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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1989 erschienen.

Systematik

Zur Abtreibungsdebatte
DER STAAT FORDERT MENSCHENLEBEN

Es geht offenbar ums Prinzip. - Da wird im bayerischen Memmingen ein Gerichtsverfahren gegen einen Frauenarzt durchgezogen, der sich bei der Abtreibung nicht an die dafür geltenden Paragraphen des Strafgesetzbuches gehalten haben soll, und der Staat macht daraus einen politischen Prozeß erster Güte. Am Fall wird ein Exempel statuiert.

Seit mehr als einem halben Jahr führen die Richter Frauen als Zeuginnen dafür vor, daß der Nicht-Wille zum Nachwuchs ein Staatsvergehen ist. Sie sind damit noch lange nicht am Ende. Da lassen Bischöfe in Hessen ein fünfzehn Minuten währendes "Mahnläuten für Abtreibungsopfer" anstimmen, und der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärt den Mutterleib zum "derzeit gefährlichsten Ort in unserer Gesellschaft". Der Strauß-Erbe im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten nutzt diese von ihm mitgeschaffene Atmosphäre, um einen Gang vors Bundesverfassungsgericht anzukündigen, bei dem die geltenden Abtreibungsregelungen angefochten werden sollen. Sie würden "den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz des ungeborenen Lebens nicht gerecht".

Das Recht auf Leben

- auf "ungeborenes" zumal - soll es sein, was in Gefahr ist. Kaum wo kommt deutlicher zum Vorschein, was es mit dem Menschenrecht auf die bloße physische Existenz für eine Bewandtnis hat, als in den von oben angesetzten und entschiedenen Debatten um die Strafverfolgung von Abtreibungen.

Das von Grundrechtsidealisten gern als Zugeständnis der Obrigkeit an die Menschheit geschätzte Recht aufs Lebendürfen kommt hier nämlich pur als das daher, was es ist: als staatlicher Anspruch auf die Verfügung über taugliches Menschenmaterial.

Selbst da, wo sich ein sehr potentieller Staatsbürger erst im Zustand eines Stücks Körpergewebe ankündigt, erklärt der Staat dieses Ding schon zu seinem Rechtsgut und entzieht es jeder weiteren Verfügung durch die, die es so gar nicht auf dem Rechtswege zustande gebracht haben. Indem es staatlichem "Schutz" unterstellt wird, erhält "das Leben" - diese ebenso armselige wie prinzipielle Abstraktion von allen materiellen Voraussetzungen eines gesicherten Daseins - seinen unabweisbaren "Wert".

Auf Basis dieses sehr grundsätzlichen Rechtsanspruchs auf lebendes Menscheninventar kann dann ebenso grundsätzlich darüber gerechtet werden, ab wann denn "das Leben" ein solches sei. Ob vom Anfang einer geglückten Zeugung an, ob erst nach einer Verweildauer von einigen Monaten im Mutterleib, ob unter den Maßgaben einer Geburtenkontrolle - wie wenig es auf diese Unterschiede ankommt, zeigt schon die unterschiedliche staatliche Praxis.

Der "Wert" des Lebens liegt offenbar gar nicht in ihm als natürlichem Faktum, sondern in der Wertschätzung, die ihm die jeweilige Obrigkeit zukommen läßt, wenn sie es den Bedingungen ihrer Gesellschaftsordnung qua Recht unterstellt.

Für die Bundesrepublik Deutschland hat ihr oberstes Verfassungsgericht 1975 entschieden, daß das staatliche Schutzbedürfnis für "sich entwickelndes Leben" angesichts der "Aufgaben", die die Gesellschaft für es bereithält, keinen noch so geringen Aufschub duldet. Die damalige sozialliberale Regierung durfte ihre "Fristenregelung", die einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten mit Einschränkungen - straffrei ließ, wieder einpacken und sich die - ganz überflüssige Belehrung gefallen lassen, "daß es ein uneingeschränktes Recht, über werdendes Leben beliebig zu verfügen, nicht gibt". Überflüssig war und ist diese Belehrung, weil sowohl die Fristenregelung wie auch der aus ihrer Ablehnung entstandene gesetzgeberische Handlungsbedarf davon ausgingen, daß das Kinderkriegen keine Privatsache ist.

Abtreibung - ein Fall für die Strafjustiz

Immerhin steht der Paragr. 218 nach wie vor im Strafgesetzbuch. Da mag eine Schwangerschaft oft genug ohne Absicht und gegen den Willen der Beteiligten passiert sein; das Rückgängigmachen des Malheurs - medizinisch heutzutage eine einfach Sache - steht dem Willen der Betroffenen nicht frei: Abtreibung ist gesetzlich verboten und wird mit Strafe bedroht. Private Erwägungen und Lebensplanungen zählen nichts, wo der Gesetzgeber sein Recht auf Nachwuchs anmeldet und durchsetzt. Auf zwei Umstände bezieht der Staat sich mit diesem Strafgesetz sehr berechnend: Seine Untertanen haben beim Vögeln etwas ganz anderes im Kopf als das "Rechtsgut", das dabei herauskommen und sie in Konflikt mit den Besitzansprüchen öffentlicher Instanzen bringen könnte. - "Rechen- oder Pillenfehler" sind also immer drin. Zudem läßt sich das ungewollte Resultat nur mit medizinischer Unterstützung ungeschehen machen.

Also werden die schwangeren Frauen und die Ärzte juristisch in die Verantwortung genommen für künftiges Leben, auf das der Staat "Wert" legt. Nur so wird aus einer ungewollten Schwangerschaft ein "Pech", das tatsächlich ganze Lebensläufe diktiert.

Und auch daran denkt der Staat, wenn er den "Willen zum Kind" mit Strafgesetzen erzwingt: Schwangerschaft ist für viele seiner Untertanen keine "gute Hoffnung".

In unserer staatlich geschützten Marktwirtschaft mit ihren Lohn- und Ausbildungsordnungen, ihrem freien Wohnungsmarkt und sonstigen "Lebenshaltungskosten" sind Kinder eine Last, die sich nur die wenigsten ohne Verzicht leisten können. Deshalb - und nur deshalb - kann eine Schwangerschaft in jungen Jahren "Schicksalsschlag" sein, mit dem absehbarerweise das restliche Leben ziemlich vergeigt ist. Daß "Elternglück" und "Opferbereitschaft" angeblich nicht zu trennen sind, ist garantiert kein Naturgesetz. Demokratische Politiker, die ihr Volk in Sonntagsreden gerne mit solchen Sprüchen beglücken, wissen das jedenfalls ganz genau. Sie haben es mit den Familienrechten und -pflichten ja so eingerichtet, daß die Eltern für ihre Nachkommenschaft aufkommen müssen. Das kostet beileibe nicht nur Zeit und Energie, sondern auch Geld. Und an dem fehlt es in einer ordentlichen Familie. Deswegen überlegen sich die meisten die Sache mit dem Kinderkriegen auch dreimal. Sonst bräuchte es ja nicht das umfassende Gesetzeswerk, mit dem Frauen zum Austragen des künftigen Staatsvolks gezwungen werden.

Ausnahmen zur Bekräftigung der Regel

Die derzeit gültige Fassung des Paragr. 218 folgt der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß es "einen qualitativen Unterschied zwischen ungeborenem und geborenem Leben" nicht gebe und es sich deshalb "bei einem Schwangerschaftsabbruch prinzipiell um ein Tötungsdelikt" handle, und sie macht keine Abstriche davon, daß der Zugriff der Rechtsorgane schon beim frisch befruchteten Ei anfängt, dessen Lebensrecht Vorrang vor dem "Selbstbestimmungsrecht" seiner Trägerin genießt. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber in den Paragr.Paragr. 218 und 219 einige schwere "Konfliktfälle" aufgelistet, in welchen der generelle Strafanspruch nicht zur Exekution kommt: Wenn die Mutter absehbarerweise Schwangerschaft und Geburt nicht überlebt, einen Krüppel zur Welt bringen oder durch das Kind in soziale Schwierigkeiten kommen würde. Früchte von Vergewaltigungen müssen auch nicht unbedingt das Lebenslicht erblicken.

Dies hat schon manche juristisch verbildeten Köpfe zu der besorgten Feststellung veranlaßt, hier hätten sich die rechtssetzenden Instanzen ein widersprüchliches Sanktionsinstrument geschaffen, weil sie sich nicht eindeutig genug entscheiden konnten zwischen dem "Selbstbestimmungsrecht der Frau" und dem "Lebensrecht" des Embryo.

Aber vielleicht wollte der Gesetzgeber genau das: kein Zurück zu einem simplen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs, das es bei der Kriminalisierung der beteiligten Frauen und "Engelmacher" beläßt. Abgetrieben würde dann garantiert weiter, aber wieder illegal und im Ausland, weil ja die Umstände, die eine ungewollte Schwangerschaft massenweise zu privaten Katastrophen werden lassen, nach wie vor das Leben bestimmen. Da ist es doch aus Staatssicht weit effektiver, wenn solchen "Zuständen einer vieltausendfachen Mißachtung der Sanktionsvorschriften" durch ansonsten unbescholtene Staatsbürger dadurch ein Ende bereitet wird, daß man Abtreibungen unter die eigene Rechtsaufsicht nimmt. Die Härten des sozialen Daseins in einer Klassengesellschaft, die das Kinderkiegen in den meisten Fällen so ausweglos erscheinen lassen, erhebt man dafür in den Rang einer rechtlich anerkannten "Notlagenindikation" und läßt die betroffenen Frauen den Beweis einer dem Gesetz entsprechenden "schwerwiegenden Konfliktsituation" antreten. Die Indikationsregelung hat darin ihren Begriff, daß sich die Rechtssetzer nicht nur einen Zugriff auf das "werdende Leben", sondern gleich auch noch einen auf den Willen der Frauen erlauben, die es auszutragen haben.

Der Rechtsweg, den der Paragr. 118 abtreibungswilligen Frauen vorschreibt, wenn sie in den Genuß der Einstufung als "Ausnahmefall" kommen wollen, widerlegt schlagend den Schein, hier hätte der Staat ein Stück Gewaltverzicht zugunsten des "Selbstbestimmungsrechts" der Frauen geleistet. - Das schiere Gegenteil ist der Fall.

Hat sich der Gesetzgeber früher damit "begnügt", den Vollzug einer Abtreibung als Straftatbestand zu ahnden, so bemächtigt er sich heute des Nicht-Willens zum staatlich geschützten Nachwuchs schon im Vorfeld, indem er ihn einer prophylaktischen Prüfung durch staatlich anerkannte Stellen unterzieht - und zwar am gleich gebliebenen Maßstab der prinzipiellen Illegalität.

Das Ganze nennt sich dann "Beratung" "mit dem Ziel, die Schwangere an die grundsätzliche Pflicht zur Achtung der Lebensrechte des Ungeborenen zu mahnen und sie zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen" (Justizminister Engelhard).

Zunächst besteht die "ermutigende" Wirkung dieser Einrichtung in der Eröffnung eines Instanzenwegs, der zur "Fortsetzung der Schwangerschaft" zwingt: kein Abbruch ohne vorherige Beratung; sollte die Beratung tatsächlich eine Indikationsstellung ergeben, so darf diese nicht vom selben Arzt erfolgen, der dann die Abtreibung vornimmt; außerdem ist sicherzustellen, daß "ein Schwangerschaftsabbruch nicht unmittelbar im Anschluß an eine Beratung erfolgt". - Alles andere ist strafbar!

Für die betreffende Frau heißt das: Vom Arzt, der die Schwangerschaft feststellt, zur Beratungsstelle, von da zum Arzt, der die Indikation ausstellt, und dann eine unchristliche Klinik suchen, in der es ein Herr Doktor nicht mit seiner "Gewissensfreiheit" für unvereinbar hält, gnädigerweise die Abtreibung vorzunehmen. Und das alles unter ausgiebiger Selbstprüfung, sorgfältiger Güterabwägung - aber fristgemäß. Eine wirklich ausgeklügelte Zermürbungstaktik, die sich die HerrInnen von der gesetzgebenden Gewalt da gegen den puren Leichtsinn ihrer unwilligen Gebärmutter ausgedacht haben. Der Justizminister sieht darin nur Vorteile: "Dies, um der Schwangeren eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den bei der Beratung gewonnenen Erkenntnissen zu ermöglichen". Es müssen schon Erkenntnisse merkwürdigen Inhalts sein, wenn sich deren Ernst erst über die Pflicht zu langwierigen Behördengängen vermittelt.

Offensichtlich steht bei diesen verordneten "Beratungen" ja auch gar nicht der Entschluß einer Frau, kein Kind zu wollen, zur Debatte als diese einfache Entscheidung kommt sie gar nicht in Betracht; als solche bräuchte sie auch keine "Lebenshilfe", sondern nur die Adresse einer ordentlichen Klinik. Zählen tut dieser Wille sowieso nur, soweit er sich in Beziehung setzen läßt zu den für einen Schwangerschaftsabbruch rechtsgültigen Indikationen - aber auch das wäre noch eine rein juristische Angelegenheit, für deren Abwicklung man sich einen Rechtsanwalt leisten können sollte.

Auf der Grundlage geht es bei der "Beratung" um mehr. Der Wille einer Frau zur Abtreibung und auch seine - vielleicht noch so indikationskonformen - Anlässe werden hier ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihres Verhältnisses zum hohen Rechtsgut"Leben" verhandelt. Die Schwangeren sind nicht als Anspruchssteller oder Anspruchsberechtigte gefragt, sondern als leibhaftige Gewissenswürmer, denen der "Wert des ungeborenen Lebens" Zweifel an ihrer eigenen Entscheidung einjagt. Geprüft wird nicht das Interesse, sondern seine Einstellung zur gesetzlich geforderten "Bereitschaft zur eigenverantwortlichen Annahme des ungeborenen Lebens." So funktioniert die Erpressung zum Kinderwunsch als Appell n die Moral.

Dafür leistet auch die Vorstellung vom Embryo als einem fix und fertigen, süßen kleinen Menschlein ihren Dienst, die die zögerlichen Mütter in den Rang potentieller Scharfrichter erhebt. "Töten oder leben lassen" wird so zum Problem, das die Frauen mit sich haben sollen.

Mit den Ausnahmeregelungen des Paragr. 218 hat sich der Gesetzgeber ein Paragraphenwerk geschaffen, das die Sicherung seines Rechts auf Volksnachwuchs mit dem Zugriff auf die Seelen der zuständigen weiblichen Mannschaft verbindet. Der Staat geht dabei von der nicht unbegründeten Berechnung aus, daß sich der Gebärunwille, konfrontiert man ihn nur mit einem genügend hohen "Wert", selber moralisch in die Pflicht nimmt und bei entsprechender Behandlung auch in Grenzen hält. Dennoch hat die Indikationsregelung seit ihrem Bestehen immer wieder Anlaß zu Streit gegeben, dessen Maßstäbe demokratieüblich durch die Parteienkonkurrenz gesetzt werden. Während SPD und FDP auf ihre ehemals gemeinsam beschlossene Gesetzgebung nichts kommen lassen und die rechtlichen Schikanen der Ausnahmegewährung als Ausbund von Samaritertum für "hilfesuchende Frauen" unter die Leute bringen, kritisieren die Parteien mit dem christlichen Etikett die gültigen Rechtsvorschriften fürs Kinderkriegen damit, daß ihr Verhinderungseffekt, gemessen am Staatsinteresse, viel zu gering sei. Daß aus einer "Beratung", auf die doch der Staat verpflichtet, auch mal Schwangere mit einer Abbruchserlaubnis rauskommen, nutzen die Unionsparteien dazu, Zweifel an der "Lebenshilfe" zu schüren, die dort geleistet wird.

So haben sie ein "Beratungsgesetz" auf den Weg gebracht, das dem Abtreibungsgesuch mit ein paar zusätzlichen Hürden seine eigentliche Unzulässigkeit nahebringt und das Sorge dafür trägt, daß der rechte Geist beim Beratungspersonal herrscht. Dieser geplanten Gesetzeskorrektur kam der bayerische Ministerpräsident in die Quere. Er befand: "Die Zeit zum Handeln ist jetzt reif" und kündigte eine Uerfassungsklage gegen die Paragraphen 218b und 219 an. Seiner CSU paßt der ganze Indikations- und Beratungsrummel nicht, weil da immer noch der Schein aufkommt, es gäbe so was wie eine Abtreibungsberechtigung. Der Rechtsanspruch des Staats auf die vom Volk produzierten Embryos hat sich durch nichts zu relativieren, schon gar nicht durch die kleinlichen Privatkalkulationen der Schwangeren. So rum entdeckt Streibl in der gegenwärtigen Abtreibungspraxis nur "Exzesse" und "Skandale". Ein anständiger Bürger darf nicht einmal in die Nähe von Abtreibungen gebracht werden und sei es durch seine Pflichtbeiträge zur Krankenkasse. Letzteres unterstreicht die bayerische Staatsregierung mit einer Zusatzklage gegen die "Abtreibung auf Krankenschein". Mit derselben Beschwerde ist zwar schon einmal eine von der Union vorgeschickte Katholikin in Karlsruhe gescheitert, das ist aber ebenso unerheblich wie die Frage, ob die CSU überhaupt vom Bundesverfassungsgericht Recht erhält. Worum es den Politchristen - unter geifernder Anfeuerung ihrer Glaubensbrüder geht, ist die Durchsetzung einer Staatsmoral, die in Abtreibungen ausschließlich niedere Motive am Werk sieht.

Wie das - auch auf Basis der geltenden Gesetze - geht, führt

Die Justiz in Memmingen

vor. Ein Frauenarzt ist angeklagt des Vergehens gegen den Paragr. 218b. Er hat Frauen zu einem Schwangerschaftsabbruch verholfen, ohne sie auch noch den vorgeschriebenen Beratungsstellen auszusetzen. Das ist im tiefen Allgäu aufgefallen. Er wird anonym denunziert. Nach der Rechtslage ist er dafür zu verurteilen. Damit wäre der Prozeß aber auch schnell rumgewesen. Er ging aber erst los: 156 Zeuginnen werden vorgeführt - Frauen, die die Abtreibung vom angeklagten Arzt vornehmen ließen und dafür in ihrer Mehrzahl schon von einem anderen Gericht zu Geldstrafen verurteilt wurden. Sie werden "vorgeführt" im wahrsten Sinn: Jeder soll sehen können, wen er da zur Nachbarin, zur Arbeitskollegin, ja zur Frau (ein Ehemann hat bereits die Scheidung eingereicht) hat und mit Recht verachten darf.

Wofür aber werden sie als "Zeuginnen" geladen? Um dem Doktor sein Rechtsvergehen nachweisen zu können, bestimmt nicht. An dessen Verfahren "schwebt" längst nichts mehr.

An diesen Frauen wird demonstriert, was es heißt, wenn sich der Staat zum Lebensschützer erklärt. Vor diesem maßlosen Anspruch gibt es keine vorstellbare "Notlage", die der Staatsgewalt irgendein Zugeständnis abringen könnte. Vor dem Staatsmonopol auf Leben versagt jede private Berechnung, und sei sie noch so aus der Not geboren, als egoistisches Anspruchsdenken. Wer sich am Staatsgebot aufs Kinderwerfen versündigt, kann dafür keinen guten Grund haben:

Finanzielle Not? Wieso hat die Zeugin dann ein Auto? Welche Marke und was hat es gekostet? Wie konnte sie sich überhaupt den Führerschein leisten? Was - sie braucht das Auto, weil sie anders nicht zur Arbeit kommt? Fazit des Staatsanwalts: "Ein Mofa würde es jedenfalls auch tun!"

Wohnungsnot? "Eine türkische Zeugin sagt, für ein drittes Kind sei die Wohnung zu klein und eine größere Wohnung zu teuer gewesen." Fazit des Richters: "Also so billig wie möglich und soviel wie möglich sparen."

Soziale Not? "Die Mutter hätte ein Kind ihrer Tochter nicht aufziehen können, der Vater litt an Knochenkrebs, sie mußte ihn pflegen."

Fazit des Richters: "Ja da wird sie doch nicht den ganzen Tage am Krankenbett gestanden haben!"

So wird im Strafprozeß nach Zeit und Geld gefahndet, nach Familienangehörigen, die das Kind hätten beaufsichtigen können, nach den Quadratmetern der Wohnung - und mag auch all das Zeugnis für noch so trostlose Lebensbedingungen sein - bei ein bißchen mehr Zähne-Zusammenbeißen und Opfermut wär's gegangen! Armut macht hart und nicht wehleidig, und schon gar nicht begründet sie eine Abtreibung!

Die Memminger Richter und Staatsanwälte "beweisen" am lebendigen Demonstrationsmaterial, daß die geltenden Indikationen alle vor dem staatlichen Recht auf Nachwuchs keinen Bestand haben können. Der Umstand, daß die Zeuginnen einen Schritt der bestehenden Regelung die Beratung, strafbarerweise ausgelassen haben, kommt ihnen gerade recht, um sie als Schuldige in einem viel generelleren Sinn zu behandeln. Als Frau hat man das Gebären als Aufgabe und nicht als Beschränkung zu begreifen! Für diesen Staatsauftrag ist allerhand an Risiko zumutbar:

Medizinische Indikation? "Eine Zeugin sagt aus, sie habe bereits drei Kinder zur Welt gebracht, das dritte, letzte Kind mittels eines komplizierten operativen Eingriffs. Nach diesem Eingriff hätten die Ärzte zu ihr gesagt, sie möge besser nicht mehr schwanger werden, denn beim nächsten Kind könnte sie sterben. " Fazit des Staatsanwalts: "Könnte! Könnte!"

So infam die Zeugeneinvernahme im Memminger Prozeß auch ist, so inquisitorisch der Eifer der Vertreter der Staaatsgewalt auch anmuten mag, als typisch bayerische Entgleisung von Rechtsorganen sollte man das nicht sehen:

"Das ist nicht der Alltag in den Gerichten der Bundesrepublik. So springen sie in der Regel mit Zeugen nicht um. Hier fand und findet ein Kreuzzug statt. Diese Hauptverhandlung prägt eine Überzeugung, die alles für zulässig hält und zuläßt, was die Gewißheit dieser Überzeugung ausdrückt und ihr dient." (Gerhard Mauz, "Spiegel" 6/89)

Auch im Allgäu besteht die "Überzeugung", mit der Richter ihres Amtes walten, im geltenden Gesetz. Daß das Grundrecht "auf Leben" unter allen Umständen gegen den Gebär(un)willen einzelner durchzusetzen ist, für die Absolutheit dieses staatlichen Rechtsanspruchs wird in Memmingen ein Schauprozeß durchgezogen.