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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1989 erschienen.

Systematik


KOMPLIZIERTE UND EINFACHE WEGE FÜR LEBENSMITTEL QUER DURCH EUROPA

Was nicht geht:

"Die Absicht der polnischen Regierung, ab Anfang Dezember an schätzungsweise vier bis viereinhalb Millionen bedürftige Bürger Lebensmittelkarten auszugeben, ist gescheitert. Die Staatsbank hat den Auftrag, die 50 Millionen Marken zu drucken, wegen technischer Schwierigkeiten und hoher Kosten abgelehnt." (FR 30.10.)

Was geht:

"An der Merkwürdigkeit, daß Polen über Animex gut 200000 Tonnen guten polnischen Fleischs jährlich ins Ausland absetzt, gleichzeitig aber in diesem Jahr 105 000 Tonnen schlechterer Ware aus Interventionsbeständen der EG für die Versorgung der polnischen Bevölkerung importieren muß, wird sich so schnell nichts ändern." (SZ 14.10.)

Das ist deswegen nicht merkwürdig, weil das erste unter Geschäft und das zweite unter "Hilfe" fällt.

Wobei diese Hilfe auch recht verstanden und beaufsichtigt werden muß. Erstens muß die Heuchelei mit der Hilfe untermauert werden, daß wir da wirklich die Ernährung der Menschen in die Hand genommen haben und keine dubiosen Geschäfte fördern, während andererseits unsere guten Geschäfte keinesfalls die Ernährung der Menschen schädigen:

"Befürchtungen, daß die EG-Hilfslieferungen als Rückexporte in die EG zurückkehrten, indem das Rindfleisch beispieliweise weiterverarbeitet werde und die Polen hungerten, damit Devisen erwirtschaftet würden, wies Gallus entschieden zurück. Zwar benötige Polen weiterhin Agrarexporte als Devisenbringer, es handle sich dabei aber um Gemüse, Obst, Fisch, Wild und Geflügel, das in Polen ausreichend vorhanden sei." (SZ 26.8.)

Warum die Polen dann trotzdem immer noch von uns ernährt werden müssen, ist eine unsachliche Frage.

Zweitens "helfen" wir bekanntlich mit Sinn und Verstand. Daß überhaupt EG-Lebensmittelbestände nach Polen wandern, ist natürlich zutiefst humanitär, denn wir leisten damit unseren Beitrag zur Stabilität der neuen Regierung. Die soll im Unterschied zu ihren kommunistischen Vorgängern gegen die "öffentliche Unruhe" ihres Volkes abgesichert werden, das auf Hunger öfters schon bösartig reagiert hat.

Wir leisten unseren Beitrag aber auch mit Weitsicht. Auf keinen Fall wird unsere "Gemeinschaftshilfe kostenlos an die polnischen Bürger abgegeben." (NZZ 10.8.) Deren Geld wandert in einen "Gegenwertfonds, der von der polnischen Regierung und der EG-Kommission gemeinsam verwaltet werde. Mit dem Geld soll vor allem der Ausbau der privaten Landwirtschaft finanziert werden." (SZ 14.10.)

Genau betrachtet ist das Wohlgefühl der humanitären Hilfe, daß wir die vorm Verhungern sichern, ja ganz schön, aber auch nicht richtig. Die 105000 Tonnen Rindfleisch machen nach Expertenrechnungen gerade 3 Kilo pro Kopf pro Jahr aus. Die eigentliche Hilfe besteht selbstverständlich darin, daß wir den Polen beibringen, wie man sich mit der Einführung von Privateigentum selbst richtig ernährt.

Zu dem Zweck hat ein US-Multimillionär jetzt in Warschau ein Luxus-Hotel eröffnet:

"Wir wollen den Bürgern von Warschau zeigen, wie der westliche Kapitalismus funktioniert." (Richard Marriott, FR 13.11.)

Der transportiert z.B. T-Bone-Steaks aus den USA und verkauft sie für "180000 Zloty, im Lande ein durchschnittlicher Monatsverdienst," Hamburger für "7000 Zloty. Dafür arbeitet das Zimmermädchen einen Tag." Soll aber niemand sagen, die USA seien unsozial. Neben ihrem sicher enorm hilfreichen Anschauungsunterricht in Sachen kapitalistischen Reichtums stiften sie Geld für allein 20 Armenküchen in Warschau, wo es für 100 Zloty einen halben Liter heiße Milch und Brot gibt. Die werden nicht aus den USA eingeflogen, die Armen auch nicht.