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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1988 erschienen.

Ein Geld wird 40:
"DIE DM - VOM KELLERKIND ZUM WELTSTAR"

Ein Jahrestag ohne kritischen Unterton. Statt dessen nur Freude und Zufriedenheit über die prächtige Entwicklung "unserer DM".

Alle Welt hält sie für sehr "hart"; Geschäftsleute und Notenbanken verschiedenster Nationen verwahren sie gern in Kellern und auf Konten; sie ist eine "Weltreservewährung", die sogar dem Dollar Konkurrenz macht; ausländische Staaten und Bevölkerungen freuen sich, wenn ein deutscher Unternehmer mit seinen DM anrückt, um einheimische Waren oder Arbeitskraft einzukaufen - die man ihm dann auch billig gibt -; ein deutscher Politiker kann in den allermeisten Ländern der Welt mit Entgegenkommen rechnen, wenn er mit einem Kredit winkt; und schließlich profitiert nicht zuletzt der deutsche Urlauber von der "Kaufkraft der DM". Das hat er auch nötig; denn meist hat er nicht allzuviel davon.

Anläßlich des Jubiläums waren Deutsche ohne Ansehen ihrer Klassenzugehörigkeit aufgerufen, ihre Währung zu beglückwünschen und sich mit ihrem Wohlergehen zu identifizieren. Das ist verständlich. Politiker und Unternehmer freuen sich über die Macht, die in der DM repräsentiert ist. Sie haben darin ein Zugriffsmittel auf Reichtum im In- und Ausland, das den Konten der Kapitalisten beständig Nullen hinzufügt und den Einfluß des Staates ebenso beständig vermehrt. Und, nicht zu vergessen: In der DM besitzen sie eine unschlagbare Kommandogewalt über jenen Rest der nationalen Mannschaft, der mit dieser Währung seine eigenen Erfolgserlebnisse gehabt hat: Immerhin hat er in 40 Jahren, wenn man einmal von der Inflation absieht, 1000 harte Deutschmark mehr pro Kopf und Monat verdient. Wenn das einfache Volk davon absieht, daß die Quantität ihrer DM nie reicht, dann spricht nichts dagegen, daß es die Qualität dieser Währung mitfeiert.

Der Vater aller Dinge: eine Währungsreform

Man kann es so sehen, und so fängt die Märchenstunde über die "Geburt der DM" ja auch immer an, daß von '45 bis '48 in Deutschland unerträgliche Zustände herrschten. Fast so etwas wie eine klassenlose Gesellschaft. Es gab kaum jemanden, der Arbeiter einstellen und entlohnen wollte, wenig zu essen, viel zu frieren - und sehr viel Ungerechtigkeit: Die, die über "Sachwerte" verfügten, waren die Kings, der Unterschied zwischen arm und reich war unübersehbar, unübersehbar auch, daß die meisten der alten Reichen schon wieder zu den neuen Reichen zählten - aber es schlichen sich auch sehr viele Neureiche ein, deren Verdienst in keinem Verhältnis zu ihrer Arbeit einerseits oder zu ihrem Kapitaleinsatz andererseits stand: (Nach-)Kriegsgewinnler, Schwarzmarkthändler, Bauern, Schieber, Kleinkriminelle aller Art. Mit ohnmächtigem Zorn mußten deutsche Familienväter - miterleben, wie sie für eine Scheibe Speck den letzten Familiennachttopf hergeben mußten oder für eine Zigarette entwürdigende Dienste für einen dieser Lackaffen zu verrichten hatten. Überhaupt die "Zigarettenwährung": Darin drückte sich in geradezu schlagender Form die Unhaltbarkeit der damaligen Zustände aus. Erstens hing die Überlebenskraft ganzer Großfamilien von den Spendierhosen eines (womöglich schwarzen) GI ab; zweitens widersprach der Gebrauchswert dieses Tauschwerts seinem Gebrauchswert als Tauschwert. Diese Währung wurde zinslos weggeraucht.

Da schlug die Währungsreform wie ein Blitz dazwischen, und die DM verrichtete wahre Wunderdinge. Am ersten Tag schaffte sie es, "alle Deutschen fast gleich zu machen" (Hans Jochen Vogel auf der Feierstunde) - weil der Staat nämlich jedem nur 60 Mark gab -, und haufenweise Waren in die tags zuvor noch leeren Schaufenster zu zaubern. Am zweiten Tag hatte sie es geschafft, alle Deutschen ordentlich zu sortieren, nämlich in Klassen. Schlagartig war klar, daß es nur noch zwei anständige Erwerbsquellen gab: Arbeiten und Arbeitenlassen. Ab sofort stand fest, daß Ziel und Zweck eines jeden Mitglieds dieser Gesellschaft sein mußte, an dieses Lebensmittel zu kommen, und sofort stellte sich heraus, daß die einen nichts anderes als ihre Arbeitskraft anzubieten hatten, während andere - die wenigeren - urplötzlich Fabriken und Läden hervorzauberten, in denen Arbeiter ihre Arbeitskraft und Käufer ihre Kaufkraft ablieferten. Gerechterweise bekamen die wenigeren noch einmal 60 Mark extra für jeden Arbeitsplatz, den sie sich vom Notwendigsten absparten. So mancher Schwarzmarkthändler und Kriegsgewinnler mußte dabei feststellen, daß seine Zigarettenlager einer unheimlichen Entwertungsrate unterlagen, während andere rechtzeitig den Absprung schafften und ihr Vermögen in anständiges Kapital umwandelten - und dann endlich zurecht Neureiche hießen.

Mit den 60 Mark pro Mann, hätte man denken können, war die Volkswirtschaft von vornherein zu sehr kleinen Sprüngen verurteilt. Aber die "Wirtschaftssubjekte", die Geld vorschießen, um es mit Profit angereichert zurückzubekommen, ließen sich von der "begrenzten Nachfrage" überhaupt nicht irritieren. Sie produzierten fröhlich drauf los, räumten ihren Käufern - sofern es sich um ihresgleichen handelte - großzügig Kredit ein, kauften wiederum selbst auf Kredit, und schrieben auf ihren Guthaben immer größere Summen auf. Diese Guthaben befanden sich bei den Banken, die ebenfalls aus dem Boden schossen, weil sie diese Guthaben anstandslos wie ordentlichen Reichtum betrachteten und ihrerseits die Gelegenheit ergriffen, Kredite zu vergeben. Die "Bank deutscher Länder" betrachtete dieses Treiben mit Wohlgefallen, warf ihre gesetzlich geschützten Druckmaschinen an und lieferte Bargeld aus, sofern eine Geschäftsbank ein begründetes "Liquiditätsbedürfnis" nachwies. So wusch eine Hand die andere: Immer mehr DM wurden in die Welt gesetzt, immer größere Kreditsummen aus- und gutgeschrieben, immer neue Händel und Produktionen damit angeleiert, die wiederum Gelegenheit abgaben, Kredite zu "schöpfen" und mehr DM anzufordern.

Die Staatsreform

Dies alles waren natürlich keine Leistungen der Deutschen Mark, sondern der amerikanischen Staatsgewalt. Als diese beschloß, deutsche Lande mit einem bei ihr gedruckten, also auch mit ihrem Segen versehenen Geld einzudecken, war über Nacht auch wieder das "Vertrauen" da, das während der 3 Nachkriegsjahre so schmerzlich vermißt wurde. Diese Nachkriegsjahre zeichneten sich dadurch aus, daß die oberste Siegermacht noch nicht entschieden hatte, was sie mit dem kleinen Deutschland anfangen wollte. Nachdem aber die Würfel zugunsten des "Frontstaates" gefallen waren, also der deutsche Staat wieder Kredit genoß, handelten die USA schnell und tatkräftig: Erstens mußte der deutsche Staat überhaupt eingesetzt, zweitens ihm das Mittel des ökonomischen Aufbaus an die Hand gegeben werden. Grundgesetz und Zwang des Geldes - die zwei Pfeiler der für die Amerikaner selbstverständlichen Entscheidung zu einem kapitalistischen Aufbau.

Die 60 Mark pro Mann sind da tatsächlich eher ein Witz. Worauf es ankam, war die Kreditwürdigkeit des deutschen Staates, die sich sofort in handfesten ökonomischen Kredit übersetzte. Dafür bedurfte es nur einer kleinen Voraussetzung, nämlich der Garantie des Eigentums und seiner Funktionstüchtigkeit. Diese Garantie leistete der neugebackene Staat mit Hilfe von Polizei, Justiz, dem Aufdruck "...wer nachmacht oder verfälscht..." sowie einem Rechenkunststück: Die alte Reichsmark wurde im Verhältnis von 100:6,5 auf Deutsche Mark "umgestellt". Während der berühmte "kleine Sparer" mal wieder seinen kleinen Ersparnissen nachtrauern durfte, waren die Banken ihre Bauchschmerzen los, die ihnen ihre riesigen Guthaben aus den Zeiten der Kriegsfinanzierung für den Vorgängerstaat verursachten. Über Nacht hatten sie einen Batzen anständiges Geld zur Verfügung. Damit nichts anbrannte, schoß der Staat gleich nochmal 17 Milliarden Mark nach. Die Zuflüsse aus dem Marschall-Plan und eine demokratische Einheitsgewerkschaft noch hinzugerechnet, war eine solide Basis geschaffen, die Gleichung Kredit = "Vertrauen" = Ausbeutung ihrem eigenständigen Wirken zu überlassen.

Seither hat sich die "Kaufkraft" der DM bei aller "Härte" um zwei Drittel vermindert. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da der bundesdeutsche Staat sofort loslegte und seine Ausstattung nicht bloß per Steuern aus dem ökonomischen Treiben seiner Bürger abzweigte, sondern je länger um so mehr seine Geschäftsleute mit einer ständig wachsenden Zahl von Staatsschuldverschreibungen beehrte. Inflation war somit von vornherein in das deutsche "Wirtschaftswunder" mit eingebaut, und alle Klagen darüber sind sehr heuchlerisch: Schließlich ist eine Klassengesellschaft nicht zuletzt dafür da, daß sich der Staat an ihrem Reichtum bedienen kann. Dafür dient er dann auch dem Geschäft seiner Gläubiger; und an der Munterkeit des nationalen Geschäftsmittels zeigt sich der Erfolg dieser guten Zusammenarbeit.

Das Ganze heißt seither "Marktwirtschaft", und die Großtat des Ludwig Erhard soll darin bestanden haben, daß er allen Verlockungen widerstand, sich darin einzumischen. Wozu auch - er hatte sie ja auftragsgemäß eingerichtet.

Diese Einrichtung funktioniert bis zum heutigen Tage wie geplant: Die einen vermehren die D-Märker, die ihnen nicht gehören; den anderen gehören die D-Märker um deren Mehrung die ganze Nation sich dreht. Weiter so, DM!