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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1988 erschienen.

KAL 009 und Airbus 300
ZWEI VOLLTREFFER, EINE MORAL

Daß für das Sicherheitsinteresse von Staaten Opfer - auch Menschenopfer - gebracht werden müssen -, ist modernen Demokraten eine Selbstverständlichkeit. Schlagzeilenträchtig werden solche Leichen erst, wenn sie zwar wegen dieses Sicherheitsinteresses draufgegangen sind, für dieses Interesse aber weder von Nutzen noch überhaupt vorgesehen waren. Es kommt allerdings sehr darauf an, wer da aus Sicherheitsgründen Leute vom Himmel geholt hat. Im einen Fall entdeckt man die böse Absicht eines menschenfeindlichen Systems, im andern Fall das ausnahmsweise Versagen einer für die Menschen und ihre Freiheit weltweit operierenden Schutzmacht.

Peinlich, peinlich!

Natürlich ist den Journalisten sofort eingefallen, daß sie 1983 unisono aufgejault haben, als die Russen den koreanischen Airliner heruntergeholt haben. Darum war ihnen der amerikanische Treffer echt peinlich:

"Jetzt haben also auch die USA ihren Makel weg." (tz München, 5.7.88)

"Das unendliche peinliche Schweigen - Einen halben Tag lang sträubte sich Washington, einen Irrtum einzugestehen, der Amerikas Schutzfunktion am Golf ins Gegenteil verkehrt." (Süddeutsche Zeitung, 5.7.88)

"Es ist seit Sonntag noch schwieriger geworden, das vielzitierte Reich des Bösen eindeutig zu lokalisieren." (Frankfurter Rundschau, 5.7.88)

Daß die mit ihnen befreundete Supermacht das journalistische Konzept, wie seine Politiker zwischen Freund = gut und Feind = böse vor jedem Argument zu unterscheiden, ein bißchen anzukratzen drohte, indem sie den 'brutalen Mord an unschuldigen Menschen' imitierte und dabei gleich noch 21 drauflegte, das muß den Herren in den Redaktionsstuben gestunken haben. Ein Uwe Zimmer von der Münchener Abendzeitung wird gar ein wenig ausfällig gegen seine Schutzmacht:

"Der Polizist, der seine Waffe derart verantwortungslos einsetzt und Unbeteiligte tötet, unterscheidet sich nur noch graduell vom Terroristen, den er zu bekämpfen vorgibt." (5.7.88)

Allerdings entschuldigt er sich umgehend für seinen Fauxpas mit einem artigen Diener und beantragt mildernde Umstände von wegen der journalistischen Problematik in puncto Rechtfertigungsversuchen:

"In einer Zeit, in der sowjetische Diplomaten den Schießbefehl an der Mauer als 'unmenschlich' kritisieren, erleben wir beschämt die Rechtfertigungsversuche einer Weltmacht auf Abwegen. Sie will das Gute, doch sie schafft Leid."

Das heißt ja nun wirklich nicht, daß der Journalist lange betröpfelt rumsteht und nicht mehr wüßte, was Sache ist, bloß weil die Russen das liebgewordene Feindbild über sie widerlegen und die USA dem Freundbild so ganz und gar nicht entsprechen. Er hält sich bei seinem "Problem" nicht weiter auf und geht in die Offensive.

Unvergleichlich!

Die Stimme seines Herrn zitierend - wie es sich für den streng vom Kommentar getrennten Nachrichtenteil eines pressefreien Blattes gehört - und mit entsprechenden eigenen Worten ertönt ein vielstimmiger Chor:

"Dazu US-Admiral Crowe: 'Es gibt zwei fundamentale Unterschiede bei diesen Fällen: Der koreanische Jumbo flog in keiner Kriegszone, und die Maschine wurde in keiner Form gewarnt.' Die Straße von Hormus ist das gefährlichste Seegebiet der Welt." (BILD, 4.7.88)

"Wegen der Gefahren in der Reichweite des Krieges am Golf läßt sich der Abschuß des Airbus A 30 auch nicht mit dem Abschuß eines südkoreanischen Passagierflugzeugs... vergleichen. " (FAZ, 5.7.88)

Die linksliberale "Frankfurter Rundschau " macht die "unbekümmerte Art" des US-Präsidenten, seine Zweitklassigkeit als Schauspieler, die er in der Politik noch nicht mal bringt, seine geistigen Schwächen und seinen Mangel an Führerqualitäten dafür verantwortlich, daß die US-Birne den Vergleich, den die "FR"

sonst wohl gerne vermieden hätte, geradezu fahrlässig provoziert:

"Selbst als Schauspieler war er da schon besser... Entweder haben seine Mitarbeiter ihren Chef wieder einmal nicht genug präpariert, oder Reagan hat sofort wieder alles vergessen. So stößt der Präsident die Weltöffentlichkeit geradezu darauf, sich genauer damit zu beschäftigen, ob die beiden Abschüsse nicht doch miteinander vergleichbar sind." (Frankfurter Rundschau, 7.7.88)

Keine Sorge, bei solchen Sorgen besteht da keine Gefahr. Wo es sowieso nur um die Einordnung der staatlichen Volltreffer in die völkerrechtlichen, politischen, menschlichen Idealmaßstäbe - also seine Vorstellungen von guter, gelungener Politik - geht, da wirkt der gefestigte Glauben an die prinzipielle Unterschiedenheit der beiden Staatsaffären Wunder. Es erübrigt sich jeder wirkliche Vergleich, was nicht heißt, daß der Schreiber bei seinen Formulierungen nicht dauernd den koreanischen Jumbo im Kopf hat und ihn, wo's taugt auch ausdrücklich erwähnt, um die vergleichsweise Harmlosigkeit von Menschenopfern für die Freiheit herauszustreichen.

Unglaublich!

Das ist die einzige Reaktion, mit der die freie Presse auf beide Ereignisse reagierte. Das schöne jedoch ist, daß dieser "Aufschrei des Entsetzens" sehr unterschiedlich gemeint ist. In beiden Fällen wurden die Rechercheure mobilisiert. Allerdings mit ganz entgegengesetzten Fragestellungen. Vor 5 Jahren wußten sie die Antwort immer schon und fragten daher gar nicht lange, sondern prangerten das böse System an und entwarfen ein Szenario der unausweichlichen Notwendigkeit des Abschusses nach dem andern; sie glaubten nämlich felsenfest, daß den Russen sowas "Unglaubliches" zuzutrauen ist, egal, was man ihnen alles zu ihrer 'Entschuldigung' zugutehält:

"Auch wenn die Südkoreaner die Verantwortung für die Verletzung des sowjetischen Luftraums zu tragen haben, so war dies kein Freibrief für die Sowjets, die unbewaffnete Zivilmaschine mit 169 Menschen an Bord abzuschießen... Indem sie trotzdem geschossen haben, haben sie in der Sprache des Strafrechts mit bedingtem Vorsatz wehrlose Zivilisten getötet... Die Sowjets haben in diesem Fall die Menschenleben verachtende Brutalität ihres Systems demonstriert, aber nicht wie Mörder gehandelt." (Süddeutsche Zeitung, 8.11.83)

"Selbst wenn man die Tötung von 169 Menschen nur als eine fürchterliche, von den Mechanismen des hypertrophen sowjetischen Sicherheitssystems und der Spionagefurcht ausgelöste 'Panne' betrachtet, wird jeder, der sich ein unbefangenes und nicht durch irgendwelche Schwärmerei beeinflußtes Urteil bewahrt hat, sofort bemerken, daß diese Panne nicht unverdient und nicht unverschuldet kommt...

Die Welt hat jetzt den tödlichen Automatismus der sowjetischen Militärmaschine in einem krassen Fall wahrnehmen müssen - dabei ist es nur in anderer Form das, was wir als Tötungsmaschinen in Deutschland haben: ein barbarischer Mangel an Friedfertigkeit. Das Riesenreich hat selbst in seinen entferntesten Ecken noch etwas zu verbergen und läßt gegen die Umherirrenden die Tötungsmaschine wie in einem Science-fiction-Film blind walten - ein Mißgriff, den das System sich selbst verzeiht, aber nicht der Rest der Welt." (FAZ, 3.9.83)

Daraus geht hervor, daß der sowjetischen Seite erstens wohlbekannt war, daß es sich um ein Verkehrsflugzeug handelte, zweitens, daß der Abschuß nicht die Folge einer Einzelhandlung eines beflissenen Piloten, sondern klarer Befehle vom Boden war." (FAZ, 3.9.83)

Natürlich geißelt die "FAZ" den Abschuß von über einem "Vierteltausend Menschen " (3.9.83) durch die Amerikaner nicht nach diesem Muster als "unverzeihliches" Resultat eines "hypertrophen Sicherheitssystems" der USA, die "noch in den entferntesten Ecken der Welt" was abzuknallen haben - und das "auf klaren Befehl vom Boden" Das wäre ja zu dumm für einen klugen Kopf. Sie weiß ja, daß es sich im einen Fall um einen "Zwischenfall", im andern um ein Verbrechen, für das der Begriff Zwischenfall die reinste und interessierte Verharmlosung wäre:

"Das Ende des angeblichen kleinen Zwischenfalls im Fernen Osten ließ Tass offen." (FAZ, 3.9.83)

"Fachleute zeigten sich überrascht, daß im Pentagon selbst neun Stunden nach dem Zwischenfall noch mitgeteilt wurde, es lägen keine Informationen über den Absturz des Airbus vor." (FAZ, 4.7.88)

Da hält sie sich viel lieber an die erkenntnisleitenden Fragen der "AZ", die gar kein anderes Ergebnis als das des Untersuchungsauschusses des amerikanischen Kongresses erlauben, weil vornehm davon abgesehen wird, daß bei der Wahrnehmung der "ordnungspolitischen Rolle der USA" neben den Tausenden von Opfern, denen eh keiner nachweint, weil sie für notwendig erachtet werden, auch welche anfallen, die zwar nicht vorgesehen sind, aber allemal in Kauf genommen werden, bevor der "Auftrag" darunter leidet. Während die Russen nach dem Dogma: Sie wollten den Jumbo abknallen! abgehandelt werden, läuft die Erklärung des US-Kriegsmanövers in der Presse unter genau entgegengesetztem Vorzeichen: Nie und nimmer gewollt oder auch 'nur' in Kauf genommen:

"Drei offene Fragen: Irrte der Mensch? Irrte die Elektronik? Oder befahl ein irrsinniger Ayatollah einen Kamikazeflug:" (Abendzeitung München, 5.7.88)

Entsprechend eingestellt macht man sich an die "Aufklärung des Hergangs". Es ist nämlich durchaus, bekannt, wozu die gut ist und sein soll. Jedenfalls für Begutachter der internationalen Politik, die bei den Machenschaften der eigenen Nation - beim Kampf gegen Spione, den internationalen Terrorismus, für berechtige Machtinteressen usw. - regelmäßig ihr abgrundtiefes Verständnis für die Notwendigkeiten staatlicher Gewalt äußern. Deshalb ist gegenüber den Russen prinzipielle Vorsicht geboten, so mahnen sie, damit Verständnis erst gar nicht einreißt, egal was sich noch ergeben mag!

"Der Versuch einer Erklärung des tatsächlichen Hergangs kann auch nicht dafür in Anspruch genommen werden, das Verhalten der sowjetischen Seite zu entschuldigen." (FAZ, 7.9.83)

Genau deshalb ist ihnen beim amerikanischen Schuß der Hergang einerseits wichtig, weil er Gelegenheit für die heftige Bekundung eben dieses Verständnisses bietet. Andererseits aber auch egal, was noch alles rauskommt:

"Zum Hergang des Vorfalls hieß es in der Erklärung Reagans, der Kurs des Airbus sei so gewesen, daß er direkt auf die Vincennes zugeflogen sei, die zu diesem Zeitpunkt in ein Gefecht mit fünf iranischen Boghammar-Rennbooten verwickelt gewesen sei. Als die Maschine über Funk ausgesendeten mehrfachen Warnungen keine Beachtung geschenkt habe, habe die Vincennes gemäß dem allgemein bekannten und üblichen Reglement gefeuert - 'um sich gegen einen möglichen Angriff zu schützen'. Das einzige Interesse der USA im Golf, so Reagan in seiner rund 25 Worte langen Erklärung, sei Frieden, 'und diese Tragödie bekräftigt die Notwendigkeit, dies Ziel so rasch wie möglich zu erreichen.'" (Süddeutsche Zeitung, 4.7.88)

"Zwar muß der genaue Ablauf des tödlichen Raketenschusses noch durch eine Untersuchung geklärt werden, aber schon jetzt deuten alle Anzeichen darauf hin, daß den Amerikanern ein schrecklicher Irrtum unterlaufen ist, der wahrscheinlich zu vermeiden gewesen wäre. Die Besatzung des Kreuzers hat offensichtlich überreagiert. Das ist verständlich, aber nicht entschuldbar. Verständlich, weil die Amerikaner seit der Beschädigung der Fregatte Stark und dem Verlust von 37 Matrosen bei einem irakischem Raketenangriff außerordentlich nervös sind und weitere Opfer unter den eigenen Leuten zu vermeiden trachten... " (Süddeutsche Zeitung, 5.7.88)

Irren ist menschlich, Lügen ist russisch!

So wie man bei den Russen ganz ohne Klärung, v.a. gegen deren amtliche Erklärungen, wußte, daß die Unmenschlichkeit des Systems den Finger am Abzug hatte, so wußte man hier sofort, daß es sich nur um "menschliches Versagen" handeln konnte - auch ganz ohne Klärung des Hergangs und ganz ohne Ergebnis der amtlichen Untersuchung. An diesen "Erklärungen" stimmt nämlich so gut wie nichts, wie man sowohl den folgenden Pressemeldungen wie auch dem Bericht des Untersuchungsausschusses entnehmen konnte, aber so recht darauf herumreiten bzw. gar die US-Regierung oder sich selbst als deren inoffiziellen Agenturen der "Lüge" bezichtigen, das wollte niemand. Da hieß es ganz vornehm:

"Washington korrigiert Darstellung des Airbus-Abschusses." (Süddeutsche Zeitung, 8.7.88)

"Das Flugzeug habe sich im Gegenteil im Steigflug befunden." (Süddeutsche Zeitung, 6.7.88)

Inzwischen hat das amerikanische Verteidigungsministerium - und zwar ganz zur Zufriedenheit der freien Presse - alle Lügen über den Hergang zurückgenommen und zugleich das Urteil "menschliches Versagen" bekräftigt:

"Die Untersuchungen ergaben nun anscheinend, daß beides falsch berechnet wurde. Der Airbus habe sich zum Zeitpunkt des Abschusses in größerer Höhe als von den Radarspezialisten angenommen, befunden, sei langsamer geflogen und außerdem gestiegen, nicht gesunken. Kapitän Rogers, der nach eigenen Angaben bis zum letzten Augenblick zögerte, gab aufgrund eines unkorrekten 'Angriffsprofils' den Befehl zum Abschuß von zwei Flugabwehrraketen." (FAZ), 3.8.88)

Für dieses 'Versehen' hat er als US-Offizier inzwischen nach dem Freispruch durch seinen Präsidenten auch noch die Kongreßbestätigung bekommen, daß er nichts dafür konnte. Die Schuldigen sind anderswo zu suchen (s.u.). Da will die öffentliche Meinung nicht abseits stehen..

Zwar haben auch 1983 die Amis gelogen wie gedruckt:

"Der sowjetische Pilot konnte in keiner Weise diese 747 als etwas anderes als ein Zivilflugzeug sehen." (Reagan, FAZ, 7.9.83)

"Erst vier Jahre später ist bekannt geworden, daß der amerikanische Geheimdienst CIA, möglicherweise auch der Nationale Sicherheitsrat im Weißen Haus, den Präsidenten zu einer Irreführung der Weltöffentlichkeit veranlaßt hatte. Die Amerikaner hatten damals durch ihre elektronischen Überwachungsmittel schnell herausgefunden, daß den Sowjets eine schwerwiegende Verwechslung unterlaufen war - sie hatten den koreanischen Jumbo für ein Flugzeue der US-Luftwaffe gehalten, das trotz der sowjetischen Warnungen auf Kurs blieb und alle Anweisungen ignorierte." (Süddeutsche Zeitung, 5.7.88)

Aber auch in diesem Fall ändern die nachträglichen Klarstellungen und Enthüllungen über amerikanische Militärmanöver zur Austestung der sowjetischen Grenzüberwachung, die den Jumbo-Abschuß provoziert haben, gar nichts am bleibenden Urteil und wurden deshalb auch unter ferner liefen gemeldet. Daß der "SZ" das heute überhaupt wieder einfällt, liegt vor allem daran, daß dieser Vergleich so gut dazu taugt, zu demonstrieren, wie leicht doch eine "Verwechslung" möglich ist. Die "FAZ" tischt dagegen einfach unverfroren die alten Lügen nach wie vor auf:

"Dagegen flogen über einem Gebiet, über dem es Kämpfe nicht gibt, sowjetische Abfangjäger lange neben der koreanischen Maschine her und identifizierten sie, ehe sie das Flugzeug abschossen." (FAZ, 5.7.1988)

Sie habon ja auch so schön ins Konzept gepaßt:

"Es war eine Moskauer Chronik des Schweigens, der Irreführung und der qualvollen Präsentation von Halbwahrheiten." (FAZ, 3.9.83)

"Das andere aber ist die Selbstentblößung des Systems der Sowjetunion, und zwar nicht im allgemeinen, sondern an einem konkreten Fall: eine Lüge nach der anderen, angefangen von der ersten Leugnung, zu wissen, was mit dem verschwundenen Flugzeug geschehen sei - bis zu dem abrupten Umschlag in halbe Eingeständnisse. Man kann sich Gründe denken, warum die politische Führung so lügt: sie will weder ihre Streitkräfte noch sich selbst bloßstellen. Aber indem sie so handelt, entblößt sie sich nur schlimmer als eine Macht, die ihre internationale Umwelt bloß als Feinde erkennt, denen sie nichts, keine Wahrheit, kein Wohlverhalten und keine Rücksichtnahme schuldet." (FAZ, 10.9.83)

Zwar wollten auch die Amis vor den gestrengen Richtern der Weltöffentlichkeit nicht gestehen, daß sie absichtlich 29 Zivilisten abgeschossen hätten, sie haben sogar ziemlich genauso lang (9 gegen 24 Stunden = "einen langen Tag") geleugnet, damit etwas zu tun zu haben, mehr als "Überraschung" wurde dazu jedoch nicht geäußert:

"Die Vereinigten Staaten haben am Sonntag zugegeben, 'in einer angemessenen Verteidigungsmaßnahme' einen zivilen iranischen Airbus A 30 über dem Persischen Golf abgeschossen zu haben... In der entsprechenden Erklärung des Verteidigungsministeriums war die Rede von einem reinen Verteidigungsakt, nachdem ein Hubschrauber der fregatte 'Vincennes' von einem iranischen Kleinboot aus angegriffen worden sei und die iranische F-14 sich dem Schiff in offenbar feindlicher Absicht genähert habe. Am Abend hieß es dann, man sei nicht mehr sicher, ob eine F-14 abgeschossen worden sei... 'Im Nebel des Kampfes', so das Pentagon, habe die 'Vincennes' auch ein iranisches Jagdflugzeug vom Typ F-14 abgeschossen..." (FAZ, 4.7.88)

Aber dieser offensichtliche Propagandasumpf von Lügen, halben Eingeständnissen und Irreführungen führt nie im Leben mehr dazu, die völlig absurde - oben zitierte offizielle - Schlußversion ernsthaft in Zweifel zu ziehen oder aus solchen Zweifeln verständnislose Schlüsse zu ziehen.

Die Dialektik von Täter und Opfer - durchschaut und angewandt

1983 hatte man sich noch aufgeregt, daß die SU "grobe politische Beschimpfungen der USA und Südkoreas" äußerte, anstatt sich ins Büßergewand zu werfen und sich förmlichst zu entschuldigen:

"Die Sowjets handelten nach der Devise: Eine Großmacht entschuldigt sich nicht. Sie gesteht nichts ein, oder aber erst, wenn die Beweise erdrückend sind. Sie spricht nicht von Schadenersatz, sondern klagt an - die anderen." (FAZ, 8.9.83)

"Sie beharrten statt dessen darauf, auf der Grundlage internationalen Rechts und sowjetischer Gesetze gehandelt zu haben." (FAZ, 4.10.83)

1988 ergingen sich die politische Führung und die freien Meinungsführer kongenial in groben Beschimpfungen des Schiitenpapstes und der abgeschossenen Flugzeugbesatzung. Hier gilt der Spruch, daß das Opfer selber schuld ist:

"Crowe äußerte Unverständnis darüber, daß der Iran aus dem Golf eine Kriegszone macht und dann ein 'Passagierflugzeug zum Zeitpunkt von Attacken' darüber fliegen läßt." (tz, München, 4.7.88)

"Kurz vor acht gestern morgen drohte in einem mitgeschnittenen Funkspruch eine Stimme mit iranischem Akzent: 'Amerikanische Schiffe, ihr werdet bald für eure Handlungen bezahlen... Das angreifende Flugzeug habe aufWarnungen weder geantwortet, noch seinen Kurs geändert." (BILD, 4.7.88)

"Auch Teheran wird sich vorwerfen lasssen müssen, daß es zur Vermeidung der Katastrophe hätte beitragen können... Der Iran hat zwar den Krieg nicht begonnen, aber ebenso wie der Irak die Kriegshandlungen in internationale Gewässer hineingetragen und damit die zivile Schiffahrt gefährdet. Ohne diese Vorgeschichte wäre die US-Navy nicht im Golf..." (Süddeutsche Zeitung, 5.7.88)

Auch für das liberale Weltblatt bleibt es dabei, was oberste Heeresleitung der USA und bundesdeutsche "Bild"-Zeitung gleich gemeinsam gewußt haben: Das abgeschossene Verkehrsflugzeug war selber schuld; es flog über ein im Kampf befindliches Kriegsschiff; das war unverantwortlich. Wo ein freiheitliches Militär gerade aufkreuzt und herumballert, da erfüllt es eine Friedensmission und unverzichtbare Ordnungsaufgaben; da tragen die Betroffenen also selbst die Verantwortung für die Leichen. Logisch!

So oder so: Die Verteidigungsfähigkeit des Westens muß verbessert werden

Ein paar hundert Tote mitten im längsten Frieden der Geschichte schreien natürlich nach Konsequenzen. Wie können solche Untaten bzw. tragischen Verwechslungen, Versehen, Irrtümer, Fehlreaktionen usw. usf. in Zukunft verhindert werden: Das abgrundtiefe Mißtrauen gegen die Russen haben diese aufs anschaulichste gerechtfertigt:

"Was die Staatsmänner der Welt wohl als das Erschreckendste ansehen werden, ist die Tatsache, daß die Russen so unzurechnungsfähig bezüglich ihres Luftraums sind, sich derart unsicher fühlen, daß sie ein unbewaffnetes Verkehrsflugzeug ohne Herausforderung abschießen... Das führt zu dem Gedanken, daß vielleicht der Finger am sowjetischen atomaren Abzugshebels ebenso unstet ist wie derjenige, der den Befehl zum Abschuß dieser Maschine gab." (FAZ, 3.9.83)

Unberechenbar sind sie also, und das mit ihrer ganzen Weltmacht. Dagegen hilft selbstverständlich nur eine konsequente und berechenbare westliche Politik, die den Russen Sicherheit gibt: eine Politik der Stärke. Und das Völkerrecht gebietet sie sogar unerbittlich:

"Kein Recht zum Abschießen" überschreibt ein Dr. Dr. Rudolf Dolzer, Heidelberg seine völkerrechtlichen Überlegungen:

"Aus der Sicht des Heimatstaats eines rechtswidrig abgeschossenen Flugzeugs stellt sich weiter die Frage, ob das Vorgehen des Bodenstaats Aggression ist. Eine Resolution der UN-Generalversammlung aus dem Jahre 1974 stellt klar, daß eine Aggression dann anzunehmen ist, wenn 'die Luftflotte' eines anderen Staats attackiert wird... Die westlichen Staaten hatten sich vor 1974 eindeutig dafür ausgesprochen, jeden Angriff auf ein Flugzeug als 'Aggression' zu kennzeichnen." (FAZ, 3.9.83)

Angesichts dessen, daß man sich eigentlich noch viel härtere Maßnahmen, nämlich einen ehrenwerten Kriegsgrund ausspinnen könnte, erscheinen die ergriffenen Maßnahmen - zweiwöchige westweite Boykottmaßnahmen gegen Rußlandflüge, Landeverbote für die Aeroflot, Landeverbot für den sowjetischen Außenminister in New York zur UN-Vollversammlung - glatt als gemäßigte Reaktion bzw. gefährliche Halbherzigkeit der freien westlichen Welt.

Die Erörterung von Gegenmaßnahmen gegen eine Wiederholung des Abschusses eines Passagierflugzeuges durch Raketen Marke freedom and democracy verlangt dagegen andere Kriterien. Die alten Statements seiner Herren übernimmt ein kritischer Journalist da natürlich nicht. Sie wären nämlich grundverkehrt gewesen, wenn man hier nur die Nationen ausgetauscht hätte:

"Der Abschuß eines zivilen Passagierflugzeugs kann durch nichts gerechtfertigt werden. Wir verurteilen diesen Akt der Brutalität und der Nichtachtung von Menschenleben." (Genscher, FAZ, 9.9.83)

"Die Sowjetunion trägt die volle Verantwortung und Schuld für den Tod von 169 wehrlosen Mitmenschen... Das sowjetische Verhalten wird und muß von der Völkerfamilie verurteilt werden... Hier stehen Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit einer Weltmacht auf dem Prüfstand." (Kohl, FAZ, 9.9.83)

Für den 88er Zwischenfall hatte der Chef ja auch gleich die neue Richtlinie vorgegeben. Der Iran steht auf dem Prüfstand:

"Bundesaußenminister Genscher schrieb dem iranischen Außenminister Welajati, das 'tragische Ereignis' beweise erneut die Notwendigkeit, die Resolution 598 des UNO-Sicherheitsrates anzunehmen und so die Region zu befrieden." (tz München, 5.7.1987)

Und schon war der entsprechenden Eigeninitiative und Phantasie der pluralistischen Medien Tür und Tor geöffnet. Zum ersten müssen die Amis noch mehr als bisher auf den Iran aufpassen:

"Seine (Reagans) Sorge ist jetzt weniger der Schutz der arabischen Länder vor Chomeini als die Vermeidung einer Eskalation, die zu einem Kriege Amerikas mit dem Iran führen könnte." (FAZ, 5.7.88)

Zweitens müssen die technischen Gerätschaften zur Kriegführung im Golf verbessert und ihr Einsatz gewährleistet werden:

"Was aber, muß man sich fragen, sind Aufklärungsmittel auf einem der modernsten US-Kriegsschiffe wert, die nicht zwischen einem Airbus und einem iranischen Kampfflugzeug amerikanischen Typs unterscheiden können? Das vergangene Wochenende mit dem Nationalfeiertag am 4. Juli war vom US-Militär als eine Zeit eingeschätzt worden, in der Iran versuchen würde, die US-Navy in Kämpfe zu verwickeln. Gleichwohl flogen die USA keine Luftaufklärung, die einem unsicheren Schiffsführer hätte helfen können." (Frankfurter Rundschau, 4.7.88)

Und drittens muß man die Führungsmacht mit der Frage quälen, warum sie eigentlich die technischen Mittel, die sie hat, nur so begrenzt einsetzt, um die erwähnte Eskalation zu verhindern:

"Dennoch so Ex-Verteidigungsminister Brown zur SZ: 'Irgend etwas wird sich wohl ändern. Vielleicht werden wir zum Patrouillieren weniger Schiffe und mehr Flugzeuge benutzen - vor allem schnell reagierende Kampfflugzeuge, wenn es zum Einsatz kommt. Auf jeden Fall brauchen wir AWACS (fliegende Frühwarnsysteme), die fähig sind, den Flug- und Schiffsverkehr genauer abtasten

Ein früherer Top-Mann im Pentagon fragt: 'Wo zum Teufel waren unsere AWACS überhaupt? War da wieder keine Koordination der US-Navy mit der Airforce?' Derlei Fragen werden Washington noch lange quälen." (Süddeutsche Zeitung, 6.7.88)

Nicht schlecht: Die Amis verhelfen 290 Leuten zur vorzeitigen Himmelfahrt - und was lernen wir daraus? Von diesen Burschen müssen unbedingt noch mehr und mit verbessertem Kriegsgerät wie souveränen Feldherrn an den Tatort. Damit Luft- und Schiffahrt im Golf sicherer werden - versteht sich!

Viertens ist - kaum hat sich der Iran zum Waffenstillstand bereiterklärt - ganz heftig darüber spekuliert worden, ob nicht der Airbus-Abschuß - ganz im Sinne Genschers - ein bißchen mit dazu beigetragen hat, Friedenswillen bei den islamischen Fanatikern zu wecken. So erfährt das angeblich so tragische Versehen zuguterletzt sogar noch eine ganz und gar einleuchtende Sinndeutung für aufgeklärte Demokraten. Es könnte den iranischen Widerstand gebrochen und damit den USA die ganzen Gewaltmaßnahmen erspart haben, die eine freie Presse als Konsequenz aus dem Abschuß für angebracht hält. Als Wirkung weiß man also bei der richtigen Weltmacht zu schätzen, was man ihr als Absicht nie zutrauen würde: Feinde mit überlegener Macht kleinzumachen, wo sie einem in die Quere kommen. Ohne Rücksicht auf gegnerische Verluste.