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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1989 erschienen.

Systematik

Bush-Rede
UNSER GROSSER BRUDER HAT EINE VISION

Präsident Bush hat jüngst programmatisch verkündet, wie er seine Macht zu gebrauchen gedenkt für die "Vision einer besseren, friedlicheren Welt". Die ganze Welt im Geiste umkrempeln, darunter tut es kein amerikanischer Präsident, wenn er von Frieden redet und bekannt macht, unter welchen Bedingungen er sich ein Auskommen mit der Sowjetunion allein vorstellen kann.

Gemäßigt soll es sein, Bushs Programm einer "Politik für die neunziger Jahre". Was bei den NATO-Chefs und ihren Anhängern so gemäßigt heißt!

Eine Erfolgsmeldung

"Die Strategie der Eindämmung hat funktioniert. Alle früheren Präsidenten glaubten, daß sich die Sowjetunion, wenn man ihr den leichten Weg der Ausdehnung versperrt, nach innen wenden würde und sich mit den Widersprüchen ihres ineffizienten, repressiven und unmenschlichen Systems befassen würde. Und sie hatten recht."

So ist das also. Der Mann im Kreml unternimmt alle möglichen Reformanstrengungen; er fordert jede oppositionelle Regung zur Mitwirkung an der "Perestroika" auf; die unmenschlichen und repressiven Bürokraten lassen sogar ihre Sacharows in Amt und Würden wählen; Gorbatschow macht lauter einseitige Abrüstungsschritte und bietet den USA ein einvernehmliches Zusammenwirken an, um ihre weltpolitischen Gegensätze beizulegen der amerikanische Präsident aber verbucht das alles als einen einzigen Erfolg der unerbittlichen waffenstarrenden Feindschaft der USA. Gorbatschows Reformen sind für ihn ein einziges durch die amerikanische Macht erzwungenes Eingeständnis einer sowjetischen Niederlage und ein Dokument ihrer Zersetzung. Und das stimmt den menschenfreundlichen Präsidenten der freien Welt zufrieden.

Eine Vision

und eine "wertvolle Chance" hat Bush in diesem Erfolg entdeckt. Zum Frieden schließen: Keineswegs. Jetzt heißt es, die gelungene Eindämmung der Sowjetunion und "vierzig Jahre Durchhalten" zu Ende zu bringen.

"Wir streben die Einbindung der Sowjetunion in die Gemeinschaft der Nationen an. Während sich die SowjetHnion auf größere Offenheit und Demokratisierung zubewegt, werden wir ihren Schritten mit Schritten unsererseits entsprechen. Letztlich ist es unser Ziel, die Sowjetunion wieder in der Weltordnung zu begrüßen."

Die Sowjetunion hat er also erst einmal höchstoffiziell ausgeschlossen aus seiner schönen "Weltordnung". Sie hat nach dem Urteilsspruch aus dem Weißen Haus keinen Platz in der Staatenwelt, auch wenn sie die Rolle der Weltmacht Nr. 2 beansprucht und mit ihren Mitteln behauptet. Der Chef des feindlichen Westens verkündet, daß sie ihr politisches Existenzrecht nicht durch ihre eigene Macht verliehen bekommt, sondern von den USA. Und das muß sie sich erst noch verdienen. Das Weiße Haus höchstpersönlich überwacht und entscheidet, wann die Sowjetunion reif für die Staatengemeinschaft ist. Amerika hat einen Traum, die Sowjetunion soll ihn wahrmachen: den freien westlichen Zugriff auf die ganze Welt.

Freche Forderungen

"Die Umsetzung dieser Vision erfordert von der Sowjetunion positive Schritte."

Klar, so hat Bush sie ja formuliert. Amerika dagegen muß nur eins: "Durchhalten" und von den sowjetischen Reformern die Erfüllung aller feindlichen Ansprüche verlangen, die Amerika seit den Tagen des Kalten Krieges unverrückbar gegen den Ostblock ins Feld geführt hat. Die Liste fällt entsprechend radikal aus:

- "Verringerung der sowjetischen Streitkräfte" als Voraussetzung und als Ziel der Abrüstungsverhandlungen. Seinerseits verspricht Bush, "unsere Option zu wahren, moderne Verteidigungssysteme zu stationieren, sobald sie fertig sind". Entwaffnung der Russen und weitere Bewaffnung des Westens, das Programm hat der amerikanische Präsident Gorbatschows Friedensangeboten entnommen.

- "Selbstbestimmung für alle Nationen in Ost- und Mitteleuropa". Wann das gegeben ist, entscheiden natürlich nicht die Staaten selber; das richtet sich danach, wann Amerikas oberster Freiheitswächter zufrieden ist mit seinem Einfluß in diesen Nationen. Die Freiheiten, die sich die sowjetischen Satelliten herausnehmen und die ihre Schutzmacht ihnen zugesteht, reichen prinzipiell nie. Denn für die USA ist "Selbstbestimmung" nur ein anderes Wort für amerikanische Kontrolle - so wie sie zum Beispiel bei der gewaltsamen Sicherung "unseres Öls" im Golf praktiziert wird, bei der Aufsicht über den Panamakanal, bei der Bestrafung Nicaraguas usw. Die freiheitliche Beaufsichtigung der ganzen Staatenwelt ist ein unveräußerliches Recht des amerikanischen Weltpolizisten. Der Sowjetunion steht keinerlei Konkurrenzunternehmen zu, sondern die Pflicht zur freiwilligen Auflösung des Ostblocks.

- Schluß mit dem sowjetischen Einfluß im Rest der Welt. Aufgabe Angolas, Rückzug aus Afghanistan, ohne Beendigung der amerikanischen Waffenhilfe für Rebellen; keine sowjetische Unterstützung mehr für Nicaragua, dafür aber weiterhin amerikanische Wirschaftsblokkade und Contra-Aufrüstung - das zählt bestenfalls zu den Selbstverständlichkeiten, die nicht die Russen zur Forderung nach Gegenleistungen, sondern Amerika zu weitergehenden Erwartungen berechtigen.

- "Politischer Pluralismus und Respekt für Menschenrechte", z.B. freies Ausreiserecht für alle Juden, während sie in den USA gar nicht alle aufgenommen werden. Man stelle sich vor, die SU würde die Anerkennung der USA von der Behandlung der Indianer oder der Ghetto-Neger oder von der Garantie eines Arbeitsplatzes für jedermann abhängig machen. Aggression, Einmischung wäre der geringste Vorwurf.

Aber wenn der amerikanische Präsident den sowjetischen Staat mit all seiner Macht infrage stellt und dieses Weltmachtinteresse auch noch programmatisch als Angebot an die Sowjetunion und als Chance verkündet, die Gorbatschow der freien Welt eröffnet, dann gilt das als neue, gemäßigte amerikanische Politik. So gemäßigt, daß mancher kritische Journalist glatt ein bißchen das Visionäre nach dem Muster von Reagans "Kreuzzug gegen das Reich des Bösen" und seinem Weltraumrüstungsprogramm vermißt.

Eine Warnung

schickt Bush hinterher: "Vorsicht vor den 'Versprechungen'der Russen!"

Sie müssen erst noch beweisen, ob sie die Reformen so vorantreiben, wie die USA das verlangen: Bis zur Selbstaufgabe. Deswegen sind in den Augen des Mannes im Weißen Haus alle Reformen höchstens "erste ermutigende Schritte", ermutigend für den amerikanischen Präsidenten, noch viel weitergehende zu fordern. Ohne die wäre alles Bisherige nichts.

Und das soll den Frieden fördern und zu Hoffnungen Anlaß geben?