Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1989 erschienen.

Sebastian Haffner: "Von Bismarck zu Hitler"
Ernst Nolte: "Der europäische Bürgerkrieg"


ZWEI ALTERNATIVEN BEWÄLTIGTER VERGANGENHEIT

Das jüngste Beispiel für die in der Geschichtswissenschaft seit Urzeiten vertretenen gegensätzlichen Sichtweisen, die Geschichte sei eher durch Ideen oder eher durch Macht bewegt, liefern die beiden Schwarten von Sebastian Haffner und Ernst Nolte. Zwei seriöse Geschichtswissenschaftler widmen sich demselben Zeitraum und erzählen jeweils eine völlig andere Geschichte. An der Geschichte liegt das nicht, die gibt ja bekanntlich jeder noch so verkehrten Deutung recht, eher schon an dem in der Zunft üblichen Ringen um den höheren Sinn der Nazizeit.

Nolte meint das Bewegungsgesetz deutscher und überhaupt europäischer Geschichte des 20. Jahrhunderts läge im ideologischen Abwehrkampf der Demokratie gegen den Kommunismus. Die Geschichte dreht sich für ihn um das Ringen zweier Ideen um die Vorherrschaft: "Die Demokratie" wehrt sich durch das Bürgertum Westeuropas gegen die kommunistische Bedrohung seitens der KPdSU und der Kommunistischen Internationale. Hitler und die Nationalsozialisten nahmen mit ihrem antibolschewistischen Programm also durchaus einen auf der geschichtlichen Tagesordnung stehenden Kampf auf, nur leider ließ ihr "extremer" Antisemitismus unter anderem die Westmächte vor dem Mitmachen zurückscheuen, was den Erfolg vereitelte. Hitler - ein m ideologischen Kampf Gescheiterter.

Während Nolte die Staaten mit ihren weltkriegsträchtigen Berechnungen, Händeln und Koalitionen aus der Geschichte einfach hinauskürzt und sie idealistisch als bloße Agenten des einen großen Kampfs der guten demokratischen Idee gegen die böse, sie bedrohende kommunistische interpretiert und in zwei geistige Lager sortiert, will Haffner weder von ehrbaren Idealen noch von ideologischen Doktrinen in der Geschichte etwas wissen. Er kennt überhaupt nur Staaten, und denen geht es - ob kommunistisch, demokratisch, monarchistisch - immerzu um ein und dasselbe, nämlich um ihre Macht und darum, sie zu behaupten und auszudehnen. Scheinbar ganz realistisch geht er davon aus, daß es jeder Herrschaft nur um sich geht, und beurteilt allein die Fähigkeiten, sich durchzusetzen, bzw. die Erfolge, die sie bei ihrem Machtkampf erzielt haben. Hitler erfüllte demnach mit seinem nationalsozialistischen Kriegsprogramm einen jedem Staat selbstverständlichen geschichtlichen Auftrag; er wollte die Größe des Deutschen Reiches wiederherstellen und mehren. Hitler - ein zeitgemäßer Agent nationaler Macht, ihres Willens und ihrer mangelnden Fähigkeit, sich durchzusetzen.

Deutscher Imperialismus - Produkt der "unglücklichen Größe" des Deutschen Reiches = Sebastian Haffner

Der Untergang des Deutschen Reiches ist für Haffner unausweichlich gewesen. Entgegen Spekulationen von Historikern über einen anderen Werdegang des Deutschen Reiches, wenn nur Hitler nicht gewesen wäre, sieht Haffner in dessen Lebensraumpolitik nur die letzte Konsequenz des Geburtsfehlers des Deutschen Reiches: Mit seiner Gründung durch Bismarck soll auch schon sein Scheitern programmiert gewesen sein, weil es von Anfang an verkehrt dimensioniert war; u groß, um nicht fortwährend angefeindet zu werden, und u klein, um allen Anfeindungen Paroli bieten zu können. Haffner entdeckt die "ungeschickte Größe" des Reiches als geheime Wirkkraft seiner Geschichte von Bismarck zu Hitler. Das geht so:

Macht, das "Lebensgesetz" von Mächten

"Kleinstaaten und Großmächte leben nach unterschiedlichen außenpolitischen Lebensgesetzen. Der Kleinstaat sucht Anlehnung oder Neutralität. Er kann nie versuchen, durch eigene Machtpolitik sein Los zu verbessern. Den Großmächten jedoch liegt das sehr nahe. Wo sie freie Räume finden, neigen sie dazu, sich dorthin auszudehnen, um ihre Macht, die ja ihre staatliche Lebensgrundlage ist, zu festigen und zu erweitern." (14)

"Macht" ist für Haffner Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte, und das gleich so gründlich, daß er außer ihr gar nichts anderes mehr kennt, nicht einmal ihr eigenes Weiß-Warum. Immerzu ist sie zugleich das handelnde Subjekt, sein einziger Zweck und sein einziges Mittel: Mächte streiten mit ihrer Macht um mehr Macht. Dementsprechend sortiert sich die Staatenwelt und ihr historisches Treiben äußerst einfach: In große und kleine Mächte, die mit mehr oder weniger Macht um mehr oder weniger Macht kämpfen. Nicht gerade eine tiefschürfende Erkenntnis, erhebt sie doch die allgemeinste Abstraktion zum ganzen Grund und Inhalt der Politik. Nun läßt sich ja die Banalität nicht bestreiten, daß es in der Politik irgendwie um Macht geht und um die gewaltsame Auseinandersetzung mit anderen Staaten. Und es stimmt, daß dabei für die Macher einer Nation nichts weiter zählt als der eigene Erfolg und daß sie alles, was an gesellschaftlichem Leben in dieser Nation stattfindet, diesem unterordnen und gewaltsam zu Diensten machen. Insofern klingt Haffners Ausgangspunkt fast wie eine Kritik an den Gewohnheiten einer anständigen Herrschaft: Die läßt ja das eigene Volk für ihre Erhaltung immerzu geschäftlich und im Kriegsfall auch mit den Waffen antreten, nimmt den nationalen Reichtum immerzu politisch in Anspruch und opfert im Ernstfall selbst die kapitalistische Geschäftswelt der Verteidigung der nationalen Souveränität. Die überprüft ja die geschäftlichen, diplomatischen und sonstigen Beziehungen zu anderen Nationen immerzu nach ihrem Ertrag für die Mehrung des eigenen Staatsreichtums und -einflusses, droht immerzu mit militärischer Gewalt und macht diese Drohung wahr.

Bloß genau so ist es bei Haffner überhaupt nicht gemeint, wenn er sein "Lebensgesetz" aufstellt. Umgekehrt: Ihm ist es selbstverständlich, daß sich das ganze Leben in einer Nation den Staatszwecken unterzuordnen und ihm zu dienen hat, daß er gleich gar keinen Gedanken mehr darauf verschwendet und gar keinen Unterschied mehr zwischen dem staatlichen Machtprogramm und seinen diversen Mitteln macht. Für diesen Fan staatlicher Größe sind sie wirklich gleichgültig und gehen ganz darin auf, was sie zum internationalen Erfolg beizutragen vermögen. Dieser Erfolg wird von Haffner also auch nicht kritisiert, sondern zum Maßstab gemacht. Kaum hat er sein "Lebensgesetz" ausgesprochen, ist er auch schon damit fertig und widmet sich verständnisvoll den Auseinandersetzungen zwischen Großen und Kleinen, in denen es seinen quasi naturgesetzlichen Gang geht.

"Macht" ist also der Titel, mit dem Haffner alles, was Staaten in der Weltpolitik miteinander auszufechten haben und gewaltsam austragen, mit dem Etikett Gewalt versieht und für eine Selbstverständlichkeit ausgibt. Mit dem Schein, sich jeden Urteils zu enthalten und nur darzulegen, wie es wirklich zugeht, entwirft er ein historisches Konstrukt, in dem Groß- und Kleinmächte so handeln, wie sie als Mächte eben handeln - und wie es ihnen insofern zukommt: Die Großen dehnen sich aus, weil sie die Macht dazu haben; die Kleinen haben sich ihnen unterzuordnen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Andernfalls müssen sie sich schon gefallen lassen, vom Historiker - die erfolgreiche Macht stiftet faktisch Recht und dem gibt er immerzu historisch recht - als "Freiraum" definiert zu werden, in den vorzustoßen für eine Großmacht geradezu zwangsläufig ist.

Die propagandistische Selbstdarstellung von imperialistischen Staaten, die überall auf der Welt ihre "natürlichen Rechte" definieren und daher "verteidigen" müssen, findet man bei Haffner als Naturgesetz von Großmächten wieder, auf das die Politik dann nur reagiert, indem sie es exekutiert. Die Fiktion vom "Freiraum", die der Sache nach meint, daß in der so bezeichneten Weltgegend kein verteidigungsfähiger Souverän sitzt, der Vorstoß der Großmacht daher möglich ist, veranschaulicht die behauptete Naturwüchsigkeit imperialistischer Kriege ebenso wie sie deren Gewalttätigkeit rauskürzt. Wenn keiner da ist, kann auch keinem der Krieg erklärt werden. So gesehen ist Krieg auch nicht Krieg, sondern ganz harmlos "Ausdehnung".

Tragik deutscher Großmacht: Zu klein für eine Weltmacht

Was dieses historische "Lebensgesetz" angeht, soll das Deutsche Reich von Anfang an schlechte Karten gehabt haben.

"Das Deutsche Reich - im Gegensatz zu den vorherigen Staatsbildungen - war eine Großmacht. Das war eigentlich das Neue an ihm. Aber es fand sehr wenig Freiräume, in die es vorstoßen konnte, um sich zu erweitern.... Andererseits war das Reich nun einmal Großmacht und hatte deshalb auch den Großmachtinstinkt, noch größer zu werden." (14 f.)

Wie angesichts des "Lebensgesetzes" aus den anlehnungsbedürftigen deutschen Kleinstaaten auf einmal doch eine neue Großmacht entstehen konnte, bleibt allerdings rätselhaft. Dafür glaubt Haffner fest daran, daß die sich unvermittelt in der Zwangslage befindet, Großmacht sein zu müssen, ohne es so recht sein zu können:

"Das Reich besaß eine ungeschickte Größe. Es war wahrscheinlich stärker als jede andere europäische Großmacht. Es war aber selbstverständlich schwächer als eine Koalition mehrerer oder gar allerjener Großmächte. Genau aus diesem Grund hatte es solche Koalitionen immer zu fürchten. Denn gerade weil z.B. Frankreich, z.B. Österreich, z.B. Italien und vielleicht sogar Rußland sich schwächer fühlten als das Deutsche Reich, neigten diese Länder dazu, Bündnisse zu suchen, Koalitionen einzugehen. Und wiederum weil sie dazu neigten, war das Deutsche Reich immer versucht, solche Koalitionen zu verhindern, ein Glied herauszusprengen, wenn es konnte - und zwar notfalls mit Gewalt, mit Krieg." (15)

Wenn Machterweiterung das "Lebensgesetz" einer Großmacht sein soll, dann hat so ein Monster gesunde Lebensbedingungen nur dann, wenn es ungehindert in "Freiräume" vorstoßen kann - so das Bild für die Vorstellung eines idealen, weil widerstandslosen Imperialismus. Andererseits aber soll das keineswegs heißen, daß sich "Großmachtpolitik" von solchen Bedingungen abhängig machen würde; für die Fälle halten sie ja noch ihre ultima ratio bereit. Die bloße Existenz eines Nachbarn gilt den "Mächten" laut Haffner als glatte Behinderung in der Verfolgung ihrer "natürlichen Lebensbedürfnisse". Also dringen sie auf deren Botmäßigkeit. Ist die "freiwillig" nicht zu haben, definieren sie sich als bedroht und versuchen, sie gewaltsam herzustellen. In diesem gewalttätigen Treiben sind sie für Haffner stets Reagierende auf die Reaktion der je anderen. Damit setzt Haffner ein Karussell von sich wechselseitig bedingenden Bedrohungen als Motor der Politik in die Welt, das sich aus der Wechselseitigkeit der Verfolgung von natürlichen Machtbedürfnissen ergibt: ein Perpetuum mobile imperialistischer Außenpolitik. (Heute ist solch ein "Mechanismus" als "Rüstungswettlauf bekannt.")

Haffner denkt sich also immerzu im Geiste in die Köpfe der Politiker hinein, vollzieht geistig ihre Überlegungen nach - wie er sie sieht und für praktisch gültig hält - und teilt deswegen auch den Standpunkt ihrer außenpolitischen Sorgen und Nöte und vor allem deren Auffassung, daß es sich um Selbstverständlichkeiten der jeweiligen Nation handelt, die ihr aufgrund ihrer Stellung in der Welt gebührt. Deswegen dienen ihm auch die sattsam bekannten Auffassungen damaliger deutscher Politiker, was dem Deutschen Reich zustünde, als Richtschnur.

So ist für ihn selbstverständlich, daß deutsche Großmachtpolitik identisch ist mit Weltmachtpolitik, schließlich "mußte" sich das Reich ja gegen alle europäischen Staaten auf einmal behaupten. Mit seiner ebenso grundlosen wie inhaltsleeren Staatenkonkurrenz als geschichtlichem Bewegungsgesetz hakt Haffner ausnahmslos jeden deutschen Imperialismus als blanke Überlebensnotwendigkeit ab. Ein verständnisvollerer Freibrief für die Politik von seiten der Wissenschaft ist kaum vorstellbar.

Der Erste Weltkrieg - mit einem Bauernopfer gewonnen

Angesichts der schicksalhaften Zwangslage der deutschen Politik erkennt der "Stern"- Autor nun in der Nachkriegssituation des Ersten Weltkriegs eine Sternstunde deutscher Großmachtpolitik. Sein Gag besteht darin, den Versailler Frieden als Wegschaufeln aller Hindernisse für deutsche Großmachtpolitik zu interpretieren:

"Vor 1914 war das Deutsche Reich 'eingekreist'. Es lag zwischen den vier Großmächten England, Frankreich, Österreich-Ungarn und Rußland. Von diesen vier Großmächten hatte sich eine inzwischen vollkommen aufgelöst: Österreich-Ungarn gab es nicht mehr.... Rußland existierte jetzt als Sowjetunion außerhalb des europäischen Systems. Dieses Rußland war aber dazu geneigt, sich mit anderen Geächteten, nämlich Deutschland zu verbinden. Das Reich hatte also, wie man im Schachspiel sagt, jetzt eine stärkere Position als vor dem Krieg. Und diese positionelle Stärkung Deutschlands war durch den Kriegsausgang, aber auch durch die Friedensregelung selbst, unwiderruflich, außer allenfalls durch einen neuen Krieg; die Schwächung Deutschlands war dagegen ihrem Wesen nach vorübergehend. Zehn oder zwanzig Jahre nach dem Krieg würde niemand mehr einen neuen Krieg führen, um Deutschland an der Wiederaufrüstung zu hindern." (180 ff.)

Daß das Deutsche Reich im Weltkrieg I seine Ziele gerade nicht erreichte, im Gegenteil sich von den Siegern seine Grenzen, die Größe seiner Armee und obendrein noch ansehnliche Reparationsforderungen diktieren lassen mußte, ficht Haffner mit seiner Macht = Erfolgslogik nicht an. Um den weiteren Gang der Geschichte wissend, denkt er sich wieder mal in die Köpfe der Weimarer Politiker und den Hitlers hinein und an ihren nationalen Beschwerden über die Niederlage des Deutschen Reiches und Bemühungen um die Wiederherstellung deutscher Größe entlang - und siehe da: Die Welt nach Versailles stellt sich für heutige Beurteiler ungefähr so dar, wie sie die Macher mit ihren Kalkulationen einschätzten: als eine Konstellation von Mächten, die Deutschlands legitimen Machtansprüchen im Wege stand oder für sie zu nutzen war. Und seine originelle Variante: 'Die Niederlage eröffnet neue, bessere Chancen in Sachen 'Lebensgesetz'!' ist nur auf den ersten Blick überraschend. Diese Lagebeurteilung hat schließlich das gute Argument auf ihrer Seite, daß Hitler ungefähr genauso dachte und rechnete, wie Haffner es hier als Begriff der geschichtlichen Situation vorerzählt.

Bloß weil er wie die Betreuer nationaler Machtinteressen argumentiert, stimmt Haffners Erklärung aber noch lange nicht: Schließlich lag dieser feine Erfolg deutscher Politik bis weit in den zweiten Weltkrieg hinein nicht in der Natur einer neuen Konstellation, sondern in der Entschiedenheit Hitlers, einen deutschlandpolitischen Auftrag rücksichtslos wahrzunehmen, sich deswegen über die weltpolitischen Auflagen und Beschränkungen - von wegen 'Möglichkeiten' - hinwegzusetzen und dabei auf die Duldung der Siegermächte bzw. dann auf die eigene Kriegsdrohung zu setzen. Haffner hat da gut reden von "niemand würde ...". Nur am Rande: Daß unerwünschte Aufrüstung in irgendeinem Land einen handfesten Kriegsgrund liefert, haben die USA anläßlich der Raketenstationierung auf Kuba ebenso demonstriert wie im Falle Libyen. Haffners Behauptung lebt ganz von der vor allem britischen Kalkulation, daß ein wiederaufgerüstetes Deutschland als Frontstaat gegen die Sowjetunion durchaus brauchbar sei. Deswegen wurde sie nicht unterbunden, nicht weil Wiederaufrüstung zu läppisch für einen Waffengang wäre.

Quintessenz der Haffnerschen Begutachtung des 1. Weltkrieges ist also, daß das besiegte Deutsche Reich in W'ahrheit gestärkt wurde. Im "Schachspiel" der europäischen Mächtekonstellation erhält die Niederlage den Charakter eines Bauernopfers.

Der Zweite Weltkrieg: Durch die Niederlage des Großdeutschen Reiches zur wahren Größe Deutschlands

Haffner ist nun zwar wie alle anderen historischen Schreiberlinge der Ansicht, daß der Zweite Weltkrieg über die "Epoche der Weltkriege" aus der durch den Versailler Vertrag geschaffenen politischen Situation abzuleiten wäre. Wie sie erhebt er die von der Weimarer Republik erhobenen Ansprüche auf Wiederherstellung deutscher Größe, die in mannigfachen Äußerungen der Unzufriedenheit mit dem "Versailler Schanddiktat" laut wurden, in den Rang einer unabweisbaren Notwendigkeit für deutsche Politik. Aber anders als üblich, ist für Haffner der Zweite Weltkrieg nicht die "logische" Folge der Unannehmbarkeit dieses Friedens, sondern das auf der Hand liegende Ergreifen der durch ihn geschaffenen Chancen: endlich nicht nur Großmacht zu sein, sondern auch eine ihr gemäße Politik machen zu können, weil die anderen nicht viel dagegenhalten konnten. Die faschistische Kriegshetze hält er daher für eine besonders gelungene Variante, die ganz natürlichen Großmachtbedürfnisse des Deutschen Reiches zu artikulieren:

"Niemand appellierte an Nationalismus, Nationalstolz und nationale Ressentiments mit solcher Überzeugung - und daher solcher Überzeugungskraft - wie die Nationalsozialisten. Niemand wagte, wie sie zu behaupten, daß Deutschland den ersten Weltkrieg eigentlich gewonnen haben müßte, ja im Grunde gewonnen habe und nur durch List und Verrat um seinen Sieg geprellt worden sei; niemand wagte so unverblümt anzudeuten, daß dieser verlorene Sieg eines Tages nachzuholen sei." (218)

Freilich, so sehr Hitler mit seinen Erfolgen bewiesen hat, daß deutsche Großmachtpolitik "ging", also auch in Ordnung ging, so sehr beweist er auch das Gegenteil. Schließlich hat er nicht nur den Krieg propagiert, sondern auch geführt - und verloren. Deswegen reiht sich Hitler, der "die 'Weltmacht oder Untergang'-Alternative des späten Kaiserreichs und des Ersten Weltkriegs übernahm" (270) für Haffner in die unglückliche Ahnenreihe derjenigen ein, die den Geburtsfehler des Deutschen Reiches verwaltet haben.

Seine Rechnung ist zwar nicht aufgegangen, aber seine Niederlage im Zweiten Weltkrieg erhält von Haffner unter der Perspektive seines Geschichtsgesetzes einen positiven Sinn, bedeutet sie doch die Befreiung von der "unglücklichen Größe" des Reiches. Die deutsche Teilung entläßt die Deutschen endlich aus ihrem machtpolitischen Dilemma:

"Die Bundesrepublik war ein neuer Staat. Nicht nur in geographischer Hinsicht war sie keine Wiederherstellung des Deutschen Reiches, sie war auch kein fragmentarischer Rest dieses Reiches." (310)

"Und es war ebenfalls ein neuer Staat, der in der sowjetischen Besatzungszone entstand." (311)

Daß die BRD sich in der Präambel ihres Grundgesetzes als unvollständig definiert, nimmt Haffner diesmal nicht als Ausdruck des natürlichen Wunsches nach mehr "Macht", sondern blamiert den bundesdeutschen Revanchismus als bloßen Pappkameraden mit dem Faktum der Zugehörigkeit zu den beiden Militärblöcken und dem Mißtrauen der Nachbarstaaten einem "80-Millionen-Machtblock" gegenüber. Last not least kann r sich einen Sieg des 'Revanchismus' nicht vorstellen:

"Merkwürdigerweise versagt das Vorstellungsvermögen. Eine Wiedervereinigung der Art, daß einer der beiden deutschen Staaten verschwände und in einem anderen aufginge, kann man sich gerade noch ausmalen. Freilich würde das einen Krieg voraussetzen, und eine Wiedervereinigung dieser Art könnte wohl unter heutigen Bedingungen nur noch im Massengrab stattfinden. Aber eine Wiedervereinigung, in der die beiden deutschen Staaten, so wie sie nun einmal sind und geworden sind, zu einem funktionierenden Staat verschmolzen würden, ist nicht vorstellbar, nicht einmal theoretisch."

So erweist sich Haffners "Lebensgesetz" als apologetische Allzweckwaffe. Der großdeutsche 'Revisionismus' des Dritten Reiches erscheint in diesem Licht als die natürlichste Sache von der Welt, auch wenn sie sich durch ihren schlechten Ausgang diskreditiert. In der bundesrepublikanischen Beteiligung am Weltmarkt und der gewaltsamen Weltordnung unter amerikanischer Führung aber entdeckt Haffner überhaupt nur noch das nationale Bescheidenheitsprogramm und die realistische Zurückhaltung eines endlich saturierten "Kleinstaates", der ja bekanntlich in der Weltgeschichte immerzu "Anlehnung" sucht. Ausgerechnet der Macht-'realist' Haffner kann sich partout nicht 'vorstellen', daß die BRD samt NATO mit der 'Mächtekonstellation' alles andere als zufrieden ist und die Revisionen der Weltlage, die sie als ihr natürliches Recht verkünden, auch durchzusetzen gewillt sind - obwohl doch die entsprechenden machtvollen Anstrengungen mit Händen zu greifen sind. Was den selbsternannten Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, unsere feine Republik angeht, will Haffner also partout nicht mehr an sein kriegerisches "Naturgesetz" der Geschichte denken, sondern behauptet schlicht, daß die BRD nicht wollen könne, was ja ohnehin nicht ginge, und beglückwünscht sie, eine eigenständige historische Größe geworden zu sein:

"Die Geschichte der letzten 42 Jahre hat vom Deutschen Reich immer weiter weggeführt. Von einer schattenhaften Existenz als Objekt der vier Siegermächte, die es im Jahre 1945 noch hatte, ist es Schritt für Schritt zur vollen Nichtexistenz, ja zur Nichtwiederherstellbarkeit zurückgeführt worden. Ein Rückblick auf seine Geschichte macht es fraglich, ob das wirklich zu beklagen ist. Diese Geschichte mit all ihren Taten und Leiden, Brüchen und Schrecken ist übrigens nur knapp doppelt so lang wie der Abstand, der uns heute von ihr trennt. Und der Abstand wächst von Jahr zu Jahr." (325)

Der Faschismus - ein (leider) mißglückter antikommunistischer Verteidigungskrieg = Ernst Nolte

Die "Bürgerkriegssituation"

Zum hundertsten Male hat Nolte die SU als die Wurzel allen Übels dingfest gemacht:

"Es gab also seit 1917 einen Staat und seit 1919 eine internationale Partei, die überall zu einem bewaffneten Aufstand und mithin zum Weltbürgerkrieg aufriefen. (...) Wenn eine starke Gruppe den Bürgerkrieg fordert, so ist damit jedenfalls eine Bürgerkriegssituation gegeben." (3)

Mit dem Terminus Bürgerkrieg ist ausgesprochen, daß zwei Parteien um nichts Geringeres kämpfen als die Macht im Staate. Die Ausweitung des Begriffes über die Landesgrenzen eines bestimmten Staates wie Rußland hinaus zum gesamteuropäischen Phänomen und zur Bestimmung einer ganzen Epoche ist schon die halbe Miete des Nolteschen Konstrukts. Besagt das doch, daß, sofern nur irgendwo auf der Welt ein kommunistischer Staat existiert, mit epochaler Zwangsgesetzlichkeit die Machtfrage gestellt und der Kampf aufgenommen werden muß. Fragt sich nur noch von wem. Die eine Partei des Bürgerkriegs ist klar umrissen: Es sind die Russen und ihre Dependencen in aller Welt. Die andere Fraktion, die in die "Bürgerkriegssituation" gestellt ist, sind vorderhand erst einmal alle anderen, der Rest der Menschheit, der der Weltdrohung in Sachen Umsturz der natürlichen Ordnung aller Dinge begegnen muß. Für Nolte ist die 'Systemfrage' das waltende Epochengesetz. Folglich will er auch keine Klassen oder Staaten oder gar kleinliche Interessen mehr kennen, sondern nur noch Weltbürger als Gesinnungssoldaten prinzipiell bedroht durch eine SU, die allein schon durch ihre Existenz den Beweis erbringt, daß sie die Zentrale des Weltterrorismus ist. Diese Ungeheuerlichkeit verlangt natürlich eine gerechte Antwort:

"Nichts war für die Bolschewiki selbst evidenter, als daß ein so ungeheures Unterfangen äußerst heftige Widerstände hervorrufen mußte, zumal die Praxis gezeigt hatte, daß die Partei nach der gewaltsamen Machtergreifung ihre zahlreichen Gegner sowohl an der Front des Bürgerkrieges wie auch im Hinterlande durch einen präzedenzlosen Klassenkrieg mit der größten Entschlossenheit bekämpfte, ja ausrottete. Die am frühesten erfolgreiche dieser Widerstandsbewegungen war die faschistische Partei Italiens. Für Hitler war Mussolini von Anfang an ein Vorbild und auch seine Partei empfand sich von vorneherein als eine Antwort auf die kommunistische Herausforderung." (20)

Das ist doch mal ein offenes Wort: Ungeschminkt wird zugegeben, daß Hitler kein, wie auch immer gearteter Betriebsunfall der deutschen Geschichte war, sondern die vorderste Front eines Bürgertums, das sich mit der Existenz des Kommunismus nicht abfinden will. Denunziatorisch ist diese Verwandtschaft von Demokratie und Faschismus gleichwohl nicht gemeint. Eher schon kündet sie von einem guten Grund des Faschismus in der deutschen Geschichte und der für Nolte erfolgreich abgeschlossenen Suche nach einer Kontinuität, zu der sich jeder anständige Deutsche bekennen kann. Durch und durch Ausdruck einer vom Zeitgeist erheischten "Widerstandsbewegung" und dadurch notwendige Reaktion auf den Systemfeind von damals und heute sei er gewesen und eben darin "konsequenter als die westlichen Demokratien". Während Haffner die faschistische Propaganda von der 'Rache für Versailles' für bare Münze nimmt, macht sich Nolte ein anderes Stück aus dem politischen Weltbild der Nationalsozialisten zu eigen, das ihm gefällt, und erhebt es in den Rang einer geschichtlichen Realität: die kommunistische Weltverschwörung. Er befindet sich damit in guter Gesellschaft nicht nur von "Mein Kampf", sondern auch einschlägiger demokratischer NATO-Propaganda für den Kampf gegen das "Reich des Bösen". Schließlich gehört es zum Beruf der Verwalter politischer Interessen gegen alle Welt, diese als das Recht und den höheren Auftrag der eigenen Nation in Anschlag zu bringen. Und je prinzipieller die Feindschaft geartet ist, umso grundsätzlicher stellen sich ihre Sachwalter als Vertreter der obersten Staatsprinzipien und -ideale vor, die durch die Aktivitäten anderer Nationen bedroht seien. Immerzu nehmen die Staatsherren nur ihr gutes Recht auf Verteidigung der eigenen politischen Werte wahr. Diese Selbstdeutung und Selbstdarstellung vom Kampf der Ideologien nimmt Nolte also wörtlich und ergreift damit umstandslos Partei für ein Kernstück nationalsozialistischer - und eben heutiger - politischer Programmatik: die Verteidigung gegen die kommunistische Gefahr.

Was eigentlich der "Weltkommunismus" mit seinem Programm der "Weltrevolution" vorhat und unternimmt, interessiert dabei überhaupt nicht: Es läuft alles auf die schlichte Behauptung hinaus, daß er nichts als die Macht will - und das überall; und daß sich der Rest der Welt dagegen machtvoll zur Wehr setzen müsse. Mit dieser schlichten Umkehrung des eigenen weltpolitischen Anspruchs, dem die Sowjetunion prinzipiell im Wege steht, in eine ständige Bedrohung der eigenen politischen Existenz, wird aus dem politischen Programm der Faschisten eine Reaktion und ein Sachzwang, der den Nazis seine Logik aufgenötigt hat. Erreicht hat Nolte mit dieser Verdrehung, daß der Antikommunismus nicht als die politische Weltsicht der einschlägigen Politiker erscheint, gemäß der sie ihre Macht einsetzen, sondern als eine ihnen aufgezwungene Notwendigkeit zum ideologischen Abwehrkampf, dem sie im Interesse ihres Volkes und Staates und der ganzen Welt nachkommen mußten. Und weil Nolte diese antibolschewistische Programmatik Hitlers so ausnehmend gut gefällt, macht er sie unbeschadet dessen, was Hitler sich sonst noch alles dabei gedacht und gewollt hat, zum naturgegebenen und berechtigten Kernstück und läßt ihm entsprechende historische Gerechtigkeit widerfahren: Der kämpferische Antikommunismus ist nicht nur berechtigt, er ist auch Ausdruck des gesunden Volksempfindens in Deutschland und anderswo:

"Das vorliegende Buch geht von der Annahme aus, daß die von Furcht und Haß erfüllte Beziehung zum Kommunismus tatsächlich die bewegende Mitte von Hitlers Empfindungen und von Hitlers Ideologie war, daß er damit nur auf besonders intensive Weise dasjenige artikulierte, was zahlreiche deutsche und nichtdeutsche Zeitgenossen empfanden, und daß alle diese Empfindungen und Befürchtungen nicht nur verstehbar, sondern auch größtenteils verständlich und bis zu einem bestimmten Punkte sogar gerechtfertigt waren." (16)

Gleich dreifach drückt Nolte aus, daß seine deutsche Geschichte nur auf einen Mann gewartet hat, der mit der antisowjetischen Propaganda endlich so ernst macht, wie es die nationalistischen Gemüter und der Ernst der Lage erfordert haben. Dabei fällt Nolte ganz und gar nicht aus dem Rahmen der Geschichtswissenschaft (auch wenn ihm das mancher vorgeworfen hat), wenn er sich dagegen verwahrt, Hitler als speziell deutschen Sonderverbrecher abzustempeln. Diese Seite von Hitlers Kampf finden schließlich auch andere "verstehbar" bis "gerechtfertigt". Daß Kommunistenfresser keine schlechten Menschen und Politiker sein können, ist nicht gerade ein Privateinfall Noltes; genausowenig wie die Tour, die Perspektive der bedrohten deutschen Volksgemeinschaft - oder gleich internationalen Völkergemeinschaft - einzunehmen und am Führer eine ganze Menge allgemeinmenschlicher und historischer Werte zu entdecken. Und kritisch ist Nolte Hitler gegenüber andererseits auch; gerade weil er ihn an dem Auftrag mißt, den Weltkommunismus zu bekämpfen und sonst gar nichts.

Ideologische Ausrutscher

Dem wissenschaftlichen Antikommunisten, der dem Führer rückblickend-wohlwollend zur Seite steht, solange er den ideologischen Kampfauftrag aller Deutschen in ihm wiederentdeckt, stellt sich nämlich die bange Frage,

"weshalb eine verstehbare und durch den späteren Geschichtsverlauf im Kern gerechtfertigte Reaktion einen so überschießenden Charakter angenommen hat, daß sie nicht nur zu dem größten Krieg der Weltgeschichte, sondern auch zu singulären Massenverbrechen führte. Diese Frage kann vorgreifend und abkürzend so beantwortet werden, daß ein Überschießen der Grundcharakter jeder Ideologie ist und daß es auch dann und gerade dann unvermeidbar ist, wenn eine Ideologie eine Gegenideologie hervorruft." (17)

So kommt das Programm Hitlers dann dnch wieder hinein: als "Überschießen" über das gerechte Ziel hinaus. Da nämlich ein gestandener Antikommunismus zwar nicht unbedingt ohne Krieg und Konzentrationslager, aber durchaus ohne einen speziellen Antisemitismus ausgekommen wäre, kann Nolte sich herbe Kritik an all denjenigen Programmpunkten Hitlers nicht verkneifen, an denen er nicht umstandslos seinen eigenen Vernichtungsstandpunkt gegenüber der Sowjetunion wiederzuentdecken vermag.

Da wird er kritisch, wenn auch nicht verständnislos. Denn angesichts der russischen Gefahr ist es ihm gar kein Rätsel, wie es "dazu kommen konnte". Auch das geht auf das Konto des Kommunismus:

"Die Endlösung... ist das genaue Gegenbild zur tendenziell vollständigen Vernichtung einer Weltklasse durch den Bolschewismus, und insofern ist sie die biologisch umgeprägte Kopie des sozialen Originals." (517)

Bürgern fällt, wenn jemand sie als Klasse abschaffen will, sogleich der Massenmord ein. Daß der dann auch noch selbst vollstreckt wird, erscheint einem nationalistischen Hirn verständlich, zumal dann, wenn die Wucht des Verbrechens den wahrhaft Schuldigen trifft und ganz zu Lasten des Feindes geht. Mit der gekonnten Redewendung "umgeprägt" hat Nolte dieses Kunststück ohne Schwierigkeiten fertiggebracht und sich zugleich unangreifbar gemacht: Zwar sind "Klasse" und"Rasse" völlig inkommensurable politische Gegebenheiten, aber für einen bürgerlichen Kopf reimt sich's leicht zusammen, wenn er nur will und sich zugleich verbittet, ihn darauf festlegen zu wollen, was denn nun 'Original' und 'Kopie' miteinander zu tun haben.

Die Besprechung der Judenvernichtung als nationalsozialistischen Nachahmungstrieb hat Nolte weiland den Vorwurf eingetragen, "singuläre Massenverbrechen" relativieren zu wollen. Dieser Vorwurf muß an Nolte insofern abtropfen, als er Schuldzuweisungen keinesfalls zurücknehmen will. Die moralische Beschuldigung trifft voll den Osten, der, streng historisch gedacht, der zeitliche Vorgänger und damit der Grund sein muß. In bezug auf das hochgesteckte ideologische Ziel aber sieht der Führer dann auch nicht mehr allzu gut aus. Denn:

"Wenn er auf internationaler Ebene ein Bündnis im Zeichen des Antikommunismus anstrebte, dann mußte der Antisemitismus kontraproduktiv wirken." (297)

Hitlers tatkräftiger Judenhaß stößt bei Nolte auf gar kein Verständnis mehr, wenn er zur Unzeit geäußert den freien Westen verprellt und den eigentlich anstehenden Kampfauftrag völlig unnötig verwässert. Einen harten Vorwurf kann Nolte dem Faschismus deshalb nicht ersparen:

"Anscheinend konnte die Partei des Gegenbürgerkriegs allein aus der deutschen Bedrohung und sogar aus der Gegenwart des russischen Beispiels keinen wirklichen Gegen-Glauben gewinnen. (...) In der inneren Notwendigkeit, dem kommunistischen Hauptgegner einen angemessenen Gegen-Glauben entgegenzusetzen, war Hitler in Ansätzen zugleich anti-bürgerlich und anti-deutsch: uneingestandenermaßen war das gehaßte Schreckbild für ihn zugleich das leitende Vorbild." (122)

Wirklich gekonnt! Das Eingeständnis, daß Hitler im Interesse deutscher Weltmacht doch ein bißchen anders gedacht und gehandelt hat, als ihm der ideologische Frontkämpfer Nolte das unterstellt hat, fällt nicht auf Nolte, sondern auf Hitler zurück - und zwar mit den härtesten Vorwürfen, die ein Historiker auf Lager hat: Verrat an der nationalen Sache. Der bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung in die Hände gespielt: Auf jeden Fall dem Hauptfeind auf den Leim gegangen und den gemeinsamen welthistorischen Auftrag verraten, das 'richtige Schwein zu schlachten'. Und, wie könnte es anders sein, auch daran sind letztlich diejenigen schuld, gegen die Hitler eigentlich immerzu und überall angekämpft hat.

So entwickelt Nolte die Totalitarismustheorie für seinen Gedanken produktiv weiter. Die übliche Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus als negatives Gegenideal demokratischer Herrlichkeiten zeugt ihm von einem Mangel: Die beiden Demokratiefeinde wären dann auch gleich schlimm. Sein Vorschlag dagegen lautet: "Original und Kopie", was den schätzenswerten Vorzug besitzt, den Feind von heute als historisch-ursprüngliches Monster zu brandmarken, welches nicht nur Krieg und Faschismus hervorgebracht hat, sondern auch überall dort, wo deutsche Schandtaten zu beklagen sind, als Vorbild gedient hat. Den Faschismus trifft der historische Bannstrahl, weil er der Idee, der er sich verdanken soll, nicht ausreichend gedient hat.

Die Folgen dieser Entgleisung sind freilich für den deutschen imperialistischen Sendungsauftrag unabsehbar.

Der 2. Weltkrieg - das Versagen der Idee

Der Krieg gegen die Sowjetunion ist für Nolte eine an sich klare Sache. Verblüffenderweise kommt aber alles erstmal ganz anders - Hitler schließt einen Pakt mit Stalin und beginnt den Krieg gegen die Westmächte. Damit ist für Nolte sein gesamteuropäisches Epochenkonzept unter deutsch-faschistischer Führung nicht etwa widerlegt, sondern bloß nicht aufgegangen. Jetzt wird es erst richtig spannend, gilt es doch nunmehr, die Verantwortlichkeit für den Fehlschlag unter den historischen Personen und Verhältnissen zu verteilen. Vom Richterstuhl der Geschichte herab geizt Nolte nicht mit Tadel für die damaligen Agenten der Weltpolitik, z. B. anläßlich von Hitlers "Zerschlagung der Rest-Tschechei":

"Die antikommunistische Konzeption des großen Einvernehmens war damit gescheitert, bevor sie vollständig hatte in Erscheinung treten können (...) Wenn die Regierungen Englands und Frankreichs eine rein antikommunistische, d.h. antibolschewistische Einstellung gehabt hätten, würden sie freilich die Einbeziehung der Tschechei in das Deutsche Reich als einen weiteren Ausbau der Positionen betrachtet haben, die für den bevorstehenden Entscheidungskampf erforderlich waren, und so hätten sie in der Tat handeln müssen, wenn sie sich als Vertreter des Kapitalismus empfunden hätten." (300)

Man muß schon sehr prinzipiell von dem staatlichen Konzept eines Hitler, der Neuordnung der Staatenwelt im deutschen Interesse absehen, wenn man die daraus resultierenden Händel mit seinen Konkurrenten als einziges Hindernis für einen ganz anderen Kampf betrachtet. Angesichts der Größe der Idee will Nolte gleich gar keine staatlichen Interessen mehr kennen. Daß die territoriale Arrondierung des Deutschen Reiches gerade nicht in die imperialistischen Rechnungen anderer Weltmächte gepaßt hat, erscheint als schwerer Fehler, und zwar der Westler: Vor dem anstehenden Kreuzzug gegen das "Reich des Bösen" hätten kleinliche Gehässigkeiten zwischen potentiellen Verbündeten schleunigst verblassen müssen.

Das geläufige Strickmuster dieser historischen Sudellogik geht so: Man streiche die Interessen der beteiligten Souveräne zugunsten eines "eigentlichen" allseitigen historischen Auftrags durch. Alsdann stellt man bekümmert das "Scheitern" dieses Konzeptes in der historischen Wirklichkeit fest und markiert die Kalkulationen und Taten der damaligen Politikermannschaft als Ursache für diesen beklagenswerten Zustand. So hat man sein Ideal bestätigt und Verantwortliche für dessen "Scheitern" gefunden, die man nach allen Regeln der Zunft als schmähliche historische Versager brandmarken kann.

Gescheitert ist für kolte ein eigentlich schon damals ausgeprägtes NATO-Konzept mit klarem deutschen Führungsanspruch und gemeinschaftlicher Sieggarantie in Sachen Zerschlagung des Ostens. Und weil dies ausgeblieben ist, steht für ihn auch schon fest, daß dieser Krieg kein gutes Ende mehr nehmen kann.

"So schloß Hitler um eines relativ geringen Vorteils willen ein Bündnis mit seinem Feind und griff seine Freunde an. Wenn sich nicht ein unvorhergesehener Ausweg bot, dann hatte er den Krieg bereits verloren, als er den ersten Schuß abfeuerte." (316)

Ach, hätte man die NATO doch schon vor dem 2. Weltkrieg gegründet, sich als arbeitsteiliges Bündnis begriffen, das Deutsche Reich aufgerüstet, statt scheel angeschaut, und wäre stark und einig nach drüben marschiert - dann hätte man gleich das "richtige Schwein geschlachtet", und Deutschland wäre Siegermacht geworden. Aber so...

So hat Hitler unter tatkräftigem Mitverschulden seiner "unreliable allies" den Krieg bereits ideologisch verloren, noch bevor er militärisch dazu eine Chance erhielt. Wenn die Idee versagt, kann die Macht auch nichts mehr retten, lautet Noltes Geschichtsweisheit.

Selbst wenn Hitler im Verlauf des Krieges die richtige Front doch noch wiederentdeckt, vermag das nichts mehr zum Guten zu wenden: "Lebensraum" und "Genozid" sind für Nolte nun mal keine erfolgversprechenden Titel des richtigen antikommunistischen Geistes. "Paradoxerweise" treiben sie den Westen auf die Seite der SU und verunmöglichen es auch noch den Russen selbst, Deutschland als Befreier zuzujubeln.

"Aber das Scheitern und die Tragödie bewiesen doch immerhin, daß für viele Deutsche und zahllose Russen dieser Krieg doch ein Befreiungskampf gewesen war, der nur deshalb zum Mißerfolg verurteilt war, weil Hitler trotz aller Erfahrungen, die er machte, starr an dem Konzept festhielt, das Genozide und Endlösungen implizierte, weil es im totalen Egozentrismus der deutschen Rasse noch nicht ideologisch war." (499)

Einen härteren Vorwurf kann der Meister kaum machen, zeugt er doch nicht nur vom historischen Gemüt, das Hitler den Verlust des Krieges nicht verzeiht, sondern auch von einem nationalistischen Selbstverständnis, das den historischen Sinn und Grund entdeckt haben will, warum er ihn auch notwendigerweise verloren hat. "Hitler war eben doch nicht der richtige Mann für die richtige Sache", kündet diese moralische Geschichtskonstruktion, weswegen die Erledigung des Kriegsziels und die Zerschlagung des Ostblocks als speziell deutsches Recht leider immer noch ansteht.

Ausklang: Die "Epoche des Faschismus"

ist für Nolte ein bedauernswerter Sachzwang, den der einzige Feind der NATO-Weltfriedensordnung, die SU, diktiert. Daß man der SU das Recht zur Souveränität in ihrem Machtbereich bestreitet, wird unverblümt formuliert in den Phantasien eines Nolte, der sich den Wechsel der Koalition nach dem letzten Krieg als Epochengesetz zusammenträumt, das nur schon viel früher vollzogen gehört hätte. Die mißglückte Ausführung dieses gemeinsamen Kampfauftrages weiland geht ganz zu Lasten des Faschismus, der deshalb der bislang vergeigten Epoche den Namen gibt. Denn die Lehre, die es historisch aus einem Krieg zu ziehen gilt - und die auch schon Hitler gewußt hat, als er beschloß, Politiker zu werden -, hat auch Nolte beherzigt: den nächsten muß man gewinnen. Die Ergebnisse des letzten Krieges sind nämlich für die eine Seite von Gewinnern und Verlierern ganz und gar unerträglich. Dieser Unzufriedenheit über die östliche Abteilung hat Nolte in seinem großen Wurf der Deutung als fehlerhafter Systemkrieg historischen Sinn und Gesetzmäßigkeit verliehen. Ein hoffnungsfrohes Angebot für die Zukunft hat er auch noch zu machen:

"Der Alleinlegitimitätsanspruch eines ideologischen Systems kann nur allzuleicht eines Tages zur Katastrophe führen. Aber die wachsende Einsicht in einfache Wahrheiten wirkt diesen Tatsachen und Tendenzen entgegen. Realer Sozialismus ist ein Grenzbegriff, dem keine Wirklichkeit je entsprechen kann; zwischen den Polen der reinen Staatswirtschaft und einem Manchesterkapitalismus existieren zahlreiche Schattierungen; das sich herausbildende globale System sollte als ganzes den Charakter des 'Liberalen Systems' haben. Mit einem Wort: Die Welt muß sich immer weiter von der 'Epoche des Faschismus' entfernen, welche als europäischer Bürgerkrieg und schließlich als Zweiter Weltkrieg die Epoche der schärfsten ideologischen Kämpfe war. Aber die Sowjetunion gewinnt erst dann von sich aus Abstand, wenn sie ernsthaft und selbstkritisch über sich nachdenkt und auf die Perpetuierung der Kriegspropaganda verzichtet." (549)

Die ideologische Konfrontation muß abgeschafft werden; abschaffen muß sich deshalb die SU. Aber Nolte ist großzügig. Ihren "realen Sozialismus" darf sie sogar ein bißchen behalten. Nur muß sie aufhören, ein "anderes System" daraus zu machen, und muß viel und selbstkritisch darüber nachdenken, wie sie sich als Wurzel allen Übels endlich beiseite räumen kann. Denn das versteht sich ja wohl von selbst: Wenn der "Grund" des ideologischen Kampfes zur Gegenseite überläuft, erübrigt sich auch die "überschießende Reaktion".

Fazit

Zwei konträre Geschichtsdeutungen, denen man entnehmen kann, wie Historiker es anstellen und wofür es gut ist, daß sie immerzu das Erklären nationaler Geschichte mit Verstehen verwechseln. Da liegen Nolte und Haffner auf einer Linie. Erstens, was das allgemeine historische Bewegungsgesetz angeht: Der eine findet im Kampf der Ideen immerzu die guten ideologischen Staatstitel, unter denen ihm politische Gewalt historisch gerechtfertigt erscheint. Dem anderen ist die Staatsgewalt mit ihren Erfolgen und Mißerfolgen guter historischer Grund genug, was auch schon der ganze Inhalt des"Realismus" ist, der Haffner als kritische Haltung zugute- oder vorgehalten wird.

Und auch was den Sinn der neueren Geschichte angeht, liegen sie so weit nicht auseinander und sind ganz auf der Höhe der Zeit. Die Anteilnahme am heutigen deutschen Staatswesen diktiert nämlich die historische Analyse. Vor lauter Verständnis für die Maßstäbe einer "Großmacht" will der eine an der BRD gleich gar keine 'Machtpolitik'entdecken. Statt dessen untermauert er mit seiner Geschichtsdeutung die Lüge deutscher Außenpolitiker von der friedlichen Bundesrepublik im Konzert der Großmächte. Für den anderen stellt sich die heutige NATO-Auseinandersetzung mit dem Ostblock, die unter dem Titel "Kampf der Freiheit gegen den Kommunismus" geführt wird, als geglückte Wiederaufnahme und Erfüllung eines von der Geschichte diktierten höheren Auftrags dar. Damit liegt er ganz auf der Linie derjenigen, die immerzu den "langen Ate der Geschichte" und das gute Recht der BRD beschwören, sich mit der weltpolitischen Machtverteilung nicht zufrieden zu geben. Vor lauter Verständnis für die erfüllten und unerfüllten Ansprüche der deutschen NATO-Macht gewinnen beide der Geschichte positive Aspekte ab: Als Vorgeschichte der Bundesrepublik hat sie einen Sinn, der sich im bundesdeutschen Nachfolgestaat erfüllt und diesen auszeichnet - als machtvolle politische Idee oder ideale politische Macht. Je nachdem, wie man es lesen will.