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Von grün bis rechts
GEWALT GEGEN FRAUEN - EINDEUTIG POLITIKFÄHIG
Daß Männer Frauen schlagen und vergewaltigen, ist trostlos genug. Daß unsere liberale Gesellschaft dieser Taten wegen angezeigte Männer aus dem Verkehr zieht und ins Gefängnis sperrt, ergänzt die private Gewalttat durch einen rechtlich kodifizierten Freiheitsentzug und macht die Sache nicht besser: Davon werden die Frauen auch nicht glücklicher. Schließlich ist die Sache schon passiert. Und die Strafe für den Vergewaltiger ist noch lange kein Schutz für die Opfer.
Rita Süßmuth hat sich ein seit Jahren von der SPD und den Grünen propagiertes Anliegen zu eigen gemacht und will eine Reform des Vergewaltigungsparagraphen im Sexualstrafrecht vorlegen. Getreu ihrer in der Öffentlichkeit so bewunderten Linie, härtere staatliche Maßnahmen (zunächst) nicht zu ergreifen und sich als Anwältin betroffener Frauen in dieser Gesellschaft hinzustellen, hat sie eine "Lücke im Strafgesetz" entdeckt. Weil sie es so gut mit den Frauen meint, ist sie sogar für einen neuen Straftatbestand und will die "Vergewaltigung in der Ehe" neu ins Gesetz aufnehmen. Damit soll nicht nur den Ehefrauen geholfen sein, auch eine so handfeste Sache wie das Recht ist ein Stückchen mehr in Lot gebracht. Denn der neue Paragraph ist zweifelsfrei ein guter:
Entscheidend ist, daß für das Rechtsbewußtsein die Tatbestände innerhalb und außerhalb der Ehe nicht ungleich behandelt werden." (Spiegel-Interview mit R. Süßmuth, Nr. 27/1987)
"Gewalt in der Ehe" - was denn sonst!
"Tatbestände" allenthalben - die Gesetzemacher wissen also, was für Zustände unterm staatlichen Schutz von Person und Familie zustandegekommen sind. Sie wissen, daß "innerhalb" der Ehe erlaubt ist, was "außerhalb" verboten - aber genauso üblich ist. Kein Wunder, schließlich hat das Gesetz es erlaubt und nicht bloß das. Mit dem Eherecht definiert die Staatsgewalt das Einvernehmen zwischen Mann und Frau, die einander für ein Stück gemeinsames Leben herausgesucht haben, als Verhältnis von Rechten und Pflichten, das gerade unabhängig von jeglichem Einvernehmen, eben als gesetzlich garantiertes Vertragsverhältnis, Bestand haben soll. Eine Pflicht zur Fürsorge und ein Recht auf Abhängigkeit packt der Rechtsstaat in die private "Beziehungskiste", einen Zwang zur Symbiose und ein Kräfteverhältnis der wechselseitigen Ansprüche gleich dazu. Daß die vor dem "Intimbereich" nicht halt machen, liegt in der Natur der Sache: Dessen Launen verschaffen dem Staat ja überhaupt jene Zweisamkeit, der er beträchtliche Leistungen in puncto Bewältigung des bürgerlichen "Lebenskampfes" abverlangt. Also wird die Lust selber zur Pflicht:
"Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen, zu denen die Unwissenheit der Eheleute gehören kann, versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen."
Dieses Bundesgerichtshof-Urteil stammt zwar aus dem Jahr 1966 und gilt als völlig veraltet; lächerlich daran ist aber nur das Bemühen der Judikative, dem Recht auf ehelichen Liebesgenuß zu behördlicher Durchsetzung zu verhelfen. Daß Sex in der Ehe ein Rechtsgut ist, bleibt die gar nicht lächerliche Grundlage des gesetzlich geschützten Liebeslebens; auch wenn die Vollstreckungsbehörden sich mehr auf die Eintreibung der für den Sozialstaat interessanteren materiellen Rechtsfolgen des ehelichen Verkehrs konzentrieren. Die Eintreibung der vertragsgemäßen Liebesdienste bleibt den Rechtssubjekten selbst überlassen und dann soll man sich darüber wundern, daß die Anspruchsberechtigten ihr Recht auf Glück fest und entschlossen selbst in die Hände nehmen?! "Gewalt in der Ehe": Das kann gar nicht ausbleiben, wenn der Staat seinen Liebesleuten ihr Verhältnis als eines von Pflichten vorbuchstabiert, für deren Erfüllung er sein Gewaltmonopol herleiht. Wo dessen Arm nicht hinreicht, ist der Staatsbürger im Ehepartner im Zweifelsfall auf sich gestellt, und vergewaltigt wird nach Maßgabe des ehelichen Kräfteverhältnisses - was denn sonst!
"Kampf der Vergewalltigung" - ausgerechnet durchs Gewaltmonopol?!
Im Ernst will die Familienministerin das auch gar nicht abschaffen. Sie will mit ihrem geplanten Paragraphen Frauen entgegenkommen, die ihren Alten endgültig nicht mehr aushalten. So läuft das immer im bürgerlichen Staat: Erst richtet der Staat alles, noch die intimste "Arbeitsteilung", zum rechtlichen Gewaltverhältnis her; und wenn die so beschenkte Menschheit die notwendigen Folgeerscheinungen dieser Einrichtung nicht mehr aushält, steht schon wieder die Staatsgewalt als Freund und Aufseher bereit - mit einem neuen Eingriffstatbestand, also wieder mit ihrer Gewalt. Denn etwas anderes hat die Frau Minister ja gar nicht anzubieten als das gesetzliche Versprechen, den bösen Gatten zu vermöbeln, wie es sich das geschlagene Opfer nie hätte träumen lassen: mit der unwidersprechlichen Hoheitsgewalt der Polizei und ihrer Gefängnisordnung.
Daß unter solchen Strafen bzw. Strafandrohungen die Privatgewalt des rechtsbewußten Individuums klein beigibt und aus dem ehelichen Verkehr verschwindet, ist ein Gerücht, allerdings ein haltbares. Denn das gesamte Strafrecht präsentiert sich gern als eine einzige soziale Besserungsanstalt: als Mittel zur Beseitigung all der Interessen, die der Staat verbietet. Dabei zeugt das Verbieten selbst schon von der Sicherheit, daß das Verbotene nicht ausstirbt, sondern in der rechtlich geordneten Gesellschaft seinen festen Platz hat. Und die Strafe enthält weder ein Argument gegen die Gründe, die jemand für ein Treiben hat, das dem Staat nicht paßt, noch ein Angebot, anders besser zurechtzukommen. Sie stellt auch gar nichts wieder her - außer der Hoheit und Gültigkeit des verletzten Rechts, indem das nämlich über den Rechtsbrecher triumphiert; nur und genau so bleibt dem Gesetz seine Souveränität erhalten neben seiner fortwährenden Durchbrechung.
Staatsgewalt und Rechtsempfinden: Eine unverbesserliche Einheit
Die Familienministerin argumentiert allerdings noch nicht einmal mit einer handgreiflichen Besserungsabsicht, wenn sie sich die Bestrafung ehelicher Gewalttäter wünscht. Sie will, sagt sie, dem gesellschaftlichen Rechtsbewußtsein den Weg weisen - womit ihr fast eine schöne Klarstellung über das wirkliche Verhältnis zwischen Recht und Rechtsempfinden unterläuft. Entgegen allen landläufigen Ableitungen stellt sich das gerechte Gefühl nämlich allemal da ein, wo die Staatsgewalt ihre Unzufriedenheit mit der Aufführung ihrer Bürger in Form von Verboten äußert und mit Strafen vollstreckt. Das tut eine bürgerliche Staatsgewalt eigentlich nie im Dienste einer moralischen Erziehungsaufgabe, sondern erstens im Interesse der von ihr verhängten Eigentumsordnung sowie einer ordentlichen Abwicklung des damit eingerichteten sozialen "Lebenskampfes", zweitens im Interesse der eigenen Souveränität, mit der sie in alle Lebensverhältnisse eingreift, die sich daraus ergeben. Bürgerliches Rechtsbewußtsein ist private Parteilichkeit für diese Souveränität - und deswegen ist die vorgetragene Absicht der Ministerin, die gesellschaftliche Moralität überhaupt zu bessern, eine fromme Täuschung. Im Prinzip ist das Rechtsgefühl nämlich sowieso schon unverbesserlich, und im besonderen läßt es sich durch eine Strafandrohung ganz gewiß nicht die feine Unterscheidung vorschreiben, wo im normalen Ehekrieg die Vergewaltigung beginnt.
Zumal der geplante Paragraph für diese Unterscheidung ja selber gar kein Kriterium hat - außer dem Anhaltspunkt, daß ein Ehegatte den anderen nicht mehr aushält, gerichtlich anzeigt und dann erst einmal Beweise vorzutragen hat, die einem Gericht Eindruck machen. Damit ist auch schon klar, in welchem Sinn ein solches Gesetz allenfalls eine Wirkung entfalten könnte, wenn es überhaupt zustande käme: als berechnend eingesetzte; bedingt glaubwürdige Drohung - für die eine Frau erst einmal noch mehr Gewalttätigkeit von ihrem Eheherrn zu erwarten hätte; also als zusätzliche matte und einigermaßen zweischneidige Waffe im Ehekrieg.
Die Frauenwürde: Ein Ruf nach Gewalt, aber zu unantastbar für einen Paragraphen
Insofern geht es bei der gesamten Gesetzesinitiative tatsächlich um nichts als die in jeder Begründung beschworene Würde der Frau. Dieses Ding teilt nämlich mit jedem normalen Rechtsgut die Eigenschaft, daß es mit den tatsächlichen Verhältnissen, in dem Fall: mit der tatsächlichen Behandlung der real existierenden Weiber durch ihre Gatten, nur in einem Sinn etwas zu tun hat - es steht darüber. Es macht diesem hohen Wert nichts aus, daß dauernd Taten passieren, die ihm widersprechen; Hauptsache, die höchste Gewalt gebietet den Respekt davor und verbietet, was laufend passiert. Von profaneren Rechtsgütern wie dem Eigentum oder der Vertragstreue unterscheidet sich die Frauenwürde allerdings durch ihre Erhabenheit: Sie ist so sehr das Ideal des hoheitlich gebotenen Respekts vor den mißhandelten Weibern, daß ihr durch mehr oder weniger polizeiliches Durchgreifen ohnehin eigentlich weder zu schaden noch zu helfen ist. Sie verlangt zwar nach Gewalt, die für ihre Geltung einsteht; aber wenn ihr gesetzlicher Schutz sein Ungenügen bekennt, macht es auch nichts. Hier um Aufgaben und Versäumnisse des Gesetzgebers zu rechten, ist von vornherein ein Schattenboxen im Reich des höheren staatsideologischen Blödsinns und hat mit justizpraktischen Anliegen nichts zu tun.
Oder anders gesagt: "Würde der Frau" und "Vergewaltigung" haben das Zeug zu einem politischen Thema der gehobenen Güteklasse. Es sieht ungemein praktisch aus, wenn - und solange - die Regierung an einer einschlägigen strafrechtlichen Neuerung bastelt. Andererseits taugt diese Gesetzesinitiative politisch bloß als Anlaß, um eine ideologische Prinzipiendebatte vom Zaun zu brechen - vorausgesetzt, es finden sich zwei, die so einen Streit führen wollen.
Der grüne Ehekrach
Bei den Grünen haben sie sich gefunden. Zur Gesetzeslage fällt der Partei und ihrer Bundestagsfraktion nicht mehr ein, als was die Gesetzeslage hergibt: der heiße Unterschied zwischen einem oder zwei Jahren Strafe für Vergewaltigung, also ein Beitrag zu der Debatte um das richtige Bestrafungsmaß, die, weil nicht entscheidbar, so alt und so endlos ist wie der staatliche Bestrafungswille überhaupt. Diese 12-Monats-Differenz war den Grünen aber nicht zu geringfügig, um daran nicht voller Begeisterung ihr tiefes ideologisches Dilemma zu entfalten:
"Hier stehen zwei Grundpositionen grüner Moral gegeneinander: Hohe Strafandrohung gegen männerherrliche Amoral und Ablehnung staatlicher Gewalt als Lösung gesellschaftlicher Probleme. Wenn es überhaupt eine Gewissensfrage gibt, dann hier."
Wenn es überhaupt einen Musterfall für die Identität von Gewissen und Heuchelei gibt, dann hier. Hohe Strafandrohungen sind ein Genußmittel der Rache, aber kein Heilmittel für Amoral; das wissen im Grunde auch die Feministen, die in dieser Frage radikal, und die Radikalen, die aus gegebenem Anlaß zu feministischen Würdebolden geworden sind. Die Ablehnung staatlicher Gewalt als gesellschaftliches Besserungsmittel - die Parole ausgerechnet der "realistischen", politikfähigen Gegenseite - wäre eine Sache; das Plädoyer für ein Jahr Gefängnis ist auch dann eine völlig andere, wenn dieses Jahr ein Jahr weniger ist. Nicht geheuchelt ist auf beiden Seiten nur eins: der Wille zum Streit. Aber für den haben die Grünen auch schließlich Wichtigeres anzuführen als einen Gewissenskonflikt um die Eheprobleme des Rechtsstaats: die Zukunft der eigenen Partei.