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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1990 erschienen.

Systematik

Südafrika läßt Mandela frei
EIN HERZ FÜR NEGER?

Die weiße Regierung der Republik Südafrika (RSA) hat den ANC-Führer Nelson Mandela nach 28 Jahren Haft freigelassen. Weder hat Mandela seinem Widerstand gegen die Apartheia abgeschworen, noch haben die regierenden Rassisten versprochen, ihr Apartheidssystem zu ändern. Warum darf Mandela jetzt nicht bloß frei herumlaufen, sondern als schwarzer Staatsmann im eigenen Land und außerhalb auftreten?

Die RSA normalisiert ihre Beziehungen...

1964 wurde Mandela wegen "Beteiligung an Sabotage" zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt und im Konzentrationslager Robben Island interniert. Er bekannte sich im Prozeß zu seiner Aktivistenrolle im ANC und dessen bewaffneter Organisation "Umkonto we Sizwe", deren Gründung er damit begründete,

"daß die Regierungspolitik unvermeidbar mit Gewaltakten der afrikanischen Bevölkerung beantwortet werden würde. Auch waren wir davon überzeugt, daß ohne die Lenkung verantwortungsbewußter Führer diese Volkswut zu Terrorausbrüchen führen mußte, die zwischen den verschiedenen Rassen, die dieses Land bewohnen, mehr Bitterkeit und Haß sähen würden als ein offener Krieg; und zweitens glaubten wir, daß dem afrikanischen Volk in seinem Kampf gegen die Vorherrschaft der weißen Rasse nur noch ein einziges Mittel verblieben war, um sich durchzusetzen; die Anwendung von Gewalt."

Die damalige Regierung der RSA sah das so ähnlich, verbot den ANC, setzte seine Führer hinter Gitter und das "Bantu Laws Amendment Bill" in Kraft, demzufolge sich kein Schwarzer in Südafrika ohne ausdrückliche Genehmigung durch die Behörden auf "weißem Gebiet" aufhalten darf.

Die Forderung nach politischer Mitbestimmung der Schwarzen wurde schlichtweg zum Hochverrat erklärt, weil der ANC damit die Position der Feinde Südafrikas übernahm - damals so ziemlich alle unabhängig gewordenen Staaten Afrikas und die in den Nachbarstaaten Angola, Mosambik und Rhodesien operierenden Guerillaorganisationen gegen die portugiesische Kolonialmacht, bzw. das Siedlerregime des Ian Smith. Für die RSA stellte das eine Bedrohung ihrer ökonomischen und ihrer Sicherheitsinteressen in der Region dar. Diese Befreiungsorganisationen, die auf Waffen und Geld aus der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten angewiesen waren, wurden als "kommunistische Subversion" eingeschätzt und als "sowjetische Einmischung in Afrika" bekämpft. Die Solidarität des ANC mit MPLA, Frelimo und ZANU verwandelte die nationale Bürgerrechtsbewegung in Agenten einer feindlichen Macht; Nelson Mandela war für die meisten weißen Südafrikaner ein "krimineller Kaffer" im "Solde Moshaus".

Der Logik des RSA-Staats, jeden Schwarzen m Lande, der sich nicht damit zufrieden gibt, als Arbeitskraft zur Verfügung zu stehen und die Staatsgeschäfte dem privilegierten weißen Staatsvolk vertrauensvoll zu überlassen, als Staatsfeind und Kommunist zu behandeln, entsprach der Umgang des Burenregimes mit den Negern außerhalb der Landesgrenzen. Als Wanderarbeiter, die das Heer der sich anbietenden Lohnsklaven für die Fabriken, Minen und Haushalte in der RSA vergrößert, sind sie sehr brauchbar. Daß sie einer anderen Obrigkeit Untertan sind, ist sehr zweckmäßig, weil man sie leicht wieder loswird, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

Als souveräne schwarze Staaten galten jedoch die umliegenden Territorien der RSA per se als Gefährdung der eigenen Souveränität und der Sicherheit des politisch-ökonomischen Systems - solange und sofern man sie nicht fest im Griff hat. Bei Staaten wie Lesotho, Swasiland und Botswana ist das zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten gelungen. Die politische Unabhängigkeit von Großbritannien brachte den dortigen schwarzen Potentaten unverzüglich per Wirtschafts-, Währungs- und Zollunion die totale ökonomische Abhängigkeit von der RSA ein. Gelegentliche Einsätze von südafrikanischem Militär und Polizei zur Sprengung der Häuser von ANC-Sympathisanten oder der Regelung von Streitereien bezüglich des lokalen Regierungschefpostens trüben die "gutnachbarlichen Verhältnisse" nicht und werden von der demokratischen Weltpresse als Ordnungsmaßnahme der Schutzmacht registriert. Hier ist der RSA die Einrichtung von homelands gelungen, die, gerade weil sie außerhalb der Landesgrenzen liegen, von niemandem in Frage gestellt werden.

"Problematischer", aus der Sicht Südafrikas geradezu gefährlich stellte sich die Lage dar, als in Rhodesien und in den portugiesischen Kolonien Angola und Mocambique Befreiungsbewegungen die mit der RSA befreundeten Herrschaften an der Macht ablösten. Die neuen schwarzen Souveräne hatten den Kampf gegen das Apartheidsregime, die Solidarität mit dem ANC und die Freundschaft zur Sowjetunion im Programm ihres Kriegs um Unabhängigkeit, der deswegen nicht zuletzt auch immer ein Krieg gegen die massive Unterstützung aus der RSA gewesen war.

Im Falle Zimbabwes gestaltete sich die Neuregelung der Beziehungen überraschend schnell als "problemlos": Die Mannschaft um Robert Mugabe erwies sich als so "vernünftig", die Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika, auf die Zimbabwe ebenso angewiesen ist, wie es Rhodesien war, fortzusetzen. Inzwischen sind weiße Auswanderer, die aus Unsicherheit über die Aussichten unter schwarzer Herrschaft in die RSA ausgewandert waren, nach Zimbabwe zurückgekehrt.

Ganz im Gegensatz dazu waren die sozialistischen, prosowjetischen Regierungen in Mosambik und Angola, die sich nicht einfach allen Ansprüchen der RSA unterwarfen und sogar den ANC unterstützten, eine einzige Provokation für den Burenstaat, ganz unabhängig davon, daß von diesen Staaten nie eine wirkliche Bedrohung für Südafrika ausging. Die frischgebackenen Staatsmänner von MPLA und Frelimo hatten mit dem eigenen Überleben zu kämpfen. Dafür sorgte zum einen die Hinterlassenschaft des jahrzehntelangen Krieges gegen die Kolonialmacht und dafür sorgte sofort die RSA, die in Angola die UNITA unterstützt, mehrmals mit der Armee einmarschierte und zeitweilig den Süden des Landes unter Dauerbesatzung hielt. In Mosambik baute die RSA mangels ausnutzbarer Spaltung der Befreiungsbewegung eine eigene auf: die Terrortruppe "Renamo", deren Söldner bis heute auch die bescheidensten Ansätze von Wiederaufbau und wirtschaftlicher Entwicklung des Landes buchstäblich zerstören.

Die Erfolge dieser konsequenten Destabilisierung zweier Nachbarstaaten sind nicht ausgeblieben: Zwar verhinderten cubanische Truppen einen Sturz der MPLA-Regierung in Angola. Der dazu dem Lande aufgezwungene Krieg hat es jedoch so kaputt gemacht, daß die MPLA schließlich mit der RSA einen eigentümlichen Vertrag schloß. Angola verzichtete auf die cubanische Unterstützung und damit auf die Mittel, die Souveränität der Regierung über das Land im Innern durchzusetzen und nach außen überhaupt als Verhandlungspartner aufzutreten, der sich aus eigener Kraft Respekt verschaffen kann. So gesteht die MPLA den Südafrikanern die Ziele ihrer militärischen Intervention zu, um sich wenigstens die vom Hals zu schaffen - die UNITA als Bürgerkriegsgegner bleibt ihr ohnehin erhalten. Mosambik hat in einem feierlichen Unterwerfungsakt des Frelimo-Führers Samora Machel jeglicher Gegnerschaft gegen den weißen Staat am Kap abgeschworen und den ANC aus Maputo ausquartiert. Die versprochene Gegenleistung, Demobilisierung der Renamo, ist Pretoria bislang schuldig geblieben.

Die Buren haben also auch positive Erfahrungen mit schwarzen Staaten in ihrer Nachbarschaft gemacht, so daß deren Bekämpfung um jeden Preis nicht mehr unverzichtbarer Bestandteil der südafrikanischen Sicherheitsdoktrin ist. In Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwest, das die RSA de facto annektiert und wie eigenes Staatsgebiet behandelt hatte, erlaubte noch der jetzt als Inbegriff des "verkrampten" Burenpolitikers gescholtene Präsident P.W. Botha die Einrichtung einer eigenen staatlichen Souveränität unter Führung der Befreiungsbewegung SWAPO, gegen die man 20 Jahre lang einen Ausrottungskrieg geführt hatte. Die Konditionen, die Südafrika vorab festgelegt hat, und die jede schwarze Herrschaft in Namibia erfüllen muß, wenn sie halbwegs erfolgreich überleben will, schreiben alle ökonomischen Abhängigkeiten des neuen Staates von den südafrikanischen Interessen fest. Bis hin zum vorab festgelegten Modus der Wahlen und Verfassungsgebung diktierte die RSA diese Staatsgründung. Kein Wunder, daß auch die Männer um Sam Nujoma inzwischen durchaus glaubwürdig versichern, daß sie ihr blühendes, schwarzes Namibia mit der und nicht gegen die Regierung am Kap aufbauen möchten.

Mit dem Hissen der frischgeschneiderten Flagge Namibias und dem erstmaligen Abspielen der extra komponierten Nationalhymne am 20. März in Windhuk ist ein verspäteter Nachtrag zur Entkolonialisierung Afrikas ratifiziert worden. Zugleich markiert der Staatsakt unter höchstiangiger internationaler Beteiligung, daß das schwarze Afrika mitsamt seinen Freunden im Kreise der blockfreien Staaten aus der "Dritten Welt" mit Zustimmung ihres ehemaligen weltmächtigen Bündnispartners Sowjetunion alle Vorbehalte und Ansprüche gegen die Republik Südafrika aufgegeben hat, hier handle es sich um den letzten und häßlichsten Fleck der Unterwerfung des schwarzen Kontinents unter den Imperialismus des weißen Mannes. Der Burenstaat hat durchgesetzt und abgesichert, daß sich seine unmittelbaren und auch die entfernteren Nachbarn mit ihm als der einzigen wirklichen Macht n Afrika gutstellen müssen. Und für alle Staaten in Afrika stellt sich nur noch die Frage, wann und wie sie ihre Beziehungen zur RSA "normalisieren".

...und befriedet ihr schwarzes Menschenmaterial

Soweit in Südafrika selbst Schwarze eine "Volksbefreiungsbewegung" gegen die "Kolonialherren im eigenen Lande" versucht haben, so sind Sie mehrheitlich ins Gefängnis - wie Nelson Mandela - gekommen, ins Exil getrieben worden - wie die restliche ANC-Führung oder von den Ordnungskräften des Regimes ganz legal per Todesurteil oder "außerhalb der Legalität" umgebracht worden - wie Steve Biko und andere Opfer der Todesschwadronen, die von der RSA-Polizeiführung aufgestellt worden sind.

Im übrigen sind auch die Schwarzen in der RSA weit davon entfernt, sich zu einer Volksbefreiungsbewegung zusammenzuschließen. Da gibt es einen Zulustamm, der dem Prinzen Buthelezi folgt und seine Kampftruppe, die Inkata, die gegen andere Neger zuschlägt und nicht gegen die Organe der Staatsgewalt. Auch in deren Polizei besorgen nicht zu knapp schwarze Ordnungshüter das Geschäft der Aufrechterhaltung von law und order in den Townships. In den homelands, die die RSA für ihre schwarzen Untertanen eingerichtet hat, gibt es eine Minderheit, die ihren Dienst in der Administration, in Polizei und Armee willig versieht, und eine Mehrheit, die sich ohne viel Ungehorsam verwalten läßt. Und in den schwarzen Ghettos findet auch etwas ganz anderes statt als täglicher Aufstand.

Die Bürgerrechtsbewegung, die sich davon abgesondert hat, bei der nicht zufällig die Kuttenträger der Kirche das Sagen haben, hat von Anfang an auf konstruktive Opposition gesetzt. Ihre Repräsentanten klagen bei den burischen Glaubensbrüdern Toleranz und Caritas fürs nicht-weiße Volk ein und ermahnen dieses zur Geduld und zur strikten Gewaltlosigkeit. Mit der Mehrheit ihrer Untertanen 2. Klasse hat die Apartheidregierung der RSA also gar keine so schlechten Erfahrungen gemacht. Angesichts der Bereinigung des außenpolitischen Umfelds ist sie zu dem Schluß gelangt, daß die Bilanz der Handhabbarkeit ihrer schwarzen Bürger gar nicht so schlecht ausfällt. Das Bemühen, diese zynische Bilanz als Einsicht, ja Besserungswillen zu verkaufen, kostet also nichts und lohnt sich bei der auf die moralische Ausstattung der Politik erpichten Weltöffentlichkeit allemal. Die Läuterung wird an den politischen Anstandsbörsen der Welt ohne Einschränkung gepriesen.

Freiheit für Nelson Mandela

ist somit zwar ein Zugeständnis des Regimes an den politischen Willen seiner schwarzen Untertanen, aber alles andere als ein "Zeichen der Schwäche", eines Nachgebens vor dem "Druck der Schwarzen" oder gar eines übermächtig laut gewordenen Weltgewissens, das zum 70. Geburtstag des ANC-Führers im Wembley-Stadion aufgespielt hat. Vielmehr ließ Präsident De Klerk Mandela laufen, weil seine Regierung die Inhaftierung dieses Mannes vom Sicherheitsinteresse der RSA aus für nicht mehr notwendig und für seine Politik der inneren Sicherheit in der RSA für nicht mehr opportun erachtet. Die Freiheit Nelson Mandelas hat auch erst einmal ein paar Wochen lang für Stimmung in den Townships gesorgt, also die Lage des Negers in der RSA durchgreifend verbessert. Zudem bewies Mandela sich des "Vertrauens", das sein Präsident in ihn setzt, würdig. Nach 28 Jahren Knast sagt Mandela immer noch unerschütterlich das gleiche wie bei seiner Verurteilung:

"In keiner Phase seiner Geschichte befürwortete der ANC revolutionäre Veränderungen des wirtschaftlichen Gefüges des Landes... und er hat auch niemals ein Verdammungsurteil gegen die kapitalistische Gesellschaftsform ausgesprochen."

Und auch noch das:

"Ich habe gegen die Vorherrschaft der Weißen, und ich habe gegen die Vorherrschaft der Schwarzen gekämpft."

Ersteres erklärt, warum er damals eingesperrt worden ist, letzteres, was von ihm erwartet wird. Die Partei De Klerks möchte mit einem ausgewiesenermaßen unbeugsamen und nicht gekauften schwarzen Widerstandskämpfer eine Art Mitbestimmungsmodell für die Neger in Südafrika aushandeln, das die Schwarzen im Lande dadurch endgültig und dauerhaft "befriedet°', daß es ihnen neben ihrer bleibenden Betreuung durch die Polizei auch noch die Perspektive eines zivilisierten Wählers eröffnet.

Wenn Mandela da mitmacht und das auch innerhalb der afrikanischen Bevölkerung durchsetzt, dann kriegt er vielleicht glatt einen Posten im Staatspräsidium der Republik Südafrika. "Verhandlungen" mit dem ANC, der bislang als Voraussetzung für Verhandlungen die Abschaffung der Apartheid und die Einführung des Prinzips "one man, one vote" gefordert hatte, sollen erstmals am 11. April in Pretoria stattfinden. Der schwarzen Delegation, die aus dem Exil anreist, wird "freies Geleit" zugesichert.

Für die schwarzen Massen in Südafrika

hat sich durch die Freilassung Mandelas und die Wiederzulassung des ANC außer in der Stimmungslage nichts geändert. Die Abschaffung gewisser Spielarten der Apartheid ändert nichts am Prinzip, dem sie ihr Elend verdanken: Die per Staatsgewalt garantierte Ausbeutung ihrer Arbeitskraft durch das südafrikanische und das internationale Kapital.

Und dem kommt der harte Kern der Apartheid sehr gelegen: Angesichts des unbegrenzten Reservematerials an schwarzen Lohnsklaven können sich Staat und Kapital in Südafrika die Unkosten eines "Sozialen Netzes" weitgehend sparen, und die Aufrechterhaltung des "Sozialen Friedens" im wesentlichen Justiz und Polizei überlassen. Das macht das Geschäft in Südafrika so lukrativ und die Apartheid für die weißen Südafrikaner, zumindest soweit sie Geschäftsleute sind, so attraktiv. Was die weißen Arbeiter betrifft, so geben sich der Unternehmerverband und westdeutsche Firmen mit Tochtergesellschaften vor Ort betont "antirassistisch": Die sollten auch nicht mehr verdienen als Schwarze für die gleiche Leistung. Das hat in Südafrika eine weiße Opposition gegen die Regierung ins Leben gerufen. Auch das ist nicht ohne Vorteile: Verglichen mit deren Vorstellungen über den Umgang mit "den Kaffern" wirkt die Regierung, mit der der Freie Westen seine guten Beziehungen pflegt, allemal "liberal".