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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1988 erschienen.
Ein schöner Kampf um Arbeitsplätze:
POLITIKER RATEN ZUM SOLIDARISCHEN VERZICHT
Immer wenn die Arbeitslosen nachgezählt werden, sind es schon wieder ein paar tausend mehr. Das geht nun bereits ein paar Jahre so. Und für die kommenden Jahre sagen die "Arbeitgeber" ganz locker und nach Branchen sortiert die fälligen Entlassungen an.
Immer wenn die prominenten Führer der Bundesrepublik von der Arbeitslosigkeit reden, liegen sie schwer im Kampf gegen dieses soziale Übel. Politikers und Aufsichtsräte, Gewerkschaftsvorsitzende und Betriebsräte, Professoren und Geistliche - alle haben sie eine Parole ganz oben in ihrem Programm: "Die Arbeitslosigkeit muß weg!" Und alle wissen auch ganz genau, wie das geht: durch die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Währenddessen gehen die "Arbeitgeber" ihrem Beruf nach. Soweit sich für den Gang ihrer Geschäfte der Einsatz von Arbeitskräften rentiert, stellen sie Leute an. Das lassen sie sich hoch anrechnen, und jedermann darf Respekt haben vor der Leistung, die sie bringen: Sie stiften Arbeitsplätze. Dafür müssen aber auch ihre Bilanzen stimmen. Damit diese in Ordnung bleiben oder kommen müssen sie sehr oft Arbeitskräfte überflüssig machen. Das ist auch eine respektable Leistung, die man ihnen aber nicht zum Vorwurf machen darf. In diesen Fällen unterliegen sie einem "Sachzwang", für den sie nichts können. Gegenwärtig haben sie für runde 10% von Arbeitskräften, also Leuten, die auf Lohnarbeit angewiesen sind, keine Arbeitsplätze. Dennoch sind und bleiben sie die "Arbeitgeber" der freien Marktwirtschaft - und es ist deshalb allemal im allgemeinen Interesse, daß ihre Rechnungen aufgehen. Somit steht fest: Der "Kampf gegen die Arbeitslosigkeit" muß sich an ihren Rechnungen orientieren. Jeder Verstoß gegen Unternehmerrechte und -kalkulationen ist "unvernünftig".
"Vernünftig" ist es dagegen, laut und vernehmlich die Fernseh-, Funk- und Presselandschaft mit Vorschlägen und "Denkanstößen" vollzulabern. Mit "Konzepten" anzutreten, in denen grundsätzlich nur Leute für die Arbeitslosigkeit haftbar gemacht werden, die von Berufs wegen ganz bestimmt nichts mit der Einrichtung oder Streichung von Arbeitsplätzen zu tun haben. Der neueste Schlager auf dem Felde dieser "wirtschaftlichen Vernunft" ist so radikal geraten, da sogleich alle maßgeblichen Instanzen des kapitalistischen Poitbetriebs Beifall gezollt haben. Der Ober-Sozialdemokrat Lafontaine hat eine Lösung für das "drückende Problem" der Arbeitslosigkeit aufgetischt, die selbst seinen politischen Konkurrenten gut gefällt: Der "Kampf gegen die Arbeitslosigkeit", an dessen Spitze er sich als geistiger Kopf setzen will, hat von den Lohnabhängigen selbst gewonnen zu werden. Mit gewissen Opfern sind sie dabei - sie müssen nur Arbeitsplätze finanzieren.
1. Das "Klima"
So viel scheint in der Bundesrepublik festzustehen: Die Arbeitslosen selbst, auch wenn sie wie in Rheinhausen einen Fackelzug nach dem anderen abziehen, sind ziemlich hilflos. Klar wie sollen auch überflüssig gemachte Arbeitsmenschen ihre gar nicht benötigten Dienste erzwingen?
Aber auch die organisierten Lohnabhängigen, die als Gewerkschaft darüber wachen, was aus ihren Interessen wird, haben über die Jahre des flotten Wachstums der Arbeitslosenstatistik eines entschieden: Sie können nichts ausrichten - weil sie dem System der sozialen Marktwirtschaft sehr viel zugutehalten. Sie glauben an den Arbeitgeber im Unternehmer, weil sie die Abhängigkeit vom Kapital als einzig "realistische" Art und Weise schätzen, von Arbeit zu leben. Und immer dann, wenn jede Menge Opfer der Lohnarbeit davon zeugen, daß es überhaupt nicht realistisch ist, das Kapital als Lebensmittel benützen zu wollen, flippt der DGB aus. Diese Gewerkschaft sieht sich nie dazu berufen, die Opfer der von ihr vertretenen Lohnabhängigen nach dem Verursacherprinzip zu betrachten. Stets meint sie darauf dringen zu müssen, daß die Macht des Kapitals die Pflicht nach sich zieht, auch die ganze Nation als Belegschaft durchzufüttern, zu "beschäftigen" und bei Laune zu halten. Weder in Tarifrunden noch sonstwo allerdings heißt das, daß die deutschen Gewerkschaften den Unternehmern zu nahe treten und ihnen etwas per Kampf nicht erlauben. Nein, die Breits und Steinkühlers schätzen die Mitsprache, die ihnen demokratischerweise eingeräumt wird, so sehr, daß sie die vermißten guten Taten des Kapitals herbeidiskutieren wollen. Und die beste Adresse, die ihnen angesichts der klaren Auskunft der Unternehmer - "das rechnet sich nicht!" - einfällt, ist der Staat. Bei dem und in ihm beschweren sie sich über ihren mangelnden Einfluß, verlangen mehr Gehör und "gewerkschaftliche Mitbestimmungsmöglichkeiten". Für alles, was ihren Mitgliedern zugemutet wird, haben deutsche Gewerkschafter bessere Lösungen; und die politische Macht in Bonn - die nichts auf die Macht des Geldes kommen läßt - ist dazu ausersehen, statt ihrer Politik eine andere zu machen. Nämlich die der Gewerkschaft, in der die Bedürfnisse des Geschäfts aufs prächtigste mit denen der lohnabhängigen Mannschaft harmonieren.
Diese Politik gibt es zwar genausowenig wie die erwünschte Harmonie - und das könnte eigentlich ein jeder wissen, der weiß, wie es am Arbeitsplatz, dem derzeit höchstgehandelten Gut der Nation, zugeht. Aber das macht gar nichts. Wo nichts als Verantwortung gefragt ist, wird sie auch gerne getragen.
2. Die Lösungen
In diesem Klima ist die Antwort auf die Frage "Was tun? " bestens vorbereitet. Die Arbeitslosigkeit ist ein "Problem", das nach Lösungen verlangt - woher sie kommt und warum sie fällig, gar notwendig ist, braucht da keinen mehr zu interessieren. Und ganz zufällig wie von selbst sind genau dieselben Typen und Instanzen für die Bewältigung des "Problems" zuständig, unter deren "Verantwortung" es entstanden ist.
Noch bevor sie ihre wegweisenden "Konzepte" zum besten geben, die verantwortlichen Stars jeder Tagesschau und die meistzitierten Namen in jeder Zeitung, steht eben eines fest: Sie können nichts, aber auch gar nichts dafür - aber wenn jemand etwas dagegen unternehmen kann, dann sind sie e s. Und genau so frech treten sie dann auf. Nachdem sich Politiker aller Parteien, Gewerkschafter und um den sozialen Frieden besorgte Journalisten wechselseitig aufgehetzt haben, einen gescheiten Vorschlag zu machen, wie der Arbeitslosigkeit beizukommen sei, hagelt es jetzt Vorschläge.
Das macht die Demokratie so schön, für Arbeitslose vor allem. Alle, die sowieso etwas zu sagen haben, sagen jetzt auch noch und jeden Tag dreimal, daß - wenn es nach ihnen ginge die Erwerbslosigkeit unter den Lohnarbeitern gar nicht zu sein bräuchte. Als ob es nicht nach ihnen ginge! Ganz im Vertrauen darauf, daß ihre Heuchelei ebenso durchschaut wie gebilligt wird, werfen sich höchste Amtsträger der politischen Gewalt in die Pose von Menschen, die etwas zu fordern haben. Und was fordern sie dann? So Zeug wie "wirksame Maßnahmen" gegen die Arbeitslosigkeit. Die wunderschöne Frage "Was tun?" nehmen sie sehr pflichtbewußt als Anlaß für die lautstark, weil medienverstärkt vorzubringenden Aufrufe zu "Was tun!"
Und das ist eigentlich schon fürs erste ausreichend: Leute, die nichts auf das Geschäft "ihrer = unserer" Industrie kommen lassen; die jeden "Sachzwang" kennen, vor dem jeder Einwand verblaßt, den ein Opfer von freier Marktwirtschaft und ihren atomwirtschaftlichen Vermummungsverboten gelegentlich anmeldet; Leute, die auch schnell mit Gewalt für die Durchsetzung ihrer eingesehenen Notwendigkeiten bei der Hand sind - solche Leute werden zu Berufsdemonstranten: Von oben, mit der krachigen Würde ihres Amtes demonstrieren sie die doppelte Lüge, daß sie die Arbeitslosigkeit einerseits überhaupt nicht mit ihrer Verwaltungs- und Geschäftstätigkeit in Verbindung bringen können - daß sie andererseits aber nicht ruhen noch rasten können angesichts dieses untragbaren Zustands.
Prominenz verpflichtet. Ihr sind nicht einmal die Arbeitslosen wurscht! Das demonstriert sie sehr aufdringlich.
3. Der Inhalt der Rezepte
An der nationalen Beschäftigungskampagne ist der Witz, daß zur Wahl stehende Karrieristen um "Glaubwürdigkeit" ringen. Das weiß längst jeder Fernsehteilnehmer. Das demokratische Verständnis hört freilich nicht mit dem Befund auf, da würden auf Ermächtigung und Zutrauen von unten erpichte Politfiguren ziemlich plump und unglaubwürdig. Mit dem überaus freiheitlich geschulten Blick auf die Technik der Vertrauenswerbung für die nächsten Wahlen geht die Begutachtung erst richtig los. Klar - jeder weiß, daß sich Oskar Lafontaine profilieren will, wenn er sagt, was andere für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu tun hätten. Aber das reicht für demokratische politische Kultur noch lange nicht aus, um dem guten Mann das Vertrauen ein für alle Mal zu kündigen. Umgekehrt geht es viel besser. Als wäre "Profilierung" allemal eine ernstzunehmende Anstrengung und ihr Betreiber ein ehrenwerter Mann, wird sich gründlichst und voller Verständnis danach erkundigt, womit und mit welchem Denkanstoß sich der gute Mann beliebt machen möchte.
Und siehe da - der Oskar von der SPD hat seine Sache gut gemacht. Seine Absicht, sich wichtig und politisch gewichtig zu machen, geht in Ordnung - weil das von ihm gewählte Mittel einfach seinen Zweck heiligt. Er hat einen Weg zur Vermehrung von Arbeitsplätzen ausgekundschaftet, der alle fasziniert, die schon immer vermutet haben, daß die Lohnabhängigen selbst und letztlich nur sie für ihre Beschäftigung verantwortlich sind. Dabei ist hier hat Lafontaine recht - sein Vorschlag ganz bestimmt nichts Neues. Oskar Lafontaine kämpft nämlich gegen die Arbeitslosigkeit, indem er den Arbeitern insgesamt einen Sofidaritätsakt empfiehlt. Sein Staatsakt besteht in dem Rat, daß sich die Brüder ihre Arbeit und ihr Geld besser einteilen. Nämlich so, daß die Arbeitslosen ihren Lohn von den zur Zeit Beschäftigten kriegen, weil die ihr Einkommen teilweise beim Betrieb lassen, und der Geld übrig hat, um die Arbeitslosen zu verstauen und schaffen zu lassen.
Auf diesen Rat zu hören, ist gar nicht so einfach. Auch wenn im Fernsehen heiße Umfragen des Typs "Würden Sie drei Stunden Arbeitszeit und den entsprechenden Lohn hergeben für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit?" bereits anlaufen: So weit ist es mitten im Kapitalismus noch nicht gekommen, daß es einem Arbeiter freisteht, über seine Arbeitszeit und seinen Lohn zu bestimmen! Und das gleich so, daß er sich mit seinesgleichen zusammentut und wegen der Arbeitslosen einen gesamtgesellschaftlichen Topf mit Arbeitszeit drin aufteilt; daß er die Löhne, die gegenwärtig an 90% der Lohnabhängigen gezahlt werden, zusammenrechnet und neu auf seine ganze Klasse verteilt. Nein - das Argument gegen Oskar Lafontaine und seine grandiose Idee lautet nicht, daß sein Konzept nicht so einfach in die Praxis umzusetzen wäre. Das weiß der gute Mann auch, daß die Festlegung von Lohn und Leistung, die gegenwärtige Verfassung des Arbeitsmarktes nicht das Werk der arbeitenden Menschheit ist. Den Bedarf des Kapitals und seiner Profitrechnung als Grund für die überflüssigen Arbeitskräfte, als einzig gültigen Maßstab für Arbeitszeit und Lohn vergißt er sehr gekonnt: Er will ihn als unumstößliche Tatsache geltend machen, den Bedarf der "Wirtschaft", an der sowieso nichts zu drehen geht.
Lafontaine tut einfach so, als ob sich die arbeitende Klasse in ihrem maßlosen Anspruch auf Arbeitszeit und Lohn vergriffen hätte - und deswegen die Arbeitslosen herausgekommen wären! Frech errechnet er, daß das Kapital soviel an Beschäftigung und Lohn nicht verträgt, wie die Lohnabhängigen von ihm wollen; dafür ist ihm seine absurde Welt, seine weltfremde Vorstellung von einem Arbeitsmarkt, den die Beschäftigten in Unordnung gebracht haben, gerade recht. Wie in einem Betrieb die Regelung von Lohn und Leistung, das Rationalisieren und Stellenbesetzen und -streichen wirklich funktioniert, ist da ganz nebensächlich. Es ist so nebensächlich wie die Frage, was eigentlich der Lohn für einen Arbeiter oder Angestellten bedeutet. Daß es hier um den Lebensunterhalt geht, daß sich am Lohn entscheidet, ob jemand seinen Lebensbedürfnissen entsprechend Geld verdient, geht Oskar gar nichts an. Er weiß darüber nur eines: Streichungen sind möglich und notwendig, weil sich aus ihnen die Verpflegung der industriellen Reservearmee, modern: der Nicht-Beschältigten, finanzieren ließe.
Rein rechnerisch, versteht sich. Und das kriegt Lafontaine in der Diskussion von allen gesagt, die seinen umwerfenden Vorschlag erst einmal schätzen. Daß der ersparte Lohn der Beschäftigten in den Kassen der Unternehmer ist, tut sicher deren Bilanz gut; daß er aber ausgerechnet den Bedarf der Betriebe nach 2,5 Mio. Arbeitslosen oder auch nur den Einsatz von einem Bruchteil der Entlassenen hervorruft, ist nicht anzunehmen. So lautet die trockene Auskunft derer, die sich aufs Geschäft verstehen und meinen, daß Lohnsenkungen schon recht wären und das bißchen weniger Arbeitszeit allemal durch mehr Leistung an moderneren Arbeitsplätzen gut gemacht wird. Daß wegen und zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit die Berechnungen des Kapitals über den Haufen geworfen werden, daß ersparte Lohnkosten statt fürs Geschäft auf einmal für "Beschäftigung" da sind, will niemand so recht behaupten. Man kann doch freie Unternehmer nicht auf eine Beschäftigungsgarantie verpflichten, die "sich nicht rechnet"...
4. Die Moral von der Geschicht'
ist eine ungeheure. In der aufgeregten Debatte der Nation, in der sich rechts und links so gut verwechseln lassen, ist ja längst Übereinstimmung erzielt. Breite Zustimmung erhält der mutige Oskar von der Saar für seinen Einfall, die Arbeitslosigkeit müsse unbedingt eine Lohnsenkung zur Folge haben. Zweifel dürfen angemeldet werden, was die Wirkungen der Lohnsenkung auf die Arbeitslosenstatistik angeht. Bleibt unterm Strich der ebenso nationale wie soziale Beschluß, unter dem
Titel: "Kampf der Arbeitslosigkeit"
ein Programm abzuwickeln, das es in sich hat:
"Aus der Arbeitslosigkeit Kapital schlagen!"
Und dieses Programm ist durchaus ein Beweis dafür, wie modern der Kapitalismus durch die Demokratie geworden ist. Früher einmal, wo die Marktwirtschaft noch Kapitalismus hieß, in Manchester hauste und noch nicht sozial war, drückten die Arbeitslosen ganz "automatisch" auf den Preis der Arbeit, denn sie eröffneten den Kapitalherren die Freiheit, die Konkurrenz zwischen den Arbeitssuchenden gründlich auszunützen. Die Wirkung der Reservearmee: billigere Arbeit war sicher, weil sie von den Kapitalisten ohne großes Drumherum an den Arbeitssuchenden vollstreckt wurde. Heutzutage ist dasselbe eine Staatsaffäre, Lohnsenkung ist sozusagen demokratischer Handlungsbedarf. Die maßgeblichen Instanzen der fertigen Klassengesellschaft - Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften (ja, die auch und vor allem: sie machen schließlich "Lohnpolitik" im Zeichen der Arbeitslosigkeit und sehen das Modell "Arbeiter verteilen ihre Lasten", untereinander gemäß den Bedürfnissen der Wirtschaft, gerne!) - beschließen, was sein muß. Politiker können sich im freundlichen Streit, in der "verantwortlichen Suche" nach der einen Lösung mächtig profilieren; die Männer der Wirtschaft können ihnen recht geben und auf ihrem Interesse bestehen; die Gewerkschaften dürfen "ja, aber" sagen - und alle haben im Namen der arbeitenden Klasse unser Bestes getan. Nämlich die "Solidarität" herbeigeführt, die ihnen bei Lohnabhängigen - egal ob Arbeitslose oder noch "Arbeitsplatzbesitzer" - einzig und allein gefällt: Sie dürfen gemeinsam und gleich ihren gesenkten Lohn als Werk ihrer Zusammengehörigkeit ansehen und sich einteilen.