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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1989 erschienen.

Systematik

Zum Streit um die "Modernisierung" der Lance-Raketen
WOZU BRAUCHT DIE BUNDESREPUBLIK ATOMWAFFEN?

Die Bundeswehr besitzt Raketen, mit denen amerikanische Atomsprengköpfe über 100 Kilometer weit verschossen werden können; ca. 90 "Lance"-Systeme mit jeweils 10 Flugkörpern. Diese Geräte sollen in den nächsten Jahren durch neue Raketen ersetzt werden, die etwa viermal so weit fliegen können knapp 500 Kilometer, also ein bißchen weniger als die Reichweite, bei der offiziell die Kategorie der "Mittelstreckenraketen" beginnt. Auf die haben Sowjetunion und USA ja bekanntlich fürs erste verzichtet.

Die NATO will diese neuen Raketen; die US-Regierung will sie, die britische Regierung will sie, die französische Regierung möchte sie auch. Nur der bundesrepublikanische NATO-Partner, bei dem diese Dinger aufgestellt werden sollen, will anscheinend nicht so recht: "Noch nicht gleich!" heißt es aus Bonn; es gäbe "noch gar keinen Entscheidungsbedarf"; "später dann...!" Dieselbe Regierung, die sich nur ungern und unter größten Bedenken von ihren Pershing- Mittelstreckenraketen getrennt hat, tritt so auf, als hätte sie etwas gegen die geplante neue Atomträgerwaffe in bundesdeutscher Hand.

Das ist deswegen nicht leicht zu verstehen, weil dieselbe Regierung ihre Kurzstreckenraketen - bislang eben die"Lance" - auf gar keinen Fall aufgeben will. Sie selber hat kräftig mitgewirkt an dem NATO-Standpunkt: "Keine dritte Null- Lösung!" - also: Kein "Tauschgeschäft", bei dem Ost und West nach den verschiedenen Arten von Mittelstreckenraketen nun auch noch die Atomraketen kürzerer Reichweite abrüsten würden.

Dieses strikte "Nein!" zu einem solchen Abrüstungsgeschäft ist selber nun allerdings auch nicht leicht zu verstehen. Denn von einer solchen weiteren "Null-Lösung", für die die sowjetische Regierung wirbt, wären auf russischer Seite etwa zehnmal so viele Raketen betroffen wie auf westlicher - so haben es jedenfalls die NATO-Experten für "sowjetische Überrüstung" und "Bedrohung aus dem Osten" immer vorgerechnet. Und selbst wenn dabei einige Übertreibung im Spiel war: Rein mengenmäßig wäre die Beseitigung dieser ganzen Waffengattung für die NATO-Militärs ein gutes Geschäft, vielleicht sogar tatsächlich ein noch viel besseres als die Verschrottung von Mittelstreckenraketen.

Solche Berechnungen haben derzeit aber zurückzutreten hinter dem festen und unverrückbaren Beschluß der NATO-Mächte, daß eine "Ent-Nuklearisierung Westeuropas" auf gar keinen Fall in Frage kommt. Die entsprechenden Sorgen sind zwar maßlos übertrieben; schließlich sind die "Lance"-Systeme nur ein Bruchteil des atomaren Waffenbestandes der NATO in Westeuropa. Dort hat die ATO ja noch einiges an nuklearer Artillerie und vor allem einige Hundertschaften modernster Flugzeuge, die Atombomben tragen und genauestens ins Ziel werfen oder schießen können; außerdem sind um den Kontinent herum Flugzeugträger mit weiteren solchen Bombern sowie U-Boote mit Atomraketen jeder beliebigen Reichweite stationiert; und die französischen und britischen Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen gibt es schließlich auch noch. Um so interessanter ist deswegen die Frage, warum die NATO-Mächte einschließlich BRD den Abbau von Atomwaffen in Westeuropa für so gefährlich halten und von weiteren "Null-Lösungen" durchaus nichts wissen wollen.

Die offizielle NATO-Auskunft hierzu lautet:

"Wegen der sowjetischen Überlegenheit!"

Die wäre anders als durch Atomwaffen nicht auszugleichen. Dieses Argument ist deswegen sehr aufschlußreich, weil es eine bemerkenswert "selbstbewußte" Sichtweise der NATO-Europäer verrät. Wie sehr die Sowjetunion den europäischen NATO-Staatern - für sich genommen, also ohne die amerikanische Rückendeckung gedacht - militärisch überlegen ist, das sehen die westlichen Kriegsexperten nämlich schon mit einem Blick auf die Landkarte: Einerseits ein riesiger Landblock mit enormer "Tiefe des Raumes" - demgegenüber ein schmales, zudem dicht besiedeltes Randgebiet im Westen, das gar keinen Platz für ein gescheites großräumiges Schlachtfeld bietet. Außerdem hat es die Sowjetunion zur atomaren "Supermacht" gebracht, die sich auf höchster strategischer Ebene, im Weltkrieg, nur mit den USA vergleichen muß; auf der Ebene sind die Westeuropäer nicht ebenbürtig - haben es bislang übrigens auch nie werden wollen, ohne die USA. Auch sonst unterhält die Sowjetunion eine Militärmacht, die in der Lage sein soll, mehr oder weniger allein einen Weltkrieg durchzustehen; die europäische Front ist für sie zwar ein bedrohlicher und wichtiger, aber bloß ein Kriegsschauplatz; und auch da sieht sie sich nicht bloß ihren europäischen Nachbarn als Gegnern gegenüber, sondern - wie auch sonst überall - der westlichen Weltmacht Nr. 1, den USA, und wappnet sich entsprechend. Sehr logisch, daß die westeuropäischen Regionalmächte sich da furchtbar unterlegen vorkommen, solange sie nur ihre eigenen Streitkräfte in Betracht ziehen.

Nun wird von dieser Unterlegenheit nicht viel "ausgeglichen", wenn ein paar Hundert atomare Gefechtsfeldwaffen in Westeuropa aufgebaut werden. Zumal die Sowjetunion ja auch diese militärische Herausforderung angenommen und ihrerseits für eine atomare Kriegsführung an der europäischen Front gesorgt hat. Daß Land und Leute in Westeuropa auf diese Weise im Endeffekt militärisch besser geschützt wären, ist ein Märchen, das man gleich vergessen kann. Der entscheidende Punkt ist sowieso ein anderer. Die Machthaber und Kriegsfunktionäre der NATO drücken ihn so aus: Die Atomwaffen in Westeuropa, insbesondere die amerikanischen Bomben und Nuklearraketen in der Bundesrepublik, würden die

"Ankoppelung an die strategische Atommacht der USA"

gewährleisten. Und das heißt erst einmal ganz schlicht: Die westeuropäischen NATO-Staaten bauen sich der Sowjetunion gegenüber als Teil der amerikanischen Weltkriegsmacht auf. Sie sollen und wollen militärisch auf gar keinen Fall bloß das sein, was sie für sich genommen militärisch bloß sind, nämlich recht bedeutende, aber Regionalmächte am westlichen Rand des sowjetischen Bereichs. Sie begreifen sich selbst als Gegenspieler der Weltmacht Sowjetunion; daraus leiten sie ihre militärischen Probleme und Sicherheitsbedürfnisse ab. Oder anders: Die alten europäischen Großmächte wollen und sollen unbedingt am letzten und entscheidenden militärischen Gegensatz auf der Welt, an der strategischen Atomkriegsdrohung zwischen den "Supermächten" USA und Sowjetunion aktiv beteiligt sein. Sie wollen Weltkriegspartei sein - ohne das, als bloße Regionalmächte, kämen sie sich glatt als militärisches Entwicklungsland, als abhängiges Opfer fremder Entscheidungen vor; und diese Rolle haben sie doch dem Rest der Staatenwelt zugedacht.

Dieser unbedingte Wille, beim Weltkrieg maßgeblich mitzumachen, wird offiziell als Schutzbedürfnis der Westeuropäer ausgegeben. Wahr ist daran nur: Ohne diesen Anspruch, ohne das Bündnis mit der westlichen Weltmacht in einem festen Welt- und Atomkriegspakt, müßten die Staaten Westeuropas ihr Verhältnis zur Sowjetunion glatt anders regeln - was andere Nachbarn der Sowjetunion ja durchaus tun, übrigens ohne von der Roten Armee eingemeindet zu werden. Daß die ohne NATO-Bündnis sofort bis zum Rhein oder gleich bis zum Ärmelkanal durchmarschieren würde, gehört zu den NATO-Legenden, die erzählt werden, um eine politische Entscheidung der Westeuropäer zu rechtfertigen. Daß die westeuropäischen Staaten mit Rückendeckung der USA militärisch "über ihre Verhältnisse leben", soll da wie ein Sachzwang wirksamer Verteidigung aussehen, über den man gar nicht mehr zu reden braucht. Umgekehrt passen die Dinge zusammen: Der Beschluß, aus Westeuropa eine Weltkriegspartei an der Seite Amerikas zu machen, schafft überhaupt erst die europäische Bedrohungslage und da Unterlegenheitsverhältnis gegenüber der sowjetischen Atomkriegsmacht, die sich dann ohne Rückendeckung durch die strategischen Atomwaffen der USA gar nicht "bewältigen" lassen.

Militärische Drangsale des Atomkriegs-Juniorpartners BRD

Durch die NATO und ihre Atomwaffen gehören also die Westeuropäer - und gehört sogar die BRD, immerhin nach der totalen militärischen Kapitulatinn Deutschlands, längst wieder - zur obersten Oberliga der Welt-Militärmächte. Die Bundesrepublik ist zwar bloß Mitmacher, aber immerhin Mitmacher der Weltkriegsvorbereitung. Davon will dieser nette Staat um keinen Preis ablassen.

Und der Preis ist nicht gering. Denn für die NATO ist die BRD ein für allemal Frontstaat und Kriegsschauplatz. Alle militärischen Planungen für den Krieg in Europa sehen früher oder später den Einsatz atomarer Gefechtsfeldwaffen in Mitteleuropa vor - das ist ja gerade die "Ankoppelung" der Bundesrepublik an die strategische Atommacht der USA, also der Schutz und die unerläßliche Rückendeckung für die bundesdeutsche Weltkriegs-Militärmacht.

Aus dieser peinlichen Lage gibt es für den Ehrgeiz bundesdeutscher Regierungen nur einen "Ausweg": noch viel mehr Mitwirkung an der westlichen Weltkriegsplanung und -vorbereitung; noch viel mehr Einfluß auf die Vorkehrungen der NATO für den europäischen Atomkriegsfall. Keine Ent-Nuklearisierung Europas; aber eine nukleare Strategie bitteschön nach deutsch- nationalem Kalkül: Das ist der feste Standpunkt der Bundesregierung.

Von da aus beurteilt sie die atomaren Rüstungen und Rüstungspläne des Bündnisses, und nie ist ihr der erreichte Stand recht. Wie denn auch - der totale Blitzsieg, die einzige militärische Lösung des bundesdeutschen NATO-Problems, ist im Atomkrieg so leicht nicht zu haben. Die NATO bastelt schon seit Jahrzehnten an so einer "Lösung"!

Die Suche nach der idealen Option: NATO-Gesamtkonzept in deutschem Interesse

Von bundesdeutschen Politikern wird sie unablässig aufgestellt - die Forderung nach dem "Gesamtkonzept", das die Strategie der NATO Westeuropas und damit die weitere Aufrüstung allumfassend, einvernehmlich mit allen Partnern und unter Berücksichtigung der Abrüstungsangebote aus dem Kreml festlegen soll. Das erfüllt in jeder Hinsicht den Tatbestand der Heuchelei. Da wird so getan, als sei die militärisch armselige Bundesrepublik von fremden Waffen aus NATO-Kreisen nur betroffen - wie war das eigentlich bei der Stationierung der Mittelstreckenraketen 1983? -, so daß zum Beispiel der Flottillenadmiral Schmähling von der Bundeswehr daraus ein Recht ableitet:

"Die Bundesrepublik Deutschland muß im Bündnis das Prinzip der 'Meistbetroffenheit' durchsetzen, d.h. sie muß ein Mitspracherecht bei allen Entscheidungen verlangen, die die Stationierung und den möglichen Einsatz von Waffensystemen anderer Nationen auf deutschem Boden betreffen." (Frankfurter Rundschau, 19.11.88)

Da gibt's einen Streit zwischen der Bundesrepublik und Frankreich, weil die BRD bei der Vorbereitung der neuen konventionellen Abrüstungsrunde mit der Sowjetunion den Verdacht schöpft, daß sich Frankreich und Großbritannien aus den Zonen konventioneller Streitkräfte, die für die Abrüstungsverhandlungen unterschieden werden sollen, herausstehlen wollen. Und die Bundesrepublik dringt auf Gerechtigkeit. Sie erhandelt von ihren NATO-Partnern,

"die Regel für die Abrüstung in den verschiedenen Regionen sei, als zusammenhängendes Ganzes zu verstehen, die nur gleichzeitig und im gesamten Gebiet vom Atlantik bis zum Ural zur Anwendung kommt'." (Süddeutsche Zeitung, 10.3.)

Eigentlich unverständlich, warum die Position der westeuropäischen NATO gegenüber der Sowjetunion besser sein soll, wenn alle NATO-Partner gleichermaßen in den Abrüstungsprozeß einbezogen werden! Aber dem Kanzler fällt auch nichts Besseres als die Gerechtigkeit zwischen den NATO-Verbündeten ein. Er bringt unter diesem hohen militärischen Wert sogar noch die geplante Aufrüstung seines Kriegsbündnisses unter:

"In der Debatte über das Gesamtkonzept aufdem NATO-Gipfel in wenigen Monaten werden wir darauf bestehen, daß die deutschen Interessen gewahrt werden. Es darf keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit im Bündnis geben." (SZ, 3.2.)

Das ist alles gelogen: weder bestimmt die besondere bundesdeutsche Betroffenheit von der Auseinandersetzung zwischen Ost und West, noch das Ideal gleicher Sicherheit im Bündnis das deutsche Interesse. Die Herren in Bonn haben Probleme, weil es nicht vorwärts geht mit ihrer militärpolitischen Rolle im Bündnis und gegen die Sowjetunion. Sie sehen kein Land, was die angelaufenen Abrüstungsverhandlungen der konventionellen Art mit der Sowjetunion anbetrifft, wie ihnen das mehr militärpolitische Bedeutung im Westen einbringen könnte. Sie wissen nicht einmal mehr zu sagen, wie ihnen eine längst beschlossene Aufrüstung (= Modernisierung) taktischer Atomwaffen der NATO von Vorteil sein könnte.

Und weil einer Regionalmacht wie der BRD nichts unwürdiger erscheint, als eine solche auch fürderhin bleiben zu müssen, weil sie aber andererseits auch nicht viel mehr als eine Mittelmacht ist, die nicht einfach kann, was sie will, drücken die bundesdeutschen Verantwortlichen ihre wirklichen Sorgen so saukompliziert und zurückhaltend aus. Fast kein wahres Wort kommt da vor, wenn unsere Politiker ihre Bedenken gegen die Modernisierung der taktischen Atomwaffen anmelden. Alle hantieren mit "unserer" Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit - als wenn es darum ginge. Alle führen Abrüstungsgesichtspunkte und die Linie Gorbatschows ins Feld, als wäre das die weltbewegende Tendenz der NATO: Lothar Späth drückt seinen Vorbehalt gegen die Modernisierung mit dem Vorschlag aus, sie "an einen neuen Doppelbeschluß zu koppeln: Ganz oder teilweiser Verzicht, wenn der Osten weiter abrüstet" (SZ 10.4.). Jürgen Möllemann fordert ein "Vorverhandlungsmandat für die Verringerung der atomaren Kurzstreckenwaffen" und vom anstehenden NATO-Gipfel, "ein Bündniskonzept zur Rüstungskontrolle und Abrüstung zu beschließen, nicht für Rüstung und Aufrüstung". Dieselben und andere betonen andererseits, daß es atomare Kurzstreckensysteme weiterhin geben müsse, weil sonst die Abschreckung nicht mehr gewährleistet sei. Daraus folgern sie aber nicht, daß eine Modernisierung baldigst geschehen müsse, um die Abschreckungslücke zu schließen. Kohl und Scholz lehnen eine Null-Lösung bei den Kurzstreckenwaffen ab, wollen aber die Entscheidung über die Modernisierung verschoben sehen. Geißler faßt zusammen und nimmt dafür die Lüge vom Abrüstungswillen zu Hilfe:

"Die Option muß aufrechterhalten werden. Und ob die Option realisiert wird, das hängt davon ab, ob es zu dieser asymmetrischen Abrüstung kommt." (Frankfurter Allgemeine, 4.4.)

Am deutlichsten drückt noch Alfred Dregger aus, welches die wirklichen Sorgen sind, die die deutschen Militaristen plagen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU denkt gleich an eine tatsächliche Kriegsführung. Nach ihm soll die atomare Artillerie ganz abgeschafft werden, weil sie "den deutschen Boden treffen könne". Daß es sich deswegen um eine ineffektive Waffe gegen den Feind handelt, drückt Dregger sogar noch im Jargon der NATO-Ideologie vom Abschrecken und gedeihlichen Zusammenwirken im Kriegsfall unmißverständlich aus:

"Nukleare Rohrartillerie kann wegen ihrer geringen Reichweite zur Verhinderung von Krieg durch Abschreckung kaum beitragen, da sie das Territorium des potentiellen Angreifers nicht erreichen kann. Stattdessen brauchen wir luftgestützte Abstandswaffen, die aufgrund ihrer größeren Reichweite den Abschreckungsverbund zwischen Europa und den USA aufrechterhalten..." (Welt am Sonntag, 26.2.)

Nach wie vor gilt für den BRD-Militarismus das Ideal der Gleichrangigkeit mit der Sowjetmacht. Aus der Rüstungsdiplomatie der "Supermächte" und aus dem INF-Abkommen haben die bundesdeutschen Gleichgewichtspolitikcr gelernt, wie dieses Ideal am besten ins politische Geschäft einzubringen ist - vielleicht meinen sogar manche, mit den Russen von heute wäre so sogar ein Stück weiterzukommen!

"Dregger plädierte dafür, das Gesamtkonzept mit einer Abrüstungsinitiative des Westens zu verknüpfen. Es komme nach dem INF-Vertrag zur Verschrottung der Mittelstreckenraketen jetzt darauf an, auch unter 500 km Reichweite drastisch abzurüsten und den zu erhaltenden Mindestbestand an nuklearen Waffen der NATO so zu disponieren, daß ein möglichst hohes Maß an kriegsverhindernder Abschreckung erhalten bleibe. Der Schwerpunkt sollte in fluggestützten Abstandswaffen bestehen. Dregger sprach sich für eine geringe - unter dem jetzigen NATO-Bestand liegende - Zahl modernisierter Lance-Raketen aus, die den Spielraum des INF-Abkommens voll nutze...

Eine westliche Abrüstungsinitiative sollte nach Vorstellung Dreggers der sowjetischen Seite sagen, daß ihre Überlegenheit auf dem Feld der Systeme unter 500 Kilometer, die 14 zu 1 betrage, nicht akzeptabel sei und beide Seiten nur so viele Waffensysteme in diesem Bereich behalten sollten, als unbedingt zur Abschreckung notwendig seien." (SZ, 10.4.)

Nur das unbedingt Nötige - und dann weit mehr als jetzt, unter der Bedingung, daß die Russen abrüsten? Und das soll dann das "Gesamtkonzept einer Abrüstung des Westens" sein, die dann im Osten stattfindet.

Von Bedenken gegen eine deutsche Aufrüstung ist da wirklich nichts zu spüren. Die immer wiederholten Vorbehalte gelten der Führungsmacht, von der der bundesdeutsche Militarismus sich nicht noch einmal durchs Hinstellen und Wiederwegtun von Atomraketen düpieren lassen will. Ärgerlich nämlich ist die Erfahrung, daß unsere Freunde in den USA auch bei deutscher Rüstung nur ihre strategischen Interessen bedienen.

"Forschung und Entwicklung mag bei den Amerikanern entschieden sein, das ist auch deren Sache, aber Stationierung auf deutschem Boden, das ist auch unsere Sache."

Das sagt Dregger 1989, und er meint die Modernisierung der atomaren Kurzstreckensysteme. Dennoch: Der BRD fehlt zur Zeit eine in der NATO realisierbare Alternative auf dem Felde des Rüstungsfortschritts, die ihrem Anspruch auf Machtzuwachs taugen würde. Diese Alternative plant sie erst. Wenn Dregger sich wünscht, "neben einer europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion auch eine Sicherheitsunion zu verwirklichen" (SZ, 10.4.), dann möchte dieser gute Deutsche dieselben Erfolge auf militärischem Gebiet, die es auf dem wirtschaftlichen schon gibt für die Bundesrepublik. Auch dieses Wunschdenken dient nicht gerade dem Frieden. Gemessen an seinem Ideal mag der deutsche Militarismus in Verlegenheit sein. Insofern sucht er konsequent nach realistischen Aufrüstungsschritten, die sich auch für Deutschland lohnen.