Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1989 erschienen.

"Wir helfen der DDR"
HILFE ZUR SELBSTAUFGABE

Die Formel von der "Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit" kündete 40 Jahre lang einerseits von dem Recht, die Freiheit, also die Prinzipien kapitalistischer Produktion und Verteilung mitsamt der dazugehörigen Sorte politischer Herrschaft, auch im anderen Deutschland durchzusetzen; und zwar als Tat der westdeutschen Politik. Andererseits verriet sie auch das Bewußtsein, daß dieser deutsche Traum eigentlich nur zu verwirklichen wäre mit Gewalt, über die man - 'realistisch' betrachtet - nicht zur Genüge, auf jeden Fall nicht allein verfügt. Mit einem Schlag ist aus der Phrase des Anspruchs das Projekt einer friedlichen Eroberung geworden.

Die DDR öffnet sich: Nichts wie hin und her damit!

Der Osten ist tot. Und was er braucht zur Wiederbelebung, das weiß heute jedes Kind: eine Marktwirtschaft, genau wie bei uns, mit freien - vom Unternehmer gestalteten - Preisen und einem echten Geld, von dem nur wenige genug besitzen, damit seine Tauglichkeit zum Geschäftemachen nicht leidet. Mit Polen, Ungarn und der DDR eröffnet sich dem geschäftstüchtigen Auge ein Territorium gut doppelt so groß wie die Bundesrepublik mit einer Bevölkerung von etwa 65 Millionen als Perspektive einer grandiosen Kolonialisierung durch die westliche Geschäftswelt.

Das Schöne daran - schließlich gibt es ungenutzte Flächen mit hungernden Leuten drauf zuhauf auf der Welt -: es gibt auch alle Bedingungen, unter denen sich die vielgerühmte Privatinitiative entfalten kann: Eine Arbeiterklasse, also Menschen, die daran gewöhnt sind, von Lohnarbeit zu leben. Die Organisation des Lebens, die diese Klasse befähigt, ihren Dienst zu verrichten. Und ein leidliches Funktionieren des Systems von Produktion und Verteilung. Nur eines fehlt - die Verfügungsgewalt über all die schönen Produktionsfaktoren. Ihre Verwandlung in Kapital steht noch aus.

Immerhin herrscht da großes Entgegenkommen von seiten der DDR. Alle bekunden sie, neuerdings auch Jürgen Kuczynski, daß man "vom Kapitalismus vieles lernen" könne und wolle. In der Volkskammer verlangt ein Redner die "drastische Einschränkung der Planwirtschaft und die Einführung der sozialistischen Marktwirtschaft" (Manfred von Ardenne, SED); daß Joint-Ventures, auf alle Fälle aber erheblich mehr Geschäfte mit dem Westen sein müssen, kann man mittlerweile auch im "Neuen Deutschland" täglich lesen. Vor allem aber hat die Staatsführung selbst eine ebenso radikale wie demonstrative Wende eingeleitet. Mit einer Personalpolitik, die sich in ihrem Entstalinisierungseifer und ihrer vertrauensheischenden Selbstkritik weder vor den Gorbatschowschen noch den Stalinschen Säuberungen zu verstecken braucht. Mit einer Grenzöffnung, die in der westlichen Doktrin über das Verhalten östlicher Betonköpfe nicht einmal als Ding der Unmöglichkeit verzeichnet war, weil sie sich keiner ohne Krieg hat träumen lassen. Mit politischen Entscheidungen, die jahrzehntelange Forderungen gegen das "Unrechtsregime" über Nacht gegenstandslos werden lassen, so daß die Chefankläger für einen Moment fast in Schwierigkeiten geraten. Mit einem Tempo, das die Presse veranlaßt, Nachtlager einzurichten, um für "historische Augenblicke" gerüstet zu sein, und echt demokratische Politiker vor einem zu frühen Termin für allgemeine Wahlen warnen läßt.

Die DDR hat sich also mit einem rasanten Befreiungsschlag an die Tabellenspitze der östlichen Bewerber um westliche Kapital"hilfe" gesetzt. Sie empfiehlt sich als erste Adresse für Kapital und Kredit, obwohl deren umfassende Kritik dort immer noch für gut 30 Mark zu haben ist. Und ihre Werbung, sie "verfüge" über "fleißige und geschickte Arbeitskräfte", bekommt sie glatt von höchster westlicher Stelle bestätigt:

"Kein Volk auf der Welt ist für die Marktwirtschaft so geeignet wie das Volk der DDR." (Waigel, Bundesfinanzminister).

Auch wenn jetzt seit einigen Tagen von einem "Schuldendesaster" die Rede ist, noch Mitte November wollte kein Handelsblatt etwas davon wissen; die DDR galt und gilt unter Bankern als gute Adresse:

"Polze (Präsident der DDR-Außenhandelsbank) hat mit fast 11 Milliarden Dollar Guthaben bei westlichen Banken vorgesorgt... Polzes konsequente Politik der vollen Devisenkassen der letzten Jahre - oft ohne Rücksicht auf klaffende Importlücken der DDR-Wirtschaft - dürfte heute den Reformern zugute kommen... Erstens hat Ostberlin viel Geld in der Devisenkasse; zweitens kann die DDR auf den internationalen Märkten, wenn auch zu etwas angezogenen Konditionen, in noch erheblichem Maße Kredit aufnehmen, drittens kann die DDR mit neuen Finanzhilfen der Bundesrepublik rechnen." (Volker Franzen, Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums, in: "Handelsblatt", 14.11.)

Das 11 Mrd. Dollarguthaben wird nicht an kudammverrückte Trabifahrer verteilt werden, wie es sich Rechenkünstler in den Wirtschaftsredaktionen aus lauter Sorge(rechtsgeilheit) um die DDR ausmalen. Dann wäre bei "drittens" sicher nichts drin! Und schließlich ist über den Mauertränen nicht zu vergessen, daß währenddessen brauchbare Waren über die Grenze rollen zum Nutz und Frommen von 7000 bundesdeutschen Firmen, so daß so mancher Sachse mit einer Mischung aus Stolz und Verbitterung feststellt, daß er sich in westlichen Läden tatsächlich in der DDR hergestellte Geräte kaufen könnte, die es drüben gar nicht gibt.

So gesehen ist dieses Ersuchen der DDR nicht bloß ein Angebot wie das der Polen und Ungarn auch, sondern geradezu ein Sonderangebot, das ganze Zonenrandgebiete auf den Kopf stellt, bei Industrie-, Handels- und Handwerkskammern hektische Betriebsamkeit auslöst und an der Börse Kaufhaus-, Automobil- und Baubranchenwerte boomen läßt. Den Kapitalisten tut sich eine Gelegenheit auf, die sie nicht auslassen können wollen, so daß sie sich

schon ein "neues Wirtschaftswunder" ausmalen, über das sich garantiert niemand mehr wundern wird.

Dabei ist nicht einmal bloß an eine Kolonie gedacht. Der politische Anspruch verheißt nicht nur ökonomischen Erfolg im Ausland, sondern Integration ins "Mutterland". Und im Vorgriff aufs Ziel werden gemeinsame Sozialprodukts- und Exportquoten hochgerechnet. Der Bundeskanzler hat mit seinem 10-Punkte-Programm nach allgemeiner Auffassung die deutsche Einheit vom bloßen Ideal zum politischen Programm befördert. Dieses Programm geht über die Schaffung von Geschäftsmöglichkeiten und außenpolitische Einmischung weit hinaus. Alles, was normalerweise so zwischen Staaten läuft, kriegt hier die Perspektive nationale Einheit. Darin hat auch der Ausbau der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen allein sein Maß.

Ein schönes Dilemma: Schadet das Hin nicht dem Her?

Eins haben sie sofort gemerkt, die Politprofis hierzulande: Ihre Kollegen im Osten haben mitgedacht. Alles, was die westdeutsche Geschäftswelt sich als Gelegenheit in der DDR ausrechnet, sieht die DDR-Führung als möglichen Beitrag zur Erhaltung und Sanierung ihrer nationalen Ökonomie; eben genauso wie ihre realsozialistischen Brüder in Warschau, Budapest und anderswo, die ihre "Planwirtschaft" weg"reformieren", um ihrer Nation eine neue Zukunft unter den Fittichen des Imperialismus zu verschaffen. So auch Krenz:

"Bei der Überwindung der Wirtschaftsprobleme hält Krenz alle Formen der Zusammenarbeit mit westlichen Ländern und Firmen, einschließlich der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, für möglich. Eine der vordringlichsten Aufgaben der Wirtschaftsreform sei die Konvertibilität der Ostmark. " (Süddeutsche Zeitung, 27.11.)

Allerdings kann er es nicht lassen, immer auch wieder zu betonen:

"Die DDR sei bereit, Ratschläge anzunehmen, wie 'unser Staat effektiver und attraktiver' werde. 'Aber wir sind nicht bereit, uns die Bedingungen von irgendeinem anderen Land diktieren zu lassen, besonders nicht von der Bundesrepublik.'" (ebd.)

Und nicht einmal auf einem Jubelparteitag der CDU in Nordrhein-Westfalen läßt sich ein wendiger Ost-CDU-ler einfach total einsacken:

"In einem nachdenklichen Grußwort bekannte sich auch der stellvertretende Vorsitzende der Ost-CDU Winfried Wolck, unter dem Beifall der Delegierten zur Einheit der deutschen Nation, freilich nicht ohne, als der Applaus abgeebbt war, anzufügen 'die in zwei Staaten lebt'. " (Süddeutsche Zeitung, 27.11.)

Das Interesse der DDR-Führung, ihre im Westhandel relativ erfolgreiche Wirtschaft dafür einzusetzen, daß sie die politische Souveränität über Land und Leute wiedergewinnt, indem sie die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen auf breiter Basis intensiviert, das ist für die bundeseutsche Seite das entscheidende Ärgernis. Da hilft es gar nichts, wenn sich Kapitalexport in der DDR bombig lohnt und darüber auch der politische Einfluß auf die Regierung drüben steigt. Einfluß auf einen Souverän ist eben alles andere als seine Beseitigung. Und selbst die engste "Vertragsgemeinschaft" (Modrow) ist, verglichen mit der Wiedervereinigung fast das Gegenteil. Da gibt es ja immer noch den staatlichen Partner, der anerkannt werden muß.

Die Gelegenheit zu einem Jahrhundertgeschäft darf also auf keinen Fall den Blick dafür trüben, daß immer noch die Schwächung der DDR ihren Anschluß bringen soll. Zur Euphorie des Einsteigens gehört deswegen notwendigerweise die Warnung davor, schönes westliches Geld "in ein Faß ohne Boden zu werfen". Im Fall der DDR ist diese Parole nicht bloß die Erinnerung daran, daß selbstverständlich das ortsansässige Volk - und nicht der Geber von Kapitalhilfe - die Unkosten für die Heimholung des Realen Sozialismus in die kapitalistische Welt zu tragen hat. Jeder Vorbehalt, und sei er noch so kapitalistisch-sachzwangmäßig formuliert, der in Bezug auf eine Kapitalhilfe für die DDR vorgebracht wird, ist eine Antwort auf die nationale Frage: Wie wird aus geschäftstüchtiger Einmischung eine Ausgrenzung der DDR-Regierung von der Verfügungsgewalt über ihren eigenen Laden?

Lohnende Kapitalhilfe: ein Hebel zur Entmachtung der DDR

Mit dem nationalen Interesse Polens oder Ungarns kann bundesdeutsche Politik sehr wohl leben, indem sie es zum Hebel der Erpressung dafür macht, daß der Partner die ökonomischen Bedingungen für lohnende Geschäfte schafft und politische Zugeständnisse einräumt, die den eigenen Einfluß mehren. Wie gut das funktioniert, hat die DDR im deutschen Herbst zu spüren gekriegt. Gerade die Spekulation der östlichen "Bruderstaaten" auf westliche Hilfe hat ja die DDR so offen und damit abhängig von "gemeinsamen Regelungen" mit Bonn gemacht.

Nun ist natürlich ein solches Verhältnis auch zwischen zwei deutschen Staaten denkbar. Mehr noch: es wird ja schon feste praktiziert. Die erklärte Bereitschaft der neuen DDR-Spitze, zur radikalen Intensivierung der Zusammenarbeit mit der BRD wurde zur Kenntnis genommen. Die Ernsthaftigkeit der Bereitschaft auch. Aber genügen tut das noch lange nicht. Es kommt nicht bloß darauf an, ob die DDR-Regierung bereit ist, ihre Macht auch ernsthaft und unwiderruflich in den Dienst kapitalistischer Interessen zu stellen - das wird sowieso verlangt. Das betrifft die nächsten praktischen Schritte, wie: Die Abschaffung des Außenhandelsmonopols, also die Erlaubnis zu direkten Geschäften mit DDR-Unternehmen, die dann aber auch in ihrer Entscheidung frei sein müssen, also den Rückzug des Staats aus der Wirtschaft. Die Freiheit, in und mit DDR-Firmen zu investieren, zu dieser Freiheit aber auch den Schutz, über Investition und Gewinn frei verfügen zu können. Die Freiheit der Personalplanung, also die Erlaubnis des Arbeiter- und Bauemstaats, mit seinen Arbeitern und Bauern als bloßen Kostenfaktoren umzuspringen. Nur unter diesen Bedingungen zeigt die westdeutsche Industrie- und Bankenszene ihr Interesse an schnellen Geschäften mit dem Nachbarstaat. Die Helden der unternehmerischen Freiheit, die bekanntlich von ihrem Geist leben, indem sie aus Risikobereitschaft Milliarden machen, dringen auf nichts geringeres als auf einen umfassenden Sack voller Garantien dafür, daß sich ihre Geschäfte auch lohnen.

Gleichzeitig ist das alles vom politischen Standpunkt der BRD aus betrachtet noch immer nicht das Eigentliche, solange die Hoheit noch bei der DDR verbleibt. Oder andersherum: Daß die Herrichtung des Landes zur kapitalistischen Anlagesphäre den zuständigen Machthabern die reale Verfügungsgewalt über ihre Ökonomie entzieht, ist gegenüber der DDR die beabsichtigte und berechnete Konsequenz, auf die es ankommt und die auch allen formellen Souveränitätsrechten der anderen Seite ein Ende machen soll. Dafür ist natürlich mancher Kapitalist zu borniert:

"Ich würde es als eine Katastrophe empfinden, wenn man die SED, wie man es so oft hört, heute auf einen Schlag absägen würde. Es würde ein Vakuum entstehen, wirtschaftspolitisch in der DDR, das im Moment nicht auszufüllen wäre. Auch habe ich sehr viele Leute kennengelernt in der Vergangenheit, die in der SED sind und die heute und in der Vergangenheit wirtschaftliche Positionen hatten. Diese Leute waren schon immer reformwillig, sie wollten reformieren, sie mußten nur den geeigneten Zeitpunkt abwarten. Und ich bin der Überzeugung, daß diese Leute zur heutigen Situation sehr viel beigetragen haben." (Helmut Schmid, Firma Bellmer, Brennpunkte, 12.11.89)

Der Mann verbürgt sich für die Eignung der alten Mannschaft, jedenfalls bedeutender Teile davon, indem er darauf verweist, daß ihre bisherige Bereitschaft viel dazu beigetragen habe, die Geschäfte mit der DDR lohnend zu machen. Er übersieht allerdings ein wenig, daß es im Falle der DDR um mehr geht als um lohnende Geschäfte. Um die auch. Aber sie müssen sich dazu noch als Mittel der schrittweisen Entmachtung der DDR-Staatsgewalt bewähren. Jeder Kredit, jedes Geschäft, jede Devisenvereinbarung soll sich daran messen, inwieweit sie Mittel dafür ist, die Führung der DDR - ob sie nun Krenz, Modrow oder sonst wie heißt - bis zur Selbstaufgabe gefügig zu machen. Wo die kapitalistische Krämerseele immer dummdreist an das 'Wozu?' - fürs Geschäft nämlich - denkt, da kommt es dem Politiker, der ja dem ganzen deutschen Volk verpflichtet ist, auf das nationale 'Wozu?' an: nämlich auf ein einziges Großdeutschland.

Deutschlandpolitik geht zur Zeit also so: Die Bundesregierung tut alles, um das Interesse der DDR-Führung, sich durch neue Abhängigkeiten vom Westen zu erhalten, für die stückweise Beseitigung dieses Staates für den Anschluß der DDR zu funktionalisieren. Nicht bloß, daß man die durch Geschäftsbeziehungen geschaffenen Abhängigkeiten zum Mittel der Verbesserung weiterer Geschäftsbedingungen macht und so den Partner in immer größere Abhängigkeit bringt - das ist der ganz normale Gang erfolgreicher imperialistischer Betätigung. Die Schwächung der Souveränität des Partners, die in anderen Fällen durchaus zum eigenen Problem werden kann, so daß man den Partner stützen muß, ist im Falle der DDR ab sofort die beabsichtigte Folge des ganzen Stützens der DDR. Je mehr die DDR-Führung sich den Erfordernissen des Geschäfts anpaßt, desto mehr soll sie sich überflüssig und damit übernahmebereit machen.

Das DDR-Volk als Daumenschraube

Dafür läßt sich in bewährter Weise das Volk der DDR einspannen. Da spielt erstens sogar ein so luxuriöser Genuß wie der West-Tourismus eine Rolle, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. In den Westen reisen zu dürfen, und zwar mit ehrenvoll umgetauschter Valuta, zählt nämlich für jeden DDR-Bürger zu den Menschenrechten, die er sich von keinem Grenzposten mehr nehmen läßt - sonst wird nämlich gleich ganz ausgereist. So kriegt die DDR ein ernsthaftes Devisenbeschaffungsproblem, an einer Stelle, wo in jedem anderen Land der Welt der Wechselkurs das Urlaubsbedürfnis in die richtigen Bahnen lenkt. Ein DM-Fonds für touristische Zwecke wird zur unabweisbaren Notwendigkeit, der man aber nur mit bundesdeutscher Hilfe nachkommen kann. Das klärt die DDR-Bürger schon mal darüber auf, wer ihnen das gute deutsche Geld vorenthält und wer es ihnen großzügigerweise trotzdem zukommen läßt.

Verplant ist das Volk vom Westen aus - zweitens - aber noch in ganz anderer Hinsicht als freizeitmäßig:

"Der Umbruch in Polen und Ungarn zeigt, was auf die DDR zukommen wird: steigende Preisefür bisher billige Güter, Versorgungungslücken, Inflation neureiche Krisengewinnler, absterbende Wirtschaftszweige und besonders bitter: Arbeitslose." (Spiegel 47/89)

So weit, so gut - wenn es "bloß" um die Ablösung sozialistischer Bequemlichkeit durch kapitalistische Effektivität ginge. Jetzt geht es aber um ein natioiiales Sanierungsprogramm auf Kosten eines Volkes, das schon jetzt höchstens noch sehr bedingt die Manövriermasse DDR-nationaler Wirtschaftspolitik sein will. DDR-Bürger nehmen ja schon für so ungemein hohe Güter wie "Zukunft" und "Perspektive" das Einbürgerungsangebot der BRD wahr und bekennen, daß sie nicht mehr die Dummen des deutschen Schicksals bleiben wollen. Wie bei unbegrenzter Ausreisefreiheit in den mächtigeren deutschen Staat eine kapitalistische "Sanierung" der DDR durchzuziehen wäre, weiß im Grunde jeder: überhaupt nicht.

Da müßte ja schon glatt die Bundesregierung den Zwang zum Daheimbleiben schaffen, der dann allenfalls auch einem DDR-Bürger den Willen zum Mitmachen eingeben könnte - das wäre dann aber todsicher nie ein Mitmachen bei einem anderen deutschen Staat.

Es ist also keine Prognose: Die Wiedervereinigungspolitik der BRD führt einen Zustand herbei in dem endgültig nur noch die Existenz einer eigenen DDR-Staatsgewalt all den Fortschritten im Wege steht, die die Bundesregierung sowieso will, auf die die DDR-Regierung irgendwie auch gesetzt hat und auf die das DDR-Volk ein abgrundtiefes deutsches Recht zu haben meint. Auch das ist keine Prognose: Wenn die Lage so ist, gibt es auch keinen ehrlichen Bürger mehr, der sie nicht genauso sieht. Spätestens dann, wenn die allgemeinen, freien, gleichen und öffentlichen Wahlkämpfe unter dem Motto "Wiedervereinigung ja, aber in welchen Grenzen?" in den beiden deutschen Republiken herumtoben. Dann ist auch endich der letzte Sachse reif für die Wahrnehmung seines deutschen Selbstbestimmungsrechts.

Und die Russen?

Was ist mit der Roten Armee, die immer noch in der DDR steht: Die doch immer das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen mit Füßen getreten und verhindert hat?

Deren Interessen an einem Bündnispartner DDR sind mit der Fahnenflucht der SED nicht erloschen. Aber bis auf weiteres unterscheidet die Führung der Sowjetunion auch im Falle der DDR und der bundesdeutschen Wiedervereinigungspolitik wieder einmal zwischen zwei Sachen, zwischen denen kein Unterschied besteht. Sie erklärt eine "Annäherung" bis hin zur Konföderation für eine "Angelegenheit der Deutschen", in die sich niemand einmischen dürfte - aber beim Übergang in einen Einheitsstaat, da wollen sie dann noch mitzureden haben. Sie gibt die Herrschaft des Realen Sozialismus in der DDR preis - aber die DDR selbst will sie damit noch nicht abgeschrieben haben. Sie findet nichts dabei, wenn die Bundesrepublik ihr Geschwätz vom "europäischen Haus" als diplomatische Rückendeckung für ihr imperialistisches Europaprojekt benutzt - aber an der Grenze zwischen West- und Ost-Deutschland will sie dann doch nicht rütteln lassen.

So produzieren Staaten unhaltbare weltpolitische Konstellationen, die dann zur großen Verwunderung der Nachwelt meistens nur mit Gewalt haben gelöst werden können.

Die deutsche Wiedergeburt: Kaiserschnitt, Zange oder sanft?

Auf Basis dieses klaren Programms gibt es notwendigerweise einen heißen Parteienstreit, nämlich um so heiße Fragen wie, ob da auch wirklich schnell genug gehandelt wird, ob man die aktive Herstellung von politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen in der DDR nun "Hilfe" oder "Erpressung" tauft und ob der Eindruck, der damit v.a. drüben erweckt wird, der Sache dient, parteichinesisch: "dem Prozeß des Zusammenkommens der deutschen Menschen" nützt oder schadet.

Die Opposition:

"Nochmaliger Appell des SPD-Chefs an die Bundesregierung: 'Keine Bedingungen für Hilfe an die DDR'

Auch für das Engagement westdeutscher Unternehmen müßten keine Bedingungen gestellt sondern lediglich Voraussetzungen geschaffen werden, so Abkommen zum Investitionsschutz, für Joint-Ventures, die Sicherung der Rechtsform und die Minimierung administrativer Hürden. Auch gehe es nicht darum, der DDR... Geld zu schenken, sondern vernünftige Kredite anzubieten. " (Süddeutsche Zeitung, 25.11.)

"Ich lehne es ab, daß wir unsere Partnerschaft nach dem Prinzip von Wurst und Hund gestalten und die Wurst immer höher hängen, wenn der Hund sie fast erreicht hat." (Lothar Späth, Süddeutsche Zeitung, 28.11.)

Da sorgen sich nicht nur zwei Reservedompteure um das Gelingen des Dressuraktes, sie übernehmen auch noch die psychologische Betreuung des Hunds, der die Lust daran nicht verlieren darf, daß immer noch r es sein muß, der die Ausführung der gewollten Akte zu vollziehen hat. Nichts anderes meint auch der "scharf kritisierte" Bundeskanzler:

"Was wir vorschlagen (siehe: Vogel), sind keine Vorbedingungen, sondern die sachlichen Voraussetzungen dafür, daß Hilfe wirklich greifen kann." (im Bundestag, 28.11.)

Weil es sich hier quasi um eine schleichende Übernahme handeln soll, lassen sich die "unerfüllten Bedingungen" und "fehlenden Faktoren" für "unseren" Einstieg auch im Lichte der fortbestehenden "Zweistaatlichkeit" begutachten. Die kann man entweder als Chance fürs langsame Zusammenwachsen der Teile oder als Schranke der schnellen Wiedervereinigung betrachten.

Modrows Idee einer " Vertragsgemeinschaft" entnimmt man deshalb sowohl das Interesse an der Aufrechterhaltung der Zweistaatlichkeit wie auch das an einer verstärkten Zusammenarbeit mit der BRD. Der Vorschlag wird also nicht einfach abgelehnt, sondern "aufgenommen" und von der Bundesregierung im "Bonner Sinne definiert" (Süddeutsche Zeitung, 28.11.). Das sieht dann so aus, daß der Bundeskanzler sie in seinen "Stufenplan zur Wiedervereinigung" einbaut, die Vertragsgemeinschaft also als Mittel zu ihrer und der DDR Auflösung definiert. Damit sie aber auch garantiert als solche wirkt, ist sie nicht Stufe 1, sondern Stufe 4. Die ersten drei Stufen sind die berühmten "Voraussetzungen" dafür, daß die "Hilfe nicht im Sand versickert": 1. Die Schaffung eines gemeinsamen Devisenfonds 2. Technologische Zusammenarbeit (Umwelt, Verkehr, Telefon) 3. Freie Wahlen. Das heißt, daß die DDR-Regierung sich um so mehr Anerkennung verdient, je mehr sie an Souveränität zurückschraubt, indem sie sich dem Verhandlungspartner und dem nicht zuletzt von der BRD bei mürrischer Laune gehaltenen Volk ausliefert. Also genau andersrum als die neue DDR-Führung sich das gedacht hat: Sie wollte ja wohl durch Abschlüsse mit der BRD die schon versprochenen Wahlen wahlkämpferisch vorbereiten.

Spätestens hier stellt sich die Frage, ob die Anerkennung der "Staatsbürgerschaft der DDR" dem Einigurngsprozeß nicht förderlich sein könnte. Weil das bislang noch genau umgekehrt ist - die Übersiedler kommen weiterhin und fehlen der DDR -, sind wieder mal die bundesdeutschen Vordenker dran: Oskar Lafontaine und Lothar Späth stellen ihre Tauglichkeit für die denkbare Wiedervereinigung in Frage und ernten empörte Vorwürfe, sie setzten die Wiedervereinigung aufs Spiel. Natürlich werden die ebenso empört zurückgewiesen: Sie haben nur daran gedacht, daß die Entvölkerung Ostdeutschlands doch nicht im Sinne der kolonialisierenden Einheitsstiftung sein könne:

"Die finanziellen Leistungen, die wir erbringen, sollten nicht Prämien für das Weggehen sein, sondern Prämien fürs Dableiben." (Lafontaine, Süddeutsche Zeitung, 25.11.)

Offensichtlich weiß der Mann, daß die "Hilfen" für die DDR gar nicht als "Prämien fürs Dableiben" gedacht sind und darum auch nicht so wirken werden, sonst würde ihm ja nicht ausgerechnet die Ausschließlichkeit der Staatsbürgerschaft einfallen, die die BRD der DDR bislang erfolgreich bestreitet und deren Anerkennung jede Prämie überflüssig macht, weil sie sie durch den Zwang zum Dableiben ersetzt. Einem Mann, der so selbstverständlich Bevölkerungsmassen manipuliert und manövriert, vorzuwerfen, er lasse den Anspruch auf sie fallen, ist schon ein wenig ungerecht. Deshalb schlägt er mit dem Vorwurf des beschränkten Nationalismus zurück:

"Ihr wollt die Wiedervereinigung ja gar nicht, weil ihr gar nicht an die andere Hälfte Deutschlands denkt... Ich werfe den Leuten einen gespaltenen Kopf vor, sie reden von Deutschland, aber sie haben nur die Bundesrepublik im Kopf." (Süddeutsche Zeitung, 29.11.)

Zumal er schon provokativ Kohls 5. Stufe andenkt, die "Konföderation". Natürlich ist auch sie, streng genommen, ein Verbrechen gegen den Wiedervereinigungsauftrag des Grundgesetzes, wegen des "Kon", das die Trennung ja weiterhin unterstellt. Aber das Helmut Kohl vorzuwerfen, wäre seinerseits ungerecht. Wie man zu hören bekommt, hat ihm diese Passage viel Mühe gemacht. Schließlich soll damit schrittweise die Zusammenarbeit durch den Zusammenschluß ersetzt werden:

"Wir sind aber auch bereit, noch einen entscheidenden Schritt weiterzugehen, nämLich konföderative Strukturen in Deutschland zu entwickeln, mit dem Ziel, eine Föderation, d.h. eine bundesstaatliche Ordnung in Deutschland zu schaffen." (Kohl im Bundestag, 28.11.)

Bleibt noch die letzte konstruierte Alternative: die Einheit Deutschlands oder die Europas? Die alberne Vorstellung, die Bundesrepublik könnte die EG verlassen, in der sie sich die unabdingbare Grundlage ihrer neuen Großmachtstellung geschaffen hat, um als vereintes Deutschland Europa zu dominieren, ohne an ihm teilzuhaben, wird nur aufgemacht, um sie zu verwerfen. Die deutsche Einheit soll im "europäischen Rahmen" verwirklicht werden. Was damit in die Welt gesetzt werden soll, ist erstens die Harmlosigkeit des deutschen Expansionswillens. Einerseits durch den Vergleich mit der Fiktion eines "Deutschland zwischen den Blöcken". Zum andern dadurch, daß die Expansion gemeinsam mit anderen betrieben wird und so schon keine mehr sein soll. Gorbatschows "Europäisches Haus" hat da wieder mal seine Dienste leisten müssen. Wenn Politiker nationale Bescheidenheit an den Tag legen, dann nur deshalb, weil ihnen der Anspruch eines Schönhuber - "Das ganze Deutschland soll es sein! " - viel zu bescheiden ist. Sie erheben nicht einfach einen Anspruch, sondern sie legen sich zweitens ganz viel Verantwortung für Europa auf. So nennen sich Ansprüche, derer man sich nicht erwehren kann, weil man sie mit einer höheren Weihe versehen hat. Und keiner denkt an Imperialismus, wenn der Bundeskanzler "ganz einfach" erklärt:

"Ich will's ganz einfach so formulieren: Die EG darf nicht an der Elbe enden, sondern muß ihre Offenheit auch nach Osten wahren. Nur in diesem Sinne - und wir haben EG-Europa immer nur als einen Teil, nicht als das Ganze verstanden -, kann die Europäische Gemeinschaft wirklich die Grundlage einer wirklich umfassenden europäischen Einigung werden." (ebd.)

Und drittens kommt so der bundesdeutsche Revanchismus nicht bloß ganz modern und unschuldig daher, er spannt auch gleich die Partner für den deutschen Zwischenschritt und die daraus fast logisch folgenden Weiterungen ein:

"Die Frage der Wiedervereinigung ist für uns beantwortet: Die SPD ist für eine europäische Einigung, die die DDR ebenso wie Polen und damit auch die Gebiete jenseits der Oder und Neiße umfaßt. Jetzt geht es um Zwischenschritte zu diesem Ziel, und wer die europäische Einigung will, kann als Zwischenschritt einer staatlichen Einheit der DDR und der Bundesrepublik nicht widersprechen." (Oskar Lafontaine, Süddeutsche Zeitung, 25.11.)

Die Methode der Auseinandersetzung in dieser Frage ist also keine in der Sache. Sie besteht allein darin, das Ziel gegen den Weg und vice versa auszuspielen. Und dafür brauchen noch nicht einmal Differenzen über den Weg zu bestehen.

Selbstbestimmungsrecht des Volkes contra Selbstbestimmungsrecht der DDR

Da muß man genau sein, wenn man sich auf dem Boden der Verfassung bewegen will. "Die Menschen" in der DDR haben "die erste erfolgreiche und friedliche Revolution auf deutschem Boden" durchgeführt. Und schon gibt es wieder ein deutsches Wesen, das den Völkern der Welt beispielhaft voranleuchtet. Mit dem Prädikat "Auch im Umsturz gewaltfrei" haben sich diese Revolutionäre sofort die Herzen der alten deutschen Frontkämpfer erobert. Als aufrechte Kämpfer gegen den ostdeutschen Unrechtsstaat haben sie nicht nur im Auftrag der Menschheit, sondern auch der NATO gehandelt, ihrem "Recht auf Selbstbestimmung" zum Ausdruck verholfen.

Nur erhebt sich sofort die Frage, ob die Menschen in der DDR überhaupt wissen, was sie da selbst bestimmen. Die Gefahr war ja zumindest bislang nicht von der Hand zu weisen, daß sie sich, wie andere Staatsbürger auch, so sehr in den 40 Jahre währenden Zwangszusammenhang gewöhnt haben, daß sie sich einbilden, sie hätten ihn sich ausgesucht, weil er ihrer Natur entspreche. Es besteht Grund zur Annahme und es gibt Indizien dafür, daß dieser ordinäre Nationalismus nicht nur bei den Genossen von der SED, sondern auch bei den Trägern des Umsturzes anzutreffen ist. Da muß was unternommen werden, der deutschen Menschennatur muß auf die Sprünge geholfen werden.

Das "Selbstbestimmungsrecht des Volkes" ist nämlich nicht einfach etwas, das sich die Menschen so aussuchen könnten. Das des deutschen z.B. ist genau umrissen: Es hat sich in den Grenzen von 1937 zu bewegen. Das verlangt das Grundgesetz. Und das haben dessen Väter verfaßt, die es nicht mehr umschreiben können, weil sie schön lange tot sind. Ein "Volk der DDR" - das hätte der Momper wissen müssen, ohne von Rühe vergattert zu werden - gibt es also gar nicht, weil es dem Grundgesetz der Bundesrepublik widerspricht, in seiner Existenz glatt ein Verstoß gegen die Einheit des deutschen Volkes ist.

Deshalb kann genau genommen die Bevölkerung der DDR gar nicht drüber entscheiden, ob sie allein oder zusammen sein will. Wenn, dann müßte schon das gesamte deutsche Volk darüber abstimmen, und dann müßten sich die, die nicht so dafür sind, dem eben fügen. Und obwohl die Abstimmung eigentlich dem Selbstbestimmungsrecht widerspricht, weil es keine Sache der Entscheidung der in so einem Volk zusammengefaßten Menschen ist, ist es natürlich schön, wenn die selbstbestimmten Figuren auch noch offen und freudig ihr Ja zu Deutschland sagen. Davon wußte schon ein Vorgänger des heutigen Kanzlers, der aus seiner Sicht bis zum Endsieg, aus der Sicht friedlicher Demokraten mindestens bis zum Anschluß Österreichs und des tschechoslowakischen Sudetenlandes für dieses hehre Recht gekämpft hat, bei der Besetzung des Rheinlands:

"Über die schwerste Schicksalfrage der Nation, da hätten nun die kleinen Menschen da draußen am Ende entscheiden müssen. Man wird mir vielleicht sagen, ja sie haben ja auch eine Volksabstimmung gemacht. Ich habe erst gehandelt, erst gehandelt, und dann allerdings habe ich der anderen Welt nur zeigen wollen, daß das deutsche Volk hinter mir steht. Darum handelte es sich. Wäre ich der Überzeugung gewesen, daß das deutsche Volk hier vielleicht nicht ganz mitgehen könnte, hätte ich trotzdem gehandelt, aber ich hätte dann keine Abstimmung gemacht." (Adolf Hitler, 7.3.1936)

Es ist nur scheinbar ein Widerspruch, wenn der neue Kanzler "den Menschen draußen im Lande" erklärt:

"Das Ziel der Bundesregierung ist und bleibt die Wiedervereinigung... Wie ein wiedervereinigtes Deutschland schließlich aussehen wird, weiß heute niemand. Daß aber die Einheit kommen wird, wenn die Menschen in Deutschland sie wollen, dessen bin ich sicher." (Bundestag, 28.11.)

Er macht sich hier nämlich nur zum Schein von dem Willen der Leute, ob nun in ganz Deutschland oder bloß in der DDR, abhängig. Dafür, daß "die Menschen in der DDR" auch wollen, dafür sorgt die Politik der Bundesrepublik. Erstens indem er die mißtrauische Opposition, die offensichtlich jetzt hauptsächlich unter dem Reiche-Vettern-Trauma leidet und sich über die Bedingungen für bundesdeutsche Hilfe beschwert, zum Gespräch vorlädt. Der Kanzler muß sehr überzeugend gewirkt haben, denn am Tage drauf, nach dem Gespräch, vertraten sie schon fast eine korrekte Linie:

"Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch) ergänzte, bei keinem der Gespräche (mit Kohl und Vertretern der Bonner Parteien) hätten er und Wolfgang Schnur den Eindruck gehabt, daß für bundesdeutsche Hilfe Bedingungen gestellt würden... Ihre Meinung zur Wiedervereinigung wollten Schnur und Eppelmann nicht darlegen." (Süddeutsche Zeitung, 25.11.)

Zweitens läßt sich eine Kritik an der Politik der BRD, die in nichts anderem als der "Angst vor dem Ausverkauf" (Bärbel Bohley) besteht, auch ziemlich leicht beschwichtigen. Dafür tut schon die Betonung ihre Wirkung, daß man niemanden vergewaltigen wolle. Schließlich ist ja der 10-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung so zurückhaltend, daß die Opposition nicht umhin konnte, ihn als "weitgehende Übernahme eigener Vorstellungen" (Bohley und andere) zu loben. Aber trotzdem wolle sie der CDU nicht trauen und werde ihre Angst nicht los (wieder Bohley). Keine Angst Bärbel, Vertrauenswerbung ist billig, die kriegst Du noch reichlich!

Drittens ist nämlich jetzt schon klar, daß die Zusammenarbeit zwischen Deutschland-Ost und Deutschland-West ein eindeutiges Ergebnis kriegt, auf das eine demokratische Vertrauenswerbung gut aufbauen kann. Wenn alle Überreste von Sozialismus und DDR-Eigenstaatlichkeit als letzte Hindernisse für die endgültige Bereinigung der Lage übrig geblieben sind, dann kommt das Vertrauen der Massen in die richtigen großdeutschen Politiker ganz von allein zustande.

"SPIEGEL: Die Daumenschrauben der wirtschaftlichen Zwänge sollten bleiben, damit das politische System zu den gewünschten Reformen gepreßt wird?

HERRHAUSEN: Warum hat sich das alles so ergeben in der DDR, wie es jetzt ist? Weil die Menschen offenbar ein anderes System wollen. Wenn das so ist, dann sollten wir nichts tun, was diesen Schwung erlahmen läßt. Das wäre doch wohl gegen das Interesse derer, die diese Entwicklung durch ihr Verhalten erzwungen haben. Das ist eine Daumenschraube, die in der demokratischen Entscheidung der Bürger liegt. Und die möchte ich ganz gern erhalten sehen." (Spiegel, 43/89)