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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1990 erschienen.

Systematik

2 + 4 - Verhandlungen
2 + 4 = EINE NEUE WELTMACHT WIRD AUS DER TAUFE GEHOBEN

1.

Die Russen, so hört man, basteln an einem Friedensvertrag. An einem diplomatischen Dokument also, in dem Deutschland nicht als das vorkommt, was es ist, sondern als Nation, deren Status sich aus dem verlorenen Weltkrieg bestimmt. Das war einmal. Selbst die Russen scheinen bei ihrem Unternehmen mitbekommen zu haben, daß es nicht ganz zeitgemäß ist. Sie fordern keine Reparationen bzw. nur einen moralischen Ersatz dafür. Ungefähr nach dem Motto, daß sich Deutschland verpflichtet, ein ordentliches Benehmen an den Tag zu legen und nur Frieden von seinem Boden ausgehen läßt. Die Chancen selbst dieses Friedensvertrags sind gering. Diplomatische Begegnungen und die sie krönenden Dokumente pflegen der "Realität" zu entsprechen. Und die besteht nicht aus Interessen, sondern aus der Macht und ihren Mitteln, mit denen die anrückenden Nationen ihr Interesse zu politischen Tatsachen machen.

2.

Die Deutschen, so hört man, wollen von den "großen Vier" der Nachkriegsjahre eine Unterschrift. Sie denken an dasselbe wie die Russen, bloß ein bißchen umgekehrt. Sie gehen von den politischen Tatsachen aus. Die sehen sie in ihrer Macht, die sie in 45 Jahren angehäuft haben und mit der sie es bis zur "Wiedervereinigung" gebracht haben. Diese "Realität" beweist ihnen zuverlässig, daß sie keine besiegte Nation mehr sind - und die anderen auch nicht mehr als das auftreten können, was sie einmal waren: als Siegernationen, denen es zusteht, Deutschland etwas vorzuschreiben.

Da nun aber das Völkerrecht immer noch ein wenig mit Zuständigkeiten befrachtet ist und operiert, die der "Realität" nicht mehr gerecht werden, sind gewisse Korrekturen fällig. Sie betreffen die Angleichung der internationalen "Rechtslage" an die tatsächlichen Kräfteverhältnisse. Die Argumente des neuen Deutschland sind klar: Eine Nation, die nicht nur weltweit ökonomischen Gewinn macht und Einfluß genießt, die sich auch als Militärmacht in einem angesehenen Kriegsbündnis abschreckend bewährt, die es darüber zu einer handfesten Revision des letzten Kriegsergebnisses gebracht hat eine solche Nation ist völkerrechtlich erstklassig. Die diplomatisch immer noch herumgeisternde Vorstellung von einer gewissen Zweitrangigkeit muß weg. Sie ist von gestern.

3.

Das muß ordnungsgemäß ins Protokoll aufgenommen werden. Die Siegermächte dürfen zum letzten Mal in dieser ihrer Eigenschaft tätig werden, um dem neuen Deutschland zu bestätigen; daß es völlig zu Recht nicht mehr als besiegte Nation behandelt wird und der Status der "Siegermacht" aus der weltpolitischen Szene verschwindet. Der Erfolg in der Staatenkonkurrenz gebietet es, dieses Deutschland nicht wie eine Nation mit beschränkter Haftung zu behandeln. So lautet die Tagesordnung, deren Vollzug für die Deutschen die einfachste Sache von der Welt ist. Bleibt nur noch die Frage, ob sich die anderen - noch "Siegermächte" - zur selben Sicht der Dinge herbeilassen. Daß sie einen " Deutschlandgipfel" veranstalten, zeigt zwar, daß auch sie so etwas wie einen diplomatischen "Handlungsbedarf" verspüren. Ob sie deswegen gleich dem eindeütigen Rechtsempfinden des schwarz-rot-goldenen Verhandlungspartners nachgeben, ist aber eine andere Frage. Nämlich die ihrer Macht und ihrer Interessen, ohne die keine völkerrechtliche "Realität" zustandekommt.

4.

Vom deutschen Standpunkt aus trifft es sich gut, daß ein Gebrauch der geballten Macht, die da am Tisch versammelt ist, gegen die deutsche Sache nicht vorgesehen ist. Die Machtmittel für eine Beschränkung der gesamtdeutschen Souveränität wären wohl vorhanden, das Interesse daran jedoch hält sich in Grenzen. Denn die Siegermächte sind erstens nicht als eine Partei zugegen, und zweitens ist ihr Verhältnis zu Deutschland von ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten und "Tatsachen" älteren Datums geprägt. Drei Siegermächte stehen zwar auf dem Weltmarkt n Konkurrenz zu Deutschland - hätten also gute Gründe, darauf zu dringen, wo es schon auf sie ankommt, das Walten deutscher Macht - die gerade expandiert - einzuschränken. Ausgerechnet die können die Verfolgung dieses ihres "natürlichen" Interesses aber nicht wollen: Zwei von ihnen haben sich mit der BRD schon in ökonomischen Dingen als Partner zusammengetan und bilden mit ihr auch schon seit geraumer Zeit gute politisch - militärische Beziehungen aus. Die USA sind schon lange an Deutschland als Frontstaat interessiert, und zwar wie die Franzosen und Engländer gegen die Sowjetunion. Dieser vierten Macht am Tisch kann ein Interesse nachgesagt werden, den Gebrauch deutscher Souveränität einzuschränken. Ihr ausgerechnet gebricht es an den Mitteln, die schon zur Verhinderung der "Wiedervereinigung" gefehlt haben. Deswegen ist sie nicht auf Konfrontation aus, sondern hält es für sicherer, sich mit der NATO und der deutschen Großmacht zu arrangieren.

5.

So gerät die Deutschlandkonferenz zu einem vollen Erfolg. Erstens für Deutschland und zweitens auf Kosten der Russen. Der NATO-Vorbehalt, d.h. die gemeinsame Sache des Freien Westens gegen die Sowjetunion, die eine solide Austragung der Konkurrenz unter den freien Demokratien des Westens nicht geraten erscheinen läßt, kommt hier wg. Germany, wieder einmal in seiner positiven Seite zum Zuge. "Russen raus!" - diese Parole wird in allen Nuancen verhandelt. Ob an sofortiger Beteiligung unserer Berliner an gesamtdeutschen Wahlen, ob an der NATO-Mitgliedschaft oder dem deutschen Recht auf den Bau von Flugzeugträgern - eine "Tatsache" der Weltpolitik will da festgeschrieben sein, obwohl noch ein paar russische Soldaten in Mitteleuropa herumgurken: Hier hat die UdSSR ein Recht verloren. "Schadlos" halten möchte sie sich mit einer Art Friedensvertrag und dem per Unterschrift zugesicherten "Recht", von der neuen Großmacht, die Europa jetzt vorsteht, nicht weiter geschädigt zu werden. Dergleichen können Genscher und seine Partner leicht unterschreiben. Sie haben ja eben in eigener Regie "erfahren", daß das Recht im Verhältnis zwischen den Staatsgewalten genau so lange dauert und soweit reicht - wie die Tatsachen.

6.

Ob die Zonis an dieser Diplomatie der höchsten Stufe gemerkt haben, worum es bei der "Wiedervereinigung" geht, ist egal. Hauptsache, sie stehen der neuen Weltmacht, an deren Geburt sie so herzlichen Anteil genommen haben, auch nach der Taufe zur Verfügung.