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Das Weltbild der Autonomen ist recht einfach. Es gibt nur sie und die "Schweine" mit ihrem "System"
WAS WOLLEN DIE AUTONOMEN?
Mit "Haßmaske" und "Zwille"...
Die "Haßmaske" ist das Erkennungszeichen der Autonomen. Ursprünglich hat die Verhüllung des Gesichts allein dem Zweck gedient, seine bürgerliche Identität vor den observierenden Staatsorganen zu verbergen, die jede Kritik als potentielle Gefahr für Staat und Demokratie definieren, deshalb präventiv jede halbwegs organisierte Unmutsäußerung sorgfältig registrieren und archivieren, um im Bedarfsfall die Betreffenden dingfest machen zu können.
Für die Autonomen ist der defensive Akt der Vermummung zum Symbol des Widerstands geworden, ein Stück Stoff, das Identität nicht mehr verhüllt, sondern kenntlich macht: die Identität des Autonomen als "Streetfighter". Damit setzen sie sich nicht nur vom Feind, der Staatsmacht, ab, sondern auch von allen andern, die dieser nicht ganz wohlgesonnen sind. Sie halten es sich zugute, den Widerstand gegen den bestehenden Staat zu praktizieren. Das "Kämpferische" ist es, was sie sich allem sonstigen Protest gegenüber zugutehalten:
"Was uns von anderen Linken unterscheidet, ist der Stein in der Hand und der Knüppel im Nacken. Im Tränengasnebel fühlen wir uns nun mal am autonomsten. Was uns darüber hinaus zusammenhält, wissen wir auch nicht." (Flugblatt Berliner Autonomer)
Die "Haßmaske" ist wesentlicher Bestandteil autonomer Kleidung, die - um Kampfstiefel, Knüppelhiebe dämpfende, gepolsterte Lederjacken und Helme ergänzt - die Uniform des "Schwarzen Blocks" ausmacht. Die einheitliche Kleidung repräsentiert nicht nur die Unterordnung unter den gemeinsamen Zweck und das unbedingte Recht zur Gewaltausübung sie dient vor allem der Unterscheidung von Freund und Feind im Kampf.
Dem "Knüppel im Nacken", dem Tränengasnebel, der chemischen Keule und anderen ordnungsstiftenden staatlichen Hausmitteln setzen sie ihre dürftige Schutzkleidung und den "Stein in der Hand" entgegen, wenn's hoch kommt, die "Zwille", in bürgerlichen Horrorszenarien mit schauriger Bewunderung zur "Präzisionszwille" hochstilisiert. Die sehr prinzipielle militärische Überlegenheit der Gegenseite ist den autonomen Kämpfern nicht Anlaß zur Überlegung, ob dieser Kampf es bringt.
Ihr Kampf ist auf Erfolg gar nicht berechnet; er selbst ist der Erfolg. Daß er stattfindet in regelmäßigen Abständen, ist es, worauf's ankommt:
"Nun ja, wir sind gescheitert. (Aber es hat Spaß gemacht! Dafür danke ich allen, auch den Aktivisten, über die ich hier manchmal hergezogen bin.) - Also auf zum nächsten Kampf!" (AKTION 6/87).
"Das war schon immer so, wenn der äußere Feind gerade nicht sichtbar ist, gehen die Kämpfe nach innen... (aber) Bevor du dich umschaust, kracht es irgendwo - und schon sind die Strukturen wieder gut." (Didi, Freiburger Medienwerkstatt, in der "Süddeutschen Zeitung", 15.1.)
Es ist der "äußere Feind", der die Autonomen zusammenhält, weil der Kampf das einzig Verbindende und der einzige Zweck autonomen Treibens ist. Wer meint, gegen seine Mitkämpfer antreten zu müssen, weil Frust aufkommt, wenn der "Zoff" mit dem wirklichen Feind mal zu lange nicht stattfindet, gibt so kund, daß ihn anderes als die "Aktion" selbst gar nicht interessiert. Die Schlägerei mit der Polizei bringt den autonomen Laden, seine "Strukturen", wieder in Ordnung. Sie stiftet Einheit. Anlässe dafür liefert der laufende Umgang des Staats mit der Szene und ihresgleichen selbst. Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Observation, Beschlagnahme von Schriften, aber auch die über das übliche Maß hinausgehende Ahndung ganz gewöhnlicher Ordnungswidrigkeiten und Kriminalität garantieren, daß die Szene in "Bewegung" bleibt. So sorgt der "Feind" beständig dafür, daß der Widerstand nicht erlahmt, weil er dauemd die Belege für seinen "Schweinecharakter" liefert, damit das Bewußtsein für die Existenz des Feindes schärft und mit ihm die eigene Daseinsberechtigung liefert. Andrea z.B. wurde von einem Spitzel die Gründung einer terroristischen Vereinigung untergejubelt:
"Andrea saß bis vor wenigen Tagen in Totalisolation... Es kam nichts rein. Sie bekam keine Zeitungen oder Bücher, durfte kein Anstaltsradio hören, nicht mal duschen. Die Totalisolation wurde dann vor kurzem aufgehoben. Sie sitzt aber immer noch in einem Kellerloch, das unter der Erde liegt und durch einen Bruch in der Kanalisation total nach Pisse stinkt." (AKTION 6/87)
Autonome wollen damit nicht Illusionen über die Zustände in deutschen Gefängnissen zerstören, sondern immer wieder beweisen, daß der Staat vor nichts zurückschreckt, um aufrechte Kämpfer aus dem Widerstand zu zermürben. Daß das keinen außer sie selbst beeindruckt, ist ihnen nur allzu bekannt; denn soviel wissen sie auch, daß die sie umgebende Bürgerwelt nicht aus Unkenntnis über Haftbedingungen, sondern aus strammer Befürwortung von Recht und Ordnung das Einsperren von "Radaubrüdern" gutheißt. Autonome bekennen sich sogar zur Zirkelhaftigkeit ihrer Überzeugungsarbeit:
"...Es hat sich wieder einmal bestätigt, daß wir ohne die Massen / gegen die Massen gar nichts machen können. Andererseits haben die Massen ein beschissenes Bewußtsein. Mit ihnen können wir also momentan auch nichts machen, was für uns von direktem Wert ist... Das klingt zunächst wie eine gedankliche Kreisbewegung: Die Leute werden im Kampf politisiert, und infolge der Politisierung kämpfen sie." (AKTION 6/87)
Praktisch tauglich scheint diese gedankliche Kreisbewegung dennoch:
"Dabei kann ein fehlgeschlagener Versuch, eine Bullensperre zu überwinden, durchaus ein politischer Sieg sein, wenn sich daran viele Menschen beteiligen; selbstbestimmt ihre Vorstellungen in diese Auseinandersetzung einbringen... Wenn z.B. in der Situation von Kleve der größte Teil von Menschen aus dem Konvoi nach vorne hätte kommen können, wäre die Situation für die Bullen sicher anders gewesen. Damit wäre ein Durchkommen zwar auch nicht gesichert gewesen, aber viele Menschen hätten die Schweinereien der Bullen mitbekommen und wären mit einem anderen Gefühl nach Hause gefahren." (Westberliner Autonome)
Nach diesem Prinzip sammeln Autonome ihre Erfahrung und möchten sie anderen vermitteln. Sie sind auf einen verkehrten Schluß scharf: Wenn schon der Staat aus allem und jedem eine Gewalt- und Polizeifrage macht, dann ist eines immer fällig: Gleich der Polizei Probleme bereiten. Insofern passen Autonome sehr genau zu der 'Gewaltfrage', die der demokratische Staat ohne Rücksicht auf Verluste in die Welt setzt. Ihr 'Nein!' ist genauso inhaltslos und rücksichtslos wie das 'Jawoll!', das die Staatsgewalt ihren Bürgern abverlangt.
...gegen den "Schweinestaat"
Daß Autonome sich von den liebenswürdigen Interpretationen des bürgerlichen Staates einseifen ließen, kann man ihnen nicht vorwerfen. An der bestehenden Demokratie können sie nichts Positives entdecken. Über die Reformierbarkeit des Systems machen sie sich keine Illusionen: "Das System hat keine Fehler. Der Fehler ist das System." Für das, was an Kritik in diesem Staat rumläuft oder sich für Opposition hält, haben sie nichts als Verachtung übrig: "Liberallallas", "Grünbürgerlichbetroffenheitslatschdemos", "Friedenswichser", "Theoriescheißer" und "Schlaffis".
Weder daß das staatliche Gewaltmonopol private Gewaltausübung ausschließt und gewaltsam unterbindet bzw. ahndet noch daß es sich die Legitimation dazu regelmäßig in Bürgervoten einholt, läßt Autonome also - wie jeden normalen kritischen Bürger - vergessen, daß es sich auch dabei um Gewalt handelt. Diese Feindschaft gegenüber dem Staat verdankt sich jedoch keiner Einsicht in Grund und Zweck demokratischer Gewalt. An keiner staatlichen Maßnahme übersehen sie die Gewalt, aber sie entdecken auch nur sie. Außer ihrer Ausübung wollen sie nämlich gar keinen Zweck entdecken, wenn der Staat seiner Souveränität oder dem "Wohl der Wirtschaft" gewaltsam Geltung verschafft. Wenn ein Autonomer einmal einen Blick auf das nationale Wirtschaftsleben wirft, wird für ihn nur eines sichtbar: eine Ansammlung von Techniken zur Befriedung der Massen, abwechselnd mit Zuckerbrot und/oder Peitsche. Und froh an diesem zurechtkonstruierten Bild der Wirtschaft stimmt ihn, daß es nicht reibungslos gelingt. Unter Krise versteht ein autonomer Theoretiker eine Herrschaftsmethode, mit der seine Feinde die Menschheit drangsalieren:
"Das Neue in der Phase der Massenarbeiterkämpfe der Periode zwischen 1967 und 1972 ist eine grundlegende Veränderung im Verhältnis von Löhnen und Profiten. Das löst einen regelrechten Schock beim Kapital aus, denn es hatte in der keynesianistischen Epoche der Vollbeschäftigung davon gelebt, daß Löhne und Profite gleichzeitig steigen können. Nun 'erlahmt' aber die Steigerung der Produktivität, durch welche Profite und Löhne gleichzeitig steigen konnten, Profit- und Lohnentwicklung werden wieder antagonistisch. Die Klasse akzeptiert nicht mehr 'Mehr Arbeit für mehr Geld', sondern kämpft für 'Mehr Lohn - weniger Arbeit'. Und zwar steigen nicht nur die direkten Löhne, sondern auch die Ausgaben des Staates, mit denen er die Klasse reproduziert und kontrolliert (Wohlfahrt, Gefängnisse, Schulen, 'Verteidigung'). Diese Ausgaben, die das Kapital vor revolutionären Entwicklungen schützen sollen, werden nun selbst zur Bedrohung seiner Profitrate... Schon 66/67 bekam das Kapital zu spüren, daß dieser Revolte" (gemeint sind Frauen- und Jugendemanzipation seit den 60er Jahren, die die kapitalnützliche Stellung des Familienvaters untergraben hätten) "mit einem konjunkturellen Einbruch, einer kurzen Phase disziplinierender Arbeitslosigkeit nicht beizukommen war... Die eigentliche Bedeutung der Energiekrise liegt daher in ihrem Druck auf die Neuzusammensetzung der Klasse... Die Energiekrise ist fehlgeschlagen... Die neuen Profite stehen nur auf dem Papier, nämlich auf den internationalen Schuldscheinen... In der Krise 1980/83 wurde die 'Energiekrise' von der Schuldenkrise abgelöst." (Aus einer Buchbesprechung - Montano: Arbeit, Entropie, Apokalypse - Wildcat, Karlsruher Stadtzeitung Nr. 36, 1985)
So gibt die Bourgeoisie, wenn sie ein Kapitalwachstum realisiert, den Autonomen recht, die meinen, daß vom Staatshaushalt, über die Profitrate bis zur Energie und den Schulden nur Machenschaften zur Debatte stehen, die der Bestechung bzw. Knechtung der Massen dienen.
Solchen Theorien zufolge soll die Einführung ganzer Technologien, wie der Atomtechnologie, nicht dem Kalkül staatlicher Energiepolitik geschuldet sein, sondern sich dem Umstand verdanken, daß mit ihr ganz besondere Gefahren verbunden sind, die dem Kapital ganz neue Formen der Kontrolle der Belegschaft erlauben, bis hin zur Drohung mit einem "Super-GAU" gegen aufmüpfige Massen. Die in AKWs durchgeführten Sicherheitskontrollen will ein Autonomer keineswegs als Maßnahmen verstanden wissen, die der Staat dem Kapital aufzwingt, damit dies vor lauter Kostengesichtspunkten ihm keine Katastrophenkosten beschert oder gar sein Staatsmaterial allzu leichtfertig aufs Spiel setzt, wobei er die Kostenkalkulation der Kapitalisten allemal gebührend würdigt. Ein Autonomer versteht sie als lauter böswillige Erfindungen zur Kontrolle der Menschen.
Wo die Ausübung von Herrschaft, die Kontrolle der Individuen, die staatliche Gewaltanwendung dermaßen jeder Zweckmäßigkeit entkleidet ist, wo Unterdrückung zum Selbstzweck geworden ist, da bleibt keine andere Erklärung als die, daß es den Machthabern auf die Knebelung der Individuen ankommt. Das einzige Recht, das der Autonome hochhält, ist demgegenüber das Recht des Individuums auf Selbstverwirklichung. Der Fanatismus der Individualität verleiht den Autonomen ihre Wut. Im Gegensatz zum Normalbürger wollen sie ihre Freiheit ohne die Beschränkung, die sie von Staats wegen garantiert. Doch wie jener will ein Autonomer von den Gegensätzen, die der Staat mit der bürgerlichen Freiheit in die Welt setzt, nichts wissen. Das Recht auf Selbstverwirklichung begreift er nicht als die gewaltsame Verpflichtung auf die Mittel, die den Individuen zur Verfügung stehen, sondern als "Freundschaft, Liebe, Zuneigung", die "mensch" untereinander aufbringen würde, wären da nicht die "Schweine", denen der Sinn bloß danach steht, den Traum von Autonomie zunichte zu machen.
Statt der Funktionalität staatlicher Gewalt entdecken Autonome also lauter böse Absichten, so daß es sich bei den Staatsagenten nur um schlechte Charaktere handeln kann, die kein von "Menschen" geteiltes, weil nun wirklich absurdes, Motiv mehr treibt. Auch in der Alltagsmoral sind "Schweine" keine Tiere, sondern Menschen, denen der moralische Verstand das wertvolle Prädikat "Mensch" abspricht, weil sie gegen Moral und/oder Recht verstoßen. Ihre eigene Ohnmacht gegenüber dem Gewaltmonopol bestärkt sie immer nur wieder in ihrem Recht, das sich mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit und dem guten Gewissen der Gewalt bedient:
"Wer Polizist wird und bei solchen Demonstrationen mitmischt, weiß, was er tut." (Autonomer im "Spiegel-Gespräch")
Der repressiven Staatsgewalt setzen sie ihren Kampf entgegen. Und der ist für sie ein einziger Akt der Befreiung. Eine strategische Kalkulation, die auf Schwächung und schließliche Beseitigung der Herrschaft zielt, die wie bei der RAF die Vernichtung von Führungsfiguren des bürgerlichen Betriebs als Weg zur Befreiung vorsieht, lehnen die Autonomen ab. Die straffe, quasi mititärische Organisation, die sich die RAF im Untergrund zulegt, weist für die Autonomen viel zu viel Programm und Disziplin auf, bei der die freie Individualität und der Lustgewinn beim Kämpfen auf der Strecke bleiben:
"Die Leute z.B., die aus den verschiedensten Ecken kommen, die sich hier an den Kämpfen im Hafen beteiligen, müssen selber völlig autonom entscheiden, auf welcher Ebene der Kämpfe sie einsteigen wollen. Das können und wollen wir nicht vorschreiben." (Aus einem Interview mit Hafenstraßenautonomen, AKTION 5/87)
Kampferfahrung contra Theorie
Was beim - v.a. jungen - Bürger als bloße Einstellung vorkommt, daß er unbedingt seine, dann aber ganz eigenen, Erfahrungen machen möchte, lieber schlechte Erfahrungen selbst gemacht als gute von andern aufgezwungen, lieber eine eigene verkehrte als eine "manipulierte" richtige Meinung haben will - und unter "Zwang" und "Manipulation" fallen da Argumente gleichermaßen wie "Liebesentzug" und Prügel -; dieses trotzige Beharren auf Selbständigkeit ist beim Autonomen zum festen Standpunkt ausgebildet. In den Aktivitäten von Polizei, Geheimdiensten und Justiz wird der autonomen Weltsicht zufolge der wahre Charakter des kapitalistischen Staates als gigantischer Repressions- und Unterdrückungsapparat so richtig sinnfällig. In diesem Sinne haben die Autonomen schon immer mit Vorliebe Entlarvung betrieben: In autonomen Zeitschriften, wie "AKTION", gibt es dafür die Rubrik "kurz und schmerzhaft" mit Meldungen von drastischen Verurteilungen von WAA-Gegnern, milden NPD-Urteilen, Polizeiaufrüstung usw. Die akribisch aufgedeckten Machenschaften der offen oder verdeckt operierenden Sicherheitsorgane gegen ihresgleichen sollen stets für sich selbst sprechen - als offenkundiger Beleg für die Untaten der "Schweine". Daß Widerstand nottut, soll im wesentlichen damit "bewiesen" werden, daß aus allen Ecken der Republik von Machenschaften der "Schweine" berichtet wird, deren gemeinsamer Begriff in der Rücksichtslosigkeit des Umgangs von Staat und Kapital mit "Menschen" liegt.
Daß Widerstand auch möglich ist, dokumentieren die Zeugnisse von Widerstandsaktionen, wie "Umspannstation zerstört", "Konzept Stadtspiel - Aktionen während des Reagan-Besuchs ohne 'sinnlose militärische Bullenkonfrontation'", "Flammende Grüße bei Adler - Wir dokumentieren die Erklärung der 'Roten Zora' zu Anschlägen auf Adler" (mit Karte, in der die Feuerchen liebevoll eingezeichnet sind). (Alles aus AKTION 5/87) Daß man durch Erfahrungen - gute wie schlechte - autonom wird, ist also die feste Überzeugung dieser Bewegung, gleichgültig dagegen, daß der so geführte Nachweis des Gewaltcharakters den "Normalo" ziemlich kalt läßt, der an Widerstand gar nicht denkt, obwohl ihm der Großteil der Meldungen gar nicht unbekannt ist.
Die einfache Staats"theorie" der Autonomen bedarf jedoch nicht nur keiner Theorie. Weil sie nicht Kampf ist, schadet sie ihm - so die autonome Logik. Jeder erklärende Satz, der sich nicht im Schildern von Belegen staatlicher Schweinereien erschöpft, ist dem Autonomen verdächtig.
In heftiger Abgrenzung von Linken fällt da auch schon einmal der Vorwurf, die "ungewohnte Sprache" eines autonomen Zettels beweise eine äußerst unrühmliche Nachahmung von seminarmarxistischem Gewichse. Wo Autonome freilich außerhalb ihrer Reihen einen Hinweis auf den Gewaltcharakter des Rechts finden, fühlen sie sich bestätigt - auch wenn sie gleich hinterher die Frage aufwerfen, wo denn die "Praxis" bleibt.
Wer sich vom Polizeiknüppel agitieren läßt, hält weitere Überlegungen für einen Dachschaden, der vom eigentlichen Agitationsinstrument: dem Knüppel und dem unverdrossen dagegen anrennenden Schädel, nur ablenkt. Der Stoff für Diskussionen geht bei solch praktischer Gesinnung nie aus. Er ist nur etwas beschränkt. "Konkret" geht es um zwei Fragen: Eine heißt: Wieso liegt den anderen so wenig an den Kampferfahrungen, daß wir ewig unter uns bleiben: Die Antwort: Resignation. Die zweite Frage schließt sich hier unmittelbar an, weil sie dieselbe ist. Der beim Resignieren nötige Wille, ein bißchen zu kämpfen, tritt ja nur deshalb nicht in Erscheinung, weil ihm die Möglichkeit des Kampfes nicht dargeboten wird. Wie können wir anderen unsere Aktionen "vermitteln"? lautet das Problem und seine Lösung heißt Aktion.
"Alles oder nichts"
Was wollen die Autonomen? Nichts! Ihre eigene Antwort geht zwar anders, sie ist aber um keinen Deut besser: Ihr von den Spontis übernommenes "Alles" umschreibt einen seelischen Gemütszustand, eine Art Generalfreiheit, die sich mit Kleinigkeiten nicht abgibt:
"Die Bedürfnisse, die sich auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung richten, treffen auf keinen öffentlich produzierten Austausch. Man kann sie nicht kaufen und verkaufen." (radikal, März/April 1984)
Das einzige Bedürfnis, das sie in dieser Gesellschaft nicht verwirklicht sehen, weil es nicht zu kaufen ist, ist eben das nach Autonomie. Das radikale Auftreten, das schwarzmaskierte Gehabe, paart sich da aufs schönste mit reaktionären Sinnschwafeleien und der modischen Kritik "bloß" materieller Bedürfnisse. Die sehen sie - ähnlich wie der Pfaffe - als Dinge an, die vom Eigentlichen nur ablenken und abhalten; die alte Tlheorie vom "Konsumterror" - die sich ja ebenfalls dem Inhalt nach einer alten christlichen Tradition erfreut - der die Menschheit mit künstlichen Konsumbedürfnissen manipuliere, um sie darüber zu "sinnloser" Arbeit zu zwingen, tut da nützliche Dienste.
"Arbeit ist, ohne Bezug zu haben auf Nützliches, Beschäftigung, die nicht mehr zwischen Sinn und Unsinn unterscheiden kann, Anwesenheit an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Sie ist der Dienst, den das System seinen Sklaven abverlangt, die Anwesenheitspflicht und so zu tun als ob." (radikal, März/April 1984)
Ganz nebenbei geben Autonome zu, welche Kritik und Verachtung sie sich bei ihrem Egotrip zugelegt haben, und zwar gegenüber den "Normalos": Den Massen geht's zu gut. Und selbst wenn es ihnen schlecht geht, wollen sie nur, daß es ihnen wieder besser geht:
"(Die meisten von) denen, die jetzt Stück für Stück aus dem Zusammenhang des Kapitalismus herauspurzeln... waren gerne an den vampiristischen Raubzügen des Kapitals beteiligt, sie waren, obwohl Ausgebeutete, doch mit Ausbeuter (so daß)... die Herausgeworfenen zumeist darum kämpfen, wieder in den Ausbeutungszusammenhang zurückzukommen..." (ebenda)
Daß sie, die Autonomen selbst, kein materielles Interesse treibt, wenn sie sich in ihren Kampf stürzen, halten sie sich ausdrücklich zugute:
"...daß der Unterschied zwischen einer Entscheidung, die Frontlinie zu wählen, und in einen Widerspruch zur Kapitalentwicklung gedrängt zu werden, ein fundamentaler ist... Die neuen Unterklassen sollen die fette Brühe sein, deren existentielles Aufbegehren von uns mit Anarchie, Witz und Militanz gewürzt werden sollte, von uns, die wir seit der Schule lieber keiner Klasse mehr angehören, auch wenn unsere ökonomische Existenz sich meist weit unter der neuen Massenarmut befindet. Doch für viele von uns war dies eine Frage der Entscheidung - wir haben diese Stelle in der Gesellschaft gewählt..." (ebenda)
Die bürgerliche Existenz von Mitkämpfern wissen sie zwar als Tarnung ihrer "gewitzten" Aktionen zu schätzen, andererseits betrachten sie das Interesse, sie zu erhalten, als Hindernis für die Beteiligung an "Aktionen". Eine Existenz, die keine Ansprüche mehr stellt und zu erwarten hat, ist deshalb die beste Voraussetzung für eine autonome Existenz, die sich in keine Abhängigkeiten begibt und so ganz frei dem Inhalt autonomer Selbstverwirklichung frönen kann:
"Die Profitgier der Kapitalisten, die HERRschsucht des Staates, seiner Politiker, Juristen, Bürokraten und Schreibtischtäter hat ein mörderisches System der Knäste und KZ's, der Zwangsarbeit und Aussonderung, der Zerstörung, Unterwerfung und Demütigung geschaffen, in dem wir nur im Widerstand und im Kampf unsere authentischen Gefühle, Autonomie und Selbstbestimmung und Kollektivität gewinnen können." (Treibsand 67, ASTA-Zeitung Bremen, Nov. 87)
Eine rhetorische Frage: Und welcher Lohn winkt bei solchem Kampf? Was springt heraus, wenn man sich schlägt und keinen Bedarf im Auge hat, der durch das Ergebnis der Schlacht gedeckt wird? Ein Heidenspaß eben, jene authentischen Gefühle, die einen Autonomen offenbar für alles andere entschädigen:
"Ich schmeiße die Steine nicht wegen der Bullen, ich schmeiße sie wegen mir." (Der Spiegel, 46/87)
Darum ist bei den Autonomen auch "Witz und Phantasie" gefragt. Im Erfinden origineller Gruppennamen sind sie unschlagbar: "Hau weg den Scheiß", "Westdeutsche Abbauhelfer", "Revolutionäre Handwerker", "Feurige Ratten", "Sägende Zellen" u.a.m. Dabei fallen ihnen auch mal Parolen ein, die den Bürger auf die Palme bringen: "Arbeitslosigkeit für alle - bei vollem Lohnausgleich!" Und all das nur, um sich die eigene Autonomie gegenüber allem, was nach "Schwein" riecht, permanent vor Augen zu halten. Solche Hirnakrobatik - kräftig unterstützt durch Punkmusik, Alkohol und Hasch - dient der Erholung und der Reproduktion in den Kampfpausen für das eigentliche ganz ursprünglich autonome Erlebnis, es den "Schweinen" zeigen zu können. Dafür muß man dann aber auch wieder voll drauf sein. Gedopt oder besoffen sieht man nicht gut aus gegen die "Bullen". Denn da gelten ganz spießige Kriterien. Fairneß im brutalen Kampf Mann gegen Mann. Nichts hat diese erfolgsvergessene Kalkulation autonomer Kämpfer deutlicher gemacht als autonome Reaktionen auf die toten Frankfurter Polizisten: Der Einsatz von Schußwaffen würde den Kampf ja völlig unkalkulierbar machen. Diebische Freude herrscht dagegen, wenn man den Gegner mit ganz primitiven Mitteln rein- und lahmgelegt hat:
"Am 19.7. brauchten die Polizeibeamten geschlagene zwei Stunden, um ihr Haupttor zu öffnen, das mit einem simplen Flacheisen und einer Schraube blockiert worden war. Die Schraube hatte lediglich ein Linksgewinde!!!" (AKTION, 5/97)
Noch mehr freut es sie natürlich, wenn sie in ihren eigenen Manövern mit verteilten Rollen zu merken meinen, daß ihre Autonomie sie den starken "Bullenkonzepten" überlegen mache, weil die Genossen, die die "Bullen" spielen müssen, über die Hiebe klagen. Am allerschönsten jedoch finden sie es, wenn es ihnen mal gelingt, den üblichen Spieß, der ja auch nicht von autonommoralischer Pappe ist, umzudrehen und die "Schweine" zum Laufen zu bringen. So leben sie im Kampf ihre Individualität aus, die sie im Leben sonst nirgends sehen. Sie wollen entdeckt haben, daß solche (Kampf)Erfahrungen die Karriere zur echt autonomen Persönlichkeit eröffnen:
"Wer kennt es nicht: das Kokettieren mit der ersten Geldstrafe, der ersten Festnahme, den ersten Prozeß, dem ersten Urteil. Das 'Schweinesystem' hat auch DICH auf dem Kieker, die Fronten sind klar, man ist plötzlich wer. DU rückst in den Kreis der juristisch anerkannten Staatsfeinde empor und sonnst DICH im Gedanken, Widerstand geleistet zu haben, wobei ja klar ist, daß DU irgendwann mal gepackt wirst. Es ist eine diffuse Wahrscheinlichkeitsrechnung, die aber meist gerade dann aufgeht, wenn DU am wenigsten damit rechnest." (radikal, März/April 1984)
Das nennen sie dann "Leben". D
Warnung
Autonome sind keine Fraktion im Spektrum des antikapitalistischen Kampfes. Sie sind auch nicht der radikale Flügel der Protestbewegung.
Autonome haben keine Kritik an den Mitteln, die Oppositionelle für ihre Zwecke einsetzen, einen besseren Weg wissen sie nicht.
Autonome haben nämlich nichts übrig für die Ziele von Protestierern, deren Gründe interessieren sie nicht.
Autonome sind keine Unterstützung in stattfindenden Auseinandersetzungen. Das wäre das letzte, was sie sein möchten.
Autonome betrachten vielmehr jede Bewegung als Gelegenheit, ihr Bedürfnis nach Selbstverwirklichung im Kampf zu befriedigen.
Autonome benützen stattfindende Auseinandersetzungen als günstige Gelegenheit, sich ihr eigenartiges Kampferlebnis in einer Schlägerei mit der Polizei zu verschaffen. Das ist der einzige Grund, warum sie sich an linke Bewegungen anhängen, die sie deshalb auch als Staffage ihrer Randale einschätzen und behandeln.
Hausbesetzer, Atomgegner, Antiimperialisten, Naturschützer, Friedensfreunde, Tierschützer kommen ihnen da gleichermaßen recht. Es kommt lediglich darauf an, ob sie deren Umzüge für actiontauglich halten. Etwas anderes als eine Straßenchlacht wollen Autonome gar nicht zustandebringen.