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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1988 erschienen.

Systematik

Neueste Nachrichten vom Rechtsstaat
FLEXIBLE RESPONSE GEGEN DEN 'GEIST DER WIDERSETZLICHKEIT'

Da man es hierzulande weder in Universitäten noch in der freiheitlichen Öffentlichkeit für angebracht hält, Leuten, die mit Gründen gegen diese Gesellschaft auftreten und den glaubensstarken herrschenden Lehren Argumente entgegenhalten, mit Widerlegungen zu kommen, sind, die Gerichte zum theoretischen und praktischen Schutz des Staates aufgerufen. Die waren es ja schon immer, die als einzige über wirklich schlagende Argumente gegen Kritiker verfügten.

Kritik an der Bundeswehr = Wehrkraftzersetzung,

In diesem Sinne mußte wieder einmal ein Münchner Strafgericht (vgl. "Süddeutsche Zeitung" vom 19.5.) tätig werden: Die Angeklagten hatten auf Flugblättern, die sie an Bundeswehrangehörige verteilt hatten, u.a. sinngemäß behauptet,

- daß ihren Adressaten in dem Vaterland, das sie zu schützen hätten, nichts gehöre,

- daß "die Arbeiter" den "Kapitalisten" Reichtum schaffen würden und zudem als Soldaten mit der Aufgabe betraut seien, diesen wenn nötig - auch gegen eben diese Arbeiter zu verteidigen,

- und daß es sich bei "mündigen Bürgern in Uniform" um "Trottel" handle.

Das Gericht sah sich gezwungen, diese Behauptungen mit einer wuchtigen Argumentation in drei Teilen zu widerlegen: Erstens mit einem scharfen Dementi, da "nach Auffassung der Kammer" die Autoren ein "Zerrbild" gezeichnet hatten, das "mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist", zweitens mit dem entlarvenden Hinweis, daß die Täter "den Umsturz, die Umkehrung der bestehenden Verhältnisse zum Ziel hätten", und drittens - und endgültig beweisend, daß die Angeklagten nicht Recht haben - mittels einer achtmonatigen Gefängnisstrafe plus DM 1500,- für die Zubilligung von drei Jahren Bewährung.

Dem stringenten Begründungszusammenhang des Gerichts kann man als unvoreingenommener Betrachter durchaus folgen: Wohl ist es unverkennbar, daß zwischen dem Wachstum von Kapital und der Tätigkeit der von ihm benutzten Arbeiterschaft ein gewisser Kausalzusammenhang besteht und daß der private Kapitalreichtum weder vor noch nach seiner Vergrößerung den dienstbaren proletarischen Geistern gehört. Es trifft aber in der Tat nicht zu, daß dem Wehrpflichtigen in seiner Zeit als Werktätiger "nichts" gehöre. Viele verfügen nachweislich über eine mehrteilige Garderobe, manche gar über einen PKW und nicht wenige über einen Lohn, der bei kluger Einteilung hinreicht, die in ihrem Eigentum stehenden Kühlschränke und Autotanks wieder aufzufüllen, wenn diese geleert sind.

Auch die inkriminierte Aussage, daß es "die Arbeiter" seien, die den "Kapitalisten das Eigentum schaffen", ist unschwer als "Zerrbild" erkennbar: berücksichtigt sie doch in keiner Weise die von ganzen Heerscharen beamteter Ökonomen stets neu bekräftigte Lehre, daß es sich bei "dem Arbeiter" in erster Linie um einen "Kostenfaktor" handelt, der sich fortwährend auf unangenehmste Weise aufs produktive Eigentum schlägt und dieses auch noch zu teuren Rationalisierungsmaßnahmen zwingt.

Desgleichen handelt es sich bei der Behauptung, Soldaten hätten als wichtigste Aufgabe das Eigentum zu schützen, offenkundig um eine ideologische Verkürzung: Es steht ja bekanntlich nicht nur das freie Eigentum (Art. 14 GG) unter dem Schutz der bewaffneten Macht, sondern z.B. auch die freie Berufswahl (Art. 12 GG) zwischen den von den freien Eigentümern angebotenen Arbeitsplätzen oder das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG) von Rheinhausen nach Daimler oder von Ostfriesland nach BMW sowie die gesamte FDGO. Und nicht nur "gegen die Arbeiter" ist das alles notfalls zu verteidigen, wie die Angeklagten ausgeführt hatten, sondern gegen jeden, ohne Ansehen der Person (Art. 3 GG!), sei er ein aufrührerischer Arbeitnehmer, ein revolutionärer Handwerksmeister oder der Russ!

Daß man als mündiger Bürger in Uniform ein "Trottel" sein müsse, ist eine offene Unwahrheit: Nie im Leben würde ein Debiler die staatsbürgerliche Verstandesleistung zuwege bringen, sich das tödliche Verhältnis von Befehl und Gehorsam beim Militär als Betätigung seiner höchst freien Subjektivität vorzumachen. Insgesamt legte das Gericht aber großen Wert auf die Feststellung, daß die Verurteilung nicht wegen der "Gesinnung" oder der "Weltanschauung" der Täter erfolgt sei, sondern "nur, weil sie gegen den Paragr. 89 StGB verstoßen hätten." Der verbietet nun einmal das "verfassungswidrige Einwirken auf die Bundeswehr" aus dem naheliegenden Grund, daß es deren Betreiber und ihre Gerichte für "gefährlich" halten, wenn "auf die Sicherheitskräfte kein Verlaß mehr ist."

Das ist eine dankenswerte Klarstellung: Konnte die antimilitärische und sonstige Opposition sich bislang noch einbilden, ihre "Gesinnung" werde freiheitlich-pluralistisch solange geduldet, wie die wehrhafte Demokratie ihren Erfolg als unwesentlich erachtet, so will das "erkennende Gericht" hier neue Saiten aufziehen: Es ist gerade

"nicht erforderlich, daß der Erfolg eingetreten ist. Die Bundeswehrangehörigen müssen die Flugblätter nicht gelesen oder gar danach gehandelt haben... Es genügt die Absicht, einen Geist der Widersetzlichkeit zu erzeugen."

So haben die Organe des Rechtsstaats auf dem Wege der dynamischen richterlichen Rechtsfortbildung sich also endlich zum Standpunkt der Wehrkraftzersetzung vorgearbeitet, der zwar - saudemokratisch - nach wie vor noch die revolutionärste "Gesinnung" straffrei läßt, nur: An jedes gesprochene oder geschriebene Wort, mit dem sich diese "Gesinnung" äußert, egal, ob es überhaupt außer dem Staatsanwalt ein Mensch zur Kenntnis genommen hat, soll dieser Standpunkt künftig als strafrechtlichter Prüfungsmaßstab anzulegen sein. Eine dringende Empfehlung von gerichtlicher Seite, seinen "widersetzlichen Geist" künftig eben tunlichst ohne Worte ganz mit sich abzumachen und die Schnauze zu halten.

Staatsschutzobjekt Demonstrant

Wer sich statt dessen auf die Straße setzt, um "symbolisch" Freiheitsraketen den Weg zu versperren, muß sich deshalb - nun auch höchstrichterlic vom BGH - sagen lassen, daß auch auf seine höchst staatsbürgerlich-verantwortungsvollen Friedensmahner-Motive geschissen ist: Sie sind "für die Strafbarkeit von Blockaden als Nötigung" (i.S.d. Paragr. 240 StGB) "ohne Bedeutung". Allenfalls ist der gute Wille honoriger Prominenter samt friedliebendem Fußvolk bzw. der böse von demokratiefeindlichen Wehrkraftzersetzem bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Die Freiheit, überhaupt strafrechtlich zuzuschlagen und beim Strafmaß nach Gutdünken zu sortieren, läßt sich die demokratische Rechtsgewalt jedenfalls nicht durch das subjektive Meinen der möglichen Delinquenten relativieren. Vielmehr ist sie ja gerade wieder einmal eifrig dabei, diese Freiheit durch Rechtsprechung und Gesetzgebung noch ein Stückchen komfortabler auszugestalten.

Dabei entwickeln die richterlichen Schwarzkittel und ihre Gesetzeslieferanten ein sicheres Gespür dafür, wo die ganze Strenge des Rechts gefordert und wo eine gewisse Groazügigkeit im Dienste der Allgemeinheit angebracht ist.

Die ist auf jeden Fall unangebracht gegenüber oppositionellen Demonstranten, die ja bekanntlich fortwährend die Grundfesten der BRD erschüttern. Deshalb hat sich der Bundestag gleich ein ganzes "Gesetzespaket" genehmigt, mit dem die Umstände, unter denen ein Bürger erlaubtermaßen sich versammeln und demokratisch meinen darf, noch ein bißchen freiheitlicher zurechtgebastelt sind als bisher. Nach Auskunft der zuständigen Zimmermann und Engelhard waren die neuen"Sicherheitsgesetze" zur "Bekämpfung von Gewalt und Terror dringend notwendig" (Süddeutsche Zeitung, 19.5.).

So wird durch das neue Vermummungsverbot zum Beispiel die Not der polizeilichen Foto- und Videokünstler gewendet, indem ihre Objekte nunmehr bei Androhung von Strafe dazu verpflichtet werden, bei Demos das Gesicht zu zeigen und so die Komplettierung der einschlägigen Archive nicht länger zu behindern.

Darüberhinaus ist Demonstranten nun auch unter Strafandrohung untersagt, durch "passive Bewaffnung" mit Friesennerz, Halstuch oder Schutzhelm, den übermäßigen Verbrauch von Wasser und Kampfgas bei der Polizei zu provozieren sowie deren unnötigen Kräfteverschleiß beim Knüppeleinsatz. Ganz im Sinne dieser polizeimäßigen Ausdeutung von Glasnost bei den Demonstranten, wird jetzt auch schon im Vorfeld von Demonstrationen das offen-ehrliche Verhältnis zwischen Staatsmacht und Veranstaltern dadurch gefördert, daß diese mittels einer neuen Androhung von Bußgeld zur "Zusammenarbeit mit bzw. Auskunft gegenüber den zuständigen Behörden" gezwungen werden sollen.

Die Freiheit der (Staats-)Gewalt gegen Kritik

Was zur "Bekämpfung von Terror und Gewalt notwendig" ist, wird aber von den Gesetzesmachem und Rechtswahrern nicht nur gegenüber öffentlichen Demonstranten, sondern auch mit Front gegen weniger spektakuläre, aber nicht weniger gefährliche Wühlarbeit gegen den Rechtsstaat erledigt. Gegen Leute, die sich auf unerwünschte Art in öffentliche Händel einmischen, gibt es jetzt wieder den Paragr. 130 b StGB, der die "öffentliche Befürwortung von Straftaten" unter Strafe stellt.

Das eröffnet der Staatsanwaltschaft die Freiheit der Entscheidung, ob öffentlich geäußerte Kritik an den Schönheiten von Kapita-lismus und Demokratie nicht eigentlich schon einiges "befürwortet"; und jemandem, der ausdrücklich etwas "befürworten" will, sei es ein harmloser Sonntagsspaziergang an irgendeinem Bauzaun, sei es der Kommunismus (im übrigen das Größte Annehmbare Ensemble von "Straftaten"), kann sie, wenn sie will, gemäß dem neuen Paragraphen gleich das Strafgesetzbuch vorblättern.

Am sichersten ist allemal, so die generalpräventive Empfehlung dieses neuen "Sicherheitsgesetzes", wenn man denn schon das "Befürworten von Gewalt" nicht lassen kann, sich dafür einfach dieselben Sachen auszusuchen wie der schwarzrotgelbe Staatsverein.

Der entläßt dann auch mal wieder - sauber gewaltengeteilt in Gestalt seines Landgerichts Hannover - einen DKP-Lehrer (Mini-Notiz in der "Süddeutschen Zeitung" vom 16.5.), der wegen des "K" im Namen seiner Partei schon prinzipiell dem Verdacht anheimfällt, eine falsche Perestroika hierzulande zu unterstützen. Als Bayerisches Oberstes Landesgericht verknackt er einen Münchner "Patentanwalt Rolf W." (SZ, 25.5.) wegen "Aufforderung zu einer Straftat", nämlich zur Sachbeschädigung an einem Volkszählungsbogen durch Abschneiden der Registriemummer. Weil - so Zimmermann -, wer so was macht, "auch gegen Gesetze und Demokratie schlechthin" sei und "deshalb mit aller Härte, die dem Rechtsstaat zur Verfügung steht, zu verfolgen ist" (ebd.), wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft durch drei Instanzen betrieben, bis das Obergericht zum erwünschten Schuldspruch fand, und der Täter in der APIS-Datei für Staatsfeinde gespeichert. Andere Münchner Staatsanwälte - Staatsanwälte befürworten bekanntlich schwer, weil von Amts wegen, daß es einen Gott gibt - mußten gegen total durchgedrehte Tierversuchsgegner ermitteln, um ihren Gott vor Lästerung mittels einer gekreuzigten Maus zu schützen! (SZ, 3.6.)

Die Frage des verurteilten Volkszählungsgegners nach der Verhandlung: "Warum braucht der Freistaat Bayern mich unbedingt als Staatsfeind?" geht allerdings an der Sache vorbei.

Einerseits hat diese Bundesrepublik tatsächlich derzeit keinen organisierten Feind, der ihr das Leben schwer machen könnte. Die Vereine, die dies oder ähnliches einmal im Programm hatten, sind entweder vom Staatsschutz zerschlagen oder haben sich in allerlei bunte "Widerstandsbewegungen" aufgelöst, die die Maßstäbe der Politiker teilen und mit diesen um deren Auslegung rechten, manche "Fehler" und "Versäumnisse" aufrechnen und ihre Gegner stets aufs neue vor dem Verlust ihrer "Glaubwürdigkeit" warnen. Die Bequemlichkeit dieses Erfolges hat die für die "innere Sicherheit" Verantwortlichen aber nicht zur Untätigkeit veranlaßt, sondern dazu, sich auch und gerade ohne Opposition ein Staatsschutzgesetz nach dem anderen zu geben. Insofern "braucht" der Freistaat Bayern das tapfere Fragebogen-Schneiderlein gar nicht als Staatsfeind. In ihrem total demokratischen Ordnungsfanatismus ohne äußeren Anlaß definiert sich die Republik ganz frei ihre Feinde eben auch aus dem Lager des alternativen Demokratie-Idealismus zurecht. Ohne Rücksicht auf die Beteuerungen ihrer Opfer, es doch nur "gut" zu meinen, nehmen die Zimmermänner des Landes, gewitzt, was so mancher Eid wert ist, gerade noch die Schwüre ihrer versöhnlichen Kritiker, sie seien doch auch Demokraten und vielleicht sogar die besseren, als eine einzige Heuchelei, die nur eine prinzipiellere Feindschaft verhüllen solle. Dem Hirn eines Stoiber will es nun einmal nicht einleuchten, wie sonst, wenn nicht als Feind oder dessen (un)freiwilliger Helfer man darauf verfallen könnte, sich die Republik anders zurechtzudenken als er und seine CSU/CDU. Die haben sich nicht nur die christlichen Kammerjäger der Demokratie nun einmal so zurechtgelegt, daß sie lässig mit jedem auch nur gedachten gegnerischen Geziefer fertigzuwerden habe, weshalb sich die führenden Mannschaften auch über Jahre hinweg abstruse Diskussionen der luxuriösen Art leisten, ob man sich nicht zur Perfektioniervng des staatliihen "Strafanspruchs" auch einmal eine funktionelle Ausnahme hiervon genehmigen solle.

Das Ergebnis dieser Debatte, die neue Kronzeugenregelung, zeigt, mit welch unvoreingenommenem Pragmatismus die Rechtsstaatler auch der "Großzügigkeit" fähig sind, wenn es einer guten Sache dient. Die Einführung einer Mindeststrafe von drei Jahren für "terroristische Mörder" hat da tatsächlich nur den Charakter eines Zugeständnisses an das nicht so flexible gesunde Volksempfinden: "Korrektur für das irritierte Rechtsempfinden der Allgemeinheit" (SZ, 18.5.). Allerdings gibt es auch Bereiche im tätigen Vollzug des Rechtslebens, wo Weitherzigkeit und Verständnis nicht nur Ausnahme, sondern die Regel sind: einen davon dort, wo das Recht ins Verhältnis zu sich selbst tritt als bewaffnete Vollzugs-Hundertschaft. So wie der Kopf ein Herz dafür hat, wenn ihm einmal die Hand ausrutscht, findet es ein demokratischer Innensenator zwar "bedauerlich", wenn seine Spezial-Knüppelgarde beim Aufmischen von "Rechtsbrechern" gleich auch noch die Brüder von der Medien-Hetzfront und sogar Kollegen in Zivil mitvermöbelt. Er legt aber schon auch Wert drauf festzustellen, daß es erstens zum "Berufsrisiko von Journalisten und Polizisten gehöre, wenn sie in Gewaltmaßnahmen der Polizei gerieten" (SZ, 18.5.), und es zweitens sogar ein Beweis für das demokratische Bewußtsein seiner "für besondere Lagen" und in "einsatzbezogenem Training" scharf gemachten Truppe sei, wenn sie, einmal von der Kette gelassen, vollkommen gleichheitsgrundsatzmäßig "ohne Ansehen der Person vorgehe" (ebd.). Daß man da dem preußischen Herrn Innensenator nicht widersprechen könne, fand auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, als er "friedliche Demonstranten" in Wackersdorf, "die zu den militanten Störern deutliche räumliche Distanz hielten" (SZ, 18.5.) und dennoch durch den Beschuß mit Kampfgas "unvermeidlicherweise in Mitleidenschaft gezogen" wurden, mit ihrem Demonstranten-Risiko und dem absolut egalitären und daher rechtmäßigen Charakter von CS-Gas vertraut machte.

Von einem Höhepunkt rechtsstaatlichen Großmuts ist abschließend, noch einmal aus München, zu berichten, dessen Nutznießer ausgerechnet Kommunisten waren: Sie hatten eine reichlich ekelerregende demokratische Selbstfeierstunde, in Szene gesetzt von der "Weiße-Rose-Konferenz" und aufgeführt an historischer Stätte im Lichthof der Münchner Uni, mit ein paar abweichenden Meinungen in Flugblatt-Form bereichert; sie wurden, wie es eine Rednerin der Veranstaltung - "sehen Sie, das ist der Unterschied zu damals" - für nötig hielt festzustellen, dennoch "nicht verhaftet und hingerichtet".