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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1988 erschienen.

Elmar Altvaters Sachzwang Weltmarkt:
VERLIEBT IN "DIE KRISE"

Elmar Altvater erweist sich in seinem neuesten Buch erneut als Großmeister des "Krisen"-Gedankens. "Krise", das ist für ihn nicht etwa eine Phase im Konjunkturzyklus des sich verwertenden Kapitals; nämlich die Phase, in welcher vorhandenes Kapital und lohnende Kapitalanlagemöglichkeiten allgemein auseinandertreten, wobei mit dem Durchstreichen einiger Werte einiges an Gebrauchswerten und ziemlich viel Menschenschrott - auf der Strecke bleiben, aber genau so Kapitalverwertung wieder zu der ungemein lohnenden Sache wird, die mit viel Kredit rücksichtslos gegen jede selbstproduzierte Schranke des zahlungsfähigen Bedürfnisses solange flott läuft, bis sich erneut das Wertgesetz zu Wort meldet. Dies meint Altvater nicht. Für ihn ist die Krise vielmehr eine Art Universalkategorie, mit der er sich alles, was er auf der Welt an"Störungen" registriert, erklären kann.

Bereits im Buchtitel - "Sachzwang Weltmarkt. Verschuldungskrise, blockierte Industrialisierung, ökologische Gefährdung - Der Fall Brasilien." (VSA 1987, 382 Seiten) - stellt Altvater klar, daß für ihn die Leistungen der imperialistischen Ordnung der Weltwirtschaft ein einziges "Blockieren" und " Gefährden" sind, das vor keiner Unterabteilung des Weltmarkts halt macht. Nichts klappt. Der "Krise" kann nichts und niemand entrinnen.

Wer die Vollendung des Weltmarktes bisher begriffen hatte als die Eröffnung neuer Freiheiten für Warenexport und Kapitalanlage; wer bisher in der Internationalisierung und Aufblähung des Kreditgewerbes das Bedürfnis des Bankkapitals erfüllt sah, zur rentablen Bedienung der gesamten kapitalistischen Geschäfts- und Staatenwelt auf die Finanzmittel sämtlicher Geldbesitzer auf dem Globus zurückgreifen zu können, und wer in der chronischen Verschuldung der Drittweltländer bisher den Beleg für - staatlich und suprastaatlich verbürgte - Erfolge der Welt des produktiven und des Bankkapitals sah, der hat es sich mal wieder zu einfach gemacht und muß mit Altvater umlernen; was ohne einen Grundkurs in seiner Krisentheorie nicht geht.

I. Die Krise: Logik einer Universalkategorie...

1. Scheitern an erfundenen Zwecken

Über die "Krise des modernen Sozialstaates", die bei Altvater für das angeblich vollständig zerrüttete Innenleben der kapitalistisch verfaßten Industriestaaten seit den 70er Jahren typisch ist, vermeldet er etwa:

"Den begrenzten Mitteln (des Sozialstaates) ist das funktionale Scheitern geschuldet; Einkommen aus Erwerbsarbeit für alle Erwerbstätigen zu gewährleisten." (28)

Der "moderne Sozialstaat" befindet sich folglich in einer Krise, weil er es wegen begrenzter Mittel nicht (mehr) schafft, "Arbeitsgesellschaft" zu sein, also eine Gesellschaft auf die Beine zu bringen, in welcher die Bedingungen dafür gegeben sind, daß die Industrie nicht nur akkumuliert, sondern in der auf diese Weise allen Erwerbsfähigen auch Erwerbsmöglichkeiten offen stehen, die ihnen den Lebensunterhalt sichern. Der Beleg für das Scheitern des Sozialstaates sind für Altvater die Arbeitslosen, die bei ihm "strukturelle Massenarbeitslosigkeit" heißen.

Erklärt ist mit dem Verweis auf angebliche Unterlassungen des Sozialstaats natürlich die Existenz keines einzigen Arbeitslosen. Denn dadurch, daß der Sozialstaat nicht für Beschäftigung sorgt, werden bekanntlich die Leute nicht arbeitslos. Der Auftrag, den Altvater dem Sozialstaat anträgt, setzt bereits jene Arbeitslosen voraus, die bei Altvater das Produkt seines zum Scheitern verurteilten Sozialstaats sind. Der Zweck, an welchem Altvater den Sozialstaat scheitern läßt, hat dabei mit dem, was der Sozialstaat ist und leistet, nichts, viel aber mit dem, was ihm Altvater als sein Ideal von Sozialstaat unterstellt, zu tun. Dabei möchte Altvater sein Ideal einer "Arbeitsgesellschaft" nicht nur im und durch den Sozialstaat realisiert sehen, er geht zudem davon aus daß die Repräsentanten des Sozialstaates sich seinem Ideal gleichfalls verpflichtet haben.

Den Beleg für sein Urteil, der Zweck des Sozialstaats sei Vollbeschäftigung, bleibt Altvater dabei nicht nur schuldig, er tritt ihn erst gar nicht an. Er leistet es sich, bereits dort mit der Diagnose einzusetzen, wo nicht einmal der Befund redlich benannt ist. Denn ob Arbeitslosigkeit für den Sozialstaat überhaupt jenen Mißstand darstellt, der sie für die Arbeitslosen ist; ob die Arbeitslosen ein "Mißlingen" von Zwecken anzeigen, die der Sozialstaat sich selbst gesetzt hat; ob die Arbeitslosigkeit also ein "Scheitern" belegt, ob sie ein n Kauf genommenes Resultat bei der Verfolgung ganz anderer Anliegen oder ob sie gar ein sehr bezwecktes Ergebnis darstellt, das ist der Arbeitslosigkeit so nicht zu entnehmen. Dem Altvater reicht das: Wo Mißstände angeprangert werden, da ist irgendwelchen Verantwortlichen ein Mißlingen anzukreiden. Den öffentlichen Krokodilstränen über einige Millionen Bürger ohne Einkommen muß man dafür nicht nur auf den Leim gehen, sondern jene Tränen als unerschütterlichen Beleg dafür nehmen, daß hier zugleich die Politiker des Sozialstaats ihr eigenes Versagen beweinen. Schon gelten die albernsten Sprüche der sozialkundlichen Indoktrination des Nachwuchses als wissenschaftlich geprüfte Wahrheiten. Und ab sofort läßt sich nach der Logik, daß ein Fahrrad irgendwie ein zum Scheitern verurteiltes Flugzeug sei, über "Leistungen" des Sozialstaats fabulieren, die allein dem Reich frommer Wünsche entlehnt sind. Die tatsächlichen Leistungen, wie etwa die der Sozialversicherungen - Kernstück des Sozialstaats -, passen in dieses Bild nicht hinein: Bekanntlich sehen diese Versicherungen erstens den Fall der Erwerbslosigkeit als massenhaftes Schicksal vor und erteilen zweitens mit ihren "Hilfen" den Erwerbslosen den Auftrag, sich als Glied der Reservearmee in Bereitschaft und fit zu halten. Der Sozialstaat entdeckt nämlich in der Arbeitslosigkeit kein nationales Unglück, sondern eine ökonomische Lage, die benutzt wird und deswegen staatlich verwaltet gehört. Die sozialstaatliche Betreuung der Reservearmee, die vom Kapital als Arbeitsreserve und als Lohndrücker eingesetzt wird, kennzeichnet die Leistung des Sozialstaats. Aber weil die Betreuung der Reservearmee deren Abschaffung nicht leistet, also nicht leistet, was sie gar nicht leisten soll, entdeckt Altvater ein einziges Versagen des Sozialstaats.

2. Scheitern kommt vom Scheitern

Mit dieser idealistischen Konstruktion der Welt ist nur der erste Schritt zur Entfaltung der wahren Größe der Universalkategorie "Krise" gemacht. Altvaters besondere Leistung, mit der er sich aus der Welt des gewöhnlichen Idealismus absetzt, ist seine Erklärung des Scheiterns. So liegt etwa das Scheitern des Sozialstaates für ihn in der "Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung" begründet:

"Aufgrund der geringen Investitionsneigung ist der reale Akkumulationsprozeß ins Stocken geraten, und daher eind in allen Industrieländern, wenn auch mit zum Teil beträchtlichen Unterschieden, der Beschäftigungsgrad rückläufig und die Arbeitslosigkeit strukturell verfestigt. Man kann daher auch von einer Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung sprechen, die für die 'Krise der Arbeitsgesellschaft' verantwortlich ist." (228)

Wenn eine Erklärung, die doch den Grund des konstatierten Phänomens 'Arbeitslosigkeit' angeben soll, mit dem Urteil endet, daß Wachstum sie nicht verhindert habe, dann ist man genauso schlau wie zuvor. Erfahren hat man keinen positiven Grund für die Arbeitslosigkeit, sondern ein neues Ideal von Altvater. Wachstum, so unterstellt sein Gedanke, habe eigentlich Beschäftigung zu schaffen: Wachstum und Beschäftigung, so behauptet er, sind aneinander gekoppelt. Wenn sie entkoppelt werden, dann - logo - kann nicht dasselbe Resultat herauskommen, welches bei Koppelung zu erwarten gewesen wäre. Altvaters "Erklärung" des Scheiterns des Sozialstaates besteht folglich darin, daß er nun die Akkumulation an gleichfalls erfundenen Zwecken scheitern läßt. Den Sozialstaatsvollbeschäftigungsidealismus dichtet er jetzt der Akkumulation an, so daß der Sozialstaat scheitern mußte, weil schon die Akkumulation an ihrem Beschäftigungsauftrag gescheitert ist. Müßig ist auch hier der Hinweis, daß jede Akkumulation, die eine Rationalisierung der Produktion ins Werk setzt, den angeblichen Beschäftigungszweck von Investitionen widerlegt. Altvater weiß das, aber dieses Wissen interessiert ihn an dieser Stelle nicht, weil er es nicht gebrauchen kann.

Das Krisen-Karussell hat sich weitergedreht und dabei einen neuen Befund erbracht, auf welchen es ALTVATER sehr ankommt: Wenn nämlich dem Scheitern des Sozialstaats das Scheitern der Akkumulation zugrundeliegt, dann liegt es für ALTVATER auf der Hand, daß das Scheitern des Sozialstaats notwendig ist.

Sein theoretischer Anspruch, nicht Schuldfragen zu wälzen, sondern Erklärungen anzubieten, führt ihn zu einer Verdopplung seiner idealistischen Konstruktion: er bietet keinen positiven Grund an, der die Arbeitslosigkeit erklärt, sondern setzt den Zirkel der Negativ-Begründungen weiter fort.

Das Spielchen läßt sich weiter treiben und wird von ALTVATER weitergetrieben: Warum mußte notwendig die Akkumulation an ihrem Beschäftigungszweck scheitern? Klar doch, "aufgrund der fehlenden Investitionsneigung"! Hier läßt sich die Dummheit des Gedankens wirklich nicht mehr hinter dem theoretischen Gestus verbergen: Grund für die "stockende Akkumulation" soll die "fehlende Neigung" zur Akkumulation sein. Wer hätte gedacht, daß es denen an Neigung zum Investieren gefehlt haben muß, die beschlossen haben, sie zu stoppen! Die Verdoppelung desselben Phänomens in die (unterlassene) ökonomische Maßnahme und den (fehlenden) Willen zu ihr erklärt nichts. Nach Altvaters Krisenlogik jedoch alles, denn wahrscheinlich ist im Gefolge der Akkumulation auch die (Akkumulations-) Neigung in ihre Krise geraten.

3. Krise ist Schicksal

Wenn jetzt noch alle Länder

"ähnliche Krisenindikatoren aufweisen, dann ist offenbar das kapitalistische Weltsystem in der Krise; dann ist die zu untersuchende Einheit nicht die einzelne Nation, komparativ zu anderen in Beziehung gesetzt, sondern das kapitalistische Weltsystem insgesamt. ... Seit Mitte der 70er Jahre ist die Krise auch in dem Sinne allgemein, daß sie alle Nationen und Regionen in ihren Bann gezogen hat." (228 f)

Der Zirkel der unentrinnbaren Krisenhaftigkeit des "kapitalistischen Weltsystems" ist geschlossen. Krise ist jetzt ein notwendig sich selbst bedingender und alles erfassender "Sachzwang". Damit hat Altvater den Übergang von den Krisen zu der Krise vollzogen. Konnte man bei der Krise des Sozialstaats und der Krise der Akkumulation noch davon ausgehen, daß es diese jeweils zu erklären galt, so hat sich Altvater jetzt umgekehrt zu "der Krise" als dem Allgrund aller (Krisen-)Phänomene, wie er sie auf der Welt entdeckt, vorgearbeitet. "Die Krise" zieht alles in ihren Bann, lautet die Auskunft, mit der Altvater den methodischen Begriff der von ihm zusammengetragenen Phänomene (von der Arbeitslosigkeit bis zum Umweltschutz) für ihre Erklärung ausgibt. Wirken müßte demnach so etwas wie eine allgegenwärtige Krisenhaftigkeit, die getrennt von den Gesetzmäßigkeiten der nationalen Akkumulation oder des Weltmarkts, in den Drittweltländern oder im entwickelten kapitalistischen Sozialstaat immer für "Krise" verantwortlich ist. "Krise" ist damit Schicksal: drohend, allumfassend, unentrinnbar und ziemlich unerklärlich. Dies ist die Konsequenz des zu Ende geführten Zirkels, in welchem die eine Krise aus der nächsten Krise erklärt wird oder diese erklären soll.

Krise taucht darin zwangsläufig immer doppelt auf: Einmal ist sie das u Erklärende, und dann ist sie zugleich die Erklärung, sie ist immer Tatbestand und sein eigener Grund, sie ist die Summe von als Störung definierten Phänomenen und zugleich die Wahrheit über sie; so etwa, wenn die "Krise des Sozialstaats" aus der "Krise der Akkuulation" erklärt wird, diese wiederum aus der "Krise des kapitalistischen Weltsystems", welches seinerseits auf "Krise allgemein" verweist. Diese Tautologien-Kette, die ihre Plausibilität als Erklärung ausgerechnet dadurch gewinnen soll, daß jedes weitere Kettenglied dünner und leerer wird, hebt letztendlich den ganzen Krisen-Gedanken auf: Wenn immer die Krise aus der Krise erklärt wird, dann fehlt letztlich jeder Grund für sie. Es sei denn, sie ist sich selbst ihr eigener Grund: Die Krisenhaftigkeit von diesem und jenem führt notwendig zur Krise. In diese letzte bombastische Tautologie löst sich Altvaters Krisengeschwafel auf, das damit endgültig nicht mehr mit einer Kritik des Kapitalismus verwechselt werden kann. Entsprechend fallen seine Urteile über den Kapitalismus aus:

4. Kapitalismus: ein Nicht-Funktionieren-Können

Wenn Altvater die Krise des Sozialstaats ausruft, beklagt er weder die Arbeitslosigkeit, noch will er ihre Behebung durch den Sozialstaat einklagen, wie dies der gemeine Idealismus tut. Er ist nämlich kein Parteigänger der Arbeitslosen, sondern er ist allein Parteigänger des Krisengedankens. Die Welt unter seine methodische Krisenkonstruktion gezwungen, führt er den Nachweis, daß die Krise notwendig ist; und darunter versteht er, daß der Kapitalismus nicht funktionieren kann. Es mögen sich die Repräsentanten des Sozialstaats noch so sehr abmühen; ihren Auftrag, Beschäftigung zu sichern, müssen sie notwendig verfehlen, weil eben die Akkumulation in der Krise ist usw.

Die Notwendigkeit einer Sache zu erfassen, heißt eben bei Altvater nicht, nach einem positiven Grund für das eine oder andere Ärgernis zu suchen, sondern dieses als ungewollte, aber unausweichliche Wirkung eines anderen Sachverhalts zu behaupten. So gerät ihm jede Erklärung der Arbeitslosigkeit (der Drittweltverschuldung, des sinkenden Dollars usw.) zum Nachweis, daß der Kapitalismus "seit den 70er Jahren" einfach nicht mehr n der Lage sei, so zu funktionieren, wie es Altvaters Begriff von Wachstum und Sozialstaatstätigkeit entspricht.

Das merkwürdige Interesse am Nachweis des Nicht - Funktionieren - Könnens ersetzt damit den theoretischen Standpunkt, den Kapitalismus erklären zu wollen, durch die Verrücktheit einer negativen Parteinahme für ihn. Theoretische Sorgen um das Funktionieren des Kapitalismus sind nämlich selbst dann noch sehr am Kapitalismus interessierte Sorgen, wenn dessen Funktionieren theoretisch blamiert werden soll. Die Frage, ob der Kapitalismus funkionieren könne, die muß man sich schon gestellt haben, auch wenn man sie negativ zu beantworten gedenkt.

5. Kapitalismus ohne Verlierer

Der Idealismus, der bei ALTVATER jede Krise dadurch konstituiert, daß sich an ihm vergangen wird, sorgt für die Fiktion eines Kapitalismus, in welchem eigentlich die Interessen aller in ihm zur Geltung kommen könnten, wenn es eben nicht "die Krise" gäbe. Das Vollbeschäftigungsideal der Akkumulation etwa behauptet die prinzipielle Verträglichkeit des Anliegens der Kapitalisten, Investitionen als Mittel des Geschäfts zu tätigen, mit dem der Arbeiter, sich von dem Geschäft ihre Scheibe abzuschneiden. So werden Unternehmergewinn und Arbeitereinkommen verträgliche Größen, auch wenn jede die andere beschneidet. Und erst die Dazwischenkunft der Krise zerstört das Bild einer einträchtigen Gemeinschaft von Ausbeutern und ihrem Material im Kapitalismus. Verwundern darf das nicht mehr, ist doch Altvaters theoretisches Interesse, das Nicht-Funktionieren-Können des Kapitalismus nachzuweisen, nur die Konsquenz eines umgedrehten Harmonieideals. Es muß das Bild eines Kapitalismus ohne Verlierer erst einmal entworfen sein, damit der Krisentheoretiker sich daran begeben kann, in der Krise den Allgrund dafür zu entdecken, warum seine schöne Idealität des Kapitalismus nicht Wirklichkeit werden kann. Es muß erst einmal behauptet sein, daß Lohnarbeiter hierzulande die potentiell erfolgreichen Teilhaber an jener Ausbeutung sind, der sie unterliegen, ehe dem Kapitalismus durch "die Krise" das "Scheitern" in dieser Frage artiger Aufteilung des produzierten Reichtums attestiert wird.

Genaugenommen bringt deswegen die Krise für Altvater auch nicht etwa jene Gegensätze zutage, die den Kapitalismus auszeichnen, sondern nur Störungen des unterstcllten Funktionierens.

6. Kapitalismus scheitert an Konkurrenz

Im Aufspüren von Opfern ist Altvater deswegen auch nicht kleinlich. Auf seiner Opferliste stehen nicht nur die Arbeitslosen, die verelendeten Massen in der "Dritten Welt", sondern alle, die irgendwo auf der Welt einen Verlust zu beklagen haben: Der Schuldner, der wegen fehlender Einnahmen in Zahlungsverzug gekommen ist, ebenso wie der Gläubiger, der schon mal einen Kredit bschreiben muß; der Arbeiter, der keine Beschäftigung hat, ebenso wie der industrielle Kapitalist, dessen Akkumulation ins Stocken gerät oder der seine Gewinne einfach nicht mehr gescheit anlegen kann. Kein Wunder, ist doch die Krise allgemein.

Die systematische Verwandlung eines jeden wie auic immer gearteten Verlustes in Zeichen für Krise steht letztlich nicht nur für das Ideal eines Kapitalismus ohne den Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, sondern für das Ideal eines Kapitalismus ohne Konkurrenz, welches der Kapitalismus bloß eben nie verwirklichen kann. Ökonomisch verwechselt Altvater also Konkurrenz mit Krise: Überall dort - in der Konkurrenz der Kapitale, in der Konkurrenz von Industrie- und Bankkapital, in der Konkurrenz von Staaten usw. -, wo die Konkurrierenden selbst oder die Konkurrenzobjekte Schaden nehmen - sei es weil sie in der Konkurrenz verloren haben, oder sei es, weil sie in der Konkurrenz erfolgreich als Material benutzt worden sind -, entdeckt Altvater das Scheitern des Kapitalismus. Als Fanatiker eines (umgedrehten) Harmonieideals tilgt er folglich am Kapitalismus die Form, in der es ihn überhaupt nur gibt: als Konkurrenz der Privateigentümer einerseits und Gegeneinander ihrer politischen Herren andererseits.

Nach diesem Grundkurs in Krisenlogik verfügt man über ein Instrumentarium, das so universell angewandt werden kann, wie "Mißstände" auf der Welt in die Schlagzeilen gebracht werden. Dazu muß man nur (1) die "Mißstände" als ein "Mißlingen", als ein "Scheitern" definieren, wozu es unumgänglich ist, dem "Scheiternden" Zwecke anzudichten, die dieser nicht verfolgt; hat dann (2) das "Scheitern" hier mit einem "Scheitern" dort zu erklären, womit dann die "Krise" ausgerufen wäre; diese muß (3) als unausweichlich, weil als Resultat einer alles umfassenden "Krise des Weltsystems" vorgestellt werden; wodurch der Gegenstand ziemlich komplex, dafür aber die Botschaft (4) umso einleuchtender wird, daß der Kapitalismus einfach nicht funktionieren kann; was höchst bedauerlich ist, wo doch (5) eigentlich alle, die ihr Scherflein oder Scherf zur weltweiten Akkumulation beitragen, eigentlich gleichermaßen Gewinner dieser Wirtschaftsordnung sein könnten, wenn es eben nicht "die Krise" gäbe; weshalb folglich (6) alle, die irgendwie zu Verlierern von Konkurrenz zählen - egal, ob sie Konkurrenten sind oder überhaupt nur als Verlierer der Konkurrenz vorgesehen -, gleichermaßen zu den bedauernswerten Opfern des weltweiten Wirkens des in "die Krise" geratenen Kapitals zählen.

II. ...und ihre universelle Anwendung

Was dem Altvater an öffentlich angeprangerten Mißständen vor die Flinte kommt, wird jetzt mit der "Krise" abgeschossen. Das mag der Sozialstaat, die Akkumulation weltweit oder die Verschuldung der "Dritten Welt" sein. Dabei bleibt er nicht in seinem Revier, sondern beharkt auch die Ökologie nach diesem Muster oder nimmt sich die Hegemonie der westlichen Führungsmacht vor. An Material fehlt es ihm nicht. Und je offenkundiger der Imperialismus "Mißstände" - bei wem auch immer und welche auch immer - produziert, desto mehr fühlt sich Altvater in seinem Element und bestätigt: Das mit dem Imperialismus, das kann einfach nicht klappen!

Beispiel 1: Wie aus der Verschuldung der "Dritten" bei der "Ersten Welt"...

Wenn sich als Umgang mit den Milliarden-Schulden der Drittwelt- oder Schwellenländer die sogenannten Umschuldungsverfahren regelrecht eingebürgert haben, wenn diese Umschuldungen längst nicht allein die ursprünglich geliehene Summe, sondern jene Kredite betreffen, welche für die Zahlung von Zins und Zinseszins aufgebracht werden müssen, wenn überdies jede solcher Umschuldungsaktionen eine konzertierte Aktion von privaten, staatlichen und suprastaatlichen Geldinstituten wie der Weltbank ist, und wenn schließlich solche Aktionen die geschäftliche Seite immer mit politischen Auflagen verbinden, in denen der IWF gänzlich ungeniert dem verschuldeten Souverän seine Wirtschaftspolitik und manchmal noch mehr diktiert, dann sind all jene Klagen über die Schuldennöte, mit denen Gläubiger und Schuldner die Weltöffentlichkeit rühren möchten, auf dem Konto Heuchelei abzubuchen. Um die Rettung von zerrütteten Finanzen, um Abwendung von Staatsbankrotten, um die pure Verteilung von Verlusten geht es dann nämlich nicht. Und schon gar nicht haben solche internationalen Kreditoperationen die Beseitigung jener Hungersnöte im Auge, die nicht das Produkt fehlender Lebensmittel, sondern das Resultat einer Erpressung sind, jede Erdfrucht, mit der sich auf dem Weltmarkt eine Devise erzielen läßt, keinesfalls ökonomisch sinnlos in hungrige Mäuler zu stecken. Längst ist der Stand der Erpressung mit Schulden, die nie zurückgezahlt werden können, so weit gediehen, daß mehr als nur Dollar- oder DM-Gewinne bilanziert werden. Die Unterwerfung dieser Drittwelt- und z.T. auch der Schwellenländer unter die Kalkulationen der imperialistischen Geschäftswelt ist dermaßen vollständig, daß sie und die konkurrierenden politischen Sachwalter des Weltmarkts sich nicht mehr der Frage widmen, wie aus diesen Weltgegenden für Industrie- und Bankkapital ein Geschäft gemacht werden kann, sondern sie sich längst um die Aufrechterhaltung der Bedingungen kümmern unter denen objektiv bankrotte Staaten weiterhin für jedes ökonomische und politische Interesse des "freien Westens" benutzbar sind. Dafür müssen dann auch schon mal Staats- und Privatbanken Kredite in den Wind schreiben, also auf ihren Konten Verluste verbuchen. Die erstaunliche Lässigkeit, mit der sie das tun, verweist auf das Ausmaß jener Geschäfte, die sich unter pfleglicher politischer Betreuung sowieso weiter ergeben!

...eine "Verschuldungskrise" wird.

Wenn Altvater mit seiner Krisenlogik diesem Teil des segensreichen Wirkens des Imperialismus zu Leibe rückt, dann steht zwangsläufig alles auf dem Kopf:

Die "Verschuldungskrise" der Staaten der "Dritten Welt" soll erstens darin bestehen, daß diese ihre Schulden nicht zurückzahlen können: "Die Tilgung der aufgenommenen Kredite ist selbst den 'Musterländern' unter den Schuldnern nicht möglich." (247)

Der Sachverhalt trifft zu, doch was heißt da eigentlich Verschuldungskrise"? Besteht denn der kapitalistische Witz am Kredit darin, daß er zurückgezahlt werden soll? Wäre dann nicht jede Kreditausgabe geradezu eine fahrlässige Angelegenheit wenn doch der Rückfluß prinzipiell eine so unsichere Sache ist, daß noch jede Bank Sicherheiten verlangt?

Die Unterscheidung zwischen dem Anpumpen eines Kumpels und dem Kredit als Geschäftsartikel scheint Altvater nicht recht geläufig zu sein. Entweder nämlich ist die Finanzwelt verblödet, daß sie ständig Kredite, die nie getilgt werden können, ausgibt, oder das Geschäft mit dem Kredit läuft bei abgeschriebenen Krediten. Die Logik der Erpressung, die jedem Kreditgeschäft - übrigens auch dem, das zur beiderseitigen Zufriedenheit ausgeht - zugrundeliegt, soll ausgerechnet dort nicht greifen, wo der Schuldner nicht etwa nur am kürzeren, sondern an gar keinem Hebel sitzt. Dabei gibt es natürlich keine schönere "Sicherheit" für die internationale Gläubigermannschaft, als wenn ihr bzw. dem IWF und der Weltbank quasi die gesamte Wirtschaftspolitik dieser Staaten zur freien Bedienung ausgehändigt wird.

Doch ausgehend von der albernen Vorstellung, daß "Schuldenkrise" herrscht, weil nicht zurückgezahlt werden kann, wird von Altvater nur danach gefahndet, was jetzt alles nicht geht. So geht z.B. die "nachholende verschuldete Industrialisierung" (40 f.) dieser Staaten nicht mehr. Für Brasilien schreibt Altvater:

"Auch mit der Einräumung weiterer tilgungsfreier Jahre im Zuge von Umschuldungsvereinbarungen wäre die brasilianische Zahlungsbilanz bis an das Ende des Jahrtausends mit Zinszahlungen belastet, die die ökonomischen und gesellschaftlichen Bewegungsspielräume drastisch einschränken." (AdN, 26)

Das mag schon sein, aber vielleicht kommt es darauf in dem Kredit-Verhältnis dem Gläubiger und seinen politischen Freunden gerade an? Was ist das für ein Unfug, der Erpressung mit Schulden eine Krise anzudichten, für die als Beleg nur Phänomene angeführt werden, die den Erfolg der Krediterpressung belegen? Nach wessen Pfeife sich inzwischen Brasilien "bewegt", ist wirklich kein großes Geheimnis.

Eine "nachholende Industrialisierung" per Schulden zu befördern, das mag das Interesse der brasilianischen Führer gewesen sein, und es mag der politischen Verwaltung der brasilianischen Staatsfinanzen schon Kopfschmerzen bereiten, daß ihre Träume für ein kapitalistisch industrialisiertes, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiges Brasilien nicht aufgehen - aber was hat das mit einer Krise der Schulden zu tun? Wenn ein Wucherer die Zahlungsunfähigkeit seiner Schuldner dazu ausnutzt, bei diesen die Daumenschrauben stärker anzuziehen, würde wohl selbst ein Altvater nicht die "Verschuldungskrise" ausrufen. Zu sicher wäre selbst er sich, daß es in diesem Kreditverhältnis dem Wucherer genau auf diese Erpressung ankommt.

Doch Altvater nimmt teil an den - durchaus auszuhaltenden - Kopfschmerzen der Drittweltführer, denen so manches ehrgeizige Projekt -

"Finanziert wurden z.T. ehrgeizige Industrie-Projekte gigantischen Ausmaßes, aber auch Nepotismus, klientelistische Bereicherung, Kapitalflucht und der Ausbau des militärischen und polizeilichen Repressionsapparates, mit dem die herrschenden Klassen ihre Macht zu sichern hofften." (AdN, 20f.) -

durch die Lappen, in die Binsen ging oder vom IWF unterbunden wurde.

So finden sich denn die Führer der Drittweltstaaten ebenso unter den "Opfern der Verschuldungskrise" wie diejenigen Bevölkerungsteile, welche von ihnen permanent zu Opfern gemacht werden. Wenn die nationalistischen Träume der Führer der Drittweltländer nicht Wirklichkeit werden, ist das ebenso ein Beleg für die "Krise" wie das Elend derjenigen, auf die die Pinochets die Gewehrläufe richten, um sich ihre Träume oder um die IWF-Auflagen zu erfüllen:

Es bedeutet nämlich "der Transfer des Schuldendienstes in jedem Fall eine Verminderung des möglichen Konsumniveaus, was in einem Land mit Unterernährung und Unterversorgung mit privaten und öffentlichen Dienstleistungen nur um den Preis von Hunger und Elend machbar wäre." (147)

Was heißt hier "wäre"!?

Auf diese Weise lassen sich denn auch alle Unterschiede zwischen Brasilien und Nicaragua aus der Welt schaffen: Die Staatslenker Brasiliens wollen gar nicht, woran Altvater sie scheitern läßt; die Sandinisten möchten lieber heute als morgen ihre Bevölkerung besser versorgen, aber sie können aus bekannten Gründen nicht.

Und da zweitens im Gefolge dieser Sorte Konkurrenz im Kreditgeschäft mit den Drittweltländern bei Banken immer mal wieder Wertberichtigungen fällig sind, schon mal die eine oder andere Bank gegenüber den Mitkonkurrenten das Handtuch werfen muß, oder die Nationalbanken sich zum Eingriff genötigt sehen, gibt es für Altvater natürlich nicht nur innerhalb der "Beute" selbst, sondern auch bei den Konkurrenten m die Beute jede Menge Opfer:

"Die Umschuldungen sind eine Methode, um in den Industrieländern die Wirtschaftskrise, die sich insbesondere als strukturelle Massenarbeitslosigkeit zeigt, nicht noch bis zu einer Kreditkrise wie vor fünfzig Jahren zuzuspitzen. Es handelt sich also um eine ausgesprochene Krisenvermeidungsstrategie. Bislang ist es gelungen, die Lasten der Schuldenkrise vor allem die Schuldner tragen zu lassen..." (GMH, 15 f) Wenn das nicht mehr läuft, dann "gibt es nur noch die politisch moderierte Aufteilung der Abschreibungsverluste zwischen Gläubigern und Schuldnern." (250)

Man soll Altvater nicht dafür schelten, daß er die Hungerleider in den Ländern der "Dritten Welt" als "gelungene Krisenvermeidungsstrategie" bespricht. Er ist sich selbst sehr treu, wenn er den Standpunkt des (Nicht-)Funktionierens nun auf die Banken anwendet, warnend den Zeigefinger hebt und Zeiten kommen sieht, in denen die Banken doch tatsächlich Verluste in höherem Maße selbst zu tragen hätten. Nun mag es ja sein, daß sich als Wirkung eines Bankeinbruchs Entwertungen in großem Stil in der imperialistischen Finanzwelt nicht vermeiden lassen, doch wessen Sorge soll das denn sein? Altvater teilt halt prinzipienlos prinzipientreu die" Sorgen " aller am Kreditgeschäft mit der "Dritten Welt" beteiligten Subjekte. Will er ihnen doch nachweisen, daß ihre "Krisenvermeidungsstrategie" nie die "Krise" vermeiden könne.

Über den Kredit hat man nebenbei bei Altvater gelernt, daß er eigentlich die Quadratur des Zirkels zu leisten hätte, wenn nicht immer was dazwischen käme: Er wird ausgegeben, um zurückzukehren, soll dem Schuldner alle seine Wünsche erfüllen und darf natürlich dem Gläubiger keine Verluste zufügen. So geht die politische Ökonomie der Heinzelmännchen!

Beispiel 2: Wie aus der universellen Benutzung des Dollar...

Die "Währung" des Weltmarktes, das weiß der Leser des 1. Bandes des "Kapital", ist eben keine Währung, sondern Gold; also reine Wertmateriatur; im Verkehr zwischen Staaten der Beleg dafür, daß niemand einfach so den Banknoten des Konkurrenten traut, sondern in tatsächlichem Geldreichtum seine Geschäfte mit den Nachbarn bilanzieren will. Damit ist eigentlich schon alles Wichtige über den Dollar gesagt. Wenn der an die Stelle des Goldes tritt, wenn also eine nationale Währung darauf bestehen kann, daß in ihr ab sofort alle Geschäfte des Weltmarktes abgewickelt zu werden haben, kann dies nicht das Resultat einer Abstimmung zwischen Staaten und auch kein Zeichen von Goldmangel sein. Wenn jedes Geschäft auf der Welt, mit oder ohne Beteiligung amerikanischer Geschäftsmenschen immerzu zugleich Nachfrage nach dieser bestimmten Währung darstellt, wenn jeder Staat genötigt ist, sich um Reserven in der Form des Weltgeldes (Dollar) zu kümmern, die ja auch erst einmal als Resultat eines Geschäfts erworben sein wollen, wenn schließlich jeder Staat sorgfältig die Schwankungen des Werts des Dollars beobachten muß, weil davon abhängt, wie teuer oder billig sein Import und Export ist, wieviel Wert seine Weltgeld-Reserven haben und was er tun kann, um all dies möglichst zum Vorteil der eigenen Nationalökonomie zu gestalten, dann muß jener Nationalstaat, dessen Nationalwährung Weltgeltung hat, über eine beträchtliche "Überredungsgabe" verfügen.

Es ist eigentlich kein Geheimnis, daß die USA - der militärische, politische und einzige ökonomische Sieger des 2. Weltkrieges - mit dem gar nicht zimperlichen Verweis auf ihre ökonomische und militärische Macht ihren Dollar zum Weltgeld erklärt, schließlich sogar mit eben demselben Verweis eine Golddeckung für eine Fessel ihres weltweiten Geschäfts und das ihrer Konkurrenten erachtet und sie kurzerhand abgeschafft haben.

An dem System hat sich bis heute prinzipiell nichts geändert. Geändert haben sich die Paritäten der Währungen der imperialistischen Konkurrenten zum Weltgeld; dies nicht zuletzt aufgrund erfolgreicher Benutzung des Dollars, so daß die USA in letzter Zeit genötigt sind, ihr Monopol in Sachen Weltgeld-Regulierung zu relativieren.

...eine "Krise des Weltgeldes" wird.

Für Altvater ist natürlich das Weltgeld Dollar auch nicht mehr das, was es mal war bzw. für ihn war, also noch nie war. Er beobachtet einen ständigen Niedergang des Weltgeldes. Die Aufhebung der Golddeckung, die Ersetzung der fixen durch die freien Wechselkurse, die Verschuldung der USA, die Aufblähung des internationialen Geld- und Kreditmarktes, die zunehmende Spekulation auf den Dollar und die sich ändernden Notierungen des Dollars signalisieren ihm folgendes:

"Die 70er Jahre sind Zeuge der Umkehrung der Funktionen, die der Dollar als Weltgeld einmal hatte: von einem politischen Regulierungsinstrumentarium zu einem ausschließlich privaten Kapitalanlageobjekt. Die Krise ist unvermeidlich." (234)

Altvaters "Krise des Weltgeldes" lebt von dem erfundenen Gegensatz zwischen "politischer Regulierung" und "privater Kapitalanlage" (43), sprich: Geschäft. Die Ausstattung von Nachkriegs-Europa mit Dollars war für Altvater "politische Regulierung". Wenn jetzt der internationalen Finanzwelt das Angebot gemacht wird, sich am billionen-schweren Aufrüstungsprogramm durch die Fakturierung von Dollar-Staatsschulden eine goldene Nase zu verdienen, dann ist dies für ihn gleichbedeutend mit "privater Kapitalanlage" und signalisiert den Niedergang des Dollars als Weltgeld. Altvater ist so vernarrt in seinen Krisengedanken, daß er sich das Weltgeld als uneigennützig-segensreichen Stabilisator des Währungssystems ausmalen muß, um es dann an diesem Maßstab blamieren zu können. Daß die "politische Regulierung", welche der Dollar weltweit bewirkte, überhaupt nur als Angebot an heimisches Kapital und an "befreundete" Nationalstaaten wie die BRD zu verstehen war, mit dem Dollar ein Geschäft zu machen, daß "politische Regulierung", sprich: Herstellung von Dollar-Abhängigkeiten, irgendwie etwas mit dem Instrument zu tun haben muß, das da "reguliert", kann Altvater ziemlich gleichgültig sein. So vergißt er fürs erste, daß das "Regulierungsinstrument" eben Zirkulations-, Zahlungsmittel und Kapital, also das gewaltsam durchgesetzte Geschäftsmittel und der Geschäftsartikel r. 1 für alle, die auf dem Weltmarkt mitmischen wollten, zu sein hatte. Und er kramt erst für die 70er und 80er Jahre die andere Seite des Dollars hervor, wo diese selbst ihm nicht mehr verborgen bleiben konnte, weil die Dollar-Geschäfte so erfolgreich verlaufen waren, daß es davon erstens ziemlich viele gab, diese zweitens in ziemlich vielen Händen lagen und drittens keinesfalls allein eine Verschuldung bei den USA, sondern auch Verschuldung der USA signalisierten. Damit sei die "Existenz eines regulierten Währungssystems verunmöglicht" (235), sagt Altvater und verwechselt den Umstand, daß die USA inzwischen ihre sechs imperialistischen Konkurrenten regelmäßig zu "Währungsgipfeln" einladen, mit einer Unfähigkeit zur "Regulation".

Nun mag in der Tat einem US-Finanzminister oder -Präsidenten bereits ein Gipfel deswegen ein Greuel sein, weil er sich da die "Sorgen" seiner Konkurrenten anzuhören und sie von Fall zu Fall zu berücksichtigen hat; etwa jene über das US-amerikanische Entschuldungsprogramm via Dollarentwertung. Doch solange einerseits die internationale Geldmafia dem Angebot der USA, ihr Aufrüstungsprogramm gegen Zinsen zu finanzieren, folgt, solange damit andererseits das politische Programm der USA vom restlichen Westen seiner Geschäftswelt als Gelegenheit "erlaubt" wird, solange also die Währungshüter der sieben Großen an einer politischen Priorität, die bekanntlich in ihrem NATO-Bündnis sichtbaren Ausdruck gefunden hat, festhalten, muß sich Altvater um die "Regulierungsfunktion" des Weltgeldes wirklich nicht sorgen.

Es ist jedoch zu bezweifeln, daß es ihn wirklich besänftigt, da gemessen am Ideal eines Monopols auf "politische Regulierung", das nach dem 2. Weltkrieg identisch war mit dem Monopol der USA auf Geschäft mit dem Dollar, das S - Interesse an konkurrenzlosem Herumfuhrwerken auf dem Globus in der Tat beschränkt ist. Für Altvater ein Grund, die "Hegemoniekrise der USA" auszurufen.

Beispiel 3: Wie die vom Osten gebremsten imperialistischen Ansprüche der USA...

Den Uereinigten Staaten von Amerika ist es stets eine Selbstverständlichkeit gewesen, mit ihren Segnungen die Welt zu beglücken. Daß sich - vor allem nach dem 2. Weltkrieg - die Welt dem Dollar zu unterwerfen hatte, daß sie eine einzige große Geschäftsgelegenheit für das US-Kapital zu sein hatte, war und ist dermaßen gültige Maxime der Außenpolitik, daß für dieses Menschheitsbeglückungsprogramm die Zustimmung der dafür ausersehenen Souveräne gar nicht erst eingeholt werden mußte. Selbstverständlich ist es der "pax americana" bis heute, daß Widerstand gegen solche Segnungen Unrecht ist und deswegen notfalls mit Gewalt unterbunden werden muß. Das entsprechende militärische Monopol besaßen die USA und mochten von ihm Gebrauch.

Zum kalkulierenden Umgang damit wurden die USA erst durch die sowjetische Verfügung über Atomwaffen genötigt. Wollten sie nicht kurz nach dem 2. gleich den 3. Weltkrieg beginnen, dessen Ausgang angesichts der Atomstreitmacht der UdSSR durchaus nicht vorhersehbar gewesen wäre, dann hatten die USA bei allen militärischen Operationen ab sofort zu bedenken, daß das Hindernis des US-Imperialismus zugleich über entscheidende militärische Mittel verfügte. Abgehalten hat dies die USA nicht von militärischen Aktionen, geändert haben sie ihre außenpolitischen Maßstäbe schon gleich gar nicht. Umgekehrt haben sie ihren Ehrgeiz darein gesetzt, militärisch wieder einen gehörigen Vorsprung zu bekommen, die Welt um die Sowjetunion herum zu strategischen Basen auszubauen und auch sonst auf keinem Kontinent etwas 'rot' anbrennen zu lassen. Leider ist ihr dabei einiger Erfolg beschieden, an dem ihre NATO-Freunde durchaus ihren Anteil hatten und die deswegen auch diese Erfolge keineswegs den USA allein überlassen wollen.

...die "Hegemoniekrise" der Vereinigten Staaten belegen.

Bei Altvater werden die USA zum bedauernswerten Opfer ihrer eigenen Segnungen:

- Erst haben sie nach dem 2. Weltkrieg Europa mit ihrem System eines - nach Altvater - höllisch gut funktionierenden Kapitalismus beglückt; mit dem sogenannten "Fordismus" (24 ff.), was sich aber schwer gerächt hat, denn das hat irgendwie ihre Ökonomie nicht verkraftet (221 ff.).

- Dadurch geriet das Weltgeld in eine Krise, mit dem die USA doch nur weltweit für "Stabilität" sorgen wollten. - Ihre "Hegemonie" mußte dadurch erheblichen Schaden nehmen:

"die Niederlage in Vietnam, das Debakel von Watergate (und Irangate 10 Jahre später) und vor allem: die Erosion der Mittel, mit denen Hegemonie ausgeübt werden kann. Die Machtlosigkeit zeigte sich in ihrer schäbigen Nacktheit beim unrühmlichen Abzug aus Vietnam und fünf Jahre später beim Desaster in der Wüste des Irans. AIler Welt wurde demonstriert, daß die USA nicht mehr in der Lage waren, mit begrenzten Mitteln der iranischen Herausforderung zu begegnen (so sehen das die US-Ultras und Khomeini auch; MSZ) und - was noch mehr ins Gewicht fiel - für eine ungefährdete Energieversorgung der hochentwickelten kapitalistischen Welt zu sorgen." (230 f)

Es fehlt in dieser Liste eigentlich nur noch "die Niederlage" der USA in Nicaragua, "der würdelose Sieg" über Grenada oder die "ohnmächtige" Okkupation des Persischen Golfs.

Nicht daß Altvater ein unbedingter Freund imperialistischer Weltherrschaft wäre, nicht daß ihn Sorgen um "unser Öl" irgendwie nicht schlafen lassen würden. Aber wenn Altvater für das US-Hegemoniestreben die "Krise" ausruft, dann mißt er die Hegemonie der USA an "Leistungen" eines Stabilitätsfaktors, der "uns" vor "iranischen Herausforderungen schützt" und "unser Öl sichert". Der imperialistische Maßstab der USA, daß jedes militärische Kalkulieren bereits eine Niederlage sei, daß die militärische Potenz einer anderen Großmacht für die "Erosion" der eigenen Mittel steht und daß der Verzicht auf den vollen Einsatz der eigenen Militärmacht geradezu ein "Desaster" darstellt, dieser Maßstab ist seinem Urteil über die "Hegemoniekrise" immanent.

Einmal im Zuge, beendet Altvater sein Krisenkaleidoskop: Es verwundert jetzt schon nicht mehr, daß mit der "Hegemoniekrise" der USA

"dann nicht nur das Regulations- und Hegemoniemodell der US-Gesellschaft gefährdet ist, sondern auch das globale Regime von Ökonomie und Politik. Das opulente Dinner auf der Titanic ist in vollem Gange. Eisberge driften in Richtung ihrer Route..." (236)

Und da letztlich "wir alle" auf der Titanic sitzen, wäre jede Freude über den an die Wand gemalten möglichen Abgang dieses "globalen Systems von Politik und Ökonomie" natürlich völlig fehl am Platze. Erwünscht ist vielmehr die bange Frage, ob es aus der drohenden Katastrophe noch einen Ausweg gibt.

Damit hat sich Altvater zum katastrophenphilosophischen Gehalt seiner "Krise" vorgearbeitet. Krise ist jetzt von Altvater als metaphysisches Weltverhängnis ausgesprochen undsteht in einer Reihe mit den beliebten Weltuntergangsphilosophien vom Atom, der Rüstung oder dem Frevel der Naturbenutzung.

III. Wege aus der Krise?

Wer Katastrophe schreit und damit "die Menschheit" anspricht, will in der Regel Reklame für einen, eben seinen Ausweg machen. Der heißt dann, je nach drohendem Verhängnis, Energiesparen, also Bescheidenheit, oder mit dem Frieden bei sich selbst anfangen, also Demut. Altvater enttäuscht hier auf der ganzen Linie. Weder konstruktive Um- oder Entschuldungspläne hat er auf Lager, noch innere Enklaven der genannten untertänigsten Art will er anbieten.

Er tadelt vielmehr: z.B. den IWF für seine "Philosophie der Einzelfallstudien und -lösungen", hält sie für grundfalsche Wege zur "Lösung der Verschuldungskrise". Aber zuständig für die "Lösung der Schuldenkrise" hält Altvater den IWF schon. Nach de Motto, wo sich die (finanziellen) Mittel befinden, haben sich die "guten Zwecke" von allein einzustellen, verfährt er auch in diesem Fall: Den Hauptverantwortlichen für Hungersnöte und militärische Zerschlagung jeden Aufbegehrens in der Dritten Welt, den imperialistischen Sachwaltern der Drittwelt-Verschuldung soll es obliegen, jenen Zustand zu beenden, den sie sehr bewußt ins Werk setzen!

Nur deswegen kann sich Altvater auch so herrlich kindisch über den "Optimismus der internationalen Organisationen, Politiker und Sachverständigen" (253) wundern, der sie beflügelt, wenn sie sich zur "Verschuldungskrise" äußern: Die halten die Tatsache, daß es verschuldete Länder geben könnte, "die in Form von Zinsen die aufgenommenen Kredite bei internationalen Banken mehrfach bezahlt hätten und dennoch auch weiterhin Transfers leisten müßten" (253), offensichtlich nicht für "absurd", sondern für eine höchst einträgliche Konsequenz der Verschuldung der Dritten Welt. Altvater kann darüber nur den Kopf schütteln: Wie kann man sich nur von der Fortsetzung der Verschuldung einen Abbau des Schuldenberges versprechen? Nicht, daß er der Auffassung wäre, das könnte überhaupt klappen! Aber daß diese Art von "Lösung der Schuldenkrise" nicht geht, sehe selbst der Blinde mit dem Krückstock, meint er. Und so blamiert Altvater den IWF als fürchterlich niveaulose Einrichtung, die einfach ständig verpassen würde, daß sie das glatte Gegenteil von dem unternimmt, was sie eigentlich will.

Auch von der moralischen Untermauerung dieses Idealismus wird sich der IWF nicht so schnell erholen:

"Zweifellos hat dies" (die verheerenden Konsequenzen der Verschuldung für die Drittweltländer) "auch etwas mit ethisch begründeter Verpflichtung zu tun; und daher wurde im Titel" (des Aufsatzes: "Die Schulden des Südens und die Schuld des Nordens") "der Begriff der 'Schuld', die sich der Norden gegenüber dem Süden der einen Welt auflädt, bewußt gewählt." (GMH, 25)

Doch hat sich der kritische Sachuerständige Altvater nicht in die IWF-Belange ideell eingemischt, um nun seinerseits Konzepte zu präsentieren. Umgekehrt verläuft sein Anliegen. Und deswegen muß er den IWF und andere Einrichtungen der imperialistischen Finanzwelt tadeln, weil sie seine Auffassung von der Ausweglosigkeit der "Schuldenkrise" nicht teilen wollen. "Einzelfall-Lösungen" sind doch nichts als "Flickschusterei", und es ist für Altvater klar absehbar, daß diese "Flickschusterei der Umschuldungen und Finanzinnovationen an eine Grenze gerät, jenseits derer es 'nur' noch um die Fragen geht, wie hoch der Abschreibungsbedarf internationaler Kredite ist und wer die Verluste zu tragen hat." (GMH, 25) Na bitte! Eine "Lösung", die auf allen Seiten nur "Verluste" bringt, ist doch keine "Lösung" nicht.

Welche Hoffnungsträger lassen sich noch ausmachen und blamieren? Etwas mehr Niveau und vor allem Moral hat da für ihn das brasilianische Zinsmoratorium von 1987 auf seiner Seite. Brasilien hätte einen "Bruch vorherrschender Formen" (277) eingeleitet, indem es das "subjektive Argument ins Feld geführt (habe), daß es sein ökonomisches Wachstum nicht auf dem Altar der Verwertungsimperative internationaler Banken opfern könne" (276). Dieses "subjektive Argument" findet Altvater deswegen so beachtlich, weil es der "Logik der Kreditbeziehung" eine andere Logik entgegensetzt: "die von Wachstum und Entwicklung, Entwicklung und Fortschritt, Kampf gegen Elend und Hunger - ein moralischer Imperativ! -, sozialem Konsens und politischer Legitimation." (276) Allerdings muß er dem "subjektiven Argument" die "objektive Sachlage" entgegenhalten, "daß nämlich gar nicht genug Devisen vorhanden waren, um die fälligen Zinsen zahlen zu können" (276).

Daß die brasilianische Staatsregierung gar nicht konnte, was sie angeblich nicht wollte und was Altvater dann zu einer Art antiimperialistischer Drittwelt-Initiative aufplustert, macht nichts, denn eine "Lösung" stellt ein "Zinsmoratorium" auch nicht dar. Hier muß Altvater denn gleich wieder sehr "realistisch" werden: "Angesichts der Interdependenzen generierenden Strukturen auf dem Weltmarkt..." (276) Alles klar. Da muß man nicht mehr sagen: Muß auch zwangsläufig scheitern, da irgendwie alles mit allem zusammenhängt, ein Moratorium hier die Krise dort auslöst oder umgekehrt...

Eines ist also klar: Zahlen geht nicht, Nicht - Zahlen geht auch nicht, weil dann woanders das Zahlen nicht geht, was a nicht geht! Der Imperialismus bekommt es einfach nicht hin, weltweit einen harmonischen Ausgleich zwischen allen Interessen herzustellen. Das ist Altvater sonnenklar!

Die Krise als sein Weg

Was bleibt? Altvater hat keinen, will, ja darf als Krisentheoretiker auch gar keinen Ausweg bieten. Böte er einen an, hätte er doch die theoretische Pflicht und Schuldigkeit, in ihm wieder das Wirken von Krisen, die "Interdependenz von Krisenstrukturen auf Weltmarkt" o.ä. aufzuspüren. Der Mann ist schon geschlagen! Da entwickelt er eine Katastrophentheorie, setzt die Frage nach dem Ausweg damit in die Welt, und dann 'verfängt' er sich glatt in seinem eigenen Krisenfanatismus! Nicht, daß es nicht einen Ausweg geben könnte! Aber solch einer zeigt sich einfach nicht:

"Die gegenwärtige Krise" (dies sein, vom Gramsci geborgter Lieblingssatz; MSZ) "besteht eben genau in dem Umstand, daß das Alte stirbt, aber das Neue" (noch; Altvater) "nicht entsteht..." (23)

Und so bleibt nur eines: Da muß man eben warten! Warten, bis sich was Neues zeigt! Was anderes geht nicht. Was tun, das geht schon gleich nicht, denn man wüßte ja nicht was, weil sich was Neues nirgendwo nicht abzeichnet. Und daß der"Klassenkampf" in der Krise ist, das weiß Altvater schon seit der Gründung seiner (fast) gleichnamigen Zeitschrift.

Das bedeutet für den Krisenfanatiker keinesfalls, daß r jetzt die Hände in den Schoß legen muß. Warten müssen die, die sich "Lösungen" aller "Krisen" erhoffen. r hat viel zu tun, muß er doch ständig vor falschen Hoffnungen warnen. Dabei befindet sich Altvater mit seiner verrückten negativen Parteinahme für den Imperialismus nicht nur im Dauerdialog mit den "Bewegungen". Auch die theoretischen Parteigänger des Standpunkts einer bereits ordentlich funktionierenden "Marktwirtschaft" fordern ihn zum kritischen Dialog heraus. Mit den Theoretikern und Praktikern der Wirtschaftspolitik teilt Altvater nämlich den Ansatz, daß der Kapitalismus auf sein Funktionieren hin befragt werden müsse. Nur fallen die Antworten eben verschieden aus: So bemüht sich denn Altvater auch redlich, den Kollegen aus dem "bürgerlichen Lager" klarzumachen, daß sie es sich zu einfach machen, wenn sie Krisen als nicht-systemspezifische Unfälle in einem ansonsten herrlich funktionierenden Gleichgewichtsmodell betrachten. Einfühlsam denkt er sich in jeden bürgerlichen Schwachsinn hinein, findet überall ein Körnchen seiner Wahrheit, nämlich das nirgendwo geleugnete Material seiner Krisen-Theorie, und ist darüber so erfreut, daß er sich aufmacht, alle Theorien ungeachtet ihrer Widersprüche zu einem großen Brei zu synthetisieren. So hält er Marx für die Ergänzung von Keynes, Max Weber für die Ergänzung von Marx, reaktionäre Ökologen für Interpreten der Marxschen Theorie vom Doppelcharakter des kapitalistischen Produktionsprozesses (siehe Kasten), bürgerliche Krisentheoretiker für Denker, die man nur zu Ende denken, und bürgerliche Wachstumstheoretiker für Leute, denen man den entscheidenden Tip noch geben müsse. Die theoretische Parteinahme für weltweite Ausbeutung und Ausplünderung stört ihn deswegen ebenso wenig wie der Umstand, daß seine Dialogbereitschaft von Wachstumstheoretikern und Wirtschaftspolitikern nicht recht erwidert wird. Wenigstens denen ist klar, daß ihre "Gedanken" überhaupt nur den einen Zweck verfolgen, nämlich die Notwendigkeit von Kapitalismus und Imperialismus auszupinseln. Ihre Gleichgewichtsideale sind als gewußte und durchschaute allemal kenntlich. Weswegen die Frage, ob der Kapitalismus "krisenfrei" funktionieren könne, ihr Anliegen gar nicht trifft. Mit oder ohne "Krise" ist er gerade so wie er funktioniert, immer ziemlich in Ordnung, lautet ihre nicht kompromißfähige Botschaft. Deswegen ist Altvater's Dialog mit den "Bewegungen" für Arbeit, Natur, die Frau, Frieden und 'Müsli für die Dritte Welt' auch etwas ergiebiger. Wenn er denen sein ewiggleiches, aber durchaus politik-konjunkturbewußtes "Ich-weiß-warum!" anträgt, dann bedient er einerseits durchaus deren erstes Bedürfnis nach fürchterlich viel Problembewußtsein. Zusammen mit ihnen kann er nicht nur die Frage des Funktionierens von Geschäft und Gewalt aufwerfen, er kann zugleich mit ihnen den Kapitalismus mit deren Idealen ausgestalten. Dabei stört in diesem Dialog wenig, daß Altvater kein Parteigänger der Ideale der "Bewegungen" ist, sondern diese - Frieden, Frau, Vollbeschäftigung und Erhaltung von Mensch, Wurm und Halm - ihm allein das Material seines negativen methodischen Ideals vom Nicht-Funktionieren-Können von Kapitalismus und Weltmarkt sind. Daß es in einem Dialog zwischen den "Bewegungen", welche immerhin noch zwischen Tätern und Opfern unterscheiden und die von ihnen ausgemachten Ärgernisse abstellen möchten, und einem Krisen-Theoretiker, der letztlich nur einen "Täter", nämlich "die Krise", dafür aber in der Welt des nationalen und internationalen Kapitals auch nur "Opfer" entdeckt, zu schrilleren Mißtönen kommt, steht kaum zu erwarten. Zu ausgeprägt ist auch beim gemeinen Idealismus das Vertrauen in die eigentlich guten Absichten der Herren von Geschäft und Gewalt. Unbefriedigt läßt Altvater die "Bewegungen" allenfalls zurück, weil er ihr zweites Interesse nicht bedient: Auf ihre "Was-tun"-Frage kennt Altvater und darf er keine Antwort kennen. Daß Altvater also die praktische Ungeduld des Idealismus der modernen "Bewegungen" mit seinen Scenarien vom "notwendigen Scheitern" abwiegelt, macht denen aber auch nicht sehr viel. Denn die "Was-tun"-Emphase ist ohnehin nur die Eröffnung der Gewissens-Abteilung ihrer moralischen Empörung. Deswegen kann sich der Überblicker und Amalgamierer aller linken und rechten theoretischen Fürze, die irgendwo gelassen werden, auch vornehm zurückhalten und doch als Durchblicker geachtet werden. Einmischen möchte er sich nicht. Konsequente Parteinahme für irgendein Anliegen der "Bewegungen" kommt für ihn nicht in Frage, hat er doch sein eigenes. Eine Kritik an den Vorhaben der antiimperialistischen Initiativen liegt ihm freilich auch fern, weil er als Partei seinen Expertenstatus für sein Publikum und sein Publikum für seinen Expertenstatus verlieren würde. So schwebt er als Vertreter eines katastrophengeschwängerten Standpunkts des ideellen Gesamtimperialismus über allem schon ziemlich zum personifizierten Orakel geworden.

Dieser Theoretiker des Leidens des Kapitalismus an sich selbst ist deswegen auch weit von denen entfernt, die im imperialistischen Stadium des Kapitalismus überall Fäulnis entdeckt haben wollen und - das allein ist und bleibt das Sympathische am Revisionismus - begeistert auf den Untergang der "Titanic" gewartet haben. Weder möchte Altvater die Notwendigkeit der Abschaffung seiner Katastrophenökonomie begründen - würde er sich sonst um das Nicht-Funktionieren sorgen? -, noch kommt ihm die Empfehlung an die Opfer über die Lippen, es müßte ihnen doch ein Leichtes sein, sich von all dem zu trennen, was ihnen nur ihr dauerhaftes Scheitern garantiert: Wie sollte das möglich sein, wo zwar "das Alte stirbt, aber das Neue (noch) nicht zu sehen ist..."

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Literatur:

E. Altvater, Sachzwang, Weltmarkt, Hamburg 1987

E. Altvater, Die Schulden des Südens und die Schuld des Nordens, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1/87 (GMH)

E. Altvater u.a., Die Armut der Nationen, Berlin (West) 1987 (AdN)