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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1989 erschienen.

Systematik

Rudolf Augstein und Erich Böhme
DAS ANGEBOT DES "SPIEGEL": DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND...

"Ich möchte nicht wiedervereinigt werden", verkündet der Chefredakteur Erich Böhme am 30. Oktober seinen Lesern. Als ob das jemand mit ihm vorhätte. "Ich möchte wiedervereinigt werden", echot der Herausgeber Augstein eine Woche später zurück.

Zwei Männer mit "geistigem Format", das sie sich sicherheitshalber selbst bescheinigen, melden ihre professionelle Meinungsführerschaft bei der wichtigsten Frage an, die "die Menschen" seit 40 Jahren bewegt: Wie kann die Größe Deutschlands vorangetrieben werden? In tiefer Verantwortung vor diesem Menschenrecht aller Deutschen und Europäer dürfen und wollen sie die derzeitige Annexionshysterie nicht den Falschen überlassen. So beginnt ein echter, hemmungslos demokratischer Dialog um das beste Modell Großdeutschlands.

"Die Gelegenheit ist günstig..."

meint der Chefredakteur. Er hat für seinen Standpunkt nichts als gute Gründe. Als Mann mit Abitur kennt er die Geschichte und ihre "Lehren", die immerzu und hinterher aus ihr zu ziehen sind. Als demokratischer Journalist weiß er, daß Projekten des nationalen Aufbruchs jede Menge Leute zum Opfer fallen, aber nur eins zur Schande gereicht: wenn sie scheitern. Und als "Spiegel"-Karrierist beherrscht er die Manier unserer geistigen Elite, Fakten, die die politischen Machthaber schaffen oder einmal geschaffen haben, wie Sonderangebote im Kaufhaus des Westens zu nehmen, wo aus dem bunten Sortiment der schönste und beste Artikel auszusuchen wäre: Welches Deutschland hätten wir denn gern?

Das Reich Bismarcks mag Böhme nicht haben. Klar, "der größenwahnsinnige Endgalopp in den Ersten Weltkrieg" ging ja schief. Dann lieber die Weimarer Republik, unsere erste deutsche Demokratie! Nein danke! Die war ihm zu "schnell vom Wurm des Selbstzweifels und der Not aufgefressen"; also nichts für einen Mann, den nur die selbstbewußten Frechheiten einer europäischen Führungsmacht beeindrucken, die allenfalls ihre Konkurrenten in Not bringt. Und warum sollte er die "hysterischen zwölf Jahre des Diktators Gröfaz" erwerben wollen, der doch ein "perverser Reichszerstörer" war! Nein, nicht noch einmal ein nationaler Erfolgsweg, der am Ende doch wieder in eine Niederlage führen könnte! Nationalisten haben nun mal ein angeborenes Recht auf den Erfolg ihrer Nation. So entscheidet sich Böhme, klug wie er ist, für das erfolgreiche Deutschland, das es gibt: unsere feine Bundesrepublik mit ihrem deutschen Wahn.

Größer als es selbst muß Deutschland natürlich immer sein. Böhme denkt an Europa und daran, wer hier nach "unserer" Pfeife tanzt. Die DDR hat er damit nicht abgeschrieben -, das ist er den Brüdern und Schwestern schuldig - und braucht es auch nicht. Die ist nämlich längst irreversibel eingespannt in die "Sachzwänge" unserer unschlagbaren Republik; die ist längst den politischen und ökonomischen Erpressungen ausgesetzt, die von bundesdeutschem Boden ausgehen und der DDR keine Chance zu einer eigenen, nationalen Rechnung mehr lassen wollen: "Zurück kann er (Krenz) sowieso nicht mehr." Das hebt die Stimmung und macht demnächst vielleicht schon die schönsten Träume wahr:

"Wirtschaftliche Reformen dort und ökonomiich sinnvolle Kredite hier nützen einem Zusammenwachsen beider Deutschland. Ein DDR-Arbeitskräftepotential, das dann frei (!) wird, wenn Marktkräfte eine Rationalisierung der vergammelten Staatswirtschaft erzwingen, und ein Absatzmarkt von 17 Millionen Verbrauchern ist für den Kapitalismus (West) eher eine lohnende Herausforderung denn eine Last. Schneller als jeder einbetonierte Plankopf schaffen Tieflader, Volkswagen aus Wolfsburg, Container mit PCs von IBM in Sindelfingen und Schnellbahntrassen a la ICE einen Mehrwert, der beiden deutschen Staaten zugute käme".

Böhme hat natürlich recht: Mit "Wieder-Vereinigung im Sinne der westdeutschen Berufsvertriebenen und nationalistischer oder sentimentaler Gesamt-Deutschland-Schwärmer hat das alles nichts zu tun". Die DDR kaputtmachen, ruinieren und einkassieren, das sind für aufgeklärte Zeitgenossen die "sentimentalen" Parolen von gestern, die viel berechtigte Ansprüche, aber nur wenig "Realismus" zum Ausdruck brachten. Heute ist das anders. Leute wie Böhme haben mitgekriegt, daß die BRD inzwischen eine "realistische Alternative" - im Visier hat, die nationale Parole nicht mehr so inhaltslos, sondern viel konstruktiver formuliert: die DDR reif machen für eine lohnende Übernahme. Das ist die Basis für ein munteres Spekulationswesen, das in seiner Unverfrorenheit die Revanchistenträume der Vertriebenenverbände tatsächlich in den Schatten stellt. Ein Böhme braucht nicht die "Grenzen von 1937" zu beschwören, er vereinnahmt die 17 Millionen DDR-Bürger vielmehr gleich ganz unbefangen als"Arbeitskräftepotential" des deutschen Kapitals.

"Spiegel"-Redakteure sind darüber von Haus aus begeistert. Und ihr kluger demokratischer Betonkopf sieht darin noch die Gelegenheit zu einer Propagandalüge der besten, weil so typisch bundesdeutschen Sorte: Das alles wäre zum Vorteil und m Interesse der DDR! Aufschlußreich ist dabei allerdings, das die herzlich wenig gefragt wird. Das Motto lautet unververdrossen: Was machen "wir" mit der DDR: Was soll aus dem Staat werden? Aber das gehört eben zum Selbstverständnis einer selbstgerechten imperialistischen Nation und ihrer intellektuellen Weltbürger: die Zersetzung fremder Souveränität als "Hilfe", nationale Ansprüche als "freie Selbstbestimmung" der Menschen und die Annexion eines ganzen Staates als "Schritte der Annäherung guter Nachbarn" auszugeben. Ist das nicht furchtbar "pragmatisch " und "ideologiefrei": Peinlich ist nur, daß von was anderem als von imperialistischer Konkurrenz nie die Rede ist:

"Wer sich so, ideologiefrei und pragmatisch, einander nähert, dem werden selbst neidische Nachbarn oder hegemoniale Großmächte auf Dauer die freie Selbstbestimmung über ein nachbarliches oder gar konföderiertes Zusammenleben der beiden Deutschland nicht verwehren können."

"Die Gelegenheit ist noch günstiger..."

Der Kollege Herausgeber hat unter dem "Kommentar" seines Chefredakteurs ein wenig gelitten, genauer gesagt, seine treue deutsche Seele. Die besteht zunächst in einer Eitelkeit, dem Hauptcharaktermerkmal deutscher Intellektueller. Augstein möchte sich von Böhme "politisch unterscheiden", was man verstehen kann bei Gleichgesinnten, die auf ihre Person Wert legen:

"Zur Person: Erich Kuby" (auch eine Person) "hat mich kürzlich einen Nationalisten genannt, und das bin ich auch, wie Mitterand und Thatcher, um ganz hoch zu greifen. Lieber allerdings lasse ich mich als Patrioten bezeichnen, diesen Begriff habe ich in aller Subitilität vor 40 Jahren von Carlo Schmid geerbt. Damals schimpfte man mich 'Kommunist', weil ich als einer der ganz wenigen die Gebiete jenseits der Oder und Neiße auf immer abgeschrieben hatte."

Peinlich ist dem Mann weder die kindische Art der Selbstdarstellung, die er für eine "subtile" ironische Stilfigur hält, noch der lächerliche Gestus von Zuständigkeit in Sachen Grenzen. Auf beides kommt es ihm an - auf die ewige Besserwisserei, die ihn und sein Blatt so ungeheuer interessant machen, und auf den Fanatismus des Vorwegdenkens für alle nationalen Belange. Da wird er forsch - mit dem ganzen Mut und der Kühnheit seiner deutschnationalen Untertanengesinnung:

"Erich Böhme macht eine Rechnung auf, die dem Staatsoberhaupt von Weizsäcker und dem Außenminister Genscher erlaubt, ja vorgeschrieben sein mag: 'Europe first'. Aber auch das läßt sich nicht dekretieren. Wir haben es hier mit zwei, vielleicht nur scheinbar gegenläufigen, Bewegungen zu tun."

Von den politischen Vorschriften, an die sich Genschers oder Weizsäckers angeblich zu halten haben, was ja auch schon eine klitzekleine Lüge ist, läßt ein Augstein sich nicht beeindrucken. Er doch nicht, das Reisegepäck aller deutschen Kanzler, der Kritiker und Arschkriecher aller "Birnen" von Kohl bis Reagan! Und was hat er zu bieten, mehr als der Außenminister? Welche Optionen für Deutschland kann er, der Angeber der Nation, in die Waagschale werfen?

"Wir wissen nicht, was schwieriger zu bewältigen ist, die expandierende europäische Einigung - wo soll sie enden, am Ural etwa? - oder die Beendigung der bisherigen deutschen Geschichte mit einem Neuanfang... Bonn kannja Hauptstadt bleiben. Es ist auch gar nicht gesagt, daß Deutschland in seinen jetzigen militärischen Grenzen neutralisiert werden müßte; vielleicht ja, vielleicht nein... Kann sein, daß beides zusammen geht und einander bedingt; kann sein, kann aber auch nicht sein. Wir dürfen uns nicht im vomhinein auf etwas festlegen, was erst in unbekannter Gestalt auf uns zukommt."

"Kann sein, kann aber auch nicht sein, vielleicht ja, vielleicht nein" - das ist zunächst einmal der intellektuelle Gehalt des Durchblicks dieses stolzen nationalen Geistesriesen, für den das Recht der Nation auf Einheit und Größe so über alles erhaben ist, daß er über die Primitivform geistiger Tätigkeit - Prognosen zu schnitzen wie im Totoblock - fast vergißt, daß Ansprüche von Nationen durchgesetzt sein wollen. Bloß nichts anbrennen lassen, heißt seine mahnende Devise. Wenn "die Gelegenheit günstig ist", wie Kollege Böhme meint, dann darf man keine auslassen, denn im Unterschied zur Aufassung des proletarischen Konkurrenzblattes "Bild am Sonntag", das aufgrund seiner guten Beziehungen zu den Sternen klipp und klar für 1996 die Wiedervereinigung voraussagt, kann laut Augstein

"... niemand voraussagen, wie denn das künftige Deutschland aussehen solle. Erich Böhme jedenfalls würde es bei einem 'nachbarlichen oder konföderierten Zusammenleben' bewenden lassen".

Augstein nicht. Er hält diesen Weg der Annexion, der so tut, als plädiere er für ein zwischenstaatliches Auskommen von BRD und DDR, für eine unerträgliche Preisgabe des bundesdeutschen Rechtsanspruchs, den die "Generation nach Auschwitz", das israelische Vorbild vor Augen, nicht mehr bereit sei hinzuehmen. Warum soll für Berlin nicht dasselbe gelten wie für Jerusalem: "Zweigeteilt? Niemals!"

Ein schöner Vergleich, immerhin. Doch Augstein denkt weiter, "ehrlicher", wie das so üblich ist, wenn Nationalisten über die Berechnungen des konkurrierenden Auslands räsonieren. Da entdecken sie mit einem Mal imperialistische Absichten, die der eigenen Nation angeblich so fremd sind, und ihr - was für eine Dialektik! - als Rechte vorenthalten werden:

"Hier haben wir den Knackpunkt. Die USA sind stolz auf ihre Wirtschaftsmacht, ebenso Japan. Aber Deutschland, zerstückelt und verkürzt, soll seine Wirtschaftsmacht, tatsächlich dann die drittstärkste der Welt, nicht nutzen dürfen?"

Ideell hat der Mann die DDR schon längst eingesackt und Europa mit seinen östlichen Provinzen dazu. Das Unrecht, das andere "uns" jetzt antun, besteht nämlich schlicht und ergreifend darin, die Rechte einer künftigen - und wer will sie aufhalten! - europäischen Weltmacht zu bestreiten, die "Europa" heißt, aber Deutschland ist. Auch da wird der deutsche Wahn wieder mal ehrlich und spricht aus, was sonst nur Marxisten behaupten: Das "europäische Haus" ist auch für Augstein der Titel, unter dem der Kampf m Europa geführt wird, dessen Ergebnis überhaupt keine Frage und daher die gerechteste Sache der Welt ist: Diesmal sind "wir" dran, nach zwei vergeblichen Versuchen.

Das müssen sich vor allem mal die hoffnungslosen Konkurrenten der BRD, England und Frankreich, vom Herausgeber des "Spiegel" ins Stammbuch schreiben lassen. Die Warnung vorm "vierten Reich", vor der neuen "deutschen Gefahr" durchschaut der leicht als den blanken Neid zweier Nationen, die aus zwei gewonnenen Weltkriegen (gegen "uns") nichts Gescheites, schon gar nichts dem Verlierer dieser Waffengänge Ebenbürtiges zu machen wußten. Das spricht gegen sie und eindeutig für die BRD. Und erst recht für die friedlichen, unschuldigen, allen Menschen und Völkern dienenden machtvollen Interessen dieser einmaligen Nation:

"Sollen sich doch beide ein Beispiel an den Polen nehmen, denen übler mitgespielt worden ist als allen anderen zusammen! Sie wissen die deutsche Wirtschaftsmacht zu schätzen, sie wünschen sie sich geradezu herbei."

Was für eine originelle und beispielhafte Logik! Wenn selbst die Polen, die noch nie etwas zu lachen hatten unter unserer Fürsorge, jetzt und früher nicht, sich nach "deutscher Wirtschaftsmacht" sehnen, dann ist doch wohl eine gewisse Dankbarkeit und ein ordentlicher Respekt das mindeste, was man erwarten darf. Na klar, der Export deutscher Macht erfolgt nicht in Form von Raketen, Panzern und Divisionen, auch wenn ohne deren "abschreckende" Drohung im Rahmen der NATO die verheerende Wirkung des deutschen Kapitalexports womöglich nicht einmal die Polen zu diesem "Wunsch" beflügelt hätte. Und daß deren Rechnung aufgeht, glaubt nicht einmal der Augstein. Es geht ja auch um was anderes.

Der Beweis

Am 13. November fühlt sich der Herausgeber "nach allen Regeln der Kunst überrumpelt - von den Ereignissen". Das war natürlich stark übertrieben und sollte eher heißen, daß ein durchgedrehter Patriot seines Schlags, - einmal "Auf der Lauer, an die Mauer... " und der Phantasie keine Grenzen gesetzt - von nichts und niemandem mehr einzuholen ist. Symbolisch auch dadurch hervorgehoben, daß Kollege Böhme jetzt erst mal die Klappe hält!

Rechtzeitig zu den deutsch-deutschen Hysterie-Festspielen ist das Buch von Paul Kennedy erschienen: "Aufstieg und Fall der Weltmächte". Ist das eine Freude! Daß Europa, also Deutschland (es gibt schon längst nicht mehr zwei) im Recht ist, also Gerechtigkeit beanspruchen darf, ist nicht nur arschklar, sondern endgültig raus und erwiesen: Es ist ein Gesetz der Geschichte! Mit dieser kleinen Anleihe aus dem historisch-materialistischen Ideologieschatz des "verkommenen Kommunismus" (von wegen also: er hätte der "Zukunft nichts mehr zu sagen") schnitzt Augstein sein hoffnungsfrohes Weltbild. Und auch die Kollegen von "Bild" brauchen sich nichts mehr auf ihre Sternenkunde einzubilden: Der "Spiegel" hat seinen eigenen Sputnik, hat gleichgezogen und die Konkurrenz überholt. Es steht fest: "die beiden Supermächte nehmen ab wie der Mond - woran kaum noch jemand zweifelt"; vor allem Augstein nicht.

Die Logik ist wie immer von bestechender Brillanz. Karthago, einst Weltmacht - was ist geblieben! Venedig, einst Weltmacht - heute Tourismus. Spanien, Frankreich, die Niederlande und das britische Empire, einst Weltmächte - heute "Falkland", Ruud Gullit in Mailand, deutsche Autobahnen in Andalusien und la grande nation steht "ohne Basis" da: "Wer hätte 1890" (und 5000 v.Chr., 1784, 1492 und 1914 nicht zu vergessen!) "die Voraussage gewagt..." Ja, damals war eben der Augstein noch nicht der Herausgeber des "Spiegel", der uns heute sagt, was unausweichlich auf uns zukommt:

"Die beiden deutschen Staaten, wie auch immer vereinigt, werden die stärkste Wirtschaftsmacht der EG sein. Sie werden sich nicht daran hindern lassen, ihren östlichen Landesteil mittels des verruchten, derzeit ja auch tatsächlich verkommenden, Kapitalismus zu kolonisieren, solange dazu noch Zeit ist. Das würde schon mal fünf Jahre dauern. Mit geballter Kraft werden sie dann den demokratischen Staaten des Ostens helfen. Und Wirtschaftsmacht bedeutet immer auch politische Macht. Dies ist unsere Aufgabe jetzt."

Das ist es: das Projekt eines nationalistisch verseuchten Hirns, das seine großdeutschen Phantasien allen Ernstes wie eine bombensichere Wettervorhersage vorträgt. Der Maßstab heißt WeLtmacht und bezieht seine Selbstgewißheit zunächst bloß aus dem Wunschdenken, die beiden "Supermächte" hätten im Grunde schon längst abgedankt. Die Arroganz und Selbstgerechtigkeit ist eindeutig westlicher Herkunft: Wir werden euch helfen! heißt die Parole, die Lüge und Drohung zugleich ist. Erfunden hat das der "Spiegel" nicht; aber blindgläubige Untertanen können ihren Herren so manches von den Lippen ablesen. Fragt sich nur eins: Das alles bloß deswegen, damit

"die Betroffenen... meine Kinder sich einst ohne Paß und ohne Personalausweis in Berlin frei bewegen können"?

Der Mann tickt ja wohl nicht richtig. Aber wenn's schon so ist, wenigstens für subtile Patrioten, daß um Deutschland als künftige Supermacht keiner mehr herumkommt; wenn das schon den Unterhaltungswert des "Spiegel", wenigstens für alle kritischen Intellektuellen im Lande ausmacht: "Wir" sind jetzt einfach dran! dann darfdoch auch ein Augstein endlich Klartext reden und

Sagen, was ist

"Polen ist am meisten Unrecht getan worden, aber schließlich sitzt es unbedroht in ehemals deutschen Gebieten. Die Rechnung, daß alle, außer den Deutschen, ihre Interessen wahrnehmen dürfen, wird nicht aufgehen."

Es ist schon sehr lustig, wie hier Vergangenheitsbewältigung buchstabiert wird. Die alten, erzdemokratischen und verständnisinnigen Erklärungen für die Machtergreifung Hitlers nebenbei: auch dessen eigene Parolen! - kommen wieder zu Ehren: Damals, da war eben noch manche Rechnung offen geblieben und die alten Siegermächte haben uns nicht gelassen... Heute fällt dem Mann dasselbe ein, vorwärtsgerichtet und in siegesgewisser Aufbruchstimmung:

"Der Oststaat kann gar keiner werden, wenn die vier Alliierten in Berlin bleiben. Sind sie aber erst einmal weg,... gibt es für die übriggebliebenen Deutschen nicht den mindesten Grund, sich nicht zusammenzuschließen... Mag sein, daß der Schlüssel im Kreml liegt... Mag sein, aber das wird einmal anders. Dann wird niemand die Deutschen in Ost und West hindern, ihre Interessen wahrzunehmen."

Worin die bestehen, hat er freundlicherweise schon gesagt: Kolonisierung Osteuropas, der Westen gehört ohnehin uns: "Und Wirtschaftsmacht bedeutet immer auch politische Macht. Dies ist unsere politische Aufgabe jetzt." Nur in einem gibt er sich im Gestus noch moderat, in der ideologischen Schönfärberei des Programms, die nicht zufällig in lauter Dementis besteht. Aber vielleicht wird ja auch das, wie so vieles heute - nicht wahr, Herr Augstein? - "irgendwann anders":

"So nationalistisch wie die vier Alliierten und Japan und sogar Italien sind wir immer noch nicht und werden es auch als Euro-Wirtschaftsmacht nicht sein. Uns hat man den Chauvinismus gründlich ausgetrieben. Wir wollen keine kriegerischen und keine friedlichen Eroberungen mehr... Was wir ebensowenig wollen, ist: ostentative Underdog-Behandlung 45 Jahre nach dem Ende des Krieges."

Das kann ja noch heiter werden, wenn das die Töne von "Underdogs" sind.