwirtschaftlich gesehen, ein unproduktiver Kostenfaktor; politökonomisch haben Staatsjobs den Charakter einer Pfründe, die Reichtum bloß verbraucht, nicht schafft. Natürlich ist ebenso klar, daß eine produktive Marktwirtschaft ohne hoheitliche Überwachung, ohne entsprechendes Personal und ohne Gehälter, die die Sachwalter des Gemeinwohls vor Bestechlichkeit schützen, nicht zu machen ist: Die Bürokratie und ihr Sold sind unproduktiv, aber notwendig fürs Funktionieren des Ladens.

Diese Notwendigkeit vermissen die internationalen Rechnungsprüfer beim Beamtenapparat verschuldeter 3.Welt-Staaten, der deswegen auch immer als "aufgebläht" kritisiert wird. Sie können einfach keine funktionalen Dienste entdecken, die diese Bürokraten für Nation und Wirtschaft erbringen. Und das gilt nicht nur für die Verwaltung im engeren Sinne, nach deren Leistungen sich die Verwaltungsbeamten der 1. Welt vergeblich fragen. Auch das Bildungswesen, in der 3. Welt wie überall eine Staatsaufgabe, "qualifiziert am Arbeitsmarkt vorbei"; und ein kostenloses staatliches Gesundheitswesen ist ein unverständlicher Luxus, wo doch sogar die reichen Vorbildnationen ihr Volk für die Krankenversorgung zahlen lassen. Der Sachverhalt selbst, den die Bürokratiekritiker aus der internationalen Finanzbürokratie da stets von neuem entdecken, ist sehr schlicht: Die Staatsdiener in 3.Welt-Staaten lassen funktionale Dienste für eine nationale Wohlfahrt nach dem Vorbild erfolgreicher kapitalistischer Gesellschaften vermissen, weil s einen nationalen Kapitalismus n dem Sinn gar nicht gibt. Es gibt kein allgemeines Lohnarbeitsverhältnis, aus dem die Kosten für ein nationales Gesundheitswesen abzuzweigen wären, dessen Leistungen sich dafür dann auch wieder auszahlen würden; wenn der Staat sich trotzdem so etwas leisten will, muß er es sich leisten, und außer seinen Untertanen hat niemand etwas davon - am Ende belasten seine am Leben erhaltenen Hungerkandidaten bloß die Bevölkerungsstatistik. Es gibt keinen Arbeitsmarkt, der als Mindestausstattung von arbeitswilligen Bewerbern Lesen, Rechnen, Moralisieren und Pünktlichkeit verlangt; also kann es auch gar kein Schulwesen geben, das dafür funktional wäre; was dennoch an Bildung passiert, ist luxuriös und verdirbt die nutzlose Bildungselite nach gebildeter imperialistischer Auffassung bloß für ein Leben in Bescheidenheit. Es gibt kein Geschäftsleben, dessen Infrastruktur, Rechtssicherheit und Geldbedarf hoheitlich betreut werden muß, damit es sich lohnt; drum bleibt die Verwaltung eines 3.Welt-Staates diese Dienste schuldig und wirkt nicht nur überflüssig, sondern gilt gleich auch noch als korrupt; denn die Posten, die der Staat für sie einrichtet, lassen nur den einen Zweck erkennen, ihrem Inhaber ein Einkommen zu bescheren.

Genau das hat freilich seine politökonomische Notwendigkeit in einem solchen Staatswesen; eine Notwendigkeit, die die Instanzen des internationalen Kapitalismus selbst durchsetzen helfen. Nach allen Regeln der Marktwirtschaft geht es eben auch in diesen Ländern ums Geldverdienen; das ist auch dort das einzige Lebensmittel. Die Quelle für Geldeinkommen, die diesen Namen verdienen, ist aber allein der Staat - bzw. dessen Agenturen - mit seinen Deviseneinnahmen und seiner Geldhoheit. Die Gewährung eines staatlichen Postens ist die einzig halbwegs sichere Beteiligung an dessen Reichtum. Umgekehrt stellen die Inhaber solcher Posten die einzige Minderheit im Lande dar, die von der Existenz einer souveränen Staatsgewalt wirklich etwas hat, nämlich eine eigene Existenzgrundlage. Und darin liegt ihre eigentümliche Funktionalität, die den Reformern vom IWF nie auffällt: Die Bürokratie dieser Länder ist der einzige Bevölkerungsteil, der einen ökonomischen Grund hat, überhaupt politisch zur Staatsmacht und ihrem Inhaber zu stehen.

Die jeweiligen Machthaber vor Ort wissen am besten, was sie an ihrem Staatsbeamtentum haben. Sie sind nun einmal nicht in der bequemen Rolle von Sachwaltern des ideellen Gesamtkapitalisten, den die kapitalistische Gesellschaft braucht, also auch loyal mit Macht über sich ausstattet. Umgekehrt schaffen sie sich mit ihrem Herrschaftsapparat ihre "gesellschaftliche Basis", nämlich Leute mit Gründen für Loyalität. Wo es weder Arbeiter noch Bauern, weder Kleingewerbetreibende noch Großkapitalisten gibt mit dem selbstverständlichen grundverkehrten Bedürfnis, regiert u werden, da muß die Regierung sich das Bedürfnis nach ihr selber kaufen - eben durch Beteiligung an ihrer Revenue.

Für weltkundige Beobachter aus der 1. Welt ist dies der Gipfel der Korruption; allerdings ganz zu Unrecht. Denn immerhin ist der Aufwand, den die Herrscherfiguren der 3. Welt für ihre "persönliche Machterhaltung" treiben, auch dann höchst funktional, wenn er sich nach lauter persönlichen Allüren bestimmt. Eine souveräne Gewalt muß ja sein, damit das 3.Welt-Land überhaupt als Staat und geschäftsfähiges Mitglied der weltmarktwirtschaftlichen Völkerfamilie existiert und funktioniert. Eine souveräne Gewalt ist ohne ihren Inhaber aber nicht zu haben. Und zur Souveränität einer Regierung gehört eine gewisse Freiheit, über ihre nötigen Unkosten selbst zu entscheiden.

Überschuldete 3.Welt-Regierungen genießen diese Freiheit allerdings nur in dem Rahmen, den ihre auswärtigen Financiers ihr lassen; und deren gemeinsamer Ausschuß, der IWF, ist entschlossen, kostensparend durchzugreifen. Er erzwingt mit seinen Kreditkonditionen die Massenentlassung von Staatsdienern - um hinterher allemal festzustellen, daß natürlich die Falschen entlassen worden sind; denn was eine Regierung für ihre Macht für unerläßlich hält, fällt nur teilweise mit den Sparidealen der Bürokraten aus der fernen 1. Welt zusammen. Der andere Teil bestätigt den Korruptionsverdacht und zieht neue Forderungen nach "Gesundschrumpfung" des Staatsapparats auf sich, die nach und nach die gesamte materielle Grundlage, die die Staatsgewalt im Innern, unter ihren eigenen Bürgern hatte, gefährden. In Frage gestellt wird vor allem das klassische Instrument der staatlichen Anhängerbeschaffung: das gerade für die armseligeren Nationen der 3. Welt typische Institut der Staatspartei. Denn zielstrebig wird per "Sparpolitik" die Staatsgewalt vom Nutzen derer getrennt, die als einzige etwas von ihr hatten.

Der Zynismus der theoretisierenden wie der praktizierenden Entwicklungshelfer und Haushaltssanierer - oder ist es bloß Verständnislosigkeit: - geht so weit, daß sie sich diesen Effekt hocherfreut als Sieg sämtlicher demokratischen Verfahrensideale verdolmetschen: "Die Herrschaft der alten Eliten wackelt", "Staatsbürokratismus" und "Ein-Parteien-Herrschaft" hätten nunmehr "auch" in Afrika und anderswo ausgedient - ebenso wie in Osteuropa nämlich, zu dessen "realem Sozialismus" kein demokratischer 3.Welt-Experte einen Unterschied entdecken will. Auch in den AKP-Staaten soll jetzt überall der "Wind der demokratischen Veränderung wehen" und der Übergang ins gelobte Land der parlamentarischen Mehrparteiendemokratie bevorstehen wenn freilich statt dessen einzelne Stämme oder andere, nach sehr naturnahen Kriterien definierte Minderheiten mit ihren Mitteln um die Macht kämpfen, dann mag das keiner verstehen. Dabei ist das bloß die Realität zu dem demokratischen Ideal, die Staatsgewalt von der kleinen Masse ihrer bisherigen Nutznießer zu emanzipieren und - statt auf deren materiellen Vorteil - auf das Verfahren der Ermächtigung zu begründen, das sich in der 1. Welt so unschlagbar gut bewährt. Wie in der richtigen Demokratie, wo das allgemeine falsche Bedürfnis nach guter Regierung sich in freien Wahlen betätigt und so die Staatsmacht sichert, soll in Zukunft auch in der 3. Welt die Konkurrenz rivalisierender Politiker und die freie Auswahl des Volkes der Macht die Loyalität ihrer Untertanen sichern, ohne daß die Machthaber sie sich erkaufen müssen. So erzwingt der IWF mehr Demokratie - und kein bürgerlicher oder alternativer 3.Welt-Experte will wahrhaben, daß die Demokratie dort dann auch nicht mehr ist als die ideale Verlaufsform einer durchgreifenden Sparmaßnahme.

Ein Markt ohne Subventionen für eine Subsistenz ohne Geld

Der dritte Punkt im immergleichen Sparprogramm des IWF ist der Angriff auf all die Posten im Staatshaushalt eines 3. Welt-Landes, die als Subventionen für den schlichten Lebensunterhalt der Massen zu identifizieren sind. Auch in dem Fall sind freilich die Ausgaben, die da als sozialer Luxus abgelehnt werden, ihrem politökonomischen Begriff nach ganz etwas anderes, nämlich eine Notwendigkeit des Bemühens um eine nationale Marktwirtschaft.

Wenn ein 3.Welt-Staat die Verbilligung von Lebensmitteln finanziert, dann hat er zuvor seine Massen aus ihren alten subsistenzwirtschaftlichen Verhältnissen herausgerissen und dem Regime eines von ihm verantworteten Geldes unterworfen. Er hat die marktwirtschaftliche Trennung zwischen der Produktion und dem Lebensunterhalt durchgesetzt und die Notwendigkeit eingerichtet, mit dem Produzieren Geld zu verdienen, um den Lebensunterhalt zahlen zu können. Mit der Notwendigkeit hat er allerdings keineswegs zugleich die Gelegenheit zum Geldverdienen geschaffen, also mit dem Markt keine zahlungsfähige Kundschaft und mit dem Imperativ, daß jedes Lebensbedürfnis ein Geschäft bedient, kein Geldeinkommen, mit dem die Massen das vorgeschriebene Geschäftsleben auch bedienen können.

Deswegen die Subventionen. Die Staatsgelder sind unerläßliche Zuschüsse zum Geschäft mit dem Lebensunterhalt der Massen. Die Frage, ob der Lebensunterhalt der Massen nicht ohne den Zwang des Marktes besser zu bewerkstelligen wäre, stellt sich da niemand; schon gar nicht der zuständige Staat. Dem ist es selbstverständlich, daß das Geld regiert, auch wenn seine Leute es gar nicht in die Finger kriegen. So selbstverständlich, daß er mit seinem Geld einspringt, damit aus der Armut der Massen doch ein marktwirtschaftliches Geschäft, eine Geldzirkulation und sogar so etwas wie eine geschäftliche Akkumulation von Tauschwert herauszuschlagen ist. Damit ein Markt geht, muß der Staat den Tauschwert nicht bloß garantieren, sondern real zur Verfügung stellen.

Damit bleibt sein Aufwand allerdings - bei aller guten Absicht, "Marktprozesse" in Gang zu setzen - mit Sicherheit unproduktiv. Denn er kann das Geschäft mit der Subsistenz einer Kundschaft ohne Geld ja doch nie so lohnend machen, daß seine Finanzen davon jemals so profitieren könnten wie die einer erfolgreichen kapitalistischen Staatsgewalt von der Umsatzsteuer. Und deshalb haken die internationalen Sanierungsexperten auch genau hier ein. Sie bestehen darauf, daß nur solche Geschäfte gefördert werden, die sie für geeignet ansehen, irgendwann einmal nicht bloß Haushaltsgelder zu kosten, sondern ein Geld herbeizuschaffen, an dem umgekehrt der Staat sich bedienen kann. "Moderne Vermarktungsmodelle" sollen zeigen, wie alle Güter, die bisher per Subvention bei den bedürftigen Massen gelandet sind, oder auch andere, statt dessen zu produzierende Waren anderswohin gelenkt werden können, wo es vielleicht auch ohne Subventionen eine zahlungsfähige Nachfrage gibt und Geld verdient werden kann. Und wenn aus solchen Modellen entweder gar keine Wirklichkeit oder ein Flop wird, so bleibt doch immer noch die allererste Sanierungsnotwendigkeit, daß unproduktive Subventionen auf alle Fälle schon mal zu unterbleiben haben.

Das Ideal einer "strukturangepaßten Mittelstandsförderung" und seine Wirklichkeit: Hungern für den Export

Natürlich wissen die westlichen Strukturanpassungsfanatiker irgendwie selbst, daß ihre ganze Weisheit letztlich auf nichts als höhere Preise hinausläuft, die im Lande kaum jemand noch zahlen kann. Das hindert sie aber überhaupt nicht, ihre Dogmatik vom marktwirtschaftlichen Geschäftsleben, das sich am eigenen Schopf in die Gewinnzone zieht, fröhlich breitzutreten - sie betonen nur, daß es zunächst einmal um die Erweckung und Förderung kleiner Geschäfte gehen müßte, weil größere denn doch nicht den rechten "Zuschnitt" hätten. Die europäischen Lome IV-Experten haben diese fixe Idee zu dem bizarren Projekt einer Förderung des privatwirtschaftenden Mittelstands in den AKP-Staaten - wo und wie immer es den geben soll! - fortentwickelt:

"Lome II enthielt einen kurzen Hinweis auf die Förderung von Privatinvestitionen. In Lome III war es schon ein ganzes Kapitel, das der notwendigen Verbesserung des Investitionsklimas zwecks Motivierung von Privatinvestoren gewidmet war, und Lome IV akzentuiert die Rolle des Privatsektors bei der Stimulierung des Wachstums und der Diversifizierung der AKP-Volkswirtschaften noch weiter.

Die Parteien haben ein neues Kapitel "Unternehmensförderung" ausgehandelt, in dem unmißverständlich festgestellt wird, daß der Privatsektor aktiviert werden und eine größere Rolle spielen muß; gemeint sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen, da sie besser auf die Gegebenheiten der AKP-Volkswirtschaften zugeschnitten sind.

- Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen

Zur Stärkung des Privatsektors wird in dem Abkommen darauf gedrungen, daß folgende Möglichkeiten in Anspruch genommen werden: - technische Hilfe, um kleinen Unternehmen in Rechts- und Steuerfragen mit Rat und Hilfe beistehen zu können, damit die Handelskammern in den AKP-Staaten ihren Einflußbereich ausweiten und für eine Fach- und Management-Ausbildung sorgen können.

- Strukturanpassungsfonds in geeigneten Fällen, um z.B. entlassene Beamte zu ermutigen,eine eigene produktive Tätigkeit aufzunehmen,

- Risikokapital, das als das Finanzierungsinstrument schlechthin gilt. Die Mittel wurden von 600 Millionen ECU auf 815 Millionen ECU erhöht. Davon soll ein erheblicher Teil zur Förderung von Investitionen im privaten Sektor verwendet werden. Darlehen werden billiger, und als zusätzlichen Anreiz wird die Gemeinschaft einen Teil der Wechselkursrisiken tragen (wenn z.B. eine AKP-Firma, die Geld aufgenommen hat und es in harter Währung zurückzahlen muß, nur Einnahmen in nicht-konvertibler Währung hat). Risikokapital steht künftig auch einem größeren Spektrum von Finanzinstituten zur Verfügung. Die EIB, die sich gemeinhin auf Entwicklungsbanken konzentriert hatte, kann sich jetzt auch zeitweilig an AKP-Einrichtungen beteiligen, die Privatinvestitionen finanzieren. Durch diese Kapitalerhöhung müßten sich das Vertrauen in AKP-Banken wiederherstellen und die 'inländische Spartätigkeit wieder anregen' lassen; anders ausgedruckt soll erreicht werden, daß private Sparstrumpf-Gelder wieder auf produktive Sparkonten fließen."

Als wären die Kolonialwarenlieferanten des Weltmarkts im Innern voller Geschäftschancen und Sparstrümpfe, und als fehlten nur Rat und Tat, um daraus was zu machen! Dabei ist schon die Summe von 825 Millionen ECU auf fünf Jahre für 69 AKP-Staaten, mit der die Privatwirtschaft in Schwung gebracht werden soll, ein deutlicher Hinweis darauf, was sich die europäischen Entwicklungshelfer im Ernst von ihrem großartigen neuen "Kapitel 'Unternehmensförderung'" versprechen. Dennoch: Kaum haben sie dem Kleinunternehmertum der 3. Welt eine Schlüsselrolle, Mut und ein paar verbilligte Darlehen zugesprochen, schon glauben sie an die Geschäftsmöglichkeiten, die da auszunutzen wären, und es fällt ihnen das Interesse ihrer eigenen heimischen Gschäftsmöglichkeiten ein, sich auch in der 3. Welt aller Sphären zu bemächtigen, in denen gutes Geld zu verdienen ist. Sie verlangen nicht bloß "Ilnvstitionsschutz", sondern gleich ein "attraktiveres Investitionsklima" für ausländische Geldanleger, die mit ihrem "Risikokapital" ganz nebenher die Zahlungsbilanzprobleme der 3. Welt lösen sollen und wohl vor Ort dem "Mittelstand" aus Zwischenhändlern und "entlassenen Staatsbeamten" vormachen dürfen, wie ein echter marktwirtschaftlicher Konkurrenzkampf geht...

Eins ist immerhin dran an der Sache mit dem ausländischen "Risikokapital": Geschäftsleuten der 1. Welt dürfte es bisweilen gelingen, für die Landesprodukte eines AKP-Staates ein zahlungsfähiges Interesse aufzutun, das in diesen Ländern ja doch nie zustandekommt, nämlich eine Nische auf dem kapitalistischen Weltmarkt zu erschließen. Zur "Diversifizierung" der Exporte kann das ein schöner Beitrag sein, zumal für den ausländischen Geschmack neben den traditionellen auch alternative Agrargüter erzeugt werden müssen, etwa Rosen und Corned Beef statt jener Hirse, die nach Streichung der Lebensmittelsubventionen ja ohnehin im eigenen Land keinen Markt mehr findet... Mit berechtigtem Stolz melden die Lome IV-Experten die Aufnahme von Kraken und Tintenfisch in die Liste der Stabex-begünstigten Exportgüter.

Größere derartige Umstellungen bzw. die Schaffung eines "günstigen Investitionsklimas" dafür entlasten nun nicht unbedingt den Staatshaushalt und nützen vielleicht noch nicht einmal der nationalen Devisenbilanz. Sie zeigen aber zumindest den guten Willen des Staates, mit allen, auch den eigentlich unentbehrlichen Lebensmitteln des Landes an echtes Geld zu kommen, auf das die Gläubiger ein Recht haben. Und das allein bessert schon die Lage des Landes - nicht nur nach der Dogmatik der kapitalistischen Strukturreformer, sondern unter Umständen auch im Urteil der internationalen Finanzwelt.

Daß die Massen damit aus der "nationalen Marktwirtschaft" herausfallen, ist bekannt; damit sagt man keinem demokratischen Fachmann und sozialkundigen Journalisten etwas Neues. Die beobachten bereits mit Interesse, wie die Massen damit fertigwerden: wie es Leuten ohne Produktions- und Subsistenzmittel in den Elendsquartieren drittweltlicher Großstädte doch immer wieder gelingt, sich in die heimische Geldzirkulation einzuschalten und marktwirtschaftlich zu überleben. Für telegene Anklagen brauchbar sind allemal die traditionsreichen Gewerbe der Prostitution und des Verbrechens sowie das neuere des Rauschgifthandels. Mit mehr Wohlwollen wird das Handwerk der produktiven Abfallverwertung betrachtet das die Kenner liebevoll "informellen Sektor" nennen und allen Ernstes als hoffnungsvollen Beitrag zur "Lösung" des "in Zukunft noch zunehmenden Arbeitsplatzproblems" veranschlagen; sogar die Weltbank hat mittlerweile entdeckt, daß sich da mit Krediten in Pfennig-Höhe "Arbeitsplätze schaffen" lassen. Ein schönes Betätigungsfeld jedenfalls für die nationalen "Ausgleichsfonds", aus denen nach den Vorstellungen des Lome-Vertrags zusätzliche "Mittelstandsförderung" finanziert werden soll.

So entwickeln ganze Völkchen unter dem Regime eines Geldes, das weltwirtschaftlich nichts zählt und das sie nicht haben, etwas Neues: eine Subsistenzwirtschaft im Abfall.

Projekte gegen Giftmüll und Bevölkerungsdruck

Angesichts ihrer unerfreulichen Zukunft müssen sich die Massen in den Partnerstaaten der Europäischen Gemeinschaft freilich vor allem sagen lassen, daß sie mit ihrer großen Zahl ein Problem sind, und zwar ein viel bedeutenderes als alle Probleme, die sie - mit dem Überleben zum Beispiel - haben. Ihr Elend ist, fachmännisch betrachtet, der Beweis, daß sie zuviele sind; und dieses Problem will Lome IV energischer angehen. Es zeichnen sich sogar schon erste Erfolge ab:

"Eine der Hauptbedrohungen der Umwelt geht von dem zunehmenden Bevölkerungsdruck aus. Allgemeiner gesagt ist die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ganz offensichtlich wegen der hohen Geburtenrate, die zumindest in den meisten afrikanischen Ländern noch weiterbesteht, viel schwerer zu verwirklichen.'Keiner Region in der Welt ist esje gelungen, sich bei einem derartigen Bevölkerungswachstum noch weiter zu entwickeln' heißt es in einem Weltbankbericht unlängst, demzufolge bei anhaltender Wachstumstendenz im subsaharischen Afrika binnen 30 Jahren über 1 Milliarde Menschen leben werden, die Hälfte davon in den Städten.

Die Tatsache, daß ein AKP-EWG-Abkommen erstmals einen Abschnitt zur Bevölkerung und Bevölkerungsstatistik enthält (unter dem Titel 'Zusammenarbeit im kulturellen und sozialen Bereich'), läßt auf die Einsicht schließen, daß man es mit einem brennenden Problem zu tun hat. Bevölkerungspolitische Maßnahmen sind geplant - mit Hilfe der Lome-IV-Mittel könnten die statistischen Dienste ausgebaut, Informations- und Ausbildungskampagnen durchgeführt werden, und es findet sich selbst ein Hinweis auf freiwillige Familienplanung, ein Thema das bis vor kurzem tabu war."

Ein schöner Einfall, die überzähligen Massen nicht nur ökonomisch unzweckmäßig zu finden, sondern gleich als ökologisch schädlich einzustufen. Das paßt jedenfalls sehr schön zu einem letzten "heißen Eisen", das die EG und ihre AKP-Partner in ihrem vierten Lome-Abkommen angepackt haben:

"Um zu beweisen, daß sie es mit dem Umweltschutz wirklich ernst meinen, haben AKP-Staaten und Gemeinschaft in einem besonderen Artikel vereinbart, den Versand von gefährlichem und radioaktivem Abfall zwischen den Partnern zu verbieten. Damit verzichten die AKP-Staaten trotz aller finanziellen Probleme auf millionenschwere Abfallbeseitigungsverträge."

Es ist ja nicht ohne Logik, daß die Staaten, die dem Kapital der 1. Welt zu dessen Bedingungen Naturstoffe für seinen Produktions- und Akkumulationsprozeß liefern, auch dessen giftige Rückstände zurücknehmen und sich ein paar Millionen für ihren Schuldendienst verdienen, indem sie fürs Verbuddeln Preise unterhalb der Deponiegebühren in Westeuropa berechnen. Der vertragliche Verzicht auf solche Geschäfte beruht auf deren allgemeiner Üblichkeit, rechnet mit ihrer Normalität - und will ja auch bloß, ein schönes unfreiwilliges Eingeständnis, als Symbol genommen sein: als Beweis für den unerbittlich guten Willen, mit dem alle Beteiligten das Elend der umweltschädlichen Bevölkerung ausweglos machen.

Fazit: Die wirklichen ideellen Gesamtkapitalisten der Weltwirtschaft schaffen sich nach ihrem Bilde pseudo- souveräne Hilfskräfte für ihren Kolonialwarenhandel

Der Lome IV-Vertrag dokumentiert den Widerspruch, den sich die kapitalistischen Zentren der Weltwirtschaft mit den "ärmeren" 3. Welt-Ländern und speziell die EG-Mitglieder im Umgang mit ihren AKP-Partnern leisten. Sie stellen sich zu diesen Ländern wie zu normalen kapitalistischen Staaten; als wären sie ausgestattet mit den Mitteln und Problemen eines ideellen Gesamtkapitalisten, der von den Geschäften lebt, die er in seiner Gesellschaft beschützt und fördert; der ein nationales Geld stiftet, das Bemühen, es zu verdienen, zum einzigen Lebensmittel macht und an der kapitalistischen Mehrung dieses Geldes partizipiert; der in seinem Haushalt die Unkosten, die ihm aus der Behütung und Bereicherung seiner Geschäftswelt erwachsen, mit eben diesem Zweck in Übereinstimmung zu bringen sucht; der dabei auf intakte außenwirtschaftliche Bilanzen achtet usw. Die unübersehbare Tatsache, daß diesen Staaten die materielle Grundlage für solche Probleme und Aufgaben: ein kapitalistischer Reichtum, der das Volk für seine Vermehrung produktiv benutzt, abgeht, wird wie ein bloß quantitativer Mangel behandelt. Freilich nicht so, daß es Sache der kapitalkräftigen Nationen wäre, diesen minderbemittelten Partnern den fehlenden Reichtum zu überlassen; leihweise und mit der Perspektive, daß eine schlagkräftige kapitalistische Wertproduktion schon zustandekommen würde. Dieses Ideal der "Entwicklungs"-Politik früherer Zeiten gilt als überholt. Als entscheidend wird nicht der "Transfer von Ressourcen" angesehen, sondern eine "strukturell" richtige Wirtschaftspolitik, nämlich die Kopie der Verfahren staatlicher Geschäftsförderung, wie sie in den Ländern des erfolgreichen Kapitalismus üblich sind: Haushaltssanierung durch Beschränkung unproduktiver und Ausweitung wachstumsförderlicher Ausgabenposten, Exportförderung und Importbeschränkung durch eine sachgerechte Geldabwertungspolitik usw. Es wird so getan, als wäre es das unschlagbare Erfolgsrezept für diese Staaten, einfach quasi dasselbe zu tun wie erfolgreiche Staatsgewalten - dann würden sie auch welche.

Die Diagnose, die in dieser Stellung zu den Agrar- und Rohstoffexportländern der 3. Welt enthalten ist, ist theoretisch betrachtet - nun, sagen wir: weltfremd. Der Anspruch, diese Staaten sollten sich über die richtigen wirtschaftspolitischen Methoden sanieren, abstrahiert in zynismusverdächtiger Weise von der wirklichen politischen ökonomie dieser Länder - davon abgesehen verkennt er übrigens auch den Charakter einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik, verwechselt nämlich die staatliche Pflege von Bedingungen des kapitalistischen Konkurrierens mit einer Erfolgsgarantie dafür.

Die Abstraktion von den wirklichen Mitteln und Problemen der entwicklungspolitisch betreuten Länder ist aber weder ein theoretischer Fehler noch ein moralischer Makel. Sie ist weltwirtschaftliche Praxis. Mit dieser Abstraktion - also durch die Gewalt, die die Agenturen der 1. Welt über ihre 3.Welt-Klienten haben werden diese Staaten auf Dienste und Erträge festgelegt, die sie gerade nicht zu politökonomischen Mächten der oberen Garnitur werden lassen, sondern zu den Inhabern einer speziellen, für die kapitalistische Weltwirtschaft funktionalen Ökonomie. Ihre Gewalthaber tun, was in ihrer Macht steht, für die Bereitstellung von Exportgütern, die an den Rohstoffbörsen der 1. Welt nach dem puren Verhältnis zwischen Kaufinteresse und Angebot ihren Geldwert beigelegt bekommen. Ihre Exporteinnahmen sind, wenn sie anfallen, schon nicht mehr ihr frei verfügbarer Staatsreichtum, sondern unterliegen den Eigentumsrechten ihrer Gläubiger; so sind sie doppelt abhängig und doppelt nützlich. Ihre Financiers dringen auf Verbilligung des unerläßlichen staatlichen Gewaltapparats; unter diesem Druck organisiert die Staatsgewalt, die schließlich auch einen nationalen Markt mit seinen Erträgen haben will, den Widerspruch einer Marktwirtschaft ohne zahlungsfähige Kundschaft - außer, wiederum, im kapitalistischen Ausland. Von den Techniken kapitalistischer Wirtschaftspolitik kopiert wird auf diese Weise gar nichts - bzw. nur das Negative: die Streichung von unproduktiven und in den Augen der Gläubiger funktionslosen Staatsausgaben; insbesondere denen, über die die Gewalthaber ihre Massen überhaupt in eine interne Geldwirtschaft hineinbugsiert und außerdem eine Minderheit von Staats-" Kostgängern" am staatlichen Geldaufkommen beteiligt haben. Bei der entsprechenden Verelendung der eingeborenen Massen schauen - im weltwirtschaftlich günstigsten Fall - ein paar zusätzliche Exportmöglichkeiten heraus.

So werden diese Staaten nicht zu wirklichen ideellen Gesamtkapitalisten; wohl aber - indem sie behandelt werden, als wären sie welche - zu eigenstaatlichen Sachwaltern der Kolonialwarenlieferung für den Weltmarkt und der Erlösablieferung an den Weltfinanzmarkt. Sie erledigen beide Teilaufgaben souverän, hängen allerdings mit sämtlichen Mitteln, also der materiellen Basis ihrer souveränen Freiheit von den Kreditzuteilungen ihrer Gläubiger ab, die ein Recht auf weit mehr als alle potentiellen Exporterlöse dieser Staaten akkumuliert haben. Mit diesem Recht des Gläubigers regieren die wirklichen ideellen Gesamtsachwalter der kapitalistischen Welt in ihre AKP- und sonstigen "Provinzen" hinein; ohne große Rücksicht auf deren Souveränität - außer der einen, daß die Regierungen vor Ort alle Unannehmlichkeiten der nötigen Ordnungsstiftung auf eigene Rechnung durchzufechten haben. Deren Niederlagen als Schritte zur Demokratie zu interpretieren oder als "unverständlich" abzubuchen, behalten die ideologischen Agenturen der 1. Welt sich vor.