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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1989 erschienen.

Systematik

Jörg Haider
DIE ERFOLGSMASCHE EINES NATIONALBEWUSSTEN ÖSTERREICHERS

Jörg Haider, der schicke und "populistische" österreichische FPÖ-Chef, hat sein Markenzeichen, den "langen blitzblauen Schal" (Spiegel), erst mal abgelegt und ist in die angesehene Rolle des Landeshauptmanns von Kärnten geschlüpft. Angetreten, in Österreichs Politik "die Karten neu zu mischen" und die "Altparteien" das Fürchten zu lehren, hat das politische Wunderkind aus dem Nachbarland einen neuen Erfolg vorzuzeigen: Durch "ungustiöse Packelei" (österreichisch für: geschmackloser Zusammenschluß) mit der ÖVP, was er bislang heftigst kritisierte, darf er nun an der Spitze eines Bundeslandes echte Politik machen und nicht immer nur kritisieren und laute Töne anschlagen - womit er seine Karriere begründet hat.

In der Bundesrepuhlik hat der "blaue Jörg" (noch) ein schlechtes Image, auch wenn ih die Bonner FDP-Führung schon ihre Reverenz erwiesen und ihn zu sich eingeladen hat. Unsere Presseorgane entdecken an ihm einen "Hang zu radikalen Sprüchen" oder "politische Kraftmeierei", wie z.B., daß er 1986 die Führung der FPÖ "an sich riß" und überhaupt nicht zimperlich mit innerparteilichen Konkurrenten umgeht. Außerdem soll ihm die im Kapitalismus ansonsten honorige Tatsache, "dank eines Erbonkels finanziell unabhängig" zu sein, zum Nachteil gereichen. Besonders verdächtig: Der "Populist" Haider "spricht ebenso Jungwähler an wie ältere Frauen". Daß es sich hier alles in allem um genuin demokratische Eigenschaften eines "Vollblutpolitikers" handelt, bleibt journalistischen Begutachtern der politischen Szene im Nachbarland andererseits auch nicht verborgen. Immerhin konnte z.B. der "Spiegel" schon 1986 seine Bewunderung für den Politiker Haider nicht verhehlen:

"Wohl am ehesten läßt sich Haider als hochqualifizierte Neuerscheinung des Politikers der alten Art begreifen - ein Volksredner und Sprücheklopfer, ein bedenkenloser Opportunist, schneller Denker und wendiger Taktiker." (Spiegel, 49/86)

Erfolg Nr. 1: Parteiführung erobert und den Altparteien Zunder gegeben

Jahrzehntelang war der österreichischen FPÖ die demokratische Ehrenrolle des Mehrheitsbeschaffers und "Züngleins an der Waage" verwehrt. Gegründet worden war sie ursprünglich als Protestverein gegen den Ungerechtigkeitsskandal, daß bewährten Nationalsozialisten und Österreichern nicht gleich wieder Zugang zu den Staatsstellen der jungen Demokratie gewährt worden war. Behaftet mit dem Ruch der "Ewiggestrigen" hat diese Partei bis zu dem Zeitpunkt ein politisches und parlamentarisches Mickerdasein geführt, als die regierenden Sozialdemokraten auf einen Koalitionspartner angewiesen waren. In die Regierung eingetreten, waren die FPÖ'ler nun auch nichts anderes als ein Part in dem österreichischen Nationalspiel Proporz, d.h. der einvernehmlichen Machtverteilung zwischen SPÖ und ÖVP im ganzen Lande, an dem sich auch nichts geändert hatte, als die ÖVP 1970 die oberste Macht in Wien an die österreichische Brandt-Ausgabe Kreisky abgeben mußte.

Ein zu allem, d.h. zur Macht, entschlossener "Nachwuchspolitiker" wie Haider entdeckte darin seine Chance: Erst profilierte er sich innerhalb der Partei gegen diese unwürdige Verfilzung mit den Regierungsträgern, bis zur Übernahme der Parteispitze eben und der Entfernung politisch "Andersdenkender". Schon damit ausgewiesen als demokratischen Erfolgstyp, konnte er so richtig loslegen, als die SPÖ auf nationaler Ebene eine große Koalition mit der ÖVP einging. Haider besetzte eine Rolle, die in der österreichischen Politik noch nicht vergeben war: die des unverbrauchten oppositionellen Saubermanns, der aufrecht gegen die Skandalrepublik der Altparteien antritt. Worüber sich 40 Jahre lang keiner so recht aufregen wollte, weil so die demokratisch legitimierte Macht konstruiert war, kommt nun Haider zugute, weil er als schonungsloser Ankläger auftritt. Und da er bzw. seine FPÖ nie so recht beteiligt waren und SPÖ/ÖVP selber nationale Verzichtskampagnen für das österreichische Volk in Umlauf gebracht haben - "nur so" könne sich die rotweißrote Ökonomie in einem von der EG dominierten Europa behaupten -, ist dieser "Populist" nun in der glücklichen Lage, die nicht von ihm in die Welt gesetzten Standards von persönlichem Verzicht und nationaler Größe als seine Maßstäbe erfolgreich an den Mann zu bringen.

Warum das so glatt geht?

"Es gibt halt Österreicher, die ein gutes Gespür haben für das, was in der Politik nicht nur erfolgreich ist, sondern auch anständig." (Haider, Spiegel-Interview, 10/89)

Erfolg Nr. 2: Nationaler Guru zur rechten Zeit

Gesellschaftskritik im Namen eines gebeutelten Staatsbürgermaterialismus

Was "traut" er sich denn nun wirklich, der Jörg? Haider leiht seine Stimme der überwiegenden Mehrheit der Bürger, die mit den Einkommensresultaten ihrer Arbeit unzufrieden sind. Als Grund dieses Mißstandes weiß er folgendes anzugeben:

"Auch ist die Sozialpartnerschaft gar nicht so sozial, wie sie vom Namen her sein sollte, denn wenn die Sozialpartnerschaft irgendwo versagt hat, dann sicherlich in der Lohn- und Steuerpolitik, denn die Chancen einer echten Steuerreform für die Arbeitnehmer wurden nicht ergriffen, den Tüchtigen bestraft man..." (Haider)

"Leistung wird heute diskriminiert." (Haider, Villacher Parteitag)

So unsinnig diese Erklärung des ökonomischen Schadens der Bürger ist, so hilfreich ist sie zur Gewinnung der politischen Perspektive, niedrige Lohnrunden und hohe Steuervorschreibungen ausgerechnet für die Fortsetzung von Lohn- und Steuerpolitik unter der Ägide des freiheitlichen Dynamos sprechen zu lassen. Daß der Lebensunterhalt Lohnabhängiger als möglichst gering zu haltende Kost des Betriebs bilanziert wird und das Finanzamt auch noch die Kosten der Herrschaft von ihnen einfordert - diese Gründe für die ungemütlichen Reproduktionsbedingungen verfabelt Haider in das Angebot an alle Fleißigen, Tüchtigen und Leistungswilligen: Die Interessen von Unternehmen, Finanzbehörde und Lohnabhängigen ließen sich wunderbar vereinbaren, wenn nicht die Sozialpartner ständig Ungerechtigkeiten ausmauschelten.

Als gestandener Oppositionspolitiker benutzt Haider die Resultate demokratischer Herrschaft für seine Wahlerfolge, indem er die Hoffnung aller unzufriedenen Staatsbürger bestätigt, wonach die Klassengesellschaft unter einer verantwortungsvollen Führung für jeden anständigen Bürger letztlich doch eine lohnende Angelegenheit wäre.

Ein Bekenntnis zur Klassengesellschaft im Namen der Geschädigten: "Leistung soll sich wieder lohnen"

Insofern macht sich Haider für die Ideologie der Klassengesellschaft stark, die sich selbst gerne "Leistungsgesellschaft" tituliert. Die Dienstleistung für Wirtschaft und Nation soll sich demnach

"für den Staatsbürger, für den normalen Arbeiter, für den normalen Angestellten, der brav seine Steuer zahlt und tagtäglich seiner Pflicht nachgeht" ( Villacher Parteitag),

auszahlen. Gegen diese Abhängigkeit hat Haider gar nichts einzuwenden. Vielmehr beruft er sich mit seinem Lob des anständigen Bürgers darauf, um aus dem Dienst für Wirtschaft und Nation ein Recht auf Verdienst abzuleiten. Er sieht sich als Anwalt der arbeitenden Bevölkerung, jener

"fleißigen, tüchtigen und anständige Bürger in diesem Land, die sich anstrengen, die nicht ständig die Hand beim Staat aufhalten, die nicht alle Sozialleistungen haben wollen, aber die jedenfalls für ihre Leistungen und für ihren Einsatz eine entsprechende Anerkennung haben wollen." (Villacher Paiteitag)

Haiders Vorschlag lautet nicht, die fleißigen Produzenten sollten den von ihnen erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum künftig auch in vollen Zügen genießen dürfen; dafür bräuchte es wirklich keinen Bundeskanzler Haider, der den "Einsatz" mit einer "entsprechenden Anerkennung" zu vergelten verspricht. Vielmehr soll die souveräne Staatsgewalt die per Gesetz und Schutz des Privateigentums die besitzlose Bürger auf den Dienst für "unsere" Wirtschaft verpflichtet, sich zudem dem noblen Zweck verschreiben, die willigen Untertanen für ihre Dienst zu loben sowie dafür, daß sie der Sozialstaat so wenig auf der Tasche liegen. Haider entwirft eine Hierarchie der Leistungsbereitschaft, wobei mit dem Grad des nationalen Dienstes das Recht auf Entschädigung steigen sollte.

"Die Familienbesteuerung hat man überhaupt ausgeklammert, und es ist noch heute so, daß ein Familienvater, der 15.000 Schilling im Monat verdient, mehr Steuern bezahlt als ein lediges Paar, das zusammen 15.000 Schilling verdient. Das ist doch ein Skandal in einem Land, wo jemand in seiner Familie Verantwortung bereit ist zu übernehmen, hier bedarf es einer wirklichen Veränderung." (Villacher Parteitag)

Gleichgültig, ob Haider aus diesem Vergleich den Schluß zieht, dem Familienvater künftig ein paar Hunderter Steuern zu erlassen, oder ob der Gerechtigkeit dadurch Genüge getan wird, daß das Pärchen künftig mehr Steuern berappen muß - die anvisierte "Veränderung" soll gar nicht der Aufhebung der ungemütlichen familiären Armut, sondern ihrer Belohnung dienen. Dem geplagten Familienvater widerfährt Gerechtigkeit, indem die anderen mindestens genauso wie er bluten müssen oder vielleicht noch mehr.

Von wegen, Haider verspreche den Wählern "das Blaue vom Himmel"! Er (v)erklärt Familienväter, Bauern, Arbeiter, Unternehmer zu lauter leistungsgeilen Verantwortungsträgern und Erfolgstypen - deren Initiativen nur leider nicht entsprechend belohnt und deren berechtigte Erfolge durch staatliche Machenschaften be- und verhindert werden. So bestätigt er jedem zu kurz gekommenen Interesse, daß es mit seinen Bemühungen goldrichtig liegt - und gibt ihm in seiner Unzufriedenheit gleich noch einmal darin recht, daß seine Anstrengungen eigentlich einen besseren Lohn verdienten. Bloß so Haiders Diagnose: Die derzeitigen Inhaber der Staatsmacht verfälschen, fahrlässig oder gar vorsätzlich, stets die an sich rundum zufriedenstellenden - weil gerechten - Resultate der einschlägigen Privatinitiativen. Ein Jörg Haider an der Spitze der Politik hingegen - und das ist schon das ganze "Versprechen"! würde seine ganze Macht darauf verwenden, dem quasi natürlichen Verhältnis von Einsatz und Ertrag endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Insofern besteht Haiders "Volksverführung" in einem sehr ideellen Lohn: Haider widmet sein ganzes oppositionelles Engagement dem Aufdecken von Bonzenwirtschaft und Parasitentum und verspricht dem "fleißigen, anständigen Bürger" vor allem eines: Sein Dienst für Wirtschaft und Nation verdient sich eine politische Ordnung von mindestens ebensolcher Anständigkeit.

Wodurch sich Leistung wieder lohnen soll: Schuldsprüche gegen Bonzen, Nehmer und Parasiten

Haider will ausgemacht haben, warum die Gleichung von Dienst und Verdienst für die Betroffenen nie aufgeht. Da gibt es jede Menge "Bonzenwirtschaft", eine "Nehmer" statt einer "Arbeitnehmerpartei" und

"Sozialversicherungen... mit einer Sauna für jedes Vorstandsbüro, damit die Direktoren irgendwann einmal in ihrem Leben ins Schwitzen kommen, wenn sie schon beim Arbeiten keine Schweißausbrüche haben" (Wahlkampfrede).

Nicht die Ämter stören den freiheitlichen Sittenwächter, sondern ihr Mißbrauch das eingebildete und wirkliche high-life der Funktionäre trägt die Schuld an den miesen Einkommens- und Lebensverhältnissen der Leute, nicht etwa die Zwänge von Kapital und sozialstaatlicher Verwaltung der Armut. Andrerseits will Haider nicht einfach versprechen, daß es einem mit garantiert sauberen Politikern und bienenfleißigen Sozialstaatsfunktionären besser ginge..

"Denn in der Regel muß ein Arbeitnehmer lange Zeit hart arbeiten, damit es ihm eine kurze Zeit gutgeht. Die Sozialstaatsfunktionäre, denen geht es immer gut, auch wenn sie ihr Leben lang nie arbeiten müssen, und ich meine, daß die Umkehr der Werte in die falsche Richtung geführt hat." (Villacher Parteitag)

Also lautet die Haidersche Kampfansage gegen die Werteumkehr: Dem Arbeitnehmer sollen die Härten seiner Existenz durch ebenso fleißige Funktionäre versüßt werden, die keine unnützen Ausgaben tätigen und sich nicht arrogant aufführen. Demütige statt übermütige Politiker, die in der Abwicklung der Herrschaft ihren Bürgern die Würde und Anerkennung entgegenbringen, die sie sich in ihrem aufopfernden Einsatz verdient haben - so brav sind die Versprechen des "frechen Opportunisten", die im Grunde nur einen Inhalt haben: Haider verspricht den Bürgern Politiker, die sich so verhalten, daß man ungeachtet der Kosten demokratischer Herrschaft nie den Glauben in sie verlieren muß.

Auch an der Basis hat Haider Schädlinge ausfindig gemacht. Wenn der FPÖ-Frontmann die Parole ausgibt:

"Alles für die sozial Schwachen, nichts für die Sozialschmarotzer! Alle Hilfe für die Pechvögel, nichts für die unsolidarischen Zugvögel! Alles für fleißige Arbeitnehmer, nichts für faule Arbeitsverweigerer! Alles für unverschuldet Arbeitslose, nichts für bewußt Arbeitsunwillige." (Villacher Parteitag),

dann "entlarvt" er sich allerdings mitnichten als "Feind des Sozialstaates". Vielmehr bekennt er sich zu genau dem Grundsatz, wie mit dem von "unserer" Wirtschaft überflüssig gemachten Menschenmaterial sozialstaatlich umgesprungen wird. Den Sozialpolitiker hat es noch nicht gegeben, der sich für die Finanzierung von "Sozialschmarotzern" und "faulen Arbeitsverweigerern" ausgesprochen hätte.

Die Haidersche Sozialstaatskritik besteht einfach darin, daß er das sozialstaatliche Sortierungsprinzip aufnimmt und daran die Sozialstaatspraxis als unzureichend blamiert. Glaubwürdigkeit wird seiner Position durch die Regierungsparteien verliehen, die ihre jeweiligen Sozialstaatskürzungen selber als Kampf gegen falsche Nutznießer des "sozialen Netzes" verkaufen. Der solcherart ausgegebene prinzipielle Verdacht gegen Arbeitslose als ungerechtfertigte "Nehmer" wird von den Bürgern immer auch gegen die Zuständigen in Anschlag gebracht, die solche ungerechtfertgten Nutznießer überhaupt erst ermöglichten. Insofern ist Haiders Erfolg mit seiner Kampfansage gegen "Sozialschmarotzer" ein Produkt der Sozialstaatslogik. In der Demokratie feiert das faschistische Urteil: "Nur wer arbeitet, soll auch zu essen haben" muntere Konjunktur. Wenn ohnehin allerorts über den untragbaren Anstieg der "Soziallasten" geklagt wird, dann fordert ein Staatsbürger von seiner Herrschaft ein radikaleres Durchgreifen, wobei den "unschuldigen Pechvögeln" daraus garantiert mehr Schaden erwächst, als ihnen ein "Sozialparasit" je anzutun vermag.

Wie deutsch darf ein Österreicher sein?

Jörg Haider verfügt über ein politisches Markenzeichen, das die FPÖ von allen anderen Parteien unterscheidet und ihrem Obmann den Faischismusverdacht eingetragen hat: Haider beansprucht das Recht, sich als Deutschösterreicher zu deklarieren.

Dieses Bedürfnis ist keineswegs außergewöhnlich. Kein Patriot begnügt sich damit, per Gehurtsurkunde und Staatsbürgerschaftsnachweis einer Staatsgewalt anzugehören, sich ihren Gesetzen zu unterwerfen und danach zu handeln. Der jeweilige politische Bezirk, die Landsmannschaft, Sprache, Tradition und Kultur - alles wird zu der Staatsgewalt übergeordneten Identitäten (v)erklärt und die politische Herrschaft mit dem Auftrag versehen, diesen völkischen, kulturellen, auf jeden Fall zutiefst natürlichen Gemeinsamkeiten zu ihrem staatlichen Dasein zu verhelfen. Patriotismus ist das Verlangen, sich die Zugehörigkeit zur staatlichen Zwangsgemeinschaft getrennt von allen ökonomischen und staatlichen Zwecken als eine unabdingbare Notwendigkeit vorzustellen, die sich aus der Natur der Unterworfenen herleiten soll. So wird, angefangen von der Wohngegend über die diversen politischen Verwaltungseinheiten, aus der Staatsbürgerschaft eine vollständige Identität gestrickt. Genau an diesem durchgesetzten Heimatgefühl knüpft Haider mit Seinem Bekenntnis zur "deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft" an.

"Es muß doch möglich sein, daß man ein guter Österreicher ist, wenn man sich gleichzeitig zu seiner deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft bekennt. Das darf doch nicht verboten sein." (Villacher Parteitag)

Ist es auch nicht. In Österreich denken wahrscheinlich dreimal soviel als die, die Haider wählen, daß sie etwas Deutsches an sich haben. Andererseits sind sie jetzt aber Österreicher, die als solche auch manche unangenehme Erfahrung mit dem wirklichen Deutschland machen. Die Bewertung geschichtlichen Rechts bzw. Unrechts in Sachen Anschluß bzw. Mitwirkung am Faschismus bringt die Konstruktion eines österreichischen Selbstbewußtseins noch mehr durcheinander. Zumal unter Heranziehung der Donaumonarchie die Sache noch komplexer wird. Auf diesem Feld der nationalen Ehre kommt Haider seinen Österreichern mit neuen Ordnungsvorschlägen. Ihr Fazit: Es geht, österreichischer Nationalist zu sein, vorausgesetzt, man sucht sich die Momente der nationalen Identität zusammen, so wie er.

Was hat man davon? Man braucht sich nicht mehr zu schämen, kommt sich saumutig vor, stiehlt sich nicht aus der Geschichte - und wählt Haider.

"Die 'österreichische Nation' ist eine Geschichtslüge der Siegermächte. Nur weil wir einen Krieg verloren haben, braucht man doch nicht zu glauben, daß wir ewig nach der Pfeife der Sieger tanzen." (profil)

"Entscheidend ist, daß Politiker den Mut haben in diesem Land, sich zur jahrhundertelangen Geschichte Österreichs im Rahmen der deutschen Kulturgemeinschaft zu bekennen und sich nicht aus der Geschichte zu stehlen, nur weil es mitunter auch düstere Perioden gegeben hat." (Villacher Parteitag)

Der FPÖ-Obmann will keineswegs das Resultat des Zweiten Weltkriegs, die Trennung von Deutschland, in Frage stellen. Er erklärt Österreich zu einer - wohlgemerkt - "ideologischen Mißgeburt" und kämpft einen geistigen Abwehrkampf gegen jene Sorte, von den "Siegermächten" vorgeschriebene "Vergangenheitsbewältigung", die zwecks Distanzierung vom Nationalsozialismus dem Staatsvolk einen -angeblich entscheidenden Teil seines "patriotischen Selbstbewußtseins" vorenthält. Der wieder selbstbewußt gewordene österreichische Nationalismus reklamiert das Recht für sich, nicht länger ausgerechnet auf jene "Traditionen" verzichten zu müssen, die "uns" das Gefühl vermitteln, "mehr" zu sein, als "wir" innerhalb der "heutigen Grenzen" sind.

"Dieses Land ist viel zu schön und zu wertvoll, ist kulturell mehr, als die heutigen Grenzen darstellen. Wir haben allen Anspruch darauf, dies auch vor der geschichtlichen Wirklichkeit darzustellen."

Die Geschichte "lehrt" eben immer nur das, was das jeweilige politische Interesse in sie hineinlegt. Daß Jörg Haider aus der "geschichtlichen Wirklichkeit" einer die engen Staatsgrenzen übergreifenden kulturellen Identität keinen Auftrag auf Restauration einer entsprechenden politischen Großmacht "lernt", liegt an der realistischen Einschätzung des "radikalen EG-Befürworters", wonach die Aufwertung der eigenen Nation nicht durch Wiedervereinigung, sondern durch einen Beitritt zur europäischen Gemeinschaft am aussichtsreichsten zu bewerkstelligen ist. Nicht zuletzt für diese "außenpolitische Jahrhundertentscheidung" will Haider den Österreichern das "nötige Selbstbewußtsein" wiedergeben, weil "wir nicht als Bittsteller zur EG kommen", sondern als ein Land, das sich "weder ökonomisch noch kulturell für seine Leistungen schämen muß".

Jörg Haider bietet eine alternative Vergangenheitsbewältigung an. Wo die anderen Parteien und die demokratische Öffentlichkeit die patriotische Technik anwenden, durch "schonungsloses Aufdecken" der"damaligen Greueltaten" und einer berechnenden Selbstanklage sich ein umstandsloses Bekenntnis zu Österreich zu "ermöglichen" -

"Nur wenn wir nicht darüber hinwegsehen, was es alles für Greuel im Nationalsozialismus und leider auch unter Beteiligung von Mitbürgern gegeben hat, schaffen wir die Voraussetzungen für ein Österreich, das der Schatten der Vergangenheit nicht einzuholen vermag, ein Österreich, das wir alle wollen und zu dem man sich ohne Vorbehalte bekennen kann."(Vranitzky, Mauthausen) -,

plädiert Haider dafür, seine Heimat ganz ohne die geheuchelte Scham zu lieben. Wenn es ohnehin darum geht, sich zu seiner Heimat zu "bekennen" und ihr als Bürger und Soldat zu dienen, dann hält es Haider für Verlogenheit und politische Feigheit gegenüber den "Siegermächten", wenn "die Vätergeneration" für genau diese staatsbürgerliche Leistung sich ständig Asche aufs Haupt streuen soll:

"Ich lehne es ab, die Vätergeneration als Kriegsverbrecher beschimpfen zu lassen, bloß weil sie ihr Vaterland verteidigt haben, wie es die Pflicht jedes Patrioten ist." (Haider zum "Fall Waldheim")

Solcherart gewährt Haider der Kriegsgeneration die politische Ehre und Anerkennung, die dieser aufgrund der Kriegsniederlage und der nachfolgenden Ächtung der unterlegenen Konkurrenz bislang vorenthalten wurde. Der elaborierte Nationalkult, aus demonstrativer Scham zum Nationalstolz zu kommen, ist mit Ausnahme intellektueller Schichten bei der Bevölkerung eher als Ärgernis und Kniefall gegenüber den westlichen Führungszentren, allen voran den USA, aufgenommen worden. Das hat auch die ÖVP in ihrem seinerzeitigen Präsidentschaftswahlkampf benutzt, und insofern stößt es durchaus auf Beifall, daß sich der "Jörgl" auch außenpolitisch "etwas traut". Wenn Haider "unseren amerikanischen Freunden klar sagt",

"daß sie uns nicht einfach zur Naziendlagerstätte machen können, bloß weil der US-Geheimdienst sich seinerzeit der alten Nazis bedient hat",

dann sind es keineswegs bloß "Ewiggestrige", sondern ganz normale Patrioten, denen es gut gefällt wenn ein österreichischer Politiker gegenüber der westlichen Führungsmacht Eigenständigkeit und eine gewisse Aufsässigkeit demonstriert, von der man sich ohnehin in jüngster Zeit schofel behandelt fühlt.

Demokratische Haider-"Bewältigung": Patriotische Verdächtigungen

Die kritische Öffentlichkeit vermag den Haiderschen Patriotismus schon deswegen nicht zu kritisieren, weil sie sich selbst ihre Staatszugehörigkeit als eine Teilhaftigkeit an einer "Kulturgroßmacht" versüßt, die viel mehr sein soll als das jetzige Staatswesen. Am Beispiel Südtirols oder Siebenbürgens beweisen gestandene Demokraten, daß ihnen der "altmodische" Patriotismus keineswegs fremd ist, der aus gemeinsamer Sprache und Tradition - sprich: der ehemaligen Zugehörigkeit zur selben Staatsmacht - eine zumindest ideelle Schutzmachtfunktion Österreichs für die Völker der Donaumonarchie ableitet. Sehr konsequent reduziert sich daher die Kritik an Haider auf den Verdacht, dieser könnte mit seinem Bekenntnis zum Deutschtum für ein anderes Vaterland werben. Insofern hat sich der demokratische Antifaschismus dahingehend vollendet, daß er mit seinen politischen Feinden darum konkurriert, wer dem anderen glaubwürdiger Vaterlandsverrat vorzuwerfen vermag.

Vom BRD-Boden aus sieht die Sache auch nicht viel anders aus. Eine Nation, die noch einige "Brüder und Schwestern" heimholen will, hat auch kaum etwas dagegen einzuwenden, wenn jemand mit seinem Deutschtum Politik macht. Außer vielleicht, daß man ihn nicht bestellt hat und selber für einen "zeitgemäßen" Patriotismus zuständig ist. Die demokratische Kritik gegenüber einem Politiker, der mit den normalen Maßstäben von starkem Staat und zu verhinderndem Machtmißbrauch von einzelnen Amtsträgern, von ausländischen Schuldigen und einheimischen Parasiten, Wählerstimmen einkassiert, reduziert sich ganz ähnlich wie im Falle Schönhuber auf den simplen Vorwurf: Der nicht! Zumindest solange man ihn nicht für Koalitionen gebrauchen kann. Und daß Haider ein "Vollblutpolitiker" ist, das hat er schon längst vor seinem Eintritt in die praktische Politik als Landeshauptmann bewiesen. Die "Spiegel"-Redakteure am Ende ihres Gesprächs mit Haider:

"Sie haben gezeigt, daß Sie hinreichend Machtbewußtsein für einen erfolgreichen Politiker haben. ... Wenn Sie so locker philosophieren, fragt man, warum viele den Haider als so gefährlich ansehen?" (Spiegel, 10/89)