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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1989 erschienen.

Systematik

"Für ein soziales Europa"
DER NATIONALISMUS DES DGB WIRD INTERNATIONAL

"Europa" ist prima - das ist nationaler Konsens in der Bundesrepublik. Denn die Machthaber freuen sich öffentlich und ohne Einschränkung auf einen "Binnenmarkt mit 320 Millionen Verbrauchern", also eine Wirtschaftsmacht, die alle anderen Wirtschaftsmächte übertrifft. Mit den regierenden Nationalisten in den Partnerstaaten konkurrieren sie um die Führung und Ausnutzung dieses Machtblocks. Weil sie keine Sorgen haben, dabei untergebuttert zu werden, ist ein Nationalismus, der sich gegen diese Konkurrenz sperrt, "kleinkariert" und von gestern. Die Zukunft der Nation liegt im Sprung zur - multinationalen, in der Substanz aber schwarz-rot-goldenen - Weltmacht Europa.

Gegen kleinkarierten Nationalismus und für eine großkarierte Zukunft ist die bundesdeutsche Arbeiterbewegung, diese traditionsreiche Fortschrittskraft, schon lang. Wenn die politische Führung klarstellt, daß ihr die nationale n Grenzen schon längst viel zu eng sind, läßt der gewerkschaftliche Kosmopolitismus sich nicht lumpen. Deutsche Gewerkschaftler sind also für "Europa", und weil sie als Gewerkschaftler dafür sind, befürworten sie im Namen aller gegenwärtigen und zukünftigen Sozialfälle ein "soziales Europa".

"Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ein demokratisches Europa mit sozialem Gesicht. Das muß Leitlinie für den Europäischen Binnenmarkt sein. Unsere Zukunft wird heute gestaltet. Deshalb fordert der DGB am 1. Mai ein soziales Europa." (Mai-Aufruf des DGB '89)

Wofür die Lohnabhängigen beiderlei Geschlechts überhaupt ein Europa gebrauchen könnten, das geht den Gewerkschaftsbund nichts an. Er ist für das Attribut "sozial" zuständig und hat dafür einen Grund, der fast an ein Bedenken erinnert:

"Der DGB begrüßt ebenso wie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) die Schaffung des EG-Binnenmarktes. Er erwartet von ihm im ganzen Vorteile für die deutschen Arbeitnehmer. Andererseits befürchtet er jedoch, daß infolge der großen Unterschiede in der Lohnhöhe, den Arbeitsbedingungen und den Schutzrechten für die Arbeitnehmer innerhalb der EG in der Bundesrepublik Arbeitsplätze und das hohe Lohnniveau gefährdet sowie wesentliche Arbeitsrechtsbestimmungen und Mitbestimmungsrechte abgebaut werden." (Quelle 11/88)

Die BRD - sozial gesehen einsame Spitzenklasse

Lohnniveau, Arbeitsrecht, Mitbestimmung: das alles findet die Gewerkschaft in der eigenen Nation rundum zufriedenstellend. Wenn es dafür einen Beweis braucht, dann ist er für den DGB mit dem Hinweis auf "große Unterschiede innerhalb der EG", die selbstredend alle positiv für Deutschland ausfallen, erledigt. Eine solche Bilanz gewerkschaftlicher Zufriedenheit darf man natürlich nicht darauf hin befragen, wie es eigentlich das in der BRD akkumulierende Kapital geschafft hat, seine Spitzenstellung in Europa zu erobern, die sämtliche Unternehmerverbände und Wirtschaftspolitiker zu so radikalen "Europäern" macht. Irgendwie müssen die Firmen hierzulande es ja hingekriegt haben, vor allem andern ein weltrekordmäßiges Leistungsniveau herzustellen, so daß das Verhältnis von Lohn und Ertrag die Bundesrepublik als fast unschlagbares Billiglohnland ausweist. Und irgendwie ist das ja wohl auch der Grund dafür, daß das Kapital in anderen Ländern der EG schon sehr kräftig am Lohn und anderen Unkosten spart, um mit den dortigen Arbeitskräften die Konkurrenz gegen deutsche Betriebe aufzunehmen. Wenn etwas dran ist am einmalig hohen deutschen Lohnniveau, dann die Produktivität der zu diesem Preis eingekauften Arbeit.

Was für die Lohnempfänger dran ist an diesem "Niveau", findet die Gewerkschaft ebensowenig eine realistische Prüfung wert. Natürlich wissen ihre Experten, was die Notwendigkeiten eines Arbeiterlebens am Kapitalstandort BRD bzw. deren Preise vom "hohen Lohn" übriglassen; bei Gelegenheit führen sie ja Klage über Mietwucher und Abgabenflut, Preissteigerungen und kostspielige Gesundheitsbelastungen usw. Zum Thema "Europa" gehört das aber genauso wenig wie Schichtarbeit, moderne Arbeitshetze und sonstiger produktiver Gesundheitsverschleiß in deutschen Betrieben. Denn bei diesem Thema geht die Gewerkschaft felsenfest davon aus: Bundesdeutsche Arbeitnehmer (samt -innen) haben es hierzulande unschlagbar gut getroffen - vergleichsweise.

Das gewerkschaftliche "Sachgesetz" vom Ausgleich aller Unterschiede

Dieses nationale Privileg sieht der DGB durch den "Binnenmarkt" gefährdet; die Existenz von "sozialen" Unterschieden sei unhaltbar, der Ausgleich nach unten vorprogrammiert.

Kein Zweifel: So oder so ähnlich argumentieren die Unternehmer für ihr Interesse. Kapitalisten beherrschen die Übung, Lohn und sonstige Kostenvorteile, die sie oder ihre Konkurrenten anderswo genießen, zum Argument für Verschlechterungen hier zu machen. Opfer eines internationalen Konkurrenzdrucks wollen sie sein, wenn sie ihrer Lohnarbeitermannschaft Opfer zumuten. Dabei führen sie sich freilich gar nicht als Opfer auf, sondern setzen ihren Reichtum und das darin begründete Kommando über die Lohnarbeit dazu ein, durch bessere Ausbeutungsbedingungen ihren Erfolg zu mehren; das ist ihr wirkliches Erpressungsmittel. Wenn sie dessen Einsatz mit der Behauptung rechtfertigen, das wäre die einzige Alternative zu einem Umzug in andere Weltgegenden - nach dem Motto: Arbeitsbedingungen und Löhne hier "schaffen Arbeitsplätze in Fernost" und sonstwo -, dann handelt es sich erstens um eine Drohung, die keine Notlage, sondern die Souveränität des kapitalistischen Reichtums bezeugt; obendrein ist sie verlogen, weil ein Unternehmer allemal noch weit mehr Kalkulationsgrößen als Lohn und Lohnnebenkosten für seine Standortentscheidungen kennt und beherzigt - Transportkosten, Marktnähe, Infrastruktur usw. -. Und wenn tatsächlich ein Kapitalexport erfolgt, dann wollen die profitablen Ausbeutungsverhältnisse - anderswo allemal durch die Privatmacht des investierten Kapials erst hergestellt sein und liegen keineswegs als erdrückender Sachzwang einfach vor. Deswegen sind Verschlechterungen für hiesige Lohnarbeiter auch weder ein Hinderis für Kapitalexport - sie mehren ja im Gegenteil den Reichtum, der wieder produktiv und profitabel angelegt sein will -, noch bewirken sie auch nur im entferntesten einen weltweiten Ausgleich der "sozialen Verhältnisse" - sie verschärfen vielmehr die Kriterien einer profitablen Geldanlage anderswo und geben dem Kapital die Mittel in die Hand, entsprechende Ausbeutungsverhältnisse auch durchzusetzen! Gerade die Unterschiede zwischen den Staaten und Regionen der EG, von denen die Gewerkschaft so viel hermacht, sind keineswegs natürliche Voraussetzung für die Konkurrenzunternehmungen der Kapitalisten, sondern das Produkt von Kapitalanlagen über die Grenzen hinweg, die ja schon längst zum europäischen Alltag gehören und nicht erst mit dem "Binnenmarkt" in Gang kommen.

Verlogen ist also jedes Unternehmerargument vom internationalen Konkurrenzdruck, der spätestens ab '92 die bundesdeutschen Lohnarbeitsverhältnisse unhaltbar machen würde; sehr kenntlich hingegen das Unternehmerinteresse, mit dieser Ideologie eine Verschlechterung von Löhnen und Arbeitsbedingungen für die werktätige Mannschaft zu erpressen. Genug zu kritisieren also für aufgeweckte Gewerkschaftler, und viel zu tun für einen gewerkschaftlichen Abwehrkampf. Genau das ist es aber nicht, wozu der DGB mit seiner Sorge um die Zukunft des prächtigen sozialen Niveaus der BRD unter "Binnenmarkt"-Verhältnissen anhebt. In den Konkurrenzideologien der Unternehmer deckt dieser Verein nicht das arbeitnehmerschädliche Interesse auf, sondern entdeckt eine ökonomische Zwangslage nach der anderen, die sich tatsächlich kein Kapitalist zumuten lassen könnte. Alles, worauf Unternehmer als Beschränkung für erfolgreiches Konkurrieren deuten, begreift die Gewerkschaft als Umstand, aus dem sich - gibt es erst mal den Binnenmarkt - die Attraktivität einer Nation für die Unternehmer und damit die nationale Konkurrenzsituation entscheidet. Soziale Verhältnisse, die die Kapitalisten in ihre Standortentscheidungen - sofern sie solche überhaupt treffen - einbeziehen und auf die sie unbesehen als ihre Zwangslage verweisen, erscheinen so als objektive Bestimmungsgründe für das wirkliche ökonomische Verhältnis zwischen den beteiligten Nationen: eine seltsame Übertreibung statt einer Kritik ideologischer Verdrehungen von Kapitalinteressen.

Das Selbstverständnis der Gewerkschaft als Agent nationaler Konkurrenz

Der DGB betrachtet den "Binnenmarkt" und "Europa" unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz der Nationen um kapitalistische Standortentscheidungen, weil er auf dem Standpunkt nationaler Konkurrenz steht. Dieser Standpunkt deckt sich zwar nicht mit dem der wirklich praktizierten Wirtschaftspolitik denn die unterscheidet noch allemal sachgerecht zwischen Interessen, die sie fördert, und Sachzwang-Ideologien, mit denen sie ihre Parteilichkeit als gemeinverständliche nationale Pflicht propagiert - und schon gar nicht mit dem des auf Mehrung erpichten Reichtums. Für die Gewerkschaft steht fortwährend der zweigeschlechtliche Arbeitnehmer als die vom Kapital und dessen Investitionsentscheidungen abhängige Figur im Mittelpunkt; jedes Stück unternehmerischen Konkurrenzkampfes rechnet sie in ein Stück proletarisches Schicksal um; für sie deckt sich dabei die Konkurrenz der Nationen, die dem weltweit agierenden Kapital Angebote machen, mit der Interessenlage der jeweiligen Arbeiterklasse, die Kapitalisten braucht, von denen sie abhängen kann. Und damit ergibt sich eine völlig perverse Gleichung: Was immer vom Unternehmerinteresse her als störend beurteilt wird, übersetzt sich die Gewerkschaft in einen objektiven nationalen Konkurrenznachteil, und jeder derartige Nachteil erscheint ihr als Schaden für die Arbeiter dieser Nation. So wird sie skeptisch gegen ihre eigenen "sozialen Errungenschaften" - oder was sie dafür hält -; sie sieht ein, daß sie damit Dinge "erkämpft" hat, die unter den Bedingungen der "Binnenmarkt"-Konkurrenz ihrer eigenen Klientel schaden müssen; so kommt sie nicht umhin, die Frage aufzuwerfen, ob "hohes Lohnniveau" und sonstige angeblich erstklassige "soziale Standards" überhaupt u halten sind. Mag sein, daß in der zeitlichen Abfolge der Ereignisse zuerst die Wende-Politiker oder Unternehmerverbandsfunktionäre den DGB-Gewerkschaftlern diese Frage vorgehalten haben; aber nicht einmal das ist ausgemacht. Diese Gewerkschaft begreift sich selbst als mitentscheidender Gestalter aller nationalen Konkurrenzbedingungen; und deswegen gelangt sie auch ohne Kritik von außen zu der selbstkritischen Überprüfung, ob sie ihren eigenen Leuten nicht mit all den spitzenmäßigen Arbeitsbedingungen, für die sie sich und ihre Republik lobt, in Wahrheit in den Rücken gefallen ist, wenn jetzt und demnächst noch mehr Freizügigkeit fürs Kapital, also noch mehr Ringen um die Gunst kapitalistischer Investitionsbereitschaft angesagt ist.

Das Ergebnis ist eindeutig: Der DGB sieht nur eine Chance, das "erreichte Niveau" zu retten, und die nennt er "soziales Europa". Gemeint ist damit die Nutzanwendung eines Einfalls, den deutsche Gewerkschaftsführer schon zu sozialliberalen Zeiten ihren Kollegen in Japan, dem seinerzeitigen Hauptkonkurrenten der bundesdeutschen Exportnation, vorgetragen haben. Damals hieß es, die japanischen Lohnarbeiter sollten gefälligst mehr Urlaub machen und mehr Lohn fordern, um ihren Multis die Dumpingpreise im Export zu vermasseln. Nach demselben Strickmuster wünschen die DGB-Funktionäre sich heute eine Nivellierung von Löhnen und Arbeitsbedingungen in ganz Europa nach oben, damit der "Sachzwang" einer Nivellierung nach unten nicht voll zuschlägt: Der nationale Nachteil, der angeblich im bundesdeutschen "sozialen Niveau" liegt, soll sich dadurch herauskürzen, daß die Lohnarbeiter in den Partnerländern ebenfalls besser, also die Kapitalisten schlechter gestellt werden.

In diesem Sinne verlangt die deutsche Gewerkschaft von ihren europäischen Schwesterorganisationen ein Nachziehen in Sachen soziale Errungenschaften - und ist sich zugleich sicher, daß damit nicht zu rechnen ist. Den anderen nationalen Kreisen attestiert sie nämlich unbesehen einige Ohnmacht - verglichen mit sich selber -; und ihre reaktionärsten, also ehrlichsten Vertreter verraten gleich, was sie damit meinen und weshalb sie sich in ihrer Diagnose so sicher sind:

"Hiller (VW-Betriebsratsvorsitzender, IG Metall) rechnet damit, daß sich der Druck auf die Belegschaften in allen Automobilkonzernen, enorm verstärken wird. Da werde die 'Einigkeit des Geistes' unter den europäischen Gewerkschaften wohl kaum ausreichen, um in der Bundesrepublik das Niveau der Beschäftigung, der tariflichen und sozialen Leistungen sowie der Mitbestimmung zu halten. Gegenüber der Hoffnung auf eine schnelle Angliederung der arbeits- und sozialrechtlichen Standards auf dem höchsten, in der Bundesrepublik erreichten Niveau sei er 'äußerst skeptisch', sagte Hiller aufeiner Gewerkschaftsveranstaltung. Der Hintergrund: In Belgien oder Spanien seien die Gewerkschaften nicht bereit, zugunsten ihrer deutschen Kollegen auf die Ansiedlung von neuen Montagewerken von Ford oder Volkswagen zu verzichten, wie man in Wolfsburg und Köln bereits feststellte. " (FAZ, 29.10.88)

"Kampfkraft der Gewerkschaften gibt es nur, wenn die Franzosen, Italiener, Spanier, Portugiesen und Griechen auch stark sind. Nur mein Problem ist, daß dort die Gewerkschaften schwach sind und dieser Ausverkauf heute schon stattfindet." (Horst Mettke, IG Chemie im "Spiegel"-Streitgespräch mit Detlef Hensche, IG Druck, 41/88)

Mettke redet von dem Ausverkauf, in welchem sich die europäischen Gewerkschaften "in den Arbeitsbedingungen gegenseitig unterbieten". Es ist gar nicht eine Schwäche der ausländischen Gewerkschaften, was bundesdeutsche Arbeitervertreter da bedauernd registrieren, sondern die mangelnde Bereitschaft dieser Vereine, den "eigenen" Kapitalisten Schwierigkeiten zu machen, damit die bundesdeutschen Kollegen sich besserstellen. Und daran fällt einem bundesdeutschen Funktionär weder die Absurdität noch die Schäbigkeit der eigenen Berechnung mit einer "gesamteuropäischen Solidarität der Arbeitnehmer" auf. Er nimmt zur Kenntnis, daß seine auswärtigen Gesinnungsgenossen dieselben Kalkulationen anstellen wie er selber: Sie rechnen auf nationale Vorteile und damit auf Chancen für ihre Lohnarbeiter, wenn sie deren Leistung zu billigeren Tarifen und kapitalfreundlicheren Konditionen anbieten als die Gewerkschaften anderer Nationen - das ist der "Ausverkauf", den Mettke geißelt.

Dabei ist es ganz gleich, ob Belgier, Spanier und Griechen inzwischen wirklich genauso bescheuert nationalistisch Tarif- und Sozialpolitik machen wie die DGB-Vereine. Die deutschen Gewerkschaftler sind sich sicher, im Ausland auf lauter gewerkschaftliche "Ausverkaufs"-Bereitschaft zu treffen, weil sie selber gar nicht anders kalkulieren und wahrscheinlich gar nicht mehr anders denken können. Sie nehmen ihre selbstgewählte Rolle als Agenten der nationalen Konkurrenzlage ja schon längst praktisch ernst: Sie schließen Null- und Minus-Tarifverträge; ihre Betriebsräte lassen sich auf jeden betrieblichen Extrawunsch ein (siehe VW - MSZ Nr. 7/8-1988). So betreiben sie die "Nivellierung" von Löhnen und sozialen Standards nach unten, die sie zu einem Sachgesetz erklären, das nur durch europaweite Gewerkschaftssolidarität außer Kraft zu setzen wäre vor dem also die deutsche Gewerkschaft nur kapitulieren kann, weil die blöden Portugiesen nicht für Arbeitsplätze in Pirmasens streiken wollen...

Die gewerkschaftliche Hoffnung: Arbeitnehmerfreundlicher Euro-Imperialismus aus Bonn

Als ehrenwerte Säule der deutschen Nation verfügt der DGB allerdings über einen noch viel besseren Adressaten für seinen Wunsch nach einem Ausgleich bundesdeutscher Konkurrenznachteile durch Konkurrenznachteile anderswo: Er nimmt die Bundesregierung "in die Pflicht". Die Bonner Staatsgewalt soll gefälligst das "soziale Europa" durchsetzen, für das die Solidarität der europäischen Sozialfälle und ihrer gewerkschaftlichen Vertreter zu schwach ist - sonst wird nämlich die Partei, die gerade dran ist, das nächste Mal nicht ins Europaparlament gewählt...

Der DGB glaubt eben ganz fest daran, daß all die sozialstaatlichen Errungenschaften, die er für so unvergleichlich hält, die Erfüllung eines nationalen Anliegens wären, dem eine pflichtbewußte Regierung sich schlechterdings nicht entziehen könnte; deswegen verlangt er ihre Rettung von einer Koalition, der Gewerkschaftler sonst gerne eine zutiefst unsoziale "Umverteilung von unten nach oben" vorwerfen. Für den Erfolg seines Antrags verläßt sich der DGB auf die starke Konkurrenzposition der Bundesregierung und ihrer nationalen Wirtschaftsmacht in Europa - daß die BRD ihre Stärke ganz gewiß nicht aus einer pfleglichen, sondern eben aus einer rigorosen kapitalistisch zweckmäßigen Behandlung der Arbeiterklasse bezieht nimmt ein Gewerkschafter allenfalls als guten Grund für ein gutes gewerkschaftliches Recht auf eine "soziale" Verwendung dieser Stärke zur Kenntnis. Von dem erpresserischen Druck, den die BRD auf ihre Partner ausübt, von dessen wirtschaftspolitischem Zweck, dem deutschen Kapital weitere lohnende Anlagesphären zu öffnen, und von den sozialpolitischen Wirkungen, die diese "Europapolitik" längst hervorgebracht hat, hat der DGB nicht mehr und nicht weniger als die Tatsache des nationalen Erfolgs mitbekommen, den er sich auf seine Weise als Chance für die Arbeitnehmerschaft des Landes zurechtinterpretiert.

Während die Gewerkschaftler alles tun, um den Kapitalisten bessere nationale Ausbeutungsbedingungen zu bieten, und sich als Mitorganisator aller Siege in der europäischen Konkurrenz aufführen, reklamieren sie einen Gebrauch der zunehmenden imperialistischen Stärke der Republik zugunsten ihrer Arbeitnehmer - so ergänzen sie wenigstens ihre praktische Politik um die Ideologie, eigentlich wäre die ganze Welt, vom DGB bis zu "Europa", dazu da, den Lohnarbeitern Nachteile und Härten zu ersparen.

Damit bleibt der DGB seiner Linie des gewerkschaftlichen Kampfes treu. Um mehr als um die Ausgestaltung des Sozialstaats ist es ihm nie gegangen, und bei dieser Sorte Vertretung von Arbeiterinteressen waren ihm die Möglichkeiten des nationalen Geschäftsgangs einschließlich der "Sachzwänge" des Bundeshaushalts stets die eingesehene Bedingung und Schranke. Das gilt für einen deutschen Gewerkschafter allemal, daß der Reichtum der Nation den gewerkschaftlichen Handlungsspielraum definiert.

Jetzt, angesichts des neuen Europa, treiben die Männer um Breit ihre Idiotie auf die Spitze. Sie sehen den Hebel für ihr soziales Engagement im deutschen Geschäft, und dessen Erfolge erklären sie sich allen Ernstes aus der Standortbeflissenheit. Ihre Partner, deutsche Kapitalisten und deutsche Politiker, mögen da noch so eindrucksvoll demonstrieren, daß der Reichtum der Nation aus Ausbeutung daheim und auswärts resultiert - der DGB hält tapfer die weltweit freizügigen Kapitalisten wie die internationalistischen Gründer Europas zum Nationalismus an. Und niemand bedenkt diese Arbeitervertretung mit dem brandaktuellen und durchaus berechtigten Vorwurf der Auslandsfeindschaft, also der prinzipiellsten Form der Ausländerfeindschaft.