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Die Grünen im 10. Jahr:
PolitikerInnen!
Die Grünen sind nicht korrumpiert worden. Sie waren von Beginn an auf politische Mitwirkung aus tiefer demokratischer Verantwortung aus. Und wenn sie heute dem Lehrsatz des gesunden demokratischen Menschenverstandes anhängen, der besagt: "Wer etwas verändem will, muß Minister werden." - so ist das nicht neu, sondern konsequent. Um dahin zu kommen, brauchten sie allerdings ein eigenes Label und eine Erkennungsmelodie - der Wähler muß ja wissen, woran er ist. Diese Arbeit scheint getan, "grüne Inhalte" sind aus der Parteienkonkurrenz nicht mehr wegzudenken:
"Der politische Erfolg ist jetzt der Maßstab. Die Gründungsphase der Partei ist abgeschlossen." (J.Fischer)
Zwei Wahlerfolge und zwei rot-grüne Koalitionen haben den Flügelstreit abserviert und große Zufriedenheit in den grünen Reihen entstehen lassen - das ist doch mal der "politische Erfolg", auf den die "Gründungsphase" gewartet hat. Eine interessante Aussage: Das aufgeregte Hin und Her der letzten 10 Jahre, die Streitigkeiten, Programmentwürfe, Grundsatzdebatten und BRD-Verbesserungs/Demokratisierungs/Ökologisierungsideale waren offensichtlich etwas anderes als das Streben nach "politischem Erfolg", einerseits; andererseits eben auch eine nützliche "Gründungsphase", auf deren Grundlage man nun endlich "das Eigentliche" angehen kann.
Realo kommt von realistisch
Ein Realo weiß einzuschätzen, wofür ein "linker" Vorstand gut sein kann: Der macht die Sprüche, mit denen man sich von anderen Parteien unterscheidet. Da CDUSPDFDP beträchtliche Teile der politischen Phraseologie besetzt halten, ist der Vorstand durchaus gehalten, radikale Sprüche zu machen. Da Grüne auf Grund ihrer Verliebtheit in die Demokratie von der real existierenden Demokratie enttäuscht sind, empfiehlt sich der Gebrauch eines "linken" Vokabulars. Da so unrealistische und sektiererische Randfiguren wie die Kommunisten hierzulande wenig bis gar nichts zu melden haben, versteht darunter jedermann das Bestreben, die Demokratie zu verbessern: Ihre idealen Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft. Eine scharfe Sprache ist angebracht, wenn es gilt, die unvermeidlichen Skandale - von Barschel bis Sandoz - als ein einziges Versagen der Politiker zu geißeln, was wiederum dringend nach integren, verantwortungsbewußten und zukunftsorientierten neuen Politikern verlangt. Dafür ist es recht gut, wenn der Vorstand die gesamte CDUSPDFDP beschimpft, weil die ja in toto "abgewirtschaftet" hat - das streicht um so mehr heraus, daß sich die grüne Partei wirklich unterscheidet.
So weit ist der Realo mit seinem Fundi völlig d'accord und hält ihn für nützlich. Allerdings vergißt er nie das A und O der Demokratie: die Wahl. Neuer Politiker wird man ja nur, wenn man gewählt wird! Also muß der Realo den Fundi öfters ermahnen, auf die Wirkung seiner "Radikalität" zu achten - wenn die nämlich nicht "zum Wähler rüberkommt", dann war der Fundi zu verliebt in seine Verliebtheit und versäumt es, etwas zu verbessern. Er verharrt in "realitätsfernen Minderheitenpositionen" und ergeht sich in "leeren Ritualen" (J. Fischer), statt "sich im Hauptstrom der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den real existierenden Menschen zu befinden" (Manifest "Grüner Aufbruch", Hervorhebung im Original); der, das ist schlimm, verprellt die durch grüne Exotik angelockten "Menschen", statt sie endgültig zu ködern. Der Realo hingegen, als real existierender Mensch, ist realistisch, schwimmt nicht gegen den Strom, sondern schaut, wie er sich in den Hauptstrom einbringen kann. Sein Eintrittsgeld sind die geköderten Stimmen - und wenn er erst mal drin ist, kriegt er auch die Stimmen. Der Wähler will Taten für sein Kreuzchen und keine "unproduktive Verweigerungshaltung": Eine Zeitlang hat er das Stimmenverschenken an die "Protestpartei" mitgemacht, jetzt verspricht ihm der Realo, die Stimme wirkungsvoll zu machen. Er nimmt seinen Stimmenhaufen und wirft ihn mit einem anderen Stimmenhaufen zusammen: Koalition. Dann muß CDUSPDFDP auseinanderdividiert werden, denn "monolithisches Denken" führt zu "Unbeweglichkeit und Verkrustung". Ab sofort nennt er seinen Stimmenhaufen "Reformpartei", und der grüne Wähler hat die Gewähr, daß seine Stimme etwas bewirkt: Erst jetzt hat er einen Politiker geschaffen, der den Namen verdient - nämlich einen regierenden.
Aber vorher muß der Vorstand abgesägt werden.
"Es bleibt immer etwas hängen"
Der Fundi, der kein Realo ist, hat Sorge, die Partei könnte ihrer Unterschiedenheit verlustig gehen, wenn sie nicht dauernd betont, daß sie "die grundlegende Alternative zu den herkömmlichen Parteien ist" (Präambel zur Satzung) - und dann weiß der Wähler nicht, warum er ihr seine Stimme geben soll. Das ist sehr realistisch gedacht. Aber veraltet - der Hauptstrom sagt etwas anderes. Der ist die Fisimatenten mit der "reinen Lehre" und dem "grünen Puritanismus" leid -
"Eine Partei lebt doch unverzichtbar von der Fortentwicklung ihres Programms und nicht vom Dogma." (J. Fischer, "Spiegel" 50/88) -,
und verlangt, daß die Lehrer des Reinen in Zukunft von hinten raus und nicht mehr von oben runter predigen. Das nennt man "Rollenverteilung":
"Da würde es die durchsetzungsfähigen und pragmatischen Macher geben und andererseits solche, die mehr Sachwalter programmatischen Beharrungsvermögens sind." (ebd.)
Die einen machen, die anderen beharren. In der Reihenfolge. Und wenn sich der Vorstand dieser Einsicht verweigert, dann ist das ein Skandal. Also wurde der "Spiegel" damit beauftragt, einen zu enthüllen. Es kam zwar nicht mehr heraus als "finanzielle Unregelmäßigkeiten beim Bau des Hauses Wittgenstein", wo branchenüblich - ein paar tausend Mark Lohnsteuer eingespart worden waren, aber es reichte:
"Es bleibt immer etwas hängen, das ist eine politische Weisheit. Weder detaillierte Rechtfertigungen, noch geschickte Vertuschungen ändern daran etwas. Es bleibt etwas hängen, und wir müssen darauf politisch reagieren, und zwar in einer anderen Art und Weise als andere Parteien." (Außerordentliche Bundesversammlung, Karlsruhe)
"Beim Geld hört die Freundschaft auf" und "Wo Rauch ist, ist auch Feuer" waren die undogmatischen, dafür umso wirkungsvolleren Argumentationslinien, um den Verrat an grünen Fundamentalprinzipien aufzudecken:
"Es ist kein Skandal, sondern es ist eine tiefe Verflechtung auch dieser grünen Partei in die gesellschaftlichen Strukturen des Luxus', der Verschwendung und des Konsums!" (Erklärung der Gruppe "Grüner Aufbruch")
Beweis gefällig? Bitte sehr, für grüne Finanzbeamte ein leichtes:
"a) "... jetzt kostet dieses Objekt sechs Millionen. Und finde das für mich, wenn ich an Geld denke, einen 'Skandal. Es ist, wenn es wieder zu veräußern ist, höchstens für zwei bis drei Millionen zu veräußern. Ja, wie geht Ihr denn mit diesem Geld der Partei um?"
b) "Wenn wir eine dezentrale Partei sind..., wie können wir dann einen zentralen Punkt schaffen, in der sogenannten Hauptstadt...?" (Grüner Aufbruch)
c) "... die Haushaltsgestaltung. Sie konnte bisher - meines Erachtens - weder bürgerlichen noch grünen, demokratischen Ansprüchen genügen. So gab es z.B. keinen Vermögenshaushalt der Partei. Das, was den Bundesversammlungen präsentiert wurde, waren immer Verwaltungshaushalte." (Axel Vogel, neuer Schatzmeister)
d) "... Darlehen an die 'Grauen Panther'... Ein Betrag, den diese nicht bereit sind, in der Höhe zurückzuzahlen. Obwohl es ein grundbuchrechtlich abgesichertes Darlehen ist, ist es natürlich klar, daß die Grünen nicht den 'Grauen Panthern' ihr Häuschen zwangsversteigem lassen können. Zumal wir uns jetzt in der peinlichen Situation befinden, daß Trude Unruh voraussichtlich mit einer konkurrierenden Partei zu den Europawahlen antreten wird. Dieses Finanzgebaren war völlig unzumutbar!" (ders.)
Nicht auf den Wiederverkaufswert geachtet, ein großes "Wittgenstein" statt viele kleine gebaut keine zwei Haushalte aufgestellt, die Konkurrenz finanziert, als sie noch keine war diese "Vorfälle" nötigen zu folgendem Fazit:
"Es geht darum, daß eine Partei, die groß geworden ist als politischer Entlarver, nun plötzlich in der Presse unter der Rubrik Skandale und Skandälchen eingereiht wird, und das ist schmerzhaft für uns alle."
"Wir waren doch immer diejenigen, die auf Mißstände im Parteiensystem hingewiesen haben, wir waren doch diejenigen, die Konsequenzen eingefordert haben, und wir müssen deshalb auch konsequenterweise mit besonderer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit rechnen." (Heide Rühle)
Es kochte also die auf Parteitagen übliche Mischung von Niedertracht, Taktik und Prinzipienreiterei hoch, mit der dazugehörigen Prise grünem Pfeffer. Es mußte nur noch der strategische Mittelweg eingehalten werden zwischen zielgerichtetem Aufbauschen des "Skandals" und staatsmännischer Bewältigung. Die Schwere der Verfehlung verlangte nach drastischen Schritten, und was gibt es Drastischeres als die Auswechslung des Führungspersonals:
"Es geht bei dieser Frage der politischen Verantwortung, es geht dabei doch nicht um die Frage von Buchhaltungsfehlern ich weiß gar nicht, wie man hier überhaupt eine Diskussion führen kann, wo man solche Details auseinanderwühlt. Es geht darum, da der Bundesvorstand das einzige Gremium in der Partei ist, das in der Lage ist, durch den formellen Schritt des Rücktritts den Schaden gutzumachen, der für die Partei entstanden ist, an dem sicher sehr viele an der Entstehung beteiligt waren ... aber nur der Bundesvorstand als politisches Gremium kann durch seinen Rücktritt ein Zeichen setzen, die Partei kann nämlich nicht zurücktreten." (Ruth Hammerbacher)
Die Skandalpartei vermochte aus dem Parteiskandal politisches Kapital zu schlagen. Die ewige Anklage an die Adresse der "Altparteien", ihr Versagen i m Amt verlange nach Erfüllung des Amtsauftrages durch neue Männer/Frauen, wurde konstruktiv nach innen gewendet: Auch und erst recht die grüne Partei versteht sich auf das fundamentaldemokratische und wählerwirksame Verfahren, den - geschürten - Zweifel an der Partei durch Verjagung der "Verantwortlichen" in ein Lob zu verwandeln. Das spezielle grüne Flair, die "andere Art und Weise" der Bereinigung des Skandals, besteht in der stinknormalen demokratischen Tour, die Auswechslung des Vorstands als epochemachende, weil "gewaltfreie" politische Großtat zu rühmen.
"Wenn eine Partei mit solcher Begeisterung einen mehrfachen gewaltfreien Königs- und Königinnenmord öffentlich vollzieht, so zeigt sich, daß sie aus demokratischem Urgestein besteht. Sollte dies zur 'Strukturnormalität' der anderen Parteien gehören, dann aber ein lautes Hurra." (J. Fischer, Spiegel 10/89)
Mitmachen!...
Gerade in solchen Schwulstprodukten drückt sich die satte (Selbst-)Zufriedenheit der "durchsetzungsfähigen und pragmatischen Macher" aus. Im Jahre 1 nach dem "Königs- und Königinnenmord" können sie endlich ihrer Profession nachgehen: Sympathie heischen, einen guten Eindrück machen. "Gewaltfrei", "Urgestein", "lautes Hurra" - das kommt an, denkt sich ein ehemaliger Turnschuhminister. Der hat den Kopf voll mit solchen Phrasen, und für das intellektuelle Publikum schüttelt er auch locker eine "Strukturnormalität" 'raus. Der grüne politische Jargon ist fertig, und damit auch die Selbstverständlichkeit, mit der die Maßstäbe des guten öffentlichen Eindrucks in der grünen Partei verankert sind. Dies ist freilich keine Sache der Wortwahl, sondern der Inhalte, bei denen die bürgerliche Gesellschaft keinen Spaß versteht. Gespaßt darf wieder werden, wenn dazu ein Bekenntnis abgelegt worden ist; die "essentials" von Staat und Kapital dürfen "Doll-" oder "Knackpunkte" genannt werden, aber sie müssen gelten: Staatsgewalt nach außen, Staatsgewalt nach innen, kapitalistische Ökonomie.
...für "Beendigung der Blockkonfrontation"
Wer sich in einer waffenstarrenden BRD mit unverhüllt imperialistischen Ambitionen weiterhin den "Gründungsphase"-Illusionen des Pazifismus hingibt, mag zwar ein liebenswerter Mensch sein, ist aber an demokratischen Maßstäben gemessen eindeutig unglaubwürdig (und gerät obendrein in den Verdacht der Gegnerschaft):
"Die Grünen bind nach Ansicht ihres Bundestagsabgeordneten Otto Schily im gegenwärtigen Zustand nicht fähig, in Bonn Regiierüngbverantwortwng zu übernehmen... Eine Partei, die allen Ernstes die Forderung stelle, die Bundesrepublik müsse aus der NATO austreten, werde nicht ernst genommen." (Süddeutsche Zeitung, 17.2.)
"Ich halte die Forderung nach einem NATO-Austritt für kontraproduktiv für eine Politik hin zur Auflösung der beiden Militärblöcke." (Fischer)
Nachdem die Grünen jahrelang mit dem Phantasieprodukt "soziale Verteidigung" zu erkennen gegeben haben, daß sie ihr Vaterland verteidigen wollen, ohne dabei aber das Postulat der "Gewaltfreiheit" aufzugeben, sagen die Macher nun die Wahrheit: Das geht nicht. Es ist ohnehin eine idealistische Anmaßung, den Bestand der Nation von der eigenen Friedlichkeit abhängig machen zu wollen - also machen sich grüne Politiker stark für den Realismus, daß dem Feind nur durch Stärke beizukommen ist. "Blockkonfrontation" ist mit "Raus aus der NATO!" nicht zu beseitigen, ja albern, und läuft Gefahr, sich dem slawischen Ungeist zu unterwerfen:
"Die 'kompromißlose Politik der Westbindung' des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer habe zur kaum überzubewertenden Öffnung einer deutschen Gesellschaft für die politische Kultur des Westens geführt...
Die Autoren greifen die Idee Michail Gorbatschows für ein 'gemeinsames europäisches Haus'auf. Es setze aber voraus, daß die Sowjetunion ihre 'hegemonialen Ambitionen' aufgebe und nicht länger eine militärische Abkoppelung Westeuropas von Amerika verlange." (Die Bundestagsabgeordneten I. Schnappertz und W. Bruckmann, SZ vom 5.4.)
Wenn es dann so weit ist - mit der Beseitigung der "Blockkonfrontation" -, haben grüne Realpolitiker natürlich auch ganz originelle Vorschläge für einen ökologisch verträglichen Krieg auf Lager:
"Die Autoren greifen auch Vorstellungen der Grünen zu 'gewaltfreien Methoden' im Kriegsfall auf. Sie meinen, in einer Übergangsphase müsse die Bundesrepublik in Ballungsräumen auf die Anwendung militärischer Mittel verzichten; dort solle allein 'soziale Verteidigung' praktiziert werden."
...für "Gewaltfreiheit"
Dieses vierte Wort in der grünen Erkennungsmelodie führen die Macher nicht zufällig häufig im Munde. Der Idee waren die Grünen nachgehangen, das bloße Meinen begründe einen Einmischungsanspruch in die Politik, sofern der Appellant durch Tugendhaftigkeit den Nachweis erbringe, keinesfalls nach eigenem Vorteil, sondern ausschließlich nach Vervollkommung des "Allgemeinwohls" zu streben. "Gewaltfrei;' - das war die Beteuerung, dem Staat nicht praktisch in die Quere kommen zu wollen, sondern ihn durchs eigene Vorbild zu einer anderen Praxis zu verführen. Grüne Politiker, die sich in der politischen Gewalt etablieren wollen, müssen den Nachweis erbringen, daß ihre Basis den Anspruch auf Einmischung mit der Entsendung ihrer Vertreter endgültig für erfüllt ansieht. Ein Liebäugeln mit immer noch existenten Formen ohnmächtigen Aufbegehrens - dafür stehen die "Autonomen" - gehört sich ein für allemal ausgemerzt. Schily hat rechtzeitig klargestellt, daß die wirkliche Garantie der "Gewaltfreiheit" in der unumschränkten Gültigkeit des Gewaltmonopols liegt - dabei anspielend auf die gerade in grünen Kreisen so sehr gepflegte Vorstellung von der "Unfriedlichkeit des Menschen". Das Versprechen der Basis, sich für Friedlichkeit am Riemen zu reißen, reicht einfach nicht, sagt der Herr Anwalt. Grüne Politiker sind Ordnungspolitiker eigener Art: Wenn sie regieren, entfällt für die Basis der letzte Grund, praktischen Unwillen zu bekunden - so ihr Standpunkt. Selbst die berühmte "Regelverletzung", früher als Mittel geschätzt, ist abzuschaffen, da sie ihren Dienst - grüne Politik auf Ministersessel zu hieven - ja getan hat.
Es ist konsequent, wenn Schily die Berliner SPD zu Härte gegen die Flausen der AL anhält. Und erfolgreich, wie nicht nur die Koalitionsvereinbarungen zeigen, sondern auch die alte "neue Linie", mit der ab sofort in Westberlin gegen Hausbesetzer vorgegangen wird. Bislang ist es im Sinne der rot-grünen Koalition "friedlich" abgegangen, aber Schily hat für alle Fälle schon mal das Prinzip gesagt:
"Das Problem der AL: Sie kann kein taktisches Bündnis eingehen nach dem Motto 'Die einen schmeißen die Klamotten, und wir demonstrieren friedlich'. Wenn sich unter die Autonomen Leute mischen, denen es nur um Randale geht, dann müßte auch ein AL- Innensenator die Polizei losschicken. Dann aber ist die AL ihre Unschuld endgültig los." (Spiegel, 6/89)
Sein Parteifreund Ströbele ist zwar nicht Innensenator geworden - wenngleich er "im Prinzip auch diese Verantwortung nicht ablehnen" wollte -, hat sich aber gerne die Belehrung des Herrn Momper nach den ersten Räumungen gefallen lassen:
"Die Alternativen haben einen Volkshochschulkurs in Sachen Regierungsfähigkeit absolviert."
Parteifreund Daniel Cohn-Bendit denkt gleich noch weiter: Wenn er nur endlich im Amt ist, wird er so manche Maßnahme "verantworten", die die Empörung derer hervorrufen wird, die ihn gewählt haben:
"SPIEGEL: Müssen Sie nicht befürchten, daß die Fundis irgendwann mal in Frankfurt gegen die Regierungspolitik der Römer-Realos demonstrieren?
COHN-BENDIT: Ob's Fundis sein werden, weiß ich nicht. Es wird auf alle Fälle Entscheidungen mit schmerzlichen Kompromissen geben. Und dann wird es Bürgerinitiativen geben." (Spiegel, 12/89)
Ein schlechtes Gewissen läßt sich Cohn-Bendit daraus aber noch lange nicht machen:
"Ob ich weiterhin demonstriere, weiß ich noch nicht. Das Recht auf zivilen Ungehorsam würde ich mir aber auch da nicht nehmen lassen."
Parteifreundin Antje Vollmer hält es in ihrer pfäffischen Seele nicht aus, wenn die RAF von ihrem traurigen "Widerstand" in den Knästen nicht lassen will. Es muß dem Staat doch möglich sein, durch geschicktes Management - damit meint sie sich - für Ruhe in den Zellen und auf den Straßen zu sorgen; eine "Versöhnung" muß her, und die RAF einer nützlichen gesellschaftlichen Tätigkeit zugeführt werden. Nicht staatliches Sicherheitsdenken und dementsprechende Unerbittlichkeit der Exekutive sind die Grundlage des "Konflikts", sondern "verpaßte Chancen" und unnötige "Eskalation". Jetzt sind die Terroristen doch schon alle in Haft - da muß es doch möglich sein, sie mit grüner Hilfe ruhig zu stellen.
"In dem vorliegenden Fall ist es also zu prüfen, ob die Bundesregierung jede, aber auch jede Chance genützt hat, um zu einer Deeskalation und einer friedlichen Lösung des Konflikts zwischen der 'Roten Armee Fraktion' und der Gesellschaft der BRD zu kommen...
In der Vergangenheit hat man sich in der Bekämpfung des Terrorismus allein auf das Instrumentarium staatlicher Sanktionen verlassen. Diese haben zwar zu großen Fahndungserfolgen geführt, haben aber weitere Morde und die Fortexistenz der RAF nicht verhindert." (Anfrage der Grünen im Bundestag)
Die Gefangenen wollten über ihre Forderung nach Zusammenlegung diskutieren. Diese Forderung ist ohne vorherigen Dialog illusorisch. Sie wollten zweitens über Haftbedingungen sprechen Dabei hätten sie die Möglichkeit gehabt, mit kompetenten Leuten zu sprechen. Drittens hätten sie begreifen müssen, daß mit einem solchen Gespräch die Isolation ... durchbrochen worden wäre. Man muß eine Sensibilität für symbolische Lösungen haben und ihnen eine wirklichkeitsverändernde Kraft zutrauen. Was solchen Symbolisten wie den RAF-Leuten eigentlich einleuchten müßte... Ich halte es auch für einen Fehler der RAF-Leute, sich nicht als Teil aller anderen Gefängnisinsassen zu sehen. Darin steckt elitäre Abgrenzung, und damit haben sie auch die Erwartungen der übrigen Häftlinge enttäuscht, die sich gerade von ihnen erhofft hatten, daß sie die Bedingungen in den Gefängnissen generell thematisieren." (A. Vollmer, Spiegel, 5/89)
Eine hübsche Arbeitsteilung, die die Vollblutpolitikerin Vollmer da vorschlägt: Sie veranstaltet an den RAF-Leuten und draußen allerlei "symbolische Lösungen", die sehr für sie als "konsensfähige Politikerin" sprechen, während die RAFler eine "Sensibilität" entwickeln und den "Symbolen" eine "wirklichkeitsverändernde Kraft" zutrauen; damit sie darüber nicht verrückt werden, können sie sich ja derweil als Sozialarbeiter in den Gefängnissen die Zeit vertreiben.
Das hat sie innerhalb und außerhalb der Partei zu ihrem Markenzeichen gemacht, diese Delegierte der Evangelischen Landjugend: "Vermittlung". Der Flügelstreit kam ihr gerade recht, ihr penetrantes "Vertragt euch doch!" zu einer eigenen Position auszubauen: Die nennt sich "Grüner Aufbruch" und ist insofern die wirkliche theoretische Grundlage der Partei, als sie offensiv behauptet, daß jeder jeden Scheiß bei den Grünen behaupten darf, solange er "die Parteilichkeit für das Überleben der gesamten Gesellschaft zum Ausgangspunkt hat". (Manifest, Punkt 1: "Krise - Zukunft ohne Lobby?") Alle, die für die sofortige Vernichtung des Erdballs eintreten, dürfen also nicht mitmachen. Das führt zu einer ziemlich umfangreichen "Vielfalt in der Einheit" und die unumstößliche "Einheit in der Vielfalt" besteht darin, daß niemand nichts klären, geschweige denn auf einem "Wahrheitsanspruch" bestehen wollen darf. Wie bei jeder anständigen demokratischen Partei hat damit auch die Toleranz ihren methodisch abgesicherten Platz in der Partei - und in ihrem Namen können die "MacherInnen" nun schauen, wieviel Schäfchen von der "Basis" sie auf ihre Seite kriegen. Das nennt sich "Wiedererweckung der Basisdemokratie" - Wort Nr.3 in der Erkennungsmelodie - und funktioniert in Form einer Urabstimmung. Dort wird über "Manifeste" abgestimmt, die dann einträchtig nebeneinander her existieren, also den folgenden Aberwitz zur festen Grundlage des Parteilebens machen sollen:
"Wir wollen als Gruppe Grüner Aufbruch 88 nicht verhehlen, daß die Grünen aus unserer Sicht eine Partei sind, die geistig gespalten ist, auch wenn wir weiterhin unter einem gemeinsamen politischen Dach arbeiten werden. Die jeweils anderen Positionen werden fast ausschließlich als Ärgernis wahrgenommen statt als Herausforderung für die Weiterentwicklung der eigenen Auffassung."
Das ist "Gewaltfreiheit" korrekt zuendegedacht: nicht mehr ärgern, alles nur noch als "Herausforderung" sehen. Ein Verdikt ist damit für die Partei erlassen, nämlich dem im "Flügelstreit" noch aufspürbaren Versuch, die Partei weltanschaulich auf eine Linie festzulegen, endgültig abzuschwören. In aller Unschuld sagt der "Grüne Aufbruch" gleich noch die demokratische Funktionalität dazu, die ein solcher Zirkus anstrebt. Diese Partei erarbeitet sich wirklich systematisch jedes Stückchen jener Normalität, die einen anständigen Wahlverein ausmachen:
"Ist es von der Sache her richtig, daß 10 oder 20 Prozent einfach unter den Tisch fallen, erst gar nicht existieren offiziell, unter dem Teppich gehalten werden, bis sie dann - später, manchmal sehr viel später - ganz fanatisch wieder zum Vorschein kommen, unfähig zu einer demokratischen Einmischung, weil ihnen hierfür der notwendige Sauerstoff genommen wurde?"
Mit Sauerstoff als Totschläger im Gepäck macht sich der "Grüne Aufbruch" über Partei- und Wählervolk her. Ein unverhüllt demokratie- methodisches Geschwätz soll - gerade auf dem Hintergrund, daß die Grünen sich auch gerne als Partei der "demokratischen Auseinandersetzung" verbildlichen und dafür einen Flügelstreit jahrelang gut gebrauchen konnten - die Sympathie bringen, die dieser speziellen Gruppe von Wählerverarschern Stimmen und Posten einträgt, weil und sofern sie mit ihrer Tour am guten Eindruck der Partei nach außen arbeitet. Es ist kein Wunder, daß diese Gruppe ihre "geistig gespaltene" Pfadfindertruppe auf konstruktive Einbringsel verpflichtet, um dann zu sehen, was aus Harmoniegründen am besten gefällt:
"Und eine Urabstimmung? Das müssen wir uns doch erst mal richtig vorstellen. Das ist doch ein ganz enormer Vorgang. Und wenn nun mindestens ein Drittel der grünen Kreisverbände sagt: JA, WIR WOLLEN DAS!" (im Orig. großgeschrieben) "Ja, was denn dann? Da werden diejenigen, die sich bisher geweigert haben, ihr Manifest zu schreiben, obwohl sie bei jedem Strömungshickhack dabei sind, selbstverständlich auch schreiben Sie werden schreiben, allein schon um sich nicht zu blamieren. Na also! Und dann hätten wir sie beisammen: die Manifeste - und können uns ein Bild davon machen, was die verschiedenen Strömungen im einzelnen wollen, mit den Grünen und wie sie es wollen. Wir können dann in Ruhe darüber reden, uns Zeit lassen und dann noch direkt einmischen. Ist das undemokratisch?"
Nein, undemokratisch ist das ganz und gar nicht - und entsprechend widerlich.
...für einen "ökologischen Kapitalismus"
Die Liebe der Grünen zu Mutter Natur war mit einem Zorn gegen den Kapitalismus ja nie zu verwechseln. Wenn schon "wir alle" Raubbau an der Natur betreiben, dann ist das Objekt der Erziehung "der Mensch", und die kostenbewußte Benutzung der Natur durch die Profitmacher dazu nur ein Unterfall. So konnten noch die radikalsten Naturliebhaber in der Partei die "ökologische Katastrophe" beschwören, ohne die Gültigkeit kapitalistischer Interessen zu bestreiten.
In den Augen der grünen Politiker, die jetzt das Sagen haben, ist diese Haltung jedoch ausgesprochen unpraktisch. Damit meinen sie nicht die praktische Folgenlosigkeit einer "Betroffenheit", die alle kapitalistischen Schädigungen in Anschläge auf "die Natur" überhöht - bzw. die politische Nützlichkeit dieser Ideologie, derer sich mittlerweile alle Parteien und Regierungen unter dem Stichwort "Umwelt" bedienen -, sondern die aus ihr resultierende Sturheit: Im politischen Geschäft kann man mit einer Prioritätenliste, die das politische Handeln von "Ökologie" abhängig machen will, unmöglich zurechtkommen. Andererseits fällt der Nachweis nicht schwer, daß nur der "kompromißbereite Realpolitiker" "etwas" für die Natur erreichen kann, während der Radikalökologe mit seiner "Verweigerungshaltung" noch die kleinsten Schritte zur Besserung unterbindet. H. Kleinert bringt das auf die Formel: Geschäft und Öko müssen zusammengebracht werden:
"Wir müssen die ökologischen Belastungsgrenzen der Wirtschaft ausprobieren."
Eindeutig überlastet ist die Wirtschaft - der Staat sowieso - wenn man ihr die AKWs wegnimmt. Im Namen des grünen Realismus schlachtet Schily so nebenbei eine Heilige Kuh der Grünen - Ministrabilität verlangt, den alten Ehrentitel "Die Zukunft unserer Kinder" als "Phrasendrescherei" zu entlarven. Zuerst kommt ja mal die Gegenwart der Atom-BRD:
"Die Grünen müßten noch immer lernen, daß eine Regierung auf Kompromissen beruhe. Als Beispiel nannte er die Atomenergie. Erfreulicherweise setze sich die Erkenntnis durch, daß ein sofortiger Ausstieg nicht realisierbar sei. Die Politik der Fundamentalisten habe sich als Phrasendrescherei erwiesen." (Süddeutsche Zeitung, 17.2.)
Einem Cohn-Bendit ist aber selbst dieses Kompromißgetue noch ein zu alter Zopf. Er sieht die Aufgabe grüner Politik darin, den Kapitalismus aufzumöbeln. Begrünung kann ihm nur guttun; triumphierend verweist er darauf, daß der Kapitalismus d a ist, also auch dableiben, also sich auch die Verschönerungsarbeiten der "grünen Reformpartei" gefallen lassen muß:
"SPIEGEL: Ausländische Banken, drohen Konservative, würden Frankfurt meiden.
COHN-BENDIT: Geht doch nicht, schon weil die Bundesbank hier ist. Wo sollen die hin, nach Kuckuckshafen und dann per Telex mit denen verkehren? Die Banken müssen nach Frankfurt, weil Frankfurt die Bankenmetropole Europas wird...
Dabei habe ich viel mit Bankern geredet. Die Frage ist, daß man diejenigen, die nicht borniert sind, mobilisiert, um ihnen zu sagen: Ihr habt 'ne Chance, diesem Image, wo 'ne Bank ist, wächst kein Gras mehr, zu widersprechen. Bank und Gras, das paßt zusammen." (12/89)
Ganz Meister der Sachzwänge verspricht der Grüne den Kredithaien 'ne Imageaufbesserung: Er will fürs grüne Tüpfelchen auf dem kapitalistischen i sorgen.
Dabei sein ist alles
Was dem Vertreter einer "Altpartei" nie in den Sinn kommen würde, macht ein grüner Verhandlungsführer öffentlich zu seiner Maxime:
"Wir gehen ohne Bedingungen in die Verhandlungen." (Lutz Sikorski, Frankfurt)
Der Zweck dieser Verlautbarung ist klar: Es sollen und werden am Schluß aufjeden Fall ein paar grüne Posten herausspringen, was von einem so äußerlichen Ding wie "grüne Inhalte" nicht blockiert werden darf. Wenn ein "gewöhnlicher" Politiker vor Beginn der Verhandlungen mit allerlei "essentials" und "zentralen Anliegen" aufwartet, geht es ihm natürlich auch nur um sein Stück Teilhabe an der Macht - aber es gehört für ihn einfach zur Routine des Geschäfts, ein paar anerkannte Werte zu präsentieren, die er dann in "zähen Verhandlungen" auf ihre "Machbarkeit" überprüft. Die grünen Koalitionäre nahmen die Verhandlungen hingegen als günstige Gelegenheit, demonstrativen Abschied von allen - dogmenverdächtigen - "grünen Grundsatzpositionen" zu nehmen; der bewußte Verzicht selbst auf die bloße Erwähnung sollte die sachlich-bescheidene Seite des grünen Politikers herauskehren, damit aber auch gerade den Anspruch unterstützen, "als Koalitionspartner ernst genommen zu werden". Die AL Berlin ließ kurzzeitig den Eindruck aufkommen, bei gewissen "Berliner Grundsatzpositionen" könnte vielleicht ein Knatsch entstehen - um dann das SPD-Papier, das offen heraus als demokratische Inquisition vorgelegt wurde, anstandslos zu unterschreiben. In Frankfurt kam nicht einmal dieses Quentchen Spannung auf; und wenn man den "Streit" um "autofreie Innenstadt" oder "urbane Innenstadt" anguckt, muß man den Eindruck gewinnen, daß die Verhandler sich verzweifelt einen Dissens aus den Fingern gesogen haben, um der Öffentlichkeit auch ein bißchen Farbigkeit präsentieren zu können. Selbstverständlich erzählte die SPD hinterher von einigen "Kröten", die sie hätte schlucken müssen, aber die bestanden schlicht und einfach in der Tatsache, nicht alle Posten allein und mit grüner Unterstützung besetzen zu können.
Ströbele wurde auf der Bundesversammlung in Duisburg "geradezu mit Beifall überschüttet". Das gab ihm recht: Er und seine Kollegen können sich nicht mehr kompromittieren. Dieses Wort kommt von Kompromiß - und der adelt heutzutage den grünen Politiker. Genauer: Daß er von der SPD als "kompromißfähig" anerkannt und in ihre Kalkulationen eingebaut wird. Die alte Debatte über die "Politikfähigkeit" wollte in diesem Begriff noch anrüchige Elemente sehen, und man stritt sich über ein ziemlich begriffsloses - Maß der Zurückhaltung und Relativierung eigener Positionen, das nötig sei, um die angeblich so diametral entgegengesetzten grünen Anliegen in die offizielle Politik einzupflanzen. Jetzt ist dieses Maß schnurstracks bei einem Daß angelangt, nämlich daß man sich in die demokratische Routine des Kompromisseschließens "einbringen" darf. Die grünen Anführer pflegen ein heimliches oder offenes Einverständnis mit ihrer "Basis": Es kommt auf eine funktionale Trennung von grünem Phrasenschatz und politischer Taktik an. Das Element des Störenden an den grünen Phrasen ist ausgeräumt; im Gegenteil, es macht die schmückende Identität des grünen Politikers aus, ganz frei im Fernsehen und auf Versammlungen auch mal wieder für eine Zusammenführung zu sorgen, nämlich "grüne Inhalte" als eine Art Reminiszenz zu zitieren, der er irgendwie und eigentlich doch verpflichtet wäre und die man ihm, bitteschön, als sein Markenzeichen abkaufen soll.
Die grüne Partei ist insofern wirklich am Ziel ihrer Wünsche angelangt, als sie einen eigenen Beitrag zur politischen Kultur etabliert hat. Ihre Vertreter sind dabei, mit ihrem besonderen Habitus und ihren locker-besinnlichen Sprüchen. Wer von Birne Kohl und dem drögen Vogel enttäuscht ist, dessen intellektuelles Sehnen, einer vorgestellten Einheit von Geist und Macht Gefolgschaft zu leisten, erhält in Gestalt dieser "Hoffnungsträger" durchaus ein Angebot. Tatsächlich sind grüne Politiker Meister im Andeuten und Aufwerfen der Fragen "höchster gesellschaftlicher und menschheitlicher Relevanz". Sie verstehen sich auf Bedeutungsschwere in dem aalglatten Sinn, daß sie banalsten Sachverhalten locker bewegende Problemstellungen entlocken - deren Auflösung wiederum dringend nach ihrer Mitwirkung verlangt.
Sie haben es zu einer gewissen Geläufigkeit in der Kunst der uneigentlichen Redeweise gebracht, der auf Wirkung nach innen und außen taktierenden Stellungnahme, die sich nie eindeutig festlegen, aber gerade in ihrer Vagheit großes Denken vermuten lassen will. Im Argument "Geschichte" kennen sich auch Grüne virtuos aus, nur daß sie sich auf "Zukunft" spezialisiert haben: Sie sind überhaupt jederzeit "zukunftsorientiert" - anspielend auf die altgrüne Angeberei, die "Zukunft der Menschheit" hinge vom Erfolg dieser Partei ab -, und noch die billigste Koalitionsvereinbarung gerät ihnen zu einer "Jahrhundertchance". Kurzum: Das ist Meinungsführerschaft, die gut und gern ihre 10% wert ist. Insofern hat die grüne Partei auch ihr oberstes politisches Ziel eingelöst:
"Es wurde von uns erwartet als Hefe im Teig in dienem politischen Einheitsbrei, der damals vorherrschte, als Hefe im Teig, der dazu bestimmt sein sollte, neue Hoffnungen i n die Politik z u verbreiten die von den etablierten Parteien in der damaligen Zeit heruntergewirtschaftet worden war." (Wolfgang Kaiser in Karlsruhe)
Wer möchte bezweifeln, daß die Grünen ein "belebendes Element" darstellen? Damit verbietet sich freilich auch, irgendeinen politischen Sachverhalt ungeschoren zu lassen, auf grüne Nichtbefassung zu plädieren. Nein, sie müssen sich überall einmischen, am besten sich vordrängeln und - wie das Beispiel des RAF-Hungerstreiks zeigt, aber auch überall sonst, wo sich noch Bürgerunwillen regt - auf ihre spezielle Fähigkeit verweisen, Konsens und Harmonie zu stiften. Früher wollten die Grünen mal "zwischen Mensch und Natur vermitteln"; auf diesem recht abgehobenen Betätigungsfeld haben sie die nötige "Sensibilität" entwickelt, sich als Speerspitze der Ideologie von der wohltätigen Kraft der Staatsgewalt für die Untertanen feilzubieten. Die Erfindung von der "sanften Technik" - dem Ideal einer Versöhnung von wirtschaftlichen Interessen und Interessen derer, die die Wirtschaft auszuhalten haben, entspringend - wendet sich ihrer "realpolitischen" Grundlage zu, selbstverständlich unter Beibehaltung des idealen Anspruchs - Für eine sanfte Staatsgewalt:
"Wogegen sie sich zu Recht wehren" (die Leute der AL vor Beginn der Verhandlungen), "das ist die 'Gewaltfreiheit der Heuchler', ist der aungestreckte Zeigefinger der Verwalter des staatlichen Gewaltmonopols. Was sie aber nicht ertragen können, ist, daß sie schon morgen dazugehören könnten und dann ihr Feindbild (!) vom Staat revidieren müßten. Nachdem sie schon den zivilisatorischen Fortnchritt verkannt haben, der im Bekenntnis zur gesellschaftlichen Gewaltfreiheit liegt, sind sie nun im Begriff, auch noch die Chance zu verspielen, durch Teilhabe a n den Staatsfunktionen, Staatsgewalt abzubauen." (Roland Vogt, MdB, in: "Die Grünen", 9/89)
Natürlich darf das mit dem "Abbauen" nie soweit gehen, daß der "zivilisatorische Fortschritt" gefährdet wird...
Die "Linken" in den Grünen: Hilflos und superschlau
Solange die SPD die Grünen gebrauchen kann, stehen die sogenannten "Linken" auf verlorenem Posten. Auf der Bundesversammlung Karlsruhe fuhr Marie-Luise Schmdt von der GAL Hamburg noch einmal schweres Geschütz auf, um das Unheil aufzuhalten:
"Aber jetzt kommt das, wo ich nach wie vor sage, daß das der eigentliche Skandal ist, und das ist kein billiger Trick und kein billiger Vergleich. Ich fordere nur die Leute auf, die hier das Geschrei anfangen, mit dem gleichen Maß zu messen. Wo bleibt der Aufschrei über diejenigen in der Partei, die sich tatsächlich persönlich bereichern, Geld in die eigene Tasche stecken, und zwar Geld, das ihnen laut den Beschlüssen unserer Partei nicht gehört. Ich rede von denjenigen in der Partei, die 15.000 DM brutto im Monat haben und keinen Pfennig oder erheblich weniger als beschlossen an die ökologischen und sozialen Initiativen abführen. Es handelt sich um die Mehrheit der grünen Bundestagsabgeordneten, und ich warte darauf, daß es hier jetzt Rücktrittsforderungen hagelt..."
Noch einmal wollte Marie-Luise mit der alten Verzichts- und Bescheidenheitsmoral aufwarten; noch einmal erinnerte sie die Delegierten an die grüne Variante des Neides, daß nämlich "Betroffenheit" zur Werbung für die Partei gemacht werden soll, indem gleiche Betroffenheit für alle propagiert wird, und die Partei das an sich selbst vorführt - aber sie bekam zu hören, daß diese Moral zur Zeit eben nicht funktional ist. Der Appell wurde als bloße Retourkutsche "entlarvt", als Versuch, durch Erinnerung an das grüne Skandalgewissen eine Position i n der Partei zu retten. Plötzlich wußten alle, daß einem diese Sorte moralische Aufrechnerei doch bekannt vorkommt - man damit in der Parteienkonkurrenz zur Zeit keine Punkte macht:
"Hört auf, eure Verfehlungen zu vertuschen, indem ihr mit dem moralischen Finger auf andere deutet. Dies ist nämlich genau der Stil, den die anderen Parteien haben, und den wir immer bekämpft haben." (Christiane von Gierke-Schnappertz)
Eine den Kinderschuhen entwachsene Partei glaubt nicht mehr an ihre Gründungsideale, mit denen sie einmal als "Hefe" im "politischen Einheitsbrei" antreten und die Verbesserung der Demokratie im Sinne ihrer idealen Vorstellungen über sie betreiben wollte. Vielmehr sieht sie ihre Aufgabe darin, auf den zweckmäßigen Einsatz dieser Ideale zu achten, wofür Glaubenseifer gerade nicht tauglich ist. Also sind die "Radikalökologen" erst einmal abserviert, wenngleich das Angebot existiert, weiterhin in der Partei mitzumachen: Für den Schein der Andersartigkeit sind sie schließlich immer noch zu gebrauchen, sofern sie sich bescheiden benehmen. Eine Jutta Ditfurth bringt darauf nur das hilflose Echo zustande, der "Realo-Durchmarsch" würde "den grünen Erfolg gefährden". Indem sie implizit die Funktionalität eines "radikalen Flügels" für das Erscheinungsbild anpreist, wiederholt sie aber nur die Stellenausschreibung ihrer Gegner.
Anläßlich dieser interessanten Konstellation laufen die "linken" Methodiker auf Hochtouren. Eine Kritik der Grünen kommt natürlich nicht in Frage. Wie sollten auch Leute, die unter "links" gar nichts anderes als "Demokratisierung" verstehen, jemals auf die Idee kommen, es könnte ein Fehler sein, immer und unter allen Umständen bei den "fortschrittlichsten Bewegungen" mitzumachen? Wie sollten sie auch die grüne Partei kritisieren, wenn sie schon am Kapitalismus nichts anderes zu kritisieren haben, als daß er seinen Idealen nicht anständig entspricht? Na klar, eine Distanz zur realen Erscheinung der Partei haben sich diese "Linken" - selbst als Vorstandsmitglieder - immer bewahrt und unzufrieden waren sie auch immer; um so größer war aber ihre Liebe zu der vermeintlich so hervorragenden Bedingung, in der BRD "etwas zu bewegen". Sicher, ihre radikalen Vorstellungen gingen immer weit hinaus über das aktuelle Parteigeschehen, aber um so entschlossener waren sie, sich in dieser Partei als ihrer Heimat einzurichten. Also gehen sie da auch nicht weg, sondern setzen sich das verdienstvolle Ziel, in einem Doppelschlag ihren Einfluß zurückzugewinnen und die Bedingung z u retten. Deswegen macht es ihnen auch gar nichts aus, einer Partei, der sie einen "Rechtsruck" attestieren, nachzurennen, damit sie ja die Möglichkeit bewahrt, mal wieder nach "links" rücken zu können. Nüchtern und abgeklärt, "realistisch" eben, analysieren sie sich ein Stimmungstief zurecht, das sie aber keineswegs zu "Resignation" und "Isolation" verleiten darf.
"Die Radikalökologen sind zum 'Kampf um die Partei' entschlossen. 'Der Rückzug würde den Durchmarsch der Rechten erst 100prozentig vollziehen', meinte Jutta Ditfurth...
...Autonome, Feministinnen, radikale GewerkschafterInnen und InternationalistInnen will Jutta Ditfurth in die Pflicht nehmen, 'damit sie ihre Verantwortung besser nutzen, auf die möglicherweise sehr schnellen dramatischen Vorgänge in den Grünen Einfluß zu nehmen'..." (Konkret 1/89)
Ja, ja, man muß eben für seine Bedingung kämpfen, sonst hat man keine Bedingung für den Kampf. Das müssen grad die einsehen, die bei den Grünen nicht so sehr mitgemacht haben, und sich in die Pflicht nehmen lassen.
Das "Linke Forum" kommt um die Selbstkritik nicht herum, die Bedingung seiner Möglichkeit allzu idealistisch eingeschätzt zu haben. Man muß die Möglichkeit, sich der grünen Partei zu bedienen, bescheidener sehen - dann wird sie wieder eine hervorragende Möglichkeit:
"'Uns kommt es nicht darauf an, daß unsere Position innerhalb der Partei mehrheitsfähig ist (das wäre unrealistisch, MSZ) - die Linke hat anhand konkreter inhaltlicher Themen die Aufgabe, praktische Politik zu machen' (das ist realistisch, MSZ), formuliert beispielsweise Michael Stamm und fordert... eine nüchterne Klärung der eigenen Möglichkeiten in der Partei: 'Der Gefühlskitsch, der bisher eine idealistische Einschätzung der Grünen zur Folge hatte, muß weg.' Einfluß in der Partei dürfe nicht mit gesellschaftlichem Einfluß verwechselt werden. Daß die Grünen auch ein wichtiger Faktor sind, gesellschaftlichen Einfluß zu erlangen, ist für Stamm allerdings immer noch ausgemachte Sache. Die Begrenztheit der Möglichkeiten müsse jedoch richtig eingeschätzt werden und könne nur so effektiv in die Auseinandersetzungen eingebracht werden...
...bietet sich mit dem 'Linken Forum' schließlich wieder eine Möglichkeit, der Zukunft theoretisch (!) gewappnet ins Auge zu schauen: Die in ihrer Nüchternheit (?) so überzeugend dargelegte Perspektive eines inhaltlichen Engagements als linke Minderheit ist zwar nicht so glanzvoll, wie die gerade frisch blamierte - aber wo bieten sich Linken heute schon glanzvolle Perspektiven?"
"Theorie" heißt unter deutschen "Linken" also, wie man sich eine "Perspektive" zurechtlegt, wie man weiter mitmacht, obwohl oder gerade weil man soeben eins aufs Haupt gekriegt hat. Wenn die Partei selbst gerade in die "konstruktive Verantwortung" eingestiegen ist, wie kann dann ihr "linker" Abklatsch auf Verweigerung machen! Ansonsten: Viel Spaß beim Wegräumen von Gefühlskitsch und richtigen Einschätzen von Begrenztheiten zwecks Effektivität...