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FRANZÖSISCHE REVOLUTION IM SPIEGEL DES "SPIEGEL"
<blockquote><p>"Diese Psychologen hängen sich dann vomehmlich auch an die Betrachtung von den Partikularitäten der großen historischen Figuren, welche ihnen als Privatpersonen zukommen. Der Mensch muß essen und trinken, steht in Beziehung zu Freunden und Bekannten, hat Empfindungen und Aufwallungen des Augenblicks. Für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden, ist ein bekanntes Sprichwort; ich habe hinzugesetzt, nicht aber darum, weil dieser kein Held, sondern weil jener der Kammerdiener ist. Dieser zieht dem Helden die Stiefel aus, hilft ihm zu Bette, weiß, daß er lieber Champagner trinkt usf. - Die geschichtlichen Personen, von solchen psychologischen Kammerdienern in der Geschichtsschreibung bedient, kommen schlecht weg; sie werden von diesen ihren Kammerdienern nivelliert, auf gleiche Linie oder vielmehr ein paar Stufen unter die Moralität solcher feinen Menschenkenner gestellt." (Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 48)</p>
</blockquote>
Gerade rechtzeitig zum 200sten Jubelfest der Französischen Revolution ist auch Rudolf Augstein mit einer Spiegel-Serie eingestiegen. So lange ist das schon her, meint er, daß wir uns heute schwer fragen müssen, ob das alles noch für uns "bemerkenswert" ist. "Vermittelt sie uns noch Impulse?" Oder hat sich der "Mythos der Revolution" nicht gar "spurlos verflüchtigt?" Grund genug für Augstein, dem intellektuellen Geschichtsbild kräftig auf die Sprünge zu helfen,
Der Punkt, der Augstein am meisten zu interessieren scheint, ist,
Die historischen Figuren als Menschen
wiederzuentdecken, die die Probleme mit der Macht umtreiben. Er schildert die Größen der Französischen Revolution ganz pvivatissimo. Um laut Augstein hinter das "Eigentliche" der Französischen Revolution zu steigen, muß die Macht hinter verschlossenen Türen belauscht, müssen Intimitäten in Erfahrung gebracht werden, von denen keiner bislang etwas wissen konnte. Das Interesse an den Personen verdankt sich dabei einzig dem Umstand, daß sie in irgendeiner Weise Machthaber der damaligen Zeit waren. Er besichtigt sie also als Menschen, weil sie Herrscher waren. So (und nur so) gewinnen alle privaten Verhältnisse, in denen diese verflossenen Führer sich umgetrieben haben mögen, ihre Bedeutung. Augstein eröffnet dem geneigten Publikum lauter aufschlußreiche Neuigkeiten, deckt Abgründe dieser Menschen auf und gibt damit kund, daß er sich unter deren Bettüchern außerordentlich gut auskennt.
Der Begriff dieser Sorte von Enthüllungen ist der "Tratsch" seine Verlaufsform ist die Geschwätzigkeit. Das taugt zur Erbauung eines einfachen Gemütes, welches seine Herren gut kennt und sie mit seinen Kenntnissen ins Abseits stellt.
Vom König: "Er konnte diesen Fehler, da er nicht autoritär war und sein Amt recht passiv auffaßte, auch gar nicht vermeiden. Seine Passion war die Jagd, bis zu neun Stunden hinter dem Hirsch her und ihn selbst noch ausweiden. Im Ehebett hatte er dagegen seine Schwierigkeiten."
...über Robespierre: "...am Ende von seiner Messiasrolle überwältigt." "Sein Fehler scheint eine Mischung aus Eitelkeit, Selbstgerechtigkeit und höherer Sendung; vielleicht war er auch noch nachtragend."
...Saint Just: "...mit seinen schaukelnden Ohrringen." "In der Theorie ein spinnerter Utopist, im Aussehen ein Stutzer."
...bis zum Kaiser Napoleon: "Er geht auf Zehen spitzen. Er trägt zu hohe Absätze. Er tanzt die Fußspitzen nach innen, statt nach außen gekehrt, tanzt sogar Walzer. Er zertrampelt seinen Hut vor fremden Gesandten. Er spricht kein korrektes Französisch."
Ein König mit Potenzproblemen hat natürlich jeden Respekt verwirkt, ebenso wie ein Kaiser, der damals nachweislich schlechter französisch gesprochen hat, als heute ein hanseatischer Zeitungszar.
Das liebevolle Hinterherhecheln, die peinlichst genauen Recherchen erzeugen den Schein einer intimen Bekanntschaft mit Leuten, die dereinst Geschichte gemacht haben und denen man sich jetzt quasi von Mensch z u Mensch nähert. Unermeßlich gebildet wie Augstein nun mal ist, kennt er sich im chambre separee der damaligen Oberliga ganz genau aus und erspart so dem Leser jede halbwegs rationelle Unterscheidung in wichtig und unwichtig. Zwar trägt die Kenntnisnahme von ohrringtragenden Jakobinern nichts zur Erkenntnis über die Französische Revolution bei, wohl aber zu dem geschmäcklerischen Urteil, daß sich damals irgendwie anrüchige Figuren die allerhöchsten Regierungsämter angemaßt hätten. Die historischen Figuren erscheinen als Ensemble von Unfähigkeit, Amoral und Lächerlichkeit. Wer auf solche Enthüllungen Wert legt, ist nur auf die sehr aparte Auskunft scharf, ob die damaligen Sachwalter der Staatsgewalt auch die persönliche Befähigung und Würde für ihr schweres Amt mitgebracht haben, um dann den Herrschern und sonstigen Figuren genüßlich die entscheidende Zensur erteilen zu können: guter Führer - schlechter Führer. Erbaulich und interessant sind dergleichen Sittenbilder allerdings nur für den, der sich gewohnheitsmäßig darauf versteht, vom Standpunkt des gelungenen Regierens aus zu denken und bei Politikern die schwerste Verantwortung und Amtsbürde am Werke zu sehen, der sie qua Anstand und Befähigung unbedingt gewachsen sein müssen.
Eigentlich wäre da nur das Beste gut genug, aber leider wird Augsteins sensibles Stilempfinden immer von schlechter Amtsführung gekränkt. Regieren ja, aber bitte mit Geist! Staatskrisen rühren aus schlechter Besetzung der Charakterrollen! Und weil es fürs Regierungsgeschäft schon damals in Wirklichkeit noch nicht einmal Augsteins de-luxe-Ausgabe intellektueller Fähigkeiten gebraucht hat, geht ihm der Stoff für Verrisse nicht aus.
Aus diesem Verfahren entstehen rasend interessante Charakterstudien, die nichts anderes enthalten, als den demokratischen Fehlschluß vom Erfolg oder Mißerfolg einer wichtigen Person - gemessen an ihren eigenen Maßstäben - auf deren Persönlichkeit. Fragen üher Fragen werden gestellt, die alle selbst schon Antworten sind:
"Am 11. Juli 1789 leitet der König den Depeschenrat recht ängstlich, denn er tarnte seine Geistesverfassung mit mehr Schläfrigkeit als sonst. Ob er geschnarcht hat? Das ist nicht überliefert."
Auch damals schon hat also eine "Birne" versucht, drängende Staatsprobleme einfach "auszusitzen". Mit der Charakterisierung des Königs als Anti-Staatsmann, der an seiner "eigenen Inkompetenz erstickt", vermeint Augstein einiges, wenn nicht gar alles über den Ausbruch der Revolution gesagt zu haben. Menschenkenner, der er ist, macht er die Bestimmtheit der vergangenen Politik ausfindig und zwar ausgerechnet ganz außerhalb des Bereichs politischer Gegebenheiten. In der Persönlichkeit und Intimsphäre damaliger Monarchen und Revolutionäre, in ihrem Unvermögen, sich als aufrechte Diener ihres Staates zu bewähren, liegt der Grund dafür, was Besagte politisch ins Werk gesetzt haben. Entsprechend der Augsteinschen Fassung eines Herrschers - eben als Ausdruck eines ihm wahrlich gut bekannten Charakters - fallen seine politischen Taten ins Private und sind demnach allesamt einer persönlichen Verkorkstheit geschuldet.
Wie der Herr, so's Gscherr!
Der immergleiche Schluß, daß damals eigentlich Unwürdige die Bürde der Macht getragen und mißbraucht haben, erbringt den schlagenden Beweis, daß aus der ganzen Französischen Revolution nichts Rechtes werden konnte. Augstein ist ein strenger Richter: Wo ein "zerfressender Charakter" wie Mirabeau oder der korrupte Danton, dem "man jeden Stellungswechsel zutrauen kann, sogar ohne Bestechung", mitten in der Führungsmannschaft ausfindig zu machen sind, braucht man sich nicht zu wundern, daß "Beutegesinnung über die Idee siegt."
Nun würde es sich Augstein selbst zwar auch schwer verbitten, wollte jemand z.B. die Bedeutung des "Spiegels" für die bundesdeutsche Geisteslandschaft daran messen, daß dessen Herausgeber dereinst auf einem italienischen Flughafen mit Rauschgift in der Tasche erwischt worden ist. Von ziemlich der gleichen Qualität des Urteilens lebt allerdings seine Serie. Mit der Kunst der üblen Nachrede wird den historischen Ereignissen eine miese Seite verpaßt.
Die Folgen dieser schlechten Führung könnten gar nicht gravierender ausfallen. Natürlich weiß der Augstein, wie jeder Andere auch, daß die Französische Revolution, im Unterschied zu der sonst ach so harmonisch abgelaufenen Geschichte, ein ziemliches Gemetzel zustandegebracht hat. Mitten hinein taucht er genüßlich seine Publizistennase:
"Wer wurde nicht alles unter dem Gejohle der Menge zur Hinrichtung gebracht, ohne daß Rohespierre und Saint-Just ihren Segen gegeben hätten?... Da gibt es zwei Herzoginnen de Brion im Gefängnis. Eine steht nur auf der Liste. Der Ankläger läßt beide vorführen und hinrichten. Weiß Robespierre das alles nicht?"
So eine Schlamperei: die Falschen geköpft und das noch nicht mal auf Befehl von Oben. Ohnmächtig stehen die Mächtigen vor dem "Rad der Schreckensherrschaft" und ergehen sich lieber geknickt und in einem "Zustand von Überdruß" in den "Wäldern von Ville d'Avray", statt für einen humanitären Strafvollzug zu sorgen. Augstein kann das alles gar nicht fassen, und weil die Liste der Fehlurteile gar so lang ist, widmet er ihnen ein ganzes Kapitel seiner Serie.
Mit diesem subtilen Hintergrundwissen ausgestattet, verschafft man sich eine eingebildete Überlegenheit über den Lauf der Dinge, dessen banale, fatale und durch und durch unfähige Innenseite man kennt.
Guter Rat für schlechte Führer
Für die methodische Absicht, den Regierenden und sonstwie wichtigen Leuten dünkelhaft am Zeug zu flicken, trifft es sich gut, daß man den Ausgang der Geschichte schon kennt. Auf charakterlich bedingten Mißerfolgen damaliger Herrschaft läßt sich desto schöner herumreiten, wenn man den Geschichtsgrößen das Datum ihres Untergangs süffisant gleich hinter den Namen klebt ("guillotiniert 1792"). Wer sich nicht durchgesetzt hat, war auch keine zu wahrer Führung befähigte Person.
Im sichern Bewußtsein des üblen Endes wird der Macht besserwisserisch zur Seite gestanden:
"Was immer Napoleon jetzt noch vermochte, es würde ihm nichts nützen. Hätte er sich mit den natürlichen Grenzen begnügen sollen, die man ihm 1813 von Frankfurt aus bot? Jeder vernünftige Mensch hätte angenommen."
Aber er war ja nicht vernünftig, wie wir alle schon längst wissen, sondern nur der "Säbel der Revolution", den "nur ein außerordentlicher Unglücksfall" Frankreich beschert hatte. Wieder einmal muß Augstein zerknirscht bis hämisch feststellen: "...in solchen Fällen siegt nicht der Intellekt." Den Titel wahrer staatsmännischer Größe mag der kritische Augstein einem Feldherren, der (wie ein jeder weiß) nur allzubald sein "Waterloo" erleben wird, eben nicht verleihen.
Umgekehrt relativiert die Verehrung der Macht die süffisante Verachtung der Macher. Eine Person wird ja nur interessant wegen der Macht, die sie ausübt und ist demnach so wichtig wie ihr Einfluß. Mit den Erfolgen wächst der Respekt. So erschleicht sich Robespierre glatt ganze zwei Folgen lang die Augsteinsche Gunstbezeugung, "wahrlich ein Staatsmann von Format" zu sein. Dann aber holt des Schicksals Häme ihn doch noch ein ("guillotiniert 1794").
Das Fazit
Was hat uns die Französische Revolution also noch groß zu sagen?
"Frage: Ist das von der Französischen Revolution ausgehende Trauma des Schreckens und der schöpferischen Gewalt heute noch unser Thema: Man wird das bezweifeln, man wird nein sagen dürfen. Fiat"
Ein wahrlich großes Resümee. Acht Folgen lang wird ein "Mythos", den sowieso kein heutiger aufrechter Demokrat mehr teilt, entthront und seiner inneren Würdelosigkeit überführt. Die "schöpferische Gewalt" von damals nimmt sich erbärmlich aus gegen die gesicherte Gewalt demokratischer Machtvollkommenheit heute und ist deshalb gerechtermaßen "kein Thema". Das ist nun allerdings der Gipfel der Dreistigkeit. Schier endlos hat Augstein als Feinschmecker der Macht eine ganze Spiegel-Serie über das verflossene Jahrhundertereignis vollgeschmiert; hat Stories aufgetischt, an denen gemessen die Astrologie eine exakte Wissenschaft ist, um dann, nach vollbrachter Tat, zu dem Bausch-und-Bogen-Urteil zu gelangen, daß der Gegenstand, dem sich gerade so intim gewidmet wurde, ziemlich uninteressant und überflüssig ist. Für diese großartige Information hat er also acht Folgen lang die Menschheit belästigt und für jede Spiegel-Nummer DM 4.30 kassiert.
Andererseits: Ganz so unrecht hat er damit auch wieder nicht. Die Tiefblicke, die Augstein anzubieten hat, sind in der Tat überflüssig wie ein Kropf!