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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1989 erschienen.

Systematik

Michail Gorbatschow
WARUM DIESER MANN KEINEN RESPEKT VERDIENT

Jetzt besucht er die Bundesrepublik. Der Mann, dem sie alle Glück und gutes Gelingen wünschen bei seinen Werken. Die politischen Führer der NATO entbieten ihm ein scharfes "Weiter so!" zum Gruß. Das deutsche Volk, meinungsumfragt, hat seinetwegen weniger Angst vor einem Krieg. Es kann sich mehrheitlich sogar vorstellen, daß er Kohls Sache besser macht als dieser. Bankiers und Konzernchefs sichten voller Anerkennung die Chancen, die er ihnen eröffnet. Italienische Fußballvereine und kanadische Eishockeyclubs danken ihm die Bereicherung des Angebots auf dem Spielermarkt. Die Kirchen zollen ihm Respekt, weil er sich mit dem organisierten Glauben arrangiert. Unter seiner Führung organisierte Wahlen bringen Fernsehmoderatoren ins Schwärmen. Durch seine Aussiedlerpolitik kommt die Verwaltung des Lagers Friedland ins Schwitzen. Sein Buch stürmt die Bestsellerlisten, und zwei russische Wörter geraten in den Duden. Linke im Westen verbuchen erstmals den Kreml als gute Bedingung.

Das alles soll dem Vorstand einer kommunistischen Partei zur Ehre gereichen. Mit diesen Früchten seines neuen Denkens soll sich die Welt, drüben und insgesamt, zum Besseren wenden. Fürwahr, eine seltsame Leistungsbilanz. Sie beweist eindeutig, mit welch abgeschmackten Einfällen und widerwärtigen Initiativen man sich bei der "Menschheit" des späten 20. Jahrhunderts beliebt machen kann. Deren Optik, die so scharfe Einstellungen wie die des Wählers, des Berufssoldaten, des Politikers, des Geldanlegers, des Managers und des Pfaffen vereint, verstellt allerdings gänzlich den Blick auf die tatsächlichen Leistungen des Michail Gorbatschow.

I. Relativ neues ökonomisches Denken

In seiner Eigenschaft als oberster Begutachter der Sowjetwirtschaft ist ihm neulich schlagartig klargeworden, daß deren Erträge einfach nicht reichen. Weder für die Kassen, die der Staat verwaltet, noch für die Betriebe, kassenmäßig und in bezug auf den Nachschub an Produktionsmitteln - und schon gleich gar nicht für den Sowjetmenschen in seiner Eigenschaft als Konsument. Seitdem ruft er Land und Leute zur Effizienz auf, klagt über Stagnation und sagt seinem im Grunde guten Volk einen ausgeprägten Mangel n Verantwortung nach.

Einen alten Brauch knickt der neue Denker also erst einmal nicht. Die Ökonomie ist für ihn wie für seine Vorgänger eine moralische Anstalt, an deren Ergebnissen man sieht, ob sie funktioniert oder nicht. Wenn Gorbatschow bei seiner Mannschaft ein "schwaches Interesse an den Endergebnissen" feststellt, so ist ihm zu bescheinigen, daß sein Interesse am Grund dafür noch viel schwächer ausfällt. Seine zutiefst pauschale üble Nachrede, die Kader wie Massen der Gleichgültigkeit zeiht, hat mit der Kritik von Fehlern noch nicht einmal Ähnlichkeit. Noch weniger handelt es sich um Selbstkritik, wenn er sich und andere vorgesetzten Genossen mit dem Vorwurf bedenkt, sie hätten durch ihre Vorschriften und Leitungsgewohnheiten die Lust an der Verantwortung erstickt. Die der Ökonomie gewidmeten Thesen von Gorbatschow ernstgenommen, ist das Produzieren, Verteilen und Konsumieren in der Sowjetunion ein einziges riesiges Motivationsproblem. Die sinnige Kombination seiner Diagnose "je Kommando, desto verantwortungslos" verlängert er in keiner denkbaren Weise konsequent. Und auch seine Russen, geschweige denn die anderen Vielvölker, stellen ihm nie die entsprechenden Fragen: Waren es falsche Kommandos? Haben die Befehlsempfänger sie befolgt oder übergangen? Gehen die Sowjetmenschen täglich und an Samstagen nun in die Fabrik und aufs Feld oder halten sie sich nur beim Schlangestehen an die Plankennziffern? Für welche Ergebnisse sollten sie sich sonst interessieren außer für die, die das sozialistische Rechnungswesen heiligt und zur Grundlage für die Abrechnung macht? Von welchen Anreizen sollten sie sich stimulieren lassen außer von denen, die es gibt?

Kurz, die Sowjetmenschen sind von ihrem neuen Agitator begeistert und verpassen darüber, wie er selbst, wieder einmal das Wichtigste. Vor lauter Verantwortung unterlassen sie die Kritik der politischen Ökonomie und pflichten Michail bei, wenn er sagt, daß Besserung not tut. Damit demnächst verantwortungsvoll produziert wird, geht es zunächst unter Anleitung der Partei um

Die Schaffung von Verantwortung

Dieses Programm kümmert sich erklärtermaßen nicht um Produktionsverhältnisse und die ihnen entsprechende Organisierung der Produktivkräfte. Vielmehr um die als entscheidend angesehene Produktivkraft "Interessiertheit". Um sie nach gut psychologischer Manier anzureizen, braucht es - einen Anreiz. Das neue Denken, erpicht auf "eine Revidierung der Einstellung zum sozialistischen Eigentum", sieht seit neuestem im Eigentum selbst einen brauchbaren Anreiz. Auf der Suche nach dem Sinn für Interesse revidiert man in der Sowjetunion durchaus etwas an den Produktionsverhältnissen, wie gesagt, wegen der "Einschaltung des persönlichen Interesses", nur so zur "Erneuerung des Hausherrengefühls". Diese Neuerung hat dem Neuerer im Westen, wo nach einer alten Legende Eigentum, Initiative und Verantwortung dasselbe sind und mit Kapital nichts zu tun haben, manch gutes Wort eingebracht: Nach dem Motto: "Wer sagt es denn schon seit '33, und endlich sieht's der Iwan auch ein". Drüben im Osten hat die Idee zwar nicht die volkseigenen Betriebe in die Hände von tüchtigen Millionären gelegt, immerhin aber der Landwirtschaft ein Pachtsystem beschert, in dessen Rahmen auf eigenem Boden, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung gearbeitet wird. Offenbar angeregt durch die katastrophale Lebensmittelversorgung ist dem Wendepolitiker vor allem die fehlende Interessiertheit des Bauernstandes zu Herzen gegangen. So sehr, daß er auf den Sow- und Kolchosen des Landes "Entfremdung" ausmacht, aus der die Ineffizienz rührt:

"Der Sinn der wirtschaftlichen Umgestaltungen auf dem Land muß darin bestehen, den Bauern umfassende Möglichkeiten zu bieten, Selbständigkeit, Unternehmungsgeist und Initiative zu zeigen. Wir müssen die Entfremdung der Werktätigen des Dorfes (wie übrigens auch aller Werktätigen) vom Eigentum entschieden überwinden, das ihnen einstweilen nur formell gehört. "

Daß sich Entfremdung, die Trennung vom Eigentum anderer und der dazugehörige Zwang zur Arbeit ganz gut mit Effizienz vertragen, weiß dieser Bewunderer westlicher Produktivität auch nicht so recht. Umso besser kennt er sich in der Seele des Bauern aus, die aufgrund der Kombination von eigenem Boden und eigener Arbeit ganz vortrefflich gerät:

"...der Arbeiter war aber nicht so eingestellt, wie es ein echter Bauer aufdem Land sein müßte. Das ist doch eine lebende Welt - Erde, Natur, in denen ständig etwas vor sich geht. Man muß wissen, wie die Natur lebt, wie sie atmet, man muß sie erfühlen. Wenn man auf einer Farm arbeitet, so muß man die lebendigen Organismen genau kennen."

Lohn, Preis, Profit als Verantwortungsstifter

Wozu das Eigentum gut ist, das bringen ökonomische Größen schon lange. Nämlich seit der systematischen Einführung der Hebelökonomie. Getreu der Devise:

"Auf administrative Methoden kann man nur verzichten, wenn man über ökonomische Hebel verfügt."

läßt sich die Administration des sowjetischen Vaterlandes schon immer gern zu Vorschriften über neue ökonomische Hebel herbei. Die Neuerung Gorbatschows auf diesem Felde besteht darin, daß er das Kommandieren, die Vorschriften von ihrem Inhalt trennt, den Hebeln nämlich - und letzteren andichtet, sie würden ihr Werk von selbst tun. Im Zuge dieses genialen Gedankens ist er aber auch auf die Idee verfallen, per Dekret den Betrieben hie und da die Preisfestsetzung selbst zu überlassen. Seitdem wundern sich manche Russen, wie teuer Kartoffeln werden können, andere darüber, daß sie fehlen.

Mehr Verantwortung tragen manche Betriebe jetzt auch bei der Erwirtschaftung und Verbuchung ihrer Gewinne. Sie sind nicht länger das kalkulatorische Resultat von staatlich festgesetzten Preissummen, und der Umgang mit ihnen soll - gemäß der Trennungslogik von Kommando und Verantwortung - ein ziemlich eigener sein. Zwar garantieren die Bedingungen der ökonomischen Umwelt, daß aus der Selbsterwirtschaftung von Betriebsmitteln, aus der Effizienz durch kalkulatorische Freiheit wenig wird. Immerhin aber kommt bei Gorbatschow und den Seinen Genugtuung darüber auf, daß ohne die früher übliche Zuteilung von Mitteln durch den Staat mancher erneuerte Betrieb den Staatshaushalt schont.

Die Erlaubnis von Konkurrenzpraktiken inmitten der überkommenen Hebelwirtschaft zeugt von der Ignoranz des neuen Denkers. Ausgehend vom Bedürfnis nach Effizienz will er - darin ganz hebelwirtschaftlich wie eh und je - Betriebe und Volk zum lohnenden (das ist das Kriterium des staatlichen Rechnungswesens) und versorgungstauglichen Produzieren anhalten. Die dazu erforderliche Verantwortung will er durch neue Zwänge zum Einteilen herbeiführen, in der festen Überzeugung, daß die allemal auf mehr Leistung hinauslaufen. Daß er dabei dem Kapitalismus ein Ideal abgelauscht hat, spricht er bei jeder unpassenden Gelegenheit aus. Mit der Realität hat dieses Ideal ebensowenig zu tun, wie seine Anwendung im hebelökonomischen Laden zu Effizienz führt:

"Es liegt auf der Hand, daß Kolchose, Sowchose und Pachtkolleklive, wenn sie von den erarbeiteten Mitteln leben, gezwungen sein werden, Produkte in größeren Mengen, besserer Qualität und mit geringeren Ausgaben zu erzeugen."

Diese auch auf Industriebetriebe angewandte Technik, die sich "volle wirtschaftliche Rechnungsführung" schimpft, hat bislang den alten Mängeln nur neue Störungen hinzugefügt. Einerseits trennt sich wie eh und je der finanzielle Erfolg von Staat und Betrieben vom materiellen Produktionsergebnis. Deshalb berichtet die Prawda über ein wunderbares Jahr der Perestroika:

"Den Plan vom vergangenen Jahr für die Produktion hat unser Gebiet erfüllt und sogar übererfüllt. Gewinnmäßig freilich ist der Plan nicht erfüllt worden."

Und Gorbatschow, offenbar über einen statistisch verbürgten Aufschwung in der Produktion unterrichtet, vermeldet:

"Folglich haben wir jetzt von allem mehr als früher."

- um dann, empört und verwundert, ziemlich rhetorisch zu fragen:

"Aber wo bleibt das alles? Warum gibt es in den Geschäften nach wie vor Schlangen, und die Knappheit an vielen unentbehrlichen Dingen verringert sich nicht?"

Da es ihm keiner sagt, gibt er die Antwort selbst. Als gelehriger Schüler westlicher politischer Sitten holt er zu einem Doppelschlag aus. Einerseits renommiert er mit einem uralten Sockenauszieher aus der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre: mit dem Bild vom Waren- und Geldberg, die ins Ungleichgewicht geraten sind und noch dazu den Staatshaushalt belasten. Andererseits bedient er sich nach 3 Jahren heftigster Perestroika der Legende von der Erblast, wie sie einem radikalen Sozialsparpolitiker des kapitalistischen Lagers nicht besser gelingen könnte:

"Ebenda, Genossen, kommen wir zu der Kernfrage der gegen wärtigen Lage in der Wirtschaft: zum Zustand der Finanzen, zum Geldumlauf, zum bilanzierten Verhältnis zwischen Waren und Geldmitteln. Diese Situation ist nicht von ungefähr entstanden. Das schwerste Erbe, das wir von der Vergangenheit übernommen haben, ist wohl das Haushaltsdefizit... Natürlich übt das Defizit auf die ganze Volkswirtschaft einen verderblichen Einfluß aus. Auf den Geldumlauf im Lande wirkte sich die untaugliche Praxis schädlich aus, bei der in vielen Volkswirtschaftszweigen unverdientes Geld ausgegeben wurde. Dadurch wurde aber auf dem Verbrauchermarkt ungeheure Spannung erzeugt."

Wenn der Mann schon einmal in die ökonomische Ursachenforschung einsteigt, kommt garantiert eine bürgerliche Ideologie heraus. Und nicht einmal bloß eine von der Sorte, die man getrost unter der Abteilung Dummheit abbuchen kann. Die Entdeckung des Mißstands Inflation führt ihn schnurstracks zu der Frage nach der Herkunft des zuvielen Geldes und zu der Antwort, die den Verantwortungshebel Lohn einer eindeutigen Verwendung zuführt. Da

"bringen es viele fertig, Kanäle für die Erzielung von Einnahmen unabhängig von den realen Ergebnissen der Produktion der Waren hoher Qualität und der Dienstleistungen zu erhalten. Auch im vorigen Jahr wuchs die Entlohnung schneller als die Arbeitsproduktivität. Folglich zahlen wir weiter in vielen Fällen nichterarbeitete Gelder aus."

Leider fragt ihn auch in diesem Zusammenhang kein Russe, ob die Läden dann nicht vielleicht bloß deswegen so leer sind, weil sie die Russen leergekauft, das Zeug in sozialistischem Überschwang konsumiert haben - und im übrigen mit dem übrigen Geld zuversichtlich auf neue Produkte warten. Jedenfalls offenbart das neue Denken so langsam auch seinen reaktionären Charakter. Die Arbeiter haben die Einkommensquelle der Verantwortungslosigkeit schamlos ausgenützt. Heiliger Stimulus!

II. Absolut verkehrte Politik

Der Überlegung, daß die Verantwortung landauf landab zu wenig angestachelt worden sei, stellt Gorbatschow eine zweite zur Seite: Sie ist auch ein bißchen verhindert worden, und zwar durch Staat, Partei, Bürokratie.

"Wir werden die dringlichen ökonomischen Probleme nicht lösen, wenn bei uns der Überbau nicht funktioniert, wenn wir das bürokratische Weisungssystem nicht zerstören."

Dieses eher selbstkritische Rezept ist freilich nicht besser als die Fortsetzung des Hebelwesens zur Steigerung der Initiative. Wäre es den Sowjetmenschen statt um das Zurechtkommen im überkommenen System um ein Ding namens Verantwortung gegangen, das sie für wichtiger und richtiger als die geltenden Regeln gehalten hätten, so hätte das "bürokratische Weisungssystem" längst seinen Abschied einreichen können. Daß man sich gegen Weisungssysteme kritisch wenden und durchsetzen kann, vermag sich auch Gorbatschow nicht vorzustellen. Die moralische Kategorie der Verantwortung denkt er - auch wenn sie oder ihr Fehlen für nichts den Grund abgeben - ausnahmsweise sehr konsequent. Es geht ihm schlicht um die Verpflichtung der Sowjetbürger, ihre Bereitschaft, die Beiträge zum Funktionieren der Sowjetökonomie zu leisten, die Michail vermißt. In der Gewißheit, daß letztendlich in der Hauptsache tüchtige Leute, dem Aufschwung des sozialistischen Vaterlandes gewogene Bürger sein Land bevölkern, sind ihm die Techniken des staatlichen Umgangs mit den Genossen verdächtig geworden. Sind sie nicht bei jedem Versuch, Mängel zu beheben abweichende Meinungen vorzubringen, Verbesserungsvorschläge einzureichen, säumige Kollegen und Vorgesetzte zur Rechenschaft zu ziehen... - aufgelaufen? Haben sie nicht immer gegen den "Apparat", gegen Polizei und Justiz den kürzeren gezogen?

"Wir müssen Mechanismen schaffen, die sich selbst regeln würden, und zwar durch die Einbeziehung der handelnden Hauptperson - des Volkes in all diese Prozesse."

Michail Gorbatschow findet mit seiner "zweiten Revolution", die von oben kommt, den goldenen Mittelweg. Weder will er mit seiner Geschichte von den eingeschüchterten, drangsalierten und an ihrer Initiative gehinderten Massen diesen eine schlechte Betragensnote ausstellen. Denn ein bißchen Opportunismus muß ja im Spiel gewesen sein, wenn sie bislang aufgrund fehlender Erlaubnis die Knebelung durch die Bürokratie hingenommen haben. Wenn sie, auf ihre eigenen und des sozialistischen Fortschritts Kosten, den passiven Schlendrian dem aktiven Widerstand vorgezogen haben. Noch will er jetzt, den Massen zuliebe, den Apparat zum Teufel jagen und das Volk einfach schalten und walten lassen. Mit dem Stichwort Demokratisierung" hat er sein politisches Ideal aufgemacht. Es umschreibt einen Tausch: Die Sowjetbürger erfreuen sich dank Perestroika und Glasnost ab sofort politischer Freiheiten, Kontrolle und Unterdrükkung entfallen weitgehend, "Aktivität" ist genehmigt und gefragt dazu. Dafür liefern sie jede Menge Verantwortung ab, deren Inhalt sich Gorbatschow allemal als Beitrag zur Effizienz vorstellt. Genauso wie er an das abstrakte Ideal erfolgreicher Ökonomie glaubt, vertraut er auf die produktivkraftfördernde Wirkung gewährter Rechte - aufs Meinen, Kritisieren, Verbesserungsvorschlägen.

Verändert hat sich dadurch manches. Die "Hauptperson" Volk ist "einbezogen" (mit Verlaub: ein bißchen war sie das schon immer, einerseits beim Arbeiten, Kaufen, Sparen, andererseits im regen Parteileben), darf also zusätzlich zu jeder Tages- und Nachtzeit politisieren. Und die neuen Rechte werden wahrgenommen, was die Vermehrung der ohnehin schon zahlreichen Komitees, Vereine, Organisationen im Namen des Volkes nach sich zieht. Kompetenzen und Gewaltbefugnisse gehen von alten auf neue Instanzen über, und letztere tragen den Stempel "Volk, echt".

Mehr Rechte für alle

Für die Betriebe, die ab sofort ja "selbst" wirtschaften sollen; für die Sowjets, weil "echte Organe der Volksmacht"; für die Republiken, weil irgendwie dasselbe; für die Nationalitäten, weil "jede Nation, die ihre eigene Intelligenz hat, ihre eigene Kultur entwickelt und ihre Leistungen gedanklich verarbeitet, sich den Wurzeln ihres Volkes zuwendet."

Wenn die nun alle ihre Rechte haben, hat sich zwar an der Zielsetzung der Politik im Lande noch gar nichts geändert. Weder Gorbatschow noch eine dieser Instanzen, weder seine Mitstreiter noch die Bremser der Perestroika haben je - und die Sache währt schon ein paar Jährchen - vorgeschlagen, zu planen statt zu stimulieren. Jedoch ist mit der Delegierung von Rechten auch in die Sowjetgesellschaft ein gründlich abgetrennter Bereich eingezogen. Jetzt widersprechen sich nicht hie und da die Interessen von Betrieb, Sowjet, Republik und Bürger. Jetzt sind sie alle befugt, diese Interessen auf Kosten der anderen geltend zu machen. Wovon sie früher betroffen waren, worüber sie bei der Partei oder in Moskau, im Parlament, Klage führten - all das ist jetzt offizielles Kampfprogramm, verfügt über seine Amtswege und Verfahren. Und das belebt die russische Szene so ungemein, ohne je Gorbatschow seinem Ideal der Effizienz näherzubringen. Im Gegenteil. Jetzt pocht jeder auf den Nutzen einer Effizienz, die es nicht gibt - für sich.

Ein Betrieb nützt sein Recht zur Sortimentsfestlegung, das Ministerium darf nicht mehr "bevormunden", schreibt stattdessen Bittbriefe.

"Die Leitung des Ministeriums für medizinischen Gerätebau wendet sich noch einmal an die gesamte Belegschaft des Werks mit der Bitte, die Elimination verschiedener Instrumentengattungen aus dem Produktionsplan noch einmal zu überdenken. Der geringfügige augenblickliche Gewinn Eures Unternehmens, der sich aus der Elimination dieser Geräte aus dem Produktionsplan ergibt, wird durch das Leid der Menschen dieses Landes bezahlt. Wir rufen Euch zur Barmherzigkeit auf. Gezeichnet: Stellvertretender Minister für Gerätebau."

Die Öffentlichkeit darf über Hartherzigkeiten räsonnieren...

"Aus verschiedenen Orten erhalten wir Informationen, nach denen auf Selbstfinanzierung umgestellte Unternehmen drastisch ihre Patenschaftshilfe für Schulen reduzierten und sich weigern, ihren Anteil an städtischen Kindergärten zu errichten. Häuserbau verringert... mit der Begründung, daß der Betrieb nun seine Mittel selbst erwirtschafte und es mit der früheren Methode des 'Durchfütterns' heute vorbei sei..."

Und Gorbatschow fällt auch an solchen Erfolgen seiner Demokratisierung nichts auf, genausowenig wie bei den Leserbriefen an die Zeitungen. In denen steht das einfältige Echo seines Programms der politisch-moralischen Ertüchtigung, manche Klage über Mitmenschen, die Verantwortung vermissen lassen, und der Zusatz, wie sehr die Schreiber als Angehörige eines Betriebs, einer Region, einer Republik, eines Kollektivs, einer Schule... vom Ausbleiben der Perestroika ("bei uns noch nicht angekommen") betroffen sind. Der Generalsekretär betätigt sich wie ein ideeller Gesamtschiedsrichter und wie eine politische Gouvernante dazu.

"Es gibt Fragen, die Diskussionen auslösen. Sie betreffen die Wechselbeziehungen zwischen der Union und den Republiken, zwischen den Republiken und den Gebieten, die Frage, wie sich der Staatsauftrag und die Selbständigkeit der Kolchose, Sowchose und Betrieb zueinander verhalten."

Natürlich will er es weiterhin jedem recht machen und leiert angesichts der Kompetenzstreitigkeiten und Konkurrenz, die er in sein System eingeführt hat, immer nur seinen Katalog herunter: Einerseits "Selbständigkeit der Betriebe", andererseits "volle Machtfülle der Sowjets"; die sollen sich nicht in die "Rechte der Betriebe" "einmischen", dafür aber "die volle Verantwortung tragen für eine bessere Gewährleistung materieller und geistiger Bedürfnisse der Bevölkerung". "Einmischen" in die betriebliche Selbständigkeit sollen sich auch die Republiken mit ihrer erweiterten eigenen wirtschaftlichen Rechnungsführung nicht. Wenn sie die gegeneinander geltend machen und der Streit darüber ausbricht, wieviel sie abführen müssen/behalten dürfen: wenn Sowjetrepubliken neuerdings Ausfuhrsperren für Defizitwaren gegeneinander verhängen und lauter lokale Rechnungen gegeneinander aufmachen, dann widmet sich Gorbatschow der Ökonomie, von der er keine Ahnung hat:

"Offensichtlich darf eine solche Umgestaltung nicht zur Autarkie, zum Naturalwirtschaften führen, weil das der Gesellschaft mehr Schaden als Nutzen bringt."

Im übrigen ist er mehrmals pro Woche der Ansicht, daß friedliches Miteinander doch besser ist als Streit. Insbesondere im Blick auf die

Nationalitätenkonflikte

Wenn sich die baltischen Republiken zielsicher auf die Austrittserklärung hinarbeiten, andere Nationalitäten den Freibrief von oben als Auftakt dazu begreifen, im vollen Bewußtsein ihrer Rechte aufeinander loszugehen, dann orgelt der neue Denker die ältesten Fehler seiner Partei zur "Frage der Nation" herunter.

"Es zeigt sich, daß manchmal selbst die gebildetsten Leute weder das Nationale vom Nationalistischen unterscheiden, noch die Dialektik des Internationalen und des Nationalen begreifen."

Manchmal will dieser Mann auch partout etwas unterscheiden, was nicht zu unterscheiden geht, bzw. nur im grundverkehrten moralischen Weltbild von der großen Völkerfamilie Sowjetunion: guten und berechtigten Nationalstolz von schlechtem Nationalismus. Jetzt beweisen ihm ganze, im Sinne des Sozialismus über Jahrzehnte hinweg erzogene Völker und ihre Führung nur eines: daß "das Nationale" keine Eigenart, Tradition und Kultur ist, daß der Weg vom Volksliedgut zum Kampf um das nationale Wir so weit auch wieder nicht ist; da wollen regionale Staatsorgane und ihre Gefolgschaft keine wichtigeren Fragen mehr kennen, als die Rechte und Ansprüche ihrer Nation - Gorbatschow ficht das nicht an. Sein bestes Argument vermutet er darin, die Völker darauf hinzuweisen, daß es die Union war, die ihren Nationalismus zur Blüte gebracht hat.

Da sich der gründlich gehegte Nationalismus nun aber so ungepflegt austobt, wird auch die Union ihre Wertschätzung des Nationalen öfters mit Gewalt gegen Nationalisten ausdrücken müssen.

Vergangenheitsbewältigung auf neurussisch

Auch Jahrzehnte vor dem Amtsantritt des Neuerers war man im Kreml auf die moralische Intaktheit und die Treue des Volkes scharf. In Gefahr schien dieser Bestandteil des sozialistischen Menschentums - eher eingebildet statt wirklich - den alten Führern durch objektive Darstellung dessen, was Partei und Volk so alles getan und unterlassen haben. Sie hielten es für notwendig zur Beförderung des Einsatzes für den Sozialismus, das Vertrauen zur Führung zu kultivieren. Deshalb gerieten die Taten sämtlicher Führungen in der öffentlichen Darstellung und in der erzieherischen Betreuung stets in rosarotes Licht.

"Ehrlichkeit" hat der neue Chef verlangt anstelle von Lügen, Tilgung der "weißen Flecken in der Geschichte", Kritik statt Lobhudelei. Alle drei Aufträge gehen nur in Ordnung, wenn Wissen vorhanden ist über das, was aufgedeckt, kritisiert gehört. Das scheint in der Sowjetunion in großem Maßstab nicht vorhanden zu sein, und der Initiator dieser Selbstläuterung fühlt sich am wenigsten dazu bemüßigt, dem Mangel abzuhelfen. Folglich hat er bloß einen Riesenzinnober in Gang gesetzt, bei dem das moralische Volksgemüt an allen Ecken und Enden entdeckt, daß sich seine Wertungen auch gut umwerten lassen. Wenn Stalin jahrelang der Held des großen Vaterländischen Kriegs war und der Persönlichkeitskult seine politischen Fehler nach der Methode: "gute und schlechte Seiten" abgetrennt oder einfach ignoriert hat, darf jetzt der negative Personenkult Orgien feiern. Das sowjetische Fernsehen wartet unter dem Titel "Spießgesellen" mit "Enthüllungen" über den Hitler-Stalin-Pakt auf, die weder den politischen Fehler dieser Sorte Diplomatie mit dem Feind kennzeichnen, noch ihr überhaupt den Rang einer politischen Kalkulation zuerkennen wollen. Wie im Lehrbuch des Antikommunisten wird die Gemeinsamkeit von Hitler und Stalin als die zweier abgrundtief schlechter Charaktere breitgewalzt. Jetzt wird schlechtgemacht statt lobgehudelt, mit Argumenten, die aus westdeutschen Boulevardblättern stammen könnten, zum Komplizen der Faschisten gestempelt - und ein neuer Volkssport ist in Mode.

Im Sinne dieses Fortschritts haben die Russen an ihrer Vergangenheit noch einiges "aufzuarbeiten". Unter dem saublöden Gesichtspunkt von wegen Kommandowirtschaft lassen sich locker sämtliche bisherigen "Errungenschaften" der Oktoberrevolution in Frage stellen. Ab wann ist die "bürokratische Entartung" losgegangen, ist nicht überhaupt die Kollektivierung auf dem Land schon ein Fehler der Kommandowirtschaft gewesen, hätte Lenin die Revolution nicht besser gelassen und sich in friedlicher Konkurrenz mit den bourgeoisen und anderen gegnerischen Parteien auf die Herbeiführung des Sozialismus geeinigt? Klarheit über Fehler wird dadurch garantiert nicht gestiftet, wohl aber etliches an Opposition im Namen der neuen Ideale. Opposition heute in der Sowjetunion heißt 1. keine aus dem Westen kommende Ideologie mehr kritisieren, auch nicht mehr mit falschen Argumenten; 2. zweifeln daran, ob es die Anleierer der Perestroika ehrlich meinen und auch weit genug gehen; 3. fragen, ob die Perestroika nicht unsinnigerweise die Errungenschaften und bewährten Regeln des Sozialismus vor Gorbatschow kaputtmacht. Die letzte Abteilung Opposition kann sich kaum behaupten. Aber nicht, weil sie im Unrecht wäre, weil sie für die Verteidigung all dessen, worin sich Bürger und Funktionäre, Völker und Kommissionen eingehaust haben, nichts Gescheites vorzubringen weiß. Vielmehr deswegen, weil sich auch und gerade mit den hinzugewonnenen Teclniken des Umbaus die alten Methoden des Absägens, Denunzierens, Ausbootens prächtig bewähren.

Überhaupt - die Öffentlichkeit mit Glasnost

"Pluralismus", lehrt der Genosse Generalsekretär wie im Grundkurs Wissenschaftstheorie, "schafft die besten Voraussetzungen für die Suche nach der Wahrheit. Denn nur in der Konfrontation der Meinungen, in der Gegenüberstellung der Ansichten, läßt sich die Wahrheit finden."

Es mag ja stimmen, daß die Unterdrückung von freier Meinungsäußerung verrät, daß eine Staatsmacht nichts auf Kritik gibt und auch an keiner Wahrheit interessiert ist. Die Umkehrung, daß die Gewährung öffentlicher Auseinandersetzung den passenden Weg zur Wahrheitsfindung darstellt, gar deswegen erfolgt, stimmt garantiert nicht. Im Westen, wo man sich so viel auf die pluralistische Öffentlichkeit zugute hält, gilt das Dogma, daß viele Meinungen unterschiedliche Interessen zum Ausdruck bringen, die sich alle letztlich zu relativieren haben, weil keine die "Wahrheit" für sich in Anspruch nehmen kann. Und zwar theoretisch wie praktisch, so daß sich sinnigerweise die "mächtigste" Meinung, die sich an die Staatsnotwendigkeiten hält, durchsetzt. Daß das Hin und Her von Wahlkampfparolen ein Ringen um Wahrheit darstellt, ist eine von jedermann durchschaute lächerliche Lüge. Und dasselbe gilt für den Wahlkampf zwischen den Wahlen, wo Minister und Opposition ihre Varianten der "Sachzwänge" austauschen. Wenn gar der Regierungssprecher höchst offiziell eine "Sprachregelung" zum besten gibt und die Regierungspolitik "verkauft", weiß jedes kleine Kind, worauf die "Konfrontation von Meinungen" berechnet ist.

Aber auch unabhängig vom praktischen Umgang mit Meinungen, wie er in der Demokratie üblich ist, liegt Gorbatschow mit der Deutung, die er seiner Erlaubnis zur "Freiheit der Kritik" gibt, reichlich schief. Damit ein bißchen Wahrheit herauskommt aus der Gegenüberstellung von Ansichten, muß es den Beteiligten schon auch darum gehen! Und so anständig und staatsmännisch er sich auch vorkommen mag, weil er im Unterschied zu seinen Vorgängern die Sowjetbürger jetzt die Überlegungen, die sie immer schon hatten, sagen läßt und erklärtermaßen respektieren will, ist eines nicht zu übersehen: Auch diese Neuerung ist nach dem Prinzip des Hebels konstruiert. Denn das Dürfen, mit dem er seine Landsleute beglückt, soll schließlich dazu taugen, dem Sozialismus zum fälligen Aufschwung zu verhelfen .Und das vermag die herrliche Methode des Umgangs zwischen Staat und Bürgern nur dann, wenn die einlaufenden Meinungen ihrem Inhalt nach etwas taugen.

In dieser Hinsicht ist Michail Gorbatschow erst einmal mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Zu mehr als dem Befund, unter seiner Anleitung hätte die Produktivkraft-Moral einen endlich zufriedenstellenden Aufschwung zu nehmen, hat er es nämlich gar nicht gebracht. Und dergleichen dient in keiner noch so lebhaften Diskussion der Wahrheitsfindung. Umgekehrt hat er mit der Respektierung von veröffentlichten Meinungen entschieden zu viel im Sinn. Sein Versprechen, das er offenbar hält, erstreckt sich eindeutig nicht nur auf die Praxis, aufmüpfige Sowjetbürger wegen abweichender Wortmeldungen nicht mehr zu drangsalieren und einzusperren. Der Neuerer verzichtet gleich auch noch darauf, die ihm und seinen Parteiorganen zu Gehör gebrachten Anschauungen zu prüfen und im Ernstfall zurückzuweisen. Verstehen, aber nicht billigen, kann man den Meister der inhaltslosen Selbstkritik in den Fällen wo ihm Akklamation zuteil wird. Diese , Nutzung der frisch eroberten Freiheit der Meinung ist recht verbreitet. Man fordert die konsequente Fortsetzung der Perestroika, den Aufbruch zu vielen neuen Ufern und begründet selbiges mit der längst feststehenden Diagnose. Stagnation muß weg, Moral und in ihrem Gefolge "Effizienz" sollen wieder Einzug halten.

Genau so prinzipienlos verfährt Gorbatschow mit den Stimmen, die sich an fremden Herren orientieren - und das nicht eimal kaschieren. Zu einer begründeten Zurückweisung verkehrter Weltanschauungen will sich seine Partei einfach nicht herbeilassen. Die perverse Lektion, die im Kreml gelernt worden ist, lautet: Weil die Monopolisierung der Weltanschauung der Partei zu Stagnation geführt hat, gilt jetzt jeder Mist gleich viel. Und darin unterscheidet sich Gorbatschow sowohl von Wahrheitsssuchern als auch von demokratischen Öffentlichkeitsgestaltern. Letztere pflegen ja nicht nur jede Meinung als höchst relative, also unmaßgebliche stehen zu lassen; sie haben es auch dahin gebracht, daß die Meinungen gleich nur in Anlehnung an gültige Interessen, Maßstäbe und Werte formuliert werden. Und zwar mit dem opportunistischen Drang, Gehör zu finden und die Erfolgsaussichten zu erhöhen - wodurch gleich nur noch staatstreue Alternativenzur Debatte stehen, bei denen jedes Interesse baden geht. Die Ansprüche von regierenden Demokraten an das veröffentlichte politische Gedankengut scheiden allemal das polizeiwidrige und dem Gemeinwesen nicht Zuträgliche von den Einfällen, die sich als konstruktive Beiträge zur Bewältigung der nationalen kapitalistischen Tagesordnung präsentieren. Und Demokraten verstehen sich von der Denunziation des naivsten Grünen als "Fünfte Kolonne" bis zur Organisation des Zutritts zu den Medien enorm gut aufs Ausgrenzen und Handverlesen.

Daß Gorbatschow diese Praktiken nicht imitiert, in dieser Hinsicht mit alten Bräuchen seiner Partei bricht, mag ihm mancher als Ehre anrechnen. Zur Schande gereicht ihm aber, daß er ausdrückliche Gegner nicht widerlegt, daß er die dümmsten Meinungen unkritisiert durchgehen läßt - als wollte er beweisen, daß sich sein Sozialismus mit allem verträgt, was das internationale Geistes- und Gesellschaftsleben so hervorbringt. Er läßt die kritik- und kriterienlose Aneignung und praktische Pflege des letzten Mists durchgehen,als wäre das alles nicht nur "interessant", sondern auch noch ein Beitrag zur neuen Blüte des Sozialismus. Von Mißwahlen über 'heavy metal' zu religiösen Riten, alles ist "interessant". Am Glauben hat er die Verwandtschaft mit dem menschelnden Moralismus des verantwortungsvollen guten Willens entdeckt, mit der er Staat machen will. Und gutgeheißen. Alles, was im Westen an Verwaltungs- und Regierungseinrichtungen üblich ist, Wahlverfahren und Sozialversicherungen, was in Wirtschaftsteilen als die höheren Künste des erfolgreichen Geschäfts angepriesen werden, "marketing", "leasing", Währungsmanipulationen, von denen nicht einmal ein westlicher Banker sagen kann, wozu sie gut sind, muß besichtigt werden, ob sich davon nicht nützliche Praktiken abschauen lassen. Insofern aber auch der alte Wertekanon lange genug eingeübt worden ist, um genügend irritierte Anhänger auf seiner Seite zu haben, führt die Veranstaltung zu einer Sorte "Gegenüberstellung von Ansichten", aus der weniger die Wahrheit als lauter Gehässigkeiten folgen. Daran will dem Initiator dieses Unfugs allerdings immer nur das Ausbleiben der erwünschten konstruktiven Wirkung auffallen. Die Gegensätze, die er nicht austragen will, entdeckt er in den Konfrontationen zwischen alter Moral und neuem Mut zum Blödsinn, der sich Freiheit nennt. Und wie reagiert er darauf? Er mahnt zur Einheit, vermutet so etwas wie Unreife im Gebrauch der neuen Befugnisse, eben wieder einmal ein Defizit an Moral - und bleibt deren Apostel.

Demokratischer Dilettantismus

Nichts Schlechteres, aber auch nichts Besseres ist dem politischen Genie im Kreml zu bescheinigen. Die wirkliche Demokratie versieht Interessen mit Rechten, mit staatlicher Gewalt, wenn und insoweit sie der Nation nützen. Dieser Volksdemokrat geht vom guten Glauben an die Nützlichkeit so gut wie jeden Interesses in seiner Gesellschaft aus, wenn er Befugnisse verteilt. Wenn die ermächtigten Interessen dann aufeinander losgehen, will er weder von den Gründen in der politischen Ökonomie seines Ladens etwas wissen, noch ist er dazu imstande, die nationalistischen, religiösen und sonstigen Unsitten im politischen Überbau seiner Nation anders zu kritisieren, als daß sie doch bitte der Nation dienlich sein sollten. Auch eine Weise, von Planwirtschaft endgültig nichts mehr wissen zu wollen. Von der Gelegenheit, das ihm zustehende Gehör dafür zu nutzen, per "Wahrheit" gesellschaftliche Interessen gültig zu machen, die lohnend bedient werden, hält er offenbar nicht viel. So dürften seine ganzen reformerischen Leistungen in der Politik in die praktische Frage münden, wieviel von dem unbestrittenen Zeug, das jetzt seinen Aufschwung nimmt, eigentlich verboten gehört. Ob diese puren Machtfragen von Gorbatschow selber oder anderen gestellt werden, ist dabei gleichgültig.

III. Total verrückte Außenpolitik

Schluß mit der Imperialismuskritik

Der moderne Führer der kommunistischen Welt hat Marx entschieden verbessert. Der hat von einem Subjekt namens "Menschheit" wenig gehalten, die Berufung darauf als eine Technik der Heuchelei kritisiert, die nur denen etwas nützt, deren Interessen qua Gewalt als die allgemeinen, gültigen gesichert sind. Diesen Standpunkt hat Gorbatschow von den Füßen auf den Kopf gestellt und der "Menschheit" Werte abgelauscht, die "über den Klasseninteressen" stehen sollen, hauptsächlich den "Wert", daß die Menschheit "überleben" will.

Wenn der Chef einer der beiden Supermächte, die dazu in der Lage sind, diese Überlebensfrage aufzumachen, so plötzlich sein Herz für die Menschheit entdeckt, stiftet er ein gewisses Durcheinander hinsichtlich von Subjekt und Objekt dieser Gefahr. Es war ja nicht eigentlich "die Menschheit", die bislang in den Zielplanungen von NATO und Warschauer Pakt vorkam sondern jeweils der andere Block. Mit seinem gefühlvollen Durcheinander möchte der Kremlchef aber auch bloß, per Appell an ein fiktives allgemeines Interesse, gesagt haben daß ihm der Bestand seiner Nation so lieb und teuer ist, daß er sie nicht länger durch die Gegnerschaft gefährdet sehen möchte, und daß r deshalb ganz gut vom Gegensatz beider Systeme absehen könnte. Damit hat er sich bei Friedensfreunden aller Couleur seinen guten Ruf erworben; daß damit auch schon "die Kriegsgefahr" ein Stück weit gebändigt worden sein soll, wie er etwas überschwenglich mit den Erfolgen seiner Politik angibt, ist nicht ganz zutreffend. Immerhin ist ja die Gegnerschaft beider Systeme, für die Waffen aufgestellt und die "Politik der Stärke" betrieben worden ist, nicht ausschließlich und schon gar nicht ursprünglich das Werk der Sowjetunion. Weder hat das Bekenntnis der Sowjetunion, jetzt im Sinne der friedlichen Koexistenz selbstkritisch werden zu wollen, die Gründe auf seiten der NATO beseitigt, warum diese gerade eine Koexistenz mit dem anderen System für unerträglich hält. Noch hat der Imperialismus allein deshalb aufgehört, einer zu sein, weil die Sowjetunion aus nationalem Interesse Klasseninteressen für reichlich überlebt erklärt und das andere System als besserungsfähig betrachten will. Aber zu einem Kurswechsel der sowjetischen Außenpolitik hat der Gorbatschow'sche Fehlschluß durchaus getaugt.

Der Fanatiker des Dialogs mit dem Feind

macht sich zum Anwalt der dümmsten Ideologien über den Segen der Diplomatie. Er entfaltet eine Reisetätigkeit ungefähr so lebhaft wie der Papst, wirbt überall für mehr Kennenlernen und Beziehungen. Als ob im Verkehr zwischen Staaten nicht Interessen von Nationen, von unterschiedlichen Systemen aufeinanderstoßen, also pure Gewaltfragen verhandelt würden, macht er Propaganda für "Verständigung". Als wäre es ziemlich gleichgültig, woher denn eigentlich die vielen "Konflikte" in die Welt gekommen sind, agitiert er für ein Zusammenspiel der Supermächte als Verein zur allseitigen Konfliktlösung, zum Ausräumen von Gegensätzen durch beiderseitigen guten Willen, zur Herstellung von gutem Willen durch Verständigung, um Aufbau von Vertrauen durch Abbau von Mißtrauen etc. etc. Und zur Unterstreichung, wie "real" die "Möglichkeiten" sind, die die Sowjetunion da wahrhaben möchte, betreibt er seine Politik der einseitigen Vorleistungen, was die Waffen betrifft, und Regionalkonflikte will er schlichten. Darunter versteht er die gleichberechtigte Betreuung der Krisenherde, welche die andere Weltmacht als ihre Einflußsphäre und ausdrücklich gegen die Sowjetunion zu solchen gemacht hat.

Der neue Denker scheint sich nur noch dafür zu interessieren, wie sehr die Sowjetunion an all solchen "Lösungen" beteiligt ist; er versteht sich darauf, davon abzusehen, woran sie da beteiligt ist. Davon, daß den Imperialismus genau dies stört - die Notwendigkeit, immer noch auf die Russen Rücksicht nehmen zu müssen -, wird er auf Dauer nicht absehen können. Denn bei seiner Konsequenz, mit der alles "Sozialistische" in der russischen Politik endgültig verabschiedet, dürfte ihm eine Preisgabe des Vaterlandes und seiner Macht nicht ebenso egal sein.

Um die muß er sich auch kümmern, umso mehr, als seine Außenpolitik noch mehr als die seiner Vorgänger vom einzigen Weg nichts mehr wissen will, der einen kapitalistischen Feind "zur Vernunft bringt". Eher glaubt er an den "Zwang zur Vernunft", der von seinen Atomwaffen ausgeht und im Pentagon die Überzeugung von der Notwendigkeit des Friedens ausbrechen läßt.

Wie die Dinge stehen, hätte es wenig Sinn, mit Michail Gorbatschow über theoretische und praktizierte Kritik am Kapitalismus zu reden. Er hat schließlich den Gegensatz, auf dem seine Feinde in der Staatenwelt bestehen, in einen Unterschied der "Gesellschaftsordnungen" übersetzt; sein Kampf gilt nur noch der Bestätigung dieser Übersetzung beim Chefdolmetscher der Weltordnung. So führt er laufend den Beweis, daß es wirklich bloß Unterschiede sind, die niemanden ernstlich zu beunruhigen brauchen. Einen Beweis hält er für extrem glaubwürdig: den Willen und die Fähigkeit seines Systems, außer in Gewaltdingen auch auf dem Feld des Schachers mit dem Westen kompatibel zu sein.

Der Ideologe des Westhandels - oder: Was kümmert mich mein skeptisches Geschwätz von gestern

Der Chef der KPdSU hat schon einmal gewußt, daß der Handel mit dem Westen Abhängigkeiten schafft, daß er zu politischen Erpressungen eingesetzt wird. Er hat die "Importgeißel" kritisiert, das Vertrauen auf Technologieimporte anstelle eigener Anstrengungen. Das sieht er jetzt im Lichte seiner Politik der Verständigung auch anders. Keine internationale Agentur des Imperialismus, in die die Sowjetunion nicht hinein will. IWF, Internationale Währungsbank, GATT, das ist alles ungefähr dasselbe wie eine "internationale Arbeitsteilung", an der sich jede Nation, die vorwärtskommen und sich anderweitig beliebt machen will, beteiligen muß. Gorbatschow sagt nicht einmal, wahrscheinlich weiß er es auch gar nicht, worin denn der ökonomische Nutzen für die Sowjetunion bestehen soll, wenn sie beim Streit um die wechselseitigen Erpressungen der Weltmarktskonkurrenten, um deren Währungsmanöver und Kreditmachenschaften dabeisitzt. Dabeisein ist alles. Schließlich stiften gerade diese "Beziehungen", in denen schließlich kein Krieg, sondern nur Konkurrenz stattfindet, Frieden. Die Not der Selbstbehauptung, der einzige Grund für die sowjetischen Waffen, hat in diesem Hirn dazu geführt, daß Imperialismuskritik nicht mehr notwendig ist.

Bedenken gegen Importe und Verschuldung sind offensichtlich total passe, wenn die Emissäre der SU jede Kreditaufnahme mit dem Bekenntnis feiern, wie "normal" ihre Nation sich in den internationalen Schacher integrieren will und wie schädlich "Autarkiedenken" wäre. Es soll angeblich auch enorm viel vom Westen zu "lernen" geben, was "erfolgreiches Wirtschaften" angeht, das im Lichte des neuen Denkens eine ziemlich systemneutrale Angelegenheit zu sein scheint. Daß das ganze Geheimnis der bewunderten kapitalistischen "Effizienz" in der effizientesten Ausbeutung besteht und in der effizientesten Gewalt dazu, ist diesem modernisierten Kommunisten ziemlich unbekannt. Inzwischen begeistert er sich auch noch als "Demokratisierer" für die effiziente Staatsraison und ihre Techniken, d.h. wofür er sie hält. Zweifel kommen den Regisseuren der zweiten Revolution auch nicht daran, was die Herren Kapitalisten, wenn sie sie in ihr Land bitten, um zu dessen Produktivkräften beizutragen, alles auszusetzen haben und sich ausbedingen.

Im Zuge der Perestroika kauft die erneuerte Sowjetunion quer durch die Welt zusammen, was sie zur Behebung der sogenannten "Engpässe auf dem Verbrauchermarkt" für tauglich hält. Als hätte es keine Krise in Polen gegeben, als wären die Erfolge des Handels mit dem Westen, wie sie die RGW-Partner aufzuweisen haben, ein einziger Grund zur Begeisterung über die Brauchbarkeit realsozialistischer Nationen für die Belange westlichen Außenhandels.

Die Gorbatschow-Doktrin vom Fortschritt durch Aufweichung - im Ostblock

Mit der Breschnew-Doktrin ist vorläufig Schluß im Kreml. Gorbatschow wüßte auch gar keinen Grund mehr dafür, Nationen des Warschauer Pakts zur Loyalität zu zwingen. Leonid, obwohl der Sozialisten größter nicht, hat da noch anders gedacht und gehandelt. Ihm war die Überlegung geläufig, daß ein verbündeter Staat, der sein wirtschaftliches Potential und dementsprechend seine politischen Zielsetzungen auf Beziehungen zum Westen orientiert, nicht mehr der eigenen, sondern "der anderen" Sache nützt. Von der war ihm klar, daß sie eine feindliche ist. Ganz anders in diesem Punkte Gorbatschow. Die unter seinen Augen stattfindende Auflösung des überkommenen realsozialistischen Wirtschaftens in den Bruderländern hält er schon deswegen für weiter nicht schlimm, weil er in seinen wirtschaftliclen Studien zu gewissen Überzeugungen gelangt ist. Sozialismus ist für ihn so etwas wie ein intakter Staatshaushalt, der neben der Herstellung des allseitig entwickelten sozialistischen Menschen die Verpflegung und Unterhaltung der Bürger abzuwickeln gestattet. Wenn die Aufbesserung dieses Haushalts über Geschäfte mit dem Westen versucht wird, so ist das normal und friedensfördernd dazu. Wenn es schief geht und der Haushalt leidet, sind mehr und bessere Reformen nötig; wenn sich die Zuständigen darum kümmern und die Reformen unter dem Gesishtspunkt abwickeln, daß die Pflichten gegenüber dem Ausland erfüllt und künftige Chancen eröffnet werden, so ist das logisch und nicht tragisch. Die Beiträge der sozialistischen Bruderländer zum Bündnis - in Gestalt des RGW oder des Pakts - ergeben sich daraus, was ihr nationales Wirtschaften hergibt, was sie ihren eigenen Interessen entsprechend wollen. Der nationale Fortschritt ist, solange der Staat nicht aus dem Bündnis ausgetreten ist, schließlich allemal dasselbe wie ein erhöhter Nutzen der sozialistischen Staatengemeinschaft - und wenn die Führungsmacht gelegentlich vorbeikommt, werden die interessanten Experimente bestaunt. Der moralische Ertrag dieser Lesart der Gleichung Nationalismus = Sozialismus, nicht zu vergessen, ist ein ungeheurer. In Sachen Liberalismus können sich die westlichen Aufseher von Hinterhöfen, von quasi-natürlichen Hemi- und Interessensphären noch allemal eine Scheibe abschneiden.

Der Fortschritt ist unaufhaltsam

Die polnische Partei sucht das nationale Heil neuerdings darin, ein Bündnis von Pfaffen und Antikommunisten an der Regierung zu beteiligen; die polnische und die ungarische Partei entschuldigen sich coram publico für ihre sozialistische Vergangenheit, lauter stalinistische Fehler; sie stellen ihr Bündnis zunehmend in Frage, greifen das östliche Handelssystem als Belastung ihrer nationalen Rechnungen an und schließen jedes Geschäft in der anderen Himmelsrichtung ab, das nur irgend geht; politisch geben sie lauter Antisowjetismen Raum, den Warschauer Pakt erklären sie für ziemlich belastend und fast auch überflüssig; in der ungarischen Politik wird laufend die Frage der Neutralität aufgeworfen und mit lauter Anschlußprojekten kokettiert, an Österreich, an die Efta, am liebsten gleich an die EG. Kaum abzusehen, wie ein solches "vielfältiges Vorankommen zum grundsätzlich gemeinsamen Ziel ein Quell der Lebensfähigkeit und Kraft des Sozialismus" sein oder "das Vorankommen des Weltsozialismus und des gesamten Fortschritts der Menschheit" bedeuten soll.

Daß ein Einmarsch die passende Korrektur einer Linie wäre, in der "Sozialismus" zum Stichwort für den Wert herabgesunken ist, der die Sache der Nation ziert, läßt sich nicht behaupten. Wer würde denn da mit welchem Ziel einmarschieren: Ein Glückwunsch ist aber auch nicht angebracht, wenn die östliche Führungsmacht ihren Block durch den Westen auflösen läßt und das auch noch mit aufmunternden Komplimenten von ihrer Seite aus begleitet. "Eigene Wege" - je mehr davon, desto besser. Der leitende Genosse in Moskau kennt noch nicht einmal die Zwischenstufe; er warnt nicht einmal vor gewissen Experimenten, die ziemlich eindeutig und brutal die paar sozialen Errungenschaften in Frage stellen, die die Arbeiterklasse im Ostblock wirklich genießt; er weiß ja endgültig keinen Grund mehr für eine Bündnistreue, die sich aus gewußten und gewollten Systemunterschieden, d.h. gegensätzlichen Zielsetzungen, ergibt. Für den Führer einer Weltmacht ist sein vom Westen so wohlwollend beobachteter "Liberalismus" eine zweischneidige Sache. Der in dieser Frage fällige Rettungsdienst steht nämlich noch bereit. Ob die Aktion noch als Bewahrung des Sozialismus ausgegeben wird oder nicht, ist dann auch schon wurscht.

IV. Methodenkult, den (Miß-) Erfolg der Perestroika betreffend

Von wegen Effizienz!

Ideologien bewähren sich selten als Produktivkräfte; auch wenn sich sowjetische Führung und Volk ziemlich einig sind, daß "der Mensch im Mittelpunkt" steht und ökonomischer Erfolg und Mißerfolg mit dessen Einsatzfreude stehen und fallen, entscheiden auch in der Sowjetunion immer noch die Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte darüber, was an Reichtum zustandekommt und was sich damit (nicht) anstellen läßt. Deshalb kommt der Erfinder und Anleiter der Perestroika auch nicht darum herum, sich mit dem Erfolg der Perestroika zu beschäftigen, der sich nicht einstellt. Das tut er zunehmend bei jedem öffentlichen Auftritt und beweist nur einmal mehr, wie es um seine Geistesgaben bestellt ist.

Der Kampf um die Tauglichkeit der Perestroika: Gequatsche über Tempolimits, Bremsen und Sand im Getriebe

Außer der Idee, daß die Perestroika an der Erblast der vergangenen Haushaltsdefizite noch viel mehr leidet, als er sich das zu Beginn gedacht hätte, hat er nicht viel mitzuteilen, was die Gründe ihres schlechten "Vorankommens" betrifft. Er sieht seine Aufgabe aber auch woanders, nämlich darin, seine Massen bei der Stange zu halten, ihren Glauben an die Perestroika zu stärken und ihnen Mut zuzusprechen. Wie ein christlicher Wanderprediger betreut er das Seelenleben seiner Nation, z.B. mit erbaulichen Betrachtungen über die Zeit. Die Perestroika braucht nun einmal ihre Zeit; deren Anhänger können da zwei Fehler machen, die sie besser lassen sollten: Sie können zu schnell vorgehen wollen, das ist nicht gut. Aber sich zuviel Zeit lassen, ist auch nicht gut. Damit weiß das Volk immerhin schon einmal, daß es sich sowohl vor "Hitzköpfen" wie vor "Bremsern" hüten muß, und hat ein paar Anhaltspunkte zur Bearbeitung der Schuldfrage.

Was es selbst angeht, erhält es vor allem immer wieder den Auftrag, "Initiative zu zeigen", "konkret zu handeln." Abstraktes Handeln dürfte zwar auch ein Sowjetmensch nicht hinbekommen, aber der Generalsekretär und sein Volk verstehen sich da schon.

"In Donezk, bei einem Treffen mit Bergarbeitern, sagte einer von ihnen: 'Jetzt haben wir schon genug geredet, es ist an der Zeit zu handeln.' Das ist unumwunden und klar gesagt. Und ich reagiere so: Mehr konkrete Taten - das ist die Losung des Tages."

Seinerseits geht er mit konkreten Taten voran. Mit ellenlangen Reden, die die konkreten Eigenschaften der Perestroika, ihre Geschwindigkeit, ihre Schwierigkeit, aber auch ihre Erfolgsaussichten, ihre Tiefe, Reichweite und Dimensionen, ihre Neuartigkeit und Verbundenheit mit den sozialistischen Idealen, ihre Lebhaftigkeit und Verankerung im lebendigen Gefühl der Massen in jeder Hinsicht ausleuchten, daß kein Auge trocken bleibt.

V. Statt eines Epilogs: Die Verfügung über Macht ändert nichts an der Unbrauchbarkeit tauber Nüsse für den Kommunismus. Dies ist der Unterschied zum Kapitalismus.