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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1988 erschienen.

Systematik

Ein christlich-sozial-liberal-demokratischer Handlungsbedarf
DER "FINALE RETTUNGSSCHUSS"

1.

Ungefähr achtmal, "beweist" "Bild am Sonntag" photographisch, hat die Polizei die Gelegenheit zum Umlegen der Bankräuber und Geiselnehmer von Gladbeck verpaßt. Das wäre der bayerischen Polizei nicht passiert - demonstriert das Innenministerium durch eine Schauveranstaltung mit Todesschuß in München. Die Liberalen im Land finden diese Vorzeigeübung geschmacklos - "noch vor der Beerdigung der Opfer". Doch in der Sache haben sie die gleichen Sorgen, nur grundsätzlicher: "In der Bundesrepublik... gilt eine andere Schlachtordnung: Wer schießt, steht rechts; wer nicht zu schießen bereit ist, ist liberal. In diese Ecke sollten sich die Liberalen nicht selbst drängen..." (Leitartikel der "Süddeutschen Zeitung"). Tun sie auch nicht; das liberale Weltblatt aus München führt es vor. Der zuletzt verantwortliche nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor hat sich gegen den Vorwurf zu wehren, bei ihm ginge "Täterschutz vor Opferschutz"; er setzt sich mit der nachträglichen Bekräftigung seines Schießbefehls zur Wehr. Das demokratische Publikum wird auch beteiligt an der verlogenen nationalen Gewissensforschung, ob Verbrecher bei uns nicht zu gut wegkämen - "Ja aber immer", meint ein Volk von Todesschuß-Experten.

Man darf also festhalten: In einem ordentlichen Rechtsstaat ist das Leben von Verbrechern nichts wert. Bezüglich einer Geiselnahme sind Rechtsbewußtsein und Killermentalität identisch. Wer an der Gerechtigkeit des Todesschusses herumrelativiert, macht sich als Sympathisant potentieller oder wirklicher Mörder verdächtig. So vollständig subsumiert eben das Recht die Person unter ihre Tat und die Tat unter die Tatsache, daß sie verboten ist. Natürlich weiß jeder, daß auch ein Verbrecher für sein Vorgehen seine "guten Gründe" hat - Berechnungen nämlich, die dem rechtstreuen Publikum überhaupt nicht fremd sind -, und daß der Mensch viel mehr vorhat und treibt als seine Untat - lauter normale bis ehrenwerte Dinge nämlich. Diese Erinnerung gehört jedoch in die Rubrik "menschliches Verständnis", das bestenfalls neben der vorrangigen Klarstellung, daß da einer sein Leben verwirkt hat, seine Fußnoten anbringen darf und völlig fehl am Platz und als moralische Rückendeckung für den Täter verdächtig ist, wenn das Recht in einer gegebenen Situation gebieterisch den Fangschuß verlangt. Das Recht bringt die Sache auf den Punkt: Getrennt von ihrem Zweck bleibt von der Tat nichts anderes übrig als die Untat, der Verstoß; das Leben des Täters faßt sich darin zusammen, daß er die Untat begeht. Zwei Abstraktionen, praktisch geltend gemacht an einem nicht seltenen Zwischenfall des bürgerlichen Lebens - und zwei Leichen sind fällig. Daß die Polizei sie schuldig blieb - teils infolge ihrer Taktik, teils aus purem Zufall -, stiftet keine Erleichterung, sondern sorgt eher für einen "bitteren Nachgeschmack".

2.

Einen guten menschlichen Sinn sollen die schmerzlich vermißten Todesschüsse zu allem Überfluß auch noch haben; man will ja nicht das ewig junge Thema Todesstrafe wieder aufgelegt haben. Verlangt ist der "finale" - im Sinne von: absichtsvoll ein Ende setzende - "Rettungsschuß"; fingiert wird eine unwidersprechliche Notlage, daß nämlich das Leben der Geiseln anders nicht zu retten sei. Wo Leben gegen Leben steht: Wer wollte da zögern, dem unschuldigen Opfer beizuspringen?!

Nur eins darf man nicht, nämlich die westernmäßige Fiktion für den vorliegenden Fall beim Wort nehmen. Denn sie ist zu schön, um wahr zu sein. Eine Geiselnahme ist kein Mordanschlag. Der Wille, die Geisel zu töten, ist ein letzter, zudem widersprüchlicher Ausweg: M it dem Mord entfällt der Schutz, den die Drohung damit bieten soll. Entsprechend leicht ist die Lebensgefahr für die Geisel abzuwenden, nämlich durchs Laufenlassen der Täter - von wegen "keine andere Rettungsmöglichkeit"!

Rechtsstaatlich und polizeilich vertretbar wäre so etwas allerdings allenfalls als Trick, der das anschließende prompte Verhaften der Verbrecher nicht behindern darf; als Scheingeschäft, dessen Risiko allein die Verbrecher zu tragen haben. Denn über allem steht der Grundsatz staatlicher Unerpreßbarkeit - "Das Recht darf nicht vor dem Unrecht kapitulieren", philosophiert die "Süddeutsche Zeitung". Und wann hat dieses Prinzip schon einmal eine Gelegenheit, in all seiner Erhabenheit zur Anwendung zu kommen, wenn nicht gegen einen Verbrecher, der meint, den Rechtsstaat mit dem Leben eines seiner Bürger erpressen zu können?!

Auf seiten des Geiselnehmers liegt hier ein interessanter Irrtum vor. Er setzt auf die Erpreßbarkeit der Staatsgewalt durch das Leben des Bürgers, dem sie ihren Schutz verspricht; gerade so, als wäre wegen diesem hoheitlichen Versprechen der Bürger mit seiner zerbrechlichen Physis der schwache Punkt des Rechtsstaats. Diese Berechnung ist einfach nicht auf der Höhe der tatsächlich gültigen staatlichen Rechtsphilosophie. Danach ist der Rechtsschutz fürs Leben nämlich kein Hegen und Pflegen, sondern ein Monopolanspruch auf gewaltsames Verfügen über Menschenleben. Den läßt der Rechtsstaat sich nicht streitig machen; insofern gilt der "Schutz des Lebens" absolut. Deswegen ist der Konflikt, in den eine Geiselnahme den Rechtsstaat stürzt, grundsätzlich immer schon gelöst: Der staatliche Monopolanspruch auf Gewalt gibt nicht nach. Zwar kann der Geiselnehmer diesem Gewaltmonopol eine Niederlage bereiten, indem er die Geisel tötet - so wie das übrigens tagaus, tagein bei jedem Mordfall passiert -; und natürlich ist es Polizeiauftrag, durch souveränes Taktieren solche Niederlagen zu vermeiden; das sieht dann wie Ehrfurcht vor dem Leben der Geisel aus, wird auch gern so gedeutet - das Ideal der Rettung kommt da zur Anwendung - und kann einen Verbrecher immer wieder in die Versuchung führen, hinter Geiseln Deckung zu suchen. Im Konfliktfall ist eine punktuelle Niederlage des Polizeiapparats aber weit geringfügiger zu veranschlagen als eine Nachgiebigkeit, die vom Standpunkt der unbedingten Hoheit der Staatsgewalt aus beurteilt, eine Kapitualtion ihres Alleinverfügungsrechts über Tod und Leben wäre. Diese Priorität ist durch die Polizeidienstvorschrift 132 in der rechtsstaatlichen Polizeitaktik bei der Beendigung von Geiselnahmeverbrechen verankert: "Bei der Befreiung von Geiseln läßt sich nicht jedes Risiko ausschließen. Bei übergeordnetem Interesse kann im Einzelfall eine erhöhte Gefährdung der Geiseln unumgänglich sein."

Kein Wunder, daß die Polizei sich über eine Kumpanei zwischen Geiselnehmern und Geiseln beschweren muß, die ihr ihre Befreiungsaktionen schwermacht. Dem rechtsstaatlich erzogenen Bürger ist irgendwie allemal klar, daß dem Rechtsstaat seine Befreiung wichtiger ist als sein Leben und daher der Erfolg der Verbrecher seine beste Überlebenschance. Es zählt eben nicht bloß das Leben des Übeltäters nichts im Vergleich mit der Hoheit staatlicher Rechtssetzung. Auch "unschuldige Menschenleben" stehen - logischerweise - unter dem staatlichen Gewaltmonopol, das ihnen die Qualität eines Rechtsguts verleiht. Der Staat kennt dem Menschenleben "übergeordnete Interessen", nämlich seinen Absolutheitsanspruch.

3.

Diese Reihenfolge ist nicht mit der Tatsache zu verwechseln, daß in der bürgerlichen Gesellschaft ohnehin jedes anständige Interesse sich im Konfliktfall als "übergeordnetes" begreift und über Leichen geht. In der Welt der Arbeit und bei der Versorgung der "Verbraucher" mit Giften herrscht ein Risikobewußtsein, das Sicherheit und Gesundheit gegen Kosten und Konkurrenzvorteile abwägt und gegen das kleinste Restrisiko bei der Bilanz entscheidet. Die Vernichtung dessen, was man "finanzielle" oder auch "bürgerliche Existenz" nennt, wird beim Konkurrieren nicht bloß in Kauf genommen, sondern bis zur letzten Konsequenz betrieben. Auch Sport und Spiel, Verkehr und Freizeit sind in dieser Welt ernste, gesundheitsgefährdende, oft tödliche Wettbewerbsveranstaltungen; vom Familienleben ganz zu schweigen. Menschenleben sind nicht viel wert, wo der gesellschaftliche Lebensprozeß als Erpressung der arbeitenden Menschheit mit ihren Lebensnotwendigkeiten durch das private Eigentum organisiert ist - die Erhebung eines so schlichten "Gutes" wie Leben zum respekterheischenden Höchstwert verrät auch ideologisch, wie wenig dieses Ding praktisch wert ist. Zum Beweis braucht es nicht einmal Mord und Totschlag, die ja außerdem dauernd verübt werden.

Die staatliche Rechtshoheit ist kein Durchsetzungswille dieser bürgerlich-materialistisch berechnenden Art. Sie steht dazu im Verhältnis der Überordnung. Und das heißt zweierlei:

Es gibt sie deswegen und dafür.

- Deswegen; denn die Interessensgegensätze der bürgerlichen Gesellschaft sind wirklich welche und nicht, wie das dazugehörige Harmoniebedürfnis und ein eingebildetes Verantwortungsbewußtsein es sehen wollen, eine fortwährende Suche nach Ausgleich, Kompromiß und Verständigung. Ein gemeinsamer gesellschaftlicher Zweck existiert eben nur als Täuschung, wo der materielle Nutzen des einen den Schaden anderer so notwendig einschließt, daß der bürgerliche Verstand in solchen Fällen gerne den Widerspruch eines Sachzwangs unterstellt. Den wirklichen gesellschaftlichen Zusammenhalt, der niemanden ausläßt, gibt es da nur als wirkliches Zwangsverhältnis: als eine allen übergeordnete Gewalt, die alle von der definitiven Austragung und Bereinigung ihrer Interessengegensätze abschreckt. Das Regeln erlassende und durchsetzende Gewaltmonopol ist folgerichtig der Inbegriff dessen, was ein an diese Gesellschaft gewöhnter Geist als Ordnung kennt und unter gesitteten Verhältnissen versteht; und auch in seinen wissenschaftlichen Abteilungen schwört der bürgerliche Verstand diesem Fanatismus der gleichmäßig totalen Abschreckung nicht ab, sondern hat seine Ordnungsidee längst zu einem politischen Menschenbild ausgebaut, das von den Gegensätzen der gesellschaftlichen Interessen nur die Tatsache ihres Antagonismus festhält und diese zu einer Naturkonstante erhebt, der eben nur durch hoheitlichen Terror beizukommen wäre.

- Dafür; denn wo ein ganzer souveräner Gewaltapparat aufgeboten wird, um die Austragung und Auflösung der die Gesellschaft bestimmenden Interessensgegensätze zu unterbinden, da geht es offenbar m die. Dann ist die widersprüchliche notwendige Verknüpfung von Nutzen - für die einen - und Schaden - für andere - der gesellschaftliche Zusammenhang, der Bestand haben und funktionieren soll. Die monopolisierte Gewalt sichert die Reproduktion eines Reichtums auf der einen Seite, der die ebenso beständig reproduzierte ökonomische Notlage der anderen Seite geschäftlich ausbeutet; sie garantiert die wechselseitige Ausnutzung der geschäftstüchtig engagierten Eigentümer und ihren Zugriff auf Geschäftsbedingungen, die sich spätestens nach solcher Verwendung als inzwischen ruinierte Lebensvoraussetzungen des Publikums herausstellen. So stellt sie den idyllischen gesellschaftlichen Zustand her, in dem es zu den ersten Selbstverständlichkeiten gehört, daß man für materiellen und anderen Erfolg über Leichen geht - weshalb eben alle Gewalt bei einer übergeordneten Instanz ohne solche materiellen Interessen monopolisiert sein muß.

Beschrieben ist damit ein Herrschaftsverhältnis, in dem herrschende Gewalt und herrschaftlicher Nutzen in jeder Hinsicht geschieden sind: Die Nutznießer der gewaltsam festgeschriebenen gesellschaftlichen Erpressungs- und Schädigungsverhältnisse sind, was die hoheitliche Gewaltfrage betrifft, machtlos; die Machthaber sind, was den funktionellen Ertrag der garantierten Interessensgegensätze, das Wachstum des geschäftlich aktiven Reichtums betrifft, m Prinzip selbstlos. Das ist die grundsätzliche "Arbeitsteilung" im bürgerlichen Klassenstaat.

So gehen Kapitalisten für ihr Geschäftsinteresse über Leichen, weil und soweit sie es dürfen. Staatsmänner gehen über Leichen, weil und soweit sie das ihrer Hoheit, zu erlauben und zu verbieten, schuldig sind. Das ist der Unterschied.

4.

Beim "Geiseldrama von Gladbeck" haben die Hüter des Rechtsstaats nicht bloß ihre Schuldigkeit getan - mehr schlecht als recht, wie das mitdenkende Publikum wissen will. Mit der Forderung nach härterem Polizeieinsatz ist ein eigentümlicher rechtsstaatlicher Handlungsbedarf angemeldet worden: Es müsse etwas geschehen, um die Hoheit des Rechts selbst zu sichern - mehr gesetzliche Gewalt für die Intaktheit der Gewalt der Gesetze.

Das ist eine seltsame Offensive gegen "das Verbrechen". Sie kokettiert mit der Vorstellung, Gesetzesübertretungen wären eine Infragestellung des Rechts und der Gewalt, die sie setzt. Dabei gibt es niemanden, der so sicher und so gelassen mit massenhafter Gesetzesübertretung rechnet und sich so wenig davon verunsichern läßt wie der Rechtsstaat selbst. Er ist ja keine Instanz, die einen inhaltlich bestimmten gemeinsamen gesellschaftlichen Zweck durchzusetzen hätte und damit gescheitert wäre, wenn dauernd dagegen gehandelt wird. Was er will und braucht, ist der rein negative Respekt der Bürger vor seinem Monopolanspruch aufs gewaltsame Regeln. Und den stellt die Staatsgewalt genauso unverdrossen immer wieder her, wie er versagt wird: Sie läßt den Rechtsbrecher büßen. Indem sie ihn mit Vermögen, Freiheit und, wenn es darauf ankommt, seinem Leben unter die eine Bestimmung subsumiert, daß sein Tun verboten war, tut sie ihrem hoheitlichen Geltungsanspruch Genüge; und das ist ein viel härterer Souveränitätsbeweis, als wenn sich bloß daran gehalten wird.

Ein paar Revolverhelden jedenfalls, wie sie sich täglich auf dem Boden des Grundgesetzes zu schaffen machen mit ihrer "kriminellen Energie", gehören dazu und stellen nichts in Frage. Wenn trotzdem so getan wird, dann liegt eine politische Deutung des Verbrechens vor, und zwar im Lichte des anarchistischen Terrorismus, der sich die Vorführung einer angeblichen - geglaubten oder erhofften - Ohnmacht des staatlichen Gewaltmonopols zum Zweck gesetzt hat bei seinen Geiselnahmen und Mordanschlägen. Den Anlaß und Anhaltspunkt für diese Deutung mag der mit der Geiselnahme unternommene Versuch einer Erpressung der Polizei geboten haben; die allenthalben groß ins Bild gesetzte Pistole in privater statt polizeilicher Hand stand jedenfalls schon für den gewollten Trugschluß - ein Verbrechen wegen Geld, in dessen Verlauf die von der Polizei gestellten Bankräuber hinter Geiseln ihre Überlebenschance suchten, wäre dasselbe wie die blutigen Aktionen einer verkehrten Staatskritik. Als hätte man schon viel zu lange auf die immer wieder schöne Gelegenheit warten müssen, um an einem terroristischen Anschlag die verlogene Staatsableitung aus der Verbrechernatur seiner Gegner in Erinnerung zu bringen, wurden kurzerhand umgekehrt Verbrecher als Staatsgegner hingestellt; jede Stunde der Geiselnahme galt als politische Katastrophe, der angeblich versäumte Todesschuß als Niederlage der hoheitlichen Gewalt. Und das Ganze wurde mit einem dicken "und überhaupt" pauschal verallgemeinert, den Bremer und Düsseldorfer Befehlshabern in die Schuhe geschoben: Die Sozialdemokratie wäre ja überhaupt, angefangen beim allzu behutsamen Vorgehen gegen militante und andere politische Demonstrationen, zu nachlässig im Kampf gegen jeden Zweifel an der Unbedingtheit des rechtsstaatlichen Gewaltmonopols. Solche Zweifel hat zwar während des gesamten Gangsterstücks keiner, schon gar nicht einer der beiden Bankräuber, auch nur ahnungsweise geäußert; den Kampf dagegen führen unsere kämpferischen Demokraten aber auch ohne Gegner. Das ist gerade ihre Offensive.

5.

Die hat - natürlich, wie alles in der Demokratie - ihre parteitaktische Seite; die SPD wird angeprangert, was um so besser gelingt, als die gar keinen anderen Standpunkt dagegen geltend macht, sondern sich mit der Beteuerung verteidigt, sie hätte es gerade im Sinne von Geißler und Co. an nichts fehlen lassen. Das erklärt aber nichts vom Inhalt und Zweck des Maßstabs guter Politik, für den da Taten gefordert werden. Was ist los, wenn die in Wirklichkeit überhaupt nicht strittige Hoheit des Rechts als Gegenstand, um den die Politik sich unbedingt vermehrt und verschärft zu kümmern hätte, ins politische Treiben eingeführt wird?

Dann soll nicht die Hoheitsfrage zum Gegenstand der Politik werden - was sollte das auch heißen, in einem dermaßen unangefochtenen Staatswesen?! -, sondern die Politik will wie eine immerwährende Hoheitsfrage genommen werden; so, als stünde in allen Einzelfragen nicht der mehr oder weniger günstige Gebrauch staatlicher Gewalt zur Debatte, sondern die allerheiligste Kuh, das staatliche Gewaltmonopol höchstpersönlich.

Was das heißt, das ist an den verflossenen Protestbewegungen und ihrer Grünen Partei ausgiebig vorgeführt worde: Jede kritische Wortmeldung wurde mit der "Gewaltfrage" gekontert, also mit der Aufforderung zum allerprinzipiellsten bürgerlichen Unterwerfungsbekenntnis; und damit war sie erledigt, so oder so: als zweifelhafte Treuebekundung abgebucht oder. als unzweifelhafter Vaterlandsverrat verworfen. Das Verfahren ähnelt der parlamentarischen Technik der Vertrauensfrage; nur daß hier gleich die Frage der grundsätzlichen Einstellung zu Recht und Gesetz aufgeworfen wird, mit der selbstverständlichen Maßgabe, daß das Ja dazu einem anständigen Bürger gar keine Frage sein darf. Kritiker werden unter eine Alternative subsumiert, die gar nicht die ihre ist und die als Falle funktionieren soll: Entweder sie erklären ihren Protest selber zum unwesentlichen Anhängsel eines ganz unbedingten Dafürseins für die Republik - oder sie stellen sich als Staatsfeinde auf eine schiefe Ebene mit Terroristen und Verbrechern, an denen zu sehen sei, wohin es führt, wenn das Ja zum Staat nicht vor allem anderen kommt und über allem steht.

Ein Bankraub mit Geiselnahme hat wirklich nichts mit politischer Kritik an irgend etwas zu tun. Wohl aber für Politiker, denen sich da so wie dem NRW-Innenminister Schnoor der "Eindruck" aufdrängt", hier können Täter, Verbrecher mit der Pistole in der Hand, sich wie Staatsmänner gerieren" (Im "Spiegel" 34/88); die dauernd und folglich auch hier nur an das eine denken, nämlich an ihr Recht auf absolute Erhabenheit über jeden "Protest der Straße" und sonstige Zweifel und Widerstände, die ihnen das Regieren unnötig schwermachen. Die landen auch noch hier einen Schlag gegen das "verlotterte Rechtsbewußtsein", das sie an den Gangstern anschaulich machen und ganz anderen Leuten vorwerfen möchten - eben allen denen, die die bürgerliche Freiheit des Räsonierens, den erlaubten Pluralismus innerhalb der Grenzen des geltenden Rechts, als Freibrief für Zweifel "mißverstehen ", welche den Machern der Politik zu radikal sind.

6.

Die Beschwörung des rechtsstaatlichen Gewaltmonopols durch die Politiker aus völlig unpassendem Anlaß ist kein bloßes Plädoyer für den fixeren Todesschuß; den wird die Polizei sich auch in Zukunft unter voller Rückendeckung ihrer politischen Führung nach ihrer taktischen Kalkulation einrichten. Da äußert sich ein viel weitergehendes Bedürfnis, nämlich nach mehr Militanz n der Politik. Politiker rufen nach dem Todesschuß, als läge ihnen an der Demonstration, daß sie nichts dabei finden, sondern stolz darauf sind, unangefochten über Leichen zu gehen, wenn's ihnen drauf ankommt.

So wird es dann ja wohl auch sein.