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ICH, BORIS JELZIN
Boris Jelzin schreibt ein Buch über Boris Jelzin, weil die Sowjetunion Jelzin braucht.
"Es ging mir nicht einmal so sehr um meinen Sieg. Der war sozusagen meine persönliche Aufgabe. Es stellte sich vielmehr die Gewißheit ein, daß wir uns (... ) schließlich doch aus dem Abgrund herausarbeiten würden, in dem wir uns befinden." (B. Jelzin, Aufzeichnungen eines Unbequemen, München 1990, S. 127)
Wenn Jelzin betrunken (oder auch nicht) in einen Bach fällt, hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Aufklärung in diesem Buch, weil damit die SU knapp an ihrem Untergang vorbeigekommen ist:
"Die Nachricht von einem Anschlag auf mich hätten sie (= die Menschen) wohl nicht mehr ruhig aufgenommen. Zum Zeichen des Protests hätte man in Selenograd oder Swerdlowik, wo es viele Rüstungsbetriebe gibt, oder auch in Moskau in den Ausstand treten können. Und dann wäre als Folge der Streiks in strategisch wichtigen Unternehmen möglicherweiie der Ausnahmezustand im ganzen Land ausgerufen worden. Dank der Tatsache, daß ich mich hätte provozieren lassen, hätte man die Perestrojka in der Sowjetunion 'erfolgreich vollenden'können." (284)
Gegenüber diesem Kult der Persönlichkeit des Perestrojka-Politikers schaut der jetzt als stalinistisch kritisierte biedere Funktionärstyp der Breschnew-Ära geradezu harmlos aus. Aber das haben die Russen nun auch von ihrer Perestrojka: Neben der inzwischen schon ziemlich gewaltigen Zersetzung von Staat und Ökonomie profiliert sich zunehmend eine "moderne" Politmafia, die in aller Öffentlichkeit ein Gezänk darüber veranstaltet, wer berechtigterweise sich als den wahren Verfechter der Perestrojka bezeichnen darf. Kein Wunder. Perestrojka stachelt konsequent die Funktionäre zu einer neuen Tour der Konkurrenz um die Macht an. Die klassische Auseinandersetzung, wer der Linientreueste ist, findet nicht mehr in den abgeschirmten Amtsräumen des Politbüros statt, sondern als Kampf um Popularität. Die heiße Frage, wer berechtigt ist, sich durchzusetzen, wird entschieden mit den Mitteln wechselseitiger Denunziation und der Selbstbeweihräucherung als besonders glaubwürdige Perestrojka-Personifizierung.
Das Fazit von Jelzins Buch ist somit konsequent und steht nicht erst nach fast 300 Seiten fest, auf denen er seine Qualifikation für höchste Staatsämter dadurch beweist, daß er keine Kenntnis über die Ursachen der lauthals beklagten Mißstände vorträgt, wohl aber immer gleiche Variationen des Themas "Schaut her - ich, ich!" Wer gegen Jelzin ist, ist gegen die Perestrojka:
"Weil meine Siegeschancen mit Überwindung jeder Barriere zunahmen, nahm auch der Widerstand jener zu, für die meine Wahl eine wahre Katastrophe und die Zerstörung des Glaubens an die Unerschütterlichkeit der alten Ordnung bedeutet hätte. Daß diese Ordnung längst brüchig geworden war, beunruhigt sie nicht. Hauptsache, Jelzin kam nicht durch. Die vordringlichste Aufgabe des Apparats war, meine Wahl zu verhindern." (68)
Und gegen Jelzin kann doch wirklich kein guter Mensch sein, wo er doch in sämtlichen Lebenslagen von Kindesbeinen an der Beste ist, der für alle das Beste tut:
"Wir hatten keine Ahnung, wo wir waren, und unser Boot verloren. Fast eine Woche strichen wir durch die Taiga, ohne alles Gepäck. (...) Von dem schmutzigen Wasser aber bekamen wir alle Typhus. Wir hatten über 40 Fieber, doch ich (= der jugendliche Jelzin) in meiner Rolle als Organisator hielt mich aufrecht. Ich schleppte die Jungs ins Boot und strengte mich mit aller Kraft an, nicht das Bewußtsein zu verlieren, um das Boot noch irgendwie zu steuern." (36)
Also, warum dann noch diese falsche Bescheidenheit?